Der nachfolgende Beitrag versteht sich als Vertiefung einer Rezension des Verfassers zu dem. Lohmarschen Buch „Staatsbürokratie. Das hoheitliche Gewerbe" in der Wochenzeitung „Das Parlament" Es ist wichtig, daß Lohmars Aussagen in ihrer Gesamtheit gewürdigt werden: Vielleicht läßt sich damit sicherstellen, daß mit dem, was Lohmar in der Sache zu sagen hat, nicht ein Berg kreißte und lediglich ein Mäuslein geboren ward, sondern der von Lohmar — wenn auch in noch so umstrittener Form — gegebene Anstoß aufgenommen und weitergegeben wird. Insbesondere geht es darum, Thesen und Buch an anderen als Lohmars Erfahrungen zu messen und aus diesem Vergleich heraus Handlungsempfehlungen an alle zu geben, die zur Abhilfe durch politische Aktion berufen sind. Dabei beschränkt sich die folgende Stellungnahme im wesentlichen auf Fragen der Regierungs-und Verwaltungsmethodik; es geht ihr also um die Schläuche, nicht um den Wein — aber guter Schläuche bedarf es schon, wenn man den Wein guter Politik darin bereiten und bewahren will
Lohmars Dilemma Das Dilemma von Ulrich Lohmar besteht darin, daß das objektive Erscheinungsbild der „Bürokratie" als Zustand und dessen Auswirkungen einerseits und die subjektive Einstellung zumindest der überwiegenden Mehrheit des öffentlichen Dienstes andererseits auseinanderfallen. Die Ursache dafür liegt im we-sentlichen in den Strukturen und Verfahren, in denen sich öffentliches Handeln vollzieht. Damit aber trifft der — in der Sache weithin berechtigte — Vorwurf des Verfassers eben nicht die Beamten-und Angestelltenschaft in Staat und Kommunen, sondern die für deren Arbeit verantwortlichen politischen Akteure — genauer: alle diejenigen, die das „System" gestalten, innerhalb dessen der öffentliche Dienst tätig werden muß.
Lohmar sagt dies selbst, wenn er den „Klassenkampf" der Staatsbürokratie gegen die private Gesellschaft keineswegs als einen der Beamtenschaft subjektiv bewußten, noch gar von ihr absichtlich herbeigeführten Vorgang, sondern als gesellschaftlicheh Tatbestand klassifiziert. Wie aber kann man objektiv kämpfen, wenn man subjektiv gar nicht weiß, daß man sich im Gegensatz zu jemandem befindet? Wenn Lohmar mithin die Kluft zwischen dem subjektiven Standort und den objektiven gesellschaftlichen Wirkungen des öffentlichen Dienstes verständlich machen will, führt der Titel seines Buches irre, soweit er den Eindruck erweckt, es gehe nicht um politisch verantwortete Institutionen und Prozesse, sondern um die darin agierenden Personen. „Staatsbürokratie" kann also nicht mit „hoheitlichem Gewerbe" in dem Sinne gleichgesetzt werden, daß hier der „seine Pflicht tuende, am Gemeinwohl orientierte, sachgerechte Meinungen vertretende und objektiv entscheidende" einzelne Staatsdiener handelt. Vielmehr ist das System falsch strukturiert und in Lauf gesetzt worden, dem sich dieser Staatsdiener — manch einer wird heute sagen: versehentlich — im Augenblick seiner Berufsentscheidung, und damit zumeist auf Dauer, verschrieben hat.
Das mindert nicht Lohmars Verdienst, soweit er dabei die Strukturmerkmale einer Demokratie herausarbeitet und daran das mißt, was man politisch als Exekutivorgan zur Verwirklichung dieser Demokratie geschaffen hat. Um die Effektivität und Effizienz dieses Organs geht es, durchaus auch insoweit, als sodann — aber auf dieser Ebene! — die Mechanismen zu beleuchten sind, mit deren Hilfe der einzelne Angehörige des öffentlichen Dienstes die positive Korrelation von Demokratie und Effizienz — im Sinne von Wirtschaftlichkeit und Wirksamkeit — herzustellen hat. Aber es bedarf schon derselben Argumentationsebene und nicht der Korrelation von Äpfeln und Birnen. Denn sonst schafft der von Lohmar so sehr gewünschte — und objektiv wünschenswerte — Dialog erst die ideologische Dunst-glocke, unter der er den Klassenkampf der bösen Bürokraten entdeckt zu haben glaubt.
So wird es zur Grundlegung für diesen Dialog notwendig sein, die Ursachen für die angebliche Etablierung sozialer Privilegien im öffentlichen Dienst und dessen — wenn man sie differenziert sieht, durchaus plausible — Expansion in den letzten Jahren und schließlich für die Verwaltungsgängelung nicht nur des Bürgers, sondern auch des öffentlichen Dienstes selbst aufzudecken, und zwar durchweg unter dem Aspekt, wie denn idealiter eine „bessere Verwaltung" ausschauen müßte, und frei von Anzüglichkeiten wie der, daß — so Lohmar unter Abschnitt II seiner Zusammenfassung in diesem Heft — „die Staatsbürokratie mit sich selber noch nicht genug zu tun hat und deshalb ihren Ehrgeiz dareinsetzt, die übrige Gesellschaft nach ihrem eigenen Bild zu formen". Wenn so argumentiert wird, verwundert es auch nicht, daß Ulrich Lohmar Sozial-und Personalpolitik, also die gesellschaftlichen Bezüge von Regierung und Verwaltung einerseits und deren Binnenpolitik andererseits, zu einer „Politik der offenen Hand" zusammenwirft, die von der Staatsbürokratie als einer politischen Klasse betrieben werde.
Kehren wir also zurück zu dem Ausgangspunkt wie Schlußsatz der Lohmarschen Überlegungen, nämlich zu dem Versuch, etwas in der Sache zu bewegen!
Schon Teil III seiner hier gegebenen Zusammenfassung erlaubt das Nachdenken über Ansätze hierfür, sobald man sich darüber klar-geworden ist, wer wen vor wessen Karren gespannt hat. Der Klassenkampf war es nach Lohmar, vielleicht sind es aber auch die demokratischen Institutionen selbst, die ihre Parlamente dem Zutritt der „Bürokratie" öffneten und ihren Parteien erlaubten, im öffentlichen Dienst Patronage zu betreiben, und die schließlich keine Kriterien für die Gestaltung von Informationssystemen geschaffen haben, deren Mißbrauch damit vorgebeugt würde.
Um beim letzten Punkt anzufangen: Eine gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien beispielsweise könnte durchaus Vorkehrungen gegen Manipulation und Vorenthaltung von Information durch Regelung des Zugriffs seitens aller jeweils dazu Befugten treffen. Plötzlich wäre das Informationsmonopol der „Bürokratie" oder auch einzelner ihrer „Machthaber" gebrochen, vorausgesetzt, den Ministerien stände die methodische Kapazität dafür zur Verfügung, daß man überhaupt solche Informationssysteme zuwege bringt.
Und das Laufbahnrecht — das wäre Punkt zwei — könnte durchaus den Zugang unqualifizierter Parteigänger zum öffentlichen Dienst so gut wie unmöglich machen; man denke nur an die Einführung eines Zwanges zur Vorstellung der Kandidaten für eine Referentenfunktion vor der zum offenen Vortrag eingeladenen Belegschaft des Ministeriums. Und was die personelle Parlamentsstruktur anbetrifft, so wartet man immer noch darauf, daß Industrie und Handel durch ihre Gemeinsthaftsorgane beispielsweise ein kollektives Leerstellensystem schaffen, das ein parlamentarisches Engagement durch qualifizierte Leute des mittleren und oberen Managements der gewerblichen Wirtschaft ermöglichen würde; schon vor zehn Jahren haben dies weitsichtige Wirtschaftsführer gefordert, geschehen aber ist so gut wie nichts. Alles in allem Ansätze, die politischen Gestaltungswillen und gesellschaftliches Engagement erfordern; die „Bürokratie" würde sie gewiß begrüßen.
Absicht und Wirkung Niemand wird Lohmar die gute Absicht bestreiten, mit seinem Buch den Versuch unternommen zu haben, unsere Mitbürger wachzurütteln und auf Entwicklungen aufmerksam zu machen, die ihm bedrohlich erscheinen. Zu begrüßen ist es auch, wenn Lohmar sich dabei einer Sprache bedient, die von jedem verstanden wird; man nimmt dann mit Fassung hin, wenn das Buch darüber hinaus massiv provoziert, weil sein Autor ja den Leser bewußt in Aufregung versetzen will. Und jeder „Insider" wird Lohmar bestätigen, daß an alledem, was er da sagt, etwas dran ist, also dahinter Wahrheiten stecken, die man beim Namen nennen sollte. Die Frage ist nur — und hier sei aus dem Brief eines Beamten an den Rezensenten auf dessen Artikel zu Lohmar zitiert —, „ob der Verfasser dabei über die Grenze hinausgegangen ist, hinter der eine breite Öffentlichkeit in einer ironisch-Eleganten Kritik eigene Vorurteile bestätigt findet, ohne daß die Hintergründe, also weit komplexere Zusammenhänge, erfaßt worden sind oder gar im Rahmen des weiterführenden sachlichen Dialogs Wege aufgezeigt werden, die man gehen sollte, und zwar durchaus auch zu Lasten liebgewonnener Einstellungen und Verhaltensweisen eben dieser Öffentlichkeit". So klinge« es doch recht vordergründig, wenn Lohmar behaupte, Gemeinwohl, Objektivität und Sachlogik als Orientierungsleitlinien für das Beamtenverhalten förderten beklagenswerte Mentalitäten. Insgesamt erscheine die Decke zu kurz, unter die Lohmar seine Thesen packen möchte, nämlich unter den Aspekt von Konflikt, Klassenkampf und Herrschaft. So gerieten auch die „demokratischen deutschen Alternativen" am Schluß des Buches erschreckend simplifizierend, weil sie weder demokratisch noch eigentlich Alternativen seien.
Um noch eine Stimme aus Kreisen der Beamtenschaft zu zitieren: „Gewiß sollte man Lohmar eine Chance geben, im Dialog um administrative Verbesserungen gehört und hierbei auch ernst genommen zu werden. Aber vieles, was Lohmar geschrieben hat, erinnert doch an , Polit-Krimis': Zweifelsohne eine spannende Lektüre, auch mit durchaus vertretbaren Ansätzen und weiterführenden Ideen — aber eine so düstere Diagnose, wie Lohmar sie stellt, nimmt doch vielleicht etwas viel an Lust, über Therapien nachzudenken. Der Mann muß ja gräßliche Erfahrungen mit öffentlichen Bürokratien gesammelt haben."
Natürlich muß Lohmar die Freiheit, ein politisches Buch geschrieben zu haben, unbestritten bleiben. Man sollte daraus aber keinen Gegensatz zu „akademischer" — sprich: wissenschaftlicher — Erhebung und Schlußfolgerung konstruieren; gerade Lohmar ist ja einer der Brückenbauer zwischen Wissenschaft und Politik und hat sich dabei manche Meriten erworben. Sicher darf er da ansetzen, wo die Wissenschaft mit all ihrem Methodenspektrum insbesondere sozialwissenschaftlicher Erhebung aufhört, aber sein politisches Buch steht im Grunde unter keinem anderen Gesetz, als es für die wissenschaftliche Literatur gilt, nämlich dem der Achtung auf die Zulässigkeitsgrenze für die Verallgemeinerung von Beobachtungen. Und was die Wertungen angeht, erwartet man gerade von dem Politiker Lohmar etwas, dessen Unterlassen man dem Wissenschaftler weithin nachsieht, nämlich die konstruktive Idee nicht nur für das alternative „Was“, sondern auch und gerade für dessen Durchsetzung, nämlich das „Wie".
Standortbestimmung Versucht man, den publizistischen Standort der Lohmarschen Thesen im Rahmen der Bürokratiekritik zu ermitteln, so erscheinen diese am Ende einer überwiegend pauschalierenden Attacke gegen den öffentlichen Dienst, aus der leider nur wenige System-und nicht personenbezogene Studien herausragen (so etwa die von Hermann Glaser, Bürokratie jenseits von Parkinson — Bemerkungen zu einer Verwaltung im Regelkreis und zu Beginn einer Reihe fundierter Überlegungen zu den Abhilfemöglichkeiten — etwa im Rahmen des mit ebenso sachkundigen wie differenzierenden Beiträgen bestückten CDU-Kongresses zum Thema „Verwaltete Bürger —-Gesellschaft in Fesseln".
Kennzeichnend dafür dürften auch die Aussagen des Bundeskanzlers gelegentlich des 10. Beamtentages des Deutschen Gewerkschaftsbundes am 21. Februar 1978 in Bonn gewesen sein, wo Helmut Schmidt anerkannte, daß wir über „ein demokratisches, der Gemeinschaft verpflichtetes Berufsbeamtentum''verfügen, innerhalb dessen die allermeisten Bediensteten „die Bereitschaft zu großem persönlichen Einsatz" mitbringen und „Menschen tätig sind, welche die Aufgaben des Staates zum allgemeinen Wohl wirklich ernst nehmen und mit Leidenschaft erfüllen“. Je tiefer eine solche Auffassung vom öffentlichen Dienst in das Bewußtsein der Bürger eindringe, um so eher werde auch dem Vorwurf der Boden entzogen, daß „die Beamten mit ihrer Unkündbarkeit und ihrer gesetzlich geregelten Pen-sionsversorgung, mit der hervorragenden Besoldung und deren Beihilfen doch eigentlich so etwas seien wie eine privilegierte Kaste".
Bei dieser Gelegenheit sprach der Bundeskanzler auch die „hergebrachten Grundsätze" des Berufsbeamtentums an, unter denen er — in Einklang mit dem DGB — verstehe — volles Eintreten für den freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat, — ein allein an Recht und Gesetz orientiertes Handeln, — Immunität gegen jegliche Form politischer und materieller Korruption und nicht zuletzt
— das Bewußtsein, dem Bürger zu dienen.
Damit verband der Bundeskanzler den Hinweis auf die Notwendigkeit angemessener Selbstdarstellung der Beamtenschaft. Daß es daran mangele, sei einer der Punkte, die „es dem Bürger schwermachen, die Leistungen des öffentlichen Dienstes zu verstehen"; es komme darauf an, dessen Undurchschaubarkeit, d. h.den Mangel an Transparenz, zu beheben, der seinerseits Mißtrauen und Abneigung verursache: „Deshalb haben wir wohl -alle nötig, soweit es Zeit und Arbeit zulassen, bewußt dafür zu sorgen, d. h. es bewußt zu organisieren, daß unsere Arbeit durchsichtig, erkennbar, nachvollziehbar, plausibel gemacht wird."
Nun, was das erste angeht, ist sich die Beamtenschaft durchaus dessen bewußt, daß es der ständigen Überprüfung und Anpassung der „hergebrachten Grundsätze" des Berufsbeamtentums an veränderte Umweltverhältnisse bedarf; dies hat der Präsident der Deutschen Sektion des Internationalen Instituts für Verwaltungswissenschaften, der frühere Mannheimer Oberbürgermeister Hans Reschke, in seinen Begrüßungsworten zu der Fachtagung der Sektion am 1. Juni 1978 unterstrichen. Damit stimmte auch der Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, Günter Hartkopf, überein, indem er auf die Gefahren einer — gewiß in der Gesellschaft allgemein verbreiteten — Haltung hinwies, die die Wahrung von Besitzständen zum ungeschriebenen Verfassungsartikel erhebe und jede Frage nach der Berechtigung überkommener Verhältnisse als Zumutung empfinde
Was das zweite anbetrifft, mag Helmut Schmidt primär an Öffentlichkeitsarbeit gedacht haben; man muß aber auch das soge-nannte politische Berichtswesen im Verein mit allen sonstigen Präsentationsformen öffentlicher Leistungen einbeziehen, wenn man eine angemessene Selbstdarstellung der Beamtenschaft erreichen will. Das fängt an bei den öffentlichen Haushalten, deren Unlesbarkeit für alle Nichtexperten offensichtlich ist, und reicht bis zu der Frage, in welchem politischen Programm etwa einer Gemeinde denn Feuerwehr, Straßenbahn und Omnibusse, aber auch Bildungswesen, Gesundheitspolitik und alles, was sonst im Stillen arbeitet, ihre dem Bürger plausible, transparente Präsentation finden. Hier läge der Ansatz für manche Überlegung zur Gestaltung politischer Programme bei Bund, Ländern und Gemeinden in einer Form, daß diese nicht nur über das „Was" öffentlichen Handelns, sondern auch über dessen „Wozu" und nicht zuletzt das „Womit", d. h.seine Kosten, Auskunft geben.
Lohmars Bild von der Bürokratie Man fragt sich: Welches Bild hat Lohmar eigentlich von der bürokratischen Apparatur? Wenn er bei Inhabern staatlicher Spitzenpositionen auf eine „Mischung von weihevoller Distanz, deklamatorischer Sprechweise und intellektueller Leutseligkeit" gestoßen ist, hat möglicherweise sein Selektionsmechanismus versagt. Der Rezensent kennt hier ganz andere Charaktere und freut sich darüber, daß es in der Verwaltung auch Leute von erfrischender Offenheit und Urteilskraft gibt, die nicht zuletzt permanent versuchen, gerade auch den Parlamentarier und den Journalisten zu den Problemen hinzuführen, deren Erkenntnis bzw. Lösung in erster Linie ihnen als den Akteuren im „politischen System" zukommt. Es erscheint geradezu legitim, daß im Apparat von Regierung und Verwaltung — im Dienste der Politik! — der größte Teil der Impulse und förmlichen Gestaltung des Politikentwurfs angelegt sind: Politik kann weder der Informationsbasis dieses Apparats noch seiner analytischen und Problemverarbeitungskapazität und schließlich auch nicht seiner Fähig-keit zum Konzept entraten — was andererseits nicht bedeutet, daß es ein Entscheidungsmonopol des Apparats gäbe oder dieser es auch nur anstrebe
Das schließt nicht aus, daß das Erscheinungsbild des öffentlichen Dienstes immer wieder durch einzelne seiner Angehörigen verdunkelt wird — aber wo gibt es keine Drückeberger, Faulenzer und Nassauer? Und die Wissenschaft hat es ja inzwischen an den Tag gebracht, daß überall — in Wirtschaft wie Verwaltung — die persönlichen Interessen stets stärker durchschlagen, als sich dies früher die Strukturalisten und Prozeduralisten in der Organisationstheorie vorgestellt hatten — Herbert A. Simon hat für diese Erkenntnis jüngst den Nobelpreis erhalten.
Wenn Lohmar meint, unsere Gesellschaft werde mehr und mehr von einer Mischung von Bürokraten, Technokraten und Politokraten beherrscht, mag er das Zusammenspiel von Parteien und Gewerkschaften richtig sehen; inwieweit hier eine Identität mit dem öffentlichen Dienst besteht, müßte man wohl erst noch erkunden. Der starke Anteil des öffentlichen Dienstes an den Parlamenten allein dürfte die Annahme einer Interessenvermählung mit diesen noch nicht erlauben. Denn der „Bürokrat" denkt in der Mehrheit plötzlich anders, wenn er Parlamentarier wird. Und immerhin kommen handfeste Impulse gegen Auswüchse der von Lohmar gegeißelten „Flechtokratie" aus dem Regierungs-und Verwaltungsapparat selbst: So hat beispielsweise einer der intelligenten jungen „Bürokraten", nämlich der Persönliche Referent eines Staatssekretärs im Bundesministerium für Wirtschaft, wohl als erster den Unsinn unserer heutigen Umverteilungsmechanismen vorgeführt Und schließlich sollte man beden-ken, was kürzlich der Leiter der für die Behördenorganisation zuständigen Abteilung im Bundesministerium des Innern unter Zitat von Lohmars Streitschrift herausstellte, nämlich das Anspruchsniveau eben der so mißtrauisch gewordenen Bürger und deren Erwartungshaltung in einem System, in dem „nahezu jede Forderung einen politischen Befürworter findet" und „angesichts ständiger Legitimationszwänge die Regierung nur schwer das Ansinnen staatlicher Regulierung abweisen kann"
Im übrigen sei mit dem Zitat aus dem Vortrag eines der besten Kenner des britischen Civil Service gedient, den wir in der Bundesrepublik Deutschland gerne befragen, wenn es um internationale Vergleiche geht: Es handelt sich um den in Oxford lehrenden Professor Nevil Johnson, der noch auf der o. a. Fachtagung der Deutschen Sektion die traditionelle Rolle des öffentlichen Dienstes in seinem Lande unterstrich, lediglich verwaltend Probleme für die Politiker aufzubereiten, nicht jedoch politisierend in die Funktion des Mit-entscheidenden zu drängen. Johnson widersprach recht nachdrücklich der These, eine immer allmächtiger werdende Verwaltung schwäche nach und nach die politische Führung. Selbst die größeren Handlungsspielräume einer wachsenden Leistungsverwaltung hätten bislang die Bereitschaft des Civil Service, die politische Führung — gleich welcher Couleur — treu zu stützen, nicht beeinträchtigt. Dabei werde andererseits keineswegs verkannt, daß Diskrepanzen zwischen Leistung und Leistungsanspruch den Dienst vor der Öffentlichkeit zunehmend in die Rolle des Mitverantwortlichen geraten ließen und daß die ständige weitere Ausdifferenzierung der öffentlichen Aufgaben nicht ohne Auswirkung auf das überkommene Beamtenethos bleibe, das sich auf der Grundlage der Homogenität des öffentlichen Dienstes entwickelt habe.
Sind wir wirklich so weit von diesem Bild entfernt, und wenn ja, wer zeichnet für die sich von der Idee eines Civil Service entfernenden Merkmale unserer Beamtenschaft verantwortlich? Johnsons deutscher Kollege Frido Wagener jedenfalls hält den öffentlichen Dienst bei uns im Vergleich zum Ausland für gut; er arbeite effektiv, fachlich kompetent, korrekt, interessenneutral und rechtsstaatlich. Wenn sich allerdings bestimmte, heute wirksame Einflußfaktoren fortentwikkelten, könne sich dies in Richtung auf eine Lockerung der Bindung der vollziehenden Gewalt an Recht und Gesetz ändern.
Bürokratie und Parteipatronage Besonderen Mut beweist Lohmar, wenn er die Versuchung der FDP geißelt, ungeachtet ihrer kleinen Wählerklientel überproportional in die öffentlichen Bürokratien einzudringen: „Die Liberalen wollten und wollen an der -staatlichen Macht partizipieren, nicht (aber) gegen deren Expansion angehen." Auch bei der CDU sei es mit der „Freiheit eines Christenmenschen" nicht weit her, der man auch in den politischen Organisationsformen des Staates Raum zu schaffen habe: „Doch solche Strukturprinzipien sind keine Wegweiser mehr, sondern sie stehen nur noch als Bekenntnispfosten in der Landschaft herum." Und die SPD schließlich meine, ein Gegengewicht gegen die ökonomischen Machtzentren des Kapitals nur mit öffentlichem Einfluß begründen zu können; deshalb sei sie „an parlamentarischen Mehrheiten und zunehmend an der politischen Durchdringung der öffentlichen Bürokratie mit ihren politischen Anhängern interessiert".
Nun, die Politisierung der Verwaltung über deren sachliche Notwendigkeit hinaus korrigiert sich zum guten Teil von selbst. Wird nämlich, was nicht selten vorkommt, ein weniger bedarfter Staatsdiener in den Sattel einer von der Sache her unverdienten Karriere gehoben, dann wird er in der Regel auch nicht gerade glücklich darin, weil er damit außerhalb des in jedem Ressort existierenden unsichtbaren Koordinatensystems persönlicher wie fachlicher Wertschätzung gerät und auf . diese Weise zwangsläufig einer besonders kritischen Beobachtung durch seine Kollegen ausgesetzt wird. So bildet — wenn auch nicht in der Intensität, wie man sie bei unseren französischen Nachbarn findet — die Beamtenschaft in jeder größeren Arbeitseinheit eine Art Corps, innerhalb dessen man sichkennt und schätzt und das von sich aus wirksame Korrektive entwickelt, wenn die politische Leitung dieser Einheit von den die Objektivität ihrer Personalentscheidungen an sich sicherstellenden Regeln in Verfassung und öffentlichem Dienstrecht abweicht. Diese Dinge werden dann besonders prekär, wenn man zwar eigene Parteileute fördern möchte, aber keineswegs über die personelle Substanz dazu verfügt. Hier zahlt es sich sehr rasch negativ aus, wenn sich die für die Personalpolitik Verantwortlichen nicht hinreichend im eigenen Hause umschauen, denn das Angebot an Loyalität selbst von Mitgliedern der Oppositionsparteien ist groß und deckt durchaus den Bedarf an politischer Programmsteuerung und Initiative.
Die aufgewärmte Privilegiendiskussion Mit dem Hinweis auf die „Beamtenprivilegien" wärmt Lohmar eine Diskussion wieder auf, die sich inzwischen — u. a. unter dem Eindruck eines Vergleichs zwischen Beihilfen und Sozialversicherung — weitgehend gelegt hatte. Denn was hier als Privilegien erschienen war, hatte seinen Ursprung in Sonderformen der öffentlichen Bezüge aus Arbeitsmarkt- und Systemgründen und bestimmte alles in allem den Anreiz für qualifizierte Kräfte zum Eintritt in den öffentlichen Dienst in Verbindung mit dem Ausgleich für Sonderbelastungen.
Der einzige Punkt in dem man bei objektiver Betrachtung ein Privileg sehen könnte, ist die Besoldungsfrage. Hier hat sich inzwischen ein Ungleichgewicht gegenüber der Wirtschaft dadurch eingestellt, daß dort keine Arbeitsplatzsicherheit mehr herrscht. Man wird es jedoch langsam leid, dem pauschalen Gerede von den Privilegien des öffentlichen Dienstes entgegenzutreten. Der Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, Günter Hart-kopf, hat es Mitte des Jahres 1977 vor dem Verband der Beamten der Obersten Bundesbehörden recht eindrucksvoll getan; man mag es nachlesen Politik und Effizienz Besonders provokativ wird Lohmar im Vergleich von Beamtenzahl und qualifizierter Arbeit. Hier operiert er mit zwei Annahmen, daß nämlich — in den Ministerien des Bundes zwischen 10 und 30 Prozent der Bediensteten eingespart werden könnten, ohne daß der sachliche Aktionsradius deshalb eingeschränkt werden müsse, und — allenfalls 10— 15 Prozent der öffentlichen Bediensteten ihrer „Häuser" die eigentlich qualifizierte Arbeit leisteten.
Daran wiederum knüpft Lohmar die Annahme, eine Strategie der Personalreduzierungen vertrage sich nicht mit dem wechselseitigen Geltungsanspruch der Ministerien und mit ihrer Konkurrenz untereinander; insbesondere richte sich der Expansionsdrang der dort tätigen Ministerialdirektoren auf einen größeren bürokratischen Unterbau, vor allem auf größere finanzielle Mittel, die sie um so mehr nach ihrem Gusto verwalten könnten, als sich das Parlament nur auf kursorische Zweckbestimmungen konzentriere. Genau das Gegenteil ist der Fall: Die Haushaltsstruktur ist an Kleinkariertheit nicht mehr zu überbieten — kaum jemand leidet darunter mehr als die politisch verantwortlichen Abteilungsleiter. Und nicht zuletzt sie wären manchmal froh, wenn sie weniger Leute mit jeweils höherer Qualität um sich herum hätten — wiederum ein Systemproblem: Gefragt sind Fortbildung und Mobilität, aber wer beschafft sie den schlimmen Bürokraten schon in einer brauchbaren Form? Im übrigen müßte man bei Sparbetrachtungen zwischen Rationalisierungsund Motivationsreserven unterscheiden; die letzteren liegen sicher höher.
Was andererseits die „eigentlich qualifizierte Arbeit" angeht, so ist die dem jeweiligen Arbeitsniveau zurechenbare Zahl von Arbeitskräften eine Frage der Politikstruktur. Vielleicht sollte man danach fragen, wieviel Leute in Bonn wirklich politische Analyse und Konzeption betreiben; in der Tat läge dann der Anteil weit niedriger als die Gesamtzahl etwa der Ministerialreferate. Aber das wiederum ist auch ein Problem der zumindest streckenweise zu bemerkenden Blockade der Politik durch gesellschaftliche Gruppen, die hier die Fähigkeit zum „policy-making" brach-legen. Es ist kein Widerspruch dazu, wenn Lohmar die Klage der Beamtenschaft darüber artikuliert, daß mindestens die Hälfte ihrer Vorlagen für den Papierkorb geleistet werde, so daß auch qualifizierte Arbeit häufig in beiläufige Geschäftigkeit ausarte.
Lohmar irrt, wenn er meint, die Bürokratie betreibe selbst die Freistellung von Marktmechanismen. Die Ursprünge ihrer Arbeit liegen bei den „öffentlichen Gütern", für die es nun einmal keinen Markt gibt, und das Problem ist lediglich das der Grauzone zwischen die-sen und den rein „privaten" Gütern, aber hier wie dort wäre die Beamtenschaft selbst glücklich, wenn es wirksame Ersatzmechanismen gäbe. Das von dem früheren Minister für Bildung und Wissenschaft, Klaus von Donahnyi, erstmals präsentierte Programmbudget für die Förderung der Datenverarbeitung durch sein Haus hat leider kaum Schule gemacht; es war ein erster Ansatz für die Verknüpfung von Input und Output in der öffentlichen Darstellung. Seine Weiterverfolgung über das Einzelressort hinaus etwa durch den Finanzminister — jeder Eingeweihte weiß, wie sehr dies eine Personenfrage ist — hätte so etwas wie eine „intrinsische Motivation" schaffen können und wäre obendrein die Grundlage für mehr Kostendenken in der Verwaltung gewesen.
Zum Thema „Effizienzsteigerung der öffentlichen Verwaltung" hatte schon auf der Arbeitstagung des Vereins für Socialpolitik im Jahre 1977 der Konstanzer Verwaltungswissenschaftler Manfred Timmermann die These vertreten, die „tendenzielle Dominanz des administrativen Systems" beruhe nicht zuletzt auf einem Versagen in den Nachbar-systemen — ökonomisches, politisches, rechtliches und sozio-kulturelles System: So treffe man im ökonomischen Bereich auf weitgehendes Marktversagen, stoße im politischen System auf zunehmende Planungsineffizienz, gekoppelt mit lediglich kurzfristiger Sicht der parlamentarischen Demokratie, finde man im rechtlichen System Gesetzesperfektionismus und Verrechtlichung und stoße im soziokulturellen System auf eine zunehmende Anspruchsinflation der pluralistischen Gesellschaft. Dies alles bedinge eine Aufgabenüberwälzung in Richtung auf die öffentliche Verwaltung: Gefordert würden mehr Bildungs-und Gesundheitsverwaltung, aber auch mehr Arbeitsund Sozialverwaltung als Folge des Marktversagens. Politikversagen führe zu erhöhtem Ausbau von Planungs-und Informationsbürokratie, Rechtsversagen belaste die Verwaltung mit der Ausführung und Beachtung von immer mehr Rechtsnormen von fragwürdigem Nutzen, und Gesellschaftsversagen führe zur Abkehr der gesellschaftlichen Gruppen von der Lösung ihrer spezifischen Probleme im Wege der Selbsthilfe in Selbstverantwortung.
Es bleibt die Frage, woran sich öffentliches Handeln im Gefüge solcher Entwicklungen und Rahmenbedingungen orientieren soll. Lohmar meint, es bedürfe konsistenter politischer Zielvorgaben gegenüber der Bürokratie. Aber wo anders als in dieser selbst lassen sich solche gedanklichen Konstrukte überhaupt erarbeiten? Niemand engte die Parlamente ein, wenn sich diese nur daranmachen würden, solche Vorgaben zu formulieren, ja die Beamtenschaft wäre dankbar dafür, aber sie wartet vergeblich darauf. Das mag seinen methodischen Grund darin haben, daß sich die Zielstrukturentwicklung methodisch totgelaufen hat. Vielleicht sollte man statt dessen darüber nachdenken, welche (durchweg ressortübergreifenden) Probleme wir zu lösen haben — das aber setzt deren Findung, Artikulation und Präsentation voraus. Dazu wiederum bedarf es der Intuition, um nicht zu sagen Phantasie und Imagination von Regierungszentralen und Ressortleitungen — bei den Kommunen wären es die Hauptämter, Entwicklungseinheiten, Kämmereien und Fachdezernate —, denn hier zuvörderst müßte man damit beginnen.
Zur Gesetzesflut Das Problem der Gesetzesflut reißt Lohmar lediglich an; es läßt sich jedoch vertiefen unter Hinweis darauf, daß die Exekutivorgane — und dies ist im wesentlichen die kommunale Ebene — mehr und mehr überfordert werden dies Bürger und — wie der längst tut — sich der Gesetzesausführung verweigern. Die Tendenz zur Verrechtlichung bis hin zur Versetzung von Schülern rührt hintergründig sogar von einer sie anheizenden Rechtsprechung her, auf die Parlamente wie Regierungen in bemerkenswerter Willfährigkeit reagieren
Im gleichen Sinne hat Frido Wagener kürzlich auf die Fülle, Regelungsdichte und Kompliziertheit der öffentlichen Aufgaben hingewiesen, was zur Folge habe, daß immer größere Teile von Gesetz und Recht „versikkerten". Denn die Regelungsüberlastung sei so groß, daß die jeweiligen Vorschriften nur noch partiell beachtet werden könnten. Dies gehe zu Lasten der eigentlichen sozialen und gestalterischen Aufgaben und führe zu einem Vorrang des Kurzfristigen und des einfach Nachprüfbaren.
Was die Abhilfe gegenüber diesem Phänomen angeht, könnte man bereits Montesquieu zitieren: „Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu machen, dann ist es notwendig, kein Gesetz zu machen.“ Aber auch ein Zitat aus jüngster Zeit wirkt vielleicht hilfreich; so sagte der Bundesminister für Wirtschaft, Otto Graf Lambsdorff: „Manchmal scheint es mir, daß sich eine Regierung auch dadurch auszeichen könnte, daß sie einmal die Gesetzesmacherei sein ließe. Dann könnten die Bürger erst mal mit den Gesetzen arbeiten, die sie endlich verstanden haben — und das ist bei dem Wust von Verordnungen und Gesetzen, den wir bereits haben, schon schwierig genug."
Andererseits fehlt es bislang an hinreichender Bemühung, das Problem der Gesetzesflut auszudifferenzieren und vor allem auch die Adressaten der bürokratischen Produktion zu bestimmen und abzugrenzen. Liegen doch die Gründe für die Gesetzesflut auch in — unserer Rechtsstaatlichkeit, — dem jeweiligen Regelungsbedarf sowie — der Methodik der Normierung.
Zum ersten Punkt sind wir verfassungsmäßig festgelegt; dort bleibt kaum Raum für eine Änderung. Durch eine „Herabstufung" im Charakter gesetzesausführender Normen ließe sich allenfalls auch nur eine Entlastung der Publikationsorgane bewirken. Dann muß man das Problem der Gesetzesflut wohl angehen unter dem Aspekt des Regelungsbedarfes, das heißt — des Bedarfs an sich und — der Art und Weise der Ausgestaltung der Rechtsnormen.
Was den Bedarf an sich anbetrifft, müßte man — durchaus im Sinne der eingangs angeführten Zitate — den konkreten politischen Willen stimulieren, bestimmte Bereiche eben nicht zu regeln. Ein brauchbares Kriterium könnte dabei der Punkt sein, an dem der Normadressat die Norm ohnehin nicht mehr zur Kenntnis nimmt, weil er „vollgepackt" ist, sei es wiederum mit Rechtsnormen, sei es mit schlichtem Tasgesgeschäft.
Eine weitere Frage wäre, ob man das, was da noch geregelt werden soll, rechtlich durch verstärkte Anwendung von Globalnormen instrumentieren könnte — was zwar die Gesetz-blätter entlasten, aber die Gerichte noch stärker in das Hüten der Rechtsstaatlichkeit einspannen würde.
Vielleicht aber liegt die einzige Chance, Fehlentwicklungen — wie etwa auf Rechtsgebieten mit einer erschreckenden Fülle von Ausführungsnormen — dadurch zu verhindern, daß man die Beamten wegnimmt, die diese Rechtsnormen produzieren, und sie dort einsetzt, wo es — mit höherem Wirkungsgrad — sinnvollere Dinge zu tun gibt.
Im übrigen sollte man wohl auch einmal darüber nachdenken, wie man mit den wirklich notwendigen Regelungen deren Adressaten in einer Weise angeht, daß diese das Gefühl haben, daß sich die öffentlichen Hände auch um die Ankunft ihrer Rechtsnormen beim potentiellen Anwender bzw. Betroffenen sorgen. So könnte man vielleicht an eine anderweitige Gestaltung der Rechtsnormproduktion entweder — anstelle der herkömmlichen Publikationsform in den Gesetzblättern oder — parallel, und zwar gleichzeitig, dazu in einer Form denken, daß der Empfänger diesen „Output" in sein eigenes Begriffsraster einbauen kann, indem er das Produkt in ein ihm gliederungsmäßig vorgegebenes Loseblattwerk unter Wegwerfen obsolet gewordener Normenkomplexe einzufügen vermag.
Obendrein könnte man auch dokumentieren, wie begrenzt jeweils die Adressatenkreise mancher Rechtsgebiete sind, so etwa für das Außenwirtschaftsrecht die Außenhandelssachbearbeiter bei den Exportunternehmen oder beim Berufsbildungsrecht die Sozialreferenten bei den Handwerks-bzw. Industrie-und Handelskammern. Das würde dazu verhelfen, von einer globalen Sicht der Gesetzesflut abzukommen und klarzustellen, daß eben nicht jeder Bürger das ganze Bundesgesetzblatt und ähnliche Verlautbarungen von vorne bis hinten zu lesen braucht.
Remedien: Zunächst eine Strukturfrage Wenn man auf Abhilfe sinnt, kommt man an der Struktur von Regierung und Verwaltung nicht vorbei. Darauf hat schon Wolfram Engels hingewiesen Bürokratien könnten sehr leistungsfähig sein, solange sie klein sind und solange man in großen Einheiten abgegrenzte Verantwortungsbereiche schafft. Für Engels steht die sogenannte Zunahme der Komplexität unserer Lebenssachverhalte in Wechselwirkung zur Zunahme der Bürokratisierung. Dadurch gerate der einzelne immer mehr in Abhängigkeit von undurchschaubaren sozialen Mechanismen mit der Folge, daß Entscheidungen nicht mehr an der Basis im Rahmen überschaubarer Verantwortungsbereiche, sondern an der Spitze der Institutionen gefällt würden.
Es ist hier nicht der Platz, den einzelnen Bürokratietheorien nachzugehen, also weder dem Bürokratienmodell von Max Weber noch der These vom bürokratischen Ritualismus von Robert Merton zu Beginn der vierziger Jahre noch der Sicht von Michel Crozier aus dem Jahre 1963 Merton und Crozier — um das nur änzudeuten — waren der Frage nachgegangen, weshalb bürokratische Organisationen den gesellschaftlichen Wandel übersehen und unfähig sind, sich auf geänderte Umweltbedingungen einzustellen; aber ihre Argumente greifen nicht, weil sie offensichtlich methodisch zu spät ansetzen, d. h. nicht die im Vorfeld der Bürokratie liegenden Strukturen — sei es der institutionellen Organisation, sei es des Budgets — angehen, die in sich ein System formen, in dem der öffentliche Dienst sich wie ein Gefangener ausnimmt Das trifft sich mit der Sicht von Wittkämper zu der Herausforderung im besonderen durch die sogenannte strukturelle Gewalt, wie sie von Johan Galtung dargestellt wird, der die Bestimmung der Menschen durch anonyme Strukturen kritisiert. Und das trifft sich ferner mit den — ebenfalls von Wittkämper angezogenen — Thesen von Klaus Türk der auf die Phänomene der Über-komplizierung, Übersteuerung und Überstabilisierung hinweist. Damit läßt sich aber auch verknüpfen, was Thomas Ellwein und Ralf Zoll in ihrer Untersuchung über das Berufsbeamtentum zu dessen Anspruch und Wirklichkeit wie zur Entwicklung und Problematik des öffentlichen Dienstes schlechthin sagen, indem sie die Krise des Berufsbeamtentums nicht als eine solche der Verwaltung und des öffentlichen Dienstes in toto, sondern als Krise von Normen bezeichnen, die der sozialen Realität nicht mehr entsprechen.
Eine so normierte Organisationsstruktur aber — und hier schließt sich der Kreis — versteht sich keineswegs als im Dienste der Politik befindlich, sondern führt weithin ein Eigenleben, und die so bitter notwendige politische Prograinmfunktion, die diesen Kreis durchbrechen würde, erfüllen unsere Budgets eben nicht.
Dabei hat sich die Finanzwissenschaft längst auf den Weg gemacht, die Grundlagen hierfür zu erarbeiten und auch durch die verwaltungswissenschaftliche Theorie ist die Praxis keineswegs allein gelassen. Schon die von Niklas Luhmann vertretene funktional-strukturelle Variante der Systemtheorie erlaubt manchen fruchtbaren Ansatz, um — wenn man es einmal in der Sprache der Wissenschaft sagen darf — „durch systeminterne Differenzierung ... und durch problembezogene Selektions-und Entscheidungsprogramme die aus der Umwelt kommende Komplexität in Problemlösungen zu verwandeln". Es käme also darauf an, daß das System „seine Struktur ... auf seine Systemprobleme ausrichtet" wobei es dann immer wieder auch seine Lernfähigkeit zu beweisen hätte.
Hier also könnte es langgehen, wenn man eine problem-wie kostenorientierte Regierung und Verwaltung wollte. Aber Wollen setzt Wissen voraus. Und schon da hapert es. Denn unsere Politiker lesen nicht einmal die politikwissenschaftliche Literatur — wer wird es ihnen da verübeln, wenn sie die anderen ihr Metier betreffenden Disziplinen vernachlässigen? Und die Organisations-und Haushaltsleute sind eben durchweg Juristen — und die lesen wiederum in erster Linie die Publikationen ihrer Mütterdisziplin. Da aber findet man das, worauf es hier ankommt, kaum.
So müßten also die öffentlichen Hände von sich aus die wissenschaftliche Information so auf ihre Akteure in Parlament, Regierung und Verwaltung hinlenken (und ihnen ein Minimum an Zeit dafür verschaffen), daß sie auch lesen, was sie lesen sollten, und Staat und Kommunen sollten für ein wenig Gespür dafür sorgen, wessen es in methodischer Hinsicht bei der Gestaltung ihres Handelns und bei der Strukturierung seines Umfeldes bedarf. Und das müßte sich auch auf die Inhalte der Aus-und Fortbildung erstrecken, denn wenn hier nicht Grund gelegt wird, gehen alle guten Vorsätze im Tagesgeschäft unter.
Von Nutzen wäre aber auch ein Blick über unsere Grenzen hinweg auf Regierung und Verwaltung im Nachbarland. Man lese nur einmal das Bulletin „Rationalisation des Choix Budgetaires", das etwa seit 1970 erscheint und in vierteljährlicher Abfolge den Einfallsreichtum und die Staatsorientierung des öffentlichen Dienstes in Frankreich dokumentiert. Kümmert sich eine Regierung um diese Dinge, dann verwundert es nicht, wenn ein leitender Regierungsbeamter dort jüngst schreibt: „Tout montre que l'administration est capable de s’adapter, de maniere croissante, aux exigences d'efficacite et de souplesse qui caracterisent l'epoque actuelle." International schließlich müht man sich um Erkenntnisse „to make administration more responsive to and more reflective of so-ciety", insbesondere um „overcoming governmental obsolescence and incapacity to go-vern" wie um ein „establishment of islands of excellency" gelegentlich der Behandlung der dringendsten nationalen Probleme, und schließlich um „new designs for better admi-nistrations" — Zitat aus einem Statement von Yehezkel Dror, Professor an der Hebrew Uni-versity, Jerusalem.
Wollte man diese aus der Theorie wie im bilateralen und internationalen Erfahrungsaustausch gewinnbaren Einsichten zur Methodik des Regierungs-und Verwaltungshandelns in unsere nationale Perspektive übertragen, so würden in ein für die Bundesrepublik Deutschland brauchbares Spektrum sicher eingehen — das Erfordernis eines interdisziplinären wissenschaftlichen Ansatzes, — der Bedarf nach einer breiten sozialwissenschaftlichen Absicherung künftiger Politik im Rahmen sorgfältiger Aufbereitung ihrer Informationsbasis, — die Bereitschaft (und Befähigung) der mit dem Politikentwurf betrauten Akteure zur permanenten Problematisierung und Neudefinition dessen, was man gemeinhin öffentliche Aufgaben nennt, — eine grundsätzliche Sicht unseres Regierungs-und Verwaltungshandelns als Problem-findungs-und Problemlösungsprozeß, — die Einbindung der Problemlösung im besonderen in eine in sich logische Abfolge von politischem Programm, institutioneller Organisation, Budgetstruktur und Personalplanung in kongruenter Zuordnung zueinander mit Hilfe gleichartiger Strukturierung (Programm-= Organisationsstruktur sowie Budgetstruktur nach den Programmkategorien), — eine dynamische Anlage des politisch-zur Planungsprozesses Erhöhung der Sensibilität des „Apparats" für wechseln-de Anforderungen, — damit zugleich eine Selbstdarstellung des öffentlichen Dienstes als Basis für erhöhte Identifikation mit seinen Aufgaben und nicht zuletzt — weitere Ansätze, um von einer puren Wirt-schaftlichkeitszu einer Wirksamkeitskontrolle öffentlichen Handelns insgesamt zu gelangen. Beginn in kleinen Schritten Wenn man wirklich beginnen will, eine dem Ausufern nahe scheinende öffentliche Verwaltung in den Griff einer wirksamen Regierungs-und Verwaltungsmethodik zu bekommen, könnte man in der Tat — und insofern hat Lohmar mit seinen eigenen Vorschlägen gar nicht so unrecht — mit trivial anmutenden Dingen beginnen; hier seien noch einige angefügt:
Rechenschaft über auigewendete Kosten Das erste wäre beispielsweise die Vorlage eines Kontenauszuges in bestimmten Abständen — etwa halbmonatlich — an jeden einzelnen verantwortlichen Beamten — etwa den Referenten in den Ministerien oder den Sachgebietsleiter bei den Kommunen — über die Kosten, die er zu verantworten hat. Hierzu könnten zählen sein eigenes Gehalt nebst einem entsprechenden Gemeinkostenzuschlag für die von ihm innegehabten Raumanteile, aber auch die Gehälter seiner Mitarbeiter nebst Gemeinkosten, ferner die Ausgaben für die hier angefallenen Telefonate und für die inzwischen ausgeführten Dienstreisen, aber auch für die Inanspruchnahme von Dienstleistungen, sei es des Rechenzentrums, sei es der Bücherei, sei es der Fahrbereitschaft, sei es anderer Hilfsdienste. Das ergäbe insgesamt eine eindrucksvolle Bilanz, über die sich ihre Veranlasser jeweils gewissenhaft Rechenschaft legen müßten. Damit wäre ein allererster Schritt zur Begründung von Kostenbewußtsein in der Verwaltung getan. Ansätze in dieser Richtung findet man bereits hier und dort.
Rechenschaft über die bearbeiteten Probleme Vielleicht könnte man ein zweites tun — es hat dies vor einiger Zeit einmal ein mutiger junger Staatssekretär in einem Bundesland versucht: Man könnte die Beamten bitten, im Rahmen einer sich selbst gegenüber zu legenden Rechenschaft über die Sinnhaftigkeit der von ihnen verursachten Kosten zugleich zu vermerken, welche Probleme sie denn mit ihrer so kostbaren Aktion gelöst haben. Das Ergebnis in dem besagten Lande war verblüffend: Nur eine relativ geringe Zahl von Refe-B renten war überhaupt imstande, wirkliche Probleme als Handlungsauslöser zu nennen; die Mehrzahl berief sich auf Gesetz und Routine, ohne deren Ursachen zu zitieren bzw. sie in Frage zu stellen. Mit einem solchen Schritt aber wäre man dann auch schon recht nahe an der Kernfrage des öffentlichen Handelns, nämlich der nach seiner Wirksamkeit — über den Aspekt der Wirtschaftlichkeit oder gar lediglich der Sparsamkeit hinaus
Dies alles sind Möglichkeiten im Rahmen von Ressorts beim Staat bzw. Dezernaten bei den Kommunen. Geht man einen Schritt weiter und überlegt man sich praktische, ressortübergreifende Anfänge, so wäre beispielsweise daran zu denken, daß man einmal die Probleme aus der Sicht einer Gemeinde, eines Kreises, eines Landes oder eines Bundesressorts auflistet und sinnvoll zu gruppieren ver-sucht — die Prinzipien der Ausdifferenzierung und der Ursachenverknüpfung könnten dabei weiterhelfen.
Und schließlich könnten auch die Finanzminister und Kämmerer einmal anfangen, aus ihrem Dornröschenschlaf nach Abschluß der Haushaltsrechtsreform im Jahre 1969 aufzuwachen und darüber nachzudenken, wie man denn — etwa über den Haushaltsaufstellungserlaß — die Information gelegentlich der Anmeldung von Haushaltstiteln in Richtung auf die Erörterung der mit den Steuergroschen zu lösenden Probleme erweitert. Auch hier läge ein Ansatz, um zu der Frage zu führen, ob man denn nicht noch einer Haushaltsstrukturreform oder einer Haushaltssystemreform im ganzen bedürfe — die Politik würde es den Budgetleuten danken.