Die Terrorismusdiskussion in der Bundesrepublik Deutschland lenkte die Aufmerksamkeit auch auf die Universitäten, nachdem diese bereits einige Zeit dem Vorwurf ausgesetzt waren, Linksradikale hervorzubringen. In diesem Zusammenhang wurde die Frage nach der Sozialisation durch die Universität allgemein und die nach der politischen Sozialisation im besonderen relevant. Parallel zur Hochschulsozialisationsforschung konstituierte sich als neue Wissenschaftsdisziplin die Hochschuldidaktik, da die Klagen über die Ineffektivität des Lehrens und Lernens ebenso wie über falsche Lehrund Lernziele nicht abrissen. Die Hochschuldidaktik mußte sich bei der Frage, welche Veränderungen im relativ fortgeschrittenen Lebenslauf überhaupt noch verwirklicht werden können, zwangsläufig den Ergebnissen der Sozialisationsforschung zuwenden. Als Reaktion auf die Schwächen dogmatischer, objektivistischer Kapitalismusanalysen, die eher das Wunschdenken ihrer Autoren als die Wirklichkeit widerspiegeln, profiliert sich mit der „Lebensweltanalyse" eine Richtung der Sozialwissenschaften, die Traditionen der phänomenologischen Soziologie wieder aufgreift und stärker den „subjektiven Faktor" berücksichtigt. Das heißt für die Hochschulsozialisationsforschung, daß die Wahrnehmungen, Einsichten, Einstellungen und Interpretationen der Betroffenen in der „Lebenswelt" Universität analysiert werden. In einer von den Verfassern durchgeführten Untersuchung an der Universität Heidelberg bescheinigen die Studierenden der Universität, daß sie die entsprechende wissenschaftliche Sozialisationsfunktion erfüllt. Der der Hochschule zwar allgemein zugeschriebenen berufsqualifizierenden Funktion wird sie in der Wahrnehmung der Studierenden in weitaus geringerem Maße gerecht. Die Sozialisationsfunktion im Bereich der persönlichen und allgemeinbildenden Entwicklung wird in ihrer Bedeutung gering, in ihrer Richtung negativ eingeschätzt. Apathie, Autoritätsgehorsam und Anpassungsverhalten sind nach der Beurteilung der Studierenden die Verhaltensweisen, die man an der Universität erlernt. Die politische Sozialisation durch die Hochschule wird eindeutig negativ beurteilt. Die in der öffentlichen Diskussion artikulierten Stereotypen stimmen mit der studentischen Erfahrung nicht überein. Angst vor politischer Betätigung, politische Apathie und Resignation sind der „heimliche politische Lehrplan" der Universität. Die Veränderungen der politischen Einstellung durch das Studium sind gering; soweit sie feststellbar sind, tendieren sie eher nach „links", jedoch kommt es auch zu Entwicklungen nach „rechts".
I. Einleitung
1. Sozialisation durch die Hochschule und die aktuelle Terrorismusdiskussion
Abbildung 4
Abbildung 4
Abbildung 4
Bei der Diskussion über die Ursachen des Terrorismus in der Bundesrepublik Deutschland sind die Universitäten erneut in Verruf geraten: brachten sie früher nur Radikale hervor, so wurde ihnen jetzt eine Mitschuld am Terrorismus angelastet. Zentral richtete sich diese Erklärungsstrategie gegen „linke" Gesellschaftswissenschaften. „Die Denunzierung unseres freiheitlichen und sozialen Rechtsstaats als spätkapitalistischen Ausbeuterstaat zeigt, wie notwendig es ist, die vorherrschende Kapitalmuskritik endlich an unseren Schulen und Universitäten durch eine systematische Marxismuskritik zu ergänzen." Andere „Ursachenforschungen" sprechen von den „Subjekten des rüden neu-akademischen Tons" und „jung-akademischen Wortführern", von einem „akademischen Milieu, das sich fortschreitend gegenüber unserer Gesellschaft isoliert" Wird hier die Analyse ganz von der politischen Strategie geleitet, so geht eine andere Analyse auf die Lebensbedingungen und -perspektiven ein, die für die Erfahrungen von Studierenden bedeutsam sind: „Zahlreiche Studierende haben weder die materielle noch die moralische Unterstützung der Eltern.
Abbildung 5
Die Richtung der politischen Einstellungsänderung
Die Richtung der politischen Einstellungsänderung
Gleichzeitig aber ist ihnen die berufliche Zukunft nach dem Studium verborgen. Eine Untersuchung unter Züricher Studenten zeigt, daß diejenigen, die nicht wissen, wohin sie gehen, die gesellschaftliche und politische Umwelt außerordentlich negativ erleben. Sie empfehlen Gewalt als Mittel der Veränderung."
Abbildung 6
Abbildung 6
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Auch wenn in der Regel zwischen Universitäten und Terrorismus nur indirekte Zusammenhänge hergestellt werden, ist die Frage nach der politischen Sozialisation durch die Universitäten im Kontext der Terrorismusdiskussion relevant geworden. Diese Aktualität trifft sich mit anderen Entwicklungen im Hochschulbereich selbst, die freilich mit der Frage nach den Ursachen des Terrorismus nichts zu tun haben.
Abbildung 7
Abbildung 7
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2. Hochschuldidaktik und Hochschulsozialisation
Abbildung 8
Abbildung 8
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Klagen aus der Praxis über die schlechte, praxisferne Ausbildung der Studenten an Universitäten und Hochschulen sind Legion, ebenso die Klagen der Lehrenden über die Lernenden und umgekehrt Als Folge und mit dem Ziel der Veränderung etablierte sich in der Zeit der Hochschulreformdiskussion auch in der Bundesrepublik Deutschland eine neue Wissenschaftsdisziplin, die Hochschuldidaktik. Neben dem „Wie" des Lehrens und Lernens, das traditionell weder Lehrende noch Lernende speziell erlernten, stand auch das „Was", die Lehrund Lernzielbestimmung, scheinbar zur Disposition.
Abbildung 9
Abbildung 9
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Zur Beantwortung der Frage, was die Hochschulen und Universitäten im fortgeschrittenen Lebenslauf der Studierenden über die reine Wissensvermittlung und Qualifikation hinaus noch zu leisten imstande sind, mußte die Sozialisationsforschung herangezogen werden. Mangels detaillierter deutscher Ergebnisse war der Rückgriff auf angloamerikanische Ergebnisse notwendig.
Auf besondere Skepsis der Hochschulsozialisationsforschung mußten alle Theorien stoßen, die das Ende der Entwicklung von Intelligenz, Bewußtsein u. a. allzu früh im Lebenslauf konstatierten. Dagegen ist die starke Vorprägung durch familiale, schulische und peer-group-Sozialisation kaum umstritten. „Die formale Fertigkeit und die inhaltliche Komponente sind spätestens mit dem fünf-zehnten Lebensjahr internalisiert. Der Filter st da; spätere Bewußtseinsformen lassen sich zumeist als spezifische Filterwirkung erklären." Studenten haben eine bestimmte, sie stark vorprägende schichtabhängige Sozialisation durchlaufen, die eine bestimmte Persönlichkeitsstruktur bereits hervorgebracht at. Diesen Filter passieren ihre Wahrneh-mungen, Erfahrungen und Erlebnisse, wobei hre kognitiven Fähigkeiten besonders berücksichtigt werden müssen.
Schwierig ist der Beweis, ob Einstellungs-and Verhaltensänderungen tatsächlich aus Sozialisationseinwirkungen der Hochschule resultieren, doch spricht inzwischen einiges für ein „relativ einheitliches Syndrom hochschulspezifischer Sozialisationseffekte"
Die Analyse dieser Effekte ist für die Hochschuldidaktik von konstitutiver Bedeutung, will sie Ineffektivität und technokratische Steuerung vermeiden. Eine Reflexion ausschließlich auf der inhaltlichen, stofflichen Seite, die didaktische Aufbereitung der wissenschaftlichen Theorien und Methoden allein, bringt den Adressatenbezug nur als bloßen Annex zur Geltung.
Ob die in dieser Weise didaktisch aufbereiteten Inhalte tatsächlich vermittelt werden können, bleibt offen. Neben diesem Effektivitätsgesichtspunkt ist ein zweiter bedeutsam: In der Aneignung von Wissensstoffen ändert sich deren Sinn durch die Form der Vermittlung und nach Maßgabe der Struktur des „Filters", der auf der Seite des Rezipienten biographisch erworben wurde. Die Analyse der Vermittlungsform und des Bedeutungswandels der wissenschaftlichen Inhalte im Lernprozeß erlaubt den Lehrenden die Erkenntnis der bisher unbekannten Folgen der eigenen Lehre, den Lernenden die Erkenntnis der Bedingungen des eigenen Studierens und seiner Sozialisationswirkung.
Für den bisherigen Stand der Hochschuldidaktik ist freilich kritisch darauf hinzuweisen, daß — wie so oft bei Reformaktivitäten — sozialisationstheoretische Paradigmen weniger die Funktion der theoretischen Anleitung als die der Legitimation und Absicherung bestimmter Interessen und Intentionen haben. Die Umsetzung der Ergebnisse der Hochschulsozialisationsforschung in hochschuldidaktische Strategien wird teilweise gänzlich in Abrede gestellt
3. Hochschulsozialisation und der „subjektive Faktor"
Nachdem die Ausweitung der Hochschuldidaktik — sowohl in institutioneller als auch in thematischer Hinsicht — die Problematisierung des hochschulinternen Sozialisationsprozesses in den Vordergrund rückt, sind weitere Tendenzen zu beobachten, die diese Entwicklung unterstützen. Als Reaktion auf die dogmatisierten, objektivistischen Kapitalismusanalysen profiliert sich eine Richtung der Sozialwissenschaften, die als „Lebensweltanalyse" Traditionen der phänomenologischen Soziologie wieder aufgreift. Ausgangspunkt dieser Überlegungen bildet die „Einheit von institutioneller Organisation, den durch sie bedingten Lebensformen und ihrem unmittelbaren und mittelbaren Austausch mit ihrer sozialen Umgebung"
Bezogen auf die Universität heißt dies, daß die Lebenswelt der dort Arbeitenden hinsichtlich der strukturellen Bedingungen, der gruppenspezifischen Lebensweisen und Arbeitsformen, der Kommunikations-und Interaktionsformen und der von den Betroffenen selbst mit diesen Bedingungen verknüpften Interpretationen und Definitionen analysiert wird; Sozialisationsforschung an der Universität nimmt dabei ihren Ausgangspunkt bei dem subjektiv gemeinten Sinn, den die Studierenden in ihrer Studiensituation entwickelt ha-ben. Geht diese Analyse weiter zu einer „kritischen Theorie des Subjekts", soll die Analyse in der Selbstreflexion der Betroffenen selbst eingeholt werden. „Ohne eine genaue Beschäftigung mit den historischen und klassenspezifisch prävalenten psychischen Strukturen, Charakterformen und soziopsychischen Identitäten lassen sich weder die spezifischen Reaktionsund Handlungsweisen der Betroffenen noch die Besonderheiten des Sozialisationsprozesses durch die Universität bestimmen. Ebensowenig ist es möglich, Lernprozesse subjektbezogen, d. h.den konkreten Bedürfnissen und Problemen der Individuen entsprechend, zu institutionalisieren, wenn man sie nicht kennt."
Betrachtet man Studieren als einen Lernprozeß, der die Identität des Lernenden tangiert und sein erworbenes Handlungsund Symbol-system verändert, wird Studieren als eine permanente Auseinandersetzung mit subjektiven Krisen faßbar Solche Krisen sind in der Regel mit dem Studienbeginn verbunden und tauchen in verschiedenen Phasen (z. B. beim Wandel von der Studien-zur Berufs-orientierung) immer wieder auf, in denen die Studierenden mit nicht-linearen Lernund Entwicklungsprozessen konfrontiert werden.
„Gemeint sind damit Prozesse, die mit den Interaktionsformen, die der Identität immanent sind, nicht bewältigt werden können, also die identitätsstiftenden Interaktionsformen überfordern bzw. ins Leere greifen lassen. Solche Vorgänge betreffen die Identität zentral und erzwingen grundlegende Umorientierungen"
Die Berichte von Studienberatungsstellen und psychotherapeutischen Zentren weisen übereinstimmend darauf hin, daß diese Identitätskrisen in erheblichem Umfang das Niveau physischer und psychischer Erkrankungen erreichen Angesichts der hohen Selbstmord-quote bei Studierenden muß man in diesen Fällen von einem „Lernprozeß mit tödlichem Ausgang" sprechen.
Im Rahmen eines umfassenden Verständnisses des Lernens an der Hochschule wird die subjektive Wahrnehmung ihrer Sozialisation durch die Studenten ein Gegenstand der Untersuchung und — will man nicht bei einer technokratisch optimierten Lehrstrategie stehenbleiben — der Selbstreflexion von Lehrenden und Lernenden. Es zeigt sich, daß die Wahrnehmungen der Studierenden sehr genau den „heimlichen Lehrplan" der Universität widerspiegeln.
4. Anlage der Untersuchung Für die Untersuchung der Situation der Heidelberger Universitätsstudenten, die die beiden Verfasser in der ersten Februarhälfte 1977 durchführten, stellte die Universitätsverwaltung eine Zufallsstichprobe von 450 Adressen nebst einigen ausgedruckten Merkmalen zur Verfügung. Da keinerlei Geld für Interviews zur Verfügung stand, suchten die Teilnehmer einer Übung zur empirischen Sozialforschung ihre zu befragenden Kommilitonen auf und überbrachten die Fragebögen, die fast ausschließlich geschlossene Fragen enthielten. Wohl auf das persönliche Aufsuchen und Bitten um Ausfüllen ist es zurückzuführen, daß verhältnismäßig wenige Verweigerungen zu verzeichnen waren. Dagegen erstaunt, wieviele Adressen nicht mehr stimmten: Studenten denken offensichtlich nach einem Umzug nicht an die Ummeldung im Studentensekretariat. Anhand der von der Universitätsverwaltung angegebenen statistischen Merkmale konnte nachgewiesen werden, daß die 176 ausgefüllten Fragebögen hinsichtlich der Merkmale Geschlecht, Fakultätszugehörigkeit, angestrebte Abschlußexamen, Anzahl der Hochschulsemester und der Fach-semester ein fast genaues Abbild des Stichprobenausdrucks erbracht hatten. Nur die ausländischen Studenten hatten proportional weniger als ihre deutschen Kommilitonen geantwortet, so daß über sie nichts ausgesagt werden kann. Die vorliegende Stichprobe, durch eine Kombination von Zufalls-und Quotenauswahl zustande gekommen, kann als repräsentativ für die Heidelberger Studentenschaft bezeichnet werden.
II. Darstellung der Ergebnisse
Abbildung 2
Abbildung 2
Abbildung 2
1. Allgemeiner Überblick über die Wahrnehmungen der Hochschulsozialisation durch die Heidelberger Studenten
Die Frage „Welche Verhaltensweisen man an der Universität erlernt" sollten die befragten Studentinnen und Studenten gemäß ihrer eigenen Erfahrung auf einer fünfstufigen Skala ankreuzen, wobei 1 = „lernt man sehr wenig" und 5 = „lernt man sehr viel" repräsentierte. Das folgende Schaubild veranschaulicht das dem Skalenniveau angemessene Maß der zentralen Tendenz, den Median, für jede erfragte Verhaltensweise:
Bemerkenswert ist, daß die Universität nach Ansicht der Studierenden derjenigen Sozialisationsfunktion weitgehend genügt, auf die sie sich gemäß weitverbreiteter Ansicht vor allem konzentrieren sollte. Die Belegung der nächsten Rangplätze mit fast ausnahmslos negativen Verhaltensweisen zur politischen Sozialisation muß jedoch in einem Staat besonders zu denken geben, der sich auf seine Attribute .freiheitlich'und (demokratisch'etwas einbildet. Die in dieser Hinsicht positiv zu wertenden Verhaltensweisen rutschen mit zum Teil beträchtlichem Abstand ans Ende, sieht man einmal vom letzten Rang ab, bei dessen Interpretation das Phänomen der sozialen Erwünschtheit mit in Rechnung gezogen werden muß.
Um die Einstellung der Studierenden zu den Funktionen der Universität zu erforschen und gleichzeitig Vergleichsdaten zur Überprüfung einbeziehen zu können, wurde bei der Heidelberger Befragung die Skalometer-Einstufung zur Funktionsbestimmung der Hochschule aus einer Infratest-Untersuchung übernommen Die Heidelberger Untersuchung ergab folgende Funktionenrangreihe:
Die Ergebnisse der Heidelberger Befragung stimmen sowohl hinsichtlich der absoluten Bedeutung der einzelnen Funktionen als auch der relativen Rangordnung mit der Repräsentativbefragung im Wintersemester 1973/74 überein, mit zwei signifikanten Ausnahmen: Das Erlernen von Teamarbeit und die Möglichkeit der hochschulpolitischen Betätigung werden von den Heidelberger Studenten im Wintersemester 1976/77 in weitaus geringerem Maße als Funktion der Hochschule eingeschätzt als in der Repräsentativbefragung.
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß es den Studierenden in erster Linie um gute wissenschaftliche Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten geht, die für einen Beruf befähigen, der Unabhängigkeit und hohen Status als Voraussetzung für die Durchsetzung eigener Interessen garantiert. Die klassischen akademischen Bildungsideale geraten dabei ins Hintertreffen.
Da Form und Inhalt von Kommunikationen mit „signifikanten Anderen" (G. H. Mead) ein sozialisationsrelevanter Sachverhalt sind, wurde nach den Themen der Gespräche mit anderen Studierenden gefragt. Die Gruppe befreundeter Gleichaltriger kann bei Studenten als wichtige Sozialisationsinstanz angesehen werden. Uber die Themen ihrer Kommunikation machen die Befragten folgende Angaben (siehe Tabelle unten):
In der Gleichaltrigenkommunikation stehen Fragen der unmittelbaren Berufstätigkeit und des persönlichen Lebens im Vordergrund. Die im gesellschaftlichen Image der Hochschulen und Studenten dominanten Themen sind für die studentische Kommunikation dagegen weniger von Bedeutung. Für die Kommunikation mit Kommilitonen gibt es hier auch keinen Ersatz: Mitglieder des Lehrkörpers sind in hochschulpolitischen Fragen nur für 3, 4 °/o und bei persönlichen Problemen nur für 2, 7 °/o der Studenten ein Gesprächspartner.
Politische Gespräche mit den Eltern kommen dagegen bei einem Viertel der Befragten häufig vor, bei der Hälfte nur manchmal. Ob man dabei die politische Einstellung der Eltern teilt oder nicht, wirkt sich nicht auf die Gesprächshäufigkeit aus. Häufige Gespräche mit den Eltern über politische Fragen korrelieren gleichzeitig hochsignifikant mit häufigen politischen Diskussionen mit Freunden und Bekannten und umgekehrt (Kontingenzkoeffizient 0. 37), sind also von dem allgemeinen eigenen Interesse an Politik abhängig, nicht von der Beziehung zu den Eltern. Nur bei einem Drittel der Befragten ist Politik ein häufiges Thema in den sozialen Interaktionen mit den verschiedenen Bezugsgruppen. Eine Differenz zur politischen Einstellung der eigenen Eltern ist bei zwei Dritteln der Studenten gegeben, wobei die Differenz um so geringer wird, je liberaler bzw. „linksliberaler" die Meinung der Eltern eingeschätzt wird (Kontingenzkoeffizient 0. 49).
2. Persönliche Entwicklung und der Erwerb sozialer Einstellungen
Im Bereich der persönlichen Entwicklung und Entfaltung widersprechen die Sozialisationserfahrungen der Studierenden dem Ideal der Hochschule von sich selbst, daß sie autonome, selbstbestimmte und verantwortungsbewußte Persönlichkeiten hervorbringe. Die Studenten glauben vielmehr, daß die Universität Duckmäusertum, Autoritätsgehorsam und Apathie fördere. Auch wenn andererseits arrogantes Verhalten ihrer Meinung nach durch die Universität kaum hervorgebracht wird, sind Fähigkeiten der Selbstbestimmung und der Empathie weniger ein Ergebnis der Hochschulsozialisation. So glauben nur 22 °/o der Studenten, daß sie ihr Studium überhaupt persönlich weiterbringt; bei den Naturwissenschaftlern sind es sogar nur 14, 3%. Daß ihnen ihr Studium hier wenig oder gar nicht hilft, glauben am häufigsten die Juristen und die Sozialwissenschaftler. Während Männer und Frauen sich bei dieser Einschätzung gleich verhalten, gibt es einen deutlichen Zusammenhang mit der Studiendauer (Kontingenzkoeffizient 0. 28): Bei der Meinung, daß das Studium sehr wenig zur persönlichen Entwicklung beitrage, steigt der Pessimismus mit der Studiendauer deutlich an. Diese Meinung ist auch bei einem Drittel der Studierenden aus der Unterschicht vorhanden, während die beiden anderen Sozialschichten zu 15% diese Einstellung haben. Die Aneignung von Anpassungsverhalten. wird von Geistes-und Sozialwissenschaftlern kontrovers gesehen. Während weit über die Hälfte der Sozialwissenschaftler diese Auswirkung des Studiums nicht wahrnimmt, erleben ebensoviele der Geisteswissenschaftler gerade diese Verhaltensweise sehr stark. Bei allen anderen Studienrichtungen gibt es keine Abweichungen vom Durchschnitt. Während Studiendauer und Geschlecht in dieser Dimension keinen Einfluß haben, ist die soziale Herkunft — wenn auch nur schwach (Kontingenzkoeffizient 0. 20) — bedeutsam: Studenten aus der Unter-und Mittelschicht nehmen eher als solche aus der Oberschicht die Aneignung von Anpassungsverhalten wahr.
Das „heimliche Lernziel" Resignation steht in der Rangfolge aller vorgegebenen Dimensionen an fünfter Stelle. Hier ist die Studienrichtung eher bedeutsam (Kontingenzkoeffizient 0. 29). Jurastudenten und Sozialwissenschaftler schätzen die Aneignung von Resignation im Studium überdurchschnittlich gering, Natur-und Geisteswissenschaftler dagegen überdurchschnittlich hoch ein. Dies ist vermutlich aus dem Umstand zu erklären, daß in diesen Studienrichtungen die Zahl der Lehrerstudenten sehr hoch ist, die oft andere Berufsfelder als die Schule anstreben, sich mangels Alternativen dann doch der Schule zuwenden. Unter den Bedingungen von Lehrerarbeitslosigkeit ergeben sich weitere Gründe für resigna-tive Orientierungen. Geschlecht und Studiendauer sind irrelevant, Studenten aus der Unterschicht unterscheiden sich dagegen deutlich von denen aus der Oberschicht: Die ersteren nehmen resignative Orientierungen als Folge des Studiums sehr viel stärker wahr. Offensichtlich werden Erwartungen, die sie selbst mit dem Studium verbanden, enttäuscht.
Der Erwerb von Selbstbewußtsein wird bei Geistes-und Sozialwissenschaftlern nur halb so hoch veranschlagt wie bei Medizinern und Naturwissenschaftlern, die in dieser Hinsicht zu jeweils einem Drittel davon ausgehen, daß man an der Hochschule Selbstbewußtsein in hinreichendem Maße erwirbt. Wir erklären diese Differenzierung dahin gehend, daß Mediziner und Naturwissenschaftler in höherem Maße als andere sich mit ihrer fachlichen Kompetenz identifizieren. Während Geschlecht und soziale Herkunft sich in dieser Dimension nicht auswirken, sind die Studenten mit hoher Studiendauer (über zwölf Semester) hier ausgesprochen pessimistisch. Während fast ein Drittel aller anderen Studenten glaubt, daß man diese Eigenschaft an der Universität gut erwerben kann, sind es bei dieser Gruppe nur lO°/o. Durch dieses Ergebnis wird die Erfahrung untermauert, daß langes Studieren nicht die Selbstsicherheit fördert und die Prüfungsangst abbaut.
Die Fähigkeit zur Empathie, d. h. auf andere Menschen eingehen und sie aus ihrer eigenen Situation heraus verstehen zu können, steht als Sozialisationsfunktion der Hochschule auf dem zweitletzten Skalenrang. Nur bei den Sozialwissenschaftlern wird diese Dimension höher veranschlagt, was ihrem professionellen Selbstverständnis entsprechen und aus dem Studieninhalt resultieren dürfte. Auf die negative und durchschnittliche Einschätzung dieser Sozialisationsdimension wirkt sich die Studiendauer nicht aus. Allerdings glauben die Studienanfänger zu 20 °/o und die Langzeitstudenten sogar zu 32 °/o, daß man diese Fähigkeit an der Universität lernen kann; bei den Gruppen mit mittlerer Studiendauer (fünf bis acht und neun bis zwölf Semester) sind dies jeweils nur 15%. Ein signifikanter Zusammenhang liegt vor hinsichtlich der sozialen Herkunft. Von den Studenten aus der Unterschicht glauben 86, 7 %, von denen aus der Oberschicht dagegen 46, 3 %, daß man die Fähigkeit zur Empathie kaum oder nicht erwerben kann; während von den letzteren noch 24, 4 % meinen, man könne Empathie sehr wohl erwerben, ist es aus der Unterschicht niemand mehr. Studenten aus der Unter-schicht erfahren offensichtlich ein hohes Maß an Unverständnis. Entsprechend ist auch das Ergebnis in der entgegengesetzten Dimension, bei der Frage nach der Arroganz. Während alle anderen hier vermuten, daß man diese an der Universität kaum lernt, sind 28, 6 % der Studenten aus der Unterschicht der Meinung, daß man diese sehr stark lernt.
Der Bluff wird als ein vorherrschendes Interaktionsmuster an der Universität angesehen Innerhalb der persönlichkeitsbezogenen Sozialisationsdimensionen rangiert er in der Sicht der befragten Studenten auf dem vierten Rang. Hier ist auch nur die soziale Herkunft auf spezifische Ausprägungen wirksam: Studenten aus der Unter-und der Oberschicht haben konträre Ansichten. Für Studenten aus der Unterschicht ist Bluffen ein dominantes Lernziel der Universität; für die Studenten aus der Oberschicht ist es wenig wahrnehmbar.
Daß man an der Universität lernt, sich durchzusetzen, wird von Medizinern, Natur-und Sozialwissenschaftlern als wichtiges Lernziel angesehen, und zwar doppelt so häufig wie von Juristen und Geisteswissenschaftlern (Kontingenzkoeffizient 0. 24). Auch hier ist die soziale Herkunft bedeutsam: Unterschicht-Studenten machen sehr viel weniger die Erfahrung, daß man Sichdurchzusetzen an der Universität erlernen kann.
3. Hochschule und Wissenschaft Trotz Überfüllung der Hochschulen, zum Teil schlechten Arbeitsbedingungen, Stellenstreichungen und anderen Imponderabilien erfüllt die Universität in der Wahrnehmung der Studierenden ihre primäre Aufgabe. Immerhin haben 57 % der befragten Studenten bei der Frage, ob man an der Universität wissenschaftlich zu arbeiten und argumentieren lerne, auf der fünfstufigen Skala die Rangstufen 4 und 5 (sehr viel) angekreuzt, nur 6% die Stufen 2 und 1 (sehr wenig).
Relativ gut schneiden auch die fachlichen Autoritäten ab, nachdem Autoritätsgehorsam („Sich auf fachliche Autoritäten verlassen" im Sinne von Milgram 17) bei vielen Studenten lange Zeit nicht mehr hoch im Kurs stand. 37, 4 % der befragten Studierenden meinen, in stärkerem Maße zu lernen, sich auf fachliche Autoritäten zu verlassen, 33, 7 % messen diesem Punkt ihrer Sozialisation keine große Bedeutung zu. In umgekehrtem Verhältnis (32, 3% zu 37, 8 °/o) und damit negativer wird das Erlernen von Kooperation eingeschätzt, allerdings gehört das Einüben von Teamarbeit auch zu den Funktionen der Universität, denen die Studenten eine geringe Bedeutung beimessen (Median: 2. 9 auf einer 8stufigen Skala).
Bei den Funktionen der Hochschule liegen neben der Berufsausbildung (s. unten) ebenfalls diejenigen in der Gunst der Studenten an der Spitze, die in engem Zusammenhang mit Wissen und Wissenschaft stehen. Die Universität ist demgemäß für die meisten Studenten eine Institution des Erwerbs von spezialisiertem Fachwissen (Median 6. 5), die den Erwerb von wissenschaftlichen Arbeitstechniken ermöglicht (5. 7) sowie die Möglichkeit bietet, an der Weiterentwicklung der Wissenschaft teilzuhaben (5. 0). Dagegen haben Vermittlung von Allgemeinbildung (3. 9) und Ermöglichung von Forschung der Studenten (3. 4) nur für eine Minderheit eine überdurchschnittliche Bedeutung. Auffallend bei allen hier genannten erlernten Verhaltensweisen und Funktionen ist, daß sich die befragten Mitglieder der Universität in ihrer Einschätzung weder hinsichtlich Geschlecht, Studiendauer, Fakultäts-oder Schichtzugehörigkeit signifikant unterscheiden.
Generell läßt sich zur Studienzufriedenheit feststellen, daß sich mehr Studierende „eher mit dem Studium zufrieden" als von ihm enttäuscht erklären. So würden weitaus die meisten nochmals studieren — Studenten signifikant häufiger als Studentinnen. Auf die Abschlußprüfung fühlen sich allerdings nur zwei von fünf Befragten gut vorbereitet.
4. Politische Sozialisation Für den Bereich politischen Lernens an der Hochschule waren im Fragebogen zwei Alternativen als Antwortvorgaben angeboten:
— man lerne an der Hochschule, sich selbständig und kritisch mit politischen Problemen auseinanderzusetzen, — man lerne, daß politisches Engagement einem schaden könne.
Die Rangplätze dieser Antwortvorgaben im Gesamtergebnis zeigen eine pessimistische und resignative Einschätzung der politischen Sozialisationsfunktion der Universität.
Der Erwerb der Fähigkeit zu einem kritischen und selbständigen Umgang mit politischen Problemen wird dabei von Studentinnen positiver gesehen als von Studenten. Von den Studentinnen meinen 44, 8 %, man lerne dies wenig oder sehr wenig; bei den Studenten glauben dies genau zwei Drittel. Andererseits glauben von den Frauen 24, 1 %, von den Männern nur 15, 3 %, man lerne diese Fähigkeit sehr viel oder viel (Kontingenzkoeffizient 0. 21). Das Studium wirkt offensichtlich auf Studentinnen politisierender als auf Studenten; dies erscheint vor allem dann plausibel, wenn man davon ausgeht, daß Frauen in der Sozialisation vor dem Studium mehr Distanz zur Politik hatten als Männer. Die Studiendauer wirkt sich in auffälliger Weise nur bei der Meinung aus, daß man politische Kritikfähigkeit in hohem Maße lerne. Die Langzeitstudenten sehen diese Möglichkeit sehr viel häufiger als andere Gruppen (Kontingenzkoeffizient 0. 30). Ein stärkerer Zusammenhang (Kontingenzkoeffizient 0. 35) besteht mit der Studienrichtung. Medizinstudenten sind hier stark polarisiert: zwei Drittel glauben, daß man politisches Urteilsvermögen wenig lernt, ein Drittel, daß man dies in großem Maße lernt. In allen anderen Studienrichtungen wird die letztgenannte Meinung sehr viel weniger vertreten. Am kritischsten sind Natur-und Sozialwissenschaftler; nur 12, 2°/o bzw. 14, 3% glauben, daß man diese Fähigkeit viel erwirbt, keiner glaubt, daß man sie „sehr stark" erwirbt. Die soziale Herkunft wirkt sich hier nicht aus.
Daß man an der Universität lernt, politisches Engagement könne einem schaden, wird von Studentinnen und Studenten in gleichem Maße angenommen. Hinsichtlich der Studiendauer gibt es auch keine signifikanten Zusammenhänge; allerdings glauben die Langzeitstudenten ebenso wie an die politische Sozialisationswirkung der Universität überdurchschnittlich daran, daß politisches Engagement sehr stark schadet. Möglicherweise ist unter ihnen die Gruppe derer stark vertreten, deren Studium sich aufgrund hochschulpolitischen Engagements in die Länge gezogen hat. Ein deutlicherer Zusammenhang besteht dagegen mit der Studienrichtung (Kontingenzkoeffizient 0. 37).
Hier unterscheiden sich die Sozialwissenschaftler von allen anderen Gruppen. Sie sind am wenigsten ängstlich; nur 23% glauben, daß man Angst vor politischem Engagement an der Universität lernt. Bei den anderen Gruppen sind dies 47 % (Naturwissenschaftler) bis 62% (Geisteswissenschaftler). Während 53% der Sozialwissenschaftler glauben, man lerne diese Angst nur wenig, sind es bei den Geisteswissenschaftlern nur 8 %, bei Medizinern und Juristen 17%. Sozialwissenschaftler können offensichtlich politisches Engagement sehr viel leichter mit ihren Studien-inhalten und ihrem Selbstbild vereinbaren.
Auch die soziale Herkunft ist in der Dimension des apathisierenden Effekts des Studiums bedeutsam (Kontingenzkoeffizient 0, 26). Während die Hälfte der Studenten aus Mittel-und Oberschicht diese Wirkung des Studiums hoch veranschlagt, sind es bei Studenten aus der Unterschicht fast drei Viertel.
Die große Mehrheit der Studierenden stuft sich leicht links von der Mitte ein; „extreme“ Positionen werden nur von Minderheiten vertreten.
Dabei ist bedeutsam, daß weder Geschlecht noch Studiendauer einen signifikanten Einfluß auf die politische Selbsteinstufung haben. Auch die Studienrichtung hat keine große Bedeutung; lediglich die Geisteswissenschaftler unterscheiden sich von allen anderen Gruppen dahin gehend, daß die Hälfte sich bei den Werten 1 und 2 einstuft, 13 % bei den Werten 4 und 5. In den anderen Fakultäten (auch bei den Sozialwissenschaftlern!) stuft sich immerhin ein Drittel bei den Werten 4 und 5 ein. Gerade die Sozialwissenschaftler (bei denen auch die Volkswirte und Psychologen vertreten sind) erreichen mit 35 % bei den Werten 4 und 5 die konservativste Position. Den stärksten Einfluß unter den hier kontrollierten Variablen hat die soziale Herkunft. Studenten aus der Unterschicht stufen sich deutlich weiter links ein als die anderen Gruppen (Kontingenzkoeffizient 0. 33). Unter dem Gesichtspunkt einer systematischen Interpretation ist festzuhalten, daß im Vergleich zu studienbedingten Ausprägungen und Veränderungen des politischen Selbstbildes die sozialstrukturellen Faktoren — hier bezogen auf die soziale Herkunft — mehr Relevanz haben.
Die Veränderungen in der politischen Selbst-einstufung, die sich aus den Differenzen zwischen den beiden Skalen ergeben, verteilen sich folgendermaßen: — Politische Selbsteinstufung zu Beginn des Studiums und zum Zeitpunkt der Befragung ist identisch bei 50 °/o;
— eine geringe Rechtsentwicklung (im Umfang bis zu einem Skalenwert) konstatieren 9, 7 °/o;
— eine stärkere Rechtsentwicklung (größer als ein Skalenwert) geben 3, 4 °/o an;
— eine schwache Entwicklung nach links ergibt sich bei 22, 2 °/o und — eine stärkere Linksentwicklung bei 5, 7 °/o.
Zunächst ist wiederum festzuhalten, daß die politische Sozialisation vor dem Studium relativ stabile Einstellungsmuster vermittelt hat, die sich bei der Hälfte der Befragten nicht verändern und nur bei 9, 1 °/o in starkem Umfang wandeln. Auf den Umfang und die Richtung der Veränderung hat das Geschlecht keinen signifikanten Einfluß. Die Studiendauer ist eher bedeutsam (Kontingenzkoeffizient 0. 37), was allerdings zu erwarten war. So ergibt sich bei Studenten im Grundstudium eine überdurchschnittliche Konstanz der politischen Meinung (bei 62%), bei allen anderen Gruppen ist der Umfang der Veränderung allerdings gleich hoch (um 41 %). Die Richtung der Veränderung ist nur bei den Langzeitstudenten und nur in der Veränderungsrichtung „schwach links" 38 (bei %) überdurchschnittlich hoch. Da diese Gruppe der Langzeitstudenten sich allerdings nicht überdurchschnittlich nach „stark links" verändert, kann von einem konsistenten Einfluß der Studiendauer im Sinne einer kontinuierlichen Linksentwicklung nicht die Rede sein. Die Veränderungen in den verschiedenen Studienrichtungen sind weitgehend identisch. Insbesondere ergibt sich weder bei Geistes-und Sozialwissenschaftlern durch das Studium eine Tendenz nach links noch bei Juristen und Medizinern eine Tendenz nach rechts. Es kann angenommen werden, daß solche Tendenzen vielmehr schon zu den die Studienfachwahl motivierenden politischen Einstellungen gehören und weniger durch das Studium selbst erworben werden. Die soziale Herkunft hat auf Umfang und Richtung der Einstellungsänderung keinen signifikanten Einfluß. In dem eingeschränkten Umfang, in dem das Studium politisch sozialisiert, sind diese Veränderungen von der vorhergehenden schichtspezifischen Sozialisation offensichtlich unabhängiger und durch spezifische Studienerfahrungen bedingt.
Die Richtung des Einstellungswandels im Studium wird sichtbar, wenn man die Angaben auf der politischen Einstellungsskala, die auf den Studienbeginn bezogen sind, mit der Differenz zwischen beiden Skalen in Beziehung setzt.
Dieser hochsignifikante Zusammenhang (Signifikanzniveau 0. 0001 und Kontingenzkoeffizient 0. 41) weist einmal darauf hin, daß Veränderungen im Studium relativ unabhängig von der subjektiven Ausgangsbasis sind. Dort, wo ein Wandel stattgefunden hat, glauben Studenten, die sich zu Beginn des Studiums für relativ konservativ gehalten haben, daß sie „linker" geworden sind. Und umgekehrt glauben diejenigen, die sich zu Beginn des Studiums für relativ links hielten, daß sie konservativer geworden sind. Damit ist die weitverbreitete — und möglicherweise für die Zeit der Studentenbewegung zutreffende — Annahme, daß im Laufe des Studiums eine generelle Linksentwicklung stattfindet, nicht bestätigt. Vielmehr sind zwei gegenläufige Tendenzen festzuhalten, zumindest nach der Beurteilung der Studenten selbst.
Weiteren Aufschluß über die politische Sozialisationsfunktion der Universität kann man von den Daten über die Beteiligung an politischen und hochschulpolitischen Diskussionen erwarten. Nur 14, 4% der Studierenden nehmen häufig an Versammlungen politischer Organisationen teil. Dies ist geschlechtsun-spezifisch und hängt auch nicht von der Stu-iiendauer ab. Unter den verschiedenen Fakul-äten sind die Geistes-und Sozialwissenschaftler nur wenig und statistisch nicht sijnifikant engagierter. Ein schwacher Zusamnenhang besteht mit der sozialen Herkunft: Studenten aus der Unterschicht nehmen häu-iger an Treffen politischer Gruppen teil. Sie interhalten sich auch signifikant häufiger mit Freunden und Bekannten über Politik (Kon-ingenzkoeffizient 0. 32).
Das Interesse an politischen Fragen ist bei Studenten sicherlich verbreiteter als beim Be-völkerungsdurchschnitt, jedoch nicht übermä-Jig stark ausgeprägt. Bei der Frage nach der Selbsteinstufung des politischen Interesses ergaben sich folgende Verteilungen:
Wir nehmen hier allerdings an, daß die Ant-wortvorgaben „wenig" und „sehr wenig“ aus Rücksicht auf dominante Normen im Sinne sozialer Erwünschtheit seltener angegeben wurden, als dies dem tatsächlichen Interesse entspricht. Von den strukturellen Merkmalen, die als Einflußgrößen hier geprüft wurden, wirkt sich nur das Geschlecht in hochsignifikanter Weise aus; Studentinnen haben — zumindest in ihrem Selbstbild — deutlich weniger Interesse an Politik als Studenten (Kontingenzkoeffizient 0. 30).
Unter dem Gesichtspunkt der Studienrichtung fallen nur die Sozialwissenschaftler aus dem Rahmen, die im Vergleich zum Durchschnitt doppelt so häufig sehr stark an Politik interessiert sind und die die Kategorien „wenig" und „sehr wenig" überhaupt nicht ankreuzen. Genauso verhalten sich die Studenten aus der Unterschicht im Verhältnis zu Studenten aus den anderen Schichten. Dazu ist freilich anzumerken, daß die Studenten aus der Unter-schicht bei den Sozialwissenschaftern leicht überrepräsentiert sind; 23, 5 °/o der Sozialwissenschaftler kommen aus der Unterschicht, deren Anteil insgesamt bei 10, 2% liegt. Zur sozialen Herkunft ist im übrigen zu sagen, daß bei Medizinern die Unterschicht überhaupt nicht vertreten, dafür die Mittelschicht überrepräsentiert ist; bei den Juristen ist die Oberschicht leicht überrepräsentiert. Was das politische Interesse an Politik betrifft, kann angenommen werden, daß bei Sozialwissenschaftlern aus der Unterschicht ein kumulierender Effekt zweier unabhängiger Einflußgrößen vorliegt; die schichtspezifische Rekrutierung der Studienrichtungen ist auf der Ebene der Studienmotivation und Studienfachwahl zu diskutieren.
Um den tatsächlichen Umfang politischer Beteiligung und hochschulpolitischen Engagements zu erfassen, wurde eine Variable „politisches Engagement" gebildet, in der berücksichtigt wurden:
— die Teilnahme an Universitäts-und Institutsvollversammlungen, Teach-ins und Demonstrationen, — Mitgliedschaft in politischen Organisationen, — politisches Engagement in der Schulzeit, — Beteiligung an der letzten Bundestagswahl, — Beteiligung an einer studentischen Urabstimmung über einen Streik drei Wochen vor der Befragung.
Die Ausprägungen in der neuen Variable stellen sich folgendermaßen dar:
Aktive politische Beteiligung und hochschulpolitisches Engagement sind also bei einem Viertel der Studierenden festzustellen. Auf die Ausprägung dieses Verhaltens haben Geschlecht, Studiendauer und -richtung und soziale Herkunft keinen statistisch signifikanten und konsistenten Einfluß.
5. Berufliche Sozialisation
Die Verbindung von der politischen zur beruflichen Sozialisation läßt sich über die Doppel-funktion der beruflichen Sozialisation herstellen. Im Prozeß der beruflichen Sozialisation sollen die Individuen Qualifikationen für konkrete Berufstätigkeiten erwerben, daneben jedoch — gleich wichtig — Wertorientierungen, die den Einsatz ihres Wissens und Könnens im konkreten Arbeitsprozeß gleichsam als Katalysator ermöglichen. Die deutsche Universität wird in den Statistiken nicht zu den Institutionen der Berufsausbildung gerechnet. Die Berufs-und Wirtschaftspädagogik hat sich ihrer nie angenommen, ebensowenig wurde ihre Erforschung in die Kompetenz des Bundesinstituts für Berufsbildung in Berlin einbezogen.
In der Wahrnehmung der Studierenden rangiert die Funktion der Berufsausbildung jedoch mit an der Spitze (Median 5. 4, gemessen auf einer 8stufigen Skala), nämlich auf dem dritten Rang. Die Funktion der Vermittlung von Allgemeinbildung folgt erst auf dem elften Rang (Median 3. 7). Studentinnen messen dieser Funktion signifikant mehr Bedeutung zu als ihre männlichen Kommilitonen.
Wer in der Universität in erster Linie eine Institution der Berufsausbildung sieht, würde auch signifikant häufiger nochmals studieren. Nimmt man die beiden weiteren Spitzenfunktionen „Erwerb von spezialisiertem Fachwissen" und „Vermittlung wissenschaftlicher Arbeitstechniken" hinzu, so wird deutlich, was die Studenten vor allem von der Universität erwarten. Die Universität soll sie in erster Linie für zumindest bisher angesehene und privilegierte Berufspositionen befähigen. Dafür sprechen auch die Rangplätze 5 „Erlangen einer besseren Ausgangsposition zur Wahrnehmung und Durchsetzung eigener Interessen" (Median 4. 5) und 8 „Erlangen einer übergeordneten und unabhängigen Berufsposition" (Median 4. 1), die unter den 16 Funktionen überdurchschnittliche Ergebnisse erreicht haben. Nur die Funktion „Sozialer Aufstieg und finanzielle Absicherung" (Median 3. 5) fällt in dieser Hinsicht auf Platz 13 aus dem Rahmen.
Die Bewertung dieser wie der vorher genannten Funktionen ist unabhängig von Geschlecht, Studiendauer oder Schicht.
Dagegen ist die Wahrnehmung der Funktionen der Universität studienspezifisch ausgeprägt. Insbesondere bei den berufsbezogenen Funktionen wird dies deutlich (siehe Tabelle unten):
Medizinstudenten halten die Funktionen Berufsausbildung und Erlangen einer übergeordneten und unabhängigen Berufsposition für außerordentlich wichtig, und auch die Ermöglichung des sozialen Aufstiegs ist für sie eine wichtige Funktion der Hochschule. Dieser Gesichtspunkt dürfte unter den Bedingungen des strengen Numerus clausus auch schon bei der Studienfachwahl bedeutsam gewesen sein und sich im Studium stabilisieren. Bei Sozial-und Geisteswissenschaftlern ist dies weitaus seltener der Fall. Die Berufsperspektiven des eigenen Studienfachs wirken hier auf die Wahrnehmung der Funktionen der Hochschule deutlich ein. Das Funktionsverständnis der Studenten von der Hochschule ist also sehr differenziert und hängt in hohem Maße von durch das Studium erreichbaren Berufsfeldern und -Positionen, von den an die Studienrichtung geknüpften Sozialchancen ab.
Durch ihr Studium gut für ihren späteren Beruf vorbereitet fühlen sich nur 6, 3 °/o der befragten Studierenden, 50, 6 °/o teilweise. 43, 2 % meinen, gar nicht gut auf den zukünftigen Beruf vorbereitet zu werden, nach Fachrichtungen 16 °/o der Mediziner, 40, 5 °/o der Naturwissenschaftler, 42, 3 % der Juristen, 52, 7 °/o der Geisteswissenschaftler und sogar 64, 7 °/o der Sozialwissenschaftler. Mit zunehmender Studiendauer nimmt das Gefühl ab, gut für den späteren Beruf ausgebildet zu werden; es ist auch in den unteren Semestern nicht sehr groß, aber immerhin meinen in den ersten vier Semestern noch drei von vier befragten Studenten, gut bzw. mit Einschränkungen für ihren späteren Beruf gut ausgebildet zu sein (5. — 12. Semester: nur noch zwei von vier, darüber: einer von vier). Studentinnen fühlen sich signifikant schlechter ausgebildet als Studenten.
Bei der Hälfte der befragten Studenten hat sich das Berufsbild im Laufe des Studiums geändert. Gespräche mit Kommilitonen und Praktikern und in zweiter Linie Enttäuschung durch das Studium waren die Hauptanstöße für diesen Wechsel. Eine verschwindend geringe Rolle (jeweils nur bei 2 °/o) haben dabei Lehrveranstaltungen, Praktika oder Gespräche mit Hochschullehrern gespielt — unter hochschuldidaktischem Gesichtspunkt ein Armutszeugnis für die akademische Lehre.
III. Zusammenfassung
Abbildung 3
Abbildung 3
Abbildung 3
In der Wahrnehmung der Studierenden erfüllt die Universität heute die ihrem Selbstverständnis entsprechende wissenschaftliche Sozialisationsfunktion, soweit damit das Lernen von Arbeitstechniken und -methoden und der Erwerb von spezialisiertem Fachwissen gemeint ist. Zwischen der Funktionszuschreibung durch die Studierenden und dem tatsächlichen Studium klafft in bezug auf die berufsqualifizierende Funktion der Hochschule eine deutliche Lücke, wobei fachspezifische Differenzen bedeutsam sind.
Die Sozialisationsfunktion der Universität im Bereich der persönlichen und allgemeinbildenden Entwicklung wird in ihrer Bedeutung geringer, in ihrer Richtung negativ eingeschätzt. Apathie, Autoritätsgehorsam und Anpassungsverhalten sind nach der Beurteilung der befragten Studierenden diejenigen Verhaltensweisen, die man an der Universität lernt. Die politische Sozialisation durch die Hochschule wird eindeutig negativ beurteilt. Die in der öffentlichen Diskussion artikulierten Stereotypen stimmen mit der studentischen Erfahrung überhaupt nicht überein. Angst vor politischer Betätigung, politische Apathie und Resignation sind der „heimliche politische Lehrplan" der Universität. Die Veränderungen der politischen Einstellung durch das Studium erscheinen im Selbstbild der Studierenden als gering; soweit sie vorhanden sind, tendieren sie eher nach links. Jedoch sind zwei gegenläufige Tendenzen zu beobachten, dergestalt, daß von einem „linken" Ausgangspunkt „Rechts" entwicklungen konstatiert werden — und umgekehrt.
Auch die politische Kommunikationsstruktur und -Intensität sind weit weniger ausgeprägt, als sie in der öffentlichen Diskussion erscheinen.
Wie fatal sich die selektive öffentliche Berichterstattung für das Image der Universitäten auswirkt, wird an der Umfrage des Mana-ger-Magazins unter Personalchefs über ihre Beurteilung der Beschäftigungsmöglichkeiten von Hochschulabsolventen deutlich In einer Reihenfolge von positiven und negativen Nennungen rangiert die Universität Heidelberg unter 50 Hochschulen an 46. Stelle, was die Beschäftigungschancen ihrer Absolventen betrifft. Die hier ermittelten Daten über die tatsächlichen Gegebenheiten können zu einer solchen Beurteilung überhaupt nicht herangezogen werden — im Gegenteil. Ein Vergleich mit repräsentativen Untersuchungen zeigt vielmehr, daß die Heidelberger Ergebnisse mit denen anderer Hochschulen und der gesamten deutschen Studentenschaft vergleichbar sind
Aus der Gesamtheit der Studierenden sind nach den vorliegenden Ergebnissen zwei Gruppen bedeutsam: Langzeitstudenten und Studierende aus der Unterschicht.
Studierende, die länger als zwölf Semester studieren, beurteilen den Beitrag des Studiums zu ihrer persönlichen Entwicklung besonders negativ, und sie sehen die Chancen, Selbstbewußtsein zu erwerben, besonders selten. Auf der anderen Seite glauben sie aber, daß man an der Universität auch lerne, auf andere Menschen einzugehen (Empathie) und kritisch mit politischen Problemen umzugehen. Dieser Glaube fehlt den Studenten aus der Unterschicht, bei denen negative Erfahrungen kumulieren.
Auch wenn diese Gruppe in der Auswahl der Befragten relativ klein ist und von daher in der Verallgemeinerung nur Tendenzen behauptet werden können, sind ihre Befragungs-ergebnisse bemerkenswert. Sie glauben nämlich mehr als alle anderen, daß man an der Universität vor allem Apathie, Angst vor der Politik, Anpassungsverhalten, Resignation und Arroganz lerne, während einfühlsame und selbständige Verhaltensmuster weitaus weniger eingeübt werden könnten. Die Studierenden aus der Unterschicht machen an der Universität überwiegend negative Lebenserfahrungen, was sich teilweise mit ihrer vergleichsweise geringeren Integration in die akademische Umwelt erklären läßt andererseits ist dies auch als resignative Reaktion auf Enttäuschungen zu verstehen.
Franz Hamburger, Dr. phil., geb. 1946; Studium der Soziologie, Philosophie und Pädagogik in Heidelberg und Köln; 1972 bis 1978 wiss. Assistent in Heidelberg; seit 1978 Professor für Erziehungswissenschaft an der Universität Mainz. Veröffentlichungen u. a.: Friedenspädagogik und Dritte Welt (mit Hans Bosse), Stuttgart 1973; Erziehungssoziologie (mit Jochen Gerstenmaier), Opladen 1978; Weiterbildung als gesellschaftliche Institution (mit Volker Lenhart), in: Handbuch der Erwachsenenbildung 6, Stuttgart 1977; Aufsätze zur Erziehungsgeschichte, zur Hochschulsoziologie und zur Situation von Ausländerkindern.
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