Zum Problem der langfristigen Alterssicherung. Risiken und sozialpolitische Optionen. Stellungnahme zu dem Beitrag von Th. Schmidt-Kaier | APuZ 27/1979 | bpb.de
Zum Problem der langfristigen Alterssicherung. Risiken und sozialpolitische Optionen. Stellungnahme zu dem Beitrag von Th. Schmidt-Kaier
Bert Rürup
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Zusammenfassung
Aufgrund der vorliegenden Prognosen für die Bevölkerungsentwicklung kann damit gerechnet werden, daß sich vom Beginn des nächsten Jahrtausends an die Relation zwischen der deutschen Erwerbsbevölkerung und den Altersruhegeldbeziehern deutlich zu Lasten der Erwerbsbevölkerung verschieben wird. Bezogen auf die gesetzliche Rentenversicherung könnte diese Entwicklung — unter der Annahme eines konstanten Renten-rechtes — eine Verdoppelung des Beitragssatzes zur Folge haben. Derartige langfristige Prognoserechnungen hinsichtlich der Veränderung der intergenerativen Verteilungsstrukturen sind allerdings mit zahlreichen Unsicherheitsfaktoren (wie internationale Wanderungsbewegungen, Kompensationsmöglichkeiten innerhalb des Systems der staatlichen Sozialleistungen, Variation der Finanzierungsmodalitäten des Tranfersystems etc.) behaftet. Insbesondere wird in aller Regel nicht beachtet, daß ein Rückgang der Bevölkerung bzw.des (deutschen) Erwerbspersonenpotentials nicht mit einer Verringerung des Pro-Kopf-Einkommens einhergehen dürfte. Gleichwohl zeigt die sich abzeichnende Bevölkerungsentwicklung einen politischen Handlungsbedarf an. Das vorgetragene Konzept einer „Bevölkerungsdynamischen Rente" ist indes nicht das geeignetste Instrument, diesen Bedarf zu befriedigen. Denn es basiert nicht nur auf einer ungeeigneten steuerungspolitischen Konzeption, sondern es ist sowohl hinsichtlich seiner Prämissen (Abhängigkeit des Gebärverhaltens von Beitragsdifferenzen) als auch infolge einer unzureichenden Berücksichtigung des ökonomischen Sachzwanges (wonach alle Renten immer aus dem laufenden Sozialprodukt finanziert werden müssen) durch Mangel an innerer Geschlossenheit gekennzeichnet. Nicht eine aktive Bevölkerungspolitik, die, wie die „Bevölkerungsdynamische Rente", eine Steuerung der Nettoreproduktionsrate in den Mittelpunkt stellt, sondern eine vorausschauende Sozialstrukturpolitik, bei der es darum geht, die Flexibilität der Sozial-systeme zu erhöhen, ist die Antwort auf dieses Problem. Es reicht weit über den Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung hinaus, -seine Erörterung darf sich daher auch nicht in einer auf Fragen des Sozialrentensystems konzentrierten Diskussion erschöpfen.
I. Gesamtwirtschaftliche Determinanten des Rentensystems
Die gesetzliche Rentenversicherung, sagt man, basiere auf einem Generationenvertrag. Unter dieser Bezeichnung, die einen Juristen schaudern läßt, hat man ein drei Generationen umfassendes Agreement zu verstehen, demzufolge die heute im Erwerbsleben Stehenden über ihre Beiträge an die Rentenversicherung die jetzt fälligen Altersruhegelder finanzieren und den Beitragszahlern dieser Periode zugesichert wird (bzw. sie davon ausgehen können), daß ihre in der Zukunft fälligen Renten von den Einzahlungen der dann wirtschaftlich aktiven Generation, den derzeitigen Kindern — deren Kindergeld ebenfalls von der heute wirtschaftlich aktiven Generation erwirtschaftet wird — aufgebracht werden.
Abbildung 10
Abb. 1. 1630 AO _______iiii_______ _______ _______iiti-______•_______ i 50 60 70 80 90 1900 10 20 Xi 4G 50 60 70 80 „Die Anzahl der Lebendgeborenen auf 1 000 Einwohner (Deutschland 1830— 1977, ab 1971 nur des deutschen Bevölkerungsteils) nach Angaben des Statistischen Bundesamtes (Kriegszeiten sind wegen ihrer drastisch veränderten sozialen und generativen Verhältnisse weggelassen)." '
Abb. 1. 1630 AO _______iiii_______ _______ _______iiti-______•_______ i 50 60 70 80 90 1900 10 20 Xi 4G 50 60 70 80 „Die Anzahl der Lebendgeborenen auf 1 000 Einwohner (Deutschland 1830— 1977, ab 1971 nur des deutschen Bevölkerungsteils) nach Angaben des Statistischen Bundesamtes (Kriegszeiten sind wegen ihrer drastisch veränderten sozialen und generativen Verhältnisse weggelassen)." '
Diese Charakterisierung des „Fundamentes unseres Rentensystems" ist zwar zutreffend aber zur Diskussion der Frage nach der Sicherheit der Renten unzureichend, da diese Beschreibung die ökonomische Basis bzw. die wirtschaftlichen „Sachzwänge" nicht hinreichend deutlich werden läßt.
Abbildung 11
BAULANDPREISE UND GEBURTENHÄUFIGKEIT 1977 nach Gemeindegrößenklassen in der BR Deutschland Kaufwert für baureifes Land DM/qm 8 9 10 11 Geburten je 1000 Einwohner Die für Verhandlungen der „Deutschen Bevölkerungswissenschaft“ (s. Gesellschaft auf ihrer z. B.
BAULANDPREISE UND GEBURTENHÄUFIGKEIT 1977 nach Gemeindegrößenklassen in der BR Deutschland Kaufwert für baureifes Land DM/qm 8 9 10 11 Geburten je 1000 Einwohner Die für Verhandlungen der „Deutschen Bevölkerungswissenschaft“ (s. Gesellschaft auf ihrer z. B.
Am Anfang jeder Diskussion über die Frage nach der „Sicherheit der gesetzlichen Altersversorgung" muß eine Rückbesinnung auf die mindestens 27 Jahre alte Erkenntnis stehen, daß jede Rente immer und nur aus dem Sozialprodukt bzw. Volkseinkommen der laufenden Periode finanziert wird. Aus diesem 1952 von G. Mackenroth formulierten ökonomischen Grundprinzip, einem Axiom der Sozialpolitik, folgt, daß ein System der gesetzlichen Rentenversicherung faktisch immer und nur nach einem „Umlageverfahren" finanziert werden kann, d. h., daß die laufenden Renten über das Beitrags-(und Steuer-) System immer der laufenden Wertschöpfung der jeweiligen Erwerbsbevölkerung entnommen werden müssen.
Auf einen ersten Blick erscheint diese Aussage in ihrer Eindeutigkeit falsch, da im Prinzip doch jeder einzelne während seines Erwerbslebens sparen und so Einkommensteile bzw.deren Verwendung zeitlich verschieben kann, um später von den Erträgnissen (Zinsen, Dividenden, etc.) oder vom „Abschmelen" dieses (seines) Kapitalstocks leben zu können
Was aber sind diese Zinsen, Dividenden etc.? Nichts anderes als Teile des Volkseinkommens, welche in der Periode, in der sie den Empfängern (= Sparern) zufließen, von „ökonomisch Aktiven" erwirtschaftet werden INHALT I. Gesamtwirtschaftliche Determinanten des Rentensystems II. Ergebnisse und Probleme von Bevölkerungsprognosen
III. Gesamtwirtschaftliche Konseguenzen der demographischen Entwicklung 1. Bevölkerungsentwicklung und Wirtschaftswachstum
2. Bevölkerungsentwicklung und intergenerative Einkommensverteilung IV. Konzeptionelle Schwächen der „Bevölkerungsdynamischen Rente"
1, Die steuerungspolitische Grundannahme
2. Die generative Annahme 3. Die ökonomische Rahmenbedingung V. Vorausschauende Sozialstrukturpolitik statt aktiver Bevölkerungspolitik (müssen). Eine Bank oder eine Versicherung kann nur dann Zinsen zahlen, wenn sich jemand findet, der die eingezahlten Spargelder als Kredit aufnimmt, mit ihnen wirtschaftet, d. h. Leistungen erstellt, Einkommen erzielt und daraus'Sollzinsen an die Bank oder Versicherung zahlt.
Wenn ein einzelner einen Kredit aufnimmt, bedeutet dies für ihn eine Vergrößerung seiner ökonomischen Bewegungsfreiheit und wenn er Vermögen während seines Erwerbslebens bildet, kann er davon ausgehen, daß er Einkommensteile aus der Zeit seiner Erwerbstätigkeit in seine Altersphase verschoben hat.
Dies ist aber zwischen Generationen und für eine gesamte Volkswirtschaft — wenn man einmal die Alternative einer Verschuldung im Ausland außer acht läßt — nicht möglich. Denn wie sich nur jemand verschulden kann, wenn er einen Gläubiger findet, kann nur der Geld anlegen, der einen Schuldner findet.
Für eine Gesamtwirtschaft bedeutet dies — da jedem Schuldner ein Gläubiger gegenüberstehen muß —, daß sich innerhalb einer Volkswirtschaft Schulden und Guthaben und somit Soll-und Habenzinsen gegenseitig aufrechnen. Wenn dem so ist, dann ist eine gesamtgesellschaftliche zeitliche Einkommens-verschiebung nicht möglich, sondern nur aus dem laufenden Sozialprodukt gespeiste Einkommensübertragungen zwischen „gleichzeitigen" Gruppen
Gesamtwirtschaftlich müssen alle Renten immer durch entsprechende Konsumverzichte der Erwerbsbevölkerung getragen werden, sei es in Form von Beiträgen, Steuern, Zinsen oder durch den Kauf von Wertpapieren aus den Kapitalstöcken der Versicherungsträger.
Beim Generationenvertrag handelt es sich also nicht um ein „Abkommen" sondern um eine ökonomische Notwendigkeit.
Die gesetzliche Rentenversicherung ist mithin eine aus der in der jeweiligen Periode hervorgebrachten ökonomischen Wertschöpfung gespeiste Pumpstation für die Einkommensübertragung von der aktiven — im Sinne von wertschöpfenden — Generation zur Rentner-generation. Diese Pumpstation saugt über das Beitragssystem Kaufkraft aus dem Wirtschaftskreislauf ab, um diese Mittel über die Rentenzahlungen an anderer Stelle wieder zuzuschwemmen; hierbei ist bei uns das Beitragsaufkommen durch den Beitragssatz unmittelbar über die versicherungspflichtige Lohnsumme an die ökonomische Entwicklung gekettet, während die Rentenleistungen über die allgemeine Bemessungsgrundlage, das „dynamische Regel-glied" in der Rentenformel weniger direkt an die Wirtschaftsentwicklung angebunden sind. Für die Funktionsfähigkeit bzw. Sicherheit dieser Pumpe bedarf es daher — wie die eben skizzierten gesamtwirtschaftlichen Zusammenhänge deutlich machten — im Prinzip keines Kapitalstocks.
Wichtig und festzuhalten bleibt „die unabänderliche Tatsache, daß wir immer nur vom jeweiligen laufenden Sozialprodukt leben" wie Nell-Breuning es jüngst formulierte. Daraus folgt: ein Rentensystem kann eben nur aufgrund einer — zwangsläufigen — funktionalen Abhängigkeit von der jeweiligen, laufenden wirtschaftlichen Dynamik bzw. Wert-schöpfung immer und nur so sicher und leistungsfähig sein, wie Stetigkeit und Stabilität der wirtschaftlichen Entwicklung — die die „Rentenpumpe" speisende Quelle — es erlauben
Eine Variation oder Staffelung der Beiträge ist also nur dann, und solange ein „Sicherheitsfaktor", wie damit eine Stabilisierung des ökonomischen Wertschöpfungsprozesses verbunden ist. Für eine auf Wachstum angelegte Wirtschaft, wie es im Prinzip die unsere ist, bedeutet dies, daß die Renten nur dann sicherer werden, wenn es gelingt, den Prozeß des Wirtschaftswachstums auf Dauer zu sichern.
Auch wenn die Leistungen der Rentenversicherung — als eine Art gesamtwirtschaftlicher built-in-Stabilisator — nicht unmittelbar jeder ökonomischen Verwerfung bei kurzfristigen Beschäftigungsschwankungen folgen sollen, bleibt das entscheidende volkswirtschaftliche Qualitätskriterium eines Rentensystems die Geschmeidigkeit seiner Ankoppelung an den ökonomischen Wertschöpfungsprozeß
Als praktische Konsequenz des o. a. Mackenrothschen Satzes werden daher bei uns die Renten — mit gewissen Ausnahmen bei den Knappschaftsrenten — auch formal nach dem reinen „Umlageverfahren" finanziert: die laufenden Beiträge machen über 90 Prozent der laufenden Renten aus bzw. betragen etwa 70 Prozent der • Gesamtausgaben der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV)
Aus dieser Verkettung zwischen den Einnahmen der gesetzlichen Rentenversicherung und dem nominalen Volkseinkommen, präziser der Entwicklung der (beitragspflichtigen) Lohn-und Gehaltssumme, schlägt sich der eben skizzierte makro-ökonomische Funktionszusammenhang so nieder, daß z. B.
— eine Veränderung der beitragspflichtigen Lohnsumme um 1 Prozent zu Mehr-oder Mindereinnahmen für die Rentenversicherung in Höhe von ca. 1 Mrd. pro Jahr führt oder — die Rückwanderung von 200 000 ausländischen Arbeitnehmern in ihre Heimatländer über den so hervorgerufenen Beitragsausfall ebenfalls Einnahmeminderungen in Höhe von 1 Mrd. pro Jahr bedeuten.
Die in Prognoserechnungen kumulierten Beitragsausfälle aufgrund großenteils außenwirtschaftlich bedingter Rezessionsfaktoren (mit der Folge niedriger Nominallohnabschlüsse und hoher Arbeitslosigkeit) waren es in erster Linie, die die Rentenfinanzen in den vergangenen Jahren ins Gerede gebracht haben.
Der aus dieser Entwicklung resultierende Konsolidierungsbedarf und die entsprechenden Anstrengungen dürfen weder beschönigt noch verniedlicht werden. Dennoch sei es erlaubt, auf die Überzeichnung bzw. Dämonisierung dieser durch das 20. und 21. Rentenanpassungsgesetz gelösten Probleme hinzuweisen:
Ende 1977 betrug das bis zum Jahre 1982 kumulierte Einnahmedefizit der GRV 32 Mrd. DM. Diese gewaltige und zugleich erschrekkende Summe relativiert sich aber, weil von der in diesen Jahren bis 1982 entsprechend dem damaligen Rentenrecht zu zahlenden Altersruhegeldern und sonstigen Ausgaben in Höhe von 682 Mrd. DM 650 Mrd. DM ohne besondere staatliche Eingriffe hätten gezahlt werden können. Das heißt, das „Loch in den Rentenfinanzen" für diesen Zeitraum belief sich — wenn man den kumulierten Defiziten die kumulierten Leistungen gegenüberstellt — auf ca. 5 °/o des Leistungsvolumens. Dies bedeutete ein nicht zu verantwortendes Risiko für den Zuwachs; kaum aber, wie immer wieder öffentlich erklärt wurde, eine echte Gefahr für'den Bestand an Rentenleistungen.
Auch wenn unser Rentensystem sehr sensibel auf Veränderungen der ökonomischen Entwicklung reagiert, stellen diese „kurzfristigen" und in allererster Linie aus Beschäftigungs-bzw. Nominaleinkommensschwankungen resultierenden Probleme die „Rententechniker" vor keine sonderlich großen Schwierigkeiten: denn neben dem reichhaltigen und bis heute noch lange nicht in vollem Umfang eingesetzten beschäftigungspolitischen Instrumentarium, der fallweisen Anpassungen der Finanzierungsmodalitäten oder auch der Rentenleistungen läßt sich durch Modifikation der Rentenformel z. B. in Richtung auf eine(n) — Verkürzung bis hin zur Abschaffung des Dynamisierung-time-lags, d. h.den im Vergleich zu der Entwicklung der Arbeitseinkommen zeitlich verzögerten Rentenanpassungen
— Übergang von der gegenwärtigen Renten-dynamik nach Maßgabe der Entwicklung der Bruttoarbeitsentgelte zu Rentenerhöhungen, die an die Nettolöhne und -gehälter (Brutto-arbeitsentgelte abzüglich Einkommensteuer und Arbeitnehmersozialabgaben) anknüpfen — Rentenbesteuerung bei gleichzeitiger Erhöhung des Bundeszuschusses nach Maßgabe des „Rentensteueraufkommens" unter gleichbleibenden (demographischen und erwerbsquotenmäßigen) Rahmenbedingungen das System der gesetzlichen Altersversorgung zu einer sich selbst aussteuernden, die Belastungen aus Beschäftigungsschwankungen intergenerativ ausgewogen verteilenden Institution ausrichten.
Ganz anders als mit diesen theoretisch und politisch beherrschten „beschäftigungsgradbedingten Sicherheitsrisiken" verhält es sich mit Langfristrisiken, wie sie sich aus der Bevölkerungsentwicklung etwa von der Jahrtausendwende an ergeben können.
Dieser demographisch bedingte „Sicherheitskomplex" und damit auch der anregende, da facettenreiche Beitrag von Schmidt-Kaier soll im folgenden eingehender erörtert werden. Für eine angemessene Auseinandersetzung mit der Idee einer „Bevölkerungsdynamischen Rente“ ist es erforderlich, sich im „Vorfeld" in großen Zügen mit den — Ergebnissen und Problemen von Bevölkerungsprognosen (II), — Beziehungen zwischen Wirtschaftswachstum und Bevölkerungsentwicklung (III, 1) und den — Zusammenhängen zwischen der demographischen Entwicklung und der intergenerativen Einkommensverteilung (III, 2) zu befassen.
II. Ergebnisse und Probleme von Bevölkerungsprognosen
Abbildung 6
Tabelle 1 Die Entwicklung der deutschen Bevölkerung in der Bundesrepublik von 1975 bis 2030
Tabelle 1 Die Entwicklung der deutschen Bevölkerung in der Bundesrepublik von 1975 bis 2030
Die Einwohnerzahl der Bundesrepublik Deutschland nahm erstmals im Jahre 1975 ab; sie ist seitdem rückläufig. Der Umbruch von einer wachsenden zu einer schrumpfenden Bevölkerung hatte sich allerdings schon 1972 angekündigt; die seit 1967 abnehmende Geburtenhäufigkeit wurde von diesem Jahr an nicht mehr durch die Zuwanderung ausländischer Arbeitskräfte und ihrer Familienangehörigen ausgeglichen.
Die natürliche Bevölkerungsbewegung (Zahl der Geburten und Todesfälle) läßt sich auf der Basis der Alters-und Geschlechtsstruktur der Ausgangsbevölkerung und aufgrund von Annahmen über die Entwicklung der alters-spezifischen Geburten-und Sterbehäufigkeiten vorausberechnen. Relativ unproblematisch sind hierbei die Sterbeziffern, da diese zwar nicht konstant sind 15) über längere Zeiträume hinweg im allgemeinen aber keine starken Schwankungen aufweisen. Dies gilt aber nicht für die Geburtenziffern: Der Unsicherheitsbereich für Bevölkerungsschätzungen, insbesondere auf Grund relativ kurzfristiger Änderungen der Geburtenziffern, wird aus dem Vergleich der Ergebnisse der 1. Koordinierten Bevölkerungsvorausschätzung aus dem Jahr 1966 mit denen der 5. Koordinierten Bevölkerungsvorausschätzung auf der Basis des Jahres 1975 deutlich: Für das Jahr 2000 wurde die Gesamtbevölkerung 1966 etwa 17 Millionen (!) höher geschätzt als 10 Jahre später.
Da gegenwärtig noch hinreichend empirisch erhärtete Theorien zur langfristigen Geburten-entwicklung fehlen, ist bei der Interpretation der Ergebnisse von Bevölkerungsvorausschätzungen sowohl intellektuelle und politische Vorsicht, insbesondere aber auch eine nach Prognosezeitraum bzw. Altersklasse differenzierende Bewertung geboten.
In diesem Zusammenhang ist festzustellen, daß Aussagen der 5. Koordinierten Bevölkerungsvorausschätzung aus dem Jahre 1975 — über die Entwicklungen der Bevölkerung im Alter von 60 und mehr Jahren bis über das Jahr 2030 hinaus — soweit es die Sterblichkeitsannahmen betrifft — als der „sicherste" Teil der einschlägigen Prognosen angesehen werden können und müssen, — über die Entwicklung der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter (20— 60 Jahre) ab der Jahrtausendwende mit einer vergleichsweise zunehmenden Unsicherheitsmarge verbunden sind, — über die Entwicklung der Zahl der Kinder und Jugendlichen mit dem Risiko sogar kurzfristiger Änderungen behaftet sind.
Kurz-aber vor allem langfristig unsicher sind Aussagen über Wanderungen. Die zunehmende Freizügigkeit innerhalb der sich erweiternden Europäischen Gemeinschaft und das Wechselspiel politischer und ökonomischer Veränderungen lassen eine Vielzahl plausibler Annahmen mit einer großen Streubreite der Ergebnisse zu. Das Statistische Bundesamt hat daher in seiner letzten, der 5. Koordinierten Bevölkerungsvorausschätzung vernünftigerweise darauf verzichtet, die ausländische Bevölkerung in der Bundesrepublik einzubeziehen.
Für die Bundesrepublik liegen gegenwärtig als amtliche Vorausschätzungen die 5. Koordinierte Bevölkerungsvorausschätzung sowie durch alternative Annahmen hinsichtlich der Nettoreproduktionsrate charakterisierte Varianten (a, b, c) dieser Prognose vor. (Vgl. Tabelle 1)
Die Variante a entspricht (etwa) der derzeitigen Geburtenhäufigkeit. Die Variante b würde eine deutliche Verschlechterung und beschleunigte Abnahme der Bevölkerungszahl bedeuten; bei Variante c dagegen würde sich die deutsche Bevölkerung etwa auf dem heutigen Niveau stabilisieren.
Da den drei Varianten einheitliche Annahmen über die Sterblichkeit zugrunde liegen, zeigen sie — selbstverständlich — die gleiche Entwicklung für die Klasse der Personen im Alter von 60 und mehr Jahren, nämlich eine annähernde Konstanz mit einem leichten Anstieg zum Ende des Vorausberechnungszeitraums. Da die jüngeren Jahrgänge hingegen durch die differenzierenden Annahmen über die künftige Geburtenentwicklung beeinflußt werden, ergeben sich — je nach Variante — unterschiedliche Strukturanteile (der älteren Bevölkerung) bezogen auf die Gesamtbevölkerung. Diese Strukturanteile, die Altenquotienten bestimmen das zahlenmäßige Verhältnis der älteren Bevölkerung zur Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter. Dieser Alten-quotient steigt insbesondere nach der Jahrtausendwende in den Varianten a und b stark an und ist mithin geeignet, Probleme für die Systeme der Alterssicherung zu signalisieren.
Unter dem Gesichtspunkt der infolge dieser Veränderungen des Altenquotienten zu erwartenden Änderungen der intergenerativen Verteilungsstrukturen ist anzumerken, daß die Zunahme des Altenquotienten zeitweise überkompensiert wird durch die Abnahme des Kinder-und Jugendlichenquotienten. Das zahlenmäßige Verhältnis von unter 20-und über 60jährigen zu den 20-bis 60jährigen entspricht in den Varianten a und c im Jahre 2030 etwa dem des Ausgangsjahres 1975; nach der Variante b ergibt sich dagegen eine deutlich höhere Verhältniszahl.
Für Überlegungen zur Bevölkerungsentwicklung und zu den damit verbundenen längerfristigen wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen spielt darüberhinaus die Einschät. zung der Zu-und Abwanderungen von Ausländern eine wichtige Rolle, auf deren Unsi/cherheit bereits hingewiesen wurde. In diesem Kontext sei nur kurz daran erinnert: Der Aufbau der Europäischen Gemeinschaft, seh es durch Eingliederung oder Assoziierung neuer Staaten, ist noch nicht abgeschlossen;
vielmehr ist zu erwarten, daß der regionale Rahmen der Freizügigkeit künftig noch erweitert wird. Soweit das ökonomische und soziale Gefälle zwischen der Bundesrepublik und den Ländern, aus denen bereits in der Vergangenheit die Mehrzahl der Züwanderer stammten, sich nicht relativ schnell und gravierend ändert (was nicht zu erwarten ist), kann (auch) künftig mit einem positiven Wanderungssaldo gerechnet werden.
Da aber die Zuwanderer vor allem den jüngeren Jahrgängen des erwerbsfähigen Alters bzw. als Familienangehörige der Altersgruppe der unter 20jährigen angehören, können sie die Altersstruktur und damit auch den Altenquotienten der Gesamtbevölkerung in relevanter Weise beeinflussen. Dies ist somit eine wichtige aber unberücksichtigte Variable.
Wichtiger als die Entwicklung der Gesamtbevölkerung ist allerdings für die ökonomische Perspektive die Veränderung der Bevölkerungsgruppe, die für eine Erwerbstätigkeit zur Verfügung steht. Dieses Erwerbspersonenpotential ist nicht identisch mit der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter — wie auch immer man die Grenzen zieht.
Die Höhe des Erwerbspersonenpotentials hängt zwar von der Alters-und Geschlechts-struktur der Gesamtbevölkerung ab, wird aber auch zum großen Teil — von politisch gestaltbaren Variablen (z. B. Ausbildungsdauer, Altersgrenzen im Erwerbsleben), — vom Gesundheitszustand der Bevölkerung (Invalidität), — von sozialen und kulturellen Verhaltensweisen (Erwerbstätigkeit von Ehefrauen mit und ohne Kinder)
(mit) bestimmt.
Ausgehend von den aktuellen alters-und geschlechtsspezifischen Erwerbsquoten und unter deren Fortschreibung auf Grund von Vergangenheitstrends kann man — auf der Basis der Bevölkerungsvorausberechnungen — das künftige Erwerbspersonenpotential schätzen.
Die Ergebnisse einer solchen Rechnung, wie sie vom Institut für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung (IAB) vorgenommen worden ist, können als Orientierungsdaten für das künftige Angbot an Erwerbspersonen dienen. Aber — und dies ist von entscheidender Bedeutung — Einflüsse, die von der Nachfrage nach Arbeitskräften — sprich: vom jeweiligen Angebot an vorhandenen und zu besetzenden Arbeitsplätzen ausgehen — bleiben hierbei unberücksichtigt. So lassen sich z, B. die starken regionalen Unterschiede in den Erwerbsquoten schwerlich auf ebenso ausgeprägte Unterschiede in der Arbeitswilligkeit zurückführen, sondern größtenteils auf das regional unterschiedliche Angebot an Arbeitsplätzen. Eine erfolgreiche regionale Strukturpolitik, der es gelingt, über Industrieansiedlungen neue Arbeitsplätze zu schaffen, wird zweifellos auf diesem „Umwege" zu einer Erhöhung der Erwerbsquoten in dieser Region führen.
Dieser Umstand, daß die Erwerbstätigkeit auch eine Funktion der jeweiligen Erwerbs-möglichkeiten ist, wird nun aber explizit in diesen Schätzungen, die auf gegebenen Erwerbsquoten basieren, nicht beachtet
I Diese Schätzungen des IAB zum Erwerbspersonenpotential gehen von den o. a. Bevölkerungsvorausschätzungen des Statistischen Bundesamtes aus und beziehen sich ausschließlich auf das deutsche Erwerbspersonenpotential. Wie Tabelle 2 ausweist, nimmt die Zahl der Erwerbspersonen in allen Varianten bis etwa 1990 zu und weist danach in den Varianten a und b — besonders nach 2015 einen sich beschleunigenden Rückgang auf. Von 1990— 2015 bleibt die Erwerbsquote relativ stabil und liegt in allen Varianten über dem Niveau des Jahres 1975. Erst im Zeitabschnitt 2015 bis 2030 würde die Erwerbsquote in allen Varianten geringfügig unter das derzeitige Niveau sinken.
III. Gesamtwirtschaftliche Konsequenzen der demographischen Entwicklung
Abbildung 7
Tabelle 2 Vorausschätzungen des deutschen Erwerbspersonenpotentials
Tabelle 2 Vorausschätzungen des deutschen Erwerbspersonenpotentials
Diese Entwicklungsperspektiven können berechtigten Anlaß zur Sorge über die langfristige Sicherheit unseres Systems der Alterssicherung geben und zwar unter zwei Aspekten, von denen aber üblicherweise, so auch von Schmidt-Kaier, nur der zweite, und dieser i. d. R. noch isoliert in Betracht gezogen wird, nämlich a 1. Welchen Einfluß hat die Bevölkerungsentwicklung auf die ökonomische Entwicklung, das Fundament jedweder Altersvorsorge?
2. Wie wirkt sich die demographische Entwicklung auf die intergenerative Einkommensverteilung aus?
Zu 1. Bevölkerungsentwicklung und Wirtschaftswachstum Auch wenn von zahlreichen Stellen (in letzter Zeit aber zunehmend weniger scharf) auf die ökologischen Belastungen und auf einen Raubbau an nicht regenerierbaren Ressourcen als Folge der wirtschaftlichen Entwicklungsdynamik warnend hingewiesen wird, wird man nach wie vor im Wirtschaftswachstum ein anzustrebendes wirtschaftspolitisches Ziel sehen können.
Nicht zuletzt wegen der Möglichkeiten, aus dem Zuwachs Verteilungsprobleme z. B. zwischen — Staats-und Privatwirtschaft — reichen Ländern und armen Ländern — benachteiligten und privilegierten sozialen Gruppen oder auch — Generationen zu lösen bzw. abzumildern.
In dem angesprochenen Kontext der Beziehungen zwischen der Entwicklung der Bevölkerung und dem wirtschaftlichen Wertschöpfungsprozeß muß zwischen den Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum (= Summe der jährlichen ökonomischen Wertschöpfung) als globale Wachstumsrate des Sozialproduktes (1) und als Veränderung des Sozialproduktes pro Kopf der Bevölkerung, kurz der Erhöhung des materiellen Lebensstandards (2) unterschieden werden. (1) Bei isolierter Betrachtung des Zusammenhangs zwischen Bevölkerung und globa-ler Sozialproduktsentwicklung ist auf die Gefahr eines Volumenausfalls in inländischer Nachfrage bei einer abnehmenden Bevölkerung und damit einer Abschwächung des globalen Wachstums hinzuweisen. Da ein Bevölkerungsrückgang mit Änderungen im Altersaufbau und damit in der Nachfragestruktur einhergeht, ist ferner anzumerken, daß schnellere und schwierigere Anpassungsprozesse auf Seiten der Anbieter eher erforderlich sind als bei einer stetig wachsenden oder stationären Bevölkerung.
Aufgrund dieser beiden — volumenmäßigen und strukturellen — Veränderungen der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage können langfristig Wachstumsrestriktionen konstatiert werden; die demographische Entwicklung dürfte einen retardierenden Einfluß auf die globale Wachstumsrate haben. (2) Wichtiger aber als die globale Wachstumsrate ist die Entwicklung des Sozialprodukts pro Einwohner. Nur wenn das Sozialprodukt stärker als die Bevölkerung schrumpft, würde dies eine individuelle Einbuße an materieller Wohlfahrt bedeuten. Da eine derartige Entwicklung von niemandem erwartet wird bzw. auch kaum erwartet werden kann, muß eine mögliche Abnahme des gesamtwirtschaftlichen Wachstums noch nicht einmal mit einer Verringerung des individuellen Realeinkommenszuwachses verbunden sein. -
Gleichwohl ist nicht von der Hand zu weisen, daß ein negativer — „produktionstechnischer''— Einfluß einer rückläufigen Bevölkerungszahl von einer daraus resultierenden Abnahme des Erwerbspersonenpotentials, d. h.der Verminderung des Produktionsfak-tors „Menschliche Arbeit" auf das Wachstum (-spotential) ausgehen kann.
Es ist nämlich durchaus denkbar, daß, wenn „Menschliche Arbeit" zum Minimumfaktor in einer gesamtwirtschaftlichen Produktionsfunktion wird, WachstumsVerluste entstehen können. Als genauso wahrscheinlich darf aber angenommen werden, insbesondere wenn man die Möglichkeit von Zuwanderungen bedenkt, daß allein von einer Abnahme des deutschen Erwerbspersonenpotentials keine Beschränkungen des Wirtschaftswachstums zu erwarten sind.
Dies umso weniger, da entscheidend für die Entwicklung der volkswirtschaftlichen Produktionsmöglichkeiten — und damit auch für den verteilungspolitischen Spielraum — der Zuwachs der gesamtwirtschaftlichen Produktivität (Stichwort: „dritte industrielle Revolution", Mikroprozessoren) ist; eine Entwicklung, die als vom Bevölkerungsprozeß weitgehend unabhängig angesehen werden kann.
Als Produktivität bzw. wirtschaftliche Ergiebigkeit wird das Verhältnis des oder der eingesetzten Produktionsfaktoren (bzw. Arbeitsstunden, Rohstoffe, Kapital — input) zum Ergebnis (in unserem Fall dem Sozialprodukt = Output) bezeichnet. Produktivitätsfortschritt, bezogen auf den Faktor Arbeit, bedeutet dann, daß mit gleichem Arbeitseinsatz ein Mehr an Gütern und Leistungen hervorgebracht werden kann. Diese höhere Ergiebigkeit ist die Folge vielgestaltiger technologisch-organisatorischer Verbesserungen.
Die Bedeutung und Dominanz dieses Faktors Produktivitätsfortschritt läßt sich anhand von Modellrechnungen (vgl. Tab. 3) verdeutlichen. Hier werden die drei Varianten der Bevölkerungsentwicklung bzw. davon abhängig die Veränderungen des deutschen Erwerbspersonenpotentials in Beziehung zu unterschiedlichen Raten der Produktivitätssteigerung gesetzt, um auf diese Weise zu differenzierteren Wachstumsaussagen zu gelangen.
Unterstellt man drei Varianten für die jährliche Produktivitätsentwicklung je Erwerbsperson (2, 3, 4 v. H.) und die oben beschriebenen Varianten für die Entwicklung des deutschen Erwerbspersonenpotentials, dann lassen sich jeweils 9 Pfade der globalen wirtschaftlichen Entwicklung und der Entwicklung je Einwohner errechnen.
Bemerkenswert ist hierbei, daß selbst in der Variante b/2, bei der das Sozialprodukt im Zeitraum 2015— 2030 (real) absolut abnehmen würde, die Realeinkommen je Einwohner —-wenn auch nur geringfügig — noch steigen würden.
Diese Modellrechnungen zeigen deutlich, daß die Variation der Produktivitätssteigerungen die wirtschaftliche Situation der Bevölkerung bedeutend stärker beeinflußt als die Veränderung des Erwerbspersonenpotentials
Zu 2. Bevölkerungsentwicklung und intergenerative Einkommensverteilung Mehr als die wichtigen Beziehungen zwischen Wirtschaftswachstum und Bevölke-rungswachstum (wobei die Pro-Kopf-Entwicklung die entscheidende sein dürfte) werden die möglichen intergenerativen Verteilungswirkungen unserer demographischen Entwicklung diskutiert. Leider wird dieser Problemkomplex — trotz seiner Grundsätzlichkeit — regelmäßig aber nur an der gesetzlichen Rentenversicherung festgemacht, indem z. B. anhand der Entwicklung des Altenquotienten (vgl. Tab. 1) der Beitragssatz von heute 18 v. H. auf ca. 36 v. H. im Jahre 2030 hochgerechnet wird Aus derartigen, rechnerisch richtigen Ergebnissen wird dann geschlossen: Dies könnte den Zusammenbruch der Rentenversicherung bedeuten und das derzeitige System der Rentenfinanzierung sei ungeeignet und zerrüttet: eine Bevölkerungsentwicklung, wie sie die Variante a wiedergibt, könnte zum Untergang der Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung, ja des Volkes, welches „als Ganzes exponentiell schrumpfend verschwinden (würde)" führen.
Daß aber zweifellos vorhandene Belastungsgrenzen von sozialpsychologischer und damit dynamischer Natur sind und daraus abgeleitete „psychological breaking points" von Sozialsystemen auch und gerade von der Merklichkeit der Finanzierung (direkte versus indirekte Abgaben) und der absoluten individuellen Einkommenshöhe abhängen, wird hierbei regelmäßig nicht hinreichend berücksichtigt.
Bevor im folgenden das auf derartigen Hoch-rechnungen basierende Konzept der „Bevölkerungsdynamischen Rente" auf die Validität seiner Prämissen und seine Konsistenz hin untersucht wird, erscheint es geboten (Prognosen über einen Zeitraum von mehr als 50 Jahren hinweg sind wegen der Unbestimmbarkeit nahezu aller relevanten Faktoren alles andere als „sicher"), die nur mathematisch stimmigen Grundlagen dieser Idee modifizierend und relativierend zu kommentieren:
— Der in den Bevölkerungsvarianten (Tab. 1) insbesondere von 2015 bis 2030 deutlich steigende Altenquotient zeigt einen wesentlich höheren Transferbedarf an ältere Menschen an, wenn das Verhältnis von Alterseinkommen zu Erwerbseinkommen nicht unzumutbar verschlechtert werden soll. Ob die relative Ausweitung des Finanzbedarfs für die Alterssicherung aber zu einer entsprechenden Erhöhung der Beiträge führt, hängt vom Finänzierungssystem ab; denn die Mittel können auf verschiedene Weise aufgebracht werden: durch unterschiedliche Arbeitgeber-und Arbeitnehmerbeiträge, Beitragsbemessungsgrundlagen, direkte und indirekte Steuern, oder Umschichtungen im Sozialbudget im Zuge von Kürzungen anderer Leistungen.
Bei allen diesen Umgestaltungsmöglichkeiten des Finanzierungssystems kommt es jeweils zu ganz unterschiedlichen und verschieden „fühlbaren" Verteilungs-bzw. Belastungswirkungen. — Dem steigenden Altenquotient steht ein sinkender Jugendquotient gegenüber. Wenn man einmal . für einen Jugendlichen durchschnittlich gleich hohe Aufwendungen wie (1) Aktive Bevölkerungspolitik d. h. eine Politik mit dem Ziel, zumindest den Bestand der Bevölkerung zu erhalten durch eine „Endogenisierung des generativen Verhaltens" d. h.den direkten Einbezug der Bevölkerungsentwicklung in einen politischen Steuerungsprozeß. für ältere Personen unterstellt, dann sinkt in der Variante a die relative gesamtwirtschaftliche Belastung für Jugendliche und Alte bis 2015 und steigt erst bis 2030 wieder auf das heutige Niveau. Auch wenn man berücksichtigt, daß der überwiegende Teil der Aufwendungen für Kinder und Jugendliche aus dem Erwerbseinkommen der Familien finanziert wird, das staatliche Umverteilungssystem also nicht berührt und demzufolge auch nicht unmittelbar gegen Rentenzahlungen aufgerechnet werden kann, läßt sich gleichwohl gesamtwirtschaftlich ein Entlastungseffekt infolge eines sinkenden Jugendquotienten nicht von der Hand weisen.
— Geht man von einem langfristigen Zuwachs der Produktivität je Erwerbsperson von jährlich 3 v. H. aus (einer Rate, die deutlich unter der der Vergangenheit liegt), dann ergibt sich selbst in dem ungünstigsten Zeitraum von 2015 bis 2030 immer noch eine jährliche Steigung des realen Sozialprodukts je Einwohner von 2 bzw. 2, 4 v. H. bei den Bevölkerungsvarianten b bzw. a (vgl. Tab. 3). Dies bedeutet, daß die Abgabenbelastung infolge der steigenden Rentnerzahlen zwar zunimmt, aber dennoch alle Bevölkerungsgruppen auch in diesen Fällen mit Realeinkommenserhöhungen rechnen können. — Selbst wenn man von der — mit Sicherheit falschen — Annahme ausgeht, daß das geltende Rentenversicherungsrecht und das derzeitige Renteneintrittsalter in den nächsten 50 Jahren unverändert bleiben und deshalb als Folge der Bevölkerungsentwicklung eine Verdoppelung der Beitragssätze eintreten muß, würde dies — bei sonst gleichen Verhältnissen — bedeuten, daß bei Reallohnsteigerungen von durchschnittlich 3 v. H.der Versicherte in der Zeit von 2000 bis 2030 anstatt eines Reallohnzuwachses von 140 v. H. immerhin noch einen von 120 v. H. erzielt.
Diese — die Beitragssatz-Hochrechnungsergebnisse von Schmidt-Kaier et. al. modifizierenden — Bemerkungen sind nicht darauf angelegt, das in der Bevölkerungsentwicklung enthaltene „Sicherheitsrisiko" bzw. intergenerative Konfliktpotential zu leugnen oder auch nur herunterzuspielen. Sie sollten aber geeignet sein, das zweifellos vorhandene Problem zu relationieren und (s) einer apokalyptischen Dimensionierung entgegenzuwirken
IV. Konzeptionelle Schwächen der „Bevölkerungsdynamischen Rente"
Abbildung 8
Tabelle 3 Produktivität und Wirtschaftswachstum
Tabelle 3 Produktivität und Wirtschaftswachstum
Das veränderte generative Verhalten gibt Anlaß zur Sorge und fordert einen der Fristigkeit und Komplexität des Problems angemessenen politischen Handlungsbedarf, Maßnahmen, die ggf. bereits jetzt zu ergreifen sind und vor denen sich kein verantwortungsvoller Sozialpolitiker drücken darf.
Grundsätzlich bieten sich zwei Strategien zur Bewältigung bzw. Abfederung der mit der zu erwartenden demographischen Entwicklung verbundenen Probleme an: (2) Vorausschauende Sozialstrukturpolitik d. h. eine Politik, der es in erster Linie darum geht, die Flexibilität der sozioökonomischen Systeme entsprechend den Problemstrukturen zu fördern, d. h. hier, die Sozialsysteme an eine nicht zum erklärten politischen Ziel ge28) machte Bevölkerungsentwicklung anzupassen; diese Politik versucht also nicht, die Nettoreproduktionsrate und das generative Verhalten zu politisch gesteuerten Regelgrößen zu machen.
Der von Schmidt-Kaier gemachte Vorschlag einer „Bevölkerungsdynamischen Rente" ist eindeutig der ersten Politikkategorie zuzuordnen.
Gegen diese (vorn dargestellte) Idee gilt es nun aber eine ganze Reihe gravierende Bedenken anzumelden: 1. Die steuerungspolitische Grundannahme Als erstes ist hier die — weltanschaulich bedingte und daher analytisch nicht zu bewertende — hinter diesem Vorschlag stehende Norm zu erwähnen. Schmidt-Kaier schreibt zur „optimalen Bevölkerung":
„Sie (die optimale Bevölkerungszahl) ist einer der wichtigsten politischen Orientierungsdaten des Vo• lkes.
Ihre Festlegung obliegt den gewählten Vertretern des Volkes unter Mitwirkung (eines einzurichtenden bevölkerungspolitischen) Sachverständigenrates. Auch eine Feinsteuerung (des Bevölkerungsprozesses!) erscheint denkbar."
Diese Aussagen dokumentieren eine bedenkliche Werthaltung, da eine auf die Realisierung einer optimalen Bevölkerungszahl gerichtete Politik m. E. . tief, zu tief in die individuelle bzw. familiäre Intimsphäre eingreifen würde.
Läßt man einmal die ethische Frage des „Ob" im Zusammenhang mit der intendierten „Feinsteuerung des Bevölkerungsprozesses" offen, so kommt an der Stelle des „Wie" folgendes politik-theoretische Argument hinzu:
Die Nettoproduktionsrate, die zentrale bevölkerungspolitische Zielgröße, ist keine „Realität" bzw. keine „reale Größe", sondern das „künstliche" Resultat einer statistischen Verknüpfung realer Geburten-und Sterbeziffern.
Die Vorstellung, diesen Indikator über politische Impulse (hier Rentenversicherungsbeitragsdifferenzen) in genau dosierbarer Intensität steuern zu können, setzt voraus, daß auch die diese Größe erzeugenden individuellen Verhaltensweisen unmittelbar und in genau dosierbarem Umfang gelenkt werden könnten. Ein Politikentwurf wie der vorliegende, der auf einer planvollen Steuerung dieser Nettoreproduktionsrate basiert und nicht aber die Determinanten der dieses „statistische Artefakt" hervorbringenden individuellen Verhaltensweise ausweist und diskutiert, kann nur als „mechanistisch" qualifiziert werden, um nicht ein härteres Verdikt zu fällen
Im Gegensatz zu den eben skizzierten (populationspolitischen) Wertsetzungen, die wohl letztlich in organizistischen Staatsvorstellungen verhaftet sind und die kaum rational diskutiert, sondern nur zustimmend oder ablehnend konstatiert werden können, sind der angenommene Funktionsmechanismus bzw. die notwendige Rahmenbedingung dieses Renten-konzeptes einer wissenschaftlichen Erörterung zugänglich. Diese Voraussetzungen sind, — daß die Geburtenhäufigkeit eine eindeutige FunktiOn der Beitragshöhe der Rentenversicherung ist und — daß die Sozialproduktsentwicklung, das ökonomische Fundament jedweden Alterssicherungssystems, eine Funktion der Bevölkerungsentwicklung ist. 2. Zu den generativen Annahmen Die zentrale Idee, das nach eigenem Verständnis Neue der „Bevölkerungsdynamischen Rente" besteht darin, über nach der Kinderzahl differenzierte Beitragssätze zur GRV, einen „echten Regelkreis der Bevölkerung in Gang (zu) setzen" 31) bzw. über die beschriebene Beitragsstaffelung einen „Rückkoppelungsmechanismus" zu institutionalisieren, der eine Endogenisierung des generativen Verhaltens („. . . Einbeziehung der Dynamik des Bevölkerungsprozesses . . . als abhängige Variable") gewährleisten soll, mit dem Ziel, die Nettoreproduktionsrate — mit einer nur ganz geringen Schwankungsbreite — auf 31) T. Schmidt-Kaier, a. a. O., S. 78. einem als „optimal" vorgegebenen Wert zu stabilisieren.
Eine derartige Lenkung des Bevölkerungsprozesses hat zur Voraussetzung, daß die Geburtenzahl unmittelbar und stabil mit der Beitragshöhe verkoppelt sein muß, damit sie über die Beitragsdifferenzierungen gesteuert werden kann.
Sieht man einmal von dem hinter diesem Regelungsgedanken verborgenen Menschenbild ab, demzufolge die individuelle Zeugungsund Gebärfreude (eindeutig) von Sozialversicherungsabgaben bestimmt ist (sonst kommt es nicht zur angestrebten Rückkoppelung), so stellt sich die Frage nach theoretischen und/oder empirischen Belegen für diese Funktionsvoraussetzung. Schärfer formuliert: Die Frage nach dem Beweis einer eindimensionalen ökonomischen Konditionierung des Gebärverhaltens.
Schmidt-Kaier meint, mit dem Hinweis auf Veränderungen im generativen Verhalten nach der Bismarck'schen Rentenreform (1889) und der Einführung der dynamischen Rente (1957) diese Frage hinreichend erörtert zu haben: Schmidt-Kaier interpretiert:
„Die Einführung der staatlichen Altersversicherung durch Bismarck 1889/92 und der dynamischen Rente nach Schreiber ist durch Pfeile gekennzeichnet. Man sieht, daß die Geburtenrate von 1830 bis 1901 und von 1932 bis 1967 um ein jeweils ungefähr gleichbleibendes Niveau schwankt, um jeweils rund 10 Jahre nach Einführung grundlegender staatlicher Altersversicherungsmaßnahmen anhaltend abzusinken."
Zu dieser mehr als saloppen Art des „Nachweises“ der zentralen Prämisse des Konzeptes der „Bevölkerungsdynamischen Rente" ist zu bemerken:
Sozialwissenschaften haben — oft im Gegensatz zu Naturwissenschaften — interdependente Sachverhalte, komplexe Strukturen und/oder offene Systeme zum Erfahrungsund Erkenntnisobjekt; aus diesem Grund ist es erforderlich, in Einführungslehrbüchern und -Veranstaltungen vor sog. Trugschlüssen beim „Geradeaus-Denken" zu warnen. Einer dieser Trugschlüsse ist der des „Post hoc — ergo propter hoc", die „nicht zutreffende Feststellung, daß einfach, weil ein Ereignis dem anderen vorausgeht, das erstere notwendigerweise die Ursache des zweiten sei."
Dieser Trugschluß wird dann üblicherweise an folgendem klassischen Beispiel demonstriert: „Nehmen wir an, daß in jedem Frühling der Medizinmann eines Eingeborenenstammes sein Ritual aufführt, indem er in einem grünen Kostüm rund um das Dorf tanzt. Etwa eine Woche später werden Bäume und Grasgrün..."
Bei dem o. a. Schmidt-Kalerschen „Beweis" der Abhängigkeit der Geburtenhäufigkeit vom System der Alterssicherung — womit im übrigen noch nichts über die unterstellte Beitragsabhängigkeit bzw. -Steuerung der Reproduktionsrate ausgesagt wäre — dürfte es sich um einen derartigen linearen, die netzhafte Verknüpfung sozioökonomischer Faktoren negierenden „Danach-deshalb-darum-Schluß" oder besser „Trugschluß" handeln; denn alterssicherungssystemunabhängige Veränderungen im generativen Verhalten, z. B. Babyboom der 50er Jahre in den USA, dürften ja wohl kaum zu leugnende Fakten sein. Neben dieser unzureichend bzw. kaum zu begründenden Annahme der funktionalen Abhängigkeit des generativen Verhaltens von Beitragsdifferenzen ist auf eine Lücke in Schmidt-Kaiers avisiertem Rückkoppelungsprozeß hinzuweisen:
Angenommen der „Beitrags-Geburten-Zusammenhang" bestünde, die Mehrzahl der Ehepaare wollte sich nicht dem Vorwurf des moral hazard bei weniger als 2— 3 Kindern aussetzen und die Kinderzahlen würden deutlich über den eine Nettoproduktionsrate von 1 garantierenden Wert ansteigen. Da die laufenden Renten aus den laufenden Beiträgen zu finanzieren sind müßten in diesem Fall, da das Beitragsaufkommen infolge der wachsenden Kinderzahlen sinken würde, die Beitragssätze erhöht werden — die Erwerbsbevölkerung würde somit für die Kinderhäufigkeit „bestraft" werden. Der Rückkoppelungsprozeß wäre in diesem Fall gestört und der Regelmechanismus bedürfte nicht geplanter und dem Selbststeuerungscharakter widersprechender fallweiser Korrekturen. 3. Die ökonomische Rahmenbedingung Da, wie eingangs betont, alle Renten immer und nur aus der laufenden Wertschöpfung alimentiert werden müssen und ein stabiler Wirtschaftsprozeß der entscheidende Sicherheitsfaktor der Altersversorgung ist, ist es zwar keine Funktionsvoraussetzung des Konzepts, wohl aber eine notwendige Bedingung seiner ökonomischen Sinnhaftigkeit, daß mit der intendierten Erhöhung der Bevölkerungszahl das Sozialprodukt pro Kopf zumindest gleichbleibt.
Denn wem würde es nützen, wenn durch eine aktive Bevölkerungspolitik der Altenquotient verbessert würde, aber gleichzeitig das Wachstum des Sozialproduktes geringer als die Bevölkerungszunahme wäre? In diesem Fall wären die intergenerativen Verteilungsrelationen zwar günstiger, gleichzeitig würde aber der individuelle Lebensstandard, die durchschnittliche materielle Wohlfahrt abnehmen, da eben das Sozialprodukt pro Kopf abgenommen hätte.
Wenn also über das Schmidt-Kaler'sche Konzept der Bevölkerungssteuerung die Renten sicher gemacht bzw.der Druck der intergenerativen Einkommensumschichtung reduziert werden sollen, ist es eine wichtige ökonomische Nebenbedingung, daß das globale Wirtschaftswachstum eine Funktion der Bevölkerungsentwicklung ist oder anders formuliert: Die Geburtenzunahme dient als wachstums-politischer Hebel. Anderenfalls hätte die Erwerbsbevölkerung zwar relativ geringere Einkommensanteile an die Rentnergeneration zu transferieren, gleichwohl würde sich die ökonomische Situation jedes Durchschnitts-einzelnen verschlechtern: der Kuchen „Sozialprodukt" würde zwar „intergenerativ gerechter" verteilt, die Stücke aller würden aber kleiner
Der Hinweis, „daß mindestens seit 1750 jeder Schritt des Wirtschaftswachstums von einem Schub des Bevölkerungswachstums begleitet war", kann kaum als hinreichender Beleg für die wachstumsstimulierende bzw. -induzieren-de Wirkung einer Bevölkerungszunahme dienen.
Obwohl nicht geleugnet werden kann, daß — wie unter III. 1 skizziert, dort allerdings mit anderen Vorzeichen — eine wachsende Bevölkerung sowohl von der Nachfrageseite her als auch vom Erwerbspotential her bessere WachstumsVoraussetzungen bietet als eine schrumpfende, so ist die wichtige, allerdings nicht ausgesprochene Annahme einer Verknüpfung der Entwicklung des Sozialproduktes und der Bevölkerungszunahme dergestalt, daß mit wachsender Bevölkerung auch das Sozialprodukt zumindest proportional zunimmt — zumindest in der nationalökonomischen Wachstumsliteratur — ein Novum.
Besteht aber ein derartiger sicherer und positiver Zusammenhang zwischen dem Wachstum der Bevölkerung und dem des Volkseinkommens nicht — und es spricht nichts für die Garantie (zumindest) konstanter Pro-Kopf-Einkommen bei wachsender Bevölke-rung —, dann könnte die funktionierende „Bevölkerungsdynamische Rente" die intergenerativen Verteilungsstrukturen stabilisieren und verbessern; kaum aber können die Ren-ten bzw.der Wohlstand der Rentner sicher'gemacht werden, denn jedes Rentensystem ist nur so sicher wie sein ökonomisches Fundament, die laufende Wertschöpfung.
V. Vorausschauende Sozialstrukturpolitik statt aktiver Bevölkerungspolitik
Abbildung 9
Abbildung 9
Abbildung 9
Da mit dieser Kritik an der „Bevölkerungsdynamischen Rente" nicht das dieser Idee zugrundeliegende, demographisch bedingte Problempotential negiert werden kann und darf, stellt sich die Frage nach alternativen, tragfähigeren Optionen
Die schlagwortartige Antwort kann nur lauten: Vorausschauende Sozialstrukturpolitik, d. h. primär Anpassung der sozialen Sicherungssysteme, hier des Alterssicherungssystems, an den demographischen und wirtschaftlichen Wandel (nach Möglichkeit bei gleichzeitig llankierenden ökologisch verantwortbaren wachstumspolitischen Vorkehrungen und Maßnahmen, die auf familien-und kinderfreundlichere Gesellschaftsbedingungen abzielen, um auf diesem „Umwege" die Voraussetzung für eine — durchaus wünschenswerte — Steigerung der Geburtenzahlen zu schaffen
Daß sich bei Wandlungen 'innerhalb der Bevölkerungsstruktur immer auch die inter39) generativen Verteilungsstrukturen verändern (müssen — und zwar unabhängig von der Art der Finanzierung des altersaufbaubezogenen Transfersystems —), ist ein trivialer Befund.
Worauf es politisch ankommt, kann also nicht sein, Änderungen der Verteilungsstrukturen zu verhindern, sondern unerwünschte bzw. unbeabsichtigte Verteilungswirkungen auszuschließen oder wenigstens einzuschränken.
Eine problemadäquate Anpassung des Alterssicherungssystems — aber auch anderer Umverteilungssysteme (z. B. Kindergeld) — kann sich daher nicht auf die gesetzliche Rentenversicherung beschränken und auch nicht isoliert im Bereich nur dieses Teils der gesetzlichen Alterssicherung gelöst werden, da die Strukturwandlungen in Aufbau und Entwicklung der Bevölkerung alle Teile des Systems der Sozialen Sicherung in relevanter Weise berühren. Dies bedeutet: Der Lösung des in der Bevölkerungsentwicklung angelegten Problempotentials muß notwendigerweise eine Bestandsaufnahme der (derzeitigen) faktischen Verteilungswirkungen der staatlichen Sozialpolitik vorausgehen. Anderenfalls könnten Maßnahmen, die auf eine politische Gestaltung von Verteilungswirkungen infolge der generativen Entwicklung abzielen, durch andere vorhandene, aber nicht bekannte und somit nicht ins politische Kalkül einbezogene Distributionseffekte des staatlichen Transfer-systems kompensiert, ja konterkariert werden. Um sich diese dringend erforderliche, aber z. Z. bedauerlicherweise nicht vorhandene Transparenz der Verteilungswirkungen zu verschaffen, wurde 1977 von der Bundesregierung eine „Transfer-Enquete-Kommission" eingesetzt. Diese Expertenkommission hat in ihrem vor kurzem vorgelegten Zwischenbericht deutlich auf die Notwendigkeit einer derartigen integrierten Gesamtschau der Verteilungswirkungen als informatorische Politikgrundlage hingewiesen In ihrem Schlußbericht, den man in Anbetracht des bemerkenswerten Zwischenberichtes nur mit Spannung erwarten kann, soll dieser Komplex erschöpfend behandelt und durchleuchtet werden.
Erst auf der Grundlage dieser abschließenden Ergebnisse der Kommission über die tatsächlichen Transferströme und ihre Verteilungswirkungen und deren Saldierung in einer Transferbilanz wird dann zu prüfen sein, wie bestimmte Relationen in der Verteilung der verfügbaren Einkommen auf verschiedene Personengruppen erreicht und im Entwicklungsprozeß aufrecht erhalten werden können. Dabei werden Instrumente des Familienlastenausgleichs ebenso untersucht werden müssen wie Fragen der Rentenbesteuerung und Änderungen der Finanzierungsmodalitäten (Bundeszuschüsse, Bemessungsgrundlagen für Arbeitgeberbeiträge etc.).
Im Zuge dieser unausweichlichen politischen und wissenschaftlichen Bestandsaufnahme des gesamten Problemfeldes und dessen Lösungsmöglichkeiten sollte die Diskussion aber nicht wie bisher (nahezu ausschließlich und bedauerlicherweise) auf Fragen der gesetzlichen Rentenversicherung beschränkt bleiben; denn die Probleme z. B. bei der Beamtenversorgung, um nur einen weiteren erörterungswürdigen „Knoten unseres Sozial-netzes" zu nennen, sind zwar nicht so evident wie bei der GRV, zweifellos aber vorhanden.
Ja, es empfiehlt sich sogar vor dem Hintergrund dieser Langfristprobleme die Struktur unserer Staatsfinanzierung zu überprüfen; wenn sich nämlich im Zuge der Bevölkerungsentwicklung die intergenerativen Verteilungsrelationen deutlich verändern und damit z. B. eine Erhöhung des Bundeszuschusses erforderlich würde, wäre es beispielsweise sinnvoll, den z. Zt. ca. 40 Prozent des Gesamtsteueraufkommens betragenden Anteil der indirekten Steuern (Umsatz-, Verbrauch-und Aufwandsteuern), Steuern, die nicht unmittelbar von den „Belasteten" an den Fiskus gezahlt werden, sondern „anonym" im Rahmen des Marktprozesses erhoben werden, gegenüber der Quote der direkten Steuern (Einkommen-und Vermögensteuern), die unmit-telbar vom Pflichtigen an den Staat abzuführen sind, zu erhöhen. Denn man sollte sich nicht den Erkenntnissen der Steuer-und Finanzpsychologie verschließen, daß Steuer-widerstand, Staatsverdrossenheit und damit auch die Virulenz intergenerativer Umverteilungen nicht nur von der faktischen Höhe bzw.der Veränderung der Abgabenbelastung, sondern auch und gerade von ihrer Merklichkeit abhängen. Diese Merklichkeit ist aber nicht zuletzt eine Funktion der Abgabenerhebungsmodalitäten bzw. ihres kreislaufmäßigen Zugriffs, d. h., ob Zahlungen direkt und unmittelbar an den Staat zu leisten sind, bzw. „unmerklich", indirekt über das marktliche Preissystem den Privaten entzogen werden.
Darüber hinaus — und dies nicht nur in diesem Kontext — ist zu fragen, ob nicht die doch recht vielfältigen und ergiebigen mengenabhängigen Verbrauchsteuern (z. B. auf Mineralöl, Bier, Kraftfahrzeuge, Schaumwein, Kaffee), deren Bemessungsgrundlagen physische Größen (wie z. B. kg, cm 3, hl) sind, in Wertsteuern umgewandelt werden könnten bzw. sollten, d. h. Abgaben, deren Bemessungsgrundlage wie bei der Mehrwertsteuer der in DM bewertete Verbrauch bzw. Aufwand ist.
Eine derartige Umstellung der Besteuerungsgrundlagen von einer Mengen-auf eine Wertbasis hätte für den Fiskus den Vorteil, daß diese Einnahmen „volkseinkommensreagibler" und „inflationssicherer" würden, d. h. das Aufkommen dieser Steuern auch bei gleichem mengenmäßigen Verbrauch im Gleichschritt mit der Preisentwicklung dieser Güter ansteigen würde und nicht — wie es heute der Fall ist — bei allgemeinen Preis-und Einkommensteigerungen stagniert und damit relativ im Vergleich zu dem Aufkommen an Wertsteuern abnimmt.
Fernziel der Sozialstrukturpolitik ist ein „System der integrierten Gesamtversorgung" welches zuerst und zumindest jedem Bürger, ob Mann, Frau oder Kind, ein in jeder Lebenslage menschenwürdiges Dasein oberhalb eines sozialen Existenzminimums garantiert und nicht nur intergenerativ ausbalanciert ist, sondern auch frei ist von anderen gruppenspezifischen Disparitäten.
Ein derartiges System, bei dessen Einrichtung auch einigen der jüngst vorgetragenen „transparenzorientierten" Vorschlägen Schmähls Rechnung getragen werden sollte, kann aber nie aufgrund einer einzigen Leitidee oder eines einmaligen politischen Kraftaktes geschaffen werden, sondern nur durch ein schrittweises Umschichten des Sozialbudgets bzw. einer schrittweisen Umleitung der Transferströme. Und zwar so: Nach wie vor vorhandene Versorgungs-und Leistungsdefizite sollten aufgefüllt, aber auch gleichzeitig politisch ungewollte Kumulationen bzw. Kumulationsmöglichkeiten der unterschiedlichen Sozialtransfers, Beihilfen, Subventionen etc. abgebaut werden.
Ein derartiges social-peacemeal-engineering besitzt zwar weniger scheinbare Brillianz oder besser Süffigkeit im Vergleich zu so — nur auf den ersten Blick und vordergründig — einleuchtenden und überzeugenden „geschlossenen Ideen" wie der der „Bevölkerungsdynamischen Rente", hat aber dafür den unschätzbaren Vorteil der größeren Sicherheit und Beherrschbarkeit.
Das unmittelbare aktuelle und konkrete Gebot der Stunde kann darüberhinaus nur lauten — worauf H. Meinhold jüngst nachdrücklich hingewiesen hat —, gegenwärtig alles zu vermeiden, was heute aus durchaus begreiflichen und kurzfristigen Gründen sinnvoll erscheint, aber geeignet ist, Lösungen der zukünftigen Altersrentenprobleme zu erschweren. Zu nennen wären hier z. B.
— eine generelle Vorverlegung des Renteneintrittsalters, — forcierte, über den Produktionsfortschritt hinausgehende Arbeitszeitverkürzungen oder die — Behinderung von Rationalisierungsinvestitionen. Bei derartigen beschäftigungspolitisch durchaus diskutablen Maßnahmen wird nämlich — da sie politisch nur sehr schwer reversibel sein dürften — nicht nur der Altersquotient verschlechtert, sondern auch und gerade das gesamtwirtschaftliche Wachstumspotential reduziert.
Abschließend sei noch einmal nachdrücklich betont: Die vorgetragene Kritik am Konzept der „Bevölkerungsdynamischen Rente" zielt nicht auf Verniedlichung oder gar Negation der sozialpolitischen Problematik unserer demographischen Entwicklung ab; wenngleich sich das Problem mit Sicherheit nicht in der skizzierten Schärfe stellen dürfte. Diese Kritik will auch nicht einer politischen Abstinenz das Wort reden; die Bevölkerungsentwicklung signalisiert einen sozial-und familienpolitischen Gestaltungs-und Entscheidungsbedarf. Es soll auch nicht geleugnet werden, daß in den Ausführungen von Schmidt-Kaier einige ernst-zunehmende Gedanken enthalten sind; nur dürfte die „Bevölkerungsdynamische Rente" in der vorgetragenen Konzeption nicht das Instrument sein, diesen Bedarf in geeigneter Weise zu befriedigen.
Denn „Lösungsvorschläge", die die Komplexität des Problems nicht erfassen, ökonomische Gegebenheiten weitgehend negieren und zudem auf unhaltbaren steuerungspolitischen und generativen Prämissen basieren, sind allenfalls akademisch zulässig, aber politisch nicht relevant.
Bert Rürup, Dipl. -Kfm., Dr. rer. pol., geboren 1943, Professor für Volkswirtschaftlehre an der Technischen Hochschule Darmstadt. Arbeitsschwerpunkte: Fragen der gesamtwirtschaftlichen Planung und Steuerung. Autor und Herausgeber mehrerer Bücher und zahlreicher Aufsätze zu diesen Problemkreisen.
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