I. Entwicklung und Problematik unseres Altersvorsorge-Systems
Verwirrung und Unsicherheit herrschen im Rentenbereich. Der Streit der Parteien über die Renten ist zu einem Grabenkrieg geworden. Seit zwei Jahren haben die Parteien — möglicherweise mit Ausnahme der FDP — feste Stellungen bezogen und verbissen verteidigt. Ist der Streit überhaupt noch zu heilen? Sicher nicht, wenn man in der Unüberschaubarkeit und Vordergründigkeit der Finanzierungsprobleme stecken bleibt. Wir müssen tiefer graben, um di’e Renten, die Altersvorsorge überhaupt wieder auf festen Grund zu stellen. Dabei kann Schreibers grundlegende Arbeit aus dem Jahre 1955 auch heute noch als guter Führer dienen Schreibers Arbeit mit dem Titel „Existenzsicherheit in der industriellen Gesellschaft" wurde zur Grundlage der großen Rentenreform von 1957, die die sogenannte dynamische Rente brachte. Schreiber geht aus von der Analyse der Lebenslage des Menschen im Zeitalter des Industrialismus, von der Lebensangst der Massen und dem inbrünstigen Verlangen des heutigen Menschen nach Existenzsicherheit. 1. Alterssicherung einst und jetzt Die Drei-Generationen-Groß-Familie des vorindustriellen Zeitalters hatte es geschafft, die nicht mehr erwerbsfähige Generation der Alten zu versorgen und die noch nicht erwerbsfähige Generation der Jungen aufzuziehen. Die Zwei-Generationen-Klein-Familie unserer Zeit schafft das nicht mehr. Warum? Der weit überwiegende Teil der Familien — fast 80 Prozent — sind heute Arbeitnehmerfamilien. Ihr Einkommen beruht nicht auf Eigentum, auf Boden oder Kapital, sondern auf der INHALT I. Entwicklung und Problematik unseres Altersvorsorge-Systems 1. Alterssicherung einst und jetzt 3. Die vier Säulen der Alterssicherung 2. Die Alterslastquote II. Kritik vom Standpunkt der Versicherungsmathematik
1. Die Eigenfinanzierung 2. Die Aufstockung 3. Die Brutto-Anpassung III. Kritik vom Standpunkt der Wirtschaftswissenschaft
1. Die Durchlöcherung des versicherungstechnischen Äquivalenzprinzips
2. Der bedrängte Pluralismus der Altersvorsorge
3. Die Vernachlässigung einer solidarischen Verantwortung 4. Unklare Finanzierungskünste 5. Ignorierte Belastungsgrenzen IV. Kritik vom Standpunkt der Sozialpolitik
1. Die starre Festlegung bruttobezogener Renten 2. Der Drei-Generationen-Vertrag V. Kritik vom Standpunkt der Bevölkerungswissenschaft
1. Mikro-ökonomische Nutzen/Kosten-Analyse des Kinder-Aufziehens und Geburtenrückgang 2. Gleichstellung der Frauen 3. Negative Rückkoppelungen als Faktoren zur Stabilisierung des Systems.
Die bevölkerungsdynamische Rente 4. Alternativen: Umlage oder Kapitalisierung?
5. Volkswirtschaftliche Auswirkungen des Geburtenrückgangs und bevölkerungspolitischer, Maßnahmen 6. Bevölkerungspolitische Wirksamkeit VI. Ethisch-moralische Aspekte 1. Ist eine aktive Bevölkerungspolitik zulässig?
2. Kollektive Güter in der Sozialethik VII. Forderungen an eine Neuordnung des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung Arbeitskraft ihrer Ernährer, auf deren Individualeinkommen als Arbeiter oder Angestellte. Und damit stellt sich das Problem der Verteilung des Lebenseinkommens aus der produktiven Phase auf alle drei Lebensphasen: Kindheit, Arbeitsalter, Lebensabend. Für das, was einst die einzelne Drei-Generationen-Familie geschafft hat, dafür müssen heute die drei Generationen der gesamten Bevölkerung zusammen sorgen.
Bismarcks Verdienst war es, in Erkenntnis dieser Lage mit der gesetzlichen Invaliditätsund Altersversicherung 1889/1892 zuerst die kollektive Altersvorsorge in den modernen Staat einzuführen. Schreibers Verdienst war es, in Erkenntnis des Geldverfalls durch Inflation und der Produktivitätssteigerung durch Wirtschaftswachstum die dynamische oder Produktivitäts-Rente einzuführen. Durch sie nimmt auch der Ruheständler am weiteren Wachstum des Sozialprodukts (genauer: der Arbeitsproduktivität) teil und kann seinen im Arbeitsleben erworbenen sozialen Status beibehalten. Diese staatliche Zwangs-umlage erhielt den Namen „Solidarvertrag der Generationen" oder „Generationenpakt“. Sie ist in der ihr 1957 gegebenen und seither ständig weiter veränderten Form nicht mehr aufrechtzuerhalten. Ein Schlaglicht zur augenblicklichen Situation liefert die Liquidität der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten: Trotz aller Eiertänze der Finanzierungskünstler und obwohl mit dem 21. Rentenanpassungsgesetz die automatische Dynamisierung preisgegeben wurde, beträgt die Schwankungsreserve zur Zeit kaum zwei Monatsausgaben! 2. Die Alterslastquote Der längste und tiefste Schatten aber fällt auf die Rentensicherheit durch die Bevölkerungsentwicklung. Die dynamische Rente war ausdrücklich konzipiert für eine wesentlich konstante oder wachsende Bevölkerung.
Wenn die jetzige Nettoreproduktionsrate anhält — und es gibt keinerlei Anzeichen für wachsende Geburtenfreudigkeit, im Gegenteil! —, so wird die erwerbstätige Bevölkerung um 2035 über 60 Prozent ihres Einkommens allein für die Altersvorsorge und die Krankenfürsorge ausgeben müssen, vorausgesetzt, die gesetzlichen Regelungen bleiben bis dahin unverändert bestehen. Der völlige Zusammenbruch des Rentensystems und gleichzeitig das exponentielle Aussterben unseres Volkes sind also langfristig vorprogrammiert — unsere heutige Schuljugend wird es erleben, wenn wir nicht rechtzeitig auf dem verkehrten Weg umkehren.
Die Geburtenrate liegt seit 1972 unterhalb der des Jahres 1945, der tiefsten in der gesamten deutschen Geschichte — ein klares Warnzeichen für eine existenzgefährdende Krankheit im Volksganzen.
Der demographische Rentenbelastungsquotient stellt den Prozentsatz der Bevölkerung im Rentenalter im Verhältnis zur Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter dar. Er wurde hier vorausberechnet (Abbildung 1) unter der Annahme, daß die Geburtlichkeits-bzw.
Der demographische Rentenbelastungsquotient (Alterslastquotient) stellt den Prozentsatz der Bevölkerung im Rentenalter im Verhältnis zur Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter dar. Er wurde hier vorausberechnet unter der Annahme, daß die Geburtlichkeitsverhältnisse des Jahres 1977 anhalten und zwar für die Gesamtbevölkerung (einschließlich der ausländischen Wohnbevölkerung). Man erkennt, daß bei der Nettoreproduktionsrate R, = 0. 66 die Belastung bis 2 030 auf ungefähr das Doppelte ansteigt, nachdem sie bis 1988 sich kurz erholt, um dann rapide anzusteigen. Fruchtbarkeitsverhältnisse des Jahres 1977 anhalten, und zwar für die Gesamtbevölkerung (einschließlich der ausländischen Wohnbevölkerung). Man erkennt, daß bei der Nettoreproduktionsrate 0, 66 die Belastung bis 2030 auf fast das Doppelte ansteigt, nachdem sie sich bis 1988 kurz erholt, um dann rapide anzusteigen
Die Gesamtbelastung wird aber noch höher, sobald das Volk von der rapiden Abnahme wieder zu bestandserhaltenden Kinderzahlen zurückkehrt (freilich bei dann erheblich geringerer Gesamtzahl). Rechnungen hierzu sind im Gang; das einfache Addieren der jugendlichen Bevölkerung zu den Alten genügt nicht, weil die Versorgungslasten recht verschieden sind und in verschiedener Weise getragen werden. Entscheidend ist, daß man eine erdrückende Last sicher eher für eigene Kinder als für fremde alte Leute auf sich nehmen wird und daß bei einem Geburtenrückgang die erhöhten Sparmöglichkeiten lange Zeit vor den verminderten Zugängen im Erwerbspotential eintreten, daß also die Vorteile sehr lange vor den Nachteilen kommen. Der kurze Zeithorizont des Politikers verführt ihn in einer solchen Lage dazu, die Einnahmen zu verfrühstücken und Maßnahmen erst zu ergreifen, wenn die Nachteile spürbar werden, d. h. wenn es längst zu spät ist.
Wenn heute gesagt wird, daß ein Produktivitätszuwachs von jährlich 2, 5 bis Prozent in 50 Jahren zum vierfachen Einkommen’ führt, so daß die durch die wachsende Alterslast bedingte Reduktion des Nettoeinkommens von über 50 auf weniger als 20 Prozent des Bruttolohns dennoch keine Minderung des Realeinkommens ergibt, so übersieht dieser Gedankengang, daß niemand gewillt sein wird, hart zu arbeiten, (fast) nur um die Eltern anderer Leute zu versorgen, und daß der Vergleich mit Nachbarländern wie Frankreich tiefe politische Depression — wie etwa dort in den dreißiger Jahren — hervorrufen wird. Mehr als fraglich ist ferner, ob eine stark überalterte Bevölkerung jugendlichen Schwung genug besitzt, um die wissenschaftlich-technischen und wirtschaftlichen Innovationen zustande zu bringen, die Voraussetzung des angenommenen Produktivitätszuwachses sind; sicher ist dagegen, daß die Ansprüche steigen werden. In dieser Art Lasten auf künftige Generationen abzuladen, ist auf jeden Fall ein äußerst unsolidarisches Verhalten.
Leichthin wird auch gerne gesagt, daß Bevölkerungszahl an sich kein Wert sei. Sie ist es sehr wohl, z. B. als notwendiger Machtfaktor im Bereich der Außen-, Verteidigungs-und Wirtschaftspolitik 3). Auch für einen Markt gibt es optimale Größen; wenn die Bevölkerung in Fortsetzung des jetzigen Trends gegen 2040 weniger als halb so groß ist, wird die Rolle dieses Marktes schwer geschwächt sein. Es müssen also tiefliegende Fehler und Irrtümer in einem System stecken, das zu derartig erschreckenden Fehlentwicklungen führt. 3. Die vier Säulen der Alterssicherung Die Alterssicherung fast des gesamten Volkes beruht auf vier Säulen (Leistungen an inländische private Haushalte im Jahr 1977):
I Renten der gesetzlichen Rentenversicherung ca. 102 Mrd. DM II öffentliche Pensionen ca. 32 Mrd. DM III Leistungen der betrieblichen Altersversorgung ca. 16 Mrd. DM IV Leistungen der privaten Lebensversicherungen ca. 19 Mrd. DM Die betriebliche Altersversorgung entspricht einer statistischen Rente (nach dem Betriebsrentengesetz von 1974 und den dazu ergangenen Urteilen dös BAG entspricht sie langfristig einer Rentenversorgung, die dem Lebenshaltungskosten-Index folgt; sie wird durch entsprechende Kapitaldeckung finanziert).
Das Deckungskapital der Lebensversicherung erbringt mit Zins und Zinseszins die vereinbarte Leistung, die einen Kaufkraftschwund bis zu etwa Prozent ausgleicht. Beide werden daher von der Bevölkerungsentwicklung mit ihrer wachsenden Rentenlastquote nicht direkt betroffen — im Gegensatz zu den beiden ersten Bereichen, die für 80 Prozent der Altersvorsorge aufkommen und deren Leistungen in einem Umlageverfahren bzw. einkommensdynamisch finanziert werden 4).
II. Kritik vom Standpunkt der Versicherungsmathematik
1956 stand das Gesetz zur dynamischen Rente im Bundestag zur Debatte. Der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Versicherungsmathematik, Prof. Kracke, erklärte namens des Vorstandes am Dezember 1956 der FAZ: „Die Deutsche Gesellschaft für Versicherungsmathematik hat in aller Form die Berechnungsmethoden, die im Regierungsentwurf zur Rentenreform angewandt worden sind, für unbrauchbar erklärt."
Die Ereignisse scheinen den Versicherungsmathematikern recht gegeben zu haben. Heubeck 5) stellt die Finanzierungsprobleme der Rentenversicherung dar und kommt zu dem Schluß, daß mit 18 Prozent (und rund 3 Prozent Bündeszuschuß) langfristig nur ein Rentenniveau von 45 Prozent des Bruttolohns (nach 40 Versicherungs]ahren) finanzierbar ist. Nach Heubeck haben die Zuflüsse aus der Öffnung der Rentenversicherung für Selbständige und die Nachzahlungen sowie die Beiträge der Gastarbeiter bis Ende 1976 mehr als 48 Mrd. zusätzlich hereingebracht; nur dadurch sei die Finanzmisere nicht schon früher eingetreten. Andererseits haben die Reformen von 1972 bereits in den fünf Jahren bis 1977 41, 5 Mrd. gekostet. An drei Hauptpunkten setzt Heubeck die Kritik an: an der Eigenfinanzierung, an der Aufstockung und an der Brutto-Anpassung. 1. Die Eigenfinanzierung Der Generationenvertrag soll nicht nur den Kaufkraftverlust, sondern auch die Lohndynamik abdecken In den vergangenen 20 Jahren betrug die jährliche Lohnanpassung im Durchschnitt 7 Prozent. Für denjenigen, der 1974 nach 45 Versicherungs]ahren im Alter von 65 Jahren in Rente ging, errechnet man damit eine Eigenfinanzierungsquote von nicht mehr als 27 Prozent! Invalidität und flexible Rente setzen die Quote noch weiter herab. „Die derzeitigen Rentner erhalten im Durchschnitt ein Vielfaches ihrer verzinsten Einzahlung." Das muß bei einer dynamischen Rente auch so sein; denn eine nach strengem Versicherungsprinzip berechnete Rente entspricht bestenfalls einem Lebensstandard von vor 20 Jahren. Nur ein hinreichend starkes, anhaltendes Wirtschaftswachstum von mindestens 4 Prozent vermag die erforderlichen Mittel zu liefern. Schon hier muß die Frage gestellt werden, ob eine Volkswirtschaft mit stark schrumpfender Bevölkerung auf die Dauer ein solches Wachstum (genauer: Produktivitätszuwachs) erbringen kann. 2. Die Aufstockung Die Möglichkeit, durch Nachzahlungen die Beitragsklasse zu erhöhen, und die Öffnung für Selbständige können zwar „kurzfristig die Finanzmisere weitgehend beseitigen, langfristig jedoch tödlich sein". Warum? Heubeck errechnet auch in diesem Fall ein Vielfaches an Leistung gegenüber dem Beitrag, nämlich das 3-bis 6-fache der Einzahlung, also ähnlich wie im vorhin betrachteten Normalfall. Das Fatale ist aber hier, daß den Aufstockungen kein Generationenvertrag gegenüber-steht, sondern später von einem bestimmten Zeitpunkt an nur die Gesamtheit der gesetzlich Versicherten mit ihren Pflichtbeiträgen, die dann natürlich angehoben werden müssen. In der Tat hätte ohne die „Flexiblen" und die „Öffnung" der alte Beitragssatz von 14 Prozent aufrechterhalten werden können. Auf der Seite der „Aktiven" ist also die Kontinuität der Beitragsleistung nicht gewährleistet. Und auf der Seite der Rentner können einzelne kassieren über das Rentenniveau hinaus, d. h. über das normale Verhältnis von Rente/Arbeitsentgelt. Beides widerspricht dem Sinn des Generationenvertrags. von Rentnern und Aktiven in einem harmonischen, sozial gerechten Verhältnis zu erhalten. Verstärkte Inflationsraten, zunehmende Steuenn und wachsende Sozialbeiträge haben jedoch die Lage seither total verändert. „Es droht ein Uberholeffekt der Renten gegenüber dem Nettoeinkommen der Aktiven . . . Bei einer Differenz von 3 Prozent zwischen Brutto-und Nettoanstieg würde der Uberholeffekt bereits nach elf Jahren eintreten." Soll an der Lohnersatzfunktion der Rente festgehalten werden — was bei der geringen Eigenfinanzierung ohnehin nicht leicht zu begründen ist —, so müßte die gesetzliche Rente wie die Betriebsrente mit Steuern und Krankenversicherungsbeiträgen belastet werden. Dadurch würden zwar die Renten selbst nicht unter das 1957 vorgesehene Niveau gekürzt, wohl aber die alljährlichen Rentenerhöhungen. 3. Die Brutto-Anpassung Die Anpassung an den Bruttolohn war das 1957 gewählte Verfahren, um Lebenshaltung
III. Kritik vom Standpunkt der Wirtschaftswissenschaft
Eine knappe, aber eindrucksvolle Zusammenfassung der Sünden unseres Sozialsystems aus ökonomischer Sicht hat Molitor gegeben. Nach Molitor „steht allein zur Frage die Konsolidierung und Stabilisierung der Sozialen Sicherung, auf daß sie auch in mageren Jahren funktionieren kann". Die Rezession sei nicht der Verursacher, vielmehr habe sie nur die „Schäden im sozialpolitischen Gebäude ans Licht gebracht, die längst im System gleichsam vorprogrammiert waren". Als Krankheitssymptome zählt Molitor auf: 1. Die Durchlöcherung des versicherungstechnischen Äquivalenzprinzips Leistung = Gegenleistung, besonders in der Rentenreform von 1972, als die Politiker aller Parteien in der damaligen vermeintlichen Überflußsituation eine Menge von Wahlgeschenken verteilten: a) die Vorverlegung der Rentenanpassung von zwei auf eineinhalb Jahre Vorlauf — diese kostspielige Regelwidrigkeit mußte bereits wieder zurückgenommen werden; b) die Einführung der Mindestrente — gewiß ein sozialer Fortschritt, aber falsch finanziert, weil der nicht beitragsgedeckte Teil aus der Zwangsumlage der Solidargemeinschaft und nicht als soziale Hilfe aus Steuern bezahlt wird; c) die Abschaffung des Rentnerbeitrags zur Krankenversicherung; d) die flexible Altersgrenze — jedoch ohne die notwendigen versicherungsmathematischen Abzüge. Die Verkürzung der Beitrags-zeit in der Sozialversicherung und die Verlängerung der Rentenbezugszeit um jeweils zwei Jahre (also Zugang zur Rente mit 63 statt 65 Jahren) macht versicherungsmathematisch beim durchschnittlichen (!) Renten-empfänger eine Mindereinnahme von 7 000 DM und einen Mehraufwand von 48 500 DM aus. Berücksichtigt wird aber in der Auszahlung nur die geringere Zahl der Beitragsjahre! Die somit erforderliche Erhöhung der Sozialbeiträge verteuert aber die Lohnkosten und wirkt sich damit negativ auf den Arbeitsmarkt aus, der durch die flexible Rente ja gerade entlastet werden sollte! 2. Der bedrängte Pluralismus der Altersvorsorge: a) Die „Öffnung zur Selbstversicherung," 1972 — wobei der neu hinzukommende Selbstversicherer nicht den einkommensadäquaten Beitrag zu entrichten hatte, d. h. ohne Berücksichtigung des versicherungstechnischen Äquivalenzprinzips. Das allgemeine Wohlstandsniveau hätte im Gegenteil eine Stärkung der privaten Vorsorge nahegelegt und nicht eine Ausweitung des staatlichen Geschäfts, was zunächst zwar eine enorme Liquiditätsverbesserung, auf die Dauer aber ein riesiges Minus für die gesetzliche Rentenversicherung ergeben muß.
b) Die freiwillige Höherversicherung durch Aufstockung der Renten — statt das Feld der reichen Auswahl von zusätzlichen Privatversicherungen offen zu lassen. 3. Die Vernachlässigung einer solidarischen Verantwortung (Moral-Hazard)
Mancher Pflichtversicherte läuft wegen jedem Schnupfen zum Arzt, um „seinen Krankenkassenbeitrag wieder herauszuholen“. Die Zwangsmitgliedschaft in der Sozialversicherung kennt keine Beitragsstaffelung nach der Höhe des individuellen Risikos und keinen Teilausschluß für übermäßige Inanspruchnahme. Der Betroffene sucht daher für sich den den größtmöglichen Nutzen aus seiner Versicherung herauszuholen, und das stellt die Solidarität derjenigen, die mit ihren Beiträgen die Sozialeinrichtungen des Staates finanzieren, wenn nicht in Frage, so doch auf eine harte Probe. Es ergibt sich sogar „die auf den ersten Blick paradoxe Feststellung, daß das Sicherungssystem teilweise die . Risiken’ selbst schaffen kann, die abzufangen es eingerichtet wurde"
Als Gegenmittel stellt Molitor heraus:
— Selbstbeteiligung beim Medikamenten-verbrauch;
— klarer Abstand zwischen Arbeitslohn und Arbeitslosenunterstützung sowie Verschärfung dieser Relation im Zeitverlauf;
— klare, nicht restriktive Regelungen für die Zumutbarkeit der Arbeit (die Bundesanstalt für Arbeit hat kürzlich hierzu einen Beitrag geliefert). 4. Unklare Finanzierungskünste:
Sie verdecken die Ursachen der Fehlentwicklung, so z. B. die Verschiebung der Lasten der Arbeiterrenten-und Arbeitslosenversicherung auf die Angestelltenrenten, und wiederum die der Renten und des Familienlastenausgleichs auf die Krankenversicherung. Mir kommt das schöne Gedicht von Ringelnatz in den Sinn, wie er sich selbst einen Blumenstrauß zum Geburtstag schenkt: „von linker Hand in rechte Hand." 5. Ignorierte Belastungsgrenzen:
Um die Probleme der Rentenversicherung zu lösen, wird oft nach einer Erhöhung der Bundeszuschüsse gerufen. Aber Steuern werden nach der Leistungsfähigkeit erhoben, Beiträge nur bis zur Bemessungsgrenze; Steuern zahlen alle, Beiträge nur die Versicherten. Daher gilt: „In dem Maße, in dem Steuermittel (Bundeszuschüsse!) in die Sozialversicherungseinrichtungen fließen, findet ein Abrükken vom Versicherungsprinzip und eine Hin-wendung zum Versorgungsprinzip statt."
Und ob Steuern, ob Sozialabgaben: die Grenze für die Belastbarkeit der Arbeitnehmer mit Steuern und Beiträgen ist die Grenze der Finanzierbarkeit der Sozialen Sicherung.
Sie ist zugleich die Grenze, jenseits deren der Nutzeffekt zusätzlicher sozialer Sicherheit im Verhältnis zu seinen Kosten rapide abnimmt. Diese Betrachtung führt direkt zu den Grenzen des Sozialstaates in ordnungspolitischer Sicht. Staat und Gesellschaft stehen in einem Spannungsfeld von „Solidarität"
und „Subsidiarität". Watrin hat Bedenkenswertes darüber gesagt
Zusammenfassend ist festzustellen, daß der Wirtschaftswissenschaftler die Kritikpunkte des Versicherungsmathematikers weitgehend übernimmt und über die Probleme der finanziellen Rechnung hinaus die ergänzenden Fragen nach den Grenzen der wirtschaftlichen, sozialen und moralischen Belastbarkeit stellt. Hier sei ferner auf die Grenzen des Sozialstaats hingewiesen, wenn sich etwa vor Mitarbeitern von Sozialämtern die Verbitterung von Rentnern aus mittleren und oft sogar gehobenen Positionen gegenüber routinierten Sozialhilfe-Empfängern artikuliert „Alle werden gleich behandelt, ob sie zeit ihres Lebens gearbeitet oder alles versoffen haben." In diesem Zusammenhang erscheint der Gedanke einer Sockelrente interessant, deren Höhe am Sozialhilfe-Mindestsatz orientiert ist um mittels der anstelle hoher Sozialbeiträge verfügbaren Mittel die anderen Säulen der Alterssicherung durch private Vor-sorge und Vermögensbildung zu stärken. In der privaten Lebensversicherung liegt die Bundesrepublik sowieso an letzter Stelle aller Industriestaaten: USA mit 26 266 DM Versicherungssumme pro Kopf (1975), Schweiz 20 595 DM, Japan 20 573 DM, Großbritannien 12 225 DM, Frankreich 11912 DM und Bundesrepublik 7 293 DM.
IV. Kritik vom Standpunkt der Sozialpolitik
Aus ganz anderer Perspektive kommt die kürzlich in der „Wirtschaftswoche" publizierte grundsätzliche Kritik O. " von Nell-Breunings Er hebt drei bereits 1957 bei der Einführung der dynamischen Rente gemachte Fehler als entscheidend hervor: 1. Die starre Festlegung bruttolohnbezogener Renten Eine solche Festlegung wird bei einer Änderung des Altersaufbaus der erwerbstätigen Generation und bei einer Verschlechterung des Rentenbelastungsquotienten (d. h.der Zahl der nicht mehr Erwerbstätigen im Verhältnis zur erwerbstätigen Generation) zu einer Überbelastung der Erwerbstätigen führen. Das hat allerdings schon Schreiber 1955 gewußt und die Konstanthaltung der Rentenhöhe erwartet aus der Produktivitätssteigerung, aus der Erhöhung der Beiträge — das ist schon zweimal geschehen! — und aus der Heraufsetzung des Rentenalters — wobei effektiv das Gegenteil gemacht wurde.
Mit Recht stellt von Nell-Breuning fest, daß mit dem Ausscheiden aus dem Arbeitsleben viele Aufwendungen entfallen und für die gleiche Lebenshaltung ein niedrigeres Verfügungseinkommen als im Erwerbsleben genügt. Nicht der durchschnittliche Bruttolohn — von dem ja Renten-, Kranken-und Arbeitslosenversicherungsbeitrag sowie Steuern abgehen — kann als allgemeine Bemessungsgrundlage dienen, sondern • das tatsächlich verfügbare Einkommen. „Jeder Versicherte mißt seine Altersversorgung ganz banal an seinem letzten Nettoarbeitsverdienst" Damit will von Nell-Breuning eine negative Rückkoppelung in die Rentenformel einführen, die die Ausschläge des Beitragssatzes mildern und die Belastung in Grenzen halten soll
Es ist höchst bemerkenswert, daß bei den gegenwärtigen Beitragssätzen für Renten-, Arbeitslosen-und Krankenversicherung und einer durchschnittlichen Steuer von 20 Prozent, selbst bei Berücksichtigung zusätzlicher Transfereinkommen (Kindergeld, BAFÖG, Sparförderung) in Höhe von 10 Prozent des Bruttolohns, das durchschnittliche Verfügungseinkommen in der Rentner-Generation bereits etwas höher liegt als das in der erwerbstätigen Generation. Hier sind die Grundlagen eines Generationenvertrags erschüttert. Diese Feststellung bedarf allerdings sorgfältiger Differenzierung weil sie für viele Gruppen, z. B. die zahlreichen Klein-rentner unter den Frauen, nicht zutrifft. Insgesamt haben die-Realeinkommen der Rentner in den letzten sieben Jahren aber mehr als doppelt so stark zugenommen als die der Arbeitnehmer. 2. Der Drei-Generationen-Vertrag Wie wir gesehen haben, ist der Beitragssatz eindeutig gegeben durch das gewünschte tatsächliche Einkommensverhältnis von Rentnern und Erwerbstätigen (das sogenannte Nettorentenniveau), durch die Abzüge für die Krankenversicherung und die Steuern sowie die demographische Situation. Die Politiker sind zur Feststellung des Nettorentenniveaus, die statistischen Zentralämter sodann zur Berechnung des Beitragssatzes berufen. Statt dessen behielt sich der Gesetzgeber 1957 die Festlegung des Beitragssatzes — und ebenso die Anpassung der „Bestandsrenten" (d. h.der Renten aus der Zeit vor der Einführung der dynamischen Rente) — durch eigene Regelung vor. Schließlich verweist von Nell-Breuning darauf, daß zur Alterssicherung der gegenwärtig erwerbstätigen Generation ebenso unerläßlich „das Aufziehen der nachwachsenden Generation" ist. Diese Last ist in die gerechte Verteilung einzubeziehen, und zwar am einfachsten dadurch, daß man die Beteiligung an dieser Aufgabe auf den zu entrichtenden Versicherungsbeitrag anrechnet: „Nur Multiplikatoren werden benötigt. Für die Kinderlosen gilt der höchste Multiplikator."
V. Kritik vom Standpunkt der Bevölkerungswissenschaft
Hier kommen wir auf den Kern des langfristigen, demographisch verursachten Renten-problems. Ich habe mich damit besonders intensiv (und wohl auch vor von Nell-Breuning) beschäftigt
Unser derzeitiges soziales Sicherungssystem leidet an einem doppelten grundsätzlichen Mangel:
1. es vernachlässigt, ja vergißt vollständig die Rolle der nachwachsenden Generation für die Alterssicherung der heute erwerbstätigen Generation, es setzt den Bevölkerungsprozeß als wesentlich stationär einfach voraus;
2. es besitzt keine (im mathematischen Sinne negativen) Rückkoppelungsfaktoren, die ein Entgleisen des Systems verhindern und selbst-regelnde Prozesse in Gang setzen, so wie es uns Natur und gewachsene Geschichte vormachen. Negative Rückkoppelungen sind es, wodurch die Bäume nicht in den Himmel wachsen und Gleichgewichte in der Natur hergestellt werden. Fällt die negative Rückkoppelung aus, so laufen die Prozesse davon, es kommt zu Explosionen oder zum Kollaps. Jede Form der Aktualisierung langfristiger Be-oder Entlastungen wirkt als negative Rückkoppelurig. 1. Mikro-ökonomische Nutzen/Kostenanalyse des Kinderaufziehens und Geburtenrückgang Kinder kosten viel Geld, viel Mühe, viel Zeit. Die Kosten von Kindern an Zeit und Geld sind stark gestiegen. Wenn es heute jungen Familien auch wirtschaftlich nicht schlechter gehen mag als vor 15 Jahren — die Diskrepanz in den Lebensmöglichkeiten kinderreicher Familien und kinderloser Ehepaare hat sehr stark zugenommen. Bei einer Familie mit drei Kindern ist heute der Durchschnittsbruttolohn bereits kleiner als der Sozialhilfe-bedarf , Kinderlose vermeiden diese Kosten. Im Alter aber sind sie durch den Renten-anspruch ebenso gesichert wie diejenigen, die Kinder aufgezogen haben. Paare ohne Kinder verhalten sich sozusagen „marktkonform" Denn die „Kosten" der Kinder müssen hauptsächlich privat getragen werden, während die „Erträge" hauptsächlich so-zialisiert werden Ist es nicht eine schreiende Ungerechtigkeit, daß das kinderlose Paar doppelt verdienen und schließlich doppelt Rente beziehen kann, während das Ehepaar mit Kindern wirklichen „Familienlastenausgleich" nicht erhält, die Kinder zur Sicherung der Altersversorgung der Kinderlosen aufzieht und am Ende dafür seinen Lebensabend mit der einfachen Rente beschließt? Es ist an der Zeit, daß die Fmilienverbände diese krasseste soziale Fehlleistung unseres Staates durch eine Klage für eine Vielkinderfamilie aufdecken und durch ein Urteil der höchsten Instanz den Gesetzgeber zur längst fälligen Korrektur zwingen.
Wie groß ist 1978 das durchschnittliche Verfügungseinkommen mit bzw. ohne Kinder? In einer Familie mit drei Kindern, wie sie typisch für die Erhaltung des Volksbestandes notwendig ist, kann für eine Zeitspanne von wenigstens zehn Jahren nur ein Verdiener tätig sein. In dieser Zeit kommt zum Nettoeinkommen eines Mannes (heute durchschnittlich 2 500 DM brutto, 1 800 DM netto) das Kindergeld von 280 DM und das Wohngeld von 50 DM, insgesamt also 2 130 DM mtl. für fünf Personen; wenn man den Verbrauch . durch Kinder nur mit einem Drittel wie bei Erwachsenen ansetzt, beträgt das monatliche Verfügungseinkommen pro erwachsene Person also 710 DM.
Demgegenüber verdient ein kinderloses Paar — beide erwerbstätig — heute durchschnittlich brutto 2 500 DM plus 1 500 DM, was netto gemeinsam 2 280 DM oder 1140 DM pro erwachsene Person ergibt In der gesetzlichen Rentenversicherung hat dieses Paar (nach 40 Versicherungsjahren) einen Anspruch von zusammen 1 580 DM. Dagegen hat das Paar mit den drei Kindern nach einer Versicherungszeit von 40 Jahren (Mann) bzw. 20 Jahren (Frau) nur einen Anspruch von 1 240 DM.
Weitere Transfereinkommen sind für diese Rechnung praktisch ohne Belang, da sie entweder nur zur Entlastung erhöhter Leistungen beim Kinderaufziehen dienen (z. B. BAFöG, Krankenkasse) oder aus Mangel an Geld im Durchschnitt der Mehrkinderfamilie praktisch überhaupt nicht realisierbar sind (z. B. Sparförderung).
Im Endeffekt ergibt sich eine massive finanzielle Benachteiligung gerade derjenigen Paare, die durch ihre Kinder für die kollektive Alterssicherung sorgen.
Das Volk hat längst seine Konsequenz gezogen. „Wer Kinder hat, ist dumm." Das ist die Nutzen/Kosten-Analyse des Volkes. Dies ist eine, vielleicht die entscheidende Ursache der gegenwärtigen Kinderarmut bei uns.
In der Tat gelingt die „Spekulation auf die Kinder der anderen nur solange, als bloß einzelne so verfahren ziehen dagegen alle Eltern weniger Kinder auf, um ihnen [oder sich selbst] mehr bieten zu können, darin legen sie eben damit diesen Kindern die Belastung auf, von ihrem künftigen Einkommen die entsprechend höhere Quote abzuzweigen und an diese Eltern als Unterhaltsmittel für deren Lebensabend abzuführen" Kurz gesagt: für die Altersversorgung ist sowohl ein Sachkapital wie ein Humankapital erforderlich. Sind die Kinderzahlen bestandserhaltend — das wurde stets stillschweigend beim Renten-konzept angenommen! — und werden die Kinder so ausgebildet, daß sie eine Wirtschaft hoher Produktivität betreiben können, so ist freilich nur die Ansammlung eines ausreichenden Kapitals während des Erwerbslebens nötig, um die Rente zu gewährleisten. Fehlen jedoch Kinder, so werden im gleichen Maße Erwerbspersonen fehlen, wenn — 40 Jahre später! — die Renten beansprucht werden. Diese zusätzliche Last wird nach dem jetzigen System einfach auf die folgende Generation abgeladen. Die Generation der heute 20-bis 45jährigen zehrt an der Substanz des Humankapitals, sie konsumiert ohne ausreichende Vorleistung für die eigene Alterssicherung. Dies ist — im vorliegenden Zusammenhang — kein moralischer Vorwurf, sondern einfach ein grundlegendes wirtschaftliches Faktum, dem Rechnung getragen werden muß. „Die Finanzierung im Wege des Generationsvertrages führt zu der permanenten Versuchung, daß Leistungen versprochen werden, die von künftigen, zum Teil noch nicht geborenen Generationen bezahlt werden müssen, ohne daß mit der notwendigen Sorgfalt geprüft wird, ob diese Generationen damit nicht überbelastet werden. Künftige Generationen nicht überzubelasten, ist ein Gebot, dem man Verfassungsrang zuerkennen sollte.“ Und hier muß eine Warnung ausgesprochen werden: Meine Modellrechnungen zeigen, daß 20 Jahre einer Geburtenarmut wie gegenwärtig so horrende zukünftige Belastungen ergeben, daß es in der Folgezeit unmöglich wird, gleichzeitig die Alten anständig zu versorgen und irgendwann wieder dazu überzugehen, Kinder in bestandserhaltender Zahl (bei einem dann freilich bedeutend niedrigeren Volksbestand) aufzuziehen — die Kinderarmut wird dann zwangsläufig und bleibend, der Point of no return für dieses Volk ist dann erreicht! Ich hoffe, daß der Ernst dieser Warnung endlich die in der Verantwortung Stehenden aus ihrer Untätigkeit aufrütteln wird! Sollte Max Weber recht behalten mit dem Satz: „Der Wilde weiß von den sozialen und ökonomischen Bedingungen seiner eigenen Existenz unendlich viel mehr als der im üblichen Sinn Zivilisierte"? Makkenroth hat 1952 in einem berühmten Vortrag die, wie er sagte, sozialpolitische Großaufgabe des 20. Jahrhunderts aufgewiesen: „Die Lasten für das Aufbringen der jungen Generation, ohne die kein Volk und keine Kultur ihre Werte erhalten und tradieren können, müssen gerecht verteilt werden, so daß das Volk nicht durch eine falsche Verteilung dieser Lasten seinen Bestand gefährdet!" — Prophetische Worte. Eine heute noch unerfüllte Aufgabe — wenn wir sie nicht bis 1980 meistern, werden wir der Gefahr erliegen. 2. Gleichstellung der Frauen Hier ist eine Bemerkung zu den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts vom 12. März 1975 und vom 6. Juni 1978 erforderlich. Das Urteil von 1975 verpflichtet, bis 1984 das Hinterbliebenenrecht im Sinne einer Gleichbehandlung des Rentenanspruchs von Mann und Frau zu regeln. Das Urteil vom Juni 1978 besagt, daß die Rentenhöhe bei der Witwe niedriger ausfallen dürfe; denn die Rente des Mannes aus eigener Beitragsleistung ist Lohnersatz, die Rente der Witwe Ersatz der Unterhaltsleistung. Volk, Staat und Gesellschaft haben ein grundlegendes Interesse an ausreichendem und qualifiziertem Nachwuchs. Die Tätigkeit der Frau als Hausfrau und der Frau als Mutter sind jedoch vom Standpunkt von Staat und Gesellschaft nicht gleichwertig. „Das Aufbringen und Erziehen von Kindern ist . eine Leistung, die für die Gesellschaft . lebensnotwendig'im einfachsten Sinn des Wortes ist." Insoweit die Frau als Mutter Kinder aufzieht, ist daher ein gesetzlicher Renten-anspruch gegeben. Insoweit die Frau den Haushalt ihres Mannes führt, ist dies nicht der Fall; hier liegt ein privatrechtliches Verhältnis vor und daher hat ein privater Versorgungsausgleich einzutreten. Es kann keine eigenständige Hausfrauenrente geben, es muß aber eine Mutterrente geben! Sofern nach dem Tod des Mannes die Witwenrente aus dem Versorgungsausgleich zusammen mit selbsterworbener Rente unter dem Betrag der Mindestrente liegt, ist . eine entsprechende Auffüllung erforderlich, und zwar — der Klarheit wegen — finanziert aus Steuermitteln, nicht aus der Zwangsumlage des Solidarpaktes. Auf diese Weise verschwinden auch endlich die zahlreichen unzulänglichen Kleinrenten gerade bei den Frauen.
Eine vernünftige Höhe der Mutterrente ergibt sich, wenn für den nicht erwerbstätigen Elternteil bei einem Kind unter drei, bei zwei Kindern unter sechs oder drei Kindern unter zehn Jahren ein Rentenanspruch entspre- chend drei bzw.sechs bzw. zehn Versicherungsjahren mit dem durchschnittlichen Arbeitnehmereinkommen beitragsfrei aufläuft Dies würde jährliche Ausgaben von ca. 7 Mrd. erfordern. In Frankreich wird die Rente um 10 Prozent erhöht für Ehepaare, die mindestens drei Kinder aufgezogen haben-, Frauen, die fünf oder mehr Kinder aufgezogen haben, erhalten eine Zusätzliche Rente in Höhe der Grundrente für Arbeitnehmer, entsprechend ca. 1 000 DM mtl.
Zu prüfen bleibt schließlich, ob die generell frühere Inanspruchnahme der Rente durch die Frauen — die wegen ihrer höheren Lebenserwartung ohnehin viel länger von Rente leben — weiterhin zulässig ist. Vom verfassungsrechtlichen Standpunkt dürfte dieser Anspruch nicht mehr vertretbar sein. 3. Negative Rückkoppelungen als Faktoren zur Stabilisierung des Systems. Die bevölkerungsdynamische Rente
Es scheint so, daß unser zu perfektioniertes, aber eben doch nicht zu Ende gedachtes soziales Sicherungssystem im Endeffekt seine eigene Grundlage zerstört, nämlich eine ausreichende nachwachsende Generation, und sich damit selbst ad absurdum führt. Jüngst hat Wirtschaftsminister Graf Lambsdorff gesagt: „Mit Sorge beobachte ich eine Entwicklung, in der sich eine Vielzahl von isoliert betrachtet vernünftigen Beschlüssen zur Sozialpolitik zu einem Gesamtsystem addiert, das ein nicht mehl’ so vernünftiges Bild ergibt.“ Eine grundsätzliche Sanierung des Rentensystems ist nur durch eine Rückbesinnung auf seine Grundlage, die Solidarität der Generationen, möglich. Das erfordert zunächst Gerechtigkeit zwischen den Familien mit und ohne Kindern. Wenn man davon ausgeht, daß Humankapital (Kinder) und Sachkapital (Erwerbseinkommen) zur Realisierung der Alterssicherung in gleichem Maße beitragen so kann man zeigen, daß ein Kind im Durchschnitt 220 DM mtl. zur Rentenrealisierung beiträgt und dementsprechend in einem linearen Ansatz der Rentenbeitragssatz mit jedem Kind um 5 Prozent gesenkt werden müßte Ich komme damit nahezu auf den ursprünglichen Vorschlag Schreibers zurück, der folgende Beitragssätze forderte (zur Veranschaulichung setze ich den Satz für die Zwei-Kinder-Familie auf 20 Prozent an):
Schreiber Schmidt-1955 Kaier 1978 (für Ro = 0. 66)
Unverheiratete 40 °/o 31 % Verheiratete ohne Kinder 30 % mit 1 Kind 25-°/o 26 % mit 2 Kindern 20 0/0 21 % mit 3 Kindern 15% 16% mit 4 Kindern 10% 11 % mit 5 Kindern 5% 6 % mit 6 u. mehr Kindern 0 % 0% Sind beide Elternteile erwerbstätig, so haben auch beide die ihrem Arbeitseinkommen und der Kinderzahl entsprechende Rate zu leisten. Aus verfassungsrechtlichen Gründen dürfte die Staffelung des Beitragssatzes nach Kinderzahl nur beim Arbeitnehmeranteil zulässig sein.
Die Abschläge nach Schreiber sind höher, weil er kein Kindergeld vorsieht, was im Rahmen des Sozialsystems sicher konsequent ist. So horrend sie zunächst anmuten, spiegeln sie doch nichts anderes wider als die hohen wirtschaftlichen Aufwendungen, die Kinderaufziehen heutzutage erfordern.
Solidarität erfordert nicht nur Gerechtigkeit zwischen den verschiedenen sozialen Schichten einer Generation („quer"), sondern auch Gerechtigkeit zwischen den aufeinanderfolgenden Generationen („längs"). Kinder hat man aufzuziehen im Durchschnitt bei einem Alter von 35 Jahren, Rente verbraucht man im Durchschnitt bei einem Alter von 70 Jahren. Damit erfordert die Solidarität zwischen den Generationen, daß der aus der gegenwärtigen Geburtlichkeit vierzig Jahre voraus berechnete Renten-Belastungsquotient heute vorweg angewendet wird. Denn die gegenwärtige Generation potentieller Eltern ist verantwortlich für die gegenwärtige Geburtlichkeit und damit für die Belastung der kommenden Generation in 40 Jahren. Der Ausgleich kann nur geschehen durch eine nach der Kinderzahl gestaffelte Entlastung im Rentenbeitrag der Erwerbstätigen; denn ein direkter Transfer von Einkommen über 40 Jahre hinweg ist nicht möglich. Ich habe dieses Konzept als bevölkerungsdynamische Rente bezeichnet, und zwar deswegen, weil die sich ergebende erhebliche finanzielle Entlastung von Familien mit Kindern zu einer Anhebung der Geburtenhäufigkeit und in.der Folge damit wieder zu einer Senkung der vorausberechneten Rentenlastquote führen dürfte. Das aber führt dann seinerseits zu einer Minderung der Kinderabschläge im Rentenbeitrag und damit vermindertem Interesse an mehr Kindern. So entsteht durch diese negative Rückkoppelung der Kinderabschläge im Rentenbeitragssatz an die Nettoreproduktionsrate Ro ein echter und steuerbarer Regelkreis. Die bevölkerungsdynamische Rente führt also mit ihrer (negativen) Rückkoppelung einen Regelmechanismus ein, der 1. nicht nur die Wirtschaftsdynamik, sondern auch die Bevölkerungsdynamik ordnungspolitisch und völlig objektiv berücksichtigt, 2. Gerechtigkeit zwischen Erwerbstätigen mit oder ohne Kindern schafft, und 3. echte Solidarität zwischen den Generationen wiederherstellt.
Begründet man auf der Entlastung der Familie im Hinblick auf die Leistung der Mutter mit dem Aufziehen der Kinder eine durch die Solidargemeinschaft aufgebrachte Mutterrente, so ist auch ein entscheidender Schritt zur Gleichstellung der Frau im Rentenbereich getan.
übrigens hat bereits Schreiber in seiner grundlegenden Arbeit gesagt, daß der fundamentale Mangel von Kindergeld und Kinder-beihilfe in ihrer Form als Zuwendungen an die Eltern bestehe, während es sich doch eigentlich um eine Zurückverlegung von Einkommen aus dem Arbeitsalter in die Kindheit handelt: „Nicht seine Eltern werden mit einer Zeugungsprämie’ belohnt, sondern das Kind selbst erhält ein Vorschußeinkommen. Das ist der wahre Sachverhalt." Schreiber schlug daher die Jugendrente vor: Jedes Kind hat bis zum 20. Jahr Anspruch auf eine Unterhalts-rente in Höhe von etwa 7 Prozent des Arbeitseinkommens des Ernährers. Jeder Erwerbstätige ist verpflichtet zur Rückerstattung dieser Vorschußrente; die Erstattungssätze staffeln sich nach der Kinderzahl
'Die bevölkerungsdynamische Rente unterscheidet sich allerdings von den Vorschlägen Schreibers, Oeters und von Nell-Breunings durch die Einbeziehung der Dynamik des Bevölkerungsprozesses auch als abhängige Variable und durch den Rückkoppelungsgedanken. Es ist 'bemerkenswert, daß die Sanierungsvorschläge von Molitor (z. B. die Selbstbeteiligung in der Krankenversicherung) im Effekt ebenfalls stets auf Einführung negativer Rückkoppelungen abzielen. Auch die Zwei-jahresfrist der Rentenanpassung hatte einst den Gedanken antizyklischer Steuerung zur Grundlage; man sollte diesen Gedanken bei der Neuordnung des Rentensystems in verbesserter Form wieder zum Tragen bringen. Die Koppelung der Kinderabschläge im Rentenbeitragssatz an die Nettoreproduktionsrate aktualisiert den sehr langfristigen Bevölkerungsvorgang und wirkt ebenfalls antizyklisch, wenn auch in einem viel längeren Zyklus. Man kann erwarten, daß dabei auch dje starken Schwankungen der Geburtenraten gedämpft werden, die letzten Endes für so viele tiefgreifende Umstellungen in Wirtschaft und Gesellschaft verantwortlich sind und damit für so viele schwere persönliche Schicksale; man denke nur an die wachsende strukturelle Arbeitslosigkeit der Lehrer und den gleichzeitigen Numerus Clausus trotz massiven Hochschulausbaus.
Schattat hat gegen die Kinderabschläge am Rentenbeitrag eingewendet, daß 1. Kindergeld den gleichen Entlastungseffekt erziele wie ein niedrigerer Rentenbeitrag, aber viel eher als kinderbezogene Leistung wahrgenommen werde und technisch (im Zeitalter des Elektronenrechners?) einfacher durchführbar sei, 2. Entlastung nur für Rentenversicherte eintrete, wogegen Selbständige und Beamte leer ausgingen.
Uber 80 Prozent der Altersversorgten beziehen eine gesetzliche Rente; man erreicht also weitaus die Mehrzahl. Ferner kann und soll genau der gleiche Abschlag in die Ortszuschläge der Beamten eingebaut werden. Für die Selbständigen kann analog ein Steuerfrei-betrag eingeführt werden.
Die Transparenz des Kindergeldes wird stark überschätzt. Eine infas-Repräsentativumfrage (November 1978) ergab, daß die ungefähre Höhe des Kindergeldes beim ersten Kind nur der Hälfte der Befragten, beim zweiten Kind nur noch jedem Fünften bekannt ist. „Verursacht wird dieser relativ geringe Kenntnisstand unter Umständen durch den Zahlungsmodus; für alle Kinder wird die Gesamtsumme im Zweimonatsrhythmus überwiesen, d. h.der Einzelbetrag pro Kind und Monat ist nicht sichtbar." Gewiß, es ist nicht die primäre Aufgaben der Rentenversicherung, generatives Verhalten indirekt zu beeinflussen, sondern Sicherheit im Alter zu gewährleisten. Diese hängt aber notwendig von der Existenz einer ausreichenden jungen Generation ab; daher sind Kinderabschläge im Rentenbeitrag gegenüber dem Kindergeld nicht nur deutlicher, sondern auch — weil sie für Kinderlose zu Zuschlägen werden — einleuchtender. Sie entsprechen genau dem funktionalen Zusammenhang von Altersversorgung und Kinder-aufziehen und machen ihn unmittelbar evident.
Wichtig ist auch, daß die Familie nicht administrativ und gesellschaftlich diskriminiert wird, indem man ihr großmütig „Zuwendungen" gewährt, sondern daß der Abschlag vom Rentenbeitrag klar und deutlich die Leistung der Familie durch Kinder hervortreten läßt. Psychologisch bedeutsam scheint mir schließlich, daß durch die Zuschläge für Kinderlose bereits die Aufwandsmöglichkeiten des normalerweise doppelverdienenden jungen Ehepaars erheblich reduziert sind. Die jungen Paare können sich gar nicht erst an die Konsum-Norm des vollen zweifachen Einkommens gewöhnen. Wenn nun ein Kind, geboren wird, so wird es weit weniger als Kostenfaktor spürbar werden, zumal wenn familien-politische Starthilfen wie Geburtsbeihilfen und Familiendarlehen hinzutreten. Der soge-nannte „Ein-Kind-Schock" der die ursprünglichen Kinderwünsche junger Mütter mit dem Erscheinen des ersten Kindes stark reduziert, ist die Umschreibung der Tatsache, daß die Eltern nach der ersten Geburt lernen, wieviel Kosten, Mühen und Verzichte ein Kind zunächst erfordert. Dieser Erst-Kind-Schock würde, soweit er finanziell bedingt ist weitgehend weggedämpft. * 4. Alternativen: Umlage oder Kapitalisierung? Welche Alternativen bestehen im Familienlastenausgleich zur bevölkerungsdynamischen Rente?
1. Eine Erhöhung des Kindergeldes um 20 oder sogar 50 DM mtl. bewirkt nichts (Man muß klotzen, nicht kleckern).
Soll in der gegenwärtigen wirtschaftlichen und geistigen Situation etwas bewegt werden, so muß für die Zwei-und Dreikinderfamilien der Ausgleich für die Kosten des Kinderaufziehens — nicht aber für den ausfallenden Doppelverdienst — erreicht werden. Das sind rund 400 DM mtl. (der Mindestsatz der Sozialbeihilfe beträgt für ein Kind derzeit rund 310 DM). Die entsprechende Erhöhung des Kindergeldes um ca. 250 DM mtl. bedeutet im Bundeshaushalt einen Betrag von über 47 Mrd. DM
2. Die Einführung eines Erziehungsgeldes von 350 DM mtl. für Kinder unter sechs Jahren bedeutet bereits bei der gegenwärtigen Geburtenrate eine zusätzliche Ausgabe von 12 Mrd. DM im Bundeshaushalt. Sollte sie dahingehend wirken, daß die Geburtenrate auf diejenige stationärer Bevölkerung steigt, so ergäbe sich eine Ausgabe von 19 Mrd. DM.
3. Die Einführung eines Steuerfreibetrages von 4 900 DM pro Kind entspricht gerade dem Mindestsatz der Sozialhilfe von rund 3 700 DM jährlich bei einem Mindeststeuersatz von 22 Prozent. Sie ergibt eine Belastung von 22 Mrd. DM.
Zweifellos sind so hohe zusätzliche Belastungen des Bundeshaushaltes nicht leicht realisierbar. Sie sind wohl nur im Rahmen einer Großen Steuerreform zugleich mit einer Bereinigung der Transfereinkommen denkbar. Die Sparförderung durch den Bund, deren Sinn in unserer wirtschaftlichen Lage vom Bundeskanzler selbst in Zweifel gezogen wur-de, schluckte 1977 immerhin 17 Mrd. DM. Der Abschlag für Kinder im Umlageverfahren der Rentenversicherung ist dagegen kostenneutral.
Es dürfte sogar zu einer erheblichen Entlastung der öffentlichen Haushalte in der Sozialhilfe führen. Trotz steigenden allgemeinen Wohlstandes haben sich nämlich die Sozialhilfeleistungen in den letzten zehn Jahren auf 11 Mrd. verfünffacht. Ursache dieses Paradoxons ist jedoch im wesentlichen die Tatsache, daß heute bereits eine Zweikinderfamilie mit 2 000 DM mtl. Bruttoeinkommen an der Sozialhilfeschwelle liegt.
In jedem Falle ist eine Umverteilung großen Stils erforderlich.
Exkurs: Im Prinzip scheint es möglich, vom Umlageverfahren ab-und zur Kapitaldeckung überzugehen. Die erforderlichen, langfristig anzulegenden Deckungsreserven würden jedoch die immense Höhe von 2 000 Mrd. DM allein für die laufenden Renten erreichen. Sie würden die Politiker in die permanente und unwiderstehliche Versuchung führen, die Reserven mindestens teilweise kurzfristig zu verpulvern. Ihre Anlage müßte beim heutigen Lohnniveau im wesentlichen im Ausland erfolgen, womit wieder ihre langfristige Sicherheit leiden würde. Sie müßten abgeschmolzen werden genau in dem Zeitpunkt, in dem es zur Kompensation für das geringer werdende Arbeitsangebot gerade auf Investition ankommt. „Das wäre unverhüllter wirtschaftlicher Selbstmord." Das Umlageverfahren ist also nicht ersetzbar. Unberührt bleibt davon die Feststellung, daß eine Stärkung der Säulen III (Betriebsrenten) und IV (Lebensversicherungen aller Art) wünschenswert ist, um durch Streuung die Risiken zu mindern und die Finanzierung stärker von der Lohn-quote auf den Kapitalertrag zu verlagern.
Im Prinzip scheint es ebenso möglich, die kommenden Folgen des Bevölkerungsrückgangs aufzufangen, indem jetzt Kapital angesammelt wird. Die obige Kritik trifft auf eine solche Politik Punkt für Punkt zu. Letzten Endes bedeutet sie eine rein reaktive Politik, ein Kurieren an Symptomen mit unsicheren Mitteln, anstatt eine Wurzelbehandlung der Ursachen.
Eine dauerhafte und wesentliche Verbesserung der langfristigen Aussichten für die finanzielle Lage der gesetzlichen Rentenversicherung ist — wie auch die detaillierte Dis-kussion von Glaab zeigt — nur durch eine Zunahme der Fruchtbarkeit von sehr beträchtlichem Ausmaß zu erwarten.
Es kann nicht Aufgabe dieses Aufsatzes sein, die vielfältigen und tiefgehenden volkswirtschaftlichen Auswirkungen des langfristigen Bevölkerungsrückgangs einerseits und bevölkerungspolitischer Maßnahmen wie der bevölkerungsdynamischen Rente andererseits eingehend zu untersuchen. Eine Tagung des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung hat sich jüngst ausschließlich mit dem Thema „Bevölkerung und Wirtschaft" beschäftigt Dabei sind zum Teil völlig konträre Auffassungen und Aussagen hervorgetreten. Mir scheint, daß diese Widersprüche zu einem erheblichen Teil auf Mißverständnissen beruhen, da die jeweils ins Auge gefaßten Zeithorizonte sehr verschieden sind: der Normalhorizont des Politikers ist — leider — die Legislaturperiode von vier Jahren; der Wirtschaftswissenschaftler begrenzt seine Aussagen meist auf eine Dekade; im Arbeitsmarkt, im Bildungswesen, in der Regionalplanung beginnen die Aussagen bei einem Horizont von zwei Dekaden zu verblassen; die Versicherungswirtschaft blickt etwa drei Dekaden oder eine Generation voraus; die Bevölkerungswissenschaft sucht Aussagen über mehrere Generationen. Wir wollen uns hier auf diesen langfristigen Aspekt konzentrieren. 5. Volkswirtschaftliche Auswirkungen des Geburtenrückgangs und bevölkerungspolitischer Maßnahmen
Unbestritten ist, daß starke Schwankungen des Bevölkerungsprozesses zu enormen Anpassungsproblemen des Wirtschafts-und Sozialsystems führen; dies gilt für rapides Bevölkerungswachstum ebenso wie für rapiden Schwund. „Je länger ein Geburtenrückgang anhält, um so negativer ist er zu bewerten — entscheidend ist hier, daß die Vorteile (erhöhte Sparmöglichkeiten) zeitlich vor den Nachteilen (verminderte Zugänge im Erwerbs-potential) kommen." Langfristig ist die gesamte Versorgungslast der Erwerbstätigen für den inaktiven Anteil bei etwa stationärer Bevölkerung am kostengünstigsten Unbestritten ist ferner, daß aus schrumpfender Bevölkerung wachsende Umstellungsnotwendigkeit und zugleich sinkende Umstellungsfähigkeit resultiert Auch aus diesem Grund ist also eine Verminderung und Verstetigung von Ausmaß und Tempo des Geburtenrückgangs wünschenswert.
Gölter schätzt die Einsparungen an öffentlichen Ausgaben bereits bis 1990 auf 135 Mrd. Wahrscheinlich ist, daß auch die private Sparquote durch den Geburtenrückgang bereits zugenommen hat und weiter zunehmen wird, weil bei niedrigerer Kinderzahl die Sparmöglichkeiten größer sind. „Ob einer steigenden Sparquote abr die zum Ausgleich erforderlichen Investitionen gegenüberstehen, sei fraglich, da eine Reihe von Investitionsanlässen bei abnehmender Bevölkerung wegfielen ...
Um dies nicht zu einem kumulativ-depressiven Prozeß führen zu lassen, müßte die Wirtschaftspolitik eigentlich dafür sorgen, daß der zunehmenden Ersparnis eine entsprechend zunehmende Investition gegenübersteht. Das bedeutet, daß bei schrumpfender Bevölkerung für wirtschaftliches Gleichgewicht ceteris paribus ein höheres Wirtschaftswachstum erforderlich ist als bei wachsender Bevölkerung ... Dafür sei ein Abbau der Sparförderung ins Auge zu fassen ... Aber auch eine Umverteilungspolitik durch eine verbesserte Familienpolitik sei bei einer abnehmenden Bevölkerung wirtschaftspolitisch zweckmäßig, weil Familien mit Kindern notwendigerweise eine niedrigere Sparquote hätten als kinderlose Doppelverdiener."
Haben wir genug Arbeitsplätze für die beim Umlageverfahren als etwa stabil vorausgesetzte Bevölkerung? Die klassische Theorie (Keynes, Kuznets) hegt keine Zweifel, daß gerade umgekehrt ein mäßiges Bevölkerungswachstum notwendige Vorbedingung für ein kräftigäs Wirtschaftswachstum ist. Obgleich darüber heute nicht mehr ungeteilte Einigkeit besteht, wird doch festgestellt daß auch in entwickelten Volkswirtschaften Konstellationen jedenfalls nicht auszuschließen sind, nach denen ein Geburtenrückgang Arbeitslosigkeit verursacht.
Die heutige deutsche Volkswirtschaft ist jedenfalls stark abhängig von einem expandierenden Weltmarkt, dem eine im Weltmaßstab stark wachsende Bevölkerung zugeordnet ist. Es ist nicht auszuschließen, daß unsere extrem starke Exportabhängigkeit (d. h. Abhängigkeit von Wirtschaften mit wachsenden Bevölkerungen) eine im eigenen Lande bereits anzutreffende bevölkerungsbedingte Schrumpfung der Wirtschaft verdeckt.
Tatsache ist, daß mindestens seit 1750 jeder Schritt des Wirtschajtswächstums von einem Schub des Bevölkerungswachstums begleitet war. Vielleicht muß daher die Frage umgekehrt werden: Haben wir in einer schrumpfenden Bevölkerung genug Konsumenten für eine wachsende Wirtschaft? Mehrkinderfamilien und Jugendliche sind starke Konsumenten, deren Ausfall zunächst Nahrungsmittel-produzenten, Textilindustrie, dann Wohnungsbau und tertiäres Beschäftigungssystem bremst bzw. zu kostspieligen Umstrukturierungen zwingt. In den unterstrukturierten ländlichen Räumen erscheinen Investitionen zur Verbesserung der Infrastruktur bei abnehmender Bevölkerung sinnlos. Bestandserhaltende Kinderzahlen stellen eine wichtige Wachstumskomponente der Wirtschaft dar, und zwar auch aus psychologischen Gründen (die Firma Mercedes Benz drosselt ihre Produktion im Hinblick auf die Bevölkerungsentwicklung trotz jahrelanger Lieferfristen).
Zur Zeit beobachtet man erhebliche Jugend-arbeitslosigkeit infolge des Kinderreichtums der frühen sechziger Jahre, der zusätzlich 1, 5 Mio. Arbeitsplätze bis 1985 erfordert. Gleichzeitig stellen Frauen mehr als die Hälfte der Arbeitslosen; viele davon suchen nur Teilzeitarbeit, vor allem „eben jene Frauen, die vor einigen Jahren noch Kinder zur Welt gebracht und großgezogen hätten, jetzt aber zusätzlich auf den Arbeitsmarkt drängen". Hatzoldt und Borgböhmer haben daher fi45 nanzielle Zuwendungen für nichterwerbstätige Mütter mit Kleinkindern gefordert. Der Entlastungseffekt auf den Arbeitsmarkt wird von Borgböhmer auf ca. 390 000 Arbeitsplätze (rd. 40 Prozent der in Frage kommenden Frauen) geschätzt.
Ein Arbeitsloser kostete den Staat durch Arbeitslosengeld, Steuerausfall, Rentenbeitragsausfall usw. insgesamt 18 510 DM pro Jahr (Stand 1975). Eine Million Arbeitslose kosten demnach derzeit (1978) ca. 22 Mrd. DM. Wenn durch familienpolitische Maßnahmen Erfolge im gleichen Maße wie in der DDR im Vergleich der Jahre 1978/1974 erzielt würden, so würden als Folge davon 170 000 pro Jahr zusätzlich freiwerdende Arbeitsplätze besetzt werden können und damit bereits in einem Jahr eine Ersparnis von rund 3, 5 Mrd. DM und im stationären Zustand bei 390 000 zusätzlichen Arbeitsplätzen eine jährliche Ersparnis von rund 8 Mrd. DM eintreten.
Borgböhmer geht von einer Beihilfe von 300— 400 DM mtl. aus, etwa entsprechend dem Kinderabschlag vom Rentenbeitrag bei zwei Kindern, und berechnet damit ein positives Saldo für den Staat. Darüber hinaus ist kurzfristig eine Entlastung des höheren Bildungssystems und mittelfristig eine gleichmäßigere Auslastung von Kindergarten-und Schulsystem zu erwarten. Auch dem nach 1990 erneut aufkommenden, dann aber sehr langfristigen und unablässig wachsenden Mangel an Arbeitskräften wäre entgegengewirkt. Der einzige triftige Einwand gegen dieses, nun ansatzweise von der Bundesregierung erprobte Modell könnte lauten: „Die Frauen werden als Reservearmee der Industrie behandelt, die man ins Gefecht wirft oder herauszieht, je nachdem, wie die wirtschaftliche Lage es gebietet". Ich glaube, daß dies nicht zutrifft: Alle Umfragen haben übereinstimmend gezeigt, daß der Kinder-wunsch größer ist als die verwirklichte Kinderzahl — gerade auch heute. Viele Frauen wären glücklicher, wenn sie von Berufsarbeit zeitweise unbelastet sein würden und sich als Mutter ihren Kindern widmen könnten. In der Wahlfreiheit auch für das Kind vollendet sich erst die Emanzipation der Frau. 6. Bevölkerungspolitische Wirksamkeit Wird die Maßnahme denn auch wirken? Denjenigen, die die Bevölkerungsentwicklung auf keinen Fall auch als ein Problem ökonomischer Fehlsteuerung erkennen wollen, müßte die DDR ein mahnendes Beispiel sein. Anfängliche zaghafte Förderung blieb erfolglos. Aber nun beobachtet man massive Geburtenzunahme infolge massiver ökonomischer Hilfen an die Familien. Dabei war 1976 die Geburtenzunahme zu 82 Prozent, 1977 zu 91 Prozent auf verändertes generatives Verhalten zurückzuführen 1978 hat — den unentwegten Zweiflern zum Trotz — sich der Trend nach oben weiter fortgesetzt. Die Geburtenzunahme erfolgte fast ausschließlich bei zweiten und weiteren Kindern; 80 Prozent dieser Mütter ließen sich von Berufstätigkeit freistellen. Ähnliches wird aus anderen Ostblockstaaten, z, B. Rumänien, berichtet Wenn argumentiert wird, daß in Frankreich, dem westlichen Industriestaat mit der stärksten Familienförderung, deren Effekt nur auf 0, 2 Kinder pro Ehe zu schätzen sei und seit 1973 ebenfalls ein sehr deutlicher Geburtenrückgang einsetzte, so muß zweierlei beachtet werden: 1. Der Rückgang setzte ein von einem (vermutlich dank dieser Maßnahmen) wesentlich höheren Niveau; dieser Effekt entspricht zusätzlich 0, 2 Kindern/Ehe.
2. „Die Familienbeihilfen sind deutlich langsamer als die Einkommen gestiegen... Es beweist, daß eine Politik zur Unterstützung der Geburtenziffer massiv sein muß, wenn sie wirksam sein soll." 1. Ist eine aktive Bevölkerungspolitik zulässig?
Wir haben soeben eingehend Fragen der Solidarität und Gerechtigkeit zwischen den sozialen Schichten ein und derselben Generation und zwischen den aufeinanderfolgenden Generationen diskutiert. Dies sind im Grunde sozialethische Fragen. Wie aber steht es mit der Frage nach der Legitimation einer aktiven Bevölkerungspolitik? Sie ist in den letzten Jahren oft diskutiert worden „Maßnahmen und Mittel der Bevölkerungspolitik müssen in jedem Fall Würde und Verantwortung des Menschen und das Recht der Paare, ob sie ein Kind haben wollen oder nicht, re-
VI. Ethisch-moralische Aspekte
spektieren." Darüber sind sich alle einig. „Damit verbleiben nur die Möglichkeiten einer Rahmensteuerung, also einer bevölkerungspolitischen Ordnungspolitik."
Dagegen hat man — in Überspitzung scheinbar liberaler Positionen — eingewendet, daß die Entscheidung zum Kind in der Sphäre der Familie bleiben müsse und nicht durch Orientierungsdaten in Richtung einer optimalen Bevölkerung ersetzt werden dürfe. Der erste Teil des Satzes ist richtig; aber ebenso unbestreitbar ist, daß für viele Familien aus wirtschaftlichen Gründen die Entscheidung frei ist nur noch gegen, ein Kind, aber nicht mehr für ein Kind. Beweis dafür ist das natürliche Verlangen nach Kindern, nachgewiesen auch durch Dutzende von Umfragen in den letzten Jahren, bei denen jedes Mal der Kinderwunsch die erreichte Kinderzahl im Durchschnitt weit übersteigt. Der zweite Teil des Satzes ist falsch; denn bei aller individuellen Freiheit ist eine Gesellschaft, die sich ständig Ordnungsbedingungen des Marktes und wirtschaftliche Richtgrößen setzt, veranlaßt, im Zeichen der Pille (d. h.der vollen, frei belassenen Steuerbarkeit des generativen Grundvorgangs) auch den Bevölkerungsprozeß innerhalb gewisser Grenzen durch gesellschaftliche Rahmenbedingungen zu steuern. Verzichtet die Regierung auf solche ordnungspolitischen Maßnahmen, so legt sie das Steuer — ob gewollt oder ungewollt — in Richtung einer ganz bestimmten Bevölkerungspolitik: der des sterbenden Volks. 2. Kollektive Güter in der Sozialethik Eine Sozialethik, die diesen Namen verdient, muß Entscheidungen ins Auge fassen, die zur Folge haben, daß die Gesamtheit der individualethisch motivierten Entscheidungen nicht zum Zerfall, sondern zum größtmöglichen Wohl des Ganzen führt. Nun gibt es kollektive Güter wie z. B. das Recht, die Polizei und das Verteidigungswesen, die jedem Mitglied der Gesellschaft zur Verfügung stehen, auch wenn es dazu keinen individuellen Beitrag liefert. Der einzelne wird daher in diesen Bereichen eine möglichst geringe Belastung suchen. Die Gesellschaft erzwingt in allen diesen Fällen den Beitrag des einzelnen durch staatliche Rahmenregelungen, z. B. Steuern und Einberufung zum Militär. Es ist daher ein Fehlschluß, wenn Heinrichs behauptet, daß Bevölkerungspolitik in einem demokratisch verfaßten Rechtsstaat nicht zu rechtfertigen sei, da das damit angestrebte Allgemeinwohl allein vom Bedürfnis in den Wertvorstellungen des einzelnen begründet sein müsse. „Bevölkerungspolitik steht z. Z. nicht hoch im Kurs. Wer die primitive Wahrheit ausspricht, daß Bevölkerungswachstum wünschenswert, Bevölkerungsschwund tief bedauerlich ist, wird heute von einer Meute sich modern gebärdender Kritiker als Reaktionär angeprangert oder als Finsterling diffamiert." So Schreiber 1955 (!).
Man übertreibt gewiß nicht, wenn man die Diskussion zur Bevölkerungspolitik in Deutschland als verklemmt bezeichnet. Es wäre erfreulidh, wenn in diese Diskussion ein wenig von der schlichten Natürlichkeit und Unbefangenheit eingebracht würde, mit der etwa französische Sozialexperten nach dem dritten Kind rufen oder polnische Bischöfe vor einem „Selbstmord der Nation" warnen.
Heute stellt sich für uns das Problem nach der Legitimität aktiver Bevölkerungspolitik nämlich nicht mehr abstrakt-theoretisch oder unter der Hypothek von Hitlers Vorstellungen, sondern angesichts eines jetzt zehnjährigen, nie und nirgends bisher beobachteten Geburtenrückgangs als die Existenzfrage unseres Volkes.
Darüber hinaus besitzen die erforderlichen Maßnahmen unabhängig von allen bevölkerungspolitischen Überlegungen ihr Recht in der Wiederherstellung des sozialen Ausgleichs und ihren Wert im Sinne einer guten Familienpolitik. Der Orientierungsrahmen '85 der SPD sagt aus (§ 2. 3. 2): „Größere Verteilungsgerechtigkeit ist nicht nur ein Wert in sich selbst, sie trägt auch zur größeren sozialen Stabilität und einer besseren demokratischen Entwicklung bei und schafft damit notwendige Bedingungen für eine erfolgreiche Wirtschafts-und Gesellschaftspolitik. Dies gilt insbesondere in Zeiten verminderten Wirtschaftswachstums."
VII. Forderungen an eine Neuordnung des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung
Sobald die nächsten drei Jahre durchgestanden sind, sind Finanzierungsschwierigkeiten der Renten mittelfristig nicht zu erwarten, um dann langfristig jedoch um so gewaltiger zu werden. Alles kommt deshalb darauf an, in einen solchen Atempause Kraft zu Schöpfen, das heißt eine nicht von den Zwängen — oder Verlockungen — des Augenblicks diktierte, sondern langfristig tragende Konzeption der Rente zu realisieren.
Fassen wir daher zusammen, welche Forderungen an eine wirksame Sanierung des Rentenproblems zu stellen sind. Zunächst auf keinen Fall weitere Flickschusterei, kein Kurieren an Symptomen, kein Herumschieben in der Finanzierung! 21 Rentenanpassungsgesetze und fünf Sanierungspläne in den letzten zwei Jahren sind genug. Die dynamische Rente, so wie sie von Schreiber 1955 konzipiert wurde, ist gut — hätte man sein Konzept befolgt und nicht von Anfang an in dessen Verwirklichung so viele Fehler eingebaut. Es wird sich also um eine Rückkehr zu den großen Linien Schreibers, um eine vollständige und tiefgreifende Reform handeln müssen, und'ihre Maßstäbe werden gegeben sein durch drei Kriterien: b) Stabilität; denn nur so ist Sicherheit auf Dauer zu gewährleisten; c) Transparenz; denn nur durch Klarheit der Finanzen wird wieder Vertrauen wachsen und werden Fehler im System rechtzeitig erkannt.
Im Blick auf diese Kriterien ergeben sich folgende Forderungen: 1. Rückkehr zu Schreibers Solidarpakt der drei Generationen unter Einführung der Rückkoppelung an den Bevölkerungsprozeß (d. h.der bevölkerungsdynamischen Rente) mit dem Effekt der Gleichstellung der Frau als Mutter. Hier liegt die krasseste Ungerechtigkeit und zugleich der langfristig weittragendste Fehler des gegenwärtigen Systems. Daher Anerkennung von Zeiten der Kindererziehung als Versicherungszeiten unter Übernahme der Beitragspflicht bei deutschen Kindern durch den Staat. 2. Rückkehr zum versicherungstechnischen Äquivalenzprinzip: Leistung = Gegenleistung. Im „Generationenvertrag" der dynamischen Rente wird die Äquivalenz zwischen den Generationen nicht in Geld, sondern in Lebensarbeitszeit berechnet. a) Saubere Trennung der Reform der Sozialversicherung von allen Maßnahmen der Sozialfürsorge (Rente nach Mindesteinkommen, Ausfallzeiten).
Der Arbeitnehmer ist nicht mehr der „sozial Schwache", er repräsentiert heutzutage den Durchschnitt und kann schon deswegen nicht unter dem Durchschnitt liegen. Die Altersrente ist ein Rechtsanspruch gegen die Solidargemeinschaft, keine freie Fürsorge durch den Staat. Die berechtigten Ansprüche etwa der Kriegsopfer dürfen daher nicht aus der Umlage des Rentenversicherungssystems gedeckt werden, sondern aus Zuschüssen des Bundes. b) Die Kinderabschläge bei den Sozialbeiträgen stellen keinen Widerspruch zum Äquivalenzprinzip dar (so bereits Schreiber sie verwirklichen es vielmehr erst, indem sie die zunehmend wachsende Rolle des Humankapitals berücksichtigen. c) Revision der 1972 eingeführten, dem Äquivalenzprinzip widersprechenden Leistungs-Verbesserungen (flexible Rente, Öffnung für Selbständige usw.) und Kostenneutralität sämtlicher zukünftiger Leistungsverbesserungen. 3. Einbau wirksamer, stabilisierender, negativer Rückkoppelungen, um ein Ausufern des Systems zu vermeiden und seine Selbststabilisierung zu fördern. Auch eine Verstärkung der Selbstverwaltung der Rentenversicherungen dürfte in diese Richtung wirken. 4. Rückkehr zum echten, einfachen Umlage-verfahren unter Verzicht auf die 1957 eingeführte komplizierte Finanzierungsweise, die Überschüsse vortäuschte, wo keine sein können. Rückkehr zur echten Produktivitätsrente, orientiert am wahren durchschnittlichen Verfügungseinkommen der Erwerbstätigen (d. h. Lohn abzüglich Steuern, gesetzlicher Renten-, Arbeitslosen-und Krankenversicherungsbeitrag, zuzüglich Transfereinkommen wie Wohngeld, Sparförderung, BAFÖG etc.). Die langfristige Festlegung des optimalen Nettorentenniveaus, etwa auf 50 bis 60 Prozent (die Beamtenpension von 75 Prozent entspricht bei einer Versteuerung von 22 Prozent einem Niveau von 58 Prozent) wird dem Gesetzgeber leichter fallen, wenn der direkte Zusammenhang mit dem Rentenbeitragssatz und damit mit der zumutbaren Höhe der Belastung der Erwerbstätigen durch eine neutrale Stelle wie das Statistische Bundesamt aufgewiesen wird. 5. Endgültige Anpassung und Gleichstellung der sogenannten Bestandsrenten; parallel laufende Neuordnung der Alterssicherung der Beamten (Zuschläge) und der Selbständigen (Freibeträge) unter Berücksichtigung von Punkt 1.
Eine Neuordnung in diesem Sinne würde der Rentenversicherung wieder Klarheit und Sicherheit verleihen. Die alternden Menschen und die Erwerbstätigen müssen wieder Vertrauen finden, daß die Zukunft für sie alle Sicherheiten bietet. Spätestens an dieser Stelle wird erkennbar, daß unsere Diskussion nicht nur eine materielle, sondern auch eine ethische Dimension besitzt.
Herrn Prof. G. Heubeck und Frau Dr. Gf. Gastell gilt mein besonderer Dank für freundliche Durchsicht des Manuskripts. Den Herren Dipl. -Volksw. W. Hüttche, H. -H. Schmidt-Kempten MdB und Ministerialdirektor Dr. W. Tegtmeier vom BMA danke ich für aufschlußreiche Gespräche.