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Besatzung und politischer Wiederaufbau Deutschlands. Zur Grundlegung der Bundesrepublik Deutschland | APuZ 20/1979 | bpb.de

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APuZ 20/1979 Artikel 1 Besatzung und politischer Wiederaufbau Deutschlands. Zur Grundlegung der Bundesrepublik Deutschland Grenzlinien der Regierbarkeit 1974-1979. Fragen zum 30jährigen Bestehen der Bundesrepublik Deutschland

Besatzung und politischer Wiederaufbau Deutschlands. Zur Grundlegung der Bundesrepublik Deutschland

Wolfgang Bergsdorf

/ 56 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die Gründung zweier Staaten auf dem Gebiet des besiegten Deutschen Reiches vor 30 Jahren beendete formell die Zeit der militärischen Besatzung Deutschlands und kennzeichnete zugleich die Spaltung Deutschlands und Europas als Ergebnis des Zweiten Weltkrieges. Der unüberbrückbare Gegensatz zwischen freiheitlicher Demokratie und totalitärer Diktatur trat nicht schlagartig in Erscheinung. Vielmehr erlebte das besetzte Deutschland einen schmerzlichen Prozeß der Aufspaltung. Die vier Jahre 1945— 1949 sind für das Verständnis der deutschen Politik und der Weltpolitik insgesamt von grundlegender Bedeutung, weil sich in dieser Zeit nicht nur die Rahmenbedingungen des heutigen Systems der internationalen Politik herausgebildet haben. Damals entstanden die tragenden Strukturelemente und Bewußtseinsorientierungen der Bundesrepublik Deutschland ebenso wie die konstitutiven Elemente ihrer Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung sowie ihrer Außenpolitik. Die Geburteder Bundesrepublik Deutschland und der DDR war die Folge des beginnenden Konfliktes zwischen den ehemaligen Allianzpartnern Sowjetunion und Vereinigte Staaten. Während im von der Sowjetunion besetzten Teil Deutschlands die Sowjetisierung vorangetrieben wurde, erhielten die Deutschen in den westlichen Zonen zunehmend die Chance zunächst zur Mitsprache, dann zur institutioneilen Mitverantwortung und schließlich zur weitgehenden Alleinverantwortung. Die von den Deutschen erhoffte Wiederherstellung der Einheit Deutschlands, die ihnen zugesagte Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse in allen Zonen und die versprochenen Zentralverwaltungen für ganz Deutschland scheiterten an der Eskalation des Ost-West-Konfliktes. Militärische, politische und ökonomische Gründe führten dazu, daß im westlichen Teil Deutschlands von den Besatzungsmächten immer mehr Zuständigkeiten in deutsche Hände zurückgegeben wurden. Nachdem die deutschen Versuche und die Bemühungen der angelsächsischen Besatzungsmächte um die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands zunächst am französischen, schließlich aber am sowjetischen Widerstand zerbrachen, wurde die ökonomische und dann auch politische Verschmelzung der westlichen Besatzungszonen zu einem lebensfähigen Staatsgebilde vorangetrieben, dessen Wegmarken das Vereinigte Wirtschaftsgebiet, die Währungsreform, die Frankfurter Dokumente, der Parlamentarische Rat und schließlich die Verabschiedung des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 waren.

I. Einführung

Der wechselvolle Verlauf ihrer Geschichte hat den Deutschen nicht allzu viele Gedenktage beschert, die Freude und berechtigten Stolz erlauben. Der 30. Geburtstag der Bundesrepublik Deutschland in diesem Jahr ist jedoch ein solcher. In drei Jahrzehnten ist es gelungen, ein Gemeinwesen zu errichten, das mehr Freiheit und mehr Wohlstand bietet, als jeder andere Staat in Deutschland je besaß. Im anderen Teil Deutschlands werden in diesem Jahr Feierlichkeiten zum 30. Gründungstag der DDR verordnet, in deren Rahmen die dort lebenden Deutschen Bekenntnisse zu ihrem „ersten sozialistischen Staat auf deutschem Boden" abzulegen haben. Die Existenz eines totalitären Regimes in Deutschland, von der Sowjetunion ermöglicht und aufrechterhalten, ist die Folge eines totalen Krieges, der — von einem anderen totalitären Regime entfacht — in einer totalen Niederlage endete. Beide, die Bundesrepublik Deutschland und die DDR, verdanken ihre Existenz einer dramatischen Entwicklung der Geschichte, die Europa geteilt, an den Rand des Weltgeschehens gerückt und zum Objekt der Weltpolitik gemacht hat. Diese qualitative Veränderung der Weltpolitik wurde vom nationalsozialistischen Deutschland und seinem rassistischen Imperialismus zwar nicht bewirkt, wohl aber beschleunigt. Ihr Ergebnis war die Verwirklichung jener Vision einer von neuen, jungen Weltmächten beherrschten Welt, die europäische Staatsmänner und Intellektuelle wie Napoleon, Konstantin Frantz, Saint Beuve, Gioberti und andere während des 19. Jahrhunderts immer wieder entworfen hatten. Die wohl eindruckvollste, weil genaueste Vor-Wegnahme der neuen Qualität der Weltpolitik unseres Jahrhunderts stammt von Alexis de Tocqueville, der bereits in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts das wichtigste Ergebnis des Zweiten Weltkrieges voraussagte: „Es gibt heute auf Erden zwei große Völker, die, von verschiedenen Punkten ausgegangen, dem gleichen Ziel zuzustreben scheinen: die Russen und die Angloamerikaner. Beide sind im Verborgenen groß geworden, und wäh-INHALT I. Einführung II. Die Übernahme der Regierungsgewalt III. Anfänge des Wiederaufbaus IV. Die Struktur der Zonen V. Das Wiederaufleben der Parteien VI. Die Wende der anglo-amerikanischen Politik VII. Das Vereinigte Wirtschaftsgebiet VIII. Von den Frankfurter Dokumenten zum Parlamentarischen Rat rend die Blicke der Menschen sich anderswo-hin richteten, sind sie plötzlich in die vorderste Reihe der Nationen getreten, und die Welt hat fast zur gleichen Zeit von ihrer Geburt wie von ihrer Größe erfahren."

Nach der Niederringung der nationalsozialistischen Großmacht in Mitteleuropa durch die Kriegsallianz der Westmächte und der Sowjetunion wurde der Trennungsstrich zwischen Freiheit und Knechtschaft gezogen, zuerst in Europa, dann in anderen Teilen der Welt. Der unüberbrückbare Gegensatz zwischen freiheitlicher Demokratie und totalitärer Einparteienherrschaft trat 1945 nicht schlagartig in Erscheinung: Vielmehr durchlebte Europa einen schmerzlichen Prozeß der Spaltung, der zu Beginn durch eine Labilität der Situation gekennzeichnet war und schließlich in die Aufspaltung unseres Kontinents in zwei Lager einmündete. Zunächst schien alles offen zu sein: -Hoffnungen auf eine Wieder-errichtung der vor-nationalsozialistischen Ordnung in Europa regten sich nicht nur im niedergeworfenen Deutschland, in dem sich erneut eine neutralistische Grundlinie entwickelte, sondern auch in Frankreich und England, wo man glaubte, an vergangene Größe anknüpfen zu können.

Die Europäer waren jedoch nicht mehr fähig, über das Schicksal ihres Kontinents allein zu bestimmen. Zug um Zug entwickelte sich der Antagonismus der neuen Weltmächte USA und Sowjetunion zum Kalten Krieg; seit dessen Ende tragen die Supermächte ihren Gegensatz mit alten und neuen Mitteln aus.

Grundlegend für das Verständnis der heutigen Weltpolitik sind die Jahre 1945 bis 1948, weil sich in dieser Zeit die Rahmenbedingungen des internationalen Systems herausbildeten, die auch noch heute Gültigkeit haben. Diese Jahre sind aber auch entscheidend für das Verständnis der jüngsten deutschen Geschichte, weil in dieser Zeit die wesentlichen Grundlagen für die Bundesrepublik Deutschland und für die DDR geschaffen wurden. Die in dieser Zeit entstandenen tragenden Strukturelemente und Bewußtseinsorientierungen der Politik der Bundesrepublik, die konstitutiven Elemente ihrer Wirtschaftsordnung sowie die außenpolitischen Zielsetzungen waren die Ergebnisse eines Prozesses, dessen Zwangsläufigkeit erst später erkannt und verstanden wurde.

Die Geburt der Bundesrepublik Deutschland wie der DDR ist eine Funktion des Ost-West-Konfliktes, der sich in den Jahren nach 1945 entfaltete. Im von der Kriegsallianz besetzten, regierten und aufgeteilten Deutschland der Jahre 1945— 1949 wurde der Ost-West-Konflikt früher und deutlicher erkennbar, hier hatte er früher als anderswo politische Folgen. Die Uberlebensqualitäten der Bundesrepublik können nicht allein erklärt werden mit der relativen Stabilität des neuen internationalen Systems. Vielmehr kristallisierte sich in Deutschland sehr schnell eine Übereinstimmung der Interessen zwischen den westlichen Besatzungsmächten und den in ihren Besatzungsgebieten sich entfaltenden deutschen politischen Kräften heraus. Diese Überein-stimmung beantwortete die 1945 für die Deutschen in den westlichen Besatzungszonen aufgeworfene Gretchenfrage: „Freiheit oder Einheit?" schließlich eindeutig zugunsten der Freiheit. Die Gründung der Bundesrepublik Deutschland erlaubte es deren Bürgern, mit Hilfe ihrer Verbündeten und aus eigener Kraft nicht nur ein Wirtschaftswunder, sondern auch ein Freiheitswunder zu verwirklichen, das die Frage nach einer alternativen Lösung bisher nicht ernsthaft aufgeworfen hat. Der Preis für die Freiheit war und ist vorläufig der Verzicht auf die Einheit. Im von der Sowjetunion besetzten Teil Deutschlands vollzog sich ein formal ähnlicher, in seiner Substanz aber gegenläufiger Prozeß der Staatsbildung. Während die westlichen Besatzungsmächte im Laufe der Jahre 1945 bis 1948 immer mehr Entscheidungskompetenzen auf deutsche Stellen zurückverlagerten, höhlte die sowjetische Besatzungsmacht die zunächst den Besetzten verliehenen Entscheidungsfreiheiten aus, um sie schließlich nach vollzogener Sowjetisierung vollends aufzuheben. Die Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland wie der DDR wird so zu einem Lehrstück des unüberbrückbaren Gegensatzes zwischen freiheitlicher und totalitärer Politik.

II. Die Übernahme der Regierungsgewalt durch die Alliierten

Am 7. Mai 1945 wurden im Supreme Headquarters European Forces (SHAEF) Eisenhowers in Reims und am 8. Mai in Berlin-Karls-horst im Hauptquartier Schukows die Kapitulationserklärungen des deutschen Oberkommandos entgegengenommen, nachdem Hitler Großadmiral Dönitz zum Chef der „geschäfts-führenden Reichsregierung" bestellt und sich am 30. April getötet hatte.

In Europa war der Krieg zu Ende; die Sieger verkündeten und feierten die Niederwerfung Deutschlands. Die bedingungslose Kapitulation überantwortete Deutschland den Allianzpartnern. Mit dem Ende des Krieges wurde auch das öffentliche und wirtschaftliche Leben in Deutschland angehalten und sollte nach den Weisungen und Vereinbarungen der Besatzungsmächte wieder in Gang gebracht werden. Am 23. Mai 1945, nach der Verhaftung der „geschäftsführenden Reichs-regierung", des staatsrechtlich und völkerrechtlich legitimierten obersten Staatsorgans, waren die Reste der Regierungs-und Verwaltungsorganisation vollständig in sich zusammengebrochen.

Die Stunde Null war eingetreten. Das deutsche Volk war außerstande, die Lösungen der vordringlichsten Probleme aus eigener Kraft anzugehen. Die Besatzungsmächte übernahmen die Entscheidungsgewalt und trafen ihren Interessen entsprechend unterschiedliche Entscheidungen für ein Volk, das zunächst um das blanke überleben kämpfen mußte. Die Beschaffung von Lebensmitteln und Brennstoffen und das notdürftige Bewohnbar-machen der zerstörten Gebäude sowie die provisorische Wiederinstandsetzung der öffentlichen Versorgungseinrichtungen waren die vordringlichsten Aufgaben. Im Juli 1945 konnte der Durchschnittsverbraucher Lebensmittel im Kalorienwert von nur 800— 911 pro Tag beziehen Der normale Bedarf liegt bei 2 500 kcal pro Tag.

Die Besatzungstruppen waren bei ihrem Einzug in Deutschland erstaunt und erschrocken über den Zustand des zerstörten Landes. General Clay, der spätere Militärgouverneur, notierte seine ersten Eindrücke: „Die Vergeltung geht... viel weiter, als man sich das zu Hause vorstellt... Unsere Flugzeuge und unsere Artillerie .., haben den Krieg bis in die Wohnungen der Deutschen getragen."

Auch der neue US-Präsident Truman schildert in seinen Erinnerungen die Eindrücke, die ihn erschütterten, als er durch das zerstörte Berlin nach Potsdam fuhr, vorbei an „einer langen, endlos langen Prozession von alten Männern, Frauen und Kindern, die ziellos durch die Straßen irrten und alles, was sie noch besaßen, mit sich trugen, vor sich herschoben oder hinter sich herzogen"

Der Militärgouverneur für Hessen beschreibt, wie „die Amerikaner in große und kleine Städte kamen, in denen es totenstill war, die nach Tod und Zerstörung rochen. Sie kamen in Dörfer, wo vor jeder Tür eine weiße Fahne hing und wo man die Gesichter hinter den verbarrikadierten Fenstern ahnen, aber nicht sehen konnte."

Der Chef der provisorischen Regierung Frankreichs, General Charles de Gaulle, berichtet in seinen Erinnerungen von den Eindrücken, die sich ihm im Mai 1945 bei einer Inspektionsreise in Süddeutschland aufdrängten: „Das Gesicht, das Deutschland jetzt darbot, war in jedem Fall beklagenswert. Bei der Betrachtung der in Schutthaufen verwandelten Städte, bei der Durchfahrt durch zerstörte Dörfer, bei der Entgegennahme von Bittschriften verzweifelter Bürgermeister, beim Anblick der Bevölkerung, bei der die männlichen Erwachsenen fast völlig fehlten, preßte sich mir, dem Europäer, das Herz zusammen. Aber ich erkannte auch, daß eine Sintflut solchen Ausmaßes die Psychologie der Deutschentief verändern würde."

Der stellvertretende Vorsitzende des Rates der Volkskommissare der Sowjetunion, A. I. Mikojan, informierte sich im Mai 1945 in Berlin über die Lebensmittelversorgung: „In Briefen und Meldungen berichten Soldaten und Offiziere der Roten Armee, daß die Bevölkerung in zerstörten Häusern, in Kellern und Luftschutzbunkern wohnt, ohne Licht, Wasser, Kanalisation, über keinerlei Lebensmittelvorräte verfügt und hungert, überall erbetteln Frauen, Kinder und Greise von Rotarmisten Brot, sammeln sich in großen Scharen vor den Feldküchen und Kantinen der Armee."

Der Vorsitzende des Rates der Volkskommissare der Sowjetunion, J. W. Stalin, ließ von der Roten Armee Plakate anschlagen, die als „Grundlinie der sowjetischen Politik gegenüber Deutschland" ankündeten: „Die Hitler kommen und gehen, aber das deutsche Volk, der deutsche Staat, bleibt." In seiner Siegesrede am Mai 1945 erklärte er: „Die deutschen Truppen kapitulierten. Die Sowjetunion feiert den Sieg, wenn sie sich auch nicht anschickt, Deutschland zu zerstückeln oder zu vernichten." 9)

Der Oberbefehlshaber der Alliierten Streitkräfte, General Dwight D. Eisenhower, ließ Plakate ankleben, auf denen er als Leitlinie der alliierten Politik herausstellte: „Wir kommen als siegreiches Heer, jedoch nicht als Unterdrücker."

In den ersten Wochen und Monaten der Besatzung versuchten die Besatzungsmächte mit unterschiedlichen Zielsetzungen und Methoden, das öffentliche Leben auf unterer Ebene wieder in Gang zu bringen. Sie ernannten Bürgermeister und Magistrate und ließen sich bei ihrer Personalpolitik von mitgebrachten „weißen Listen" und — wie die Amerikaner — durch Empfehlung von Amtsinhabern der Kirchen, deren Hierarchie und Autorität unverletzt war, oder — wie die Russen — von Hinweisen der rasch gebildeten Antifa-Komitees leiten. Gemeinsam war ihnen das Ziel, alle nationalsozialistischen Amtsträger aus ihren Funktionen zu entfernen.

Es zeigte sich sehr bald, daß die während des Krieges nicht erzielte Übereinstimmung der Alliierten über die Behandlung Deutschlands ein schweres Hindernis für die Bewältigung der dringendsten Probleme war. Vor allem Angehörige der angelsächsischen Besatzungstruppen stellten in ihren Lageberichten eine katastrophale Verschlechterung der materiellen Situation in Deutschland heraus, falls es nicht bald gelänge, ein Aufbauprogramm für Deutschland zu entwickeln. Auch auf strategischem Gebiet erwies sich die mangelnde Übereinstimmung als unselige Hypothek. Die Eroberung und Besetzung Berlins wurde den Sowjets überlassen, die sofort nach ihrem Einmarsch mit Hilfe der Gruppe Ulbricht und anderer in Moskau geschulter kommunistischer Emigrantengruppen von der Reichshauptstadt und anderen Zentren aus Einfluß auf die Wiederbelebung des öffentlichen Lebens in ganz Deutschland nahmen. Währenddessen waren die amerikanischen Truppen bis nach Thüringen, Brandenburg und Sachsen vormarschiert, also bis weit in das vorgesehene sowjetische Besatzungsgebiet, ohne daß Zufahrtswege nach Berlin festgelegt waren.

General Eisenhower hatte als Chef des SHA-EF in seiner Proklamation Nr. 1 an die deutsche Bevölkerung bekanntgegeben, daß alle legislative, exekutive und judikative Gewalt in dem von ihm besetzten Gebiet an ihn übergegangen sei und er sie an die Militärregierung zur Ausübung delegiert habe. Schukow gab als Oberbefehlshaber der Roten Armee eine ähnliche Erklärung heraus.

Am 5. Juni 1945 traten die Oberbefehlshaber der drei Besatzungsmächte und Chefs der Zonalen Militärregierungen in Berlin zusammen und veröffentlichten drei wichtige Erklärungen. In der Feststellung Nr. 1: „In Anbetracht der Niederlage Deutschlands und der Übernahme der Regierungsgewalt hinsichtlich Deutschlands" übernahmen die vier Oberbefehlshaber mit ähnlichen Formulierungen wie in der ersten Fassung des von der EAC (European Advisory Commission) ausgearbeiteten Entwurfs der deutschen Kapitulationsurkunde alle Gewalt in Deutschland und gaben ihre ersten Forderungen, vorwiegend militärischer Art, bekannt. In der Feststellung Nr. 2 wurde das Kontrollverfahren für Deutschland und in der Feststellung Nr. 3 die Aufteilung in Besatzungszonen veröffentlicht. Der Kontrollrat konnte jedoch noch nicht tätig werden, weil die Sowjetunion den Rückzug der amerikanischen Truppen auf die vereinbarte Demarkationslinie zwischen der sowjetischen Zone und den westlichen Zonen Deutschlands zur Voraussetzung für den Einzug der westlichen Streitkräfte in Berlin mach-te. Nachdem als Rückzugstermin der 1. Juli festgesetzt worden war, marschierten die west-lichen Truppen in Berlin ein und übernahmen ihre Sektoren.

Die Amerikaner ließen am Juli, dem Vorabend des ersten Nachkriegstreffens der „Großen Drei" in Potsdam, gegen den Willen der Engländer das SHAEF aus koalitionspolitischen Gründen auflösen, weil sie die Be-fürchtungn der Sowjets über eine gegen sie gerichtete britisch-amerikanische Allianz zerstreuen wollten.

Unter diesen Vorzeichen traten am 17. Juli 1945 in Potsdam die Regierungschefs der Sowjetunion, Englands und der Vereinigten Staaten zur „Berliner Konferenz" zusammen, auf der über das Schicksal und die Behandlung Deutschlands entschieden werden sollte. Nun endlich konnten die „Großen Drei" darüber beraten, welche Maßnahmen im einzelnen erforderlich seien. Wenn man sich auch über die Verwirklichung des primären Kriegszieles — Aufbau eines funktionierenden Sicherheitssystems — nicht einigen konnte, so wurde dennoch Übereinstimmung über die Errichtung eines Rats der Außenminister der Sowjetunion, Großbritanniens, Frankreichs, Chinas und der Vereinigten Staaten erzielt, der als erstes in regelmäßigen Zusammenkünften Friedensverträge für die besiegten Länder ausarbeiten sollte 14).

Auch gegenüber Deutschland als Ganzem konnte eine gewisse Übereinkunft erreicht werden. In den „politischen und wirtschaftlichen Grundsätzen, deren man sich bei der Behandlung Deutschlands in der Anfangsperiode der Kontrolle bedienen muß" stellten die „Großen Drei" nochmals fest, daß die oberste Regierungsgewalt in Deutschland an die vier Oberbefehlshaber übergegangen sei, die entsprechend den Anweisungen ihrer Regierungen von diesen in ihrer jeweiligen Zone und gemeinsam im Kontrollrat bei allen Deutschland als Ganzes betreffenden Fragen ausgeübt werde. Die Behandlung der Bevölkerung solle in jeder Besatzungszone möglichst einheitlich sein. Als politische Ziele der Besetzung wurde ein Maßnahmenkatalog bekanntgegeben, in dem wiederum die destruktiven Maßnahmen überragten, wie z. B. völlige Abrüstung und Entnazifizierung, Entmilitarisierung und Bestrafung der Kriegsverbrecher sowie Überzeugung des deutschen Volkes, daß es das augenblickliche Chaos selbst verschuldet habe. Darüber hinaus setzten es sich jedoch die Besatzungsmächte zum Ziel, das politische Leben auf demokratischer Grundlage umzugestalten und Deutschland auf eine friedvolle Mitarbeit am internationalen Leben vorzubereiten.

Zu diesem Zwecke sollte die Verwaltung Deutschlands auf eine Dezentralisierung der politischen Struktur und Entwicklung der örtlichen Selbstverwaltung hin ausgerichtet werden. Deshalb sollte die lokale Selbstverwaltung wiederhergestellt und die Zulassung demokratischer Parteien und Gewerkschaften sowie die Errichtung von Zentralverwaltungen gestattet werden. Unter den wirtschaftlichen Maßnahmen dominierten ebenfalls die negativen wie Dekartellisierung, Beschränkung der Industrie, Vernichtung des Rüstungspotentials und Verpflichtung zu umfangreichen Reparationen. Allerdings wurde auch hier, und zwar noch stärker als in den „Politischen Grundsätzen", die Absicht betont, Deutschland wirtschaftlich als Einheit zu betrachten und als erstes gemeinsame Richtlinien für die wichtigsten Wirtschaftszweige aufzustellen. Zur Einführung und Unterstützung einer durch die Besatzungsziele begrenzten Kontrolle des deutschen Wirtschaftslebens durch den Kontrollrat sollte — wie nochmals betont wurde — ein Verwaltungsapparat für ganz Deutschland geschaffen werden.

Die Potsdamer Vereinbarungen können nicht darüber hinwegtäuschen, daß es der Kriegsallianz auf der Berliner Konferenz nicht gelungen ist, sich über eine gemeinsame Besatzungspolitik zu einigen. Die mangelnde Präzision der politischen und wirtschaftlichen Maßnahmenkataloge und das Aufschieben grundsätzlicher Entscheidungen — besonders territorialer Art — bis zur Friedenskonferenz verschleierten noch die unterschiedlichen Positionen in den Vorstellungen der östlichen und der westlichen Allianzpartner. Aber die Schwierigkeiten bei der Realisierung der Potsdamer Vereinbarungen bzw. ihre unterschiedlichen Interpretationen legten die unvereinbaren Standpunkte immer deutlicher dar. Den ersten Anhaltspunkt lieferte schon auf der Potsdamer Konferenz die von Polen mit sowjetischer Unterstützung vollzogene verwaltungsmäßige Abtrennung der Gebiete östlich der Oder-Neiße-Linie einschließlich Stettins von der sowjetischen Besatzungszone, von der die westlichen Alliierten überrascht wurden. Wenn darüber auch schon auf den vorangegangenen Drei-Mächte-Konferenzen diskutiert worden war, so sollte dennoch eine endgültige Regelung dem Friedensvertrag Vorbehalten werden.

Am 30. August gab der Kontrollrat in der Proklamation Nr. 1 seine Konstituierung bekannt und veröffentlichte am 20. September 1945 in einer weiteren Proklamation „die zusätzlich an Deutschland gestellten Forderungen", die im wesentlichen aus den politischen Grundsätzen der Potsdamer Vier-Mächte-Erklärung bestanden. In der Folgezeit verkündete der Kontrollrat bis zu seiner endgültigen Beschlußunfähigkeit 1948 nahezu 100 Gesetze, Befehle und Direktiven, die zum großen Teil die Aufhebung von Gesetzen und Vorschriften aus der NS-Zeit sowie Entnazifizierung und Entmilitarisierung zum Inhalt hatten. Darüber hinaus gelang es, auch über eine Reihe von unpolitischen Gegenständen wie Volkszählung, Merkmale der Fischerei-boote und einheitliche Uhrzeit Übereinstimmung zu erzielen und durch Verfügungen eine zoneneinheitliche Regelung zu erreichen. Das Gesetz über die Auflösung des Staates Preußen vom 25. Februar 1947 ist der vielleicht politisch bedeutungsvollste Beschluß des Kontrollrats, obwohl er nur eine nachträgliche Billigung der Neueinteilung Preußens in die sowjetische und die britische Zone war, nachdem Ostpreußen und die anderen Landesteile nach der Potsdamer Konferenz unter polnische bzw. sowjetische Verwaltung gestellt worden waren. In Potsdam hatten die westlichen Mächte die Abtrennung von Königsberg und der nördlichen Hälfte Ostpreußens und ihre Einverleibung in die Sowjetunion ebenso hingenommen wie die Übergabe des restlichen Ostpreußens an die polnische Verwaltung. Wenn diese Gebiets-abtrennungen auch einer endgültigen Rege-7 lung auf einer Friedenskonferenz vorbehalten bleiben sollten, so einigten sich die Großen Drei dennoch in Potsdam auf die Ausweisung der Deutschen aus Polen, Ungarn und der Tschechoslowakei, die in „ordnungsmäßiger und humaner Weise" durchgeführt werden sollte. Damit wurde die größte Völkerwande-rung der Geschichte in Gang gesetzt. Mehr als zwölf Millionen Menschen mußten ihre Heimat verlassen und strömten in die vier Besatzungszonen. Durch Flucht und Vertreibung verloren mehr als zwei Millionen Menschen ihr Leben, darunter 1, 5 Millionen Vertriebene aus Ostdeutschland.

III. Anfänge des Wiederaufbaus

Die Arbeit des Kontrollrates kam nur zögernd in Gang. Die provisorische Regierung Frankreichs hatte den Beschlüssen der Potsdamer Konferenz, zu der sie nicht eingeladen war, nicht zugestimmt und fühlte sich nicht an sie gebunden. Frankreich hatte zwar auch Sitz und Stimme in dem Kontrollorgan der Alliierten für Deutschland und eine Besatzungszone erhalten, aber auf Anweisung seiner Regierung verzögerte der französische Vertreter im Kontrollrat zunächst eine Beschlußfassung. Dies hatte zur Folge, daß den Zonenoberbefehlshabern in ihren Besatzungszonen fast völlige Entscheidungsfreiheit in allen Angelegenheiten zufiel, die das öffentliche Leben betrafen.

Gemäß den Potsdamer Vereinbarungen be-gannen alle Militärregierungen mit der Entnazifizierung — der für die Alliierten wichtigsten Frage —, für deren Lösung die Amerikaner ein ausgearbeitetes Schema mitbrachten. Die ersten freien Regungen des deutschen politischen Lebens wurden im Keim erstickt. Die politische Vergangenheit jedes erwachsenen Deutschen wurde in Fragebogen nach mit „ja" oder „nein" zu beantwortenden Fragen erfaßt

Während die Entnazifizierung in der amerikanischen Besatzungszone von den Sppuchkam-mern mit großer Energie umfassend durchgeführt wurde und die Deutschen in den britischen und französischen Besatzungszonen ebenfalls diese Prozedur der politischen Gewissenserforschung über sich ergehen lassen mußten, wurde sie in der sowjetischen Zone zum „Instrument der sozialen Umschichtung" durch das politisch mißliebige Personen, die zu einer Gefahr der zu errichtenden „demokratischen" Ordnung werden konnten, aus dem öffentlichen Leben ausgeschaltet wurden.

Unter „Entnazifizierung" verstanden die Besatzungsmächte die völlige Ausrottung des Nationalsozialismus. Diese wollten sie erreichen durch die Auflösung aller NS-Organisationen, durch die Beschlagnahmung ihrer Vermögen und mit der Säuberung des öffentlichen Lebens durch die Entfernung aller Belasteten. Als „belastet" sollte jeder gelten, der sich in der NS-Zeit schuldig gemacht oder aktiv mit dem Regime sympathisiert hatte. Eine nominelle Mitgliedschaft in der NSDAP oder einer ihrer Organisationen sollte nach Meinung der Alliierten allein nicht ausreichen, um eine Person als belastet einzustufen.

In der Kontrollratsdirektive Nr. 24 vom 12. Januar 1946 wurden 99 Kategorien von „Nationalsozialisten, Militaristen und höheren Beamten bis zu Bürgermeistern und Land-räten" aufgeführt. Sie alle waren in Anklage-zustand versetzt. Entgegen der deutschen Rechtstradition galt eine Schuldvermutung, Von der sich die Betroffenen zu entlasten hatten, zunächst gegenüber der Militärverwaltung, später gegenüber deutschen Spruch-kammern, die von den Besatzungsbehörden kontrolliert wurden Bis zum Urteil bestand für alle Betroffenen Berufsverbot; sie durften lediglich „gewöhnlicher" Arbeit nachgehen. Das Urteil lautete entweder „entlastet" oder „minder belastet" oder „belastet" oder „schwer belastet". Die Sühnemaßnahmen reichten bei belasteten Beamten von der Wiedereinstellung auf Bewährung bis zur Entlassung ohne Pension.

Die personelle Entnazifizierung sollte Sühne bedeuten, Sicherheit gegen ein Wiederaufleben des Nationalsozialismus schaffen und die Grundlage für eine vollständige Erneuerung der Gesellschaft bilden. Vor allem die Amerikaner sahen in der Erneuerung der deutschen Gesellschaft auf demokratischer Grundlage eine, wenn nicht die wichtigste Maßnahme zur Ausschaltung der deutschen Kriegsgefahr. Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus durch Entnazifizierung wurde institutionell geführt. Die große Masse seiner Anhänger zog sich unter dem Eindruck der vernichtenden Niederlage in das Privatleben zurück Die Entnazifizierung stieß auf den Widerstand der sich entfaltenden politischen Parteien, sie geriet auch bald in einen Gegensatz zu den personellen Bedürfnissen des administrativen Wiederaufbaus, bei dem die Alliierten nicht auf den Sachverstand einer so großen Gruppe von Fachleuten vollständig verzichten konnten. Für das Scheitern der dekretierten Säuberung sorgte auch die unterschiedliche Entnazifizierungspraxis.

Der radikalen Entnazifizierung in der US-Zone stand in der SBZ die politische Entnazifizierung gegenüber. Dort konnte eine NS-Belastung durch eine antifaschistische Aktivität wettgemacht werden. Die neue Überzeugung wusch ihre Träger von alten Fehlern bald sauber. In der französischen Zone wurde das Entnazifizierungsprogramm von dem Interesse der Besatzungsbehörden an einer möglichst leistungsfähigen Verwaltung überlagert. Die Franzosen stellten sogar ehemalige Nationalsozialisten wegen ihrer besonderen Gefügigkeit in den öffentlichen Dienst ein und schlossen mit einigen Belasteten „Werkverträge" ab

Das „Entnazifizierungsgefälle" führte dazu, daß die Betroffenen in die für sie jeweils günstigste Zone drängten. Mit zunehmendem Abstand von der Stunde Null wurden die von der Verwaltung zu lösenden Aufgaben der Nahrungsmittel-und Brennstoffversorgung und der Wiederingangsetzung von Industrie und Verwaltung dringlicher — und die Entnazifizierungsprogramme verloren an Bedeutung. Auf der Strecke blieb eine Entnazifizierungspolitik, die auch als Tragikomödie der Irrungen angesehen werden muß. Zum Beispiel fielen die traditionellen Oberammergau-er Passionsfestspiele aus, weil allein der Judas-Darsteller als unbelastet galt. Während dies nur als historische Marginalie interessant ist, wiegt schwerer, daß die Militärbehörden und später die Spruchkammern durch die Flut der Verfahren derartig überlastet wurden, daß viele Hauptschuldige mit falschem Namen und falschen Papieren in der Masse entwurzelter Deutscher untertauchen konnten.

Andererseits gab es eine große Zahl von Unschuldigen, die aüfgrund von Denunziation, falschen Anschuldigungen oder grotesken Irrtümern von den Behörden monatelang in Haft gehalten wurden. Die „Germanisierung der Entnazifizierung" mit der Errichtung von nur deutschen Spruchkammern war der resignierende Versuch der Besatzungsmächte, den Schwarzen Peter für die gescheiterte Aktion den Deutschen zuzuschieben.

In den Potsdamer Vereinbarungen hatten sich die Partner der Kriegsallianz geeinigt, beim Aufbau des öffentlichen Lebens in Deutschland phasenweise vorzugehen: Zuerst sollten die Deutschen in der lokalen Selbstverwaltung ihre demokratischen Kräfte und Fähigkeiten entfalten und beweisen, erst danach sollten Parteien für ganz Deutschland zugelassen werden. Dies blieb jedoch Theorie. Die unterschiedlichen Zielvorstellungen der Alliierten machten diese Pläne zunichte. Schon vor der Potsdamer Konferenz wurden die westlichen Alliierten durch den Befehl Nr. 2 der sowjetischen Militärbehörde überrascht, in dem die Sowjets Phase 2 (Zulassung von antifaschistischen Parteien) in ihrer Zone vorwegnahmen.

Fünf Tage nach der Übernahme der obersten Regierungsgewalt in Deutschland durch die Sieger, am 10. Juni 1945, ließ die sowjetische Militärregierung Parteien und Gewerkschaften zu. Schon einen Tag später entstand als erste Partei die KPD in Berlin, gefolgt von der SPD und von der CDU am 26. Juni. Während die westlichen Militärregierungen noch zögerten, Parteien zuzulassen, wurden in der Sowjetischen Besatzungszone die ersten Voraussetzungen für eine „Volksdemokratie" schon sehr früh geschaffen; sie brachten der von den Sowjets geförderten KPD Vorteile bei ihren Bemühungen um eine Einflußnahme auf ganz Deutschland. Erst am 2. September 1945 wurden in der amerikanischen und britischen Zone und am 13. Dezember 1945 in der französischen Zone demokratische Parteien offiziell zugelassen

Dennoch hatte es zunächst den Anschein, als ob die Entfaltung der deutschen Selbstverwaltung von der untersten Stufe aus in allen Zonen einheitlich betrieben würde. Um nazistische Komponenten, etwa das Führerprinzip, in der kommunalen Selbstverwaltung auszuschalten, wurde in allen Zonen die Deutsche Gemeindeordnung (DGO) von 1935 geändert oder durch eine neue Ordnung ersetzt, in der das Prinzip der gemeinschaftlichen Verantwortung betont wurde. Das gleiche geschah mit den Kreisordnungen. In allen Zonen wurden im Laufe des Jahres 1946 erstmalig seit 1933 repräsentative Gemeinde-und Kreisvertretungen in freien Wahlen gebildet. Sie wurden mit der Leitung der Gemeinde-und Kreisverwaltungen betraut; die von den Besatzungsbehörden eingesetzten Leiter wurden abgelöst oder bestätigt. Die neu gewählten Gemeinde-, Kreis-, Provinzial-und Landesvertretungen bestellten Bürgermeister, Landräte und Landesregierungen,, die von den entsprechenden Stellen der Militärregierungen kontrolliert wurden oder an die Order der von den Militärregierungen eingesetzten Landes-, Provinzial-oder Zonenbehörden gebunden waren.

Die neuerrichteten örtlichen Selbstverwaltungen erfüllten die ihnen zugedachte Aufgabe als „Kindergarten der Demokratie" nur zum Teil. Die materiellen Probleme, wie Trümmer-beseitigung, Ernährung und Unterkunft, waren so gewaltig, daß sie nur durch Improvisation bewältigt werden konnten. Auch war die Erschütterung über den Zusammenbruch viel zu tief, als daß eine vorläufige Selbstbescheidung der Deutschen auf die politischen Probleme der Gemeinde überhaupt eine Beschäftigung mit anderen politischen Problemen zuließ. „Es waren die großen grundsätzlichen Fragen, die sich in den Vordergrund drängten: das Problem der Kollektivschuld, der Bestrafung der Kriegsverbrecher, Deutschlands Stellung zwischen Ost und West und die Prinzipien der neuen Sozial-und Wirtschaftsordnung. Die Wucht dieser Probleme, die Beschränkung aller Betätigungsmöglichkeiten auf kleinstem Raum und das Fehlen einer gemeinsamen Deutschlandpolitik der Besatzungsmächte schufen einen latenten Spannungszustand der ohnmächtigen und lustlosen Ungeduld, die das deutsche politische Denken dieser Periode beherrschte."

Die Aufteilung Deutschlands in vier Besatzungszonen sowie das Potsdamer Postulat einer Dezentralisierung — als Ersatz für die ursprünglich beabsichtigte Entmachtung Deutschlands durch dessen Zersplitterung — hatten eine Maßnahme der Militärregierungen aller Zonen zur Folge: die Wiederbelebung und Neuerrichtung der Länder. Die britische Besatzungszone, die sich aus vier Län-dem, vier Provinzen und zwei Freistädten zusammensetzte, wurde in den ersten 18 Monaten der Besatzung umstrukturiert und be-stand im Januar 1947 aus den Ländern Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen (einem neuen Land, das die Gebiete Lippe und Westfalen sowie die Regierungsbezirke Aachen, Düsseldorf und Köln zusammenfaßte) sowie Hamburg und Bremen.

Am schnellsten wurde die Neugliederung der amerikanischen Besatzungszone durchgeführt, wobei die Militärregierung starke eigenstaatliche Traditionen ausnutzen konnte. Schon am 19. September 1945 wurden drei Länder geschaffen: Hessen, Württemberg-Baden, Bayern, wobei nur in (Groß-) Hessen keine landeseigene Tradition und ehemalige Landeszentralverwaltung vorgefunden wurde. Die „künstliche" Gestalt Hessens war durch die nachträgliche Grenzziehung zwischen der amerikanischen und französischen Besatzungszone bedingt.

Die französische Zone bestand aus einer Reihe von Gebietsfetzen, die ihr das Stigma des Artifiziellen gaben. Bis zum Sommer 1946 gliederte die französische Militärregierung ihre Zone in vier verfassungsrechtliche Einheiten, deren Staatenbildung ungleich schwerer war als in der britischen und amerikanischen Besatzungszone. Die französische Zone bestand jetzt aus den drei Ländern Württemberg-Hohenzollern, Baden und Rheinland-Pfalz sowie dem Sondergebiet Saarland, das später in das französische Zollund Währungsgebiet einbezogen wurde

Die sowjetische Zone setzte sich seit Herbst 1945 aus den fünf formell zunächst weitgehend selbständigen Ländern Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Mecklenburg und Thüringen zusammen. Die Neugliederung konnte sich auch dort auf vorhandene Traditionen ehemaliger Länder und Provinzen stützen. Es wurden nur kleinere Änderungen der früheren Verwaltungsgrenzen durchgeführt. * Neben der Zulassung von politischen Parteien, dem Wiederaufbau einer Verwaltung von unten her, die dem Repräsentationsprinzip entspricht, der verwaltungsmäßigen Neugliederung des deutschen Territoriums in Länder, der Durchführung von Landtagswahlen und der Bestätigung der Länderverfassungen durch Volksentscheide, die im Laufe der Jahre 1946/47 in allen Zonen durchgeführt wurden, gab es keine wesentlichen Gemeinsamkeiten der Besatzungspolitik in den vier Zonen. Geplant war — den Potsdamer Vereinbarungen entsprechend — die Errichtung von Zentralverwaltungen mit gesamtdeutschen Kompetenzen; diese fiel jedoch dem französischen Veto zum Opfer. Frankreich hatte schon kurz nach der Potsdamer Konferenz in einer Reihe von Noten Bedenken gegen die in den „Politischen Richtlinien" geplanten Maßnahmen der Militärregierungen geäußert Der Londoner Tagung des Rats der Außenminister im September 1945 lag ein Memorandum vor, in dem sich die französische Regierung gegen die Errichtung von Zentralverwaltungen aussprach, die die „deutschen Einheitsbestrebungen neu beleben und die Rückkehr zu einer Form des zentralisierten deutschen Staates" begünstigen könnten.

Grundbestandteil der französischen Nachkriegspolitik war die Absicherung der französischen Ostgrenzen, die Frankreich nur dann als gewährleistet betrachtete, wenn das rheinisch-westfälische Gebiet von Deutschland abgetrennt und unter französische oder zumindest internationale Kontrolle gestellt würde. Bevor diese territorialen Probleme auf der Friedenskonferenz nicht behandelt und gelöst wären, könne der Wiedererrichtung einer deutschen Zentralgewalt in Form von Zentralverwaltungen kein französisches Placet gegeben werden.

Der französische Außenminister Bidault skizzierte in seiner Rede vom 17. Januar 1946 die französische Deutschlandpolitik, deren Bestandteile — im Gegensatz zu den Praktiken der Sowjetunion in Ostdeutschland — nicht machtpolitische, sondern sicherheitspolitische Überlegungen wären: „Frankreich kann nicht zugeben, daß eine deutsche zentrale Macht aufkommt und unmittelbar vor seinen Toren herrscht, wenn nicht im Osten ein zusätzlicher wesentlicher Sicherheitsstreifen geschaffen wurde. Deshalb verlangt die franzöische Regierung, daß die deutschen Grenzen im Westen festgelegt werden, wenn eine deutsche Zentralverwaltung geschaffen wird.“

Anders als Frankreich war die Sowjetunion zunächst an zentralen Einrichtungen stark interessiert, weil sie sich davon eine Realisierung des in Potsdam beschlossenen Grundsatzes der Behandlung Deutschlands als wirtschaftliche Einheit versprach, die nach ihrer Meinung eine schnelle und vollständige Abwicklung der deutschen Reparationsverpflichtungen ermöglicht hätte.

Bereits im von der Jalta-Konferenz eingesetzten Teilungsausschuß hatte der sowjetische Vertreter einen Kurswechsel der Sowjetunion in der Aufteilung Deutschlands signalisiert. Er bezeichnete die Teilung Deutschlands mehrfach als „nicht-obligatorischen Plan", sondern nur als „Möglichkeit, Deutschland unter Druck zu setzen". Die Sowjetunion sei sich noch nicht darüber im klaren, ob eine Teilung Deutschlands wünschenswert sei.

So wird verständlich, daß sich die Sowjetunion von der Errichtung zentraler deutscher Stellen, die unter sowjetischen bzw. sowjet-freundlichen Einfluß gebracht werden sollten, größere Realisierungsmöglichkeiten der maximalen Variante ihrer Deutschlandpolitik versprach: die Einbeziehung Gesamtdeutschlands in die sowjetische Einflußsphäre. Entsprechend der minimalen Variante sollte zumindest die sowjetische Zone zu einer starken Machtposition ausgebaut werden, aus der heraus im geeigneten Augenblick der Vorstoß nach Westdeutschland unternommen werden konnte. Diese Hoffnungen der Sowjetregierung stützten sich auf die sowjetische Einschätzung der innenpolitischen Situation in den Vereinigten Staaten. Stalin erwartete ein neues Aufleben des amerikanischen Isolationismus. Auf der Jalta-Konferenz glaubte er einer Äußerung Roosevelts entnehmen zu können, daß die amerikanischen Truppen nicht länger als zwei Jahre in Westeuropa bleiben würden. Auch Churchill hatte erklärt, daß England aus innenpolitischen Gründen keine langfristigen Besatzungskosten aufbringen könne

Aufgrund der unterschiedlichen Kriegszielvorstellungen der vier Alliierten und der grundsätzlich verschiedenen Standpunkte in der Frage der Behandlung Deutschlands während der Besatzung konnte es nicht ausbleiben, daß die Wiederbelebung des öffentlichen Lebens und der Aufbau der deutschen Verwaltung in den vier Besatzungszonen unter völlig verschiedenen Voraussetzungen begannen und zu verschiedenen Ergebnissen führten.

IV. Die Struktur der Zonen

Die Amerikaner glaubten an den Föderalismus als Grundsatz der Demokratie, wie sie es in ihrer eigenen Geschichte gelernt hatten. Die demokratische Erneuerung Deutschlands konnten sie sich ohne föderalistische Struktur zunächst nicht vorstellen. Deshalb waren die Ministerpräsidenten ihrer Länder für sie die Hauptgesprächspartner auf deutscher Seite, und deshalb erlaubten sie zwar eine ständige Konferenz der Ministerpräsidenten ihrer Zone im sogenannten Stuttgarter Länderrat, verweigerten ihm jedoch jede Gesetzgebungs-oder Verwaltungskompetenz auf Zonenebene. Anders die britische Besatzungspolitik. An zentralstaatliches Denken gewöhnt, konnten die Briten sich bestenfalls eine bundesstaatliche Lösung vorstellen. Auch sie wollten kein starkes und einheitlich geführtes Deutschland und keine von deutschen Zonenzentralstellen einheitlich verwaltete Zone; auch sie gliederten ihre Zone in neugeschaffene Länder. Die Neugründung der Parteien und Gewerkschaften hatte für sie Vorrang vor föderalistischen Gesichtspunkten. Sie erlaubten den besiegten Deutschen deshalb früher als die Amerikaner, sich zu politischer und gewerkschaftlicher Arbeit zusammenzuschließen. Sie akzeptierten auch früher die Zusammenarbeit der Deutschen auf zonaler Ebene. Der Hamburger Zonenbeirat hatte zwar auch nur beratende Aufgaben, er gewann jedoch ein wesentlich größeres politisches Gewicht als sein Gegenstück, der Länderrat, in der US-Zone, weil in ihm deutsche Partner saßen, die zunehmend legitimiert waren, die deutschen Interessen zu vertreten. Der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in der britischen Zone, Kurt Schumacher, der Vorsitzende der neugegründeten Christlich Demokratischen Union in der britischen Zone, Konrad Adenauer, und auch der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes in der britischen Zone, Hans Böckler, bewiesen der britischen Besatzungsmacht, daß trotz der Unterschiede in der Grundposition der verschiedenen politischen Kräfte eine gemeinsame Haltung der Deutschen in allen lebenswichtigen Fragen gegenüber der Besatzungsmacht zustande kam.

Auch in der sowjetischen Besatzungszone wurden Länder geschaffen, die jedoch keine politische Bedeutung gewinnen und die Gründung der DDR nicht lange überleben sollten.

Die sowjetische Besatzungsmacht hatte ein ideologisch begründetes, streng zentralistisches Konzept, in dem die Kommunisten und die von ihr zu steuernden Massenorganisationen die entscheidende Rolle spielen sollten.

Mit deutschen zentralen Instanzen ließ sich sowohl die einheitliche Kontrolle ihrer Zone leichter bewerkstelligen als auch die Einflußnahme auf Deutschland als Ganzes vergrößern, sobald es zur Errichtung der geplanten suprazonalen deutschen Verwaltungsinstanzen kommen würde. Die zentralistische Grundlinie der sowjetischen Besatzungspolitik setzte sich de facto durch, auch wenn zunächst formal pluralistische, föderalistische und dezentralisti-sehe Elemente erlaubt wurden.

Der in der Gründungsphase zugelassene parteipolitische Pluralismus führte zur Wieder-begründung eines breiten Parteienspektrums, das von betont bürgerlichen Parteien bis hin zur KPD reichte. Der Gründungsaufruf der KPD — von der in Moskau in der Emigration zusammengestellten und auf KPdSU-Kurs getrimmten Gruppe Ulbricht vorbereitet — war bemerkenswert. Denn er stellte fest: „Der Weg wäre falsch, Deutschland das Sowjetsystem aufzuzwingen. Ein solcher Weg entspricht nicht den Entwicklungsbedingungen in Deutschland."

Auch die Gründung der Gewerkschaften und Massenorganisationen und die Besetzung ihrer Schlüsselorganisationen durch Kommunisten war eine Maßnahme, die eine völlige gesellschaftliche und politische Kontrolle zum Ziel hatte, ohne das zentralistische Konzept von vornherein zu enttarnen. Als sich bei den wiederentstandenen politischen Kräften Widerstand gegen die Bevorzugung der KPD durch die sowjetische Besatzungsmacht zu regen begann und als die Mißerfolge der KPD bei Wahlen in den westlichen Besatzungszonen die Hoffnungen der Kommunisten zerstörten, daß die Partei sich aus eigener Kraft an die Spitze setzen würde, wurde die antipluralistische Linie immer deutlicher. Sie deutete sich schon sehr früh in der Phase der antifaschistischen Zusammenarbeit an, in der sich bereits im Juli 1945 alle Parteien und Massenorganisationen zu einer „Einheitsfront der antifaschistisch-demokratischen Parteien" zusammenzufinden hatten. Ein erster Höhepunkt war die von den Sowjets erzwungene Fusion von SPD und KPD am 22. April 1946, die den absoluten Machtanspruch der Kommunisten deutlich mach-te

Noch stärker als die amerikanische Militärregierung betonte die französische Besatzungsmacht in ihrer Zone ein radikal-föderalistisches Prinzip in der Absicht, die Entstehung einer starken deutschen Zentralgewalt unmöglich zu machen oder zumindest zu behindern. Dahinter standen Sicherheitserwägungen, die für die französische Deutschlandpolitik nach 1945 bezeichnend waren Charakteristisch für die französische wie für die sowjetische Zone war die Zweigleisigkeit der Verwaltung, bei der jeder deutschen Behörde eine örtliche und regionale Landesbehörde der jeweiligen Militärregierung nebengeordnet war.

Nach der Schaffung des Landes Rheinland-Pfalz durch ein Dekret des französischen Zonenoberbefehlshabers, General Koenig, und den ersten Gemeinde-und Kreiswahlen im Herbst 1946 wurden provisorische Länderregierungen eingesetzt und für die Länder (außer dem Saarland) „Beratende Versammlungen" einberufen, die die Aufgabe hatten, im Einvernehmen mit der Militärregierung und den vorläufigen Länderregierungen Verfassungsentwürfe für die Länder zu erarbeiten. Institutionen auf deutscher Seite, die mit den Zonenzentralämtern und dem Zonenbeirat in der britischen Zone, dem Länderrat in der amerikanischen Zone und den Zonenzentralverwaltungen sowie später der Deutschen Wirtschaftskommission in der sowjetischen Zone vergleichbar gewesen wären, konnten in der französischen Zone vorerst nicht eingerichtet werden, in der allein die Militärregierung die Zuständigkeit für die gesamte Zone in der Hand behielt

Soweit die französische Besatzungsmacht an Verwaltungsaufgaben besonders im Bereich der Wirtschaft überhaupt ein eigenes Interesse nahm, haben die Besatzungsbehörden die einheitlich zu regelnden Angelegenheiten der Zone selbst in der Hand gehalten; alles übrige ist — dem föderalistischen Grundzug der französischen Besatzungspolitik entsprechend — auf die Länder verlagert worden. Das Saarland allerdings wurde ausschließlich von der Militärregierung verwaltet und regiert, bevor es am 1. April 1948 in das französische Zollgebiet eingegliedert wurde.

Groß-Berlin wurde von den Alliierten als ein Sondergebiet behandelt, das der gemeinsamen Verwaltung der vier Besatzungsmächte unterstellt wurde. Die „Kommandantura", die sich aus den Kommandanten der vier Sektoren zusammensetzte, sollte — dem Kontrollrat untergeordnet — der Berliner Verwaltung als oberstes Weisungs-und Kontrollorgan vorgesetzt sein. , Noch vor dem Einzug der westlichen Besatzungstruppen in Berlin, der erst Anfang Juli abgeschlossen war, betrieb der sowjetische Stadtkommandant, General Besarin, den Wiederaufbau der deutschen Verwaltung. Schon am 17. Mai konnte der von den Sowjets ernannte Oberbürgermeister Dr. Werner die Zusammensetzung des von dem sowjetischen Stadtkommandanten genehmigten Magistrats bekanntgeben. Diesem Gremium gehörten Politiker aus der Weimarer Zeit wie der ehemalige Reichsminister Dr. Hermes und parteilich nicht gebundene Persönlichkeiten wie die Professoren Scharoun und Sauerbruch, hauptsächlich aber Kommunisten an In allen Bezirken bestellten die Sowjets außerdem die Bezirksbürgermeister. Nachdem die westlichen Besatzungstruppen ihre Sektoren übernommen hatten, sahen sich ihre Kommandanten gezwungen, alle Bezirksämterchefs ihrer Posten zu entheben und andere Persönlichkeiten damit zu betrauen.

Nachdem im Juli 1946 die Kommandantura eine vorläufige Verfassung genehmigt hatte und Kommunalwahlen abgehalten worden waren, wurde dem Magistrat ein parlamentarisches Gegenstück beigefügt, die Stadtverordnetenversammlung. Sie bestellte den Magistrat und konnte ihn kontrollieren und ihm Weisungen erteilen. Darüber hinaus wurde sie mit Legislativvollmacht ausgestattet und mit der Aufgabe betraut, eine neue Verfassung auszuarbeiten. Deren Entwurf wurde allerdings von der Kommendantura aufgrund der Ablehnung des sowjetischen Stadtkommandanten später nicht genehmigt Schon nachdem am 30. Oktober 1946 die erste Stadtverordnetenversammlung gewählt und zunächst Otto Ostrowski, später dann Ernst Reuter von ihr als Oberbürgermeister bestellt wurden, kündigte die Weigerung des sowjetischen Kommandanten, der Ernennung Reuters zuzustimmen, die spätere Teilung der Stadt an. Die Pläne der Besatzungsmächte, die dem politischen Leben in ihren Zonen jeweils einen eigenen Stempel aufdrückten, waren nicht in Übereinstimmung zu bringen.

V. Das Wiederaufleben der Parteien

Die Deutschen verharrten nicht in Resignation und Untätigkeit. Sie nahmen die Herausforderung der Besatzung an und versuchten, ihr Schritt um Schritt die Verantwortung für ihr eigenes Schicksal abzuringen. In der sowjetisch besetzten Zone scheiterte dieser Versuch. Eine totalitäre Ideologie und die völlige Kontrolle aller Machtmittel durch die von der Besatzungsmacht gesteuerte Kommunistische Partei schalteten den politischen Gestaltungswillen der Deutschen in der Sowjetischen Zone aus.

Anders in den Besatzungszonen der westlichen Alliierten. Hier gewannen Frauen und Männer unterschiedlichster politischer Standorte das Vertrauen ihrer Mitbürger, hier überwanden deutsche Politiker das Mißtrauen der Sieger und konnten immer mehr Mitverantwortung für das Schicksal der Deutschen übernehmen, bevor ihnen die Besatzungsmächte die Alleinverantwortung übertrugen.

Einer von ihnen war Konrad Adenauer, ein anderer Kurt Schumacher. Beide Männer wurden die führenden Persönlichkeiten des ersten Nachkriegsjahrzehnts; sie waren auf deutscher Seite die wichtigsten Gegenspieler der Besatzungsmächte.

Konrad Adenauer war 69 Jahre alt, als ihn die Amerikaner im Mai 1945 zum Oberbürgermeister seiner Heimatstadt Köln machten. Er hatte dieses Amt bereits von 1917 bis 1933 bekleidet, als ihn die Nationalsozialisten aus dem Amt jagten. Seine Furchtlosigkeit, die er auch während der NS-Zeit trotz Verfolgung und Haft bewiesen hatte, trug ihm bald die Gegnerschaft der britischen Besatzungsmacht ein. Im Oktober 1945 beklagte er sich in einem Interview für eine britische Zeitung darüber, daß die Engländer keine Anstalten machten, den Deutschen Hausbrandkohle für den kommenden Winter zu geben. In seinen Memoiren erinnert er sich an dieses Interview: „Ich habe auf die sehr verwerflichen Folgen, Tod ungezählter Tausender, Schwächung der übrigen, Krankheiten, Epidemien, hingewiesen. Ich habe ihnen weiter gesagt, de Gaulle habe in diesen Tagen eine Rede in Saarbrücken gehalten und laut Londoner Sender in ihr gesagt, Franzosen und Deutsche müßten einen Strich unter die Vergangenheit machen, zusammenarbeiten und eingedenk sein, daß sie Europäer seien. Die Journalisten sagten, sie seien bei dieser Rede zugegen gewesen, de Gaulle habe sogar gesagt, Franzosen und Deutsche müßten eingedenk sein, daß sie Westeuropäer seien. Ich erwiderte, ich wollte, daß einmal ein englischer Staatsmann von uns als Westeuropäer gesprochen hätte."

Der englische Militärgouverneur Barraclough bekam einen Wutanfall. Er zitierte Adenauer in sein Hauptquartier. Adenauer berichtet: „Als ich das Amtszimmer von Brigadier Barraclough, dem Militärgouverneur der Nord-Rheinprovinz, betrat, waren einige britische Offiziere anwesend. Keiner der Herren erhob sich, als ich den Raum betrat. Nach einer kurzen, sehr förmlichen Begrüßung wurde mir kein Stuhl angeboten. Ich nahm mir selbst einen Stuhl und wollte mich setzen. Daraufhin sagte Brigadier Barraclough in ziemlich knappem Ton: . Bleiben Sie ste-hen!'"

Anschließend wurde Adenauer ein langer Brief vorgelesen. Barraclough setzte ihn we-gen „Unfähigkeit" als Oberbürgermeister ab und untersagte ihm unter Strafandrohung jede politische Betätigung in der britischen Zone. Die Frage, ob er noch etwas zu sagen habe, verneinte Adenauer und verließ den Raum.

Diese erneute Entlassung als Oberbürgermeister von Köln bot Adenauer trotz des Verbots die Chance zu politischer Betätigung. Er schloß sich der neugegründeten Christlich Demokratischen Union Deutschlands an. Nach der Aufhebung des Betätigungsverbots reiste er als Vorstandsmitglied der nordrheinwestfälischen CDU im Januar 1946 nach Her-ford zur ersten zonalen CDU-Konferenz. Adenauer erschien auf dem Podium im Saal des alten Herforder Rathauses und setzte sich auf den noch leeren Stuhl des Versammlungsleiters. Mit entwaffnendem Lächeln meinte er, da er 1876 geboren und wohl der Älteste hier im Saale sei, betrachte er sich als Alterspräsidenten; er eröffnete die Tagung und leitete sie auf allgemeinen Wunsch weiter. Er verließ die Versammlung als Vorsitzender des CDU-Zonenausschusses. Wenige Wochen später wurde er zum Ersten Vorsitzenden der CDU der britischen Zone gewählt

Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands war Kurt Schumacher, der wie Adenauer von den Nationalsozialisten verfolgt worden war. Schumacher wurde bereits 1933 in ein KZ gebracht. Seine Aufseher hatten den Auftrag, ihn „fertig zu machen". Nachdem er kurz nach seiner Einweisung zum erstenmal zusammengeschlagen worden war, gab ihm ein Wärter den Rat, sich aufzuhängen; er glaube nicht, daß er das überleben werde, was ihm bevorstehe. Schumacher war im Ersten Weltkrieg schwer verwundet worden und hatte einen Arm verloren.

Aber sein eiserner Durchhaltewille erlaubte es ihm, die zwölf Jahre in KZs und Gefängnissen zu überleben: krank, aber geistig ungebrochen, begann er von Hannover aus die SPD aufzubauen, von der er fest überzeugt war, daß sie Deutschland regieren würde. Das neue Deutschland sollte nach seinen Vorstellungen auf drei Säulen aufgebaut werden: Frieden, Freiheit und Sozialismus. Kommunisten und andere Parteien hatten nach seiner Überzeugung keine Chance, gestaltende Kräfte zu werden. Er war besessen von der Furcht, daß die Sozialdemokratie, wie nach dem Ersten Weltkrieg, des Paktierens mit den Siegern beschuldigt werden könnte. Deshalb lehnte er die britische Besatzungspolitik ab, obwohl sie von sozialistischen Gesinnungsfreunden in London geführt wurde

Labour-Außenminister Bevin trat sein Amt mit der Behauptung an: links und links versteht sich gut. Er veranlaßte in der britischen Besatzungszone die Bevorzugung von Sozialdemokraten und Gewerkschaftlern bei Personalentscheidungen. Die entschiedene Gegnerschaft Schumachers gegen die britische Besatzungspolitik ließ ihn jedoch bald zu der Überzeugung kommen, daß er es wieder mit jenen deutschen Sozialisten zu tun habe, die er bereits aus der Zeit vor 1914 kenne, die zuerst Nationalisten und dann erst Sozialisten seien. Schumacher sagte einem Amerikaner: „Niemals wieder werden die Sozialdemokraten weniger national sein als die Parteien rechts von ihnen."

Anläßlich einer Sitzung des Zonenbeirates kam es zu einer ersten persönlichen Begegnung zwischen Adenauer und Schumacher. Gegenstand des Gesprächs sollte eine gemeinsame SPD-und CDU-Linie gegenüber den Engländern sein:

Schumacher sprach lebhaft über sein Hauptthema: die totale Verantwortung der Alliierten für das Schicksal Deutschlands. Adenauer stimmte zu und stellte auch eine Gemeinsamkeit der Auffassungen gegenüber der Demontage fest, die Reparationen unmöglich machen würde. Schumacher war unter einer Bedingung zur Zusammenarbeit mit der CDU Konrad Adenauers bereit: die CDU müsse den Führungsanspruch der SPD anerkennen.

Adenauer erinnert sich an das Gespräch mit Schumacher: „Ich müßte doch zugeben, daß ich der Vorsitzende einer sehr jungen Partei sei, und er fordere von mir, daß wir, die CDU, den Führungsanspruch der SPD anerkennen sollten. Er unterstrich noch einmal, es sei doch offensichtlich, daß die SPD nun einmal die größte Partei Deutschlands sei und auch bleiben werde. Ich erwiderte ihm daraufhin, daß ich eine andere Meinung verträte und man im übrigen die Entscheidung darüber, welche Partei die stärkere sei, kommenden Wahlen überlassen sollte. Damit gingen wir auseinander."

VI. Die Wende der anglo-amerikanischen Politik

1946 verschärfte sich die Notlage der deutschen Bevölkerung. Der drohende Zusammenbruch der Nahrungsmittel-und Energieversorgung stellte an die alliierten Besatzungs-mächte und die deutsche Verwaltung höchste Anforderungen. Ein Stopp der sowjetischen Demontagemaßnahmen in ihrer Zone stand dennoch ebensowenig zur Diskussion wie eine Bezahlung der Demontagegüter, die die Russen aus der US-Zone erhielten. Trotz amerikanischer Hilfe mit Textilien und Nahrungsmitteln sank die von den Militärbehörden festgelegte Mindestkalorienration weiter ab. Hoffnungen auf einen wirtschaftlichen Wiederaufbau wurden von der katastrophalen Entwicklung zunichte gemacht. Frankreich bezog von der Ruhr täglich Tausende von Tonnen Kohle, ohne die es ebenfalls einem wirtschaftlichen Kollaps zum Opfer gefallen wäre.

Den Verantwortlichen der amerikanischen und der britischen Besatzungspolitik wurde immer deutlicher, daß eine Fortsetzung ihrer bisherigen Politik eine enorme Belastung des amerikanischen und britischen Steuerzahlers zur Folge haben würde. Um ein gigantisches Dollargrab zu verhindern, verlangte eine starke Gruppe in der US-Militärregierung unter der Führung von General Lucius D. Clay die Verwirklichung des in Potsdam beschlossenen Grundsatzes, Deutschland als wirtschaftliche Einheit zu betrachten. Nur so glaubte Clay der sich verschärfenden Ernährungs-und Wirtschaftslage Herr werden zu können Eine britische Regierungskommission rechnete 1946 aus, daß Großbritannien in den nächsten zwölf Monaten 80 Millionen Pfund Sterling aufbringen müßte, um den wirtschaftlichen Zusammenbruch der britischen Zone zu verhindern. Die Kommission schlug vor, die britische Zone zumindest mit der amerikanischen Zone zu verschmelzen, um ein ökonomisches Gleichgewicht zu schaffen und einen Teil der Besatzungskosten den Amerikanern aufzubürden.

Inzwischen war klar geworden, daß die Sowjetunion und Frankreich, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, die Errichtung von zentralen deutschen Verwaltungen blok-kierten. Diese Zentralverwaltungen waren die Voraussetzung zur Behandlung Deutschlands als wirtschaftliche Einheit. Während die Franzosen aus Sicherheitsgründen damals noch auf der Aufteilung Deutschlands bestanden, hatten die Sowjets ihre Zuversicht verloren, über zentrale Instanzen auf ganz Deutschland Einfluß nehmen zu können. Sie begannen ihre Zone von den westlichen Zonen immer mehr abzutrennen. Dies sollte zu einer grundsätzlichen Wende der anglo-amerikanischen Politik in Deutschland führen.

Die bekanntgewordenen sowjetischen Praktiken zur „Demokratisierung" der in ihrem Einflußgebiet liegenden Staaten Süd-, Ost-und Mitteleuropas sowie der sowjetischen Zone Deutschlands hatten in London und Washington die Hoffnungen zerstört, die Allianz über den Krieg hinaus aufrechterhalten zu können. Es fehlte nicht an Mahnungen, die schon früh auf die sowjetischen Ambitionen aufmerksam machten. Bereits einen Tag vor seinem Amtsantritt wurde Präsident Truman vom State Department eine Sonderinformation zugeleitet, die auf die expansiven Absichten der Sowjetunion hinwies: „Seit der Jaltakonferenz hat die Sowjetregierung in fast jeder wichtigen Frage, die zwischen den Regierungen zur Sprache kam, einen festen und kompromißlosen Standpunkt eingenommen ... Die Sowjetregierung geht in den unter Sowjetkontrolle stehenden befreiten Gebieten meistenteils einseitig vor und erkennt nicht an, daß die seitherige Entwicklung die Anwendung der Vereinbarungen von Jalta rechtfertigt."

Churchill erklärte Anfang 1946: „Von Stettin an der Ostsee bis nach Trient an der Adria hat sich ein eiserner Vorhang quer durch den Kontinent gelegt. Hinter dieser Linie liegen alle die Hauptstädte Mittel-und Osteuropas: Warschau, Berlin, Prag, Wien, Budapest, Bukarest und Sofia — alle diese Städte und die umliegenden Gebiete sind in der sowjetischen Einflußsphäre und sind, in der einen oder anderen Form, nicht nur dem sowjetischen Einfluß, sondern in einem hohen und wachsenden Maß der Kontrolle durch Moskau unterworfen. Was immer man aus diesen Tatsachen — und es sind Tatsachen — für Schlüsse ziehen mag, eines ist sicher: Das ist nicht das befreite Europa, für das wir gekämpft haben. Es ist auch kein Europa, das die Wesenszüge eines dauerhaften Friedens trägt."

Erste konkrete Anzeichen für einen Wandel der amerikanischen Außenpolitik gab es schon Anfang 1946, als General Clay für seine Zone den Stop der in Potsdam vereinbarten Reparationslieferungen an die Sowjetunion anordnete.

Ein weiterer Schritt auf dem Weg zu einer Änderung der amerikanischen Außenpolitik war die Rede des amerikanischen Außenministers Byrnes am 6. September 1946 vor dem Stuttgarter Länderrat. Er sagte hier u. a.: „Die Durchführung der Potsdamer Beschlüsse ist ... dadurch verhindert worden, daß der Alliierte Kontrollrat nicht die notwendigen Maßnahmen getroffen hat, um es der deut-sehen Wirtschaft zu ermöglichen, als Wirtschaftseinheit zu arbeiten. Die notwendigen deutschen Zentralverwaltungen sind nicht geschaffen worden, obgleich die Potsdamer Beschlüsse sie ausdrücklich verlangen ... Die Vereinigten Staaten sind der festen Überzeugung, daß Deutschland als wirtschaftliche Einheit verwaltet werden muß und daß die Zonenschranken, soweit sie das wirtschaftliche Leben und die wirtschaftliche Betätigung in Deutschland betreffen, vollständig fallen müssen . .. Wir treten für die wirtschaftliche Vereinigung Deutschlands ein. Wenn eine völlige Vereinigung nicht geschaffen werden kann, werden wir alles tun, was in unseren Kräften steht, um eine größtmögliche Vereinigung zu sichern."

Diese Rede richtete sich nicht zuletzt auch an Frankreich, dessen Widerstand gegen deutsche Zentralverwaltungen mit einer 40-Jahres-Sicherheitsgarantie gebrocheniwerden sollte.

Hauptziel der französischen Politik nach 1945 war die Wiederherstellung der nationalen Größe und Unabhängigkeit, die durch die Niederlage Frankreichs und durch die inferiore Behandlung, die die drei Alliierten den Franzosen angedeihen ließen, in der Substanz getroffen waren. Daraus wurden als primäres Ziel abgeleitet: maximale Sicherheit vor Deutschland und dessen wirtschaftlichem Wiederaufstieg. Die französische Deutschlandpolitik sollte die Mittel dazu liefern, beide Ziele zu erreichen: Deutschland sollte so geschwächt werden, daß es als Bedrohung ausschied. Gleichzeitig sollte es seine ökonomischen Ressourcen für den wirtschaftlichen Wiederaufbau Frankreichs zur Verfügung stellen. Deshalb strebte Frankreich die Zerstückelung Deutschlands in eine Reihe souveräner Staaten an. Zentrale Verwaltungseinrichtungen für ganz Deutschland widersprachen der französischen Politik. Außerdem sollte Deutschland im Westen und Osten amputiert und das Ruhrgebiet einer interalliierten Kontrolle unterstellt werden, um es für französische Zwecke nutzen zu können. Schließlich sollte das Saarland wirtschaftlich an Frankreich angegliedert und auch die französische Zone wirtschaftlich genutzt werden

Die dieser Politik entgegengesetzten amerikanischen, englischen und auch russischen Zielsetzungen glaubte Frankreich konterkarieren zu können, indem es eine Vermittlerrolle zwischen den Briten und Amerikanern einerseits und den Sowjets andererseits anstrebte. Dieser Versuch sollte vollständig scheitern. Die Situation der französischen Wirtschaft war 1945 so schwierig, daß eine Erholung aus eigener Kraft und auch mit Hilfe der deutschen Ressourcen Illusion blieb. Ohne ausländische Wirtschaftshilfe — und hier kamen nur die Vereinigten Staaten als Helfer in Betracht — konnte Frankreich nicht wirtschaftlich gesunden. Ökonomische Zwänge führten so zu einer Zurücknahme der hochgesteckten Ziele der französischen Politik, die bereits 1946 in den Verhandlungen zwischen Leon Blum und US-Außenminister Byrnes erkennbar wurde, als Frankreich um einen 500-Millionen-Dollar-Kredit nachsuchte. Lange bevor sich die französische Deutschlandpolitik dem britisch-amerikanischen Kurswechsel anschloß, hatten die machtpolitische Schwäche und die wirtschaftliche Lage Frankreichs eine Abhängigkeit von der US-Hilfe und damit auch von der amerikanischen Politik bewirkt

Doch zunächst blieb die Position Frankreichs unverändert. Ebenso wie die Sowjetunion nahm Frankreich den Vorschlag Byrnes zur wirtschaftlichen Verschmelzung der Besatzungszonen in Deutschland nicht an. Englische und amerikanische Diplomaten nahmen bald Verhandlungen auf und beauftragten deutsche Beamte, eine institutioneile Abklärung für ein „Vereinigtes Wirtschaftsgebiet" vorzunehmen. Deutsche Vertreter sollten den Richtlinien der Besatzungsmächte entsprechend Pläne zur Vereinigung der beiden Zonen auf den fünf Sachgebieten Ernährung und Landwirtschaft, Verkehr, Finanzen und Postwesen ausarbeiten. Für diese Zwecke ernannte der Länderrat für jedes Sachgebiet je einen Vertreter der drei Länder der US-Zone, die britische Militärregierung bestellte je drei deutsche Vertreter aus dem Kreis der Leiter der Zonenzentralämter.

Im Laufe der nächsten Monate verhandelten die deutschen Vertreter beider Zonen sowohl untereinander als auch mit den beiden Militärregierungen. Nachdem die Entwürfe für die fünf Abkommen vom Stuttgarter Länder-rat gebilligt und von den beiden Militärregierungen genehmigt worden waren, wurden sie im Laufe des Septembers und Anfang Oktober 1946 durch die deutschen Vertreter unterzeichnet.

Zur praktischen Verwirklichung der Abkommen bedurfte es jedoch noch monatelanger Arbeit. Auf dem Wirtschaftssektor waren erhebliche Unterschiede auszugleichen, denn der sogenannten Lenkungswirtschaft mit Unternehmerinitiative in der amerikanischen Zone stand in der britischen Zone eine weitgehende Planwirtschaft gegenüber. Die Schwierigkeiten konnten dank der Konzes-sionsbereitschaft der Engländer ausgeräumt werden, den England war ebenfalls aus finanziellen Erwägungen an einem raschen und positiven Abschluß der Verhandlungen über die Verschmelzung der Zonen interessiert 51).

VII. Das Vereinigte Wirtschaftsgebiet

Am 2. Dezember 1946 unterzeichneten die Außenminister Byrnes und Bevin in New York ein Abkommen über die Verschmelzu

VII. Das Vereinigte Wirtschaftsgebiet

Am 2. Dezember 1946 unterzeichneten die Außenminister Byrnes und Bevin in New York ein Abkommen über die Verschmelzung der britischen und amerikanischen Besatzungszone in Deutschland, das am 1. Januar 1947 in Kraft trat. Das Abkommen sah vor, daß die beiden Zonen in allen wirtschaftlichen Angelegenheiten als ein einheitliches Verwaltungsgebiet behandelt und deutsche Verwaltungsbehörden installiert werden sollten, die zur wirtschaftlichen Vereinigung der beiden Zonen notwendig waren. Ziel war, die wirtschaftliche Selbständigkeit des Vereinigten Wirtschaftsgebietes bis 1949 zu erreichen.

In den fünf Abkommen zwischen den angelsächsischen Zonen, in denen der Beitritt der anderen Besatzungszonen offengehalten wurde, waren von seifen der Amerikaner die Länder und von seifen der Briten die Leiter der Zonenzentralämter als Beauftragte ihrer Militärregierungen Vertragspartner. Als Spitze der wirtschaftlichen Vereinigung wurde für die fünf Fachgebiete je ein sechsköpfiger Verwaltungsrat gebildet, der sich aus den Fachministern der drei US-zonalen Länder und drei deutschen Beauftragten der britischen Militärregierung zusammensetzte. Jedem dieser Räte war als Apparat ein Zweizonenamt beigeordnet, dem der Vorsitzende des Rates als Leiter vorstand.

Legislativkompetenzen wurden den bizonalen Räten nicht eingeräumt, jedoch waren sie zu Gesetzes-und Verordnungsvorlagen befugt. Beschlüsse wurden mit Stimmenmehrheit gefaßt; den überstimmten Ländern blieb die Möglichkeit eines Minderheitsvotums an ihre Landes-Militärregierung, die dann darüber zu entscheiden hatte, ob der Beschluß des bizonalen Rates in ihrem Land rechtswirksam werden sollte oder nicht. Ansonsten mußten die Beschlüsse der bizonalen Räte von der Länderregierung oder dem Länderparlament als Gesetze oder Verordnungen rechtswirksam erlassen werden.

Zur Ausübung ihrer Befugnisse gegenüber den deutschen Zweizonenverwaltungen hat-ten die beiden Militärregierungen „gemeinsame Dienststellen" (joint Military, Governments agencies) errichtet. Diesen nachgeordnet übte der aus den Militärgouverneuren und ihren Stellvertretern bestehende „Bipartite Board" in Berlin die allgemeine Kontrolle über die Arbeit der Zweizonenräte aus, wobei ihm Fachausschüsse und Kontrollstäbe zur Seite standen 52).

Neben der fehlenden Legislativ-und Exekutivgewalt hafteten den bizonalen Verwaltungsräten eine Reihe weiterer struktureller Mängel an, die ihre Arbeit behinderten. Da einer künftigen Vier-oder mindestens Dreizonenverwaltung und der verfassungsund verwaltungsrecht] ichen Neubildung Deutschlands nicht vorgegriffen werden sollte, mußte die bizonale Wirtschaftsverwaltung nach dem Plan von 1946 ein unzureichender Kompromiß mit undeutlich umschriebenen Aufgaben und Befugnissen bleiben. Außer der fehlenden übergeordneten Instanz, nämlich der parlamentarischen Kontrolle, wirkten sich besonders die nicht abgesteckten Kompetenzen gegenüber den Länderbefugnissen nachteilig auf die Arbeit der bizonalen Räte aus 53).

Die Nachteile und Mängel der Zweizonenorganisation blieben den Militärregierungen nicht lange verborgen. Sie wollten jedoch bis zur Moskauer Sitzung des Außenministerrates mit der Umstrukturierung warten. Nachdem dort im Frühjahr 1947 keine Einigung über die gemeinsame Deutschlandpolitik der vier Mächte erzielt werden konnte, schlossen die elf Gouverneure der amerikanischen und britischen Zone am 29. Mai 1947 ein Abkommen über die Neugestaltung der zweizonalen Wirtschaftsstellen, das am 10. Juni 1947 in Kraft trat. Danach konstituierte sich in Frankfurt der „Wirtschaftsrat" als neue bizonale Verwaltungsorganisation.

Die bisherigen Verwaltungsräte wurden aufgelöst und durch ein Direktorium ersetzt, dem neben den Leitern der fünf Verwaltun-gen auch ein Generalsekretär angehörte. An der Spitze der Zweizonenorganisation stand nunmehr der „Wirtschaftsrat", der sich aus 52 stimmberechtigten, von den Landtagen und Parteien in einem bestimmten Schlüsselverhältnis delegierten Mitgliedern zusammensetzte. Da die Parteien mehr Delegierte stellten als die Länder, entstand ein zweizonales Quasiparlament. Der Wirtschaftsrat besaß nicht übertragbare Legislativ-und beschränkt übertragbare Exekutivvollmachten. Im Vordergrund seiner Vollmacht stand die Gesetzgebungsgewalt, und zwar eine ausschließliche auf den Gebieten Verkehr und Postwesen und eine grundsätzliche auf den Gebieten Wirtschaft, Industrie, Handel und Finanzen in den Fragen, von denen mehr als ein Land betroffen war.

Die Länder waren zu einer verwaltungsmäßigen Durchführung der Verordnungen des Wirtschaftsrates verpflichtet. Ein weiteres Organ des Wirtschaftsrates war neben dem Direktorium der Exekutivrat, der sich aus acht von den Länderregierungen ernannten hauptamtlichen Vertretern zusammensetzte und das Recht zur Gesetzesinitiative und Begutachtung aller vom Wirtschaftsrat beschlossenen Gesetze besaß. Im Rahmen der Ermächtigungen, die ihm der Wirtschaftsrat erteilte, konnte er zu Gesetzen Durchführungsbestimmungen erlassen. Seine wesentliche Funktion bestand darin, die Tätigkeit der bizonalen Verwaltung neu zu koordinieren und Kompetenzstreitigkeiten sowie Überschneidungen von Arbeitsgebieten zu verhindern. Der zweiten Phase des „Vereinigten Wirtschaftsgebietes" (VWG) folgte Anfang 1948 ein dritter Abschnitt. Die Zweizonenorganisation wurde noch einmal umstrukturiert und erhielt eine zweite Kammer. Das oberste Organ des VWG setzte sich danach aus einem auf 104 Mitgliedern erweiterten Wirtschaftsrat, einem aus je zwei Beauftragten der acht Länderregierungen bestehenden Länderrat anstelle des früheren Exekutivrates und einem Verwaltungsrat zusammen, in dem die Leiter der sechs bizonalen Verwaltungsbehörden (im September 1948 wurde eine bizonale Verwaltung für Arbeit errichtet) vertreten waren.

Während die Funktion des Wirtschaftsrates ähnlich blieb, wurde im Länderrat ein föderatives Legislativorgan geschaffen. Er hatte keine Verwaltungsaufgaben, besaß Gesetzesinitiativrecht und mußte alle vom Wirtschaftsrat beschlossenen Gesetze vor ihrer Rechtsgültigkeit billigen. Bei Änderungswünschen und nach Einspruch des Länderrates mußte der Wirtschaftsrat erneut darüber beschließen; die Vorlage konnte dann nur mit absoluter Mehrheit rechtswirksam werden.

Anstelle des Exekutivrates übernahm ein Verwaltungsrat die Verwaltungsbefugnisse. Sein Vorsitzender hatte die Tätigkeit der mit Ministerien vergleichbaren Direktionen der bizonalen Verwaltung zu leiten und zu koordinieren. Auch der Verwaltungsrat wurde gestärkt und so mit einer bizonalen Regierung vergleichbar

Die Verwaltungsorganisation des „Vereinigten Wirtschaftsgebietes" bekam bereits in seiner zweiten Phase Elemente der Staatlichkeit» Im Hinblick auf die Verwaltungsorganisation von 1947 kann jedoch nur — wenn überhaupt — von einem „Rumpf" -parlament und einer „Rumpfexekutive" gesprochen werden, denn in ihre Kompetenzabgrenzung fällt nur ein Teil der Verwaltungsaufgaben eines obersten Staatsorgans.

« Justiz, Kultur und Inneres sind vorläufig noch der Landesgesetzgebung vorbehalten, und Äußeres und Verteidigung werden ausschließlich von den Besatzungsmächten wahrgenommen, die darüber hinaus auf allen Gebieten letztinstanzliche Entscheidungen treffen können. Dennoch sind in der Verwaltungsorganisation der Bizone von 1947 bereits bundesstaatliche Züge erkennbar. Die relativ starke Position der Länder im Exekutivrat bzw. Länderrat des VWG deutet auf die föderativen Elemente in der amerikanischen Zone hin. Andererseits wurden aber auch der zentralistischen Struktur der britischen Zone Charakteristika entnommen, wie sie in den teilweise ausschließlichen und grundsätzlichen Legislativ-Kompetenzen des Wirtschaftsrates zum Ausdruck kamen, der seine Auffassung unter bestimmten Bedingungen gegen die Länder durchsetzen konnte.

Die Verwaltungsstruktur des VWG von 1947 ist ein Kompromiß zwischen Föderalismus und Zentralismus, den das Grundgesetz später (1949) übernehmen sollte. 54 Die Entwicklung des „Vereinigten Wirtschaftsgebietes" war von einer stufenweisen Rückgabe der staatlichen Souveränitätsrechte an die Deutschen gekennzeichnet. Die britischen und amerikanischen Besatzungsmächte delegierten ihre Hoheitsbefugnisse schrittweise an demokratisch legitimierte deutsche Institutionen. In der Zweizonenorganisation wurden erstmals wieder — wenn auch nur in einem Teil Deutschlands — Merkmale deutscher Staatlichkeit erkennbar.

Die politische Arbeit der bizonalen Organisation war mühselig. Sie mußte unter Bedingungen geleistet werden, auf die die Deutschen selber kaum Einfluß hatten und die teilweise mühsam gefundene Kompromisse zwischen Amerikanern und Engländern darstellten. Geschicklichkeit und Zähigkeit der deutschen Repräsentanten wurden auf die Probe gestellt. Meist mußte den Alliierten jede Art nicht zugestandener Mitwirkung -von hart ab gerungen werden. Dies gelang nicht immer. Von insgesamt 171 im Wirtschaftsrat beschlossenen Gesetzen fanden 8 keine Gnade vor den Augen der Besatzungsmächte, 18 wurden angehalten und mußten geändert werden, weitere 18 wurden zurückgewiesen mit der Anordnung, daß der Wirtschaftsrat einer zukünftigen Bundesgesetzgebung nicht vorgreifen dürfe

Dennoch gelang es den deutschen Politikern, das Vertrauen der Besatzungsmächte durch erfolgreiche Arbeit auf parlamentarisch-demokratischer Grundlage zu erlangen. Dazu hat nicht zuletzt auch die von Ludwig Erhard konzipierte Soziale Marktwirtschaft beigetragen. Erhard amtierte seit Juli 1947 als Direktor für Wirtschaft im Frankfurter Verwaltungsrat und bereitete die Währungsreform vor, die am 18. Juni 1948 verkündet wurde. General Clay bescheinigt der Zweizonenverwaltung, sie „habe eine wirksame Regierungsmaschine geschaffen und die Kunst der Politik in einem großen Teil Deutschlands wieder heimisch gemacht"

Die Bizone, die 1948 mit dem Beitritt der französischen Zone zur Trizone erweitert wurde, muß als die „wichtigste Teilstrecke auf dem Wege zur Wiederentfaltung deutscher Staatlichkeit" gesehen werden. Und sie ist als die Vorstufe zur Gründung der Bundesrepublik Deutschland zu betrachten, die die von der Sowjetunion betriebene Politik der Sowjetisierung ihrer Besatzungszone und deren Herauslösung aus Deutschland als Ganzem mit einer schrittweisen Staatsbildung im Westen beantwortete.

VIII. Von den Frankfurter Dokumenten zum Parlamentarischen Rat

Nachdem der letzte Versuch der deutschen Ministerpräsidenten, eine gesamtdeutsche Verantwortung zu kodifizieren, in München am Widerstand deutscher Kommunisten gescheitert war war die Errichtung eines von den Sowjets unabhängigen Teilstaates im Westen unaufhaltsam. Die Russen hielten an ihrem Besatzungsgrundsatz „Zuerst Reparationen" fest und erschütterten damit die Glaubwürdigkeit ihrer Absichtserklärungen zur Errichtung von Zentralverwaltungen.

Die sich verschlechternde wirtschaftliche Situation in ganz Westeuropa überzeugte selbst die Skeptiker in den westeuropäischen Hauptstädten, daß eine wirtschaftliche Gesundung Westeuropas nicht ohne eine wirtschaftliche Gesundung Deutschlands bzw.des größeren Teils Deutschlands und nicht ohne Hilfe der Vereinigten Staaten möglich war. Die Ankündigung von US-Außenminister George Marshall, ein amerikanisches Hilfsprogramm für Europa einzuleiten, fand deshalb ein positives Echo in Westeuropa. Die Osteuropäer mußten auf Druck der Sowjetunion ablehnen; denn Marshall begründete das amerikanische Hilfsprogramm mit den immer deutlicher werdenden sowjetischen Expansionsabsichten.

In Osteuropa war ein Staat nach dem anderen unter sowjetische Hegemonie gebracht worden. Die kommunistische Machtergreifung in Rumänien und Bulgarien bekümmerte die westlichen Alliierten nicht weiter, weil Churchill diese Länder bereits 1944 der sowjetischen Interessensphäre zugestanden hatte. Erschreckt wurden die Westmächte von der kommunistischen Machtergreifung in Jugoslawien und Polen sowie von dem Machtergreifungsversuch in Griechenland, das Stalin Churchill als britische Interessensphäre zugestanden hatte. Hinzu kam der kommunistische Vormarsch in China und der sich abzeichnende Konflikt in Indochina. Die Vereinigten Staaten erkannten, daß ein wirtschaftlich krankes, der Verelendung ausgeliefertes Europa der kommunistischen Expansion rettungslos ausgeliefert sein würde; sie entwarfen deshalb ein ökonomisches Hilfsprogramm, das den Vorzug hatte, nicht nur eine wirtschaftliche Erholung der Westeuropäer und ihre Immunisierung gegen kommunistische Herrschaftsambitionen zu bewirken, sondern gleichzeitig auch die amerikanische Zahlungsbilanz langfristig positiv zu beeinflussen. Am 13. Juli 1947 fand in Paris eine Konferenz von 14 europäischen Staaten statt, an der osteuropäische Länder wie die Tschechoslowakei nicht teilnehmen durften, obwohl sie bereits zugesagt hatten. Die Marshall-Plan-Konferenz erarbeitete ein Vierjahresprogramm zum wirtschaftlichen Wiederaufbau Europas, in das auch die westlichen Besatzungszonen Deutschlands einbezogen werden sollten. Die Beratungen dieser Konferenz führten zur Gründung der „Europäischen Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit" (OECD) am 16. April 1948 in Paris, der die westlichen Besatzungszonen, vertreten durch die drei Militärgouverneure, beitraten. Dies war einer der ersten Schritte deutscher Außenpolitik, den die Alliierten stellvertretend für die Deutschen unternahmen.

Parallel zur Festigung der ökonomischen Grundlage für den europäischen Wiederaufbau begann die europäisch-amerikanische Zusammenarbeit auf sicherheitspolitischem Gebiet. Bereits der amerikanische Vertragsentwurf von 1946 zur Entmilitarisierung Deutschlands für 25 Jahre verfolgte nicht nur das Ziel, Deutschland als Gefahr für den europäischen Frieden auszuschalten, sondern auch den Widerstand Frankreichs gegen den Aufbau eines kollektiven Sicherheitssystems in Europa zu brechen.

Am l. Juli 1948 überreichten die drei westlichen Militärgouverneure den elf Ministerpräsidenten ihrer Zonen in Frankfurt drei Dokumente. Das erste Dokument bevollmächtigte die Ministerpräsidenten, eine „Verfassunggebende Versammlung" einzuberufen, die . spätestens am 1. September 1948 zusammentreten und eine Verfassung „föderalistischen Typs" entwerfen sollte. Das zweite der „Frankfurter Dokumente" forderte die Ministerpräsidenten auf, die Grenzen der deutschen Länder auf mögliche Veränderungen hin zu überprüfen.

Drittens kündigten die Militärgouverneure an, gleichzeitig mit der Verkündigung der neuen Verfassung ein Besatzungsstatut zu erlassen, das die Beziehungen zwischen der neuen deutschen Regierung und den alliierten Behörden genau regeln werde

Die Frankfurter Dokumente waren das Ergebnis der Londoner Sechsmächtekonferenz, die am 23. Februar 1948 eröffnet worden war. An ihr hatten sich die Vereinigten Staaten, Großbritannien, Frankreich sowie die drei Beneluxstaaten beteiligt. Die Sowjetunion war zu dieser Konferenz nicht eingeladen worden, nachdem die letzte Londoner Außenministerkonferenz (25. November bis 10. Dezember 1947) aufgrund der kompromißlosen sowjetischen Haltung ergebnislos abgebrochen worden war. Auf der bis Anfang Juni 1948 dauernden Londoner Sechsmächtekonferenz wurde das Deutschlandproblem nach dem offensichtlichen Zusammenbruch der Vier-Mächte-Politik erstmals im erweiterten Kreis westeuropäischer Länder behandelt. Ergebnis dieser Konferenz waren die „Londoner Empfehlungen", die neben der Ausarbeitung einer Verfassung für die drei westlichen Besatzungszonen eine Koordinierung der Wirtschaftspolitik vorschlugen. Sie sahen weiter die Beteiligung der drei Zonen am Marshallplan, die Schaffung einer Sicherheitsbehörde, die Errichtung einer internationalen Ruhrbehörde sowie kleinere Grenzkorrekturen zugunsten Frankreichs und der Beneluxstaaten vor

Daß die westlichen Militärgouverneure den Ministerpräsidenten und nicht dem parlamentarischen Gremium des „Vereinigten Wirtschaftsgebietes“ oder einer Konferenz führender Parteipolitiker die „Frankfurter Dokumente" überreichten, war die Folge einer langwierigen Auseinandersetzung zwischen Parteipolitikern und Ministerpräsidenten über die nationale Repräsentation, aus der die Ministerpräsidenten als Sieger hervorgegangen waren. Diesen Sieg verdanken sie der amerikanischen Besatzungspolitik in doppelter Hinsicht. Erstens, weil die USA im Gegensatz zu Großbritannien von Anfang an mehr die Karte der Ministerpräsidenten als die der politischen Parteien gespielt hatten und zweitens, weil das amerikanische Konzept für Deutschland im Gegensatz zur britischen Vorstellung eine betont föderalistische Lösung vorsah.

Als die deutschen Ministerpräsidenten nach Frankfurt reisten, wußten sie nicht, daß ihnen dort Dokumente überreicht werden sollten, die von entscheidender Bedeutung für die Zukunft Deutschlands waren Sie lehnten eine sofortige Stellungnahme ab, nicht zuletzt deshalb, weil die Reaktion in Deutschland auf das am 7. Juni 1948 veröffentlichte Kommunique uneinheitlich und kontrovers gewesen war Als die Ministerpräsidenten dann auf Einladung des rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Altmeier am 8. und 9. Juni 1948 auf dem Rittersturz bei Koblenz eine gemeinsame Stellungnahme zu den Frankfurter Dokumenten ausarbeiteten, hatten sie die bedeutungsvolle Entscheidung zu treffen, ob sie sich an Willensbildungsprozessen beteiligen sollten, die möglicherweise die Teilung Deutschlands vertiefen würden, obwohl von einer Einheit bereits damals nur noch als Wunsch gesprochen werden konnte. Neben der Tatsache, daß die „große Weltfront mitten durch Europa" ging, waren es vor allem zwei Ereignisse, die die Rittersturz-Konferenz dazu bewogen, sich mit dem Inhalt der Dokumente zu beschäftigen und sie nicht prinzipiell abzulehnen. Das erste Ereignis war die Währungsreform, die von den westlichen Alliierten in alleiniger Verantwortung — wenn auch unter Beteiligung deutscher Sachverständiger — durchgeführt wurde. Sie verhieß eine wirtschaftliche Wiedergesundung, die durch die Ablehnung der Frankfurter Dokumente hätte gefährdet werden können. Das zweite Ereignis, der Beginn der Blockade Berlins, hatte jedermann deutlich gemacht, daß die Sowjetunion entschlossen war, die Hand nach Berlin als Ganzem auszustrecken und ihren Einfluß über ihre Zone hinaus auszudehnen

Eine Annahme der Frankfurter Dokumente bedeutete die Chance von mehr Verantwortung und Zuständigkeit der Deutschen und staatliche Einheit wenigstens im westlichen Teil Deutschlands. In der Generaldebatte ergab sich eine übereinstimmende Auffassung:

Die Ministerpräsidenten waren bereit, die Dokumente anzunehmen und „positive Gegen-vorschläge" zu entwickeln. Sie wünschten eine wirtschaftliche und verwaltungsmäßige Verschmelzung der drei Zonen, sprachen sich jedoch gegen die Bildung eines Weststaates und gegen die Einberufung einer Nationalversammlung aus, weil sie lediglich eine Übergangslösung für richtig hielten. Nach sorgfältigen Beratungen auf der Konferenz und in Ausschüssen erklärten sich die Ministerpräsidenten in ihrer Antwort an die Militärgouverneure bereit, die angebotenen Vollmachten anzunehmen. Die Einberufung einer verfassunggebenden Nationalversammlung und die Ausarbeitung einer Verfassung sollte nach ihren Vorstellungen zunächst zurückgestellt werden. Es sollte vielmehr ein „Parlamentarischer Rat" mit dem Entwurf für ein „Grundgesetz" betraut werden. Dieses „Grundgesetz" wollten die Ministerpräsidenten nach Anhörung der Landtage den Militär-gouverneuren zur Genehmigung vorlegen. Die Neuregelung der Ländergrenzen sei notwendig, bedürfe jedoch einer sorgfältigen Vorbereitung. Auch diese Aufgabe sollte der „Parlamentarische Rat" angehen. Die Ministerpräsidenten betonten in ihrer Antwort, es müsse alles vermieden werden, was dem zu schaffenden Gebilde den Charakter eines Staates verleihen und die Spaltung Deutschlands vertiefen könnte. Deshalb müsse das Besatzungsstatut schon vor Beginn der Beratungen über ein „Grundgesetz" erlassen werden, damit deutlich werde, daß die geplanten Veränderungen letztlich auf den Willen der Besatzungsmächte zurückzuführen und keineswegs ein Akt der Selbstbestimmung des deutschen Volkes seien.

Diese Antwort der Ministerpräsidenten konnte sich auf die Zustimmung der Parteiführer stützen, die angesichts der Bedeutung der Konferenz ebenfalls nach Koblenz gekommen waren. Konrad Adenauer (CDU), Josef Müller (CSU) und — für den erkrankten Kurt Schumacher — Erich Ollenhauer (SPD) nahmen an der Konferenz selbst zwar nicht teil, berieten sich jedoch laufend mit den ihren Parteien angehörenden Ministerpräsidenten in „Fraktionssitzungen". Adenauer konnte so die „einmütige • Stellungnahme" der Ministerpräsidentenkonferenz im Landtag von Nordrhein-Westfalen begrüßen, auch wenn sie nicht den Erwartungen der Militärgouverneure „in vollem Umfang" entsprechen sollte Adenauer unterschrieb. Die Militärgouverneure bewerteten die Antwort der Ministerpräsidenten als Ablehnung Clay sprach von „Sabotage" Er warf den Ministerpräsidenten seiner Zone vor, sie und ihre Kollegen würden die amerikanische Position gegenüber der Sowjetunion schwächen. Dies habe möglicherweise Auswirkungen auf den amerikanischen Durchhaltewillen in Berlin.

Berlin war das entscheidende Stichwort, das die zweite Konferenz in Niederwald am 21. und 22. Juli 1948 beherrschte. Auf ihr hatten sich die Regierungschefs der deutschen Länder erneut mit den Frankfurter Dokumenten zu beschäftigen, diesmal unter der zugespitzten Fragestellung: Soll man den (längst beschrittenen) Weg zur Wiedergewinnung von Verantwortung und Freiheit durch Verschmelzung der drei westlichen Zonen weitergehen und dabei die Bildung eines Weststaates in Kauf nehmen oder aber das Scheitern der amerikanischen Pläne mit allen unvorhersehbaren Folgen um einer abstrakten Reichs-einheit willen riskieren? Ernst Reuter trug entscheidend dazu bei, daß das Ergebnis der Konferenz in einer Bejahung der politischen Konsolidierung der Westzonen bestand.

Anstelle von Louise Schröder, die auf dem Rittersturz vor der Annahme der Frankfurter Dokumente gewarnt hatte, war Ernst Reuter zur Niederwald-Konferenz gekommen, um „im Namen der drei demokratischen Parteien Berlins" zu erklären, „daß wir eines in Berlin und im Osten nicht ertragen können, das Verbleiben des Westens in seinem bisherigen politisch unentschiedenen Status.. Wir sind der Meinung, daß die politische und ökonomische Konsolidierung des Westens eine elementare Voraussetzung für die Gesundung auch unserer Verhältnisse und für die Rückkehr des Ostens zum gemeinsamen Mutterland ist" Dieses dynamische Kernstaatskonzept Reuters, später auch als Magnettheorie bezeichnet, beendete als Theorie das Dilemma zwischen den beiden Zielen der Ministerpräsidenten, Ablösung der Besatzungsherrschaft und Wiederherstellung der Reichs-einheit — eine Hoffnung, die aufrechterhalten wurde, solange die Sowjets freien Wahlen in ihrem Teil Deutschlands nicht jeden Boden entzogen

Die Ministerpräsidenten übernahmen auf der Niederwald-Konferenz das amerikanische Konzept. Sie strebten die Rückgewinnung deutscher Staatlichkeit an, hofften auf eine künftige Beteiligung der Ostzone am Bündnis mit den westlichen Alliierten und riskierten eine Vertiefung der Spaltung. Sie bestanden jedoch auf der begrifflichen Hervorhebung des provisorischen Charakters des neuen Staates. Statt einer Verfassung verlangten sie ein „Grundgesetz", statt einer verfassunggebenden Versammlung forderten sie einen „Parlamentarischen Rat".

Nach schwierigen Verhandlungen mit den Militärgouverneuren und zwischen diesen wurden die Forderungen angenommen. Der Weg war frei zum „Herrenchiemseer Verfassungskonvent" (11. — 23. August 1948), zur Konstituierung des Parlamentarischen Rates unter seinem Präsidenten Konrad Adenauer (1. September 1948), zum Inkrafttreten des vorläufigen Grundgesetzes (23. Mai 1949) und zur Gründung der Bundesrepublik Deutschland (20. September 1949). Die Sowjetunion zog in der sowjetischen Besatzungszone formal gleich: Mit der Annahme der „Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik" durch einen „Deutschen Volkskongreß" (30. Mai 1949) konstituierte sich am 7. Oktober 1949 die „Deutsche Demokratische Republik".

Bei den westlichen Alliierten hatte sich die Überzeugung durchgesetzt, daß eine dauerhafte Westorientierung der Bundesrepublik nur zu erreichen sei, wenn dies in Freiheit geschehe. Bei den verantwortlichen Deutschen wuchs die Erkenntnis, daß Freiheit wichtiger sei als staatliche Einheit Sie sollte später zum Leitmotiv der Deutschland-und Außenpolitik unter Konrad Adenauer werden. 1946/47 haben die Deutschen, ohne sich dessen bewußt zu sein, eine im 20. Jahrhundert einzigartige Wahl getroffen. Alfred Grosser urteilt: „Der Einheit der Nation haben sie die berechtigte Verteidigung politischer Werte, die sie mit Werten des Wirtschaftslebens verstanden, vorgezogen. Lieber gar keine Form der Wiedervereinigung als irgendeine Form, die auch die geringste Form eines kommunistischen Einflusses im wiederverei-nigten Deutschland mit sich bringen würde. Eine recht theoretische Entscheidung, denn eine konkrete Möglichkeit der Wahl hat es kaum gegeben."

Diese Entscheidung für den Westen trafen alle wesentlichen politischen Kräfte in den westlichen Besatzungszonen. Kurt Schumacher und die SPD mit ihrer streng antikommunistischen Politik bejahten sie ebenso wie Konrad Adenauer und die CDU, die den bürgerlichen Nationalismus durch eine klare Westorientierung überwunden hatte Die Politik dieser Parteien wurde von den Wählern honoriert. Die SPD erzielte im Vergleich zur Weimarer Republik einen deutlichen Vertrauenszuwachs. Die CDU und ihre bayerische Schwesterpartei CSU wurden zur stärksten politischen Kraft, die nicht nur die Entstehungsphase der Bundesrepublik Deutschland, sondern auch die ersten zwanzig Jahre ihrer Existenz prägen sollte.

Zusammengefaßt läßt sich sagen: Im Deutschland der Jahre 1945— 1948 spiegeln sich vier Phänomene wider, die das Ergebnis des Zweiten Weltkrieges waren:

1. Deutschland wird zum Objekt einer Weltpolitik, in der Europa seine beherrschende Stellung eingebüßt hat.

2. Deutschland fällt in einen parlamentarischdemokratischen und einen kommunistischen Teil auseinander, wie sich Europa insgesamt in Länder mit parlamentarischem oder kommunistischem System teilt. 3. Die sozio-ökonomischen und kulturellen Erschütterungen in Deutschland bieten die Chance des Wiederaufbaus, der Modernisierung und Industrialisierung, die neue Formen überstaatlicher Zusammenarbeit erforderlich macht. Deutschlands Integration in den Westen ist die Voraussetzung für den westeuropäischen Wiederaufbau.4. Schließlich erweist sich die parlamentarische Demokratie nach der nationalsozialistischen Diktatur auch in Deutschland als überraschend regenerationsfähig und widerstandskräftig. Diese Möglichkeit erhielt die Demokratie durch die vollständige Diskreditierung der extremen Rechten, durch die Stärkung der Sozialdemokraten und vor allem durch den Aufstieg der neuen Christlich-Demokratischen Union. Im immer freier werdenden Teil Deutschlands gaben sich die Deutschen eine Verfassungsordnung, die die Schwäche der Weimarer Demokratie zu vermeiden suchte und gleichzeitig die schwere Belastung durch die NS-Diktatur bewältigen mußte. Das Bonner Grundgesetz hat die Aufgabe erfolgreich gelöst, die Gegebenheiten eines Besatzungsregimes zu modifizieren und in eine eigene demokratische Staatlichkeit zu verwandeln

Es bleibt festzuhalten: Trotz der Zwänge, die die Besatzung Deutschlands und die Entwicklung der internationalen Situation ausübten, waren es deutsche Willensäußerungen, die zum Wiederaufbau Europas in Freiheit beitrugen. Dessen Konsolidierung und Ausbau sind heute die zentralen Aufgaben der deutschen Politik.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Alexis de Tocqueville, über die Demokratie in Amerika, Stuttgart 1971, S. 478 f.

  2. Vgl. hierzu Hans Peter Schwarz, Die außenpolitischen Grundlagen des westdeutschen Staates, in: Löwenthal/Schwarz (Hrsg.), Die Zweite Republik, Stuttgart 1974, S. 27.

  3. Peter Hüttenberger, Nordrhein-Westfalen und die Entstehung seiner parlamentarischen Demokratie, Siegburg 1973, S. 25.

  4. Zit. nach Gimbel, Amerikanische Besatzungspolitik in Deutschland 1945— 1949, Frankfurt a. M. 1971, S. 22.

  5. Harry S. Truman, Years of Decisions, Garden City 1955, S. 341.

  6. Zit. nach Gimbel, a. a. O., S. 22.

  7. Charles de Gaulle, Memoiren, 1942— 1976, zit. nach: Die Einheit und der Ruf, Düsseldorf 1961, S. 484.

  8. Zit. nach Walter Ulbricht, Zur Geschichte der neuesten Zeit, Berlin (Ost) 1955, S. 65.

  9. Josef Stalin, über den Großen Vaterländischen Krieg der Sowjetunion, Moskau 1946, S. 211.

  10. Vgl. Wolfgang Leonhard, Die Revolution entläßt ihre Kinder, Köln 1955, S. 33.

  11. Abgedruckt in: Ernst Deuerlein, Potsdam 1945, München 1963, S. 47 ff.

  12. Ebenda, S. 55.

  13. Ebenda, S. 57.

  14. Ebenda, S. 352.

  15. Ebenda, S. 354 ff.

  16. Wilhelm Cornides, Die Weltmächte und Deutschland, Stuttgart 1957, S. 99.

  17. Ebenda.

  18. Theodor Eschenburg, Der bürokratische Rückhalt, in: Löwenthal/Schwarz (Hrsg.), a. a. O., S. 66.

  19. Vgl. Karl Dietrich Bracher, Die deutsche Diktatur, Köln/Berlin 1970, S. 509.

  20. Eschenburg, a. a. O., S. 69.

  21. Leonhard, a. a. O., S. 340 ff.

  22. Erich W. Gniffke, Jahre mit Ulbricht, Köln 1966, S. 29.

  23. Peter Molt, Anfänge der christlich-demokratischen Bewegung in Deutschland 1945/46, in: Manfred Hättich u. a., Politische Bewegungen in Deutschland, Bonn 1964, S. 116 f.

  24. Hans Schütze, Volksdemokratien in Mittel-deutschland, Hannover 1960, S. 12, sowie für die britische Zone: Helmuth Pütz, Konrad Adenauer und die CDU in der britischen Zone, Bonn 1975, S. 33 ff.

  25. Cornides, a. a. O., S. 102.

  26. Länder: Braunschweig, Lippe-Detmold, Schaum-burg-Lippe und Oldenburg, Provinzen: Hannover, Nord. Rheinprovinz, Schleswig-Holstein und Westfalen sowie die Freistädte Hamburg und Bremen. Bremen wurde erst später der amerikanischen Zone eingegliedert.

  27. Abkommen vom 3. Januar 1948 zwischen dem Saarland und Frankreich. Vgl. hierzu auch Heinrich Schneider, Das Wunder an der Saar, Stuttgart 1974, S. 21, ff.

  28. Die Noten sind veröffentlicht in Cornides/Volle, a. a. O„ S. 255 ff.

  29. Veröffentlicht ebenda, S. 257.

  30. Cornides, a. a. O., S. 88 f.; vgl. hierzu auch Gerhard Kiersch, Die französische Deutschland-politik 1945— 1949, in: Claus Scharf und Hans-Jürgen Schröder (Hrsg.), Politische und ökonomische Stabilisierung Westdeutschlands, Wiesbaden 1977, S. 65 ff.

  31. Winston S. Churchill. Der zweite Weltkrieg, Hamburg 1960, S. 157.

  32. Abgedruckt in: Hermann Weber (Hrsg.), Der deutsche Kommunismus, Köln-Berlin 1963, S. 431 ff.

  33. Interessante Beispiele wie die Bevorzugung der KPD bei der Autound Benzinzuteilung und Ernährung ihrer Funktionäre finden sich bei Gniffke, a. a. O., S. 38 f.

  34. Vgl. z. B. Gniffke, a. a. O., S. 95 ff.

  35. Vgl. hierzu Gilbert Ziebura, Die deutsch-französischen Beziehungen seit 1945, Pfullingen 1970, S. 28 ff.

  36. Erst im März 1948 ist es in der (ständigen) „Konferenz der Minister der Französischen Besatzungszone" zu einer Einrichtung gekommen, die dem Länderrat in seiner Funktion — Information und Koordinierung — ähnelte, dessen Bedeutung sie jedoch nicht erreichte. W. Vogel, Westdeutschland 1945— 1950, Teil I, Koblenz 1956, S. 81.

  37. Wie diese auf Betreiben der Sowjets vollzogenen „Wahlen" zustande kamen, berichtet Gniffke (a. a. O., S. 23): Der ehemalige SPD-Abgeordnete Orlopp bekam im Mai 1945 von einem Mann namens Ulbricht Besuch, der sich ihm als ehemaliger KPD-Reichstagsabgeordneter vorstellte. „Er sei vom Stadtkommandanten beauftragt worden, antifaschistische Fachkräfte für den Aufbau einer neuen Stadtverwaltung ausfindig zu machen." Ca. 24 Stunden später erschienen einige sowjetische Offiziere in Orlopps Wohnung. Wahllos hätten sie aus diesem Haus und einigen Nachbarhäusern etwa 50 Männer und Frauen in den Flur seiner Wohnung zusammengeholt. Ein Offizier habe die ahnungslosen, besorgten Leute gefragt, ob sie mit einer Wahl Orlopps zum Stadtrat für Handel und Handwerk einverstanden seien. Die Versammelten hätten zugestimmt. Damit sei er „gewählt" gewesen.

  38. Friedrich Klein, Neues deutsches Verfassungsrecht, Frankfurt a. M. 1949, S. 168 f.

  39. Konrad Adenauer, Erinnerungen 1945— 53, Stuft gart 1965, 31973, S. 34.

  40. Ebenda, S. 35 f.

  41. Vgl. hierzu Helmuth Pütz, Konrad Adenauer und die CDU in der britischen Besatzungszone, Bonn 1975.

  42. Vgl. hierzu: Wolfgang Trees/Charles Whiting/Thomas Omansen, Drei Jahre nach Null. Geschichte der britischen Besatzungszone 1945— 1948, Düsseldorf 1978, S. 106.

  43. Ebenda, S. 108.

  44. Adenauer, a. a. O., S. 65 f.

  45. Nach John Gimbel, a. a. O„ S. 109— 112.

  46. Zit. nach Waldemar Besson, Von Roosevelt bis Kennedy, Frankfurt a. M. 1964, S. 102.

  47. Zit. nach Besson, a. a. O., S. 103.

  48. Veröffentlicht in: Deuerlein, a. a. O., S. 282 ff.

  49. Gerhard Kiersch, a. a. O., S. 65 f.

  50. Ebenda, S. 73 ff., sowie Ziebura, a. a. O., S. 42.

  51. Alfred Grosser, Das Bündnis, München 1978, S. 73.

  52. Klein, a. a. O„ S. 189 ff.

  53. Pünder, a. a. O., S. 133 ff.

  54. Das bereits 1946 in Stuttgart eingerichtete Büro für Friedensfragen unter einem Leiter Fritz Eberhard beriet zwar auch die Zweizonenorganisation, sein großer Einfluß war jedoch zunächst nur informell, bevor es 1949 zur Keimzelle des Auswärtigen Amtes werden sollte. Vgl. hierzu: Manfred Overesch, Gesamtdeutsche Illusion und westdeutsche Realität. Von den Vorbereitungen für einen deutschen Friedensvertrag zur Gründung des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik Deutschland 1946— 1949/51, Düsseldorf 1978; Heribert Piontkowitz, Anfänge westdeutscher Außenpolitik 1946 bis 1949. Das Deutsche Büro für Friedensfragen, Stuttgart 1978.

  55. Pünder, a. a. O., S. 227.

  56. Clay, a. a. O., S. 212.

  57. Pünder, a. a. O., S. 325.

  58. Elmar Krautkrämer, Der innerdeutsche Konflikt um die Münchner Ministerpräsidentenkonferenz 1947, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 1972, S. 181.

  59. Vgl. Documents of the Creation of the German Federal Constitution, abgedruckt z. B. in: Deuerlein, a. a. O., S. 468— 470.

  60. Vgl. Kommunique der Sechsmächtekonferenz, in: Ernst Deuerlein, Die Einheit Deutschlands, Frankfurt am M. 1957, S. 459 ff.

  61. Vgl. Sigmar Rothstein, Gab es eine Alternative?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 20/69, S. 5.

  62. Vgl. hierzu Rothstein, a, a. O., S. 5.

  63. Wilhelm Röpke in der NZZ, 14. 1. 1948.

  64. W. Phillips Davison, Die Blockade von Berlin, Frankfurt a. M. 1959; insbesondere S. 119 ff.

  65. Zit. nach Rudolf Morsey, Entscheidung für den Westen, in: Westfälische Forschungen, 26. Band, Münster 1974, S. 16; vgl. auch die Entschließung der CDU/CSU-Konferenz am 7. Juli 1948 in Koblenz, in: Helmuth Pütz, a. a. O., S. 522 ff.; als Folge des Streites um die nationale Repräsentation war das Verhältnis der Parteiführer Adenauer, Schumacher und Müller zu den ihren Parteien angehörenden Ministerpräsidenten in dieser Zeit oft gespannt. Dies gilt insbesondere für Kurt Schumacher, dessen Verhältnis vor allem gegenüber Hoegner, Kaisen und Reuter „manchmal gespannt und gelegentlich sogar feindlich war". Der Einfluß der Parteivorsitzenden wuchs nicht zuletzt deshalb, weil ihre Aktivitäten sich nicht auf einzelne Länder beschränkten und sie sich immer stärker auf überzonale und nationale Gesichtspunkte konzentrierten. Demgegenüber verfügten die Regierungschefs über eine „gewisse taktische Autonomie in Angelegenheiten, die ihr Verhältnis zu anderen Parteien und zu den Besatzungsmächten betrafen". Vgl. hierzu: Edinger Lewis, Kurt Schumacher, Köln 1967, S. 173, sowie Rudolf Morsey, a. a. O., S. 7.

  66. Willy Brandt und Richard Löwenthal, Ernst Reuter — Eine politische Biographie, München 1957 S 472

  67. Schwarz, a. a. O., S. 513.

  68. Brandt/Löwenthal, a. a. O„ S. 473 ff.

  69. Schwarz, a. a. O., S. 615 f.; Morsey, a. a. O., S. 18 f.

  70. Vgl. Hans Peter Schwarz, Das außenpolitische Konzept Konrad Adenauers, in: Rudolf Morsey und Konrad Repgen (Hrsg.), Adenauer-Studien I, Mainz 1971.

  71. Alfred Grosser, Deutschlandbilanz, München 1970, S. 127.

  72. Hans Peter Schwarz, Die außenpolitischen Grundlagen des westdeutschen Staates, in: Löwen-thal/Schwarz, a. a. O., S. 46.

  73. Karl Dietrich Bracher, Das deutsche Dilemma, München 1971, S. 181 ff.

  74. Vgl. hierzu auf europäischer Ebene: Bracher a. a. O., S. 187 ff. Bracher weist darauf hin, daß die sozialistische Politik bald an anfänglicher Zustimmung verlor, weil sie durch den Erfolg des marktwirtschaftlich ausgerichteten Marshall-Planes, durch die Mißerfolge der planwirtschaftlich orientierten kommunistischen Wirtschaftspolitik und die Berliner Blockade diskreditiert wurde, a. a. O., S. 189.

  75. Karl Dietrich Bracher, Deutschland zwischen Diktatur und Demokratie, Bern und München 1964, S. 110.

Weitere Inhalte

Wolfgang Bergsdorf, Dr. phil., geb. 1941; Studium der Politischen Wissenschaft, Psychologie und Soziologie in Bonn, Köln und München; Leiter des Büros des Vorsitzenden der CDU. Veröffentlichungen u. a.: Die Zukunft meistern, Hannover 1968 (zusammen mit Alfons König und Johannes Thomas); Hochschulund Wissenschaftspolitik im geteilten Deutschland, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 1/1969; Schulpolitik in beiden Teilen Deutschlands, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 13/1969; Berufsbildung und Erwachsenenbildung in beiden Teilen Deutschlands, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 50/1969; CDU im dritten Jahrzehnt, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 40/1971 (mit Leo Baumanns); Intellektuelle und Politik, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 24/1974; 'Die sanfte Gewalt — Sprache — Denken — Politik, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 24/1977; Analyse des Redneraustausches SPD—SED 1966, in: Deutschland-Archiv 2/1978; Politik und Sprache, München 1978; Ohnmacht und Anmaßung: Intellektuelle und Politik, in: Die politische Meinung 178/1978; Die Sprache der Diktatur und ihre Wörter, in: Deutschland-Archiv 12/1978.