Durch Beschluß des Europäischen Rates — der Konferenz der Staatsbzw. Regierungschefs der EG-Mitgliedsländer — ist ein neues Europäisches Währungssystem (EWS) faktisch mit Wirkung vom 13. März 1979, formell rückwirkend zum Januar, in Kraft gesetzt worden. Damit hat ein potentiell folgenreiches Experiment begonnen. Die Ausgestaltung des EWS und die Frage des Beitritts haben nicht nur zu zwischenstaatlichen, sondern in mehreren europäischen Ländern auch zu innenpolitischen Auseinandersetzungen geführt, die bereits darauf hindeuten, daß mit den hochkomplexen Währungsregelungen im engeren Sinn weitreichende, aber unterschiedlich eingeschätzte und bewertete Folgen für den westeuropäischen Integrationsprozeß und die beteiligten nationalen wirtschaftlichen und politischen Systeme verbunden sind. Der neue Vorstoß im Währungsbereich mußte vor allem deshalb überraschen, weil die bisherigen Erfahrungen mit Initiativen zur europäischen Währungsintegration stark enttäuscht hatten.
I. Währungspolitik und westeuropäische Integration
Versucht man, den Stellenwert der Währungspolitik im Integrationsprozeß 1) zu bestimmen, so ist erst einmal festzuhalten, daß die Währungshoheit traditionell zu den wesentlichen staatlichen Souveränitätsrechten gerechnet wird. Dies dürfte auch der wichtigste Grund sein, warum eine Übertragung von Währungskompetenzen im EWG-Vertrag nicht vorgesehen ist Die Tntegrationsfortschritte in Richtung gemeinsamer Markt in den 50er und 60er Jahren erhöhten aber die Interdependenz der wirtschaftlichen Entwicklung. Sie engten die reale nationale Handlungsfreiheit in der Wirtschafts-und Währungspolitik zunehmend ein und verstärkten den gemeinsamen Handlungsbedarf. Auf der EWG-Gipfelkonferenz im De-zember 1969 in Den Haag fiel eine Grundsatzentscheidung zugunsten einer verstärkten Integration in bisher vernachlässigten Bereichen. Eine Sachverständigenkommission unter Vorsitz des luxemburgischen Ministerpräsidenten Werner erhielt den Auftrag, einen Stufenplan zur Errichtung einer Wirtschafts-und Währungsunion (WWU) auszuarbeiten.
Grundsätzlich wurden zwei integrationspolitische Strategien vertreten — kurz als „Krö-nungs-" und „Motorthese" bezeichnet. Die Anhänger der „Krönungsthese" plädierten für den sachlichen und zeitlichen Vorrang der wirtschaftspolitischen gegenüber der währungspolitischen Integration und wurden deshalb auch Ökonomisten genannt. Erst Integrationsfortschritte bei den Zielen und Instrumenten der Wirtschaftspolitik und damit verbunden eine Harmonisierung der wirtschaftlichen Entwicklung schüfen die Basis für die Währungsintegration. Unveränderliche Wechselkurse oder eine gemeinsame europäische Währung seien nur als Krönung des wirt- Integrationsprozesses denkbar. Eine vorrangige Festschreibung der Wechselkurse trotz unterschiedlicher Wirtschafts-, insbesondere Stabilitätspolitik, der Mitgliedsländer sei dagegen zum Scheitern verurteilt oder führe bei großzügiger Kredithilfe an die defizitären Länder zur Inflationsgemeinschaft, in der die Mitglieder faktisch dem Diktat der unsolidesten Partner unterworfen seien.
Die Anhänger der „Motorthese" — die soge-nannten Monetaristen — traten hingegen dafür ein, den nächsten Integrationsschritt im Währungsbereich zu tun. Dabei gingen sie implizit davon aus, daß z. B. eine stärkere gemeinschaftliche Bindung der Wechselkurse leichter durchsetzbar sei als eine Harmonisierung der staatlichen Finanzpolitik. Sie argumentierten, die Währungsintegration schaffe ein festes Scharnier zwischen den beteiligten Volkswirtschaften und übe damit einen Druck aus zugunsten größerer Ziel-und Instrumentenabstimmung auch in der Wirtschaftspolitik. Die Währungsintegration sei somit geeignet, als Motor die Integration insgesamt voranzutreiben.
Beide Strategieansätze spiegeln nicht nur abstrakte integrationsmethodische Differenzen, sondern auch unterschiedliche Interessenperspektiven der Mitgliedsländer. So konnte es angesichts des unterschiedlichen Stabilitätsrisikos beider Ansätze z. B. nicht überraschen, daß die besonders stabilitätsorientierte Bundesrepublik Deutschland und die Niederlande im ökonomistischen, Frankreich und Belgien dagegen im monetaristischen Lager standen. Bedeutsam war darüber hinaus vor allem für Frankreich, daß das monetaristische Konzept es ermöglichte, konkrete Integrationsentscheidungen in den politisch besonders sensitiven Bereichen zumindest vorerst zu vermeiden.
Die Werner-Kommission einigte sich 1970 auf einen Kompromiß, der die divergierenden Strategien mit Hilfe des Parallelitätsansatzes zu harmonisieren versuchte. Statt der wirtschaftspolitischen oder währungspolitischen Integrationsmaßnahmen Vorrang zu gewähren, wurden parallele Fortschritte in beiden Bereichen vorgeschlagen um stufenweise innerhalb eines Jahrzehnts die WWU zu erreichen. Die politischen Konsequenzen wurden von der Kommission deutlich herausgearbeitet: „Die Wirtschafts-und Währungsunion erscheint ... als ein Ferment für die Entwicklung der politischen Union, ohne die sie auf die Dauer nicht bestehen kann." Innenpolitische Rücksichten insbesondere der französischen Regierung bewirkten, daß die am 9. Februar 1971 getroffene Ratsentscheidung über die WWU deutlich hinter den Vorschlägen der Werner-Kommission zurückblieb. Allein für die erste Stufe 1971— 1973 wurden konkrete Schritte beschlossen: Im Währungsbereich eine Verringerung der Bandbreiten der Wechselkurse unter den Mitgliedsländern in Verbindung mit einem gemeinschaftlichen Beistandssystem, im Bereich der Wirtschaftspolitik verstärkte institutionalisierte Koordinationsverfahren mit gemeinschaftlichen Richtwerten insbesondere für die Haushalts-und Geldpolitik, aber als Empfehlungen ohne bindende Wirkung. Gegenüber dem Werner-Plan wurden die Maßnahmen zur wirtschaftspolitischen Harmonisierung damit weiter geschwächt und die längerfristigen politischen Ziele und Konsequenzen bewußt nur vage angesprochen
Der „grandiose Versuch" mit der WWU einen integrationspolitischen Durchbruch zu erzielen, scheiterte bereits in der Startphase. Diese fiel zeitlich mit dem Zusammenbruch des 1944 in Bretton Woods konzipierten internationalen Währungssystems zusammen. Vom Wechselkursverbund der EG — der sogenannten Schlange — verblieb schließlich nur ein Torso, bestehend aus den EG-Mitgliedsländern Bundesrepublik Deutschland, Dänemark und Benelux-Staaten Neben den extrem ungünstigen Umweltbedingungen — stichwortartig: die weltweite Inflationstendenz Anfang der siebziger Jahre, der schon erwähnte Kollaps des internationalen Währungssystems, die Ölkrise und schließlich die schlimmste weltweite Rezession seit 1929 — ist die entscheidende Ursache für das Scheitern der WWU in der Unfähigkeit zur gemeinsamen Krisenbewältigung zu sehen. Die wachsende Neigung zu na-tionalen Alleingängen, wobei die Mitgliedsländer „sowohl den Grad ihrer eigenen gegenseitigen Abhängigkeit als auch die durch ein gemeinschaftliches Vorgehen gebotenen Möglichkeiten unterschätzten" führte u. a. zu vorher nicht gekannten Unterschieden in den Inflationsraten, die von 7 Prozent in der Bundesrepublik bis zu 25 Prozent in Großbritannien und Italien reichten. Auch wenn die WWU als Ziel offiziell nie aufgegeben wurde, tendierte ihre praktische Bedeutung gegen Null.
II. Begründung und Ziele des EWS
Trotz vereinzelter Anstoßversuche wurde die europäische Währungsintegration erst wieder zu einem ernstgenommenen Thema der politischen Auseinandersetzung, als der französische Staatspräsident Giscard d’Estaing und der deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt gemeinsam die Initiative ergriffen und das Projekt des EWS ihren Kollegen auf den Tagungen des Europäischen Rates in Kopenhagen (April 1978) und Bremen (Juli 1978) unterbreiteten.
Dabei konnte die französische Trägerschaft für eine erneute Initiative im Währungsbereich weniger überraschen. Frankreich war in der Vergangenheit als wichtigster Verfechter des monetaristischen Konzeptes hervorgetreten, und die französische Regierung galt international als einer der schärfsten Kritiker flexibler Wechselkurse. Giscard d’Estaing hat z. B. bei einer Analyse der weltwirtschaftlichen Situation von den vier industrialisierten Polen — Nordamerika, Japan, Osteuropa und Westeuropa — allein Westeuropa das Handikap der fehlenden internen Währungsstabilität zu tragen habe
überraschen mußte dagegen, daß Bundeskanzler Schmidt die Währungsinitiative mittrug. Auf dem Hintergrund der bisherigen deutschen Position legte dies den Schluß einer „konzeptionellen Kehrtwende" nahe Fragt man nach den Gründen für den deutschen Positionswechsel und die damit verbundene größere Risikobereitschaft, so gibt es eine ganze Palette von ökonomischen und politischen Argumenten:
— Bundeskanzler Schmidt hat die Erosion des Gemeinsamen Marktes und damit des Integrationskernes der EG an erster Stelle genannt: „Ich bin überzeugt, daß der Gemeinsame Markt zugrunde gehen wird, sofern es nicht gelingt, die Schrumpfung aufzuhalten, der er bereits infolge des unter Währungschaos -
hat er liegt." Als Indikator herangezogen, daß die Zuwachsrate des innergemeinschaftlichen Handels erstmals seit 1973 hinter jener des Welthandels zurückgeblieben sei. Er hat dies auf das gewachsene Währungsrisiko zurückgeführt, das insbesondere kleine und mittlere Unternehmen abschrecke. Zu betonen ist, daß bei der Gründung der EWG stabile Wechselkurse als selbstverständliche Geschäftsgrundlage angesehen wurden. Insofern haben die Währungsturbulenzen in der Tat eine ganz neue Situation geschaffen und gerade in den Bereichen mit einem Integrationsvorsprung zur Desintegration geführt. Da der Außenhandel der EG-Mitgliedsländer zu rund 50 °/o innergemeinschaftlicher Handel ist, könnte mit einem stabilen EG-Währungsverbund diese Hälfte stärker abgesichert und die Chance für ein weiteres Wachstum verbessert werden. — Eine bessere Absicherung ihrer EG-Exporte ist für die außerordentlich außenhandelsabhängige Bundesrepublik von besonderem Interesse, da der Kursverfall des US-Dollar, der in der Vergangenheit zeitweilig weit über das durch die unterschiedlichen Inflationsraten gerechtfertigte Maß hinausging, die Exportchancen unterminiert und damit auch Arbeitsplätze gefährdet. Die bisherigen Erfahrungen haben daher unter den Befürwortern flexibler Wechselkurse zu Ernüchterung geführt. Die Hoffnung, daß flexible Wechselkurse die grundlegenden ökonomischen Daten widerspiegeln und zu mittel-oder langfristig einigermaßen stabilen Erwartungen führen würden, hat sich bisher nicht erfüllt. Hier ist vor allem das Störpotential der im Umfang ständig wachsenden, hochreagiblen und auch politisch sensitiven internationalen Kapitalbewegungen zu nennen. So kommt auch der „Sachverständigenrat Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung", einer der engagiertesten Verfechter flexibler Wechselkurse, zu dem Schluß: „Die Bewegung der Wechselkurse, die eigentlich Veränderungen der gesamtwirtschaftlichen Bedingungen eines Landes nur konstatieren sollte, kann sie diktieren. Wohlgemerkt, dies ist nicht der Regelfall. Aber man kann ihn auch nicht einfach als Ausnahme qualifizieren." Ein stabiler europäischer Währungsverbund könnte aus deutscher Sicht den zusätzlichen Vorteil haben, die Last einer möglichen Spekulationswelle aus dem Dollar auf mehrere Schultern zu verteilen. — Als entscheidende Voraussetzung für den neuen Versuch ist vom Bundeskanzler die deutliche Annäherung bei den wirtschaftspolitischen Zielen herausgestellt worden: „Und dieses Experiment, dieses Wagnis, das natür-lieh mit Risiken behaftet ist, eines Währungsverbundes — das durfte und konnte man nur eingehen, nachdem man klar gesehen hat, daß von Rom bis nach London, von Paris nach Kopenhagen, alle Regierungen wirklich den Willen haben, ihre Währungen zu stabilisieren, das heißt nach innen die Inflation zu bekämpfen." Der auf dem Londoner Wirtschaftsgipfel 1977 ins Kommunique aufgenommene Satz: „Inflation ist kein Heilmittel gegen Arbeitslosigkeit, sondern eine ihrer Hauptursachen" dokumentiert die offizielle Abkehr von der in einigen Ländern tief verankerten These, man könne ein Weniger an Arbeitslosigkeit gegen ein Mehr an Inflation tauschen.
Auch in dieser Hinsicht ist bei denjenigen, die sich von flexiblen Wechselkursen eine Befreiung dem Joch der Zahlungsbilanzdisziplin aus erhofft hatten, aufgrund der Erfahrungen ein Umdenkungsprozeß eingetreten. Eine laxe Stabilitätspolitik wurde unter der Herrschaft des Floating zwar durch Absinken des Wechselkurses aufgefangen, aber dies führte zu einer Erhöhung der Importpreise und damit zu einer Inflations-Abwertungs-Spirale, die die irgendwann unvermeidbare Inflationsbekämpfung erheblich erschwerte. Schmidt hat nun die Argumentation der Ökonomisten geradezu umgekehrt: „Meine Einschätzung ist, daß wir einen Rückschlag bei der Koordinierung unserer Wirtschaftspolitik innerhalb der EG riskieren, wenn wir diesen Störfaktor unruhig schwankender Wechselkurse nicht wenigstens innerhalb der EG so weit ausschalten, wie dies nur eben möglich ist."
— Die Erfahrungen mit der europäischen Minischlange werden positiv bewertet. Obwohl auch unter den Teilnehmern Wechselkursänderungen vorgekommen seien, habe die Schlange zur äußeren und inneren Stabilität beigetragen. Sie habe die Verantwortung der politischen Instanzen für den Wechselkurs ebenso gestärkt wie ihre innenpolitische Position in der Inflationsbekämpfung — Die bisher angeführten Gründe sind zwar überwiegend ökonomisch ausgerichtet, enthalten aber teilweise schon eine stark politische Komponente. Dies gilt insbesondere für die Gefahr einer Desintegration der EG, der die Bundesrepublik schon aus rein politischen Gründen entgegentreten muß, gegebenenfalls auch um den Preis ökonomischer Risiken. Der Berliner Zentralbankpräsident Hiss, ehemals enger Berater Schmidts, hat das überzeugend so formuliert: „Wir brauchen die politische Solidarität unserer Partner, die wir am besten mit Solidarität im ökonomischen Bereich vergelten können."
— Schließlich ist als offiziell nicht angeführter, aber in der Publizistik herausgestellter Grund die angebliche Irritation insbesondere des Bundeskanzlers über die Politik der amerikanischen Regierung zu nennen, die zu einer stärkeren politischen Orientierung auf die EG geführt habe. Als Kritikpunkte werden vor allem die amerikanische Währungspolitik — Haltung des „benign neglect" gegenüber der Kursentwicklung des Dollar — und die Nuklearpolitik — u. a. Versuch der Blockade des deutsch-brasilianischen Nuklearabkommens und Verzögerung der Uranlieferungen nach Europa — herangezogen
Damit sind die wichtigsten für den deutschen Positionswechsel herangezogenen Gründe — überwiegend aus der Sicht der Regierung — dargestellt, ohne sie auf ihre Überzeugungskraft und mögliche Gegenargumente zu prüfen. Dies wird bei der Einzelanalyse nachzuholen sein.
Die mit dem EWS verfolgten Ziele lassen sich grob abgrenzen, wenn man das EWS mit der WWU und der Schlange vergleicht. Das EWS ist nicht einfach die Wiederaufnahme der WWU. Seine Reichweite ist erheblich geringer, und es kann allenfalls als eine Vorstufe, eine Vorbereitung auf den „großen Sprung", betrachtet werden. Die Gründe machen auch seinen eher defensiven Charakter deutlich, im Vergleich zur offensiven WWU-Konzeption. Damit ist es aber auch stärker als die WWU eine Antwort auf unmittelbare, drängende Probleme und eher in der konkreten Interessenstruktur verankert. Andererseits geht das EWS deutlich über die Schlange hinaus. Es ist nicht — wie manche Beobachter vermutet haben — nur ein neues Etikett für die alte Schlange mit dem Ziel, Frankreichs Prestige zu schonen und ihm einen erneuten Beitritt zu ermöglichen. Von deutscher Regierungsseite ist man zwar einerseits Hoffnungen — etwa auf weitreichende supranationale Entscheidungsbefugnisse im Zusammenhang mit dem EWS — entgegengetreten, gleichzeitig wurde aber betont, daß das EWS für weiterführende Entwicklungen zumindest offengehalten werden müsse
III. Das Instrumentarium des EWS
Im folgenden soll analysiert werden, was im einzelnen unter dem EWS zu verstehen, d. h. wie es nach der Entschließung des Europäischen Rates im Dezember 1978 ausgestaltet ist. Bei der Behandlung der wichtigsten Instru-mente sollen die im Verhandlungsprozeß aufgetretenen Hauptkontroversen einbezogen werden. Zu betonen ist vorweg der stark experimentelle Charakter des EWS. Er kommt schon darin zum Ausdruck, daß eine bis zu zweijährige Anlaufphase vorgesehen ist, während der das EWS primär auf Abkommen der Notenbanken abgestützt werden soll. Erst danach soll das System konsolidiert und auf „geeignete Rechtsvorschriften" gegründet werden. Erst dann sollen auch bestimmte Instrumente — wie der Europäische Währungsfonds — ins Leben gerufen werden, die bisher nur in Umrissen erkennbar sind.
Kurz zusammengefaßt besteht das EWS aus einem Wechselkursverbund, dessen Existenz u. a. durch große gegenseitige Kreditlinien und eine partielle Zusammenlegung der Währungsreserven abgesichert wird. Hinzu kommt als neues Zahlungsmittel — vorerst zwischen den Notenbanken — eine europäische Währungseinheit und nach der Anlaufphase als institutionelles Systemzentrum ein europäischer Währungsfonds, wobei Währungseinheit und -fonds wegen ihres Entwicklungspotentials langfristig von besonderer Bedeutung sind.
1. Die Europäische Währungseinheit (ECU) „Zentraler Punkt des EWS ist eine europäische Währungseinheit (ECU)." Die ECU — der Name ist die Abkürzung für European Currency Unit und deckt sich mit der Bezeichnung einer französischen Silbermünze des Mittelalters — ist eine neu geschaffene künstliche Währung. Ihr Wert bemißt sich nach einem Währungskorb, in dem die Währungen der EG-Mitgliedsländer gewichtet vertreten sind. Wert und Zusammensetzung des Korbes werden zu Beginn von einer bereits bestehenden Europäischen Rechnungseinheit (ERE) übernommen. Der Anteil der einzelnen Währungen an dem Korb bemißt sich vor allem nach dem Anteil der Mitgliedsländer am Bruttosozialprodukt der EG und dem innergemeinschaftlichen Handel. Z. B. ist der Anteil der DM am Währungskorb mit 27, 3 °/0 am höchsten, es folgt der französische Franc mit 19, 5%. Aus diesen Prozentwerten errechnete sich am Bezugstag — 28. 6. 1974 — eine Korbzusammensetzung von DM 0, 828, FF 1, 15 usw. An dieser Zusammensetzung des Korbes ist festgehalten worden, obwohl wegen der Aufwertung der DM und der Abwertung anderer Währungen DM 0, 828 heute einen erheblich höheren Anteil als 27, 3 % repräsentieren. Der Wert des Währungskorbes und damit der ECU in nationaler Währung ändert sich mit den täglichen Kursverschiebungen und kann an-hand der einzelnen Währungsbeträge im Korb jederzeit errechnet werden. 1 ECU entspricht zur Zeit rd. DM 2, 50. Die Gewichte der nationalen Währungen innerhalb des ECU-Währungskorbes sollen im Laufe von sechs Monaten nach Inkrafttreten des EWS und danach spätestens alle fünf Jahre überprüft werden.
Die Verwendung der ECU ist vorerst auf die Währungsbehörden der am EWS teilnehmenden Länder beschränkt. Die ECU soll als Bezugspunkt für die Festlegung der Wechselkurse und als Indikator für Wechselkursabweichungen dienen. Interventionen am Devisenmarkt und Kredite im Rahmen des EWS sollen in ECU abgerechnet, und auch der Saldenausgleich zwischen den Währungsbehörden der Mitgliedsländer soll in ECU vorgenommen werden. Nicht diese vorerst bescheidenen Funktionen aber sind es, die die Phantasie beflügeln, sondern es ist das in der ECU steckende Entwicklungspotential. Die ECU könnte durch Übernahme weiterer Funktionen und Förderung auch des privaten Gebrauchs — z. B. Anleihen in ECU — im Laufe der Zeit zu einer europäischen Parallelwährung neben den nationalen Währungen ausgebaut werden, um auf diesem experimentellen Wege die europäische Währungseinheit vorzubereiten Dabei handelt es sich aber vorerst um Zukunftsspekulationen. Ihre Verwirklichung setzt eine erhebliche Weiterentwicklung des EWS und diese wiederum praktische Erfolge voraus. Dies gilt auch für die Hoffnung, die ECU werde sich zu einer internationalen Reservewährung entwickeln.
Guthaben in ECU sollen grundsätzlich auf zwei Wegen geschaffen werden. Während der Anlaufphase ist allerdings nur der folgende Weg vorgesehen: Die beteiligten Zentralbanken hinterlegen 20 Prozent ihrer Goldund Dollarreserven beim bereits bestehenden Europäischen Fonds für währungspolitische Zusammenarbeit (EFWZ) und erhalten dafür eine Gutschrift in ECU. Der Eigentumstitel an den ieponierten Gold-und Dollarreserven ver-
oleibt vorerst bei den Zentralbanken. Erst in der Endphase des EWS ist eine echte, d. h. juch rechtlich abgesicherte Zusammenlegung von mindestens 20 Prozent der nationalen Währungsreserven bei dem neuen Europäischen Währungsfonds (EWF) — er tritt an die Stelle des EFWZ — vorgesehen. Auf diesem Wege geschaffene ECU würden offensichtlich nicht zu einer Vermehrung von Währungsreserven führen, sondern nur zu einer Änderung der Form.
Für die Endphase des EWS ist allerdings auch vorgesehen, daß der EWF gegen Hinterlegung der nationalen Währung ECU zur Verfügung stellen darf. Mit einem solchen Verfahren ist — ähnlich wie bei den Ziehungsrechten des Internationalen Währungsfonds (IWF) — eine Neuschaffung von Währungsreserven verbunden. Die Deutsche Bundesbank z. B. erhielte gegen die nationale DM — die sie über die Notenpresse beliebig herstellen könnte — ein international verwendbares Zahlungsmittel. Wirtschaftlich betrachtet handelt es sich um einen der Deutschen Bundesbank eingeräumten Kredit Es dürfte daher einleuchten, daß für so geschaffene ECU hinsichtlich Höhe, Bedingungen usw. klare Regelungen getroffen werden müssen, um Mißbrauch auszuschließen. Anscheinend ist an eine IWF-ähnliche Regelung gedacht, wie die bisher einzige grobe Festlegung auf der Bremer Ratstagung verdeutlicht: „Die Verwendung von durch Hinterlegung von Währungen der Mitgliedsländer geschaffenen EWE [= ECU — der Verf. ] wird Bedingungen unterliegen, die je nach dem Betrag und der Fälligkeit variieren." In der Anlaufphase des EWS sollen statt der Ausgabe von ECU gegen nationale Währung in ECU abgerechnete Kredite gewährt werden, was unter dem ökonomischen Aspekt keinen Unterschied macht.
2. Wechselkurs-und Interventionsmechanismus Das Ziel einer europäischen Stabilitätszone soll dadurch erreicht werden, daß die Teilnehmer am EWS untereinander relativ feste Wechselkurse vereinbaren, während der Kurs gegenüber dritten Währungen flexibel bleibt Grundsätzlich gilt, je enger der Wechselkursverbund, desto größer die Notwendigkeit einer wirtschaftspolitischen Harmonisierung und desto schneller bei Wechselkursabweichungen die Verpflichtung, durch Interventionen am Devisenmarkt den Verbund aufrechtzuerhalten. Die gefundene Regelung ist ein Kompromiß, der sich in den Grundzügen am Modell der Schlange orientiert, in wichtigen Einzelbestimmungen aber auch neue Wege geht. Die Festlegung der Wechselkurse steht unter dem Vorbehalt, daß grundsätzlich auch in Zukunft Wechselkursänderungen möglich bleiben, wie sie auch in der Schlange mehrfach vorgekommen sind. Die zulässige Bandbreite der Wechselkurse wird mit ± 2, 25 Prozent vom festgelegten Leitkurs wie in der Schlange fixiert. Als Ubergangslösung ist für die Länder, die sich durch die Regelbandbreite noch für überfordert halten, eine größere Bandbreite von bis zu ± 6 Prozent vorgesehen. Insbesondere Italien hat diesen erheblich größeren Spielraum für notwendig gehalten und in den Verhandlungen durchgesetzt Werden die Bandbreiten überschritten, sind die Währungsbehörden zu Interventionen am Devisenmarkt verpflichtet, und zwar in Gemeinschaftswährungen. Die Ausgestaltung dieser Interventionspflicht war einer der kon-schußländern, d. h. zwischen Ländern mit schwachen und harten Währungen verlief. Der Interessenkonflikt ist aus den Zeiten des Bretton-Woods-Systems nur allzu bekannt. Hartwährungsländer mit niedrigen Preissteigerungsraten befürchten, daß eine ihnen auferlegte einseitige Interventionsverpflichtung zu einer „importierten Inflation" führen werde. Muß die Bundesbank z. B. ständig fremde Währungen gegen DM kaufen, um den Wechselkurs innerhalb der Bandbreite zu halten, so erhöht sie die umlaufende DM-Menge und schafft damit ein Inflationspotential. So kann es nicht überraschen, daß insbesondere die Bundesrepublik, und hier wiederum vor allem die Bundesbank, in den Verhandlungen über den Interventionsmechanismus das Augenmerk vor allem auf die Inflationsgefahr richtete. Trotz grundsätzlicher Übereinstimmung, daß die Inflation ein zu bekämpfendes Übel sei, lag für den britischen Schatzkanzler Healey als Vertreter einer schwachen Währung der Akzent dagegen deutlich auf der Deflationsgefahr: „Wir gehen von der festen Über-zeugung aus, daß ein Europäisches Währungssystem keinerlei eingebaute deflationäre Tendenzen haben darf und daß aus diesem Grunde die wirtschaftlichen und finanziellen Verpflichtungen, die es beinhaltet, die stärkeren Länder nicht minder als die schwächeren treffen müssen, denn sonst wird größere Wechselkursstabilität nur dadurch erreicht, daß sich die schwächeren Länder unnötigerweise zu deflationären Politiken gezwungen sehen und dadurch das Wachstum innerhalb der Gemeinschaft, ja in der ganzen übrigen Welt, beeinträchtigt wird." Die zur Harmonisierung der interessenbedingt unterschiedlichen Akzentuierungen häufig angebotene Zauberformel lautet „symmetrische Verpflichtungen". Der Nachteil ist nur, daß das Verständnis von Symmetrie wiederum unterschiedlich ist.
Die unterschiedlichen Interessen manifestierten sich in zwei unterschiedlichen Vorschlägen für die Wechselkursfixierung — „Paritätengitter" und „Korblösung" hießen die Alternativen. Beim Paritätengitter werden die nationalen Wechselkurse am Tage X in ECU festgeschrieben. Daraus ergeben sich die Leitkurse zwischen allen beteiligten Währungen, z. B. DM-FF, DM-Lire usw. Weicht nun am Devisenmarkt der Wechselkurs zwischen z. B. pflichtet, mit Käufen bzw. Verkäufen ihrer Währungen zu intervenieren.
Bei der Korblösung wird der Wechselkurs dagegen in Relation zum ECU-Währungskorb bestimmt, dessen Wert sich mit den Kursveränderungen bewegt. Der bewegliche Bezugspunkt kann dazu führen, daß z. B. die DM die obere Grenze ihrer Bandbreite erreicht und damit Interventionen auslöst, ohne daß eine andere schwächere Währung gleichzeitig an die untere Grenze gelangt. Die Korblösung bedeutet im Kern, daß die durchschnittliche Kursentwicklung zum Maßstab wird, und damit erhöht sich für Länder mit besonders niedrigen Preissteigerungsraten wie die Bundesrepublik die Gefahr stabilitätswidriger Interventionsverpflichtungen. Die Deutsche Bundesbank hat als eine Bedingung für das EWS daher auch gefordert, daß es kein einseitiges Interventionssystem zu Lasten starker Währungen geben dürfe 30).
Der gefundene Kompromiß enthält als Basis die Festlegung der Wechselkurse in Form des Paritätengitters. Zusätzlich wird aber ein Frühwarnsystem installiert, das sich an der Korblösung orientiert. Zeigt ein anhand des Korbes berechneter „Abweichungsindikator" an, daß eine Währung mehr als 75 Prozent ihrer zulässigen Abweichungsspanne überschreitet, „so besteht eine Vermutung, daß die betreffenden Behörden diese Situation durch angemessene Maßnahmen korrigieren werden, und zwar durch a) diversifizierte Interventionen b) interne währungspolitische Maßnahmen c) Änderungen der Leitkurse d) andere wirtschaftspolitische Maßnahmen. Falls solche Maßnahmen aufgrund von besonderen Umständen nicht getroffen werden, so sollen den anderen Behörden die Gründe hierfür insbesondere im Rahmen der . Konzertierung zwischen den Zentralbanken'mitgeteilt werden. Erforderlichenfalls finden dann Konsultationen in den entsprechenden Gemeinschaftsgremien, einschließlich Ministerrat, statt."
Zeigt der Abweichungsindikator z. B. für die DM an, daß die kritische Schwelle überschritten ist, geraten Bundesregierung und Bundes-» bank in Reaktionszwang. Insbesondere die Bundesbank hat sich bei den Verhandlungen strikt geweigert, eine automatische Interventionspflicht zu akzeptieren Der Kompromiß enthält daher nur eine Handlungsvermutung, wobei eine Reihe von Handlungsfeldern angeboten wird. Wird der Handlungsvermutung nicht entsprochen, wären in unserem Fall die deutschen Akteure unter Rechtfertigungszwang, zuerst im Kreis der Notenbanken und gegebenenfalls bis auf die Ebene des EG-Ministerrats.
Mit dieser Regelung ist offenbar versucht worden, eine Handlungsautomatik zu vermeiden, dem „Abweichler" aber die Beweislast bei einer etwaigen Handlungsverweigerung aufzubürden um damit zumindest ein psychisches Druckmittel zu erhalten Bei der Beantwortung der Frage, wer zum Handeln verpflichtet ist, wäre auch die folgende Zielbestimmung zu berücksichtigen: „Wir sind entschlossen, den dauerhaften Erfolg des EWS durch eine auf größere innere und äußere Stabilität gerichtete Politik sowohl für Defizit-als auch für Überschußländer zu gewährleisten." Uber den Stellenwert des Frühwarnsystems gibt es bereits Meinungsverschiedenheiten, wobei auf seifen der deutschen Regierung die Tendenz besteht, ihn niedrig anzusetzen Ob es sich hier um einen verdeckten Konflikt handelt, wird die Praxis zeigen. Vorgesehen ist jedenfalls, daß die Bestimmungen nach sechs Monaten „im Lichte der Erfahrungen überprüft werden"
Eine Art Notbremse bei zu stark abweichender Wirtschaftsund Währungsentwicklung ist die in dem obigen Maßnahmenkatalog auch ausdrücklich genannte Möglichkeit der Paritätsänderung. „Anpassungen der Leitkurse werden im gegenseitigen Einvernehmen vorgenommen, und zwar nach einem gemeinsamen Verfahren, in das alle am Wechselkursmechanismus beteiligten Länder sowie die Kommission einbezogen sind." Das geforderte gegenseitige Einvernehmen hat zu Befürchtungen geführt, der Griff zur Notbremse könne gegebenenfalls blockiert werden. Diese Befüchtungen sind in der Bundesrepublik insbesondere von der Bundestagsopposition hervorgehoben worden, die sich auch auf Zusagen der Regierung berufen hat: „Die CDU/CSU hält die Bundesregierung ausdrücklich an ihrer Zusage fest, die sie der Deutschen Bundesbank gegeben hat, und auch an der Zusage, die der Herr Bundesfinanzminister Matthöfer in der letzten Woche im Finanzausschuß gegeben hat, daß äußerstenfalls auch ohne dieses Einvernehmen eine Wechselkursanpassung erfolgen muß." Ein solcher Schritt wäre ein Bruch der EWS-Vereinbarung und damit ein Ausbruch aus dem System.
Größer noch als die Gefahr, daß ein Land an einer gewünschten Paritätsänderung gehindert wird, dürfte die Gefahr einzuschätzen sein, daß notwendige Paritätsänderungen nicht oder erst zu spät und unter dem Druck einer Krise vorgenommen werden. Die Skepsis in diesem Punkt wird offenbar auch von Bundesbankpräsident Emminger geteilt: „Es hat sich schon in der Mini-, Schlange'manchmal als schwierig erwiesen, Wechselkurs-Korrekturen rechtzeitig und ausreichend vorzunehmen Wie wird dies nach dem Beitritt von mehreren . schwergewichtigen'Währungen sein, bei denen Prestige-Gesichtspunkte und politische Hemmungen möglicherweise eine noch viel stärkere Rolle spielen werden?" 3. Währungskredite und Europäischer Währungsfonds
Bei festen Wechselkursen muß die Einhaltung der Bandbreiten gegebenenfalls durch Interventionen am Devisenmarkt gesichert werden.
Nähert sich eine Währung dem unteren Grenzpunkt, müssen die betreffenden Währungsbehörden eigene Währung aufkaufen, um den Kurs innerhalb der Bandbreite zu hal-ten.
Dazu benötigen sie Währungsreserven oder Währungskredite. Je höher die Währungsreserven, desto größer die Fähigkeit, einen eventuellen Druck auf die eigene Währung auszuhalten und notwendige wirtschafts-. und währungspolitische Anpassungsmaßnahmen in Ruhe und ohne übermäßige Härten durchzuführen. Ein starkes Polster an Währungsreserven ist aber auch eine Versuchung, die notwendigen Maßnahmen zu unterlassen oder zu lange aufzuschieben. Die „richtige"
Höhe der Währungsreserven ist daher schwer zu bestimmen. Wie bereits erwähnt, ist für die Endphase des EWS vorgesehen, zusätzliche Währungsreserven dadurch zu schaffen, daß in einer Größenordnung von 20 Prozent der nationalen Währungsreserven ECU gegen die Hinterlegung eigener Währung verfügbar gemacht werden. Für die Anlaufphase wurden statt dessen entsprechende Währungskredite vorgesehen.
Bei den Verhandlungen zeigte sich wiederum der Interessengegensatz zwischen Ländern mit starken und schwachen Währungen, wahrscheinlichen Gläubigern und Schuldnern, und zwar insbesondere hinsichtlich Höhe und Konditionen der Kredite. Im Ergebnis hat man sich an den bereits bestehenden Kreditmöglichkeiten orientiert, diese aber erheblich aufgestockt und die Bedingungen verbessert.
Wie schon bisher in der Schlange gibt es für die Teilnehmer am EWS eine sehr kurzfristige Fazilität in unbegrenzter Höhe, d. h., befindet sich eine Währung unter Druck, kann die betreffende Notenbank für Interventionen unbegrenzt auf die Währungen der Partnerländer zurückgreifen. Der Ausgleich der dabei entstehenden Salden ist 45 Tage nach Ende des Monats der Intervention, d. h. durchschnittlich nach 60 Tagen, fällig
Tage nach Ende des Monats der Intervention, d. h. durchschnittlich nach 60 Tagen, fällig 43).
Der kurzfristige Währungsbeistand ist auf 14 Mrd. ECU (= 35 Mrd. DM) angehoben worden.
Er hat eine Laufzeit von drei Monaten und kann zweimal 44) verlängert werden. Träger des sehr kurzfristigen und kurzfristigen Währungsbeistandes sind die Zentralbanken über den EFWZ.
Der mittelfristige finanzielle Beistand, der grundsätzlich konditional, d. h. mit wirtschaftspolitischen Auflagen für den Kreditnehmer versehen ist, hat nunmehr ein Volumen von 11 Mrd. ECU (= 27, 5 Mrd. DM). Die Laufzeit beträgt zwei bis fünf Jahre. Entscheidungen trifft der EG-Ministerrat. Kurz-und mittelfristiger Beistand zusammen sind mehr als verdoppelt worden und erreichen ein Volumen von 25 Mrd. ECU (= 62, 5 Mrd. DM), was etwa 20 Prozent der Währungsreserven der EG-Mitgliedsländer entspricht. Die einzelnen Länder haben entsprechend ihrem ökonomischen Gewicht Quoten, die die Höhe der Kreditaufnahme bzw.den Beitrag zur Finanzierung regeln.
In der Endphase des EWS sollen die bestehenden Kreditmechanismen zu einem einzigen Fonds zusammengefaßt werden. In der Bremer Skizze ist für diese Endphase die Konsolidierung der bestehenden Vereinbarungen und Einrichtungen im EWF vorgesehen, der damit die Nachfolge des EFWZ antreten würde. Der EWF soll durch einen ratifikationsbedürftigen Vertrag errichtet werden. Dabei dürften hinsichtlich Aufgaben und institutionellem Aufbau noch schwierige Probleme zu lösen sein. Bisher scheint eher an bescheidene Zuständigkeiten für den Saldenausgleich und die Währungskredite gedacht zu werden. Je mehr der EWF als Kern eines europäischen Zentralbanksystems ausgebaut würde, desto gravierender wären die Fragen nach der Besetzung und dem Entscheidungsmodus, zumal das Verhältnis Regierung-Zentralbank in den einzelnen EG-Ländern sehr unterschiedlich geregelt ist. Im existierenden EFWZ entscheiden die Zentralbankpräsidenten nach dem Einstimmigkeitsprinzip und „im Rahmen der allgemeinen wirtschaftspolitischen Leitlinien, die der Rat auf Grund des Vertrages beschließt, und entsprechend den Richtlinien, die er einstimmig auf Vorschlag der Kommission erlassen kann" 45).
IV. Ressourcentransfer als flankierende Maßnahme
Ein zentraler Punkt der Verhandlungen über das EWS war eine Finanzhilfe für die — so die diplomatische Wortschöpfung — „weniger wohlhabenden Mitgliedstaaten". Anders als bei den Währungskrediten im engeren Sinn ist die Beziehung zwischen Ressourcentransfer und Währungssystem nicht so eindeutig. Eine ablehnende Position bezieht Bundesbankvizepräsident Pöhl: „Für die Funktionsfähigkeit des EWS ist eine Subventionierung wirtschaftlich schwächerer Länder keineswegs erforderlich. Nach meiner Auffassung haben die beiden in der Diskussion verknüpften Fragen, nämlich Schaffung eines neuen Währungssystems und Ressourcentransfer, nur sehr wenig miteinander zu tun." Auch wenn ein Ressourcentransfer schwerlich als notwendige Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit des EWS angesehen werden kann, ist andererseits zu berücksichtigen, daß eine konsequente Stabilitätspolitik sich regional unterschiedlich auswirkt und die Probleme in den wirtschaftlich ohnehin schwachen Regionen verschärfen kann.
So nimmt es nicht wunder, daß die EG-Mitgliedsländer mit geringerer durchschnittlicher Wirtschaftskraft und besonderen regionalen Problemen, insbesondere Irland, Großbritannien und Italien, darauf bestanden ha-ben, flankierende Maßnahmen zur Milderung der regionalen Unterschiede in die Verhandlungen über das EWS einzubeziehen. Diese Forderung wurde teilweise erfüllt, indem parallel zu den Verhandlungen über die Währungsfragen auch das Problem des Ressourcentransfers aufgegriffen und auf der Dezembertagung des Europäischen Rates in die Entscheidung über das EWS einbezogen wurde
Der Versuch, die EWS-Verhandlungen zum Aufhänger für eine allgemeine Diskussion der Verteilungswirkungen der EG-Regelungen, vor allem des EG-Haushalts, zu machen, lag nahe, zumal der bestehende Ressourcentrans-fer zur Kritik geradezu einlädt Dennoch besteht mit einer solchen Koppelung von Währungs-und allgemeiner Verteilungsfrage die Gefahr einer Überlastung der Währungsverhandlungen, eine Situation, die in der Vergangenheit in ähnlicher Weise auf der internationalen Ebene — Währungssystem und Entwicklungshilfe — zu beobachten war
Als Formen eines flankierenden Ressourcentransfers kamen eine Mittelaufstockung für bereits existierende EG-Programme, z. B. im Rahmen des Regionalfonds oder der Europäischen Investitionsbank, ein neues Sonderprogramm oder ein direkter Finanzausgleich mit freier Verfügung der Mittel für die Empfänger in Frage. Die letztgenannte Möglichkeit ist — wiederum eine Parallele zur internationalen Entwicklungshilfe — nicht ernsthaft erwogen worden.
Der beschlossene Kompromiß sieht vor, daß die „weniger wohlhabenden Mitgliedstaaten", sofern sie „tatsächlich und uneingeschränkt an dem Wechselkurs-und Interventionsmechanismus teilnehmen" für einen Zeitraum von fünf Jahren zusätzliche Darlehen bis zu 1 Mrd. ERE mit • einer Zinsverbilligung von 3 °/o erhalten. „Die so bereitgestellten Mittel sind auf die Finanzierung von ausgewählten Infrastrukturvorhaben und -Programmen zu konzentrieren, wobei jegliche direkte oder indirekte Verzerrung der Wettbewerbsstellung spezifischer Industrien innerhalb der Mitgliedstaaten vermieden werden muß." „Die Gesamtkosten für diese Maßnahme, die über einen Zeitraum von fünf Jahren in Jahrestranchen von jeweils 200 Mill. ERE aufgeteilt werden, dürfen 1 Milliarde ERE nicht übersteigen."
Damit wurden die weit höheren Erwartungen Italiens und Irlands, die ihren Beitritt zum EWS in starkem Maße an eine befriedigende Regelung des Ressourcentransfers geknüpft hatten, quantitativ und qualitativ enttäuscht und der Beitritt beider Länder zeitweilig in Frage gestellt. Zu den hohen Erwartungen dürfte wiederum beigetragen haben, daß der französische Staatspräsident und der deutsche Bundeskanzler als Initiatoren ihr ganzes Prestige zugunsten des EWS eingesetzt hatten und daher kalkuliert wurde, sie wären zu größeren finanziellen Opfern als Preis für eine möglichst umfassende Teilnahme der EG-Länder bereit. Diese Kalkulation erwies sich im Hinblick auf den französischen Staatspräsidenten als Fehlspekulation. Nach übereinstimmenden Presseberichten war es Giscard d'Estaing, der auf der Dezembersitzung des Europäischen Rates sowohl die bescheidene Höhe des flankierenden Ressourcentransfers als auch hinsichtlich der Form den Verzicht auf eine Aufstockung des Regionalfonds durchsetzte Bundeskanzler Schmidt hat demgegenüber vor dem Bundestag ausdrücklich die weitergehende deutsche Opferbereitschaft be-tont: „Die Bundesrepublik Deutschland war zu größeren Leistungen bereit, auch innerhalb des Regionalfonds. Wir sind für eine Ausweitung des Regionalfonds eingetreten."
Die Diskussion um die gewichtige Frage des Ressourcentransfers steht erst am Anfang. Die flankierenden Maßnahmen im Rahmen des EWS sollen nach Ablauf der Startphase überprüft werden. Darüber hinaus gaben die EWS-Verhandlungen den Anstoß für den Auftrag an die EG-Kommission, „die Beziehung zwischen einer größeren Konvergenz der wirtschaftlichen Leistung der Mitgliedstaaten und dem Einsatz von Gemeinschaftsinstrumenten, insbesondere den Geldern zum Abbau der strukturbedingten Ungleichgewichte" zu untersuchen.
V. Mitgliederkreis und Außenbeziehungen
Ein wichtiges Motiv für das EWS war die Erkenntnis einer zunehmenden Auseinanderentwicklung in der EG und daraus resultierend der Versuch eines integrationspolitischen Impulses, zumal mit der anstehenden Aufnahme neuer Mitglieder in die EG (Griechenland, Spanien, Portugal) eine noch größere wirtschaftliche Heterogenität zu erwarten ist. Unter dem Gesichtspunkt der EG-Einheit war die Beteiligung möglichst aller EG-Mitglieder am EWS ein wichtiges Erfolgskriterium. Dem möglichen stärkeren politischen Impuls stand aber ein größeres ökonomisches Stabilitätsrisiko gegenüber
Nachdem Italien und Irland trotz Unzufriedenheit mit dem flankierenden Ressourcentransfer den ausgehandelten Kompromiß nach einigern Schwanken akzeptierten, war es schließlich allein Großbritannien, das eine Vollmitgliedschaft im EWS, u. a. mit dem Hinweis auf zu große Schlangenähnlichkeit vorerst ablehnte. Die britische Regierung hat eine Übernahme der Wechselkurs-und Interventionsverpflichtungen verweigert, andererseits aber in den Verhandlungen versucht, die britische Beteiligung an anderen Momenten des EWS und den Einfluß auf die Entwicklung des EWS möglichst zu erhalten. Die britische Verhandlungsdevise: möglichst wenig Verpflichtungen, aber viel Rechte, hat wenig Gegenliebe gefunden, im Ergebnis aber zu einem komplizierten Status der Teilmitgliedschaft geführt. Bei wichtigen Beschlüssen zur Wechselkurs-politik sind im Gemeinschaftsrahmen gegenseitige Konsultationen zwischen den Teilnehmern und den Nichtteilnehmern an den Wechselkursvereinbarungen vorgesehen Großbritannien hat freie Wahl und sich bisher nicht entschieden, ob es 20 °/o seiner Währungsreserven hinterlegen und dafür ECU erhalten will. An der Erhöhung der mittelfristigen Kredite partizipieren die Briten, nicht dagegen an der Anhebung der kurzfristigen Kredite. Auch vom flankierenden Ressourcentransfer ist Großbritannien ausgeschlossen.
Die EWS-Vereinbarung greift partiell über die EG-Länder hinaus: „Europäische Länder mit besonders engen wirtschaftlichen und finanziellen Bindungen zu den Europäischen Gemeinschaften können sich an dem Wechselkurs-und Interventionsmechanismus beteiligen. Eine derartige Beteiligung muß auf der Grundlage von Vereinbarungen zwischen den Zentralbanken erfolgen; diese Vereinbarungen sind dem Rat und der Kommission der EG mitzuteilen." Grundsätzlich gilt, je mehr das EWS als Motor für die politische Integration der EG konzipiert wird, desto unattraktiver ist eine Mitgliedschaft für nicht der EG angehörende Länder, und umgekehrt, je mehr der Charakter einer rein währungspolitischen Zweckgemeinschaft betont wird, um so begrenzter dürften die integrationspolitischen Impulse ausfallen. Das EWS ist in stärkerem Maße als die Schlange auf die EG-Integration orientiert. Diese Einschätzung hat z. B. in dem Schlangenmitgliedsland Norwegen dazu geführt, daß die Gegner eines EG-Beitritts sich vehement gegen eine Assoziierung Norwegens an das EWS gewandt haben, mit dem Argument, diese führe zu einem EG-Beitritt „durch die Hintertür" Norwegen und Schweden haben die angebotene Teilmitgliedschaft vorerst abgelehnt, während zwei weitere mögliche Interessenten, Osterreich und die Schweiz, sich noch nicht abschließend geäußert haben.
Schweizer Äußerungen machen aber das grundsätzliche Dilemma deutlich. Einerseits wird befürchtet, daß Entwicklungen wie die Erweiterung der EG und das EWS den Neutralen und Nichtmitgliedern der EG faktisch einen Satellitenstatus zuweisen, sie von Entscheidungsprozessen ausschließen, die sich existentiell auf sie auswirken Andererseits wirkt der Neutralitätsstatus als Hindernis für enge Bindungen. Wenig Neutralitätsbedenken läßt dagegen die Äußerung des österreichischen Finanzministers Androsch erkennen, Österreich solle „aus politischen und integrationspolitischen Gründen nicht außerhalb des Systems bleiben" Maßgebliche österreichische Sprecher haben aber die bis-her angebotene Teilmitgliedschaft als diskriminierend abgelehnt, da sie nur mit Pflichten — Beteiligung am Wechselkursund Interventionsmechanismus — nicht dagegen mit Rechten — z. B. kurzund mittelfristige Kreditfazilitäten — verbunden sei
Obwohl insbesondere auf deutscher Seite Ent täuschung über die USA ein Motiv für das EWS war hat der britische Premierminister Callaghan mehrfach gefordert, das EWS so anzulegen, daß es den späteren Beitritt auch der USA erlaube Dieser Gedanke ist auf dem Hintergrund der britischen Zielvorstellung zu sehen, wonach das EWS als erster Schritt zu einer neuen internationalen Währungsordnung, weniger dagegen als Instrument zugunsten einer vollen Wirtschafts-und Währungsunion der EG anzusehen sei
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Andere Überlegungen zielen auf ein ausgehandeltes Floating zwischen dem europäischen Währungsverbund und dem US-Dollar wobei die in den amerikanischen Währungsmaßnahmen vom November 1978 signalisierte Bereitschaft der USA, größere Verantwortung für die Kursentwicklung des Dollar zu übernehmen, das allgemei-ne Klima deutlich verbessert hat In der Brüsseler Entschließung heißt es nur: „Die Dauerhaftigkeit des EWS und seine internationalen Auswirkungen erfordern eine Koordinierung der Wechselkurspolitik gegenüber Drittländern und soweit möglich eine Konzertierung mit den Währungsbehörden dieser Länder." Damit ist die Frage nach dem Stellenwert des EWS für das internationale Währungssystem aufgeworfen, wobei vor al-lem das Verhältnis zum US-Dollar und dem IWF interessiert.
Eine mit dem EWS verbundene Perspektive ist die Entwicklung der ECU zu einer internationalen Reservewährung neben dem US-Dollar. Einzelne nationale europäische Währungen sind durch eine solche Funktion überfordert. Dies gilt auch für die DM, die sich dennoch zu einer „Reservewährung wider Willen" entwik-kelt hat, in der etwa 8% der Währungsreserven von ausländischen Währungsbehörden gehalten werden Die USA haben mehrfach erklärt, daß sie gegen eine Reduzierung der Reservewährungsrolle des Dollar und die allmähliche Übernahme einer Reservewährungsfunktion durch die ECU grundsätzlich keine Einwände hätten Abgesehen davon, daß eine solche Entwicklung nur beschränkt plan-bar ist, wäre damit aber eine Reihe ungelöster Probleme verbunden. So ist der Stellenwert der Reservewährungen für eine zukünftige internationale Währungsordnung offen, insbesondere das Verhältnis zu den SZR Eine Konkurrenz zwischen den Reservewährungen Dollar und ECU könnte zudem die Unsicherheit im System verstärken, wenn die Währungsbehörden dritter Länder z. B. abrupt und mehrfach von einer Reservewährung in eine andere umsteigen würden
Die USA haben nach einigem Zögern gegenüber dem EWS die Position einer qualifizierten Unterstützung eingenommen. Sie haben als positiv bewertetes Grundziel des EWS die politische und ökonomische Integration hervorgehoben und einschränkend vor allem die Bedingung genannt, daß die Rolle des IWF nicht beeinträchtigt werden dürfe Befürchtungen hinsichtlich möglicher negativer Auswirkungen auf den IWF beziehen sich vor allem auf die SZR, die allgemeine Überwachungsfunktion des IWF einschließlich der Aufsicht über die Wechselkursentwicklung und die IWF-Kredite
Da der angestrebte EWF Elemente eines regionalen IWF enthalten, wenn auch darüber hinausgehen würde, sind Bedenken wegen möglicher Friktionen keineswegs abwegig. Wären z. B. die Konditionen und wirtschaftspolitischen Auflagen für Kredite im Rahmen des EWS sehr viel günstiger als beim IWF, dürften EWS-Mitglieder schwerlich auf Kredite des IWF zurückgreifen und diesem wäre ein wichtiges Einflußinstrument genommen Wenn die Friktionsgefahr im Verhältnis von globaler und regionaler Währungsorganisation auch nicht geleugnet werden kann, muß andererseits betont werden, daß ein föderalistisch abgestuftes internationales Währungssystem die Chance eröffnet, die unterschiedliche Integrationsbereitschaft auf globaler und re-gionaler Ebene besser zu nutzen. Bei sinnvoller Koordinierung kann der vorgesehene EWF den IWF regional entlasten und das EWS die Funktionsfähigkeit des internationalen Währungssystems stärken. Die Auswirkungen des EWS auf das internationale Währungssystem und den IWF hängen aber von der konkreten Entwicklung ab und lassen sich nicht abstrakt prognostizieren. In der Entschließung über das EWS wird das Problem überspielt, indem schlicht festgestellt wird: „Das EWS ist und bleibt uneingeschränkt mit den betreffenden Vorschriften des IWF-Abkommens vereinbar."
VI. Die Diskussionen um das EWS in der Bundesrepublik Deutschland
Das Spektrum der Kritik gegenüber dem EWS war breit, wobei unter dem Länderaspekt die heftigste und in der Stoßrichtung gegensätzlichste Kritik in Großbritannien und in der Bundesrepublik Deutschland geäußert wurde. In Großbritannien wurde das EWS teilweise als Versuch der Bundesrepublik interpretiert, ihre europäischen Wirtschaftskonkurrenten lahmzulegen und als Folge betont, „daß wir wirtschaftlich ein Satellit einer zentralisierten Europäischen Gemeinschaft werden"
In der Bundesrepublik Deutschland entzündete sich die Kritik dagegen an dem anvisierten Einbringen eines Teils der Währungsreserven, in einer Zeitung poetisch als „Rheingold auf der Opferschale" beklagt vor allem aber an der Befürchtung einer stärkeren Geldentwertung. So warf der CSU-Vorsitzende Strauß Bundeskanzler Schmidt z. B. einen „europäischen Husarenritt zu Lasten der deutschen Sparer" vor. Methodisch kritisierten Sprecher der Bundestagsopposition vor allem den selbstgesetzten Zeit-und Prestigedruck, der zu einer Erpreßbarkeit des Bundeskanzlers führe Die von Schmidt und Giscard d’Estaing praktizierte Gipfeldiplomatie, das Arbeiten mit persönlichen Beauftragten unter Umgehendes normalen Apparates in der ersten Phase sollte vermutlich verhindern, daß der Schwung der politischen Initiative unter dem Gewicht routinierter Bedenken erlahmte. Wie die Vieldeutigkeit der Bremer Leitlinien und die daran anschließenden Verhandlungen zeigten, kam es aber nicht ohne Grund zu einem „Kartell der Bedenkenträger"
Eine Schlüsselrolle fiel der als „Hüter der Währungsstabilität" angesehenen und institutionell mit weitgehender Unabhängigkeit ausgestatteten Deutschen Bundesbank zu. Ihre funktionale und institutionelle Rolle wurde durch das EWS existentiell betroffen. Im Zusammenhang mit der Gefahr eines vom EWS ausgehenden stärkeren Inflationstrends in der Bundesrepublik wurde von Kritikern eine Unterminierung der Stellung der Deutschen Bundesbank angeprangert ein Vorwurf, der sich zu einem zentralen Diskussionspunkt ent-wickelte. Die Phalanx der Vorwärtsverteidiger der Bundesbankstellung gegen mögliche Gefährdungen war beeindruckend. Sie umfaßte Parteien — vor allem die CDU/CSU aber auch die FDP —, wissenschaftliche Gremien, insbesondere den Sachverständigenrat, und den wissenschaftlichen Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium sowie große Wirtschaftsverbände
Die Bundesbank war sich des Gewichtes ihrer Stellungnahme zum EWS wohl bewußt. Sie hat sich von ihren zu Beginn offensichtlich starken Bedenken nicht zu einer Ablehnung verleiten lassen, sondern im Verhandlungsprozeß versucht, die Risiken zu mindern. Obwohl auch innerhalb der Bundesbank unterschiedliche Akzentuierungen erkennbar waren hat der Zentralbankrat einstimmig ein Positionspapier verabschiedet Man kann wohl davon ausgehen, daß die darin fixierten wichtigsten Forderungen den Charakter von Bedingungen hatten und die deutsehe Verhandlungsposition in hohem Maße bestimmt haben Vor dem Bundestag hat Bundeskanzler Schmidt betont: „Die Bundesbank hat ihre Verantwortung voll ausgeschöpft. Wir haben das begrüßt." Die Vermutung liegt nahe, daß die Bundesregierung die Unabhängigkeit der Bundesbank und deren Bedenken in den Verhandlungen mit den EG-Partnern taktisch genutzt hat. Dabei ist es zweifellos auch gelungen, die Stabilitätsrisiken zu mindern, was u. a. die Bundestagsopposition zu einer deutlichen Kurskorrektur in Richtung bedingter Zustimmung veranlaßt hat Die schwierige Güterabwägung wird auch in der Stellungnahme von Bundesbankpräsident Emminger deutlich, der mehrmals den Stabilitätswillen der Regierungen als „Geschäftsgrundlage" des EWS herausgestellt hat „... wir sollten gerade von unserer Seite aus das Risiko einschließlich des Stabilitätsrisikos nicht verkleinern. Aber man muß auch anerkennen, daß dieses geplante Währungsunternehmen heute ein so wichtiges europapolitisches Ziel ansteuert, daß man gewisse Risiken auf sich nehmen muß. Die Bundesbank wird aber dafür sorgen, daß das Stabilitätsrisiko nicht zu groß werden wird."
Die mit institutioneilen Änderungen verknüpften Probleme für die Unabhängigkeit der Bundesbank sind bis zum Ende der Experimentierphase des EWS aufgeschoben, aber nicht aufgehoben. Angesichts ihrer Bedeutung ist von deutscher Regierungsseite gefordert worden, die endgültige vertragliche Fixierung auf Art. 236 EG-Vertrag abzustützen, d. h. durch Ratifizierung in allen beteiligten Parlamenten Dann dürfte die bisherige Diskussion in vertiefter Form und unter Verwertung der bis dahin vorliegenden Erfahrungen mit der Anfangsphase des EWS wieder aufzunehmen sein.
VII. Startverzögerung und Perspektiven des EWS
Das EWS ist interpretiert worden als Ergebnis verstärkten Handlungsdrucks von außen — Dollarverfall — sowie von innen — Desintegrationstendenzen in der EG — und größerer innerer Handlungsfähigkeit, wobei insbesondere der deutsch-französische Akkord und die Stärkung Giscard d'Estaings nach den französischen Parlamentswahlen im März 1978 herangezogen worden sind Ob die innere Handlungsfähigkeit wirklich vorhanden ist, erscheint aber unter verschiedenen Gesichtspunkten fraglich.
Der britische Premierminister Callaghan hat die abschließenden EWS-Verhandlungen in Brüssel so charakterisiert: „What happened was that the national considerations by the nine members prevailed over the attempt to get an international agreement." Der Eindruck des absoluten Vorrangs eng definierter „nationaler Interessen''gegenüber den Gemeinschaftsinteressen wurde in der Folgezeit noch untermauert. Der für den 1. Januar 1979 fest geplante Start des EWS wurde wegen eines Streites über die Folgen für die Agrarpreise blockiert, der primär zwischen den treibenden Kräften des EWS, der französischen und der deutschen Regierung, ausgetragen wurde. Der gemeinsame Agrarmarkt der EG wurde als am stärksten integrierter Teilbereich ausgestaltet So wurden z. B. die staatlichen Mindestpreise — Interventionspreise — für landwirtschaftliche Produkte vom EG-Ministerrat beschlossen und einheitlich in einer europäischen Rechnungseinheit definiert. Die nationalen Preise z. B. in DM oder FF, zu denen staatliche Stellen ein Überangebot etwa von Weizen aufkauften, bestimmten sich aus dem Verhältnis zwischen nationaler Währung und europäischer Rechnungseinheit. Eine Aufwertung der DM oder Abwertung des FF hätte bei unverändertem Weizenpreis ausgedrückt* in Rechnungseinheiten eigentlich zu niedrigeren DM — bzw. höheren FF — Interventionspreisen führen müssen. Die damit verbundenen Folgen für Bauern und Verbraucher — z. B. Einkommensverluste für die deutschen Bauern — wurden jedoch für nicht zumutbar gehalten. Deshalb wurden die Agrarpreise gegenüber Wechselkursänderungen isoliert. Bei einer Aufwertung der DM z. B. wurde das Verhältnis DM-Rechnungseinheit nicht entsprechend geändert, und damit blieben auch die alten DM-Interventionspreise erhalten. Unter diesen Umständen hätte es sich allerdings für einen französischen Bauern angeboten, seinen Weizen in der Bundesrepublik den staatlichen Stellen zu den alten DM-Preisen zu verkaufen. Beim Umtausch seines DM-Erlöses in FF hätte er in Höhe der DM-Aufwertung einen zusätzlichen Gewinn eingestrichen. Um das zu verhindern, wurden die Exporte in Aufwertungsländer mit einem Grenzausgleich belastet, die Exporte aus Aufwertungsländern dagegen entsprechend entlastet. Das einheitliche Agrarpreissystem der EG ist also seit langem eine Fiktion, auch wenn man sich bemüht hat, den bei Auf-und Abwertungen eingeführten Grenzausgleich in der Folgezeit wieder zu verringern.
Wenn die Agrarpreise künftig in ECU festgelegt werden sollen, ergibt sich die Frage, was mit dem gegenwärtigen Grenzausgleich und im Fall künftiger Wechselkursänderungen geschehen soll. In der Brüsseler Entschließung heißt es dazu: „Der Europäische Rat ist der Auffassung, daß die Einführung des EWS als solche nicht zu Änderungen der vor dem 1. Januar bestehenden Situation führen sollte bezüglich der in Landeswährungen ausgedrückten Agrarpreise, Währungsausgleichsbeträge und allen anderen für die Zwecke der gemeinsamen Agrarpolitik festgesetzten Beträge. Der Europäische Rat betont, daß es im Interesse der Wiederherstellung der Preiseinheit in der gemeinsamen Agrarpolitik, unter gebührender Berücksichtigung der Preispolitik, wichtig ist, daß die Schaffung dauerhafter Währungsausgleichsbeträge künftig verhindert wird und die bestehenden Währungsausgleichsbeträge schrittweise verringert werden."
Die französische Regierung versuchte nun, durchaus im Einklang mit dem in der Entschließung festgelegten Ziel, aber über den Wortlaut hinausgehend, durchzusetzen, daß sowohl der bestehende Grenzausgleich als auch der bei möglichen künftigen Paritätsänderungen neu entstehende nach einem festen Terminplan abgebaut wurden. Als Druckinstrument setzte sie das EWS ein, indem sie seinen Start von einer Lösung dieser Frage abhängig machte.
Die französische wie auch die deutsche Regierung stehen in der Agrarpreisfrage unter starkem innenpolitischen Druck, insbesondere der politisch potenten Bauernverbände Dem französischen Staatspräsidenten wird von Gaullisten wie Kommunisten ohnehin vorgeworfen, bei der EWS-Vereinbarung die nationalen Interessen Frankreichs verraten zu ha-ben In der Bundesrepublik befürchtet Landwirtschaftsminister Ertl für den Fall, daß mögliche zukünftige Aufwertungen direkt in niedrigere DM-Preise für die Bauern umgesetzt würden, „daß es in Deutschland bald keinen mehr gibt, der Landwirtschaftsminister sein möchte, es sei denn, er ist ein politischer Selbstmörder"
Bundesbankpräsident Emminger hat in diesem Zusammenhang wiederum das „vitale Interesse" betont, bei notwendigen Wechselkursänderungen öffentliche Debatten und Verzögerungen zu vermeiden, und deshalb gefordert, „that the present controversy over the agricultural compensatory arrangements will be resolved in such a way that decisions on parity adjustments will be clearly separated from those on agricultural pnces" Damit wird noch einmal die auch bei der Diskussion des Ressourcentransfers deutliche Gefahr einer Überlastung des EWS unterstrichen, wenn dieses als Verhandlungshebel für Veränderungen in anderen Teilbereichen benutzt wird
Anfang März kam es zwischen den Agrarministern aller EG-Länder mit Ausnahme Großbritanniens zu einem, in den Details allerdings noch abzuklärenden Kompromiß, der einen sukzessiven Abbau der bestehenden Grenzausgleichsbeträge, eine grundsätzlich zweijährige Frist für den Abbau eventueller neuer Ausgleichsbeträge und Garantien gegen Einkommensverluste der Bauern in den Aufwertungsländern umfaßte Daraufhin hat die französische Regierung ihren Vorbehalt zurückgezogen, und das EWS ist mit dem am 12. März bestehenden Kursgefüge — formell rückwirkend zum 1. Januar — in Kraft gesetzt worden.
Trotz der Startverzögerung des EWS haben sich die Wechselkurse der beteiligten Währungen seit Dezember 1978 in der vorgesehenen Bandbreite bewegt. Zwar sind die Differenzen in den Inflationsraten — etwa im Vergleich zur Startphase der WWU — immer noch beträchtlich, aber kurzfristig erscheinen die Startbedingungen für das EWS hinsichtlich sowohl der Zahlungsbilanzsituation der Mitgliedsländer als auch der Glaubwürdigkeit der Wechselkurse günstig Aber die Situation kann sich schnell ändern, und bereits die Turbulenzen hinsichtlich der Ölversorgung werfen dunkle Schatten voraus.
Die Gretchenfrage für die Erfolgschancen des EWS lautet: Gelingt es, die äußere Wechselkursstabilität durch eine innere Stabilitätspolitik der Mitgliedsländer zu sichern? Käme es im Rahmen des EWS zu häufigen Wechselkursänderungen oder einem Anstieg der Geldentwertungsrate, wäre das System, gemessen an den Zielen, gescheitert. Das EWS beruht auf einem Vertrauensvorschuß, da die notwendige wirtschaftspolitische Harmonisierung zwischen den Mitgliedern institutionell nicht abgesichert ist. Das Prinzip Hoffnung wird bisher nur gestützt durch eine wirtschaftspolitische Zielannäherung der Regierungen, insbesondere einem höheren Stellenwert des Stabilitätszieles, und dem Trend zu geringeren Geldentwertungsraten. Die entscheidende Frage ist aber auch hier nicht die der Regierungsziele, sondern die der Handlungsfähigkeit, d. h.der Durchsetzbarkeit einer hinreichend harmonisierten Wirtschaftspolitik. Der integrationspolitische Erfolg des EWS hängt davon ab, ob es einen Handlungsrahmen stellt, der die Harmonisierung der Wirtschaftspolitik in der EG begün-stigt und damit auch bessere Chancen für eine institutionelle Absicherung schafft.
Das EWS, die Direktwahlen zum Europäischen Parlament und die anstehende Erweiterung der Mitgliedschaft sind zu Recht als die wichtigste Ereigniskombination für die EG seit 1957 charakterisiert worden, u). Es handelt sich aber keineswegs um eine spannungsfreie Kombination. Z. B. erhöht die Neuaufnahme von Mitgliedern mit anderen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Strukturen die Heterogenität in der EG und erschwert damit die Integration. Das EWS zielt demgegenüber — ebenso wie die Direktwahl zum Europäischen Parlament — auf Vertiefung der Integration. Es kann geradezu als integrationspolitisches Gegengewicht interpretiert werden, um eine drohende Auseinanderentwicklung in der EG und die Degeneration zur Zollunion zu vermeiden. Das EWS ist aber nicht mehr als eine Grob-skizze, die anhand der praktischen Erfahrungen ausgefüllt werden muß. Es ist bewußt als lernfähiges System angelegt, wie insbesondere die bis zu zweijährige Anlaufphase zeigt, während der vor allem die spätere institutionelle Struktur offenbleibt. Stellenwert und langfristiges Entwicklungspotential wichtiger System-elemente, wie der ECU und des vorgesehenen EWF, lassen sich daher schwer prognostizieren. So läßt sich heute auch nicht ausmachen, ob das EWS vorrangig als Instrument im Dienste der wirtschaftlichen und politischen Integration innerhalb der EG verstanden und ausgebaut oder dem Aufbau einer möglichst umfassenden regionalen europäischen Währungszone unter Einschluß auch von Nicht-EG-Mitgliedern und nur beschränkten Integrationszielen dienen wird. Offen bleiben auch die Interdependenzbeziehungen von EWS und internationalem Währungssystem. Wird sich das EWS zu einem regionalen Stützpfeiler eines föderalistisch aufgebauten internationalen Währungssystems entwickeln und das Gesamtsystem wie den IWF als rudimentäres Systemzentrum stärken, oder wird es zentrifugale Kräfte freisetzen und das Gesamtsystem schwächen? Solche Erwägungen setzen allerdings bereits einen Mindesterfolg des EWS im Sinne seiner Existenzbehauptung voraus, also eine optimistische Annahme.