Der Liberalismus als eine politische Bewegung ist niemals an einem derartig eindeutigen politisch-gesellschaftlichen Programm orientiert gewesen, wie wir dies von modernen politischen Bewegungen vergleichbarer Art, insbesondere vom Sozialismus und vom Marxismus-Leninismus, kennen. Seine Konturen waren nie scharf ausgeprägt, und seine Anhängerschaft ragte einerseits weit in das Lager sozialkonservativer Gruppen der Gesellschaft hinein, andererseits berührte, ja identifizierte sie sich mit der radikalen Demokratie und zu Teilen selbst mit dem rechten Flügel der sozialistischen Arbeiterbewegung. Heute, so darf man sagen, haben alle politischen Parteien in den demokratischen Staaten der westlichen Welt soviel an traditionellem liberalen Gedankengut in sich aufgenommen, daß das Profil der Liberalen als einer selbständigen politischen Partei sich nicht mehr so eindeutig bestimmen läßt, wie dies bis in die dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts hinein der Fall war. Gerade deshalb ist es sinnvoll, im Rückblick auf die Geschichte des Liberalismus das Wesen und den Wandel der liberalen Idee genauer zu bestimmen.
Die Geschichte des deutschen Liberalismus ist auf lange hinaus eine Geschichte der Frustration und des Scheiterns gewesen. Wie Georg Faber mit Recht festgestellt hat, hat es in Deutschland niemals eine Epoche des Liberalismus gegeben. Der „Liberalismus als regierende Partei" blieb eine auf wenige süddeutsche Staaten beschränkte Episode, und die „liberale Ära" von 1867 bis 1879 hat den Liberalen bestenfalls die Möglichkeit gegeben, ein Sprungbrett für eine künftige Durchdringung der deutschen Gesellschaft mit liberalen Grundsätzen zu schaffen. Doch schon mit dem Übergang zur Ära der Hochschutzzölle und der Sammlungspolitik Ende der siebziger Jahre stellten sich solchen Bemühungen nahezu unüberwindliche Hindernisse entgegen. Gleichwohl hat der Liberalismus in allen seinen Spielarten wesentliche Grundlagen für die Entwicklung einer industriellen Gesellschaft gelegt und zugleich in gewissem Sinne die Begründung einer deutschen Nation, als einer politischen Einheit in einem gemeinsamen Nationalstaate, zuallererst möglich gemacht.
Doch bevor wir in eine Betrachtung der so konfliktreichen und durch Hemmnisse aller Art behinderten Entfaltung des Liberalismus in Deutschland im einzelnen eingehen, sei unser Augenmerk auf die klassischen Postulate des Liberalismus gerichtet, die in freilich vielfach modifizierter Form auch heute noch den Kern liberalen Denkens bestimmen. Diese sind in ihrem Ursprung europäischer, ja universaler Natur gewesen.
Der europäische Liberalismus als eine säkulare Bewegung von weltgeschichtlicher Bedeutung konnte zurückgreifen auf die geistigen Leistungen der frühen Aufklärer, insbesondere aber der Schöpfer des modernen Natur-rechts, die erstmals das Prinzip der Vorrangigkeit des Individuums vor dem Staate als eine gleichsam selbstevidente Grundtatsache formuliert hatten. In den großen „demokratischen Revolutionen" (Palmer) jener Epoche spielte der Liberalismus die Rolle des Bannerträgers des Fortschritts, freilich nicht ohne von Anfang an der Gefahr ausgesetzt zu sein, von links her überholt zu werden. Liberalismus wurde dabei von den folgenden Grundsätzen geleitet, die, mit freilich wechselnder Akzentuierung, dem politischen Verhalten seiner Anhänger Maß und Ziel setzten: 1. Der Grundsatz der Selbstbestimmung des Individuums. Dieser Grundsatz ergab sich aus der Würde des Menschen als Person, der auf keinen Fall der Fremdbestimmung unterliegen dürfe. Er wurde zusätzlich verankert in einer Reihe von unveräußerlichen Menschenrechten, die allerdings in ihrem materialen Gehalt starkem Wandel unterworfen waren.
2. Die Beseitigung jedweder Form von Herrschaft „kraft persönlicher Willkür"; sei es, daß diese durch einen Monarchen oder eine wie immer dazu formal befugte Oligarchie ausgeübt wurde und deren Ersetzung durch eine Form von Herrschaft, die zumindest im Prinzip dem Grundsatz Rechnung trug, daß jedenfalls die mündigen Bürger keiner Fremdbestimmung unterliegen dürften, sondern am Herrschaftsprozeß einen eigenständigen, wenn auch gegebenenfalls nur mittelbaren Anteil haben sollten.
Beides, die Abschaffung jeglicher Willkür-herrschaft und die Sicherstellung der Herrschaft des Rechts, sollte bewirkt werden 1. durch die Beteiligung aller mündigen Bürger an der Legislative, wenn auch nicht notwendigerweise an der Exekutive;
2. durch das Prinzip der Teilung der Gewalten; es sah die Institutionalisierung eines Mechanismus von „checks and balances" vor, um den Druck der Staatsmacht auf die Individuen zu vermindern und zugleich um jeglichen Machtmißbrauch, insbesondere aber jeder Akkumulation von Macht in den Händen einzelner, unverantwortlicher Personen vorzubeugen; 3. durch die Sicherstellung der uneingeschränkten Geltung des Prinzips der „öffentlichen Meinung". Dies hieß, mit anderen Worten, daß innerhalb der Gesellschaft uneingeschränkte Meinungsfreiheit bestehen müsse und dergestalt der Einwirkung der „öffentlichen Meinung" auf die politischen Prozesse keinerlei Schranken entgegengestellt werden dürften.
Die Liberalen hofften, mit diesen verfassungsund gesellschaftspolitischen Maßnahmen eine politische Ordnung schaffen zu können, in der „die Herrschaft des Menschen über den Menschen" durch „die Verwaltung von Sachen" ersetzt würde, fraglos ein utopistisches Modell, das freilich bis in die Gegenwart unvermindert starke Aussagekraft behalten hat.
Das konstitutionelle Programm des Liberalismus sollte allerdings eine wesentliche flankierende Abstützung dadurch erfahren, daß die Staatstätigkeit auf das unbedingt notwendige Maß reduziert und die Bürger statt dessen aufgefordert wurden, soweit als irgend möglich ihre Angelegenheiten eigenständig zu regeln. Auf eine Formel gebracht, lief das gesellschaftspolitische Programm des frühen Liberalismus auf eines hinaus, nämlich die Freisetzung der Gesellschaft von bürokratischer Bevormundung bei gleichzeitiger Reduzierung der Macht der Staatsgewalt auf das jeweils denkbare Minimum. Demgemäß sollte das Verhältnis von Staat und Gesellschaft, abstrakt formuliert, grundsätzlich auf der Basis des Subsidiaritätsprinzips neu geregelt werden. Dies bedeute zweierlei: 1.den unbedingten Vorrang der Selbstverwaltung vor der staatlichen Verwaltung; 2. die Regelung gemeinsamer Angelegenheiten, wo immer möglich, nicht durch den staatlichen Herrschaftsapparat, sondern durch die Selbstorganisation aller jeweils unmittelbar Betroffenen in der Form des privaten Vereins, nicht aber staatlich verordneter Institutionen.
Praktisch hieß dies, daß die Gesellschaft alles das, was sie selbst in eigener Regie zu regeln imstande sei, zu regeln habe, ohne daß der Staat dort eingreifen dürfe. Die Gemeinden sollten nur das in eigener Verantwortlichkeit regeln dürfen, was der private Verein der unmittelbar Betroffenen nicht zu regeln imstande sei; ebenso sollte der Staat nur das aufgreifen, wozu die Selbstverwaltungsorgane auf den unteren Ebenen des politischen Systems nicht imstande seien.
Dies hieß in der historischen Situation des aufsteigenden Liberalismus: Abbau von Staatsfunktionen zugunsten der Freisetzung der Eigendynamik der Gesellschaft und in letzter Instanz der Gewährleistung eines höchstmöglichen Maßes der Entfaltung freier, unbeschränkter Initiative von Seiten der einzelnen Individuen oder aber auch zu diesem Zweck in Form freier Vereine oder Assoziationen zusammengeschlossener Individuen. Dabei war einerseits der Gedanke leitend, daß nur auf diese Weise das Prinzip der Freiheit des einzelnen maximale Verwirklichung finden könne; andererseits war man überzeugt, daß auf diese Weise ein Optimum des persönlichen Einsatzes aller einzelnen für das Wohl des Ganzen erreichbar sein werde.
Am bedeutsamsten freilich waren diese Postulate im Bereich des wirtschaftlichen Systems. Der Grundforderung des Liberalismus nach Selbstbestimmung des Individuums im politischen Raum, die freilich in den Rechten der anderen Individuen ihre natürliche Grenze finden sollte, entsprach das Postulat, dem einzelnen auch im wirtschaftlichen Raum, oder — mit Hegel gesprochen — im „System der Bedürfnisse", ein Höchstmaß von freier Betätigung zuzugestehen. Dann, so glaubte man, werde der einzelne imstande sein, seine Fähigkeit zu optimaler Entfaltung zu bringen. Diese im Kern idealistische For-derung verband sich mit dem utilitaristischen Argument, daß nur auf diese Weise die Vorzüge der Arbeitsteilung und des freien, uneingeschränkten Austausches wirtschaftlicher Güter zu voller Entfaltung kommen könnten.
Dieses konsequent individualistische Staats-und Gesellschaftsmodell war eingebettet in eine universale Sozialphilosophie von beachtlicher Geschlossenheit. Die Liberalen glaubten, daß die Herauslösung des Menschen aus überkommenen Abhängigkeiten, gleichviel ob politischer, religiöser oder wirtschaftlicher Natur, eine neue Ära ungeahnten gesellschaftlichen Fortschritts mit sich bringen werde. Die Liberalen stützten sich dabei auf die harmonistische Lehre der frühen klassischen Nationalökonomie, die davon ausging, daß sich bei freiem Spiel der Kräfte im Markt ein Maximum an Produktivität und ein Optimum an Wohlstand und Glück für alle daran beteiligten Wirtschaftssubjekte gleichsam von selbst einstellen werde. Dank der umfassenden Anwendung des Prinzips der Arbeitsteilung und der zunehmend gesteigerten Ausschöpfung der individuellen Fähigkeiten aller am wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben beteiligten Individuen werde gleichsam ein Prozeß des Fortschritts institutionalisiert, an dessen Ende die Entstehung einer klassenlosen Bürgergesellschaft allgemeinen Wohlstands stehen werde.
II.
Die Liberalen verschlossen zwar keineswegs die Augen vor den schwerwiegenden Problemen der Notlage der sozialen Unterschichten, wie sie sich insbesondere in den Früh-phasen der industriellen Entwicklung in drastischer Form einstellte. Doch bezweifelten sie, daß es einen besseren Weg geben könne, diesen zu helfen, als durch die Entwicklung einer dynamischen Tauschgesellschaft kapitalistischen Zuschnitts, in der dem einzelnen zugleich die Möglichkeit des sozialen Aufstiegs kraft persönlicher Bildung eröffnet würde. An die Stelle der augenscheinlich un-realisierbaren Forderung der Gleichheit aller setzte der Liberalismus die Forderung nach -Gleichheit der Chancen für alle innerhalb ei nes gesellschaftlichen Systems, das, nach dem Abbau aller überkommenen Privilegien und monopolistischen Strukturen, jedenfalls im Prinzip allen seinen Mitgliedern gleiche Startbedingungen gewähre.
Ergänzt wurde diese zumindest anfänglich problematische Position durch die Theorie der „Selbsthilfe", d. h.der intensiven Bemühungen des einzelnen, durch den Erwerb von Bildung und durch unermüdlichen Arbeitseinsatz sozial aufzusteigen. Das leitende gesellschaftliche Ideal des frühen Liberalismus war nicht die Herausbildung einer neuen, auf das Leistungsprinzip gestützten, hierarchischen Gesellschaft, sondern die Ausbildung einer bürgerlichen Gesellschaft wesentlich Gleicher, unter allmählicher Aufsaugung auch der Unterschichten — so utopisch dies im frühen 19. Jahrhundert auch aussehen mochte.
Es ist ein billiges Unterfangen, dieses große, mit humanitären Idealen verwobene Zukunftsprogramm des klassischen Liberalismus aus heutiger Sicht ideologiekritisch zu „entlarven". Es besaß im Prinzip große Wucht und Geschlossenheit und hat auf die breiten Schichten der Gesellschaft, insbesondere auf alle jene, die aus den traditionellen Bahnen der überkommenen gesellschaftlichen Ordnung herausstrebten, eine außerordentliche Anziehungskraft ausgeübt. In der historischen Situation des frühen 19. Jahrhunderts hat die liberale Sozialphilosophie wesentlich dazu beigetragen, die erstarrte Sozialordnung des Anden regime zu sprengen und der ungeahnten gesellschaftlichen Dynamik des anlaufenden industriellen Systems den Weg freizumachen.
Freilich war dem Liberalismus schon in seinen Anfängen eine schwere Hypothek beigegeben, nämlich die Unmöglichkeit, die seit der Mitte des 18. Jahrhunderts explosionsartig wachsenden Unterschichten ohne soziale Konflikte schwersten Ausmaßes in die neue liberale Ordnung zu integrieren. Demgemäß wurden große Teile des liberalen Bürgertums von Furcht vor revolutionären Entwicklungen erfaßt; sie waren wenig geneigt, einer Politik der konsequenten Emanzipation der Unter-schichten das Wort zu reden. Ebenso reserviert standen sie dem Gedanken umfassender sozialer Reformen gegenüber. Wenn man das tatsächliche Ausmaß der sozialen Not breiter Unterschichten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor Augen hat, wird man gleichwohl nicht ohne weiteres davon sprechen können, daß der klassische Liberalismus gegenüber der sozialen Frage versagt habe, wie dies gemeinhin geschieht. Denn glatte Lösungen waren nicht zur Fland, und die eben anlaufende Industrialisierung hätte unter keinen Umständen jene Ressourcen bereitstellen können, die erforderlich gewesen wären, um die Massen-armut der Zeit vor 1848 zu beseitigen. Hilfe war in der Tat nur von einer Modernisierung des ökonomischen Systems zu erwarten. Langfristig gesehen, war dieser Weg durchaus angemessen.
Wenn auch nicht ohne schwerste soziale Konflikte, so ist die Integration der großen Mehrheit der Unterschichten in das sich langsam herausbildende bürgerlich-liberale gesellschaftliche System schließlich doch gelungen. Im Grundsatz kann man demnach schwerlich bestreiten, daß der Liberalismus als eine politisch-gesellschaftliche Bewegung von säkularem Zuschnitt die moderne Gesellschaft, in der wir heute leben, erst möglich gemacht hat. Er ist in der Tat Bahnbrecher der Freiheit in einem sehr konkreten Sinne gewesen und zugleich Wegbereiter der modernen industriellen Gesellschaft.
III.
Es läßt sich jedoch nicht übersehen, daß sich die liberalen Prinzipien, insbesondere in der deutschen Staatenwelt des 19. Jahrhunderts, nur in höchst gebrochener Form verwirklicht haben und demgemäß die überkommenen politischen und gesellschaftlichen Strukturen in Deutschland zunächst nur in sehr begrenztem Umfang liberalisiert worden sind. Dies ist vor allem auf die spezifische Rückständigkeit des deutschen Liberalismus — verglichen mit seinen westeuropäischen und südeuropäischen Partnern — zurückzuführen. Gerade die Theorie des frühen deutschen Liberalismus war durchsetzt mit sozialkonservativen Elementen, die sich namentlich in Westeuropa in diesem Umfang längst aufgelöst hatten. Die Liberalen forderten zwar eine gründliche Liberalisierung der deutschen Staatenwelt und deren Zusammenfassung in einem starken Nationalstaat liberalen Zuschnitts, doch wollten sie dies im Bunde und nicht gegen die bestehenden staatlichen Gewalten erreichen. Die Revolution von 1848, die vom Standpunkt der Liberalen eine ungewollte Revolution gewesen ist, scheiterte im Grunde bereits im Ansatz, weil der deutsche konstitutionelle Liberalismus — die dominierende Strömung innerhalb des Gesamtliberalismus — von vornherein auf das Prinzip der „Vereinbarung" mit den herrschenden Gewalten festgelegt war und das radikaldemokratische Prinzip der Volkssouveränität perhorreszierte.
Gleichwohl bedeutete die Niederlage von 1849 einen schweren Schock für den deutschen Liberalismus, von dem dieser sich nie wieder ganz erholen sollte. In der Reichsgründungsphase sah sich der Liberalismus, der sich zeitweilig selbstbewußt Bismarck in den Weg gestellt hatte, schließlich von diesem ausmanövriert und durch eine „Revolution von oben" zu einer partiellen Kapitulation gezwungen. Auch während der eigentlichen Ara des Liberalismus in Deutschland von 1867 bis 1879 erzielte der Liberalismus Erfolge nahezu ausschließlich nur im Vorfeld der Macht, insbesondere im ökonomischen System und auf den unteren Ebenen der Gesellschaft: Vor allem in den Städten und Gemeinden gelang es dem Liberalismus, seine gesellschaftlichen und ökonomischen Prinzipien nahezu uneingeschränkt zu verwirklichen, nicht dagegen auf dem Lande und schon gar nicht auf den Ebenen der Staatsverwaltung und des Regierungssystems.
Langfristig gesehen, ist freilich viel entscheidender gewesen, daß der Liberalismus in seinen verschiedenen Richtungen auf die großen politischen und gesellschaftlichen Strukturveränderungen, die sich seit den siebziger Jahren teils als Folge der wachsenden politischen Mobilisierung der oreiten Massen, teils als Auswirkung der nunmehr mit großer Beschleunigung voranschreitenden Industrialisierung einstellten, keine klaren Antworten zu geben wußte. Sein gesellschaftspolitisches Modell war im wesentlichen zu einer Zeit formuliert worden, als die informelle Vorherrschaft der Honoratioren-Eliten in der Gesellschaft noch ungebrochen und unbestritten schien; es hatte sich auf wirtschaftlichem Gebiete im wesentlichen an den Verhältnissen und Bedürfnissen des anlaufenden Frühkapitalismus orientiert, ohne die langfristigen Auswirkungen des industriellen Systems selbst zureichend zu reflektieren. Es kam hinzu, daß die politischen Gegner des Liberalismus, in erster Linie Bismarck selber, es verstanden, wesentliche Teile des ökonomischen und gesellschaftlichen Programms des Liberalismus gleichsam an diesem vorbei zu verwirklichen und ihn dergestalt der Früchte der eigenen Aktivität zu berauben.
Bisher hat man die geringe Durchschlagskraft der liberalen Bewegung in Deutschland überwiegend auf immanente Faktoren zurückgeführt. Es habe den Liberalen am Willen und an der Bereitschaft gefehlt, konsequent für die eigenen Ideale einzutreten, auch wenn dies auf kurze Frist die materiellen Interessen einzelner Gruppen des Bürgertums geschädigt hätte. Die Liberalen seien gar nicht willens gewesen, eine durchgreifende Demokratisierung der deutschen Gesellschaft zu erstreben, weil sie ihre eigenen Interessen im Schoße des autokratischen Systems besser aufgehoben wußten. Zugleich wird auf die Hilflosigkeit der liberalen Parteien gegenüber den aufbrechenden sozialen Fragen verwiesen; sie hätten nicht viel mehr als das Prinzip der „Selbsthilfe" und des genossenschaftlichen Zusammenschlusses gemäß der Lehre Schulze-Delitzschs anzubieten gehabt und im Grunde die Arbeiterschaft von vornherein abgeschrieben.
In der Tat hat es der deutsche Liberalismus in allen seinen Richtungen lange versäumt, sich rechtzeitig von den starren manchesterlichen Prinzipien freizumachen, wie sie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vertreten wurden und im Grunde damals den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen auch angemessen gewesen waren.
Die Versäumnisse und einseitig interessenpolitischen Verhaltensmuster des deutschen Liberalismus sind vor allem auf den Umstand zurückzuführen, daß die obrigkeitliche Struktur des deutschen politischen Systems während des gesamten 19. Jahrhunderts nicht durchbrochen wurde. Den liberalen Mittelparteien blieb bis zum Ende des Kaiserreiches, oder doch zumindest bis 1917, jegliche wirkliche Verantwortung für die allgemeine Politik vorenthalten und demgemäß wurden sie nicht gezwungen, in allen diesen Grundfragen liberaler Strategie definitive Entscheidungen zu fällen. Wenn die Bemühungen, eine Liberalisierung der gesellschaftlichen Wirklichkeit durchzusetzen, demgemäß bereits seit dem Ende der siebziger Jahre stekkenblieben und statt dessen streckenweise gar eine Politik sozialkonservativer Defensive an die Stelle eines offensiven Liberalismus trat, ist dies vielmehr auf weit grundsätzlichere Faktoren zurückzuführen, als nur auf die angebliche oder wirklich mangelnde Entschlossenheit der Liberalen, sich gegenüber ihren Gegenspielern, insbesondere Bismarck, energisch durchzusetzen und es notfalls auf einen Konflikt, ja auf eine revolutionäre Auseinandersetzung ankommen zu lassen. Vielmehr wurden im Zuge der zumindest partiellen Verwirklichung des liberalen Gesellschaftsmodells gesellschaftliche Prozesse in Gang gesetzt, die von der liberalen Bewegung selbst nicht vorausgesehen worden waren und deren Auswirkungen die Prämissen der liberalen Theorie partiell erschütterten.
Das Gesellschaftsmodell des älteren Liberalismus, das in seinem Kern harmonistisch und optimistisch gestimmt war, schloß die Erwartung ein, daß — jedenfalls auf lange Sicht — der Wohlstand der Gesamtgesellschaft, nicht nur der bürgerlichen Schichten im engeren Sinne, ins Unermeßliche gesteigert werden könne und daß damit zugleich eine friedliche Staatengesellschaft entstehen werde, in welcher Kriege und stehende Heere allmählich abgeschafft und durch das Prinzip friedlicher Konkurrenz auf dem internationalen Markte ersetzt würden. Vor allem aber ging er davon aus, daß sich der Mittelstand nach und nach über die ganze Breite der Gesellschaft ausdehnen werde, unter allmählicher Angleichung ihres sozialen Status an den einstweilen noch nicht ernsthaft bestrittenen Vorrangstatus der überkommenen aristokratischen Eliten, und daß dieser darüber hinaus auch große Teile der Unterschichten in sich aufnehmen werde, zumindest jene tüchtigen, sich kraft Bildung und Selbsthilfe voranbringenden Individuen.
Insofern war der Liberalismus immer schon — und auch im Vormärz — auch eine Klassenbewegung, jedoch nicht im spezifisch marxistischen Sinne. Er zog alle jene Gruppen an, die von einer — wenngleich maßvollen — Dynamisierung der Gesellschaft eine Verbesserung ihrer sozialen Lage zu erwarten hatten, wenn auch mit sehr verschiedenen sozialen Interessen und Positionen. Die liberale Bewegung wurde von Anfang an von einem sehr heterogenen Kontinuum von Angehörigen der mittleren Schichten getragen; im Grunde hat sich daran von den Anfängen des Liberalismus im frühen 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart hinein nur wenig verändert. Ein Bruch in der Zusammensetzung der sozialen Trägerschicht des Liberalismus ist weder 1848 noch in den sechziger Jahren zu beobachten, sondern allenfalls, wie wir noch sehen werden — wenn auch in sehr gradueller Form —, seit dem Beginn der zweiten Welle der industriellen Revolution.
Auch wenn der Liberalismus in seiner klassischen Phase sich nur höchst unvollkommene Vorstellungen über Art und Charakter des werdenden kapitalistischen Systems gemacht hat, so hat er doch entscheidende Voraussetzungen für die Ausbildung der modernen industriellen Gesellschaft gelegt. Dabei hat er aber zwei langfristige Entwicklungsstränge nur ganz unzureichend vorausgesehen, die sich mit seinem eigenen Gesellschaftsideal nicht ohne weiteres vereinbaren lassen: 1. Die Entstehung des modernen, bürokratischen und Anstaltsstaates 2. die sozialen Auswirkungen des hochkapitalistischen Systems, verbunden mit der Entstehung einer Vielzahl von Varianten monopolistischer Marktbeherrschung im Innern wie nach außen.
Gegenüber dem modernen, bürokratischen Anstaltsstaat, wie er sich im Zuge der Erweiterung der Staatsfunktionen seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelte und schrittweise in immer mehr Zonen des gesellschaftlichen Lebens eingriff, erwies sich die klassische liberale Forderung nach möglichster Einschränkung der Staatsfunktionen zugunsten der Selbstorganisation der Gesellschaft zunehmend als unangemessen. Gleiches gilt für das klassische liberale Prinzip der Gewaltenteilung. Mit der Entstehung der modernen plebiszitären Demokratie, in der massenwirksame Formen der Propaganda und der Gefolgschaftsbildung das klassische Modell des rationalen Diskurses innerhalb repräsentativer Körperschaften mehr und mehr obsolet machten, erwiesen sich die Möglichkeiten, mit Hilfe eines Systems institutioneller Aufteilung der staatlichen Gewalt auf eine Mehrzahl von Instanzen Machtmißbrauch zu verhindern, zunehmend als illusorisch. Mit einer Strategie möglichster Beschränkung der Macht des Staates, wie sie auch die englischen Liberalen — etwa Gladstone mit seiner Parole des retrenchment (Beschränkung der Staatsfunktionen) — lange vertreten hatten, ließ sich nunmehr wenig ausrichten.
IV.
Vor noch größere Probleme sah sich der Liberalismus angesichts der gesellschaftlichen Wirklichkeit des hochkapitalistischen Systems gestellt. Dieses war weit entfernt, das größtmögliche Glück der größten Zahl zu erzeugen, sondern ließ zumindest zunächst außerordentlich schroffe soziale Gegensätze entstehen, die zuweilen bis an den Rand von revolutionären Explosionen führten. Gleichzeitig aber entstanden im Zuge der Kapitalkonzentration und der Bildung von Riesenbetrieben und Kombinaten aller Art neue Formen von weitgehend anonymer Willkürherrschaft, die sich zwar formal des liberalen Vertrags-systems bedienten, faktisch aber ganz neue Formen von Abhängigkeit hervorbrachten. Diesem neuen Phänomen gegenüber wußte der Liberalismus zunächst keinerlei Gegenmittel. Erst allmählich setzte sich im liberalen Lager die Auffassung durch, daß man die Selbstorganisation der Arbeiterschaft in Form von Gewerkschaften fördern müsse, um diesen neuen Entwicklungen zumindest zu Teilen zu begegnen. Doch blieb die Frage, wie man mit den neuen sozialen Gegensätzen fertig werden könne, ohne zugleich den sozialen Boden unter den eigenen Füßen zu verlieren, ungelöst.
Noch ein weiteres kam hinzu, nämlich die Entstehung einer neuen Massenpresse, die nicht mehr wie bisher uneingeschränkt im Lager des Liberalismus stand, sondern, kontrolliert von marginalen Gruppen der Gesellschaft, in wesentlichen Bereichen eine dezidiert antiliberale Politik propagierte. Die „öffentliche Meinung" war die magische Geheimwaffe des älteren Liberalismus gewesen. Jetzt begann sie sich gegen diesen selbst zu wenden. Obwohl die Mehrzahl der großen Zeitungen im großen und ganzen weiterhin liberalen Auffassungen verhaftet blieb, konnte der Liberalismus dennoch nicht mehr darauf vertrauen, daß er, im Bunde mit der „öffentlichen Meinung" stehend, die traditionellen Gewalten auf gewaltlosem Wege stufenweise aus ihren überkommenen Positionen werde herausdrängen können, ohne ein politisches Bündnis mit den Massen schließen oder gar das Risiko einer revolutionären Strategie gegenüber den herrschenden Mächten eingehen zu müssen.
Alle diese Entwicklungen hatten zur Folge, daß die Überzeugungskraft und Glaubwürdigkeit des liberalen Programms in den Augen der breiten Öffentlichkeit zunehmend nachließ. Noch schlimmer, zumindest zu Teilen degenerierte die liberale Idee zu einer Status-ideologie des Großbürgertums, wie sich dies an der Politik der Nationalliberalen Partei seit 1882 ganz konkret ablesen läßt.
Die besondere Form der deutschen Industrialisierung, die bekanntlich relativ spät einsetzte, sich dann aber in einem überstürzenden Akkumulationsprozeß vollzog, ist für das Einleben liberaler Werte und Ideale denkbar ungünstig. Max Weber hat darauf hingewiesen, daß die gesellschaftlichen Verhältnisse des frühen Kapitalismus für die Ausbildung liberaler Grundsätze in Staat und Gesellschaft unwiederbringlich günstige Voraussetzungen geboten hätten, die nunmehr dahin seien. Es sei daher ganz falsch, vom fortschreitenden Kapitalismus automatisch auch eine Förderung liberaler Prinzipien zu erwarten. Ganz im Gegenteil, es sei „höchst lächerlich, dem heutigen Hochkapitalismus, der jetzt nach Rußland importiert wird und in Amerika besteht — dieser Unvermeidlichkeit unserer wirtschaftlichen Entwicklung —, Wahlverwandtschaft mit . Demokratie’ oder gar mit . Freiheit'in irgendeinem Wortsinne zuzuschreiben". Die Frage müsse vielmehr lauten: „Wie sind unter seiner Herrschaft diese Dinge", d. h. persönliche Freiheit, Menschenrechte usw., „überhaupt auf die Dauer . möglich'?"
Die rapide Ausbildung einer neuen industriellen Oberschicht mit patriarchalisch-konservativer Ausrichtung, der Zerfall des alten Bürgertums in eine Vielzahl von Gruppen mit höchst unterschiedlichen ökonomischen Interessen und schließlich die allmähliche Ausgrenzung der Intelligenz aus dem bürgerlichen Lager führten zu einer tiefgreifenden Schwächung der liberalen Gesamtbewegung. Im Zuge der Verunsicherung der Mittel-schichten wuchs zugleich die Neigung, sich gegenüber der aufsteigenden Sozialdemokratie mehr oder minder schroff abzugrenzen und in einer gegen diese gerichteten nationalen Sammlungspolitik zugleich ein Surrogat einer neuen liberalen Einheitsfront anzustreben.
V.
Zwar hatte sich, entgegen heute verbreiteten Modemeinungen, eine Grundannahme der Liberalen bewahrheitet, nämlich, daß es zu einem relativen Wachstum der mittleren Schichten in der Gesellschaft kommen werde. Jedoch gelang es dem Liberalismus damals nicht, diese neuen Gruppen des Mittelstandes durchgängig auf die liberalen Ideale zu verpflichten. Diese waren zumindest zunächst geneigt, eher sozialkonservativen Parteien ihre Stimme zu geben als den von dem traditionellen Honoratioren-Bürgertum geführten liberalen Parteien. Dabei konnte sich der Beitrag des Liberalismus zur Grundlegung der modernen Industriegesellschaft, wie sie sich in Deutschland seit den achtziger Jahren sprunghaft entwickelte, sehen lassen: Die Schaffung eines einheitlichen Rechtssystems, einer modernen Verhältnissen angepaßten Wirtschaftsgesetzgebung, die Durchsetzung des Prinzips der Öffentlichkeit, der Aufbau eines fortschrittlichen Wissenschaftssystems mit nahezu uneingeschränkter Lehr-und Forschungsfreiheit und kaum beschränkten Kommunikationsmöglichkeiten — dies alles sind Fundamente der modernen Industriegesellschaft, die als solche liberaler Politik entsprungen sind. Doch waren diese Errungenschaften schon um die Jahrhundertwende für die breitere Öffentlichkeit weitgehend zu Selbstverständlichkeiten geworden und hatten aufgehört, als spezifisch liberal zu gelten. Das klassische programmatische Kapital des Liberalismus war weitgehend aufgebraucht.
Männer wie Friedrich Naumann, Theodor Barth, Max Weber und Lujo Brentano haben sich in den Jahren nach der Jahrhundertwende um eine grundlegende „Erneuerung des Liberalismus" bemüht, um der liberalen Bewegung wieder zu parteipolitischer Geschlossenheit und erneuerter Vitalität zu verhelfen. Sie waren bestrebt, das klassisch liberale Programm der veränderten Wirklichkeit einer zur Reife gediehenen Industriegesellschaft anzupassen und eine politische Basis für eine „Partei der bürgerlichen Freiheit" zu schaffen, die sich nicht länger in bloß negativer Politik erschöpfe. Zugleich versuchten sie, durch die Propagierung eines liberalen Imperialismus die Flutwelle des zeitgenössischen nationalistischen Denkens wieder auf die Mühlen des Liberalismus zurückzulenken und der nationalen Idee gleichsam wieder jenen emanzipatorischen Anspruch zurückzugeben, den sie seit Guiseppe Mazzini gehabt hatte.
Das Programm der liberalen Progressiven stellte um 1900 die einzige kraftvolle Alternative zur politischen Position des Gros der liberalen Bewegung in'Deutschland dar, das sich längst in einem Status-quo-Denken erschöpft hatte und überdies für Sammlungsparolen konservativer Seite immer empfänglicher geworden war. Die Stärke dieses Neuansatzes lag — ungeachtet seiner Verbindung mit der imperialistischen Idee — vor allem darin, daß dieser die soziale Realität des hochkapitalistischen Systems erstmals voll ins Auge faßte und ein Bündel von Strategien zu entwickeln versuchte, um die sozialen Folgen desselben weniger drückend zu machen. Max Weber plädierte leidenschaftlich für eine liberale Politik, die nunmehr entschlossen eine Parlamentarisierung des politischen Systems durchsetzen müsse, um dergestalt die institutionellen Voraussetzungen für eine durchgreifende Erneuerung der politischen Führungsschicht im deutschen Kaiserreich und für eine effektive Kontrolle der Bü-rokratie zu schaffen. Zugleich plädierte er für Maßnahmen, um im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereich, gerade auch im Angesicht der neuentstehenden Riesenbetriebe des „organisierten Kapitalismus", ein Höchstmaß von Dynamik und Konkurrenz auf allen Ebenen des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens zu erhalten bzw. wiederherzustellen. Soweit einzelne gesellschaftliche Gruppen durch die gesellschaftliche Entwicklung der Möglichkeit beraubt worden waren, ihre Interessen innerhalb eines Systems konkurrierender Auseinandersetzungen zu wahren, sollte das gestörte Gleichgewicht mittels entsprechender staatlicher Rahmenmaßnahmen wiederhergestellt werden.
Zunehmende Erbitterung über die Unfähigkeit der regierenden Politiker veranlaßte Max Weber schließlich, seine Forderung nach gründlicher Parlamentarisierung des politischen Verfassungssystems radikal zu verschärfen und für eine neuartige Form der plebiszitären „Führerdemokratie" einzutreten, die an die Stelle der traditionellen „führerlosen Demokratien" der Berufspolitiker ohne Beruf zu treten habe. Damit hoffte er, auf höchster Ebene das alte liberale Ideal — daß freie, unabhängige Persönlichkeiten aus höchstpersönlicher Verantwortung heraus die Politik eines Volkes gestalten, statt sich sklavisch dem jeweiligen Trend des Tages zu unterwerfen — wieder in Kraft zu setzen.
Friedrich Naumann ging von im wesentlichen gleicher Ausgangsbasis aus einen anderen Weg. Er entwickelte das Programm einer dezidiert sozialorientierten liberalen Politik, die nicht nur die endgültige Durchsetzung des parlamentarischen Systems bringen sollte, sondern darüber hinausgehend den Übergang zur „industriellen Demokratie", mit anderen Worten: zur Emanzipation des Individuums von anonymer Willkürherrschaft auch innerhalb des wirtschaftlichen Systems. Naumann beschrieb diese große Zukunftsaufgabe des Liberalismus in visionären Formulierungen, die einer mit darwinistischen Elementen durchsetzten Geschichtsteleologie entnommen waren, als eine „zweite Bauernbefreiung", mit der eine neue große Ära liberaler Politik anheben werde.
Der utopistische Einschlag dieses politischen Konzepts ist unübersehbar. Naumann besaß nur sehr unklare Vorstellungen darüber, wie sich denn innerhalb des kapitalistischen Systems industrielle Demokratie werde, verwirklichen lassen, ohne die Führungsposition der Unternehmerschaft aufs äußerste zu schwächen und die Rationalisierungsmechanismen des Marktes außer Kraft zu setzen. Er plädierte für die Einführung von Betriebsparlamenten in der freilich naiven Annahme, daß die Arbeiterschaft in die Unternehmensführung selbst nicht eingreifen werde. Außerdem blieb ungeklärt, in welcher Form die Gewerkschaften und Interessenverbände — wie überhaupt die zahllosen vorpariamentarischen Organisationen innerhalb des wirtschaftlichen Systems — in eine solche industrielle Demokratie eingeordnet werden könnten. Dennoch hat Naumanns Programm eines sozialen Liberalismus auf seine Zeitgenossen und weit darüber hinaus außerordentlich große Ausstrahlung ausgeübt und wesentlich dazu beigetragen, daß sich der Liberalismus gegenüber der Arbeiterschaft öffnete und damit ein Zusammengehen des entschlossenen Liberalismus mit der Sozialdemokratie zwecks durchgreifender Reformen möglich wurde.
VI.
Freilich blieb diese Variante eines dezidiert sozial orientierten Liberalismus, die insbesondere auf die endgültige Integration der Arbeiterschichten in das bestehende System ausgerichtet war, in den zwanziger Jahren jegliche Massengefolgschaft versagt; ja, selbst im linksliberalen Lager hatten die Naumannianer mit einer konkurrierenden Richtung zu kämpfen, die weit pragmatischer war und in erster Linie an den unmittelbaren Interessen der höheren Mittelschichten und Teilen der Intelligenz orientiert blieb. Beiden gegenüber entwickelte sich schrittweise eine alternative, wenn auch keineswegs intellektuell ebenso glänzende Position, die man am besten als „pragmatischen Liberalismus" bezeichnen könnte. Wesentlichen Anteil an der Formulierung dieser Position hatte vor allem Gustav Stresemann, der schon früh erkannt hatte, daß ein nationaler Liberalismus im Widerstreit der gesellschaftlichen Lager nur dann eine Zukunft haben könne, wenn er sich nicht nur als Anwalt der Interessen einzelner Segmente der Mittelschichten definiere, sondern vielmehr auf den stetigen Ausgleich zwischen den ökonomischen und sozialen Interessen innerhalb des sich herausbildenden Systems einer pluralistischen Industriegesellschaft hinarbeite. Die nüchterne, realistische Einstellung gegenüber dem Charakter des hochkapitalistischen Systems und der Notwendigkeit, Gruppenkonflikte auf dem Wege des Ausgleichs zu lösen, stellt vielleicht den positivsten Aspekt dieses ansonsten weitgehend zu einer Status-quo-Ideologie erstarrten pragmatischen Liberalismus dar, den Stresemann seiner nach 1918 gegründeten Deutschen Volkspartei aufzuprägen versucht hat, ohne doch damit dauernden Erfolg zu haben.
Insgesamt wird man feststellen müssen, daß die Anpassung der liberalen Positionen an die veränderte soziale Realität des Hochkapitalismus in Deutschland nach 1918 nur unvollkommen vollzogen worden ist. Die Kräfte der Beharrung waren zu groß, um ihnen zu voller Durchsetzung zu verhelfen. Die politische Polarisierung, in die die Weimarer Republik unmittelbar nach ihrer Gründung hineingeriet, hat es zu einer Konsolidierung der liberalen Parteien, geschweige denn zu einem Zusammenschluß derselben zu einer einheitlichen liberalen Partei nicht kommen lassen. Es kommt hinzu, daß sowohl Max Webers als auch Naumanns Strategiemodelle, von Stresemanns Einstellung ganz abgesehen, bei aller Anerkennung ihres progressiven Potentials, sich autoritären Umdeutungen gegenüber nicht gänzlich immun zeigten. Unter solchen Umständen ist es eigentlich nicht sonderlich erstaunlich, daß der parteipolitisch organisierte Liberalismus die Abwanderung der Mittelschichten in das Lager des Nationalsozialismus nicht zu verhindern gewußt hat. Unter den gesellschaftlichen Verhältnissen einer hochdifferenzierten Industriegesellschaft mit zahlreichen monopolistischen Subsystemen, in der die Steuerungskapazität des Staates stark rückläufig war, griffen die alten liberalen Postulate nicht mehr, und die Parole der Öffnung nach links vermochte unter den gegebenen Umständen keine neuen Wählerschichten zu erschließen.
VII.
Die Weltwirtschaftskrise von 1929 bis 1931, die die Zeitgenossen als eine Krise des Kapitalismus schlechthin empfanden, hatte demgemäß für die weitgehend defensiv gewordene liberale Ideologie tödliche Auswirkungen. Der Nationalsozialismus spekulierte erfolgreich auf die antimodernistische und teilweise antikapitalistische Stimmung in den breiten Massen der Bevölkerung und insbesondere der nunmehr in ihrem sozialen Status abgesunkenen Mittelschichten. Er versprach zudem — wenngleich in bloß demagogischer Form — die klassischen liberalen Ideale viel effektiver wieder zu restaurieren als der Liberalismus. In der Tat finden sich im Programm des Nationalsozialismus viele liberale Postulate in freilich grotesk verzerrter Form wieder. So versprach Hitler in seiner berühmten Rede im Düsseldorfer Industrieclub vom Januar 1932, daß der Nationalsozialismus die Eigenständigkeit des Individuums gegenüber den neuen kapitalistischen Kollektiven und das Prinzip der Führungsstellung des großen einzelnen anstelle der führerlosen Herrschaft namenloser Bürokraten in Staat und Wirtschaft wiederherstellen werde. Ein nationalsozialistisch geführter Staat werde dem „Leistungsprinzip" und dem Grundsatz des gerechten Ertrags für wirtschaftliche Leistung erneut Geltung verschaffen. Adolf Hitler versagte sich dabei nicht, zusätzlich darauf zu verweisen, daß die „Demokratisierung" das „Leistungsprinzip" aufhebe (!).
Der Nationalsozialismus propagierte eine antimodernistische Lösung der gesellschaftlichen Probleme — unter Zurückstellung oder doch Neutralisierung der sozialen Auswirkungen der Hochindustrialisierung — und die Wiederherstellung einer organischen Volks-gemeinschaft, in der insbesondere der bedrohte Mittelstand eine neue, gesicherte Position einnehmen werde. Gerade unter der liberalen Wählerschaft, die sich infolge der Ambivalenzen des liberalen Programms zunehmend antimodernistischen und kulturkritischen Stimmungen hingegeben hatte, fand diese pseudoindividualistische Propaganda einen günstigen Resonanzboden. Unter solchen Umständen ist es nicht erstaunlich, daß gerade die Wähler der liberalen Parteien, wenn man von der Bauernschaft absieht, seit 1929 in immer größeren Scharen ins Lager des Nationalsozialismus überwechselten und damit das Fiasko des deutschen Liberalismus besiegelten, noch bevor die deutsche Republik von Weimar durch den formell legalen Coup d'Etat vom 30. Januar 1933 ihr endgültiges Ende fand.
Dennoch blieb der Liberalismus die einzige wirklich zukunftsträchtige Gegenposition gegen den Faschismus, während das Kalkül des Marxismus-Leninismus, daß man der lachende Erbe dieses letzten Rettungsankers des Kapitalismus sein werde, sich bald als gigantische Fehlrechnung erwies. In Form der neoliberalen Lehre, wie sie von Denkern wie Röpke, Hayek, Hannah Arendt und Carl J. Friedrich in der Auseinandersetzung mit dem Faschismus und dem Kommunismus ent-wickelt wurde, vermochte der Liberalismus schon seit Anfang der vierziger Jahre international wieder Fuß zu fassen, auch wenn in Deutschland selbst die nationalsozialistische Herrschaft alle liberalen Regungen unterdrückte.
Der Neoliberalismus wies eine auf die freie Initiative des verantwortlichen Individuums aufgebaute Staats-und Gesellschaftsordnung, die den Druck zentralistischer Herrschaft auf die Bürger so weit wie möglich durch eine demokratische Verfassungsordnung mildere, als einzige reale Alternative zur Politik der totalitären Systeme auf, noch bevor die Herrschaft der Faschismen gebrochen war. Zudem entwickelten die Neoliberalen das Konzept einer sozial verantwortlichen, freien Marktwirtschaft, die nicht einfach dem Wirken der Marktgesetze überlassen bleiben, sondern durch eine starke Staatsmacht beständig auf liberalem Kurs gehalten werden sollte: „Eine freie Wirtschaft in einem starken Staate", so formulierte Alexander Rüstow 1951 dieses Prinzip, das er als einen Bestandteil der „Magna Charta der sozialen Marktwirtschaft" bezeichnete.
Die historische Bedingtheit des Programms des Neoliberalismus, vor allem die mit ihm verbundene, überaus scharfe Frontstellung gegenüber dem Sozialismus und insbesondere dem Kommunismus in seiner damals freilich stalinistischen Variante, ist heute leicht erkennbar. Dennoch hat sie dem liberalen Gedanken in den Jahren nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus außerordentliche Schubkraft verliehen. Wurzelnd in der großen europäischen Tradition eines individualistischen Humanismus, schlug sie eine praktikable Brücke zwischen den Prinzipien der Freiheit des Individuums und der sozialen Gerechtigkeit. Wesentliche Voraussetzung für die Tragfähigkeit dieses Brücken-schlags war es, daß der Staat, als Garant der neu zu schaffenden marktorientierten liberalen Wirtschaftsordnung, auf einer uneingeschränkten demokratischen Legitimierung beruhte. Dies ermöglichte es auch jenen Liberalen, die bislang noch von einigem Mißtrauen gegenüber den sozialen und kulturellen Konsequenzen der voll entfalteten modernen Massendemokratie erfüllt gewesen waren, sich hinter das Programm der Schaffung eines demokratischen Staates zu stellen. Zudem bot sich hier ein neuer Weg, der zwischen den Alternativen einer uneingeschränkten Wiederherstellung klassischer kapitalistischer Prinzipien und des Übergangs zu einer sozialistischen Gesellschaft hindurchführte.
VIII.
Die Liberalen, die nach 1945 unter enormen äußeren Mühen und Entbehrungen wieder zu politischer Aktivität zusammenfanden, konnten an diese, damals gegenüber den verschiedenen Varianten des Sozialismus — wenn man einmal von der damals noch lebendigen katholisch-universalistischen, organischen Ständestaatsidee absieht — einzigen kraftvollen Gesellschaftstheorien anknüpfen. Tatsächlich wurde das Bekenntnis zu einer „sozialen Marktwirtschaft" das einigende Band, das damals die ansonsten politisch noch höchst unterschiedlich ausgerichteten liberalen Parteiungen und Richtungen zusammenhielt. Die große moralische Überzeugungskraft, die diese Variante der liberalen Idee, wie sie von Denkern wie Alexander Rüstow, Hannah Arendt, und C. J. Friedrich formuliert wurde, ist für die Wiederbelebung der liberalen Gedankens in Deutschland von großer Bedeutung gewesen. Der große Erfolg, den Erhards — von den Freien Demokraten konsequent unterstützte— Wirtschaftspolitik seit 1948 gehabt hat, hat denn unzweifelhaft dazu beigetragen, ihr zum Siege zu verhelfen und den liberalen Grundsätzen in der Wirtschafts-und Gesellschaftspolitik der Bundesrepublik einen festen Platz in der politischen Tradition dieses Staates zu verschaffen, obschon die Freien Demokraten selbst davon häufig nur indirekt haben profitieren können.
Hinzu kam die — allen voran von Theodor Heuss mit großer moralischer Kraft vertretene — Überzeugung, daß das deutsche Volk nur dann die Chance zu einem Wiederaufstieg und zur Wiederanerkennung im Kreise der europäischen Völker habe, wenn es zu einer demokratischen Neuordnung von Grund auf schreite. Dies bedingte konkret nicht nur das Bekenntnis zur parlamentarischen Demokratie und zu einer grundrechtlichen Festschreibung ihrer moralischen Geltungsgrundlage, sondern darüber hinaus den Abbau der Reste autoritärer Strukturen in Staat, Gesellschaft und Wirtschaft. Entsprechende Reformen im Rechtssystem, im Bildungssystem und in der Wirtschaftsverfassung des Bundes und der Länder haben dann auch in den Jahren nach 1948 im Mittelpunkt der Politik der Freien Demokraten gestanden. Dazu gehörte nicht zuletzt auch der Aufbau eines Systems sozialer Sicherungen, durch das die Idee der Freiheit des Bürgers in der modernen Industriegesellschaft allein eine substantielle Grundlage erhielt.
Die Frage der gesellschaftlichen Orientierung der FDP, ob sie sich primär als bürgerliche Partei oder als Partei der demokratischen Sammlung verstehen solle, blieb hingegen lange unentschieden. In den ersten anderthalb Jahrzehnten des Neubeginns bestand hier einstweilen eine beträchtliche Spannweite der Meinungen, die teilweise noch die Differenzen der liberalen Bewegung der Weimarer Zeit widerspiegelte. Unter den damaligen Umständen dürften die Freien Demokraten freilich gut daran getan haben, höchst unterschiedlichen Positionen einen Platz im eigenen Hause zu gewähren, gemäß dem Beschluß von Heppenheim vom 12. Dezember 1948, der als Ziel der FDP formulierte: „Sammlung der politischen Kräfte, die den Gedanken der Freiheit und des Persönlichkeitsrechtes zum Richtmaß aller Entscheidung(en) erheben."
Erst in den sechziger Jahren kam es zu grundsätzlichen Richtungskämpfen innerhalb der FDP. Mit dem Ende des „kalten Krieges", durch den der sozialen Marktwirtschaft in der Bundesrepublik gleichsam flankierende Unterstützung zuteil geworden war, begann der Glanz der neoliberalen Lehre zu verblassen und ihre Einseitigkeiten traten deutlicher in das Bewußtsein der Öffentlichkeit. Die partielle Destruktion der Totalitarismustheorie — die lange als Folie gedient hatte, vor der die Neoliberalen ihre Postulate entwickelten und glaubhaft machen konnten — durch die historische und politologische Forschung kam als weiterer Faktor hinzu. Damit war der Zeitpunkt für ein überdenken der grundsätzlichen Positionen des Liberalismus gekommen. Nicht zufällig begann in diesen Jahren die Loslösung von dem „großen Bruder" CDU/CSU; zugleich aber brachen unausgetragenen Dif bislang weithin -ferenzen zwischen den Liberalen nationalliberaler Tradition mit ausgesprochen besitzbürgerlichem Hintergrund und den stärker sozial und demokratisch orientierten Liberalen in massiver Form hervor. Sie endeten mit einer klaren Distanzierung von den großbürgerlich-nationalen Traditionen des älteren deutschen Liberalismus zugunsten eines eindeutig sozial orientierten Liberalismus.
Die , Studentenrevolution'der sechziger Jahre dürfte dieser Entwicklung noch einen zusätzlichen Schub verliehen haben. Denn durch sie wurden die Grenzen des historischen Konsens der Ära Adenauer, einer durch rasches Wirtschaftswachstum und Betonung materiellen Wohlstands bestimmten Periode, schlagartig ins allgemeine Bewußtsein gehoben. Die Liberalen taten recht daran, ihre überkommene Einstellung zur Wirtschafts-und Sozialordnung der Bundesrepublik radikal zu überprüfen. Ob freilich Karl Hermann Flach gut daran tat, den Spielraum liberaler Wirtschafts-und Gesellschaftspolitik nach der Mitte hin derart einzuengen, wenn er schrieb: „Die Befreiung des Liberalismus aus seiner Klassengebundenheit und damit vom Kapitalismus ist. . . die Voraussetzung seiner Zukunft", bleibt abzuwarten. Entscheidender scheint uns das Bemühen der Freien Demokraten, in der Nachfolge Naumanns nach Wegen zu suchen, dem einzelnen auch unter den Bedingungen eines voll entfalteten hoch-kapitalistischen Systems ein Höchstmaß an individuellen Entfaltungsmöglichkeiten, vor allem aber an Schutz gegenüber der Übermacht bürokratischer Apparate in Staat, Gesellschaft und Wirtschaft zu sichern. Der Sozialliberalismus, der in der Nachfolge Friedrich Naumanns eine Humanisierung insbesondere des industriellen Systems anstrebt, hat in den Freiburger Thesen von 1971 einen eindrucksvollen Niederschlag gefunden. Allerdings sind heute, in einer Situation stark verminderten wirtschaftlichen Wachstums, verbunden mit struktureller Arbeitslosigkeit und stark belasteten öffentlichen Haushalten, andere Gesichtspunkte wieder in den Vordergrund getreten.
In der Gegenwart, so scheint uns, ist es vielleicht angebracht, wieder stärker an die von Max Weber eindrucksvoll formulierte Position eines progressiven Liberalismus anzuknüpfen. Schon Max Weber stand vor der Frage, die uns heute in verstärktem Maße bewegt, wie nämlich den Tendenzen zu einer allmählichen Erstarrung der sozialen Beziehungen — gleichviel, ob zwischen Individuen, Gruppen oder Institutionen, auf politischer Ebene aber mehr noch im Bereich des wirtschaftlichen Subsystems — entgegengewirkt werden könne. Er formulierte drei wesentliche Ziele, die eine jede liberale Politik unter den Bedingungen des Hochkapitalismus zu verfolgen habe: Erstens die mögliche Steigerung von Mobilität und Wettbewerb innerhalb von beständig zum Festschreiben bestehender Verhältnisse neigender Institutionen und Strukturen; zweitens die möglichste Steigerung der Eigenverantwortlichkeit des einzelnen, ungeachtet der sozialen und institutionellen Abstützung seiner gesellschaftlichen Position durch den modernen Staat und seine subsidiären Institutionen, und schließlich die Steigerung der öffentlichen Verantwortlichkeit von Herrschaft auf allen Ebenen der Gesellschaft. Dies gilt insbesondere für die im Vorfeld der parlamentarischen Institutionen und insbesondere im wirtschaftlichen Bereich operierenden Verbände aller Art.
Der Weg des deutschen Liberalismus von der vermeintlich „klassenlosen Bürgergesellschaft" des Vormärz bis hin zur pluralistischen Industriegesellschaft der Gegenwart war voller Wechselfälle. Die Programmatik und die Strategien liberaler Politiker haben sich dabei vielfach grundlegend verändert. Die sozialen Beengtheiten, in die die liberale Bewegung im Laufe einer langen Entwicklung wiederholt verstrickt wurde, sind heute gutenteils überwunden, und die nationalistische Engstirnigkeit, der sie sich im späteren 19. Jahrhundert und noch lange danach verschrieben hatte, gehört der Vergangenheit an. Auch die konkreten Inhalte der liberalen Idee haben sich vielfach verändert. In seiner Grundforderung — nämlich dem einzelnen innerhalb einer freien Gesellschaft ein optimales Maß an persönlicher Entfaltung zu ermöglichen — ist sich der Liberalismus freilich gleichgeblieben. Die Frage, wie dieses große Ideal angesichts der sich stetig verändernden gesellschaftlichen Wirklichkeit konkret einlösen läßt, wird jedoch weiterhin umkämpft bleiben. Im Laufe seiner langen Geschichte hat der Liberalismus niemals dem Ideal einer konfliktreichen Gesellschaft angehangen; ihm ist es immer vor allem darum gegangen, jenes Maß an freiheitlichen Verhältnissen zu schaffen und zu bewahren, das eine friedliche Austragung des Konflikts zwischen alternativen Idealen ermöglicht. Nur im Rahmen einer „offenen Gesellschaft" aber ist dergleichen überhaupt denkbar. Unsere Gesellschaft auch in der Zukunft „offen" zu erhalten, wird eine wesentliche Aufgabe des Liberalismus sein.