Dio Gedankenspiele und Modelle innerhalb der politischen Bildung füllen inzwischen — das ist bekannt. -meterweise die Regale der Bibliotheken. Neues kommt ständig hinzu. Die folgenden Uberlegungen dagegen wollen vom Kopf auf den Boden der Tatsachen hin« fuhren, sie wollen im Gegensatz zu schillernden Theoriebildungen die Situation der politischen Bildung vor Ort beschreiben. In diesen Überlegungen spiegelt sich die Ohnmacht des „Praktikers" der politischen Bildung angesichts der episch breiten akademischen Diskussion der Didaktiker, Methodiker, Curriculument-Wickler und -revisoren wider. Die Praxis schok-kiert — das schlägt sich in der Fachliteratur allerdings kaum nieder.
Ihn vorweg alle Vorurteile aus dem Weg zu räumen: Hier soll keinem Theorieverzicht das Wort geredet werden — ganz im Gegenteil. Nur sollten diejenigen, die Theorie produzieren, an die Selbstverständlichkeit erinnert werden, daß das Erkennen der Praxis und ihre Aufarbeitung die Grundlage theoretischer Reflexion sein sollte. Alles andere käme schon einer Fahrlässigkeit gleich, denn gerade derjenige, der sich unversehens in die Situation gestellt sieht, politische Bildung zu realisieren, ist dann auch allein gelassen. Er ist es, der den so offensichtlichen Kontrast zwischen Praxis, die er bewirkt und weit fortgeschrittener Theorie aushalten muß.
Aus der Sicht eines unmittelbar „Betroffenen" wird beschrieben, unter welchen Bedingungen Hat der theoretisch ausgebildete politische Bildner (allein sein akademischer Werdegang ist sicherlich bereits sein größtes Handikap: wie will er, der sich mitunter noch nie In gesellschaftlichen Praxiszwängen bewegen mußte, in seiner Arbeit diejenigen, die in eben diesen Zwängen leben müssen, darauf orientieren?) sich die Ziele seiner Arbeit ungele
I. Vorbemerkung
und Schwierigkeiten politische Bildung im Bereich einer vorwiegend ländlich orientierten Kreisvolkshochschule verwirklicht werden soll. Die folgenden Darlegungen sind authentisch, wenn sie auch •— aus sicherlich einsichtigen Gründen — oft auf eine genauere Konkretisierung verzichten.
In diesem Beitrag wird das Fazit aus selbsterlebter Praxis und dem Erfahrungsaustausch mit unter ähnlichen Bedingungen arbeitenden Kollegen gezogen. Die angeführten Beispiele sind zwar jeweils spezifisch, aber sie scheinen für die Arbeit an einer in kommunaler Träger-schalt befindlichen Weiterbildungseinrichtung generalisierbar zu sein.
Dabei sollen drei Thesen aufgestellt und untermauert werden: — Politische Bildung hat sich in der Diskussion um ihre Theorie von der Praxis und deren Bedingungen abgehoben. — Auch die Theorie von der Erwachsenenbildung erweist sich bei näherer Betrachtung als problematisch. Denn die jeweiligen sozioökonomischen und anderen Voraussetzungen, unter denen sie stattfinden soll, erfordern eine jeweils spezifische theoretische Aufbereitung. — Das Dilemma der jeweiligen Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis sowohl der politischen Bildung als auch der Erwachsenenbildung überhaupt erscheint gerade Im Bereich ländlicher Bildungsarbeit besonders groß.
II. Politische Bildung in der Schule — politische Bildung im Rahmen der Erwachsenenbildung
sen, Partei genommen ’) in der höchst kontrovers verlaufenden Diskussion, dann ist für eine Realisierungschance dieser Ambitionen sicherlich entscheidend, in welchem Praxisfeld er sich bewegt. Ist er Lehrer in einer allgemeinbildenden Schule, dann ist ihm — allen Lehrerfrustrationen zum Trotz! — bestimmt ein leichteres Los beschieden, als wenn er sich für die politische Bildungsarbeit mit Erwachsenen entschieden hat. Denn der Lehrer hat sein Publikum sicher, der Erwachsenenbildner muß gar um dessen Erscheinen bangen. Der Lehrer muß bei seinen zwangsweise rekrutierten Schülern „nur" deren Motivation wecken, aber der Unterricht kommt so oder so zustande. In der Erwachsenenbildung aber müssen Strategien ausgedacht werden, um die Bedürfnisse der Beteiligten entweder so zu treffen oder aber so zu manifestieren, daß die-se sich zur freiwilligen Teilnahme entschließen. Hunderte oder Tausende von Handzetteln müssen gedruckt und versandt, dutzendfach müssen Pressemeldungen geschrieben, allzuoft muß Mund-zu-Mund-Propaganda betrieben werden, um die ersehnten zehn Teilnehmer, deren Erscheinen in der Regel unabdingbare Voraussetzungen für das Zustandekommen eines Kurses ist (es gibt Weiterbildungseinrichtungen, die sogar noch höhere Mindestzahlen haben zum Kommen zu bewegen. Ein bei der Planung nicht zu kalkulierendes Fußball-Länderspiel, schlechtes Wetter an diesem Abend, ein Fortsetzungskrimi im Fersehen, ein Dorfabend, eine Kirmes kann alle Mühen bereits hinfällig werden lassen.
Sind die aber tatsächlich mitunter schon herbeigebetenen zehn Teilnehmer erschienen, dann sind die Probleme des Erwachsenenbildners i. d. R. wiederum völlig andere als die des Lehrers. Trifft letzterer auf junge Menschen, zu deren weiteren Schulerfahrungen er noch beitragen kann, so ist dieser Zug in der Erwachsenenbildung bereits abgefahren. Die negativen Schulerinnerungen, die weiteres Lernen nur blockieren haben die Erwachsenen, die nun — vielleicht das erstemal seit Jahrzehnten! — so deplaciert erscheinend in der für Schüler gebauten Bank sitzen, die so artig Kugelschreiber und Schreibblock vor sich lie-gen haben, die — nur zu oft ist das noch festzustellen — in Erwartung des drohenden Lehrergewitters artig beide Hände neben dem Pa-pier liegen haben, für alle Zeiten geprägt. Wie kann hier eine emanzipatorische Erwachsenen-bildung ansetzen, wenn sie zunächst einmal diesen Ballast abbauen muß?
Und dann: der Lehrer kennt seine Schüler, ist mit ihnen im Regelfall über Jahre hinweg zusammen. Derjenige, der in der Erwachsenenbildung unterrichtet, sieht die Teilnehmer seiner Veranstaltung am Anfangsabend meistens das erstemal, nach zehn Kursabenden unter Umständen nie mehr wieder. Zehn Kursabende? Eine Folge von zehn Abenden erscheint fast als ein pädagogisches Minimum; vermutlich ist sie das sogar noch nicht einmal. Denn was kann in didaktischer Hinsicht an diesen zehn Abenden schon geschehen, was kann inhaltlich geleistet werden angesichts der mitunter unüberbrückbaren Spannbreite der Teilnehmervoraussetzungen und -erfahrungen (auch hier ein Unterschied zum Lehrer, der einer weitgehend homogenen Lerngruppe gegenübersitzt)? In der Praxis der politischen Erwachsenenbildung stellt ein realisierter Kursus von zehn Abenden jedoch bereits ein Traumziel dar. Da mit jedem weiteren Abend für die Teilnehmer vermehrte Kosten verbunden sind (nur die wenigsten Volkshochschulen lassen, was unbedingt notwendig wäre, Veranstaltungen aus dem politischen Bereich kostenfrei laufen), reduziert man die Stundenzahl. Eine nur über drei bis vier Abende hinweggehende Veranstaltungsfolge — finanziell erschwingbar, um immerhin diese Barriere für die Teilnehmer zu nehmen — stellt indessen jedoch eine kaum noch zu verantwortende Beschneidung der Inhalte und Ziele dar. Eingehen wollen und müssen auf die Teilnehmervorstellungen, ein „bedarfsdeckendes Angebot" konzipieren — sicherlich gibt es hierfür gute Gründe. Aber ist dies nicht auch ein nur schwierig zu lösender Zielkonflikt, gerade in der politischen Bildung mit Erwachsenen? Denn wo steht geschrieben, daß das, was sich hier als bedarfsdeckend erweisen sollte (auch hier wird eine haltlose Prämisse vorausgesetzt: gibt es denn eine „Bedarfsdeckung" in der politischen Bildung? Die Heerscharen der ausbleibenden Teilnehmer scheinen das Gegenteil zu beweisen), tatsächlich mit den emanzipatorischen Ambitionen übereinstimmt, die wir, die Konzeptentwerfer der politischen Bildung, von den Didaktikern auf den Universitätslehrstühlen übernommen haben? Und wenn dies nicht der Fall ist, wofür entscheiden wir uns: dafür, daß wir den „Bedarf" treffen (indem zehn Teilnehmer gekommen sind) oder aber für un-sere theoretische Sauberkeit (auch auf die Gefahr hin, daß unter diesen Umständen nienand kommt)?
Man kann es immer wieder beobachten: Tref-en sich Kollegen aus der politischen Erwachsenenbildung (hauptberuflich pädagogische Mitarbeiter — HPM), dann verblaßt jede in-naltliche Diskussion bei der unausweichlichen Frage, wieviel Teilnehmer der eine in diesem, der andere in jenem Kurs hatte. So banal wird „politische" Bildung, wenn sie — wie von ihr gefordert — unter Maßstäben arbeiten muß, nach denen „Erfolg" mit einer erreichten Teilnehmerzahl gleichgesetzt wird.
Diese Probleme hat der Lehrer nicht; er gibt Themen vor und setzt darauf, die Motivationen seiner Schüler im Unterrichtsverlauf ausreichend wecken zu können. Der Praktiker der Erwachsenenbildung muß dagegen zur List, zur konspirativen Tätigkeit gar greifen. Seine Themenausschreibung muß „bedarfsdeckend" erfolgen, nur um die Teilnehmer zum Erscheinen zu bewegen. So übersieht er aber, daß er nicht selten alles andere als emanzipatorische Arbeit leistet, denn die Gesinnungslage seiner Teilnehmer wird mitunter eine andere sein, als er sie erwartet hatte. Das Lernziel „Demokratisierung" bleibt so im Vorfeld bereits auf der Strecke, wenn die Teilnehmerbedürfnisse, die er — endlich einmal! — getroffen hat, dem entgegenstehen. „Macht nichts, auch die Methode ist Inhalt", wird oft gegenargumentiert, „die Teilnehmer müssen erst einmal kommen, dann setzt unsere Emanzipationspädagogik an!" An vier, sechs, höchstens zehn Abenden?
III. VHS-Arbeit unter den Bedingungen einer kommunalen Trägerschaft
Arbeitet der politische Erwachsenenbildner in einer VHS, dann hat er es in der Regel mit einer weiteren Größe zu tun, die seine Arbeit entscheidend blockieren und, wenn er Anhänger einer konfliktorientierten politischen Bildung ist, gar unmöglich machen kann: der kommunalen Trägerschaft. Etwa 55 Prozent aller Volkshochschulen werden zur Zeit von Kommunen oder Kommunalverbänden getragen, wobei es hierbei unterschiedliche Rechtsformen gibt: vom Gemeinde-oder Kreisamt bis zur kommunalen Arbeitsgemeinschaft oder zum Zweckverband. Knapp 40 Prozent der Volkshochschulen arbeiten in der Trägerschaft eines eingetragenen Vereins, die meisten davon als „quasi-kommunale VHS"
Ist die VHS eine Stadt-oder Kreiseinrichtung, dann sieht das zunächst einmal so aus, daß sie eingebunden ist in die in dieser Verwaltung üblichen Organisationsund Weisungsbedingungen, die für sie ebenso zutreffen wie für jede andere Einrichtung dieser Behörde. Arbeitet die VHS in der Trägerschaft eines eingetragenen Vereins, dann ist sie der Entscheidung der hier tätigen Organe (Mitgliederversammlung, Vorstand) verpflichtet.
Wie auch die Entscheidungsprozesse im einzelnen verlaufen, welcher Instanzenzug auch immer eingehalten werden muß, eines ist all-gemeingültig: Es kann immer im Extremfall dazu führen, daß per Dienstanweisung Inhalte der politischen Bildungsarbeit verfügt bzw. verboten werden. Denn die Freiheit der Lehrplankonzipierung (eigentlich eine Art von Lehrfreiheit) bleibt nicht den pädagogischen Akteuren überlassen, sondern es ist die Freiheit der Behörde oder des Trägers, ihr oder sein eigenes Programm zu erstellen Letzten Endes kann dies sogar bedeuten, daß es die Freiheit des Oberkreisdirektors, des Oberstadtdirektors, des Landrats oder Bürgermeisters bzw.des Verbandsvorstehers ist, Inhalte festzulegen. Diese Ebene wird jedoch in den seltensten Fällen erreicht, denn die Korrektur der Arbeitsplanentwürfe (nur einen Entwurf vorzulegen ist den Pädagogen in der Regel zugestanden — mehr nicht) bleibt den Amtsleitern oder Fachdezernenten überlassen. Und sie werden sicherlich nicht nur objektive und unabhängige Sachgesichtspunkte unter der Brille der pädagogischen Notwendigkeit gelten lassen. Denn es ist zur politischen Binsenweisheit geworden, daß die Machtpositionen der Kommunen entsprechend ihren parteipolitischen Präferenzen besetzt sind. Das heißt: der Amtsleiter bzw.der Dezernent, der der CDU bzw. SPD angehört, wird den Programmentwurf nicht unbedingt unter Sachgesichtspunkten, sondern nach Maßgabe parteipolitischer Opportunität prüfen und ggf. verwerfen.
Volkshochschule wird so sehr schnell zum Instrumentarium bestehender Mehrheitsinteressen. Die Pädagogik, genauer: die politische Emanzipation, bleibt auf der Strecke (denn von Emanzipation kann nur die Rede sein, wenn sich die Teilnehmer notfalls gegen eine Indoktrination der sie regierenden Mehrheiten wehren). Der Pädagoge in der Erwachsenenbildung hat diesen Zusammenhang natürlich in seinem Hinterkopf, wenn er darangeht, sein Semesterprogramm vorzubereiten, das er möglichst unbeschadet über die Prüfungsklippen der ihm vorgeschalteten Hierarchie bringen will. Er hat die „amtlich" gültigen Maßstäbe so verinnerlicht, daß er bereits zum ersten Funktionsorgan der ausübenden Mehrheiten wird, daß er in seiner Themen-, Dozenten-und Anspracheauswahl — meistens ohne es zu wissen — die erste Vorprüfung repräsentiert. Zum manchmal traurigen Erfolgs-erlebnis wird es dann, wenn er seine Vorstellungen möglichst unbeschadet über die Runden und zum Programmdruck retten kann.
Das Problem ist gewissermaßen das gleiche, wenn — wie bei vielen Volkshochschulen üblich — die Konstruktion besteht, daß der Arbeitsplanentwurf einen zuständigen politischen Ausschuß, den Schuloder Kulturausschuß der Gemeinde bzw.des Kreises, oder einen VHS-Beirat, in dem die vor Ort vertretenen politischen und gesellschaftlichen Gruppen repräsentiert sind, passieren und von diesem „abgesegnet" sein muß. Hier wird es bei brisanten Themen entweder zur Kampfabstimmung (bei der sich wiederum die lokale Mehrheit durchsetzt) oder zum Kompromiß kommen, der jedwede politische Schärfe aus dem Programm nimmt, der Außenseitermeinungen nicht repräsentiert sein läßt (weil hierfür kein Fürsprecher votieren wird) und der sogar unter Umständen darauf dringt, daß die Dozentenbesetzung nach dem Strickmuster „einmal SPD, einmal CDU, ein halbes Mal FDP" geschieht.
Wie massiv ein politisches Gremium in die Arbeit der VHS eingreifen kann, zeigte das Beispiel Bergisch Gladbach. Dort hatte 1976 der Rat der Stadt im Interesse der mehrheitlich regierenden CDU extensive Änderungen im vorgelegten Arbeitsplanentwurf der VHS vorgenommen Eine kleine Anfrage einiger Abgeordneter des nordrhein-westfälischen Landtages brachte folgende Antwort des Kultusministers Girgensohn: „Das Recht auf selbständige Lehrplangestaltung für Weiterbildungseinrichtungen schließt Eingriffe des Trägers bei der Lehrplangestaltung nicht grundsätzlich aus."
Davon, daß die VHS mit einer ihr typischen „institutionellen Liberalität" charakterisiert werden könne, kann dann doch wohl, der Girgensohn-Antwort zufolge, keine Rede sein. Vielmehr wird politische Bildung unter solchen Bedingungen sehr leicht entweder zum Hebel bestehender Mehrheitsinteressen oder zum unpolitischen Neutrum — sie ist auf jeden Fall dazu da, tendenziell einen bestehenden Zustand eher festzuschreiben als zu verändern.
Was aber, wenn uns die Didaktiker und Theoretiker nahelegen, daß „politische Bildung nicht neutral, sondern selbst ein Stück eigentümlicher politischer Tätigkeit" ist? „Sie ist für die Interessen des Lehrlings, des Arbeiters, des . Sozialfalls', des Jugendlichen, und somit folgerichtig gegen die Interessen des Meisters, des Unternehmers, der Fürsorgebehörde, der Schulbehörde usw.; allgemeiner: sie ist für die Interessen und Bedürfnisse des jeweils Schwächeren, Ärmeren, Unterprivilegierten"
Die konsequente Befolgung solcher — innerhalb der Diskussion um die politische Bildung keineswegs „radikal" erscheinenden — Thesen würde mit Sicherheit dem betreffenden VHS-Pädagogen disziplinarische Maßnahmen eintragen, ihm unter Umständen gar Kopf und Kragen kosten. Denn das würde ja bedeuten, daß die politische Bildung Partei nehmen gegen diejenigen, die müßte Macht ausüben, und für diejenigen, die davon betroffen werden. Nun ist aber die Volkshochschule selbst eingebunden in die öffentlich-rechtlichen Bedingungen. Verstünde sich ein VHS-Kursus als kritisches Korrektiv z. B. gegenüber Behördenwillkür, dann geriete der VHS-Pädagoge in Konflikt mit seinem Status als öffentlich-rechtlich Bediensteter, der ihm ein besonderes Treueverhältnis auferlegt. Nur ein Beispiel: Eine Kreisbehörde plant eine Trassenführung, der Wald zum Opfer fällt; dies stellt eine Beeinträchtigung der Wohn-und Lebensqualität der Anlieger dar. Die pädagogische Formel von der „Betroffenheit" vor Augen, knüpft der Erwachsenenbildner hier an. Die gewollte — weil immanenter Bestandteil einer parteiischen politischen Bildung — Konsequenz eines angesetzten VHS-Seminars ist: die Gründung einer Bürgerinitiative, die sich gegen die Absichten der Kreisbehörde zur Wehr setzt. Der initiierende Pädagoge, selbst Angestellter dieser Kreisverwaltung, hat einen „klassischen" Konflikt durchzustehen: entweder Durchsetzung einer als wichtig erkannten politischen Bildungsarbeit oder aber freiwillige Kündigung (denn die Kündigung durch den Arbeitgeber kommt in diesem Fall von selbst) Wer bliebe da angesichts der fast aussichtslosen beruflichen Situation für politische Bildner noch seiner Überzeugung treu?
IV. VHS-Arbeit unter den Bedingungen einer regional arbeitenden Volkshochschule
Hat es den politischen Bildner ausgerechnet an eine regional arbeitende Volkshochschule verschlagen, wird — zusätzlich noch angenommen, diese arbeite im „Schatten der Städte" unter vorwiegend ländlichen Bedingungen — die Palette der Schwierigkeiten noch größer.
Zur Struktur einer Kreisvolkshochschule
Ich beschränke mich hier auf einen Lagebericht der VHS, in der ich selbst arbeite. Ich halte die aus ihrer Struktur resultierenden Probleme durchaus für typisch.
Unser Einzugsbereich hat folgende geographischen Dimensionen: 38, 5 km weiteste Entfernung von Osten nach Westen, 21, 6 km von Norden nach Süden. Die 180 000 Einwohner leben in 21 Orten, die für uns jeweils VHS-Zweigstellen sind (hier arbeiten ehrenamtliche Zweigstellenleiter). Ein fruchtbarer Löß-Boden sorgt für eine ausgeprägte Landwirtschaft; Industrie (und somit auch Industriearbeiterschaft) ist kaum vorhanden — und wenn, dann herrscht hier eine sehr starke* Monostruktur vor. Im Westkreis sind Bemühungen um Industrieansiedlungen alles andere als erfolgreich, im Gegenteil: einige Unternehmen haben in der letzten Zeit geschlossen, bei anderen steht dies drohend an. Die Zahl der Industriearbeitsplätze ist stark zurückgegangen, entsprechend ist die Arbeitslosenzahl gestiegen. Der Kreis wird begrenzt von einer Reihe sehr zugkräftiger Großstädte und Wohngebieten im Osten und Südosten. Daher haben sich dort auch Gemeinden und Städte mit wachsender Einwohnerzahl entwickelt. Es leben hier Pendler aus den umliegenden Großstädten; umgekehrt haben ca. 18 Prozent der Erwerbstätigen, die im Kreis leben, einen Arbeitsplatz außerhalb. Für die VHS-Arbeit ist das eine Größe, die einkalkuliert werden muß. Drei nach der Gebietsreform entstandene Städte haben etwa 35 000 Einwohner; sie sind jedoch derart unorganisch geblieben, so daß unsere Zweigstellen auch weiterhin mit den alten Dörfern und Gemeinden identisch sind.
Die Bevölkerung wohnt zur Hälfte auf nur 4 Prozent der Kreisfläche, also in größeren Städten und Gemeinden. Aber die andere Hälfte verliert sich in den verbleibenden 96 Prozent. Das Motto „Streuung und Zentrierung" des Angebots bietet sich an. Aber eine Zentralisierung der VHS-Arbeit (zumindest, um mit spezielleren Angeboten curricular differenzieren zu können) kann auf Grund der mangelhaften Verkehrsverhältnisse kaum erfolgen. Im Gegenteil: „Gängige" Veranstaltungen wie Kochkurse oder einführende Sprachkurse etwa müssen doppelt oder dreifach angeboten werden, um der Nachfrage gerecht zu werden.
Den Volksschulabschluß als höchsten Bildungsstand besitzen in unserem Kreis ca. 83 Prozent der Bevölkerung (zum Vergleich die Großstadt Düsseldorf: hier sind dies nur 72, 8 Prozent).
Die Zentrale der Kreisvolkshochschule befindet sich im Ort des Verwaltungssitzes im östlichen Kreisgebiet. Hier arbeiten wir, die Fachbereichsleiter und Verwaltungsmitarbeiter, isoliert wie in einem Labor. Die dringend erforderliche Kommunikation zwischen uns und der Bevölkerung findet nicht statt. Dafür sollen die Zweigstellenleiter „draußen" sorgen. Wir dagegen arbeiten als ein ungreifbares und in seiner Arbeit unfaßbares Institut in weltentrückter Ferne.
Dennoch „floriert" die VHS-Arbeit bei uns gut: Mit ca. 21 000 durchgeführten Unterrichtsstunden pro Jahr liegen wir weit über dem gesetzlich vorgeschriebenen Soll von 14 400 Pflichtstunden. Statistisch erfassen wir 13 Prozent der Bevölkerung — also mehr als die 11 Prozent „aktiven Besucher der Volkshochschule", von denen immer wieder die Rede ist Der Kursusausfall infolge man-gelhafter Beteiligung hält sich alles in allem in Grenzen; er liegt bei etwa 15 Prozent des Angebots.
Das soll indessen nicht über die Realität hinwegtäuschen: das große Maß der wie selbstverständlich (sogar in den kleinsten Orten) laufenden Koch-, Näh-, Keramik-, Sport-und Englisch-Einführungs-Kurse sorgt für diese gute Bilanz. Politische Bildungsarbeit findet statt, ihr Anteil am Gesamtprogramm beträgt jedoch nur 6 Prozent
Die „verwaltete Volkshochschule"
Die Realisierung der politischen Bildung aber setzt eine aufwendige Zielgruppen-und Werbungsarbeit voraus, für die es sehr schnell objektive Grenzen gibt. In einigen Volkshochschulen gestattet es die Satzung, „in Ausnahmefällen" Kurse und Seminare kostenfrei anzubieten. Dies bedingt aber eine jeweils mühselige Diskussion mit der Verwaltung, wenn es zur Drucklegung des Programms kommen soll. Da die Kollegen aus den anderen Fachbereichen bei eigenen Experimenten von dieser Möglichkeit auch Gebrauch machen wollen, fällt der Anteil für die politische Bildung entsprechend geringer aus. Die Diskussion kann hierbei nicht mehr inhaltlich geführt werden (denn wie wäre die Wertigkeit zu bestimmen, wenn es darum geht, entweder einem politischen Seminar oder einem differenzierten englischen Konversationskursus die Möglichkeit der Kostenfreiheit einzuräumen?), sondern sie wird auf der Grundlage materieller Erwägungen geführt: so viel Geld müssen wir „erwirtschaften", also bleibt so viel an finanziellem Spielraum, so viel Anliegen aus den einzelnen Fachbereichen stehen an, also . ..
Fest steht aber: Wenn ein Kursus kostenfrei angeboten wird, steigt seine Realisierungschance beträchtlich Wem politische Bil-dungsarbeit nicht nur ein unverbindliches Anliegen ist, das sich mit der Aufnahme in den Pflichtkatalog für VHS-Arbeit bereits erledigt hat, sondern wer es mit deren inhaltlichen Abwicklung ernst meint, der sollte auf eine totale Kostenfreiheit in diesem Bereich drängen. Für eine großflächig arbeitende Kreisvolkshochschule mit ihren schwierigen Bedingungen gilt dies um so mehr.
Hier muß grundsätzlich etwas zum Verhältnis von Pädagogik und Verwaltung gesagt werden. Wenn z. B. die Frage ansteht, ob und wenn ja welche Veranstaltungen kostenfrei angeboten werden sollen, dann argumentieren die beiden beteiligten „Parteien" in der Regel innerhalb zweier jeweils dicht abgeschottet erscheinender Kommunikationssysteme: Die pädagogische, von entsprechenden Termini durchsetzte Sprache der oft frisch von den Universitäten gekommenen Erwachsenenbildner wird von den pragmatisch-technisch argumentierenden Verwaltungsbeamten nicht akzeptiert — umgekehrt gilt dies genauso. Status-und unter Umständen auch Generationskonflikte (der junge BAT-II-Mann als Pädagoge und der altgediente A 12-Mann als Geschäftsführer ...) tun ihr übriges, um neue Reibungspunkte zu erzeugen. Dienstwege, die einzuhalten sind, Verwaltungsverordnungen, Schriftstücke — „Vorgänge" — anlegen müssen, dies sind unberechenbare Größen für den im Verwaltungsapparat einer Stadt oder Kreis-behörde eingeordneten VHS-Pädagogen. Sie können für ihn oft genug ein glattes Parkett sein, denn er hat es nie gelernt, sich hierauf so geschickt zu bewegen, daß er mit seinen Vorstellungen möglichst kollisionsfrei ans Ziel kommen könnte.
Gerade derjenige, der verantwortlich ist für politische Bildung, wird mit seinem bedürfnis-und teilnehmerorientierten Konzept die Behäbigkeit eines Behördenalltags als geradezu vernichtend schwerfällig empfinden.
Mitunter muß er zudem noch, um sich Mehrheiten im Ausschuß oder Rat beschaffen zu können, gezielt im außer-verwaltungsmäßigen Raum, also im politischen Vorfeld, das von den Parteien beherrscht wird, laborieren. Wer die „Vorentscheider" auf seine Linie bringen will — so wichtig dies strategisch gesehen auch sein mag —, riskiert dabei möglicherweise seine Stellung, vor allem wenn er nur ein HPM ist. Denn im öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis der Kommunen geht der Weg aus der Behörde heraus zur Politik nur unter strenger Beachtung des Dienstweges. Wer ihn mißachtet (unter Umständen gar mißachten muß), steht unversehens disziplinarrechtlich gesehen auf der schiefen Ebene. Das kann bis zur Entlassung gehen.
Ob Etaterhöhungen, ein teurer Dozent, zusätzliche Lehrmittelbeschaffung beispielsweise oder eine aus Gründen der Aktualität spontan anzusetzende politische Bildungsveranstaltung — immer wieder gibt es Möglichkeiten für eine Auseinandersetzung mit der Verwaltung. Entsprechend groß ist auch die Neigung vieler Pädagogen, Brücken zum politischen Bereich zu schlagen — und damit wächst die Menge möglicher Fallstricke.
Die Zweigstellen
Ein Netz von Zweigstellen — sie sind nicht unbedingt identisch mit den örtlichen politischen Gemeinden, sondern haben oft historisch bedingte Entstehungsursachen — soll für „Bürgernähe" sorgen. Diese vielleicht plausibel erscheinende Konzeption weist indessen etliche Haken und Ösen auf. Da ist zunächst einmal die Art und Weise, wie Zweigstellenleiter in ihre Ämter kommen, aufschlußreich. In der Regel sind es vor Ort bekannte Honoratioren, die die Zweigstellen betreuen. Immer aber sind es Männer oder Frauen, die dieses Amt im Einvernehmen mit der lokalen Gemeindeverwaltung ausführen. So kommt es sehr schnell dahin, daß auch dieses Nebenamt zu einem politischen Amt werden kann. Denn Außenseiter — der lokalen Verwaltungsspitze und den sie bestimmenden politischen Gremien und Gruppen müssen sie genehm sein — haben hier i. d. R. keine Chance. Daher bleibt es nicht aus, daß sie in vielen Fällen Repräsentanten der politischen Mehrheit sind oder sein müssen, wenn sie diese Funktion ausüben wollen. Ihr Einfluß auf die Programmgestaltung und -durch-führung ist nicht unerheblich, in vielen Fällen ist der Fachbereichsleiter, der ja mitunter 20 oder 30 Kilometer vom dortigen VHS-Geschehen entfernt sitzt, von ihren Aktivitäten abhängig.
Die Möglichkeit einer gewissen Vorentscheidung, was später im Programm der VHS stehen soll, haben die Zweigstellenleiter durch ihre Programmvorschläge, die in den jeweiligen Planungsphasen den Fachbereichsleitern zugeleitet werden. Eine Ablehnung dieser Vorschläge, die angeblich einen erkannten Bedarf widerspiegeln, bringt lange Diskussionen mit sich. Aber wage einer, einem politisch besonders einflußreichen Zweigstellen-9 leiter einen seiner Programmwünsche abzuschlagen! So ist das Zusammenstellen eines VHS-Plans zu einem großen Teil ein Ausbalancieren dieser Optionen unter dem Motto: was ist finanziell machbar, welchen der Zweigstellenleiter kann ich möglicherweise mit welchem Argument verprellen, um für etwas anderes Geld zu sparen? Curriculare Arbeit — eigentlich der wesentliche Beschäftigungsgegenstand für HPM’s — wird auf diese Weise blockiert bzw. sie kann sich nur in engen Spielräumen bewegen.
Politische Bildung, die ja in erster Linie Bedürfnisse wecken will und muß, findet in diesem durch die subjektive Brille des Zweigstellenleiters erkannten „objektiven" Bedarf keinen Platz. Das ist verständlich: denn eine Veranstaltung aus diesem Bereich anzusetzen, verlangt dem Zweigstellenleiter ein nicht unbeträchtliches persönliches Engagement ab. Andererseits ist die Skepsis dieser Zweigstellenleiter der politischen Bildung gegenüber auch mitunter von Vorteil. Denn was im Sprachenbereich noch eventuell angehen mag — das Ausloten der Wünsche —, würde politische Bildung vollends zur Farce werden lassen: ein bunter Warenhauskatalog ohne pädagogische oder curriculare Ambitionen wäre die Konsequenz. Der politische Bildner wäre zum Verteilungsinstitut der mitunter sehr spontanen, willkürlichen und oft parteipolitisch gefärbten Zweigstellenleiter-Wünsche geschrumpft
Dafür, daß auch jede Zweigstelle ihre „Renommierveranstaltung''bekommt (und als solche zählen vornehmlich attraktiv besetzte Einzelveranstaltungen aus dem politischen Bereich), sorgen indessen andere: die jeweils aus der Sicht ihres Ortes argumentierenden Lokalzeitungen (die nicht müde werden zu monieren, daß nicht auch die kleinste Zweigstelle mit einem Philosophie-Kursus versorgt wurde) und die örtlichen Politiker, die eine „Benachteiligung" ihrer Kommune auf keinen Fall hinnehmen wollen, ob nun Teilnehmer kommen oder nicht. Andererseits muß der politische Bildner an einer Kreisvolkshochschule ständig einen latent vorhandenen Konflikt-herd im Auge behalten: das mitunter über-sensible Verhältnis zwischen Kreis und Gemeinden. Manch ein Gemeindedirektor reagiert ausgesprochen verschnupft, wenn beispielsweise eine VHS-Arbeitsgruppe (für ihn also eine Initiative der Kreisverwaltung!) unterwegs ist, um die Misere der örtlichen Kindergärten, die behindertenfeindlichen Verkehrsverhältnisse oder das bauliche Chaos im neuentstandenen Wohngebiet mit der Videokamera festzuhalten. Mancher VHS-Fach-bereichsleiter, der so etwas initiierte, mußte den Weg zu seinem Dezernenten antreten, denn dieser hatte vorher eine empörte Nachfrage aus der entsprechenden Gemeinde erhalten.
Infrastruktur
Kreisvolkshochschularbeit erfordert abends mobile HPM; die Teilnehmer sind oftmals weniger aktiv. Was in der Stadt kein Problem ist, nämlich von einem Stadtteil zum anderen zu fahren, um eine VHS-Veranstaltung zu besuchen, kann für einen Kreisbewohner zur Odyssee werden. Für ihn gibt es häufig keine Straßenbahn-oder Busverbindung, die er auch noch spätabends ohne lange Wartezeiten benutzen kann. Es hat auch nicht jeder ein Auto — und wenn er es hat, ist er nicht unbedingt bereit, abends noch etwa 30 Kilometer bis zu einer für ihn interessanten VHS-Veranstaltung zu fahren. Für die politische Bildung, die sowieso nur auf sehr wenige aktive potentielle Teilnehmer setzen kann, fällt hiermit ein Kontingent an Teilnehmern, das prinzipiell ansprechbar wäre, aus. So wird die Kursplanung zum ungewissen Vabanquespiel: Wo setze ich mein Einführungsseminar in das politische System der Bundesrepublik, meinen Kurs Humanisierung der Arbeitswelt hin? In welchem Ort sind Leute, die interessiert sind, und wenn ja: welcher Anfahrtsweg ist ihnen zuzumuten? Es sind auf einmal Faktoren im Spiel, die nicht mehr kalkulierbar sind.
Werbung
Diese negativen „Vorzeichen" strahlen auch auf einen anderen festen Bestandteil der VHS-Arbeit aus: auf Werbestrategie und Zielgruppenarbeit. Sie stehen unter völlig anderen — schlechteren — Bedingungen als bei den Kollegen der städtischen oder großstädtischen VHS'en. Denn auf dem Lande gibt es nicht die Möglichkeit, an beinahe jeder Ecke ein Plakat über das neuerschienene VHS-Programm oder anlaufende Kurse anzuschlagen. Statt dessen muß großflächiger (und somit mit einer wesentlich geringeren Dichte) und teurer geworben werden.
Aber wen umwerben? Kreisvolkshochschulen können nicht auf die geballt auftretenden Zielgruppen zurückgreifen, wie die Kollegen aus den Städten; in einem Kreis verläuft sich so etwas eben.
Wenn in den Großstädten politische Bildung in einer VHS tatsächlich auch mit curricula-rem Feinschliff, mit Anfangs-, Fortgeschrittenen-und Endstufen, stattfinden soll, dann hilft eines immer noch: auf die örtliche Hochschule oder Universität zurückgreifen, einen dort tätigen Professor engagieren, dann kommen wenigstens seine Studenten. Dieser, alles andere als im Sinne der Theoretiker der politischen Bildung liegende Kunstgriff, ist so wenig verbreitet nicht — eine Kreis-VHS indessen kann kaum auf mehr als ein Gymnasium am Ort zurückgreifen, um so wenigstens die Kurse, die stark gefährdet sind, mit den restlichen Teilnehmern „aufzufüllen“.
Eine Frage, bei dem sich die Mitarbeiter von Kreisvolkshochschulen sicherlich jedesmal zu Semesteranfang die Köpfe heißreden, ist dem Thema gewidmet, ob ein Gesamtprogramm oder Zweigstellenprogramme verteilt werden sollen. Eines ist sicher: Es muß ein Programm mindestens in jeden Haushalt. Aber in einem Kreisgebiet gibt es nicht die Möglichkeiten, Programme auszulegen wie in den Städten, die dort beim Einkaufsbummel mitgenommen werden — also müssen die Programme verteilt werden. Da dies erhebliche Kosten verursacht, ist man oft geneigt, nur die lokalen Angebote zusammengefaßt zu verteilen. Dann schwindet allerdings die eh nur spärliche Hoffnung, daß jemand durch ein attraktives Ange-bot zur Teilnahme in einem Nachbarort animiert werden könnte, auf ein Minimum. Für die fußlahme politische Bildung, die alle nur erdenklichen Ansprachemöglichkeiten ausschöpfen muß, kann dies ein Stoß ins Mark bedeuten. So bleibt fast mit Sicherheit der vielleicht gekommene und ersehnte zehnte Teilnehmer aus, da er nicht über ein Angebot informiert worden ist, bei dem es sich vielleicht für ihn gelohnt hätte, einmal in eine andere Zweigstelle zu fahren.
So stürzen „Sachzwänge" en mässe auf diejenigen ein, in deren Hinterkopf immer noch das Schlagwort von teilnehmerorientierter politischer Bildung schlummert, die ein politisches Bildungsprogramm erstellen wollen, das so hehre Ideale wie Emanzipation und Selbstbestimmung, Veränderung von als repressiv erkannten Strukturen verwirklichen will. Das Korsett der „Umfeld-Bedingungen" schnürt solche Ambitionen in der Regel bereits im Vorfeld entscheidend ein.
Politisches Bewußtsein und Motivation — Voraussetzungen für die politische Bildungsarbeit an Kreisvolkshochschulen Ein paar Fakten, die das Ergebnis der hier dargestellten Situation verdeutlichen: Zwar fördern entsprechende Untersuchungen bei den Volkshochschulen allgemein ein starkes Anwachsen des Bereichs der politischen Bil-dung zutage aber es bleibt bei genauer Betrachtung „die bedenkliche Tatsache bestehen, daß die Kernprobleme politischer Bil-dung vornehmlich und in intensivster Form fast nur unter urbanen Bedingungen erörtert werden" In ihrem Gesamtangebot etwa bietet eine VHS in einer 100 000— 200 000 Einwohner großen Stadt 6, 6 Prozent aus dem Be-reich „Gesellschaft und Politik" an, Kreisvolkshochschulen hingegen kommen im Schnitt nur auf 2, 4 Prozent das sind Zahlen, die das krasse Defizit an politischer Bildungsarbeit in Kreisvolkshochschulen belegen. Die Gründe hierfür sind nicht nur organisatorischer und struktureller, sondern vor allem auch sozialpsychologischer und soziologischer Natur.
Eine wesentliche Voraussetzung für politische Bildung ist eine zumindest latente Bereitschaft der von ihr umworbenen Bevölkerung zur Teilnahme. Ist wenigstens ein Teil hierzu bereit, dann kann immerhin mit dem Schneeballeffekt und mit Hilfe von Mund-zu-Mund-Empfehlungen darauf aufgebaut werden: Bekannte werden mitgebracht, der Kreis erweitert sich.
Politische Bildung kann wohl niemals beim Punkt Null anfangen; die Teilnehmer ihrer Veranstaltungen sind — da sie freiwillig kommen — in gewissem Maße bereits „anpolitisiert". Das ist auch die Voraussetzung für den curri-cularen Optimismus, der sich im politischen Bildungsprogramm großstädtischer Volkshochschulen widerspiegelt. In deren urbanem Einzugsbereich ist immer irgendwo eine politisierte Gruppe zu finden.
Kreisstädtische Volkshochschulen können auf diesem — ohnehin sehr brüchigen — Fundament nicht aufbauen. Ihnen diktiert die Bewußtseinslage ihrer meist ländlichen oder kleinstädtischen Bevölkerung ein völlig anderes Vorgehen. Schon allein aus diesem Grunde wäre es an der Zeit, nicht nur von „der" Erwachsenenbildung zu sprechen, sondern ihre Strategie, Methodik und Inhalte nach dem jeweiligen Einzugsbereich differenziert zu gestalten.
Empirische Untersuchungen sind zu eindeutigen Ergebnissen gekommen, die die bereits sehr gedämpfte Weiterbildungseuphorie empfindlich anschlagen können. So haben Marianne Krüll und Christa Knirim in breitangelegten Studien Erziehungsbzw. Ge-schlechterrollenleitbilder von Stadt-und Landfamilien der Bundesrepublik Deutschland miteinander verglichen. Das Ergebnis: in beiden Fällen stellte sich heraus, daß im Verhältnis zur Stadt in ländlichen Gegenden „konservativere" Leitbilder dominierten. Das bedingt für die politische Bildungsarbeit einer Kreisvolkshochschule gravierende Konsequenzen, denn: 1. Kreisvolkshochschulen arbeiten gewöhnlich in ländlich oder kleinstädtisch orientierten Regionen. Die Bewohner und gleichermaßen Adressaten politischer Bildungsbemühungen neigen tendenziell zu „konservativeren" Orientierungen.
2. Die hier üblichen Erziehungsleitbilder und die entsprechenden schichtenspezifischen Sozialisationsbedingungen führen zu einer „rigiden Autoritätsstruktur in der Familie" sowie zu einem „Defizit an politischer Grundinformation" 3. In diesen Familien „wird nicht gelernt, politische Meinungen zu artikulieren, Gegenmeinungen zu hören und zu akzeptieren, Kontroversen zu lösen oder auch offenzulassen" Genau diese Fähigkeit ist aber Voraussetzung für die Teilnehmer an politischer Bildungsarbeit: Sie müssen a) eine gewisse politische Grundinformation besitzen, um ihre „Betroffenheit" als eine politische erkennen zu können, und b) die Bereitschaft zeigen, kognitive und affektive Dissonanzen zu ertragen. (Denn „Entscheidungsfähigkeit", „Konfliktfähigkeit" und darüber hinaus die Bereitschaft zum „Engagement in Konflikten" — Ziele der Bemühungen politischer Bildung — setzen zumindest voraus, eben diese Dissonanzen ertragen zu können. Ein ausgeprägter Konventionalismus und Autoritarismus — Konsequenz der genannten Sozialisationsbedingungen — schließen dies jedoch aus.)
4. Somit führen die soziologischen und sozialpsychologischen Bedingungen ländlicher Kultur dazu, daß die dort ansässige Bevölkerung eine äußerst geringe Bereitschaft zur Teilnahme an politischer Weiterbildung zeigt. 5. Die Situation in ländlichen Bereichen sorgt dafür, daß Weiterbildung im allgemeinen und politische Bildung im speziellen besonderen Schwierigkeiten ausgesetzt ist: Denn auf dem Land ist die Unkenntnis über die bloße Existenz von Volkshochschulen am verbreitesten was mit dem hier überdurchschnittlich großen Ausbildungsdefizit korreliert. Dieses wiederum führt zu einer verstärkten Abstinenz, Weiterbildungsveranstaltungen überhaupt zu besuchen. Es zeichnet sich bei bisher durchgeführten Untersuchungen ab, daß die wenigen ehemaligen Volks-bzw. Hauptschüler, die überhaupt VHS-Veranstaltungen besuchen, „überdurchschnittlich lernmotiviert sind" also Weiterbildung vornehmlich als Vehikel zum beruflichen Weiterkommen verstehen Dieser Erwartung kann politische Bildung jedoch zunächst nicht entsprechen.
Der Rahmen einer politischen Bildungsarbeit im ländlichen Bereich erweist sich somit als ein unauflösbar erscheinender Teufelskreis. Wenn die geschilderten Einstellungsmuster, bedingt durch die entsprechenden autoritären Erziehungsleitbilder und familiären Gegebenheiten, mit geringem Ausbildungsniveau korrelieren und dieses vornehmlich in ländlichen Bereichen anzutreffen ist, dann wäre dieser Konservatismus nur durch eine verstärkte Bildungsarbeit abzubauen. Das wäre eine wesentliche Aufgabe politischer Bildung. Aber die psychische Rigidität und die geringe Bereitschaft oder Fähigkeit zur Dissonanz — auch sie wiederum determiniert durch mangelnde Ausbildung — blockiert den Zugang zur politischen Bildung.
Wo ansetzen? Um jemandem mit niedrigem Bildungsstand zur weiteren Bildung (und dazu nicht nur zur reinen lernorientierten weiteren Ausbildung) zu motivieren, müßte man dessen Wertvorstellung verändern. Das ist aber nur möglich, wenn die Fähigkeit zur geistigen Flexibilität vorhanden ist — diese ist jedoch gebunden an den Bildungsstand
Räumliche Voraussetzungen
Kreisvolkshochschulen haben mit weiteren Schwierigkeiten zu kämpfen, mit Problemen, von denen großstädtische VHSen weitgehend verschont bleiben. Denn die dezentrale Strukter einer räumlich weitverzweigten VHS bringt es mit sich, daß es keinen zentralen Identifi-kations-oder Anlaufspunkt — eben d i e VHS — gibt. Kurse und Einzelveranstaltungen finden in zur Verfügung gestellten Schulräumen statt. Das kann sich in psychologischer Hinsicht als verhängnisvoll erweisen; denn wie will man den Erwachsenen, die sich zur Weiterbildung entschlossen und dabei einige Barrieren überwunden haben, klarmachen, daß dieses Lernen nun nicht mit den schmerzhaften Erfahrungen verbunden sein soll, die sie in ihrer Schulzeit erleben mußten? Die Assoziation „Erwachsenenbildung/VHS = Schule" drängt sich angesichts der oft recht tristen Klassenräume auf. Wer will da noch freiwillig lernen, weiterlernen?
Diese Situation hat weiter zur Folge, daß die Kreisvolkshochschule in medienpädagogischer Hinsicht vom Standard der jeweiligen Schulen abhängig ist — didaktische und methodische Unvollkommenheiten müssen somit in Kauf genommen werden. Großangelegte Bibliotheken, Mediotheken etc. können von Kreisvolkshochschulen nur selten eingerichtet werden, denn welcher Zweigstelle könnte man angesichts lokalpolitischer Zwistigkeiten eine solche Priorität einräumen?
„Die" attraktiv gebaute, zentral gelegene, zum Lernen geradezu einladende VHS gibt es auf dem Lande nicht. Statt dessen werden die Englischvokabeln auf Schulbänken gepaukt, in denen die Erwachsenen regelrecht „herausgewachsen" wirken. Das Schlagwort von der emanzipatorischen Bildung wird zur deutlich sichtbaren Farce. Da Lernen, zumal freiwilliges, entscheidend auch vom Atmosphärischen abhängt, haben die Kreisvolkshochschulen hier ein Hindernis mehr zu überwinden.
Der doppelte Pluralismus
Erwachsenenbildung — zumal politische — hat es mit einer Konkurrenz zu tun, die dei Gesetzgeber so wollte. Sie ergibt sich aus einem Politik-und Gesellschaftsverständnis, das den Pluralismus als Gegebenheit und Norm gleichermaßen annimmt. So kommt es nicht von ungefähr, daß — um beim Beispiel Nordrhein-Westfalens zu bleiben — a) Einrichtungen der Erwachsenenbildung (Volkshochschulen) zwar zum Pflichtkatalog der Kommunen werden, diese jedoch bei einer Mindesteinwohnerzahl von 40 000 jeweils ihre eigene VHS gründen können;
b) Bildungsstätten der freien Träger vom Land bezuschußt und gefördert werden.
Diese sicherlich im Glauben an eine optimale und maximale Versorgung der Bevölkerung gedachte, aber auch unter dem Druck massiver Interessengruppen vollzogene Konstruktion erweist sich in der Praxis als ein Konkurrenzgewirr, das Weiterbildung nur zu oft . unter dem Motto stattfinden läßt, der anderen Einrichtung den zehnten (erforderlichen) Hörer abspenstig zu machen, weil man ihn selbst braucht.
Zwar besteht die gesetzliche Auflage zur Kooperation aber Voraussetzung für die Bezuschussung ist ein jährlich durchzuführendes Mindestangebot an Unterrichtsstunden. In strukturschwachen, der Weiterbildung nicht sonderlich aufgeschlossenen Regionen erweist sich ein solcher Passus als Kampf ums überleben.
Da bei mindestens 40 000 Einwohnern jede auf persönliches Prestige bedachte Kommune eine eigene VHS institutionalisieren kann oder sich zwei oder drei Gemeinden zu einem Zweckverband zusammenschließen können, um diese Mindesteinwohnerzahl zu erreichen, entsteht sehr schnell alleine unter den kommunalen VHSen eine überdimensionale Pluralität, die oft in eine heftige Konkurrenz mündet. Denn in Randgebieten gilt es, die Hörer nicht einer anderen VHS, die hereinwirkt, zu überlassen.
Kreisvolkshochschulen leben überdies unter einem permanent über den Köpfen schwebenden Damoklesschwert: eine andere politische Konstellation, Unstimmigkeiten zwischen dem Kreis und einigen Kommunen — schon könnte ein neuer VHS-Zweckverband gegründet werden. In der pädagogischen Arbeit führt dies dazu, möglichst auf alle kommunalen Träger im Kreisgebiet Rücksicht zu nehmen, um niemanden zu verprellen. Außerdem versucht man, die umliegenden VHSen mit möglichst attraktiven (aber deswegen nicht unbedingt pädagogisch sinnvollen) Veranstaltungen zu übertrumpfen. Ein solcherart vorgeformtes Prokrustesbett zwingt politische Bildung in Haltungen, die ihrem emanzipatorischen Anspruch gewiß nicht entsprechen.
Die Existenz anderer Bildungseinrichtungen steigert die sowieso mitunter recht unglückliche Situation. In manchen Gemeinden muß eine Kreisvolkshochschule ihren Stand gegenüber einer Familienbildungsstätte, dem örtlichen DGB und einer benachbarten zugkräftigen großstädtischen VHS behaupten. Curriculare Überlegungen spielen hier bei der Programmplanung oft keine Rolle mehr. Zusammenarbeit bedeutet höchstens, daß man mit den Konkurrenten die Termine abstimmt, um nicht am selben Abend eine ähnlich schwierige Veranstaltung der politischen Bildung anzubieten; man umwirbt aber weiter unverdrossen gemeinsam die sowieso zahlenmäßig sehr schwachen Zielgruppen.
Es gibt politische Bildner, die in diesem Pluralismus eine Chance sehen, denn eine enge Kooperation mit dem DGB bringe nun die sehnlichst erwartete Industriearbeiterschaft in die VHS — nun sei emanzipatorische politische Bildung möglich. Politische Bildung an der VHS schließlich sei „auf die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften angewiesen"
Diejenigen, die so schreiben, tun dies meistens aus der privilegierten Situation großstädtischer Volkshochschulen heraus. Was aber, wenn eine vornehmlich im ländlichen Bereich arbeitende Kreisvolkshochschule kaum Industriearbeiterschaft hat, die ein Zusammenarbeiten mit dem DGB wirklich unabdingbar machen würde? Und noch gravierender: eine allzu intensive Kooperation mit dem DGB ist von manchem konservativ orientierten kommunalen Träger schlicht nicht erwünscht. Was dann
Das verhinderte Curriculum
Eines haben sie sicherlich gemeinsam, die Vertreter einer am Status quo orientierten politischen Bildungsarbeit und die, die diesen Zustand überwinden wollen: beider curricula-res Bemühen wird in der Erwachsenenbildung auf sehr enge Grenzen stoßen. Die Markierungen sind abgesteckt von dem Faktorenbündel, das ich bisher zu umreißen versucht habe. Im Bereich einer Kreisvolkshochschule heißt das, daß politische Bildungsarbeit sich solche Luxusvokabeln wie „Aufbaustufe, Orientierungsstufe, Endstufe" etc. wohl kaum leisten kann. Denn in der Wirklichkeit wird ein solches, womögliche den neuesten Erkenntnissen und Erfordernissen der politischen Bildung und Politikwissenschaft entsprechendes Curriculum kaum über die Einführungsphase hinauskommen.
Es gibt großstädtische Volkshochschulen, die ein politisches Grundstudienprogramm anbieten, das auch erfolgreich läuft. Dies mag im Deutschen Volkshochschulverband zu dem in den letzten Jahren verstärkt forciertem Bemühen geführt haben, für die Volkshochschulen die Entwicklung standardisierter Grundstudienprogramme voranzutreiben Für großstädtische Volkshochschulen hat dies auf jeden Fall seine Berechtigung: „Diese Grundstudienprogramme erweisen sich dort als besonders fruchtbar, wo sie spezielle Zielgruppen ansprechen. Dies sind in erster Linie Arbeitnehmer — was eine organisatorische Kooperation mit dem DGB bzw. . Arbeit und Leben'nahelegt — oder Frauen."
In einer großen und mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut ausgestatteten Großstadt kann man Bildungsprogramme auf diese und andere Zielgruppen (arbeitslose Jugendliche, Gastarbeiter etc.) zuschneiden. Bei guter Vorarbeit werden die Kurse auch zustande kommen. Aber in einem Kreisgebiet sind diese Zielgruppen sehr weit verstreut, dagegen gibt es andere Bevölkerungsgruppen, die unter Umständen leichter angesprochen werden könnten (z. B. Landwirte). Standardisierung der politischen Bildung?
Wenn die Zielgruppenarbeit nicht überall vergleichbar und entsprechend abzustimmen ist, bliebe die Forderung nach projektorientiertem Lernen. Das kann z. B. heißen, an einem lebensnahen Projekt anzuknüpfen, in das die Teilnehmer ihre unmittelbare Lebenssituation einbringen, anhand dieses selbsterlebten Modellfalls lernen und schließlich selbst politisch verändernd aktiv werden können.
Letzten Endes gar könnten solche Projekte „zum Auslöser von Bürgerinitiativen werden" Hierzu „aber sind Curricula nötig, die ... auf die Situation spezifischer Zielgruppen zugeschnitten sind" Sicherlich folgt eine solche Absicht konsequent aus dem Bemühen, emanzipatorische Bildungsarbeit zu leisten. Aber das wohl geringste Problem hierbei ist, wie der isoliert arbeitende, durch Verwaltungsarbeit oft hoffnungslos überforderte VHS-Pädagoge in der Lage sein kann (auch wenn er irgendwann einmal ein entsprechend qualifizierendes Studium abgeschlossen hat), solch spezielle Curricula zu erarbeiten, wenn er mehrere Projekte parallel betreut und noch andere Fachgebiete versorgen muß Noch gravierender ist der administrativ-politische Gegendruck: Es muß noch einmal daran erinnert werden, daß politische Bildung in den Augen der Kommunalpolitiker dann genehm ist, wenn sie z. B. das „Politische System der Bundesrepublik" zum Gegenstand hat oder Themen behandelt wie: „Der Nahost-Konflikt", „Vor und nach den Wahlen: unsere politischen Parteien" etc. Auch ein Kursus „Einführung in den Marxismus" wird noch akzeptiert. Aber wehe dem politischen Bildner, der „ein Lernen am praktischen Fall mit realen Konsequenzen initiiert" Der Konflikt mit seinem kommunalen Träger, repräsentiert in der Person des dienstlichen Vorgesetzten, wird vor allem dann unausweichlich sein, wenn lokale Belange tangiert sind. Pädagogische Mitarbeiter wird vielleicht noch eine Solidaritätsadresse erreichen. Aber wie tönt es von den Lehrstühlen der Erwachsenenpädagogik und der politischen Bildung:
„Genau an solchen Konflikten ist die Stelle, an der der Kursleiter in der politischen Erwachsenenbildung durch seinen pädagogischen Auftrag gezwungen ist, zugunsten der Betroffenen seinen emanzipatorischen Anspruch gegen entgegenstehende Herrschaftsund Leistungsansprüche zur Geltung zu bringen."
Wer so schreibt, sitzt bestimmt auf einem durch Pensionsanspruch abgesicherten, der Praxis weit entrücktem Universitätslehrstuhl.
5. Konsequenzen
Sicherlich kann das Resümee nach einer solchen Bilanz nur bitter stimmen. Es wäre — und dies mag nach einem derart negativen Fazit verwunderlich klingen — aber verfehlt, den emanzipatorischen Anspruch aufzugeben und sich kampf-und kopflos den geschilderten Bedingungen zu fügen. Denn einige geringe Chancen und Wege zur Veränderung bestehen noch; einige Folgerungen für mich sind:
Pädagogische und didaktische Bescheidenheit
Wenn man als jemand, der in der politischen Bildungspraxis arbeitet, die akademische Diskussion um die Theorie und Didaktik der politischen Bildung verfolgt, dann stellt sich mitunter das Gefühl ein, auf einem anderen Stern zu leben. Mit der Entwicklung ständig neuer, von jeglicher Wirklichkeit weit abgehobener Curricula und didaktischer Neuansätze ist niemandem geholfen, wenn es beispielsweise darum geht, in einer Zweigstelle einer Kreisvolkshochschule mindestens zehn Teilnehmer für eine politische Bildungsveranstaltung zu motivieren. Progressiver inhaltlicher Anspruch alleine bringt noch lange keine Emanzipation. Viel wesentlicher erscheint mir hingegen die unmittelbare Phantasie und Kreativität vor Ort mit sorgfältiger methodischer Aufbereitung der — endlich zustande gekommenen — Veranstaltung. Denn die Methode hat einen kolossalen Bildungs-und Emanzipationswert. Methodisch gut aufbereitetes Lernen baut negative Schulerfahrungen ab, motiviert zur weiteren Teilnahme, ermöglicht über die vielleicht erstmals in einer Gruppe vollzogene Artikulation eines Teilnehmers und dem damit verbundenen Erfolgs-erlebnis eine Identifikation mit den Inhalten und kann die Initialzündung für ein Engagement in der politischen Praxis sein.
Praxisorientierte Ausbildung
Es kann einfach nicht genügen, diplomierte Politologen, Soziologen oder Pädagogen von der Universität in die politische Bildungspraxis zu entlassen und sie dort mit der mitunter ersten Erfahrung, sich in einem politischen Konfliktfeld bewähren zu müssen, allein zu lassen. Gut ausgebildete Konflikttheoretiker geben noch lange keine Garantie dafür ab, daß sie sich auch in der sehr konfliktträchtigen Praxis behaupten können. Und es ist einfach ein Aberwitz, daß derjenige, der den Konflikt zur zentralen Kategorie seiner Bildungsbemühungen macht, noch nie gelernt hat, selbst politische Konflikte — und nichts anderes als ein Konfliktfeld ist seine institutioneile und berufliche Praxis — zu bewältigen. Aspiranten für politische Bildungsarbeit müssen bereits während der Ausbildung auf die praktischen Eventualitäten und Zwangsläufigkeiten vorbereitet werden. Nur so werden sie in der Lage sein, auch die Frustration auszuhalten, die sicherlich in diesem Beruf besonders verbreitet ist. Das setzt aber auch voraus, daß sich mancher Professor der Theorie und Didaktik der politischen Bildung von seinen allzu hochfliegenden theoretischen Ambitionen freimachen muß. Er hat im gesicherten Terrain seiner Universität nicht die Bewährungsproben zu absolvieren, wie sie auf den Berufsanfänger einstürmen.
Institutioneile Bedingungen wissenschaftlich aufarbeiten
Es ist eigentlich frappierend, daß es trotz der engen Verzahnung von Politikwissenschaft/Soziologie mit der politischen Bildung keine relevanten Ansätze gibt, auch den Bedingungsrahmen, den das institutionelle, politische und soziologische Umfeld vorgibt, in die curricularen Ansätze mitaufzunehmen. Nur so erklärt sich deren oftmalige Wirklichkeitsferne. Man sollte keine Scheu vor der vielleicht pragmatischen Frage haben, was unter den bestehenden Verhältnissen, in die eine VHS eingebunden ist, an politischer Bildung überhaupt realisierbar ist, welche Interessen hier wirken, welche Konflikte es auszustehen gilt. Dieses gesamte Gefüge einmal aufzuarbeiten, scheint mir ein lohnendes Feld für wissenschaftliche Neubesinnungen zu sein.
Universale politische Bildung
Wenn Erwachsene sich zur politischen Weiterbildung entschließen, sind sie vermutlich bereits so „anpolitisiert'', daß sie sicherlich nicht mehr die gewünschten Adressaten sind. Die eigentliche „Klienten" sitzen nicht in den unmittelbar politischen Veranstaltungen. Da die politische Sozialisation bereits sehr früh im Kindesalter ansetzt muß die Kommunikation zwischen den Pädagogen aller Bereiche — den Vorschulpädagogen, den Pädagogen aus den Primär-und Sekundarbereichen und den Erwachsenenpädagogen — endlich beginnen. Das ist die mehr wissenschaftliche Seite; in der Praxis bedeutet diese Erkenntnis, daß politische Bildung an einer Volkshochschule bereits in den Eltern-und Erziehungsseminaren beginnt. Sie haben den Vorteil, daß sie relativ regen Zulauf haben. Neue Erziehungsinhalte zu vermitteln, die möglicherweise Auswirkungen auf die primäre politische Sozialisation der Kinder dieser Eltern haben, ist bereits ein elementarer Teil politischer Bildung. An die Didaktiker ergeht somit die Aufforderung, die Beziehungen zwischen Familie — Sozialisation — politischer Sozialisation — politischem Bewußtsein — politischem Verhalten eingehender als bisher zu berücksichtigen.
Pädagogische Arbeit für die pädagogischen Mitarbeiter
Bei Lichte besehen, ist politische Bildungsarbeit mit Erwachsenen ein weites Neuland, in dem es kaum wirklich exakt greifende Konstanten gibt, die wissenschaftlich erarbeitet und an der Praxis erprobt sind. Vor Ort muß der Erwachsenenpädagoge oft Spontaneität und Initiative ohne lehrbuchmäßige Absicherung zeigen. Eigentlich müßte jeder HPM in gewisser Weise ein „Mikrosoziologe" sein, der in der Lage ist, spezifische soziale und ökonomische Gegebenheiten so aufzuarbeiten, daß er sie dann auch pädagogisch umsetzen kann. In der Praxis der Volkshochschulen — vor allem der kleineren — ist er aber statt dessen nur zu oft lediglich ein Organisator von Kursangeboten, die genau und gründlich vor-und nachzubereiten er kaum in der Lage ist. Permanente Verwaltungstätigkeit und häufige Beschäftigung mit von der Ausbildung her fremden Fachbereichen läßt diese Forderung zur Illusion gerinnen. Es müßte endlich ein Zustand erreicht werden können, in dem der Pädagoge sich tatsächlich vornehmlich echt pädagogischer Arbeit widmen könnte und von Verwaltungsangelegenheiten dabei weitgehend entlastet ist. Der unverbindliche Appell an die kommunalen Träger, einen gewissen Stellenschlüssel zu garantieren hat nur rhetorischen Charakter. Es wäre Aufgabe der Länder, unter Umständen die finanziellen Zuwendungen an verwal-tungsmäßige Minimalvoraussetzungen zu koppeln
Lokalspezifische Differenzierung Es hat sich offensichtlich gezeigt, daß politische Bildung dann scheitert, wenn sich ihre Organisatoren darauf verlassen, von praxisfernen akademischen Spezialisten für curriculare Arbeit mit vorgefertigten Modellen versorgt zu werden. Der pädagogische Mitarbeiter kommt gerade in ländlichen Gegenden keinesfalls umhin, die ihn umgebende lokale Situation aufzuarbeiten, um sie zur Grundlage seiner pädagogischen Arbeit zu machen. Diese Forderung deckt sich völlig mit dem „Prinzip der Betroffenheit" (Roloff), weil nämlich eine persönlich erlebte und zu erlebende Sphäre berührt wird. Ziel der konkreten politischen Bildungsarbeit wäre es dann, diesen unmittelbaren Bezugsrahmen als einen von politischen Entscheidungen betroffenen aufzuzeigen. Auch diese Forderung bleibt noch leer und abstrakt, fragt man nach der genauen Verwirklichung der Prämisse. Es gibt hierfür kaum modellhafte Orientierungen, nur einige wenige Versuche. Sie alle sind nicht übertragbar, was auch völlig im Sinne der hier vorgeschlagenen Orientierung ist. Martin Hasselhorn und Edith Niehuis haben einen Versuch in dieser Richtung unternommen, indem sie in 15 niedersächsischen Landgemeinden Bildungswochen durchführten und dabei auf beachtliche Ergebnisse verweisen können: „Es ist den Bildungswochen gelungen, Arbeiter und Hausfrauen mit Volks-schulbildung in großer Zahl zur Teilnahme zu motivieren."
Zur Euphorie besteht hier jedoch nur in gedämpfter Tonart Anlaß, denn das Projekt mußte zu zahlreiche Kompromisse akzeptieren, als daß es noch mit den Grundforderungen einer emanzipatorischen politischen Bildung zu vereinbaren gewesen wäre: So haben die Initiatoren mit „Schlüsselpersonen der Gemeinden . . ., die als Ortsgeistliche, Lehrer, Vereinsvorstandsmitglieder und Gemeinde-ratsmitglieder tätig sind" „curriculare Mitbestimmung" geprobt. Es frappiert indessen, mit welcher Naivität die beiden Ver-fasset Bilanz ziehen, wenn sie die so zustande gekommene Themenauswahl kritisieren: „Nicht einmal gelang es, die Zustimmung zu einer geschlossenen Veranstaltungsreihe über vier Abende zu erhalten. Nach dem Motto: Für jeden etwas, blieb es bei einem Themenpotpourri, das von Erziehungsthemen angeführt wurde und in der Regel mit Fragen der Währung oder des Umweltschutzes endete."
Und man fragt sich, was noch „politisch" bei dieser politischen Bildung ist (außer, daß sie Bestehendes festschreibt), wenn man resümiert: „Für die Thematik der politischen Bil-dung heißt das, daß hier Einschränkungen gemacht werden müssen. Es muß der gemeinsame Nenner gefunden werden, der von allen Gruppen akzeptiert werden kann."
Richtig erkannt haben die Autoren indessen — und das läßt ihren Ansatz diskutabel und richtungsweisend erscheinen —, daß politische Bildung in Landgemeinden auf die „Kommunikationsstruktur" in diesen Gemeinden eingehen muß, d. h. die „Kontaktaufnahme mit den informellen Gruppen" am Ort zum integralen Bestandteil der curricula-ren Arbeit zu machen. In diese Richtung muß — so die Autoren — in Zukunft wissenschaftlich gearbeitet werden Für den politischen Bildner bedeutet das: stärkere Hinwendung zu lokalen soziologischen Bedingungen und eine intensive Erarbeitung derselben. Dies muß der eigentlich pädagogischen Arbeit vorgeschaltet werden.
Demokratisierung — Mitbestimmung der Teilnehmer
Konsequent bedeutet ein solch stark teilnehmerorientierter Ansatz jedoch, daß sich das bisherige Modell, demzufolge Volkshochschulen in die hierarchischen Gegebenheiten ihrer kommunalen Träger eingeordnet sind, als inadäquat, gar dieser Ambition krass entgegengesetzt, erweist. Will man die Teilnehmer miteinbeziehen, muß man ihnen auch die Chance geben, sich gegebenenfalls gegen herrschende Meinungen, Verwaltungsakte und Strömungen zu stellen. So erfährt politische Bildung auch ihre logische Schlüssigkeit.
Wer aber kann daran interessiert sein, dies zu institutionalisieren? Wesentlich und realistisch erscheint indessen ein intensives Drängen auf eine wirkliche Demokratisierung der Volkshochschulen, die es dem dort arbeitenden Pädagogen unter Umständen mit Rückendeckung der Beteiligten erlauben könnte, auch solche politischen Prozesse zu initiieren, die auf Praxis drängen, ohne daß er dabei seine dienstliche Treuepflicht verletzt. Unter Umständen wäre wieder zu diskutieren, ob man nicht den politischen Mut aufbringen sollte, Volkshochschulen aus der kommunalen Trägerschaft zu entlassen und zu Einrichtungen des jeweiligen Landes zu machen.
Kostenfreiheit — Keine Mindestteilnehmerzahlen
Soll die allenthalben aufgestellte Forderung nach politischer Bildungsarbeit der Volkshochschulen nicht zum unverbindlichen Lippenbekenntnis degenerieren, meint man es wirklich ernst damit, muß man auch alle erdenklichen Barrieren aus dem Weg räumen. Eine erste Forderung wäre die nach genereller Kostenfreiheit der politischen Veranstaltungen. Das deckt sich auch schlüssig mit dem Gebot, daß Demokratie den mündigen Bürger braucht. Wieso soll er, bemüht er sich um eine verstärkte Mündigkeit, verhält er sich also ganz im Sinne dieses Postulats, dafür auch noch Geld aufbringen? Politische Bildung, die Demokratisierung intendiert, muß ihre eigenen immanenten Konsequenzen ziehen. Sie darf kein Privileg für diejenigen sein, die zahlen können oder wollen. Ebenso wenig darf die Realisierung dieser politischen Bildung daran gebunden sein, daß mindestens zehn Teilnehmer erscheinen Emanzipatorische Inhalte, die gerade in Landgemeinden dem allgemeinen Tenor entgegengesetzt sind, haben unter dieser Voraussetzung nur äußerst geringe Chancen, zum Zuge zu kommen. Außerdem liegt hierin ein Argument im Sinne des Status quo verborgen, denn man ist leicht geneigt, die erfolgreich genommene Teilnehmerschwelle mit einer Art Plebiszit gleichzusetzen — Minderheitenwünsche drohen so ignoriert zu werden.
Politische Bildung bleibt aber auch dann immer noch dem sporadischen Wunsch und der „Freiwilligkeit" ihrer Teilnehmer überlassen. Sie „erfordert in erster Linie von dem Einzel-nen persönliches Engagement, Fleiß, Ausdauer und auch die Bereitschaft, zumutbare Opfer an Zeit und Geld zu bringen"
Sie gerät so lediglich zum von der Wirklichkeit abgelösten Appell und ist nur für die gedacht, die sich — aus welchen Gründen auch immer — ansprechen lassen. Chancen für eine wirklich sinnvolle politische Bildungsarbeit bieten sich bei der gesetzlichen Regelung des Bildungsurlaubs für alle Arbeitnehmer. Dabei muß ausdrücklich die Teilnahme an politischen Bildungsveranstaltungen der Volkshochschulen anerkannt werden. Somit wäre eine materielle Voraussetzung gerade für Arbeitnehmer gegeben, ein zusätzlicher und stark wirkender Anreiz.
Das ist aber eine politische Frage, die recht weit von der pädagogischen Alltagspraxis des politischen Bildners gelegen zu sein scheint. An ihn kann nur die Forderung nach einem politischen oder gewerkschaftlichen Engagement gehen, um solchen Vorstellungen Nachdruck zu verleihen und eine Realisierungschance zu geben.
6. Schlußbemerkung
Die hier versuchte Bilanz strahlt sicherlich wenig Optimismus aus. Auch sind die wenigen Lösungsvorschläge ganz bestimmt nicht originell; sie wirken vielleicht recht bieder und pragmatisch. Aber mir scheint, daß es in der politischen Erwachsenenbildung keinen Grund für unverbindliche Höhenflüge gibt. Die Praxis mitsamt ihren Bedingungsfaktoren endlich einmal aufzuarbeiten, scheint mir schon ein Schritt in die Richtung einer den Gegebenheiten entsprechenden Theorie zu sein. Nur zu leicht scheint man zu vergessen, daß gerade die Praxis einen enormen theoretischen Aussagewert besitzen kann. Mit euphorischen und unverbindlichen Zielvorstellungen indessen ist es ebenso wenig getan wie mit negativen Leerformeln. Am Ende einer wissenschaftlichen Arbeit findet sich beispielsweise folgendes Postulat: „Sich nicht unreflektiert den bestehenden Herrschaftsinteressen auszuliefern, mit dem eigenen Fortbildungsinteresse nicht das öffentlich propa-gierte und institutionalisierte Konkurrenzprinzip zu stabilisieren, die Ideologie des Leistungsdenkens zu enthüllen, stellt sich einer demokratischen Allgemeininteressen verpflichteten Bildungsinstitution zur notwendigen Aufgabe."
Dazu findet man in dem gesamten Opus keinen einzigen praktischen und praktikablen Hinweis, wie der politische Bildner solche Maxime mit realistischen Erfolgsaussichten und unter Berücksichtigung des lokalen Konfliktfelds, in dem er arbeitet, umsetzen kann. Die Diskrepanz zwischen dem, was sich selbst als Theorie der politischen Erwachsenenbildung versteht, und den ernüchternden Gegebenheiten der Wirklichkeit erscheint mir manchmal unüberbrückbar. Es drängt sich der Eindruck auf, als hätte man es mit zwei völlig isoliert voneinander existierenden Kommunikationssystemen und Bedingungsrahmen zu tun. Wage aber einer, eine politische Bildung zu realisieren, die den aufgestellten progressiven Forderungen nicht genügt, dann werden ihn die didaktischen, curricularen und theoretischen Tugendwächter schon in die Schranken verweisen!