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Friedensdienst — Sandkastenübung oder Element politischer Alternative? | APuZ 11/1979 | bpb.de

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APuZ 11/1979 Artikel 1 Neue Waffentechnologien, Waffenarten und Kampfmittel Gefahren des Rüstungswettlaufs und Aufgaben der Rüstungskontrolle Friedensdienst — Sandkastenübung oder Element politischer Alternative?

Friedensdienst — Sandkastenübung oder Element politischer Alternative?

Wilfried Warneck

/ 59 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Seit etwa sechzig Jahren gibt es Organisationen internationaler Freiwilligendienste, die sich als Friedensdienste verstehen. In diesen Diensten sind Elemente einer Friedenspolitik verborgen, die nicht in erster Linie von Regierungen, sondern von Bevölkerungen — oder doch ihrer jüngeren Generation — in Gang gesetzt werden kann. Impulse kamen u. a. aus der gewaltlosen indischen Befreiungsbewegung, die den Abschluß des Kolonialzeitalters auslöste, aus dem nordamerikanischen Kampf um die Bürgerrechte von Minderheiten und von der inneren Erneuerung des gewaltlosen täuferischen Zweiges der Reformation (Friedenskirchen) her. Es entstand eine weltweite Basisbewegung, die von der offiziellen Politik weitgehend unbeachtet gelassen worden ist. Sie wird nicht nur als Gedanke weitergetragen, sondern ihre verändernde Kraft beruht vor allem auf Erfahrungen gemeinsamer Arbeit. Nur durch derartige Lernprozesse, die die Bevölkerung selbst in entscheidenden Bereichen (z. B. in den Fragen der Sicherheit oder der Nord-Süd-Solidarität) vollzieht, könnte ein Umschwenken von der herkömmlichen Gewalt-und Drohpolitik zu einer wirklichen Friedenspolitik ermöglicht werden. Der Friedensdienst unterliegt wie alle Formen politischen Handelns bestimmten Regeln, von deren Einhaltung das Gelingen abhängt. Eine von ihnen besagt, daß Friedensdienst nur dann zur Wirkung kommen kann, wenn er eingebettet ist in ein sinnvolles Geflecht von Friedenserziehung, Friedensforschung und Friedenspolitik. Eine weitere Regel verlangt die Verknüpfung und Synchronisation von Hilfsdienst, Verständigungs-und Versöhnungsdienst, Entwicklungsdienst und strukturrelevanter gewaltfreier Aktion. Ferner müssen die drei wesentlichen Dimensionen des Friedensdienstes als innere Einheit gesehen werden: die Verweigerung von Gewalteinübung und -anwendung, die Solidarisierung mit den Opfern der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse und die eigene Arbeit an Alternativen, auch wenn diese nur in begrenztem Umfang verwirklicht werden können. Schließlich wird die Zusammengehörigkeit von Symptom-und strukturorientierten Diensten begründet. Als Wesensmerkmale des Friedensdienstes werden genannt: Freiwilligkeit, Unabhängigkeit von machtvollen Großinstitutionen und das Element von Gruppe und Gemeinschaft. Diese und andere Regeln — die allzuoft mißachtet worden sind — werden an Hand von Beispielen aus der Alltagsarbeit erläutert.

I. Was ist Friedensdienst?

Abbildung 1

1. Wie sieht Friedensdienst aus? — Junge Leute aus dem Bürgerkriegsland Nordirland arbeiten zusammen mit jungen Deutschen und mit Jugendlichen aus mehreren anderen Ländern an einer Spielplatzanlage in einem sozial benachteiligten Straßenzug der Bundeshauptstadt. Für einige der jungen Iren ist es das erste Mal, daß sie sich in einem Land befinden, in dem sie feststellen können: Hier ist die Hauptkategorie des Daseins nicht die der Einteilung in Bürgerkriegsparteien. Auch hier haben die Menschen Probleme, aber es sind ganz andere als die, unter denen wir leiden. Und was die Freunde aus anderen Ländern, aus früheren Projekten berichten, zeigt, auf wie vielen verschiedenen Wegen man versuchen kann, soziale Konflikte zu bewältigen. So ist es für sie das erste Mal, daß sie sich und ihre Existenz-voraussetzungen von außen betrachten, daß sie ganz natürlichen Anlaß haben, darüber nachzudenken und mit anderen zu sprechen.

Für ihr Dasein ist das eine Wende. — Freiwillige aus verschiedenen Ländern geben einige Wochen ihrer Ferien, um miteinander einer Bürgerinitiative zu helfen, die sich um die Integration der Gastarbeiterjugend in einem Großstadtmilieu bemüht. Eine andere Gruppe arbeitet an der Atlantikküste an der Beseitigung von Ölpestschäden. Freilich handelt es sich bei diesen Projekten um eindeutig lokale oder regionale Probleme. Aber diese Probleme sind Symptome der Lebensfragen unserer einen Welt. Das machen sich die Teilnehmer im praktischen Arbeiten wie im Kontakt mit der Bevölkerung und nicht zuletzt in der Diskussion untereinander deutlich. Im winzig kleinen Experiment versuchen sie, Aktion gegen Resignation zu setzen, oft genug auch gegen ihre eigene. — In einem gemischtrassischen, verarmten Viertel einer amerikanischen Großstadt hat gewissermaßen über Nacht der Trend der Grundstücksspekulation umgeschlagen. Wurden die Häuser bisher total vernachlässigt, um ganze Blocks zu entvölkern, von Unterschichtfamilien verwohnen zu lassen und dann geschlossen zu Großprojekten machen zu können, so hat eine neue Industrieansiedlung plötzlich das Interesse an guten Wohnungen gerade hier wachwerden lassen. Die Häuser werden modernisiert, die Mieten verdoppelt, verdreifacht; für die — der Strategie nach übergangsweise — dort angesiedelten wirtschaftlich schwachen Familien sind sie unerschwinglich geworden. Freiwillige helfen den Bürgergruppen bei der Selbstorganisation und Öffentlichkeitsarbeit. Da sind Leute nötig, die mehr als den Feierabend zur Verfügung haben. Unzählige Behördengänge und Besprechungen sind zu absolvieren. Ohne die Freiwilligen könnte nicht die Hälfte der Initiativen getragen werden, auch durch harte Widerstände hindurch, Gewaltandrohungen, ja, Einschüchterungsmorden zum Trotz.

— Die Empörung der Kaffee-und Kakaobauern in einem westafrikanischen Land über die — einer auch ethnisch gesonderten „Kaste" angehörenden — Zwischenhändler gerät bis an den Rand des Bürgerkriegs. Gibt es eine Alternative zur Resignation vor der Misere, zur Landflucht, -zur offenen Gewalt? Gibt es Möglichkeiten einer kollektiven, gewaltlosen Selbsthilfe, die nicht nur ein paar Absatzkonditionen verbessert, sondern tatsächlich neue Startbedingungen schafft? Nötig wären eine neue Ausbildung für alle, ein ganz anderes Informationsniveau, neue Möglichkeiten der Kommunikation mit anderen Gruppen, mit Behörden und mit den Kräften des Marktes. Mitarbeiter des Entwicklungsdienstes — afrikanische, europäische und amerikanische in einem Team — können dabei einige Funktionen erfüllen. So gewährleisten sie die regelmäßige Veranstaltung von Seminaren für die Fortbildung der Verantwortlichen aus den einzelnen Dorfgruppen.

Was versteht man eigentlich unter „Friedensdienst''? 1) Was tun Leute, die sich als freiwillige Mitarbeiter solcher Dienste verstehen? Was geschieht etwa mit den jährlich 1, 7 Mil1) Honen D-Mark, mit denen die Bundesregierung sogenannte „Internationale Jugendgemeinschafts-und -sozialdienste" bezuschußt, wobei die Entwicklungsdienste beileibe nicht eingeschlossen sind?

Häufig wird unter „Friedensdienst" nur die gewaltlose Alternative zum Waffendienst in der Armee verstanden Aber sogar dieses Konzept der Alternative ist vom Bundesverfassungsgericht als mögliche Zielsetzung gestrichen worden Und was tun die Zivildienstleistenden? Freilich üben sie in Krankenhäusern, Heimen, Jugendhäusern, in der Arbeit mit Schwerbehinderten, Alten und Gastarbeitern friedliche Tätigkeiten aus. Sicherlich helfen sie dabei Benachteiligten, Krisen, Konflikte und Aggressionen zu bewältigen. Aber stehen nicht wir alle in unserem beruflichen und privaten Alltag, wo auch immer wir uns befinden, vor derselben Verpflichtung, friedensfördernd zu wirken? Ist damit, daß wir das auch mit etwas mehr Bewußtsein tun, wirklich schon etwas zur Verminderung der Kriegsgefahr getan? Hat das schon etwas mit Schritten in die Richtung zu tun, Armeen und Rüstungen überflüssig zu machen? Was also wäre eine wirkliche „politische Initiative am Ende der Kriegsgeschichte" (Fritz Vilmar)

Anders gefragt: Nach welchen Kriterien ist Friedensdienst eigentlich zu bewerten? Gibt es für sein Gelingen oder Scheitern Regeln und Methoden, wie es sie für die militärische Sicherheitspolitik gibt oder zumindest einmal gegeben hat? Solche Fragen sollen in der folgenden Skizze erörtert werden.

2. Absichten und Ursprünge des Friedensdienstes

Welchen Sinn und welche Erfolgschancen also haben die internationalen Freiwilligen-dienste und „Aufbaulager", die „workcamps", aber auch die mittel-und langfristigen Vorhaben, bei denen Jahr um Jahr weltweit etwa eine Million junger Menschen versuchen, „Frieden einzuüben"

Unter dem Einfluß bzw.der Leitung von William James in den USA, Eugen Rosenstock-Huessy in Deutschland und Pierre Ceresoie in Westeuropa begannen in der Zeit um den Ersten Weltkrieg sich Friedensdienste zu formieren. Ihre ebenso einfache wie einleuchtende These lautete: Die Zeit, in der sich die Menschheit einen Weltkrieg leisten könnte, darf niemals kommen (James 1910) bzw. ist endgültig vorüber (Rosenstock 1919) — „Weltkrieg" muß dem „Weltfriedensdienst"

Platz machen. So wie sich die Welt bisher auf Krieg ausgerichtet hatte, so muß sie forthin den Frieden zum ersten und letzten Element ihres Denkens und Trachtens machen. Aber Frieden kommt nicht von alleine. Er verlangt Arbeit und Dienst. Dienten wir bisher mit Op-fermut und unglaublicher Einsatzbereitschaft dem Kriege, so müssen wir nun mit noch größerer Hingabe für den Frieden aktiv werden. Denn, so faßt Fritz Vilmer das Grundmotiv Eugen Rosenstock-Huessys zusammen: „Die Menschenwelt ist eine geworden. Unser Planet ist erschlossen. Alle sind mit allen verbunden. Kein Erdteil, kein Volk steht mehr außerhalb, lebt mehr für sich. Zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte sind wir vollzählig ... Keiner kann mehr für sich, ohne oder gegen den anderen leben." Und nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist zu resümieren: „Die Atombombe erzwingt das Ende der Kriegsgeschichte. Das heißt: Der Krieg, in der bisherigen Geschichte wirksames Mittel der Politik, wesentlich gestaltendes Moment der Weltgeschichte, kann heute keine politischen Entscheidungen mehr erzwingen, sondern höchstens zum wechselseitigen Selbstmord der Völker führen. Wenn künftig menschliche Geschichte also nicht überhaupt enden soll, wird sie künftig nicht mehr Kriegsgeschichte sein. Es gilt nicht mehr, Feinde zu besiegen — denn es gibt keinen Sieg mehr mit Atomwaffen —, sondern es gilt, Freunde zu gewinnen."

Zu den geschichtlich-anthropologischen, militärtechnischen und ökonomischen Überlegungen tritt ein psychosoziales Motiv: „Nichts kann einer wirksamen Friedenspolitik in unserer hochgefährlichen Weltlage abträglicher sein ... als eine Unterschätzung der gesellschaftlichen Konfliktstoffe, die oft untergründig ein Gemeinwesen zu (selbst-) zerstörerischer Entladung nach außen drängen ... (Es)

sammeln sich, weithin unerkannt, destruktive Energien an, die die lebensfeindliche, falsch rationalisierte Struktur unserer industriellen Arbeitswelt in den Menschen selbst erzeugt ... Eine tiefe Malaise in dieser ...

spannungs-und aussichtslosen Friedenskultur ohne Befriedigung ergreift die Menschen und bewirkt, daß sie — zumindest die Jugend — dieser . Kultur’ entfremdet, gleichgültig, geringschätzig gegenüberstehen, rasch sympathisierend mit allen Möglichkeiten, die sich bieten, um aus dieser enttäuschenden, wenig lebens-oder gar liebenswerten Zivilisation auszubrechen. — Wie nun aber, wenn eine nicht länger bloß reglementierende, sondern mit vitaler Phantasie und Konstruktionskraft begabte soziale Vernunft die tödlich mechanische Monotonie unserer Industriegesellschaft aufzubrechen, umzustrukturieren imstande wäre? Wie, wenn sie imstande wäre, Lebens-spannung, ... echte Lebensrhythmen und Lebensaufgaben für die junge, mittlere und ältere Generation in unserer Industriewelt einzurichten?"

Strategisch betrachtet dachten alle drei Männer ähnlich, wie es wenig später in etwas systematischerer Weise von Gandhi wieder und wieder ausgeführt wurde. Danach beruht Krieg zum einen auf objektiven Ursachen, die man etwa unter dem Begriff der „Ungerechtigkeiten" (Gandhi zog es oftmals vor, von „Unwahrhaftigkeiten" zu sprechen) zusammenfassen kann. Er beruht zum andern aber auch auf subjektiven oder innerlichen Faktoren. Diese haben es alle mit Kommunikationsmangel zu tun, mit Barrieren, die das Wachsen einer gemeinsamen Identität der betroffenen Bevölkerungen verhindern. Mit den politischen Maßnahmen auf der Makroebene müssen also unzählig viele Basiserfahrungen auf der Mikroebene einhergehen, in denen sowohl Ungerechtigkeit als auch Fremdheit angegangen werden.

Gandhi exerzierte immer wieder ein Experiment durch, das uns ein wenig unappetitlich und fast lächerlich erscheinen mag und in dem doch alle wichtigen Elemente dieses Friedens-verständnisses vorkommen. Er kommt mit seiner Gruppe, zu der Inder aus verschiedenen Kasten, aber auch Ausländer gehören, in ein vom Kastensystem und entsprechend scharfen sozioökonomischen Unterschieden geprägtes Dorf. Nach den ersten Diskussionen stellt sich ein seltsames Projekt als vordringlich heraus: eine Latrinenanlage mit Sickergrube. Während des Baus, der immer mehr zu einer Gemeinschaftsaktion wird, gesellen sich Dorfangehörige aus verschiedenen Kasten dem Team zu. Dabei werden gleichzeitig verschiedene Erfahrungen gemacht.

Erstens wird mit der Eindämmung von Ansteckungsherden ein hygienischer Fortschritt erzielt, der für die ganze Dorfgemeinschaft von offensichtlichem Nutzen ist.

Zweitens wird bewiesen, daß der spaltende und exklusive Charakter der Gesellschaftsstruktur auf keinerlei Notwendigkeit beruht; denn das Kastenwesen hat seine Rechtfertigung schließlich darin, daß die Kastenlosen existieren und daß sie ausgeschlossen bleiben müssen. Sie hatten nämlich bisher für die Beseitigung des Unrats zu sorgen und wurden unter anderem deshalb im übrigen Dorf gemieden. Seit es die neuen Latrinen gibt und damit die Funktion der Kastenlosen weitgehend entfällt, stinken diese nicht mehr, weder im direkten noch im übertragenen Sinn. Sie können in die Gemeinschaft aufgenommen werden.

Drittens: Die Mitarbeit der Fremden beweist dem Dorf, daß es zur Menschheit hinzugehört. Es ist nicht irgendein Winkel, den man vergessen kann, ohne daß der übrigen Welt etwas fehlte.

Viertens: Das gemeinsame Planen und Reflektieren, vor allem aber die gemeinschaftliche physische Arbeit erschließt der Dorfgemeinschaft eine neue Dimension gegenseitiger Kenntnis. Viele hatten sich so noch nicht kennengelernt. Die Dorfgemeinschaft ist nach dem Projekt nicht mehr das, was sie noch einen Tag davor gewesen war. Das Zusammengehören ist nicht mehr nur ein Schicksal. Man hat ein Gefühl füreinander bekommen; man ist bereiter geworden, sich bewußt füreinander zu entscheiden. Fünftens: Die Unentgeltlichkeit, die Freiwilligkeit der Arbeitsleistung eröffnet den Ausblick in eine gemeinsame Zukunft auf einer neuen Basis. Nie hätte es zuvor jemand für möglich gehalten, daß in diesem Dorf jemals einer etwas tun würde, ohne (zumindest sich selbst im stillen) zu fragen, was er dafür kriegte. Nun erscheint vieles als möglich, wovon man sonst nur hatte träumen können.

Sechstens: Das gemeinsame Planen und hinterher das gemeinsame Betrachten und Bewerten hat der Dorfgemeinschaft Gelegenheit gegeben, die eigene Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft seitens der ganzen Gruppe zu objektivieren. Ruhig und vernünftig, ohne Druck und Zwang konnte das Dorf ein wenig Distanz zu sich selbst, zu seinen Erfahrungen, Leiden und Wünschen gewinnen.

Siebentens: Durch das Barrieren überschreitende gemeinsame Arbeiten und Sprechen, Nachdenken und Abwägen ist die schöpferische Phantasie des Dorfes in Gang gekommen. Die Kastenabschnürung hatte ihre Äußerung sonst unmöglich gemacht; man hätte sich der Lächerlichkeit, wenn nicht realen Sanktionen ausgesetzt. Jetzt ist im Nu eine ganze Projektliste aufgestellt. Die Apathie ist durchbrochen; es gibt Hoffnung.

Für Gandhi waren solche und ähnliche Aufbaudienste die unentbehrliche zweite Seite des großen politischen Kampfes. Die ganze Unabhängigkeit von der Kolonialmacht taugte in seinen Augen nichts, wenn die fünfhunderttausend indischen Dörfer und Elendsviertel nicht dazu kämen, derlei Erfahrungen zu machen, wieder und wieder, bis sie zum selbstverständlichen gesellschaftlichen Element geworden sind. Er nannte dies alles „the constructive program", „das Aufbauwerk". Es stellt, meinte er, die andere Seite der einen Münze „gewaltfreier politischer Kampf" dar. Die Vorderseite entspricht der politischen Auseinandersetzung im Bereich der großen Machtstrukturen. Die Münze gilt nur, wenn beide Seiten vorhanden und gut lesbar sind.

Nun hat die indische Dorflatrine den unschätzbaren Vorteil, daß sie von sofort einsehbarem Nutzen ist. Düsseldorf, Zürich, San Franzisko oder Tokio aber sind keine indischen Dörfer. Ihre Strukturen sind von höchster Komplexität. Die Machtverhältnisse scheinen sich allen Analysen zu entziehen. Die Menschen dort können auch nicht von heute auf morgen alles stehen und liegen lassen und Freiwilligendienste machen — die meisten jedenfalls nicht.

Hier sagten die Väter des Friedensdienstes: Aber es gibt doch eine Schicht, die verfügbar ist, die — innerlich wie äußerlich — noch nicht so fest eingebunden ist: die Jugend! Laßt wenigstens eure Jugend diese Erfahrungen machen. Laßt sie sie für euch alle machen. Laßt sie die Erfahrung machen, daß es nur einen Frieden gibt — nicht den Frieden der Armen und den der Reichen, sondern nur einen Frieden für alle. Nicht den Frieden der Amerikaner und den der Inder und den der Ungarn und den der Kameruner, sondern den einen Frieden aller. Das erfährt man kaum, wenn man es hört oder wenn man davon liest, sondern meist einzig dadurch, daß man miteinander persönlich und möglichst auch körperlich daran arbeitet. Das gemeinsame unentgeltliche Arbeiten an gemeinnützigen Projekten, begleitet von gemeinschaftlichem Reflektieren, Lernen und Feiern, als entscheidendes Medium der Kommunikation und der Solidarisierung — das war eine der bahnbrechenden Entdeckungen.

Seither ist der Friedensdienst der Freiwilligen durch folgende Merkmale charakterisiert:

1.den pazifistischen Akzent und die Nähe zur Kriegsdienstverweigerung; 2.den ausgeprägten Internationalismus (so daß die Entwicklung großer nationaler Organisationen vom Typ des US-Peace Corps von manchen mehr als Katastrophe denn als Fortschritt empfunden wurde); 3. die sichtbare Solidarisierung mit den jeweils am meisten Benachteiligten, also ein gegenbürgerlicher Akzent;

4. die Unentgeltlichkeit der geleisteten gemeinnützigen Arbeit;

5. weitgehenden Verzicht auf sonst im internationalen Leben übliche soziale und politische Sicherungen;

6. das Element der Gruppen-und Gemeinschaftsbildung, sich ausdrückend auch in einem Netz weltweiter und doch ganz persönlicher Freundschaftsbeziehungen;

7. die Beteiligung aller an einfacher körperlicher Arbeit als dem eigentlichen Kennzeichen der Zusammengehörigkeit.

3. Trends des Friedensdienstes heute

Das Instrumentarium des Friedensdienstes hat sich in den vergangenen Jahrzehnten erweitert und aufgefächert. Es reicht nun vom kurzen sozialen Hilfsdienst über mittelfristige Begegnungsprogramme oder langfristige Aktionen zur Bewußtseinsentwicklung größerer Bevölkerungsgruppen bis zur Mitarbeit an der Veränderung ungerechter gesellschaftlicher Rahmenbedingungen. So haben Freiwillige des Friedensdienstes etwa dazu beigetragen, daß die noch vor wenigen Jahren rechtlose Kaste der — meist spanischsprachigen — Wander-Landarbeiter in den USA eine eigene Gewerkschafts-und Genossenschaftsbewegung entwickeln konnte. Das war ein tiefgehender Einbruch in bis dahin für graniten gehaltene Machtstrukturen, der weiterwirken wird.

Oder, um einen uns schicksalsmäßig näherliegenden Bereich zu nennen: Sie haben Jahr um Jahr zu Hunderten in den zu Gedenkstätten gewordenen ehemaligen Konzentrationslagern in Polen gearbeitet. Dabei sind sie wohl ausnahmslos in einen wesentlichen persönlichen Lernprozeß hineingekommen. Sie kamen auch mit unzähligen Polen aller Generationen ins Gespräch. Nach Meinung mancher Politiker haben sie, um es bescheiden auszudrükken, in einem nicht unbedeutenden Maße dazu beigetragen, daß das Verhältnis zwischen Polen und Deutschen auf eine neue Grundlage gestellt werden konnte. Natürlich versuchen manche Furchtsame und Gestrige auch weiter, Mauern des Mißtrauens hochzuhalten. Doch man hat den Eindruck, daß ihr Bemühen zunehmend in der wachsenden Kommunikation der beiden Völker zusammenbricht.

Freiwilligendienste haben in Westeuropa das Problem der Obdachlosigkeit auf die Tagesordnung gebracht. Sie haben die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß die Selbsthilfe-methode der Gemeinwesenarbeit unter . marginalen'Gruppen entwickelt werden konnte.

Daraus wiederum wuchs die Arbeitsform der Bürgerinitiativen, ohne die die politische Landschaft heute nicht mehr vorzustellen wäre. Die Anti-Kernkraftbewegung in den westlichen Ländern, deren Einfluß auf Wirtschaft, Technologie und Politik nicht mehr unterschätzt werden kann, wäre ohne diese geschichtliche Entwicklung wohl nicht vorhanden. In den USA bereitet sich in den Freiwilligendiensten das direkte Engagement in der Abrüstungsfrage vor. Käme es auf diesem Gebiet zu so etwas wie einer Volksbewegung — und das wäre ein vielleicht entscheidender Schritt voran —, wäre diese sicherlich nicht ohne wesentliche Beteiligung dieses Flügels der Friedensbewegung denkbar.

In der Entwicklungspolitik ist es weitgehend unbemerkt geblieben, daß es Freiwilligen-dienste waren, die in manchen Ländern den Ausschlag dafür gegeben haben, daß sich die Strukturen von Landwirtschaft und Handwerk durchgreifend verändern konnten. Manches gute Landreform-oder Genossenschaftsgesetz wäre in den Schubladen verstaubt, wenn die Kleinarbeit von Freiwilligen auf Dorfebene nicht die Voraussetzungen für seine Anwendung und Durchsetzung geschaffen hätte. Das gilt ganz besonders dort, wo es sich um Dienste der Jugend der Entwicklungsländer selbst handelt. Auf diesem Sektor findet zur Zeit eine sprunghafte Vorwärtsentwicklung statt. Es schien mir nötig, gleich hier diese Beispiele großräumiger und weitgreifender Entwicklungen zu erwähnen. Zu leicht entsteht sonst der Eindruck, derlei Dienste seien letztlich doch nur Freizeit-und Ferienspiele intellektueller Jugend, also Beschäftigungen, die auf die realen Machtverhältnisse keinerlei Einfluß ausüben können. Die Dienste sind aber tatsächlich an einigen sehr wesentlichen Entwicklungen beteiligt. Diese Beobachtung sollte jedoch nicht von der Tatsache ablenken, daß Tag um Tag und Jahr um Jahr die Kleinarbeit weitergeht, jene Basiserfahrungen persönlicher Art weiterzuvermitteln, von denen eingangs die Rede war: Sie stellen die unentbehrliche zweite Seite der einen Münze „gewaltfreie Friedenspolitik" dar.

So helfen Tag um Tag Freiwillige in Nordirland katholischen und protestantischen Familien, in einer Atmosphäre von Geborgenheit und Freundschaft gemeinsame Ferien zu verbringen und damit neues Vertrauen aufzubauen. Tag um Tag werden im Nahen Osten Juden und Muslime zusammengeführt. Und so könnte von Zypern, von afrikanischen Krisen-herden und so fort berichtet werden. So mancher Krieg, so manche Katastrophe sind nicht verhindert worden. Sie sind trotz des unermüdlichen Dienstes vieler Organisationen ausgebrochen und haben ihre Opfer gefordert. Aber: Wie viele Kriege sind nicht ausgebrochen? Wie viele Menschen brauchten nicht zu sterben? Wie viele haben eine neue Hoffnung, eine neue Vision erhalten?

Das Interessanteste an der gegenwärtigen Entwicklung scheint mir also zu sein, daß die helfenden und bewußtseinsbildenden Dienste (die, gesellschaftspolitisch betrachtet, keine rasch greifbaren „Erfolge" zu zeitigen pflegen) fortgesetzt werden, gleichzeitig aber mehr und mehr die Arbeit an den Wurzeln gesellschaftlicher Widersprüche bejaht und verwirklicht wird. In den späten sechziger und frühen siebziger Jahren war ein starker Trend vorhanden, die mehr symptomorientierten Projekte als „rein karitative Flickschusterei", als feiges Alibi (das als Feigenblatt den Status-quo-Wächtern nur lieb sein könne) abzulehnen. Richtig ist, daß manche Dienste aus Routine und Konfliktangst ein starkes Über-gewicht zu solchen Programmen hin bekommen hatten. Die Folge eines Umschlags war jedoch in der Regel, daß der Kontakt zur Breite der Bevölkerung abbrach. Dieses Dilemma führte manchmal zu ganz abstrusen Unterscheidungen, welche Arbeit mit welchen Gruppen noch als Friedensdienst anerkannt werden könne und welche man ablehne. Es kam zu starken Spannungen zwischen Dienstorganisationen und lokalen Projektträgern, vor allem aber auch innerhalb der Organisationen, wobei die jeweils jüngste Freiwilligengeneration, die nur die letzte Phase der Entwicklung überschauen konnte, dem Management der Dienste Kollaboration mit den Status-quo-Institutionen, mangelnde Konsequenz im Blick auf die eigenen Zielwerte und Risikoscheu den Geldgebern gegenüber vorwarf.

Diese Phase scheint nun überwunden zu sein.

(Mancherorts kommt es zu neuen Unzufriedenheiten, weil sich die Positionen gerade umgekehrt zu haben scheinen.) Die Zusammenarbeit z. B. mit Belegschafts-und Gewerkschaftsgruppen, die an der „Konversion" ihrer Betriebe von militärischer zu ziviler Produktion arbeiten, ohne daß Arbeitsplätze in Gefahr geraten kann Hand in Hand gehen mit Sprachkursen für Gastarbeiterkinder, mit einer Arbeit also, die sicher nur einen peripheren Beitrag zum Abbau eines — wenn auch beträchtlichen — Konfliktpotentials darstellen kann. Oder: Man studiert intensiv die Ursachen des Faschismus und stellt sich mit gezielter politischer Arbeit neofaschistischen Anfängen entgegen, aber man ist auch bereit, in einem jüdischen Altenheim Tag um Tag einfachste Dienste zu leisten; vielleicht werden Menschen, die es sich noch nicht vorstellen können, mit einem Deutschen jemals wieder ein Wort zu wechseln, dennoch die dargebotene Chance ergreifen, sich von der Blokkierung durch die „unausdenkbare Vergangenheit" zu befreien — wenngleich diese Hoffnung niemals zum Motiv des Dienstes werden darf. Wirklich brüderliche Gesten und Handlungen sind zweckfrei.

4. Der elementare Grundkonsens des Friedensdienstes

Versuchen wir nun, weniger geschichtlich entwickelnd als vielmehr synoptisch beschreibend, den bisher erhaltenen Überblick zusammenzufassen.

In über zweihundert nationalen oder internationalen Organisationen versuchen Freiwillige in kurz-, mittel-und langfristigen Diensten — vom mehr oder weniger regelmäßigen Wochenendeinsatz bis zum mehrjährigen Fachdienst —, in gemeinsamer körperlicher und geistiger Arbeit „Frieden zu lernen". Nach dem Selbstverständnis der typischen Organisationen dieser Bewegung arbeiten die Freiwilligen für soziale Gerechtigkeit, für gegenseitiges Verständnis und für eine Solidarität, die über soziale, nationale, rassische, weltanschauliche und religiöse Grenzen hinweg wirksam wird.

In der internationalen Verfassung der Pionier-organisation der Workcamp-und Friedensdienstbewegung, des Service Civil International, erklären die Mitglieder die Absicht, „über die Grenzen, die die Menschen trennen, hinweg einen Geist auszubreiten, der den Krieg zwischen Nationen unmöglich machen soll" und „sich für einen internationalen Aufbaudienst einzusetzen, der vielleicht einmal den Militärdienst ersetzen wird“

Diese Bewegung ist u. a. ein wichtiges Element heutiger Friedenserziehung

In diesen Gruppen wird also ein Verständnis von Frieden wirksam, demzufolge Frieden nicht durch gewaltgesicherte Abgrenzung und Blockbildung gefördert werden kann, sondern vielmehr durch eine Solidarität, die Grenzen aller Art aufzulösen trachtet. Frieden wird nach der in dieser Bewegung vorherrschenden Meinung nicht dadurch vermehrt, daß das Bestehende passiv oder aggressiv erhalten wird, sondern durch kooperative Entwicklung in gegenseitiger Ermutigung.

Ein weiterer maßgeblicher Richtwert dieser Bewegung ist die Freiwilligkeit, die Unentgeltlichkeit der für das allgemeine gemeinsame Wohl geleisteten Arbeit.

Solche Dienste werden weithin für unvereinbar mit dem Element der Gewaltanwendung gehalten. In ihrem Politikverständnis kommen immer wieder Gedanken aus der Konzeption der Führer des gewaltfreien indischen Antikolonialismus zum Tragen. Danach ist die gegenwärtige Machtpolitik wesentlich dadurch bestimmt, daß sie auf partikulare Interessen ausgerichtet ist, nicht auf die des Gesamten, der menschlichen Gesellschaft als einer globalen und untrennbar zusammengehörenden Gemeinschaft. Diese Machtpolitik ist schrittweise durch eine übergreifende Zusammenarbeit der Bevölkerungen selbst zu ersetzen.

Dabei war die Erfahrung bestimmend, daß sich latente soziale Energie durchaus erwekken, ja, steigern läßt, wo man die gesellschaftliche Entwicklung nicht autoritär herbeizwingen will, sondern bereit ist, sich auf einen unter Umständen langen, kontinuierlichen Prozeß einzulassen. Die meist unausgesprochene Grundüberzeugung besagt, daß es menschliche soziale Existenz ohne — wenn auch vielleicht seit langem schlummernde — soziale Energie nicht gibt. Wie apathisch ein Milieu auch erscheinen mag, es verbirgt in sich ein schier unerschöpfliches Potential an Phantasie, Kommunikation und Kreativität Welcher Katalysator jedoch ist notwendig, um den Prozeß neuen Lebendigwerdens anzustoßen?

Die Grundthese lautet, daß „von oben" (eben: autoritär) in Gang gesetzte Aktionsphasen keine authentische Vitalität darstellen können, kein Handeln, mit dem sich die betroffene Bevölkerung wirklich von innen her identifizieren kann. Mit wie guten Absichten auch immer — angeordnete oder aufgedrängte Aktionen wirken sich langfristig eher auflösend aus, nicht aufbauend. Dabei ist das , Was'dieses Tuns oft nicht das Entscheidende, sondern das , Wie’. Ob die Aktionsziele tatsächlich mit den eigenen Bedürfnissen übereinstimmen, das können manchmal auch die Akteure selbst erst im Laufe des Prozesses herausbekommen. Deshalb ist eine der fundamentalen Überzeugungen hinter unseren Diensten die, daß —formelhaft ausgedrückt — nicht das Erreichen eines theoretisch gesteckten Zieles als solches für entscheidend gehalten wird, sondern daß der einzelne Teilschritt richtig ist und auch richtig vollzogen wird

Dabei ist auch nicht die Anzahl erfolgreich abgeschlossener Projekte oder Aktionen das Wichtige, sondern, daß sich möglichst viele Beteiligte als Gleichberechtigte engagieren und sich dadurch als Betroffene und Handelnde erfahren können, als Menschen mit einer bejahten Gegenwart und einer bejahten Zukunft. Nur solche Menschen sind in der Lage, die Intentionen der Friedensdienste wahrzunehmen und in effektive gesellschaftliche Veränderungen umzusetzen. Daher das Mißtrauen der Dienste gegenüber autoritären Ideologien und die starke Tendenz zu einer Lebens-und Arbeitsform in größtmöglicher Nähe zur Existenz der Masse der Unterdrückten oder Benachteiligten. II. Grundlinien der Theorie des Friedensdienstes

1. Ein Vorschlag zur Definition

Friedensdienst, wie er hier verstanden und dargestellt wird, ist eine ohne materielle Gewinnabsicht freiwillig geleistete und von öffentlichen Großinstitutionen möglichst unabhängige Arbeit, die zur Verwirklichung von Frieden (oder doch zur Sensibilisierung für diese Aufgabe) beiträgt. Er wird in der Regel von temporären Kräften ausgeführt (auch wenn permanente, professionelle Leitungskräfte erforderlich sind), die sich in Gruppen organisieren. Friedensdienst ist Friedenshandeln im Konfliktfeld, aber ohne Anwendung staatspolitischer Machtmittel.

2. Die drei Wirkungsebenen des Friedensdienstes

Die Art und Weise, wie sich Friedensdienst darstellt und auswirkt, läßt sich dreifach gliedern: in die Verweigerung gesellschaftlicher Zumutungen der Einübung und Ausführung von Gewalt, die Solidarisierung mit den Opfern gegenwärtiger gesellschaftlicher Verhältnisse und den eigenen Aufbau einer Alternative, so andeutungsweise oder zeichenhaft auch immer er zunächst nur sein oder erscheinen mag.

Diese drei Elemente — Gewaltverweigerung, Hilfsdienst und Arbeit an gesellschaftlichen Alternativen — lassen sich bei näherem Zusehen im gesamten Bereich des Friedensdienstes ausmachen. Dabei ist es sehr wichtig, daß sie sowohl von den Diensten und den Freiwilligen selbst als auch in der Gesellschaft und ihren irgendwie betroffenen Gruppierungen als zusammengehörig wahrgenommen werden.

So ist die Gewaltverweigerung, etwa in der Form der Kriegsdienstverweigerung, als erster Schritt natürlich wichtig. Der besonders in den USA sich einbürgernde Begriff der „persönlichen Abrüstung" zeigt das deutlich: Man kann kein Wagnis von großen Strukturen verlangen, das man nicht auch im Kleinen und Individuellen einzugehen bereit ist, und kollektive Schritte der Abrüstung gehen ins Leere, wenn sie nicht vom persönlichen Engagement der einzelnen mitgetragen werden.

Aber die Verweigerung provoziert augenblicklich die Frage: Wenn die Verteidigung durch Androhung und gegebenenfalls Ausübung militärischer Gewalt nicht mehr gelten soll, mit der wir, die menschliche Gesellschaft, uns Jahrtausende hindurch — elend genug, aber immerhin — durchgeschlagen haben, was dann an ihrer Stelle?

Unter anderem in der Beantwortung dieser Frage ist etwa in den „Historischen Friedens-kirchen" (in den pazifistisch orientierten Frei-kirchen der Mennoniten, der Brethren und der Quäker) die Gruppen-, Gemeinde-oder Volk-Gottes-Ethik besonders wichtig geworden. Was heißt das? Wir schalten hier von der ersten der am Eingang dieses Abschnitts genannten drei Wirkungsebenen gleich auf die dritte über: Wenigstens im Raum der eigenen Gruppe, der eigenen Kirche oder Gemeinde möchte man versuchen, die wünschbare gesellschaftliche Alternative (beschrieben etwa als Gesellschaft ohne Gewalt und Gewaltandrohung) vorwegzunehmen und zu verwirklichen. Auf verschiedene und mannigfaltige Weise dringt diese realisierte Utopie unter bestimmten Voraussetzungen in das soziale Umfeld hinein.

Beide Elemente — Verweigerung wie Alternative — bedürfen des verbindenden Elementes der zweiten Ebene: Diejenigen, die Opfer der gegenwärtig bestehenden direkten oder strukturellen Gewalt geworden sind oder zu werden drohen, verlangen nach aktiver Brüderlichkeit. Verweigerung wie Alternative müssen zynisch wirken, wenn es so aussieht, als wolle man die jetzt und hier notwendige Hilfe aufschieben, bis sich die Gesellschaft erst einmal unter dem Eindruck alternativer Möglichkeiten verändert habe. Strukturen verändern, so daß Ungerechtigkeit aufgehoben wird — darauf kommt es freilich an; aber es ist unglaubwürdig, wenn sich die Veränderer gleichzeitig von denen abwenden, die heute mitten unter uns und um uns her ihrer Menschenwürde beraubt werden. Dies ist einer der Gründe, um derentwillen der karitative Dienst seinen unverzichtbaren Platz im Gesamten des Friedensdienstes hat.

Es konnte hier aber vielleicht auch angedeutet werden, weshalb die Gewaltverweigerung gewiß nicht mehr als das kleine Einmaleins des Friedensdienstes sein kann. Damit soll selbstverständlich nicht gesagt sein, jeder, der zum ersten Mal zu einem internationalen Aufbaulager fährt, müsse ein überzeugter Pazifist sein. Wohl aber wird oder sollte sich ihm die Frage der Gewaltlosigkeit stellen, wenn er sich auf einen längeren und gründlicheren Lernprozeß im Friedensdienst einläßt.

3. Friedensdienst als ein Element im Gesamten des Friedenshandelns

Um Mißverständnisse auszuschließen, muß — auch wenn es als eine Trivialität erscheinen mag — ausdrücklich gesagt werden, daß unserer Meinung nach auch der beste Friedens-dienst alleine nicht ausreichen kann, wirksames Friedenshandeln darzustellen. Er alleine kann die Kriegsgefahr nicht spürbar herabsetzen oder der Welt die geradezu irrational gewordene Last der Rüstungskosten erleichtern. Friedensdienst kann sein Ziel nur dann erreichen, wenn er als ein Glied in einem viergliedrigen Verbund verstanden und gehandhabt wird; in ihn gehören die Friedensforschung, die Friedenserziehung und die (staatliche, nationale wie internationale) Friedenspolitik mit hinein. Auf die Art und Weise ihrer Verbundenheit untereinander gründlich einzugehen, wäre höchst reizvoll. Im Rahmen dieser Skizze freilich sind nur einige Andeutungen möglich. Zuvor jedoch sei die These unterstrichen, daß die sinnvoll synchronisierte Kombination dieser Elemente zum Bedingungsrahmen des Friedensdienstes überhaupt gehört.

Friedensforschung — um diesen Aspekt zu nennen — muß um der Sache willen immer die Tendenz haben, transnationale und partizipierende Forschung zu sein. Friedensforschung hat in den meisten Fällen Gegenstände und Problemfelder zu bearbeiten, die auf den Forschungsvorgang als solchen reagieren, die sich also in seinem Verlauf verändern. Werden Friedensforschung und Friedens-dienst miteinander verbunden, so wird der Forschungsvorgang in einen längeren sinnvollen Prozeß eingebettet. Es können aus dem Prozeßverlauf jedoch nur Hinweise darauf erhoben werden, ob die Forschungsarbeit konstruktiv oder destruktiv gewirkt hat, ob sie in einem jeweils zu bestimmenden Sinn Frieden gefördert hat oder nicht. Man kann eigentlich also nur sagen, ob sie „sich bewährt" und insofern „bewahrheitet" hat; diese Aussage aber kann von höchstem Wert sein. Freilich verbergen sich in dieser Frage alle Probleme des Theorie-Praxis-Knotens und der Wertneutralität bzw. -gebundenheit sozialwissenschaftlicher Arbeit im Blick auf Frieden überhaupt.

So viele Probleme hier also auch noch zu klären sind, so ist doch von der anderen Seite her festzustellen, daß Friedensdienst heute ohne Forschung nicht mehr auskommen kann. Allein im Entwicklungsdienst verändern sich die Voraussetzungen derart rapide, daß die Dienstorganisation völlig überfordert ist, wenn sie neben ihren genuinen Aufgaben auch noch die Beschaffung und Auswertung der relevanten Informationen leisten und diese in die richtige Beziehung zu ihrem Programm bringen soll — um nur ein sehr einfaches Beispiel zu nennen. Da die Kopplung mit der Forschung aber sehr oft nicht funktioniert, werden zuweilen Programme fortgesetzt, die längst nicht mehr in die Landschaft der entwicklungspolitischen Tatsachen passen, während Aufgaben, die nach Engagement rufen, unerfüllt bleiben. Wie oft wäre es schon möglich gewesen, durch sofortiges Eingreifen Katastrophen abzuwenden oder zu vermindern — doch die Daten waren nicht zur Stelle oder wurden nicht richtig „eingegeben"

Und wie steht es mit dem Verhältnis von Friedensdienst und Friedenserziehung? Johan Galtung sagt: „In anderen Erziehungsprogrammen wird im allgemeinen als selbstverständlich angenommen, daß es nicht nur auf die mündliche Vermittlung ankommt. In der Chemie, Physik und Biologie gibt es Praktika in den Laboratorien; in der Politologie und Soziologie kommt man nicht ohne die Erfahrungen in gesellschaftlichen Einrichtungen aus. Deshalb liegt es nahe, auch in unserem Fall eine Aktivität dieser Art für eine in der Friedenserziehung tätige Gruppe vorzusehen.“ Bei der internationalen Tagung „Erziehung zu Frieden und sozialer Gerechtigkeit" im November 1972 in Bad Nauheim entwarf Galtung ein Mehrphasenmodell von Friedenserziehung, dessen letzte Stufe (nach Analyse, Formulierung der Ziele, Kritik und Ausarbeitung von [alternativen] Vorschlägen) „Aktionen" heißt, und im Gespräch erklärte er, daß er genau da den Ort der Dienst-und Aktionsgruppen sehe. Friedenserziehung ohne Friedensdienst führt vielleicht zu einem Zuwachs an Information, aber nicht zu tragfähigen Einstellungen. Bahr, Benedict und Grönemeyer stellten 1974 fest: „Politische Ohnmachtserfahrungen und Lebenssicherungskonflikte sind weder im Rahmen einer idealistischen, mit der unzerstörbaren Vernunftnatur des Menschen rechnenden Didaktik aufbrechbar noch durch moralische Appelle ... Eher sind verinnerlichte Ohnmachtserfahrungen — zumindest punktuell — überwindbar durch Lernen im sozialen Feld selbst."

Es darf nicht verschwiegen werden, daß uns auf diesem Gebiet enorme Schwierigkeiten begegnen. Können sich Einstellungen von Heranwachsenden und Erwachsenen überhaupt noch ändern? Kann jemand, der in seiner gesamten primären Sozialisation auf die mehr oder weniger exklusive Loyalität gegenüber seiner Nation, seiner Gruppe, seinem Stand usw. festgelegt worden ist, überhaupt noch solch ein entscheidendes friedenspädagogisches Ziel wie „transnationale Loyalität" erreichen? Kann er im entscheidenden Augenblick tatsächlich im Sinne dieser übergreifenden Zusammengehörigkeit reagieren? Kann jemand, der seine ganze Jugend über auf Konkurrenz erzogen worden ist, überhaupt im Sinne der Solidarität leben und arbeiten, es sei denn, mit dem Kopf, gedanklich und verbal? Ein einfaches Nein wäre vorschnell. Immerhin scheint es stimulierende Gruppenerfahrungen zu geben, die ein Löschen und Neulernen der fraglichen Ziele zu erleichtern vermögen. Sicherlich: „Ein radikaler Wandel im Verhalten eines Menschen ist nur unter der Bedingung eines radikalen Systemwandels in seinem Milieu zu erwarten" (D. Mantell) Hier kann Friedensdienst ein alternatives „Handlungssystem auf Probe" (D. Claessens u. D. Danckwortt) anbieten. Man ist jedenfalls geneigt zu sagen: Wenn überhaupt, dann so — durch die gemeinschaftliche Erfahrung des Dienstes

Am interessantesten ist natürlich die Interdependenz von Friedensdienst und Friedenspolitik. Wir haben das Problem schon im einleitenden ersten Abschnitt angerissen, und wir werden es später wiederum berühren. Wurde oben von der Nähe unseres Politikbegriffs zu dem der indischen Friedensarbeiter gesprochen, so war dabei natürlich an Gandhi, aber auch an Narayan gedacht, den Theoretiker der Sarvodaya-Bewegung, das Leitbild einer nach Tausenden zählenden Generation indischer Freiwilliger. J. Narayan meint, gewaltfreie strukturrelevante Aktion und Friedenspolitik seien kaum voneinander abzugrenzen. Je konsequenter eine Aktion, die tatsächlich die Existenzfragen eines Bevölkerungsteils anspricht, als gewaltfreier Dienst verwirklicht werde, um so schwerer sei sie von Friedenspolitik abzugrenzen, um so mehr werde sie selbst zu einer neuen Form von Politik. Eine wenn auch auf positive Ziele ausgerichtete, aber auf Parteimacht und Gewalt-androhung gegründete und deshalb als konventionell eingestufte Politik könne gegenüber einer auf genossenschaftlicher Basis-Aktion und -Partizipation fußenden Volks-politik nur noch eine Hilfsfunktion darstellen. Das sei deshalb so, weil sie nicht über die Mittel verfüge, tiefer verwurzelte soziale Einstellungen zu verändern. Damit scheide sie für die zentralen Innovationsaufgaben, die heute anstünden, wenn es um Frieden gehen solle, im Grunde aus.

Es mag uns zunächst schwerfallen, von den Gedanken Gandhis und Narayans eine Brücke zu unserer hiesigen politischen Realität zu schlagen. Tatsächlich gibt es jedoch zwischen manchen modernen Bürgerinitiativen in unserem industriell-urbanen Bereich, dem Community Development bzw. Community Organizing als fundierte Methoden der Sozialarbeit und schließlich dem, was wir als „gewaltfreie Aktion" bezeichnen, so viele Wechselbeziehungen, daß man zuweilen geradezu eine Identität feststellen kann. All dies fällt in den Bereich der alternativen, nach Meinung Narayans heute vor allem erforderlichen Politik hinein. Es wird sehr wohl als Friedenshandeln verstanden und als Gegenstand der Friedensforschung behandelt

Aber bis diese Politikformen bei uns zu einer größeren Bedeutung gelangen, wird es daneben noch der alltäglichen Kommunikation zwischen staatlicher Politik und transnationaler Friedensarbeit bedürfen — ob es sich um die diplomatische Ermöglichung irgendwelcher Austauschprogramme, um die wirtschaftspolitische Absicherung von Entwicklungsvorhaben oder irgendwelche anderen Fragen handelt, in denen mit den vorhandenen machtpolitischen nationalen und internationalen Instrumentarien zu rechnen und umzugehen ist, ob kooperativ oder konfrontativ.

So oder so sind wir auch hier von beiden Seiten auf eine Partnerschaft angewiesen.

4. Zielrichtungen des Friedensdienstes

Oftmals geht man bei der Bewertung des Friedensdienstes fehl, weil man seine Auswirkungen nur im politischen Ziel-und Aktionsfeld erwartet, also etwa im Bereich zweier verfeindeter Bevölkerungsgruppen in einem von Bürgerkrieg geschüttelten Land. Friedensdienst sollte jedoch immer eine zweifache Zielrichtung haben und auch entsprechend differenziert beurteilt werden. In den letzten zehn Jahren ist besonders leidenschaftlich im Entwicklungsdienst diskutiert worden, wem ein solcher Dienst eigentlich am meisten nütze, der gastgebenden Bevölkerungsgruppe in Übersee oder dem Entwicklungshelfer. Der Name der deutschen Rahmenorganisation „Lernen und Helfen in Übersee" bringt zum Ausdruck, wo man den überwiegenden Ertrag zu sehen meint. Man sollte sich wahrscheinlich bemühen, diese beiden Intentionen nie gegeneinander zu stellen, sondern sie in einem mehr oder weniger schwebenden Gleichgewicht zu halten. Natürlich soll der Friedensdienst an Ort und Stelle seines Einsatzes tatsächlich etwas erbringen. Aber Friedensdienst hat nun einmal eine starke friedenspädagogische Komponente. Nehmen wir etwa die Frage der Kommunikation zwischen Nord und Süd auf unserer Erde. Anders als durch ein dienstförmiges Miteinander-zu-tun-Haben sind dort bestimmte tiefere Schichten gar nicht zu erreichen. Wollen wir uns auf dieser Erde verstehen lernen — daß wir dahin gelangen, ist eine Überlebensfrage geworden —, so müssen wir auch den Lernaspekt des Dienstes bejahen und berücksichtigen. Selbstverständlich darf das jedoch nicht auf Kosten der Würde des Partners gehen; weder soziale Randgruppen noch rassisch Diskriminierte noch Flüchtlinge noch die Dritte Welt eignen sich als friedenspädagogischer Spielplatz.

Mit diesen Erwägungen ist noch nicht alles genannt, was man wissen muß, um Friedensdienst richtig einzuordnen und beurteilen zu können. Er befindet sich nicht nur innerhalb eines ganzen Geflechtes verschiedener Wirkweisen des Friedenshandelns; auch in sich selbst stellt er eine Art System dar. Daß Friedensdienst so oft sein Ziel verfehlt hat und noch verfehlt, liegt meiner Meinung nach in vielen Fällen daran, daß dieser Sachverhalt vernachlässigt worden ist. Deshalb seien zu dieser Frage hier noch einige Überlegungen vorgestellt.

1. Friedensdienst als System In terminologischer Hinsicht ist anzumerken, daß „System" hier nicht im Sinn der System-theorie benutzt wird, sondern mehr umgangssprachlich: Friedensdienst stellt sich als ein sinnvoller Zusammenhang dar, aus dem man kein Glied heraustrennen kann, ohne den Sinn des Ganzen wie der einzelnen Teile in Frage zu stellen.

Hilfs-und Verständigungsdienste, Entwicklungsdienst und sozialstrukturelle Aktion ergänzen einander. Am einfachsten kann man dies durch Ausblendungen nachweisen: Was geschieht, wenn drei Dienstbereiche ausgeblendet werden und nur ein einziger übrig-bleibt?

Nehmen wir an, ein Entwicklungshelfer kämpft mit „seiner" Genossenschaft um gerechte Erlöse für die Produkte, die die Bauern vermarkten. Institutionen und Gruppen, die in Europa, Australien, Japan und den USA Propaganda dafür machen (könnten), daß etwa die geernteten Früchte und Fette ohne großen Schaden für den Markt ruhig das Doppelte der jetzigen Ausbeutungspreise kosten dürften, kennt er nicht oder gibt es nicht. Auch gibt es dort viel zu wenig Leute, die jemals unmittelbar und persönlich beobachtet haben, was es bedeutet, als Landwirt in einem abgeschnittenen Gebiet der Dritten Welt auf den Export von Monokultur-Erzeugnissen angewiesen zu sein. Kaum jemand hat an entsprechenden Austausch-und Workcamp-Programmen teilgenommen; der Tourismus trägt zu derlei Erfahrungen bekanntermaßen nichts bei. Aber auch jungen Leuten aus dem eigenen Land ist das Pionierprojekt, an dem der Entwicklungshelfer teilnimmt, kaum bekannt; Kurzzeitdienste, die Freiwillige mit ihm bekanntmachen könnten, hat es nicht gegeben. So gibt es z. B. in der Hauptstadt kaum Leute, die das Projekt kennen und von ihm sprechen. Die Beamten und Abgeordneten, deren Aufgabe es eigentlich wäre, genossenschaftsfreundliche Gesetze vorzuschlagen oder trotz der Zwischenhändlermafia zur Anwendung zu bringen, werden von niemandem zusammengeführt. So ist der Dienst des Entwicklungshelfers in keiner Weise . vernetzt'— und deshalb nahezu sinnlos. Das liegt weder an seiner Aufgabe noch an seinen Einstellungen, sondern an der unsystematischen Art und Weise, in der sich sein Dienst abspielt. Dabei geht es um eine Frage der Konzeption, des gesamten Ansatzes. Die skizzierte Vergeudung von Kräften hätte nicht zu sein brauchen, wenn einige Grundregeln des Friedensdienstes beachtet worden wären.

Eine wichtige Rolle ist dabei die der Parität der Dienstformen. Es gibt keine minder-und höherwertigen Formen des Friedensdienstes; es gibt nur besser oder schlechter konzipierte und realisierte Dienste und Projekte. In jeder Dienstform kann man Zugang zu denselben grundlegenden Einsichten und Erfahrungen gewinnen. Ob es sich um ein dreiwöchiges Workcamp handelt, in dem eine Brücke über einen Urwaldbach gebaut wird, um den Abtransport der landwirtschaftlichen Erzeugnisse zum regionalen Markt zu ermöglichen, oder um einen mehrjährigen Vermittlungsdienst in einem Gebiet mit Rassenspannungen — die existentielle Veränderung an sich selbst und den übrigen Beteiligten, die einzuleiten das eigentliche Ziel aller Dienste ist, kann hier wie dort in Gang gesetzt und innerlich verarbeitet werden. Hat man dazu überhaupt erst einmal Zugang gefunden, so kann man sich leicht auch in zunächst fremden Diensten zurechtfinden und in ihnen seinen Platz ausfüllen.

Aber welches sind eigentlich diese verschiedenen Formen des Friedensdienstes? 2. Formen des Friedensdienstes Hilfsdienst Wir sprachen bereits von der Hilfe als dem unverzichtbaren Teilelement der Solidarisierung mit den Opfern der bestehenden schlechten Verhältnisse. Seit den sechziger Jahren hat das Helfen — der „karitative Ansatz“ — einen schlechten Ruf. Er gilt dieser Kritik, wie schon erwähnt, als die rückwärts-gewandte Ausflucht, das Alibi derer, die nicht den Mut haben, sich mit dem Establishment zu konfrontieren. Eines freilich muß von vornherein klar sein: Differenzen in der Erfahrung der eigenen Menschenwürde, des eigenen unvertauschbaren Wertes, sind zu vermindern und möglichst aufzuheben. Ein Helfen, das nicht in jeder nur denkbaren Weise die Überlegenheit des Helfenden zurück-nimmt und das eigene Aktivwerden des Betroffenen provoziert, ist also von vornherein auszuschließen. Doch wie oft kommt die Selbsthilfe der Betroffenen schon nach den ersten Schritten wieder zum Erliegen! Die Widerstände in Frage gestellter etablierter Machtverhältnisse, vielleicht auch nur von einigen Traditionen, sind zu stark. Die Angst vor Sanktionen läßt die Aktivgewordenen zurückweichen. Die Resignation wird nur noch stärker.

Das heißt beileibe nicht, daß man also zum vielleicht doch bewährten Paternalismus zurückkehren müsse. Es ist vielmehr zu lernen, daß Struktur-und symptomorientierte Arbeit gut aufeinander abgestimmt sein müssen und auf keinen Fall gegeneinander ausgespielt werden dürfen. Es wäre nichts als Verrat, in hochkomplexen Situationen den Hilfsbedürftigen, dem auch nach intensiver Prüfung und vielen Versuchen keine Möglichkeit zur Selbsthilfe offensteht, oder den eindeutig Behinderten mit dem Verweis auf strukturelle Bemühungen, die man vorerst unternehme, sich selbst zu überlassen.

Hilfsdienste — die mengenmäßig einen sehr großen Teil der Freiwilligendienste überhaupt ausmachen — haben aber eine noch weiter greifende Bedeutung. Ist und bleibt das Fernziel die Ablösung der militärischen Verteidigung durch eine alternative — soziale oder zivile — Verteidigung, so besteht die „erste grundlegende Aufgabe" „in der Offenlegung sozialer Mißstände und im Abbau sozialer Ungerechtigkeit", meinten die kirchlichen Berater der Kriegsdienstverweigerer in Nord-westdeutschland 1975. „Auf diese Weise soll die Identifikation der Menschen einer Gesellschaft mit ihren Gesellschaftseinrichtungen erhalten oder hergestellt werden, so daß sie sich mit ihrer Schule, ihrem Kinderheim, ihrem Altersheim identisch, solidarisch fühlen. Diese Identifikation wird den Verteidigungswert ausmachen, wenn es um die Existenz sozialer Einrichtungen und Systeme geht." Also auch um dieser starken Zusammengehörigkeitserfahrung innerhalb der Gesellschaft willen ist der Hilfsdienst unentbehrlich. Wir gliedern ihn in der Regel nach Arbeitssektoren auf und unterscheiden dann z. B. Katastrophendienst, Sozialdienst, Gesundheitsdienst, Alphabetisierungs-und andere Erziehungsarbeit. So bilden der stark symptomorientierte Hilfsdienst auf dem einen und die stark struktur-32) orientierte Arbeit an gesellschaftlichen Gegebenheiten auf dem anderen Flügel die beiden großen Hauptelemente des Friedensdienstes. Dazwischen haben sich Sonder-und Mischformen herausgebildet, die zu eigenständigen Phänomenen geworden sind. Sie unterscheiden sich durch Kriterien, die jeweils nur auf eine Dienstform anzuwenden sind (z. B. die Priorität der Geschichtsbezogenheit beim Versöhnungsdienst). Das bezieht sich auf Verständigungs-, Versöhnungs-und Entwicklungsdienste.

Verständigungsdienst

Wenn junge Leute aus einem westlich orientierten Industrieland mit Gleichaltrigen aus einem eher sozialistisch geprägten Agrarland der Dritten Welt drei oder vier Wochen lang zusammen arbeiten, diskutieren und Kontakt zur örtlichen Bevölkerung aufnehmen, wenn ein Austauschprogramm von Studenten oder Landwirten in Gang gesetzt wird, so geht es immer darum, daß Menschen aus Bereichen, die bis dahin mehr oder weniger scharf voneinander getrennt waren (wozu auch fast unsichtbare soziale und kulturelle Grenzen beitragen können), auf Zeit miteinander leben und arbeiten; sie erhalten die Gelegenheit, für sich selbst derartige Grenzen aufzulösen. Wenn nicht nur Regierungen, sondern auch ganze Bevölkerungen politisch Zusammenwirken sollen und diese Kooperation auf einem starken Gefühl füreinander ruhen soll, müssen solche Erfahrungen vorausgehen. Viele sogenannte Friedensschlüsse zwischen Völkern und Bevölkerungsgruppen in der Vergangenheit zerbrachen schon bald wieder, weil derartige Initiativen nicht entwickelt wurden. Dabei scheint es so zu sein, daß — wie Eugen Rosentock-Huessy schon vor langer Zeit beobachtete — mit gemeinsamer einfacher Arbeit verbundene Begegnungsformen wesentlich wirksamer sind als rein kulturelle, sportliche, wissenschaftliche oder touristische Kontakte.

Dort, wo ein Volk z. B. unter einer Diktatur lange Zeit vom internationalen Informationsaustausch ausgesperrt blieb und sich dabei fundamentale Vorurteile festgesetzt haben, ist der Verständigungsdienst „von unten her" von ganz spezieller Bedeutung. In Westdeutschland haben wir das unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg deutlich durch die vielen friedenskirchlichen Freiwilligen erfahren, die aus England, Kanada und den USA zu uns kamen. Sie stießen uns verschlossene Fenster auf, und wir erhielten die Möglich-B keit, die Geschichte und uns selbst aus einer neuen Perspektive zu betrachten. Wer heute in ein Land mit Militärdiktatur und Presse-zensur kommt, wird immer wieder erleben, wie schon sein Auftauchen und Vorhandensein als eine momentane Erlösung aus einem Kerker erfahren wird. Wie auch immer die psychischen Auswirkungen solcher Begegnungen zu werten sind, die friedenspolitische Bedeutung der Information in Verbindung mit gemeinschaftlicher Arbeit kann kaum überschätzt werden.

Versöhnungsdienst 33)

In bestimmten Fällen erscheinen die Bemühungen von Hilfs-und Verständigungsdiensten als wertlos, obwohl sie, oberflächlich betrachtet, ansehnliche Resultate haben mögen. In der Tiefe jedoch werden sie von der betroffenen Bevölkerung abgelehnt. Infolge menschlich verursachter geschichtlicher Katastrophen ist eine schwer überbrückbare Irritation vorhanden, die einen großen Teil der Bemühungen um ein neues gegenseitiges Verstehen einfach absorbiert. Was fehlt, ist der zwischengesellschaftliche Akt der „Versöhnung". Er wird nur zu einem geringen Teil von den etablierten Strukturvertretern her zu vollziehen sein. Uber deren Handeln hinaus bedarf es mannigfacher Initiativen auf allen Niveaus, in verschiedenen Sektoren und von verschiedenen Ansatzpunkten her. Eher zufällige Gesten — etwa bei Gelegenheit eines privaten oder offiziellen Besuchs — können zur Versöhnung nur dann einen Beitrag leisten, wenn jeweils ein klares Bewußtsein des Problems mit ihnen verbunden ist und man sich gleichzeitig bemüht, sich auch die Perspektive des Partners zu eigen zu machen. Keinesfalls darf es bei solchen Gesten bleiben. Der Akt der Versöhnung bedarf eigener und eindeutiger Initiativen, so wichtig es auch ist, die der Sache entsprechende Diskretion einzuhalten.

Das bei uns bekannteste Beispiel ist sicherlich der Dienst der „Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste". Auf einer Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland sagte das Ratsmitglied der EKD, Dr. Lothar Kreyssig, am 30. April 1958 im Gründungsaufruf: „Wir haben vornehmlich darum noch immer keinen Frieden, weil zu wenig Versöhnung ist. Dreizehn Jahre sind erst in dumpfer Betäubung, dann in neuer angstvoller Selbstbehauptung vergangen. Es droht zu spät zu werden. Aber noch können wir, unbeschadet der Pflicht zu gewissenhafter politischer Entscheidung, der Selbstrechtfertigung, der Bitterkeit und dem Haß eine Kraft entgegensetzen, wenn wir selbst wirklich vergeben, Vergebung erbitten und diese Gesinnung praktizieren. Des zum Zeichen bitten wir die Völker, die Gewalt von uns erlitten haben, daß sie uns erlauben, mit unseren Händen und mit unseren Mitteln in ihrem Land etwas Gutes zu tun, ein Dorf, eine Siedlung, eine Kirche, ein Krankenhaus oder was sie sonst Gemeinnütziges wollen, als Versöhnungszeichen zu errichten."

In den vergangenen zwanzig Jahren konnten in vielen Ländern, die unter dem Krieg und der deutschen Besatzung gelitten hatten, „Sühnezeichen" errichtet werden. Erinnert sei an den Ausbau des Schwachsinnigenheims in Borkenes in Norwegen, an das ökumenische Jugendzentrum in Coventry, die Visser't Hooft-Akademie in Rotterdam, das jüdische Gemeindezentrum in Lyon-Villeurbanne oder die Versöhnungskirche in Taize in Frankreich. Die Kurzzeitdienste in den KZ-Gedenkstätten in Polen (früher auch in der ÖSSR) wurden bereits erwähnt; sie waren sicher von ganz’ besonderer politischer Bedeutung. Der bevorstehende Bau einer internationalen Jugendbegegnungsstätte in Auschwitz wird dies unterstreichen.

Es liegt auf der Hand, daß die Resultate eines Versöhnungsdienstes niemals exakt meßbar sein werden. Dennoch ist es z. B. bei der „Aktion Sühnezeichen" offensichtlich, daß sie Veränderungen erzielt hat, sowohl hier und da in den angesprochenen Nachbarländern als auch in unserer eigenen Bevölkerung Freilich ist es nicht in wesentlichem Maße gelungen, andere als jüngere Altersgruppen für diese Aufgabe zu mobilisieren. Die Jüngeren gehören jedoch gerade nicht zu denen, die an der so belastenden Vergangenheit aktiv beteiligt waren. Die mit einem Versöhnungsdienst zwingend verbundene geistige Beschäftigung mit der Vergangenheit kann jungen Leuten helfen, die Generation der Väter besser zu verstehen. Es ist aber keineswegs gewährleistet, daß das Aufarbeiten immer bis zu diesem Reifestadium gelangt. Bleibt es auf halbem Wege stecken, so kann es Generationenspannungen auch zeitweise verschärfen. Hier also bleiben Fragen offen, und es sind noch erheblich tiefergehende Forschungen anzustellen, als sie bisher möglichwaren

Andererseits ist es sozialpsychologische eine Regel, daß eine Gruppe, an der eine andere Gruppe schuldig geworden ist, auf Glieder dieser Gruppe mit einer kollektivierenden Perspektive schaut. Für den polnischen ehemaligen KZ-Häftling ist der Deutsche ein Deutscher, ob er sechzig oder zwanzig Jahre alt ist. In den USA blieb für den farbigen Südstaatler der Weiße lange Zeit hindurch ein Weißer, gleich, welcher Generation er angehörte. Dieser Umstand gleicht die „geschichtliche Inkompetenz" der Jugend in einem gewissen Maße aus.

Vieles am Versöhnungsdienst ist zu verbessern und weiterzuentwickeln. Wer immer jedoch mit ihm in Kontakt gekommen ist, wird sich dem Eindruck nicht mehr entziehen können, daß hier eine Dimension des Friedens-dienstes erarbeitet worden ist, die sich als eine der wichtigsten überhaupt herausstellen könnte.

Entwicklungsdienst

Der Entwicklungsdienst ist keine eigene Kategorie im strengen Sinn, sondern eine Mischung der bisher genannten Diensttypen, jedoch unter dem speziellen Gesichtspunkt der Zusammenarbeit im Bereich einer in der Regel agrarisch geprägten Entwicklungsregion, oft einer anderen rassischen oder ethnischen Gruppe. Nun wissen wir heute, daß es im Grunde kein einheitlich „entwickeltes" Land oder Volk gibt, sondern daß es überall benachteiligte oder diskriminierte Schichten, Gruppen oder Bezirke gibt. Um das zu sehen, braucht man gar nicht die Theorie der interkontinentalen wie der internen Disparität von Peripherie und Zentrum (Metropole) zu verabsolutieren. Andererseits hat sich nun einmal gerade durch die UNCTAD-Konferenzen und die Diskussion um die „Neue Weltwirtschaftsordnung" — um nur einen der diesbezüglichen Problemzusammenhänge zu nennen — eine eindeutige Nord-Süd-Konfrontation herausgestellt. Dabei ist die Position der Bundesrepublik Deutschland ein gutes Beispiel dafür, daß diese Konfrontation auch ganz unabhängig vom Komplex früherer kolonialer Abhängigkeiten bestehen kann.

Speziell im kirchlich-ökumenischen Bereich hat, was die Rangfolge der möglichen Entwicklungsziele angeht, spätestens seit dem Referat des indischen Sozialökonomen Parmar auf der Konferenz von Montreux 1970 „soziale Gerechtigkeit" Vorrang vor etwa Wirtschaftswachstum und Unabhängigkeit. Der Entwicklungsdienst ist von dieser — durch viele psychologische Faktoren gehemmten — Diskussion nicht unberührt geblieben. Dennoch hat er über mehr als zwei Jahrzehnte hinweg relativ kontinuierlich arbeiten können. Die Arbeit an der Befriedigung zumindest der absolut elementaren Bedürfnisse der Land-und Slumbevölkerung ist heute so dringend wie zur Zeit der Unabhängigkeitserklärungen. Dabei meinen viele, daß das bis heute erarbeitete Instrumentarium des Entwicklungsdienstes ganz erheblich größere Erfolge zeitigen könnte, wenn seine Arbeit nicht unablässig durch konträre nationalstaatliche Politik und internationale Monopolinteressen blockiert würde. Der Entwicklungshelfer muß sich heute oft durch ein Geflecht von Loyalitäten und Interessenkonflikten hindurchjonglieren, das langfristige Strategien geradezu absurd erscheinen läßt. Wenn überhaupt irgend jemand, dann weiß er es, daß die Dritte Welt übervoll ist von inneren und äußeren — wenn auch oft noch latenten, unterdrückten — Konflikten. Neben den langfristigen Hegemonialproblemen tragen die ungelösten Fragen der Welternährungs-und der Energiepolitik dazu bei, daß die Dritte Welt, was Weltkrieg und Weltfrieden angeht, ein ebenso sensibler Bereich geworden ist wie das Ost-West-Verhältnis. Entwicklungsdienst als Friedensdienst — also auf den Ebenen der Gewaltverweigerung, der Solidarisierung mit den Unterlegenen und der Mitarbeit an lokalen und regionalen Alternativmodellen — ist wahrlich aktuell.

Dabei gilt die Regel, daß er seinen Auftrag um so besser erfüllen kann, je mehr die Arbeit des Entwicklungshelfers in Basisaktionen der Bevölkerung selbst integriert ist.

Dazu freilich ist eine Voraussetzung die, daß die Internationalität als Grundbedingung allen Friedensdienstes neu und bewußt akzeptiert und verwirklicht wird. Es ist wirklich nicht damit getan, daß man auf den jungen Entwicklungsdienst der Vereinten Nationen verweist oder abstrakt verlangt, die Länder der Dritten Welt sollten eben ihre eigenen Dienste schneller entwickeln und den Austausch unter ihnen erleichtern. Es geht darum, eine Entwicklung zu korrigieren, die mit der Schaffung des US-Peace Corps begonnen hat. Die teilweise guten-Absichten dahinter kann kein Kenner der Vorgänge in Frage stellen. Das Problem liegt darin, daß das Peace Corps und alle verdeckt oder offen staatlichen Freiwilligendienste, die in seiner Nachfolge geschaffen wurden, nationale Organisationen waren und geblieben sind. Sie sind der nationalen oder Block-Politik unterworfen, von der entsprechenden Finanzierung abhängig und können nur dort arbeiten, wo reguläre diplomatische Beziehungen bestehen und funktionieren. Der Entwicklungsdienst konnte ohne weiteres zu einem Instrument werden, die jeweiligen Interessen des Entsendelandes oder des Blocks, zu dem es gehört, durchzusetzen oder ein sympathisches Konfliktverhalten eines Aufnahmelandes zu honorieren. Das hatte zur Folge, daß Entwicklungshelfer an Ort und Stelle oftmals in eine ganz widersinnige Rolle hineingeraten mußten. Vielen ist es nicht gelungen, daraus durch persönliche Initiative und eigenes Risiko noch etwas halbwegs Sinnvolles zu machen. Und das alles geschah „nur" deswegen, weil ein Grundgesetz des Friedens-dienstes übersehen wurde: Friedensdienst ist transpartikularer (transnationaler, Rassen-, Kasten-etc. Grenzen überschreitender) Dienst. Er kann daher in der Regel auch nur dann gelingen, wenn er von gemischten Teams ausgeführt wird.

Wenden wir das noch kurz auf die oben angegebene Regel an: der Entwicklungsdienst sei um so erfolgreicher, je mehr die Arbeit der Freiwilligen in Basisaktionen der Bevölkerung selbst eingefügt sei. Wird die Arbeit nur von einheimischen Mitarbeitern gemacht, so sind diese denselben Tabus, politischen Pressionen und traditionellen Resignationstendenzen unterworfen wie die Bevölkerung selbst. Wird sie nur von Ausländern betrieben, so bleibt sie eine vorübergehende Phase exotischer Illusionen, die verfliegen, sobald die Ausländer wieder abgereist sind. Zudem pflegt sie durch mangelnde Kommunikation mehr oder weniger schwer behindert zu sein. Vereinigen sich jedoch die Durchsetzungsfähigkeit, die Kreativität und die Authentizität oder Indigenität (das Verwurzeltsein in den angestammten Vorstellungen und Verhaltens-mustern), die die verschiedenen Elemente jeweils beizutragen vermögen, so ist die Ausgangslage ganz anders. Freilich wird nun eine andere Aufgabe viel wichtiger: das Sozialverhalten innerhalb des (gemischten) Teams. Von ihrer Bewältigung aber lernen die Entwicklungshelfer ungleich viel mehr als in einem nationalen Team.

Kämen einige der hier angedeuteten Kriterien des Friedensdienstes in seiner Gestalt als Entwicklungsdienst in Zukunft mehr zur Geltung, so könnte dieser Dienst in etwas höherem Maße jene große heuristische Bedeutung erhalten, den er für die Bevölkerung des Entwicklungslandes, für seine Autoritäten und Institutionen, für den Entwicklungshelfer selbst und für seine Herkunftsgesellschaft eigentlich haben sollte.

Sozialstrukturelle Aktion

Viele der bisher benannten Dienste prallen an Systemen offener oder verdeckter Unterdrükkung und Entfremdung ab. Diese Systeme ge45 waltlos zu verändern, ist das Ziel dieses anspruchsvollsten Zweiges des Friedensdienstes.

Viele Genossenschaftsbewegungen in der Dritten Welt, die Arbeit der United Farm Workers unter Cesar Chavez in den USA oder die von dem indischen Freiwilligen-dienst Shanti Sena unterstützte Gramdan-Bewegung zeigen, daß es solche Möglichkeiten gibt. Sie alle sind ermutigt worden durch die großen politischen und sozialen Umwälzungen, die in unserem Jahrhundert durch gewaltlose Aktion auch gegen sehr verhärtete Traditionen durchgesetzt werden konnten: die Befreiung Indiens und u. a.der damaligen Goldküste (heute Ghana) von der britischen Kolonialherrschaft oder der Kampf der schwarzen US-Bürger unter Martin Luther King um ihre Bürgerrechte. Der heutige organisierte und oftmals stark domestizierte Freiwilligendienst realisiert nie mehr als einige wenige Aspekte und Teilelemente solcher Bewegungen. Aber die Verwandtschaft der Motive ist offensichtlich. Zudem gab es persönliche Beziehungen; mancher spätere Organisator gewaltloser Aktionen und Freiwilligen-dienste hat seine ersten wichtigen Eindrücke in den Bewegungen erhalten, deren größte die Entkolonialisierungswelle unseres Jahrhunderts und damit eine Veränderung der politischen Weltkarte auslöste.

Den Akteuren des Friedensdienstes selbst, vor allem im gemäßigten Mitteleuropa, erscheint es immer wieder als ein wenig größenwahnsinnig, sich so mit der gewaltfreien Aktion zu'identifizieren, die gesellschaftliche Unrechtsstrukturen in Frage zu stellen vermag. Wenn wir das auch hier in einem gewissen Maße tun, so greifen wir damit selbstverständlich der Entwicklung noch voraus. Aber diese Entwicklung ist im Gang. Ein sehr interessanter Prozeß ist z. B. in Lateinamerika zu beobachten. Fast alle sind sich einig, daß es dort nur eine nennenswerte Kraft im Kampf gegen Unterdrückung, Willkür und Militärdiktatur gibt: die Kirche. Sie verfügt über die Symbole, die bis ins letzte Dorf hinein verstanden werden, und sie hat auch eine funktionierende Infrastruktur bis dorthin. Also galt es, die Kirche für die Botschaft der Ge— waltlosigkeit zu gewinnen. Uber Jahre hinweg haben Reisesekretäre des Internationalen Versöhnungsbundes — der geistigen Mutter vieler Freiwilligendienste, die in irgendeiner Weise mit der christlichen Tradition in Beziehung stehen — in unzähligen Einzelgesprächen und Seminaren, Studientagungen und Konferenzen dieses Wunder zuwege gebracht, und es gibt höchst eindrucksvolle Dokumente dafür In wenigen Jahren wird das Feld reif sein für die Ernte in vielen lokalen und regionalen Prozessen bewußter Befreiung und Entwicklung, die von der Basis, vom Dorf und vom Slum selbst her, ausgehen werden.

Es ist also richtig, daß auch den Organisatoren der Freiwilligendienste selbst oftmals bange wird vor den Vorgängen, mit denen sie durch diese Bewegungen verbunden sind und auf die sie sich im international-ökumenischen Verbund eingelassen haben. Und tatsächlich gleicht der Friedensdienst noch einem weitverstreuten Puzzle. Es ist alles da, und es gehört auch alles sinnvoll zusammen. Aber nur wenige besitzen heute schon die synoptische Fähigkeit, das Gesamtbild zu sehen, das sich aus allem ergeben soll. Bis jetzt sehen wir meist nur unzählige unscheinbare Einzel-prozesse, die so verstreut erscheinen, daß sie kaum als Einheit zu begreifen sind.

So berechtigt, empirisch gesehen, die Zurückhaltung der Organisationen gegenüber dem Bereich des strukturrelevanten gewaltfreien Dienstes auch sein mag, der Ruf zu seiner Entwicklung ist schon lange ergangen — und dies nicht etwa aus einem verborgenen Winkel heraus, sondern in größter Öffentlichkeit! Die Evangelische Kirche in Deutschland läßt dieses Thema seit zwanzig Jahren — seit die Diskussion um die Beteiligung Deutscher an der Atommacht Nato ihre Einheit zu zerrei-ßen drohte — einmal nur anklingen, dann wiederum in aller Deutlichkeit auf die Tagesordnung kommen. Seit den (von der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft vorgelegten) „Heidelberger Thesen" entwickelte sich eine Friedensethik, die eindeutig davon ausgeht, daß Krieg heute auf keinen Fall mehr stattfinden darf, daß — nach dem berühmten Satz von Carl-Friedrich von Weizsäcker — Frieden die Überlebensbedingung im wissenschaftlich-technischen Zeitalter ist.

Wenn wir uns jedoch der Tatsache stellen müssen, daß wir, ob wir es gewollt haben oder nicht, in die Bereitstellung eines unheimlichen Weltvernichtungspotentials mit-verwickelt sind, dann können wir diese Lage nur unter einer Bedingung ertragen: In der uns eventuell noch zur Verfügung stehenden Zeit müssen wir uns mit aller irgend vorhandenen Kraft der Aufgabe widmen, andere, nichtmilitärische Wege der Verteidigung, der internationalen Konfliktbewältigung — des Friedensdienstes — zu finden und einzuüben Die am 1. Dezember 1969 herausgegebene EKD-Denkschrift „Vom Friedensdienst der Christen" verweist ausdrücklich auf die Heidelberger Thesen und meint, die in ihnen „enthaltenen Annahmen und Hoffnungen drohen so lange an der Realität zu scheitern, als es nicht gelingt, neben den exemplarischen Handlungen einzelner (d. h.der Kriegsdienstverweigerer, d. Vf.) auch das öffentliche Bewußtsein und die Träger politischer, wirtschaftlicher und militärischer Entscheidungen für neue Wege einer Friedenspolitik zu gewinnen, die das gegenwärtige dras-tische Übergewicht der Abschreckungspolitik reduzieren" Und kurz darauf folgt der entscheidende Satz: „Es ist dringend erforderlich, daß nichtmilitärische Formen des Friedensdienstes geschaffen werden, die eindeutig den Zielen internationaler Solidarität dienen."

Das bedeutet: Der Friedensdienst im weitesten Sinne ist so rasch wie irgend möglich so auszubauen und auszugestalten, daß er die im Grunde untauglich gewordenen militärischen Instrumentarien der Friedenssicherung ersetzen kann. Das ist ein ungeheuerlicher Auftrag. Freilich hat auch die EKD — die wahrscheinlich mehr für den Friedensdienst getan hat als irgendeine andere europäische Kirche 47a) — diesem ihrem eigenen Aufruf — im Vergleich zu den Dimensionen der Aufgabe — so gut wie nicht entsprochen. Diese zwanzig Jahre sind verstrichen, ohne daß wirklich Nennenswertes geschehen wäre.

Doch darf das auch heute kein Grund zur Resignation sein. Die Einbeziehung der Kategorie „sozialstrukturelle Aktion" in den Katalog der Formen des Friedensdienstes ist ein erster bescheidener Versuch, den bestehenden Auftrag wenigstens zu registrieren.

Bevor wir auf einige, gewissermaßen handwerkliche Regeln zu sprechen kommen — die zu beachten sind, soll der Friedensdienst gelingen —, sollen die drei Kriterien genannt werden, die für Friedensdienst allgemein gelten, die ihn überhaupt erst ermöglichen: das der sogenannten Freiwilligkeit, das der Unabhängigkeit und das Element von Gruppe und Gemeinschaft.

IV. Merkmale des Friedensdienstes

1. Freiwilligkeit

Man muß es vielleicht einmal miterlebt ha ben, was es bedeutet, wenn die Dimension der Freiwilligkeit in eine auf Verdienen und Bezahlung ausgerichtete Welt einbricht, um ihre Bedeutung ermessen zu können. Um kein Mißverständnis aufkommen zu lassen: Das Geldverdienen als solches soll dabei mitnich-ten als etwas Schlechtes abgetan werden, nicht jedenfalls unter unseren gegenwärtigen Lebensverhältnissen. Um ein besonders deutliches Beispiel zu nehmen: Eine arme Familie in einem Land der Dritten Welt, die in der Regel eine ständig wachsende Zahl von Mitgliedern unter ständig ungünstiger werdenden Bedingungen zu ernähren hat, ist selbstverständlich darauf angewiesen, daß Geld verdient wird. Andernfalls ist sie z. B. zur Landflucht gewungen. Aber gerade unter solchen Voraussetzungen kann es>zu einer Zwangsvorstellung werden, daß alles, was man tut, Geld einbringen muß. Ein kreatives Verhältnis zur ökonomischen Situation kommt nicht mehr zustande.

Oder nehmen wir das Beispiel einer genossenschaftlichen Lagerhalle in einem Markt-dorf im Urwald. Eine derartige Einrichtung könnte die Dispositionsfähigkeit der landwirtschaftlichen Erzeuger geradezu schlagartig erhöhen und die Wirtschaftskraft der Region erheblich steigern. Aber für eine solche Investition sind keine nennenswerten Reserven vorhanden, und keine Behörde ist verpflichtet, eine derartige Einrichtung zu schaffen. Es geht zudem um ein Projekt, das nicht von heute auf morgen abzuwickeln ist und ein erhebliches Engagement und Arbeitskraft erfordert. Geld, um die Arbeit zu bezahlen, ist von keiner Seite zu erwarten. Also bleibt es jahrelang bei der Idee.

In dem Augenblick, in dem eine Gruppe von Freiwilligen die Initiative ergreift und die Arbeit anpackt, ohne sich um die Frage der Bezahlung zu kümmern, kann es sein, als würde das Tor zu einem Land der unbegrenzten Möglichkeiten aufgestoßen. In einem solchen Augenblick sagte ein afrikanischer Kollege einmal zu mir: „Du wirst sehen, von jetzt an ist alles möglich: der neue Brunnen, die Straße, die Schule — alles." Vorher einfach nicht wahrgenommene soziale Energien sind aktiviert worden.

Aber der Fortfall der Bezahlung, also die Unentgeltlichkeit der Arbeit, ist nicht das einzige Merkmal. Freiwilligkeit ist auch keinesfalls gleichzusetzen mit Laientum oder gutwilligem Dilettantismus. Es gibt viele Fälle, in denen Freiwillige eine höhere professionelle Qualifikation haben als die neben ihnen arbeitenden Experten. 1 Obwohl eine dringende Arbeit zu tun ist, gibt es nur eben keine Planstelle. Wir selbst könnten sicherlich alle aus dem Bereich der Arbeit für Menschenrechte, Entwicklungsarbeit, kirchliche Anliegen oder ad hoc fällige Bürgerinitiativen viele Beispiele dafür anführen.

Dennoch: In der Regel geht Freiwilligkeit mit einem mehr oder weniger kalkulierten Verzicht auf soziale, wirtschaftliche und politische Sicherung einher. Aber vorrangig geht es um die Frage einer Einstellung.

Was also ist Freiwilligkeit?

Freiwilligkeit erbringt institutionell nicht geforderte oder nicht forderbare, potentiell unentgeltliche Leistungen nicht um eines Zwanges von außen willen sondern aus positiver innerer Verpflichtung. Freiwilligkeit macht in einem gewissen Maße unabhängig von Autoritäts-und Finanzstrukturen und erleichtert dadurch das Überholen bzw. Unterlaufen der Strukturen und Institutionen des jeweiligen sozialen Systems im Blick auf seine Veränderung.

Dabei leitet uns folgende Einsicht: Enthalten die bestehenden gesellschaftlichen und im engeren Sinn politischen Verhältnisse ohnehin viele ineinander verzahnten Probleme und sind ihre Voraussetzungen starken Verschiebungen unterworfen (z. B. rasanter Bevölkerungsschub, Flüchtlingswelle, Naturkatastrophen usw.), so können die vorkalkulierten Dienstleistungssysteme (also in der Regel die mit Planstellen ausgerüsteten öffentlichen Dienste) allein das gar nicht leisten, was sofort getan werden muß, um großen Schaden abzuwenden. In aller Regel sind die entsprechenden Dienstleistungsapparate eben gar nicht so schnell zu beschaffen, wie es nötig wäre, um die in Gang befindlichen Veränderungen aufzufangen — es sei denn, es handele sich um ein extrem flexibles, von großer Spontaneität gekennzeichnetes System in einer gut funktionierenden Volkswirtschaft.

Auch die übertechnisierte Welt birgt das Risiko in sich, daß unser geläufiges, nach Wirtschaftlichkeit berechnetes Dienstleistungssystem die Gefährdung des Menschen, seines Menschseins und seiner Umwelt allein nicht mehr zu bewältigen vermag. Sowohl in der „Unter-" wie in der Hyper-„Entwicklung" kann die Menschenwürdigkeit der Lebensbedingungen nur dann garantiert werden, wenn ein gratis und aus größerer Einsicht heraus geleistetes freies Engagement hinzukommt, das darauf verzichtet, das daraus entspringende eigene Risiko im voraus zu begrenzen. Freiwilligkeit hat zudem den außerordentlichen Vorteil, daß sie nicht an ein funktionierendes Pressionssystem gebunden ist. Bestrafung von Ungehorsam erübrigt sich. Daraus ergibt sich eine sonst kaum erreichbare Spontaneität und Flexibilität. (Freilich bedeutet das auch, daß bei Abklingen des inneren Engagements die versprochenen Leistungen nicht mehr einforderbar sind.)

Schließlich sind Freiwillige immer ein äußerst sensibler Barometer für Herrschaftsmißbrauch. Freiwillige haben eine fast natürliche Tendenz, Verhältnisse, die auf Macht/und Gewalt aufgebaut sind, als solche zu entlarven. Denn Freiwilligkeit antizipiert eine Gesellschaft, in der sich vorweg geordnete und spontane Arbeit nach existierenden, aber flexiblen Regeln ergänzen und entgegenkommen. Freiwillige Selbstentäußerung wird sichtbar als die im Grunde einzige Alternative zu unfreiwilliger Selbstentfremdung.

In dieser Erkenntnis liegt auch die Antwort auf die Frage, ob mit einer alternativen, nichtmilitärischen Friedenssicherung den Okkupationsgelüsten einer Diktatur entgegenzutreten sei. Mit einer Bevölkerung, die wirklich gewohnt ist, in Freiwilligkeit zu denken, zu handeln und sich zu organisieren, hat eine Diktatur extreme Schwierigkeiten. Die eigenen inneren Kreisläufe könnten so durcheinandergebracht werden, daß schwere Defekte zu erwarten wären. Wahrscheinlich würde man „Koexistenz" vorziehen.

2. Unabhängigkeit

Freiwilligendienste dürfen in keine echte Abhängigkeit von Großinstitutionen geraten. Wenn sie erst einmal an die politische Linie des Staates oder einer Volkskirche gebunden sind und keine von dieser Bindung freie Entscheidung mehr fällen dürfen, ohne sofortigen Sanktionen zu unterliegen, so-ist es um ihren Charakter als Freiwilligen-und Friedens-dienst geschehen. Darf eine in der Bundesrepublik ansässige und öffentlich geförderte Organisation in einem Land arbeiten, zu dem die Bundesrepublik keine diplomatischen Beziehungen unterhält? Unter Umständen gibt es gerade gegenüber Bevölkerungsgruppen in einem solchen Land besondere Verpflichtungen. Vielleicht bereiten sich dort Krisen vor, die zu einer größeren Friedensgefahr werden können. Zuweilen ist dann das staatliche Instrumentarium überhaupt nicht dazu geeignet, etwas Nützliches zu unternehmen. Unter Umständen ist mit internationalen, nichtstaatlichen Kräften einer unzählige Opfer fordernden Krise viel eher zuvorzukommen. Hätte sich eine Organisation völlig der amtlichen Linie anzuschließen, so könnte ihr Dienst dadurch schlicht blockiert sein.

Andererseits scheint es in unserem durchweg von Komplexität und allseitiger Abhängigkeit gekennzeichneten gesellschaftlichen Kontext illusionär zu sein, einfachhin „Unabhängigkeit" zu fordern. Kann eine organisierte Gruppe, die innerhalb dieses Kontextes mit seiner nun einmal bestehenden hochgradigen Interdependenz überhaupt zu irgendwelchen meßbaren Wirkungen kommen will, darauf verzichten, hier und da Kompromisse einzugehen? Kann es nicht gerade notwendig sein, auch einmal eine konkrete Partnerschaft mit dem Staat oder mit einer Kirche einzugehen, um bestimmte Lernprozesse an Hand ganz praktischer Fragen einmal miteinander durchzustehen? Ich meine, es ist möglich, daß das auch einmal zum Auftrag eines solchen Dienstes gehört. In diesem Fall müssen dann jedoch beide Partner auch wirklich bereit sein, für den andern mit-und vorauszudenken — so schwierig die Voraussetzungen dafür sein mögen.

Der entscheidende Gesichtspunkt muß dabei die Frage bleiben: Was kommt dabei für die Menschen im Konfliktfeld heraus, dort, wo unser Dienst begehrt wird? Dient es z. B. wirklich unserer Zusammenarbeit mit einer unterdrückten Minderheit, wenn wir uns von dieser oder jener Seite massiv unterstützen lassen, oder beeinträchtigt es vielmehr das, was dort zu tun wäre? Würde eine Allianz mit einer Machtgruppe eine Desolidarisierung von einer Gruppe Unterprivilegierter nach sich ziehen oder als solche erscheinen, so kann sie nicht eingegangen werden.

3. Gruppe und Gemeinschaft

Wer Friedensdienst leisten, will, der müßte eigentlich so tief verwurzelte soziale Einstellungen und kommunikative Fähigkeiten haben, wie man sie nur in den ersten Lebensjahren lernen kann. Alles, was man sich in dieser Hinsicht später anzueignen versucht, wird unzuverlässig bleiben. Immer wieder sagen Freiwillige etwa Folgendes: „In diesen beiden Jahren, in denen ich helfen soll, diese Nachbarschaftsorganisation (diese Genossenschaft, diesen Jugendclub ...) aufzubauen, habe ich eigentlich das Gegenteil von dem zu tun, woraufhin ich mein ganzes Leben lang gedrillt worden bin. Ich bin von klein auf dazu erzogen worden, besser, stärker, klüger, schneller, raffinierter zu sein als — möglichst — alle andern. Und nun soll ich hier plötzlich anderen beibringen, sich gegenseitig zu helfen, die anderen zum Zuge kommen zu lassen, alles miteinander zu teilen, nicht unbedingt selbst der Erfolgreichste sein zu wollen und die Schwachen in den Mittelpunkt zu stellen. Ich finde das ja alles völlig richtig und möchte auch gern nach diesen Grundsätzen leben — aber ich merke immer wieder: ich kann es gar nicht. Ich werde immer wieder autoritär, versuche, mich und meine Vorstellungen durchzusetzen, ärgere mich über langsame Typen, gehe um des raschen Resultats willen lieber über ein paar . Opfer des Fortschritts'hinweg. Was mir in vierundzwanzig Jahren eingetrichtert worden ist, das habe ich in einem Vierteljahr Vorbereitung eben nicht wieder so einfach verlernen können."

Wir können dieses Dilemma gar nicht ernst genug nehmen. Es zeigt Grundwidersprüche der heutigen Weltgesellschaft auf. Andererseits können wir aber mit dem praktischen Tun auch nicht warten, bis eine — vielleicht ein wenig — andere Generation herangewachsen ist.

Gruppe und Gemeinschaft, die unserer Ansicht nach zu einem wirklichen Friedens-dienst hinzugehören, können zu einem gewissermaßen nachträglichen Alternativangebot werden, das die Diskrepanz zwischen der im Dienst geforderten und der tatsächlich erfahrenen Sozialisation etwas mildern kann. Ein Team kann gewisse Einstellungs-und Verhaltenstraditionen entwickeln und sie dann auch gegenüber den eigenen Widerständen mit einer größeren Autorität verwirklichen, als sie der einzelne gegen seine eigene Trägheit durchzusetzen vermag.

Das mag sich in der Offenheit gegenüber Gästen, im Umgang mit Behinderten zeigen oder in der Art und Weise, wie man auf die schwachen Glieder der Gruppe eingeht, mit der man jeweils zu arbeiten hat. Die entsprechenden Verhaltensmuster können und müssen natürlich auch für die interne Interaktion des Teams entwickelt werden. Freilich darf man sich auch davon keine Wunder versprechen. Andererseits hat ein gutes Team, das auf vielfältige Weise miteinander kommuniziert und dessen Muster eine vorläufige Verbindlichkeit gewinnen konnten, schon so manches Mal tiefere Veränderungen bewirkt, als man es je für möglich gehalten hätte.

Darüber hinaus gibt es die bekannten praktischen Gesichtspunkte, um derer willen sich ein Team empfiehlt: gegenseitige Unterstützung und Korrektur, bessere Verteilung der Arbeit, Erleichterung von Kontakten usw.

Ist die Arbeit sehr schwierig und sind die äußeren Voraussetzungen entmutigend, so sollte man den Wert auch dieser einfachen Hilfen nicht unterschätzen. Dennoch bleibt die gemeinsame Entwicklung zur Friedensfähigkeit der entscheidende Aspekt. Für ihn gilt die allgemeine sozialpsychologische Maxime, derzufolge tiefer reichende Veränderungen bei Erwachsenen zur Voraussetzung haben, daß drei Faktoren in positiver Weise miteinander übereinstimmen: die Ziele oder Einstellungen, das Programm und schließlich das Milieu. Was heißt das? Eine Gruppe kann sehr gute Absichten und Einstellungen haben — sie kann sich trotzdem in Konflikten und Enttäuschungen verschleißen, wenn „das Programm", d. h. die konkrete Arbeitsaufgabe, in die falsche Richtung geht (z. B. dazu dient, die falschen Leute zu unterstützen, die vielleicht selber mehr Ausbeuter als Ausgebeutete sind). Aber auch wenn diese beiden Punkte positiv sind, so kann doch eine autoritäre, sterile, gefühlsarme, kommunikationsfeindliche Atmosphäre unter den Menschen, die an der betreffenden Aufgabe arbeiten, alles zunichte machen. Man wird hier nie ideale Verhältnisse erreichen, aber wenn die Arbeit daran erlahmt, sollte man das jeweilige Projekt lieber aufgeben.

V. Die „konstitutiven Parallelen" des Friedensdienstes

Wiederholt sind in dieser Skizze einige Regeln bereits angeklungen, die im gegenwärtigen Friedensdienst leider nur allzu selten be-folgt werden. Diesen Regeln zufolge ist das Gelingen von Friedensdienst davon abhängig, daß in viererlei Beziehung parallele Maßnahmen ergriffen werden. Sie sollen hier systeB matisierend zusammengefaßt werden. Es handelt sich bei ihnen teils um Gleichzeitigkeiten, teils um Mischungs-bzw. Austauschverhältnisse: dienst muß in den verschiedenen aufeinander bezogenen Gebieten synchronisiert werden. Anders gesagt: Er hängt davon ab, daß er in aufeinander abgestimmter Weise in aufeinan-1. Direkte und strukturrelevante Programme Betreibt man einseitig die Arbeit an Problemen direkten Unfriedens, so bleibt man möglicherweise im Symptomatischen befangen, gelangt nicht zu den wirklichen Herden der Konflikte und wird früher oder später der Resignation anheimfallen.

Beschränkt man sich auf die Arbeit am Strukturellen, so werden die nach langfristigen Perspektiven angelegten Maßnahmen immer wieder von den Symptomen der Grundprobleme eingeholt oder überholt werden. Das u. U. bereits Erreichte wird durch Angstreflexe der „Strukturwächter“ (Dolci) zunichte gemacht und neutralisiert werden, bevor es zum Tragen kommt. Deshalb sind Mehrfachstrategien erforderlich. 2. Transregionalität Die Faktoren des Unfriedens stehen in einem Verhältnis überlappender gegenseitiger Verursachung zueinander. Wir sahen das bereits im Blick auf den Nord-Süd-Konflikt, wo die Arbeit im Exkolonialgebiet, das immer noch unter dem Diktat der Monokultur steht, allein nicht genügt. Gleichzeitig muß an den Institutionen und Einstellungen der Metropolen gearbeitet werden, die jene Unrechtsstrukturen weiterwirken lassen. Eine einseitige Arbeit in Europa und Nordamerika dagegen würde bald von der Entwicklung in Ubersee überholt worden sein.

So könnte man für alle Dienstformen gegenseitige Bedingtheiten darstellen. Friedens-derbezogenen, aber u. U.sehr verschiedenen Gebieten gleichzeitig durchgeführt wird. 3. Differenzierung nach Vertragszeiten der Dienstleistenden Wir unterscheiden zwischen „permanenten" Kräften, die der jeweiligen Organisation ohne zeitliche Begrenzung oder jedenfalls langfristig zur Verfügung stehen, über eine längere Erfahrung verfügen und Ausbildungs-, Verwaltungs-und Leitungsaufgaben ausführen, und „temporären" Kräften, den eigentlichen Freiwilligen. Das optimale Zahlenverhältnis der beiden Kategorien innerhalb eines Programms ist von der Zielsetzung abhängig, aber auch von den Bedingungen, die für die Lösung der Aufgaben vorauszusehen sind.

Wir differenzieren darüber hinaus im heutigen internationalen Sprachgebrauch auch die Projekte oder Programme in Kurzzeitdienste (mit einer Dauer von drei Wochen bis zu drei Monaten), in mittelfristige (bis zu sechs Monaten laufende) und langfristige (länger als ein halbes Jahr dauernde) Dienste und Programme. Mit diesen Bezeichnungen kann beides gemeint sein: die Geltungsdauer des Vertrags des einzelnen Dienstleistenden, aber auch die Laufzeit eines Projekts oder Programms.

Die Unterscheidung ist in der Regel keine rein quantitative, sondern auch eine funktionale. So sind unter bestimmten Voraussetzungen alle drei Vertragstypen sogar im Entwicklungsdienst sinnvoll, z. B. dann, wenn bei den Teilnehmern schon entsprechende Erfah rungen vorhanden sind. Der kurzfristige Dienst, der einer Projektplanung, der Forschung oder der Evaluation dienen kann, kann aber auch für die „Initiation" (die Vermittlung fundamentaler Erfahrungen und Verhaltensregeln) erforderlich sein. Der mittelfristige Dienst (sechs bis höchstens zwölf Monate) stellt eine Zwischenform für fachspezifische Praktika für solche Fälle dar, wo Entwicklungsdienst und Katastrophenhilfe ineinander übergehen. Wichtig ist auch hier das Prinzip der Durchlässigkeit der Dienstformen

4. Internationalität

Frieden ist ganz allgemein eine gesellschaftliche Abschnürungen überwindende und damit eine transnationale Aufgabe. Dieses Ziel-und Konfliktfeld mit seiner chancen-und problemreichen Vielfalt kann in der Zusammensetzung des Teams eines Friedensdienstes gewissermaßen vorweggenommen werden — zumal, wenn es sich um ein nicht nur nach nationaler, sondern auch nach rassischer Zugehörigkeit gemischtes Team handelt. Ein solches Team kann nicht so einfach als Vertretung einer bestimmten einzelnen Macht angesehen werden. Seine Zusammensetzung kommt dem Wunsch entgegen, als Vergegenwärtigung eines übergreifenden Anliegens aufgefaßt zu werden, das alle angeht. Wird der komplizierte interne Gruppenprozeß positiv bewältigt, so wird sich die Fähigkeit des Teams und seiner Mitglieder erhöhen, Konfliktsignale in den Partnergruppen in der Bevölkerung richtig wahrzunehmen und bei der Bewältigung der angezeigten Konflikte in schöpferischer Weise zu helfen.

VI. Ausblick

Vor über zwanzig Jahren meinten D. Claessens und D. Danckwortt: „Die Zeit der Illusion des großen allgemeinen . Friedensdienstes'ist — vorerst — vorbei." Haben wir mit dieser Skizze nur einfach das Gegenteil behauptet? Haben wir den Taschenspieler-trick angewandt, in Wirklichkeit je für sich existierende Dienstformen aneinanderzureihen, ihnen ein gemeinsames Bewußtsein anzuempfehlen — und dann dieses eigentlich inkonsistente Scheinkonglomerat als „in sich zusammenhängendes Geflecht des Friedens-dienstes" darzustellen? Ist nicht die Pionier-generation, die nach dem Zweiten Weltkrieg im noch ungetrübten Enthusiasmus der UN-Gründung Weltnachbarschaft zu leben versuchte, schon abgetreten?

Diese Frage ist sehr ernst zu nehmen. Es ist viel Zeit vertan worden. Unbegreiflich viele Energien sind nationalpolitisch — etwa durch die alle kleinen Gruppen niederwalzende Konkurrenz der großen, öffentlich finanzierten Entwicklungsdienste — neutralisiert worden. Sie konnten sich dem Friedensanliegen nur unter großen Schwierigkeiten öffnen

Die einstmals blühende Sammlungsbewegung der Freiwilligendienste aller Kontinente, Blöcke, Weltanschauungen und Nationen, das Coordinating Committee ior International Voluntary

Service am UNESCO-Sitz in Paris kümmert dahin. Die Begeisterung über das Kriegsende in Vietnam, dem manche Organisationen unsäglich viel Kraft gewidmet haben, weicht der bitteren Erkenntnis, daß das noch längst nicht Frieden in Südostasien bedeutet. Die die Kapazität des Menschenhirns schlicht überschreitende Verwissenschaftlichung und Technisierung der Rüstungs-und Abrüstungsprobleme entmutigt die, die „Frieden" durch ausstrahlende Verbesserungen des Zwischenmenschlichen „wachsen lassen" wollen. Andere Wege der Erziehung und des Gemeinschaftslebens haben auf die Entwicklung von Laser-Killer-Satelliten und Cruise Missiles keinen Einfluß.

Ausgerechnet in der Bundesrepublik läuft zur Zeit ein sehr interessantes Gegenexperiment. Vor knapp zehn Jahren führte eine kleine Gruppe — Gerta Scharffenorth von der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft, Franz von Hammerstein von der Aktion Sühnezeichen, Ulrich Frey von Eirene, Fritz Eitel von der Kammer der Evangelischen Kirche in Deutschland und eine Handvoll Freunde — unter der genialen Inspiration von Wolfgang von Eichborn fast mit dem Mut der Verzweiflung etwa das, was wir oben einen Taschenspielertrick nannten, als klugen Handstreich aus. Workcamp-Organisationen, die Aktion Sühnezeichen als Versöhnungsdienst, Organisationen für inländische Sozial-arbeit und zwei Entwicklungsdienste wurden miteinander zur „Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden" Die Evangelische Kirche in Deutschland konnte dafür gewonnen werden, eine Grundausstattung zu geben und vorerst einen minimalen Verwaltungsapparat zu tragen. Die Mischung erweist sich als in der Tat sehr ergiebig. Das gemeinsam mit dem Laurentiuskonvent auf dem Düsseldorfer Evangelischen Kirchentag 1973 gestaltete „Schalom-Forum" war eine erste Demonstration neu gewonnener schöpferischer Energie. Das jährliche Pfingst-Festival christlicher Friedensdienste, der gemeinsam mit Pax Christi alle zwei Jahre an modellhafte Basisinitiativen vergebene „Schalompreis" und die immer stärkere gegenseitige Verzahnung der Mitgliedsorganisationen zeigen, daß es sich nicht um etwas „von oben" her Arrangiertes handelt, sondern daß sich Tausende meist junger Menschen engagieren möchten. Es spricht nichts dagegen, daß sich solche Experimente nicht auch auf internationaler Ebene wiederholen ließen. Im Gegenteil: In mancher Beziehung scheint die Zeit dafür reif zu sein.

Dem distanzierten Empiriker wird es noch einige Zeit sehr leicht fallen, die politische Irrelevanz solcher Bewegungen nachzuweisen. Seine Mahnung ist notwendig und hoch zu schätzen. Andererseits hat es sich schon mehrfach erwiesen, daß seine Fähigkeit zur exakten Vorhersage begrenzt ist. Im Blick auf die Welt geht es nicht um gut arrangierte Ferienabenteuer oder um zusätzliche Mittel außerschulischer Bildung. Ob Kriegsdienst durch Friedensdienst abgelöst wird, ist — niemand kann es bestreiten — eine Frage auf Leben und Tod geworden. Man könnte ja versuchen, auch nur ein Prozent der Ausgaben für die militärische Verteidigung und ein wenig Offenheit in den Friedensdienst zu investieren. Die herkömmliche Verteidigung würde das nicht berühren; unser aller Vorstellungsvermögen jedoch könnte es erneuern.

Fussnoten

Fußnoten

  1. So häufig in früheren katholischen Stellungnahmen, vgl. W. Krücken/H. Neyer, Wehrdienst — Kriegsdienstverweigerung — Zivildienst. Katholische Stellungnahmen vom Zweiten Vatikanischen Konzil bis zum Jahr 1974 (Entwicklung und Frieden, Bd. 1), München 1974. Aber auch die Denkschrift der Landessynode der Ev. Kirche im Rheinland v. 12. 1. 1970: „Das Christuszeugnis der Kirche in der heutigen Gesellschaft" (in: Aktiver Friedensdienst — Kriegsdienstverweigerung, Veröffentlichungen der Deutschen Pax Christi-Sektion, Nr. 6/1971, S. 19— 33) hat nur einen kurzen Abschnitt über „Friedensdienst ohne Waffen"

  2. Vgl. Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 13. 4. 1978; der hier interessierende Absatz im Abdruck in der Europ. Grundrechte-Zeitschrift 5. Jg. H. 7 (20. 4. 1978), S. 173, Sp. 1.

  3. So der Untertitel von Fritz Vilmar, Ein Weltfriedensdienst, Göttingen 1959 (Wissen und Verantwortung. Schriftenreihe des Arbeitskreises für angewandte Anthropologie e. V.).

  4. Nach A. Gillette, s. o. Anm. 1.

  5. So auf einem früheren Plakat der Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden e. V., Königswinter-Römlinghoven.

  6. W. James, The Moral Equivalent of War. International Voluntary Service, 1910 (Cabot, Vermont [USA], 1960).

  7. Vgl. die Darstellung in E. Rosenstock-Huessy, Dienst auf dem Planeten. Kurzweil und Langeweile im Dritten Jahrtausend, Stuttgart 1965, passim, und ders., Das Arbeitslager, Jena 1932.

  8. H. Monastier, Pierre Ceresoie, Wien 1950; A. Bietenholz-Gerhard, Pierre Ceresoie, Bad Pyrmont 1962; H. Monastier, Pierre Ceresoie d’apres sa Correspondance, Neuchätel 1960; D. Anet, Pierre Ceresoie. La passion de la paix, Neuchätel 1969.

  9. F. Vilmar, a. a. O. (s. Anm. 4), S. 1.

  10. Ebda.

  11. Ebda., S. 4 f.

  12. Vgl. Programme und Initiativen im Jahr 1978 bei den amerikanischen Friedenskirchen (Mennoniten, Quäker, Church of the Brethren) und den Dienst eines Freiwilligen der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste im Institut SANE, Washington, D. C„ USA.

  13. Vgl. die Listen des Coordinating Committee for International Voluntary Service, c/o UNESCO, 1 rue Miollis, Paris 15e.

  14. Zur Unterscheidung s. u. unter V. 3.

  15. Vgl. auch A. Bietenholz-Gerhard /P. Ceresoie/E. Lejeune, Internationale Zivildienste 1930 und 1931, La Chaux-de-Fonds 1931, S. 4.

  16. Vgl. D. Danckwortt, Erziehung zur internationalen Verständigung, München 1965, und K. -H. Engler, Babylon war nichts dagegen. Friedens-dienste, Workcamps und die Jugend der Welt, Düsseldorf 1969. — S. auch hier u. unter II. 3.

  17. Vgl. z. B. J. Narayan, Vom Sozialismus zu Sarvodaya (Wissen und Verantwortung. Schriftenreihe des Arbeitskreises für angewandte Anthropologie) Göttingen 1959; K. Shridharani, War without violence, Chowpatty/Bombay 1962, S. 110— 157.

  18. Sehr eindrucksvolle Beispiele dafür erlebten der Service Givil International und der Weltfriedensdienst bei ihrer gemeinsamen Arbeit unmittelbar nach dem Ende des algerischen Befreiungskrieges (ab 1962) in der Sousprefecture Sebdou, Algerien, oder Eirene bei seiner Arbeit unter den von der Sahelkatastrophe hart getroffenen Tuareg im Air-Gebirge, Niger, ab 1973.

  19. So weigerte sich Gandhi immer wieder, eine gesellschaftspolitische Zielvorstellung zu formulieren; vgl. das Vorwort von Bh. Kumarappa zu M. K. Gandhi, Sarvodaya. Wohlfahrt für alle, Bellnhausen o. J., S. 6 f.

  20. In meinem Verständnis von Frieden folge ich im Wesentlichen dem „Hypothesenkonzept" des Gesamtprojekts „Der Beitrag von Kirche und Theologie zum Frieden“ der Forschungsstätte der Evang. Studiengemeinschaft, Heidelberg. Es ist zuletzt 1972 als internes Papier (hektogr.) vorgelegt worden. Von ihm geprägt sind folgende Abschnitte, die sich mit dem Friedensbegriff beschäftigen: H. E. Todt, Friedensforschung als Problem für Kirche und Theologie. Einführung in die „Studien zur Friedensforschung", in: G. Picht/H. E. Tödt (Hrsg.), Studien zur Friedensforschung Bd. 1, Stuttgart 1969, S. 7— 72; W. v. Eichborn (s. o. Anm. 1), 1970, S. 35— 37; G. Picht/W. Huber, Was heißt Friedens-forschung?, Stuttgart/München 1971, S. 16— 44; Gerta Scharffenorth, Aufgaben und Probleme der Friedensforschung, Einführung zu: G. Scharffenorth/W. Huber, Neue Bibliographie zur Friedens-forschung (vgl. o. Anm. 1), S. 36 ff.; W. Huber/G. Liedke (Hrsg.), Christentum und Militarismus (Studien zur Friedensforschung Bd. 13), München 1974, S. 7— 11.

  21. Vgl. J. Galtung, Frieden und Friedensforschung, in: D. Danckwortt (Hrsg.), Internationale Beziehungen. Ein Gegenstand der Sozialwissenschaft, Politische Psychologie Bd. 5, Frankfurt 1966, S. 29; oder ders., Modelle zum Frieden. Methoden und Ziele der Friedensforschung, Wuppertal 1972, S. 26— 30.

  22. Ein exemplarischer Vorgang dieser Art scheint sich z. Zt. infolge des Holzraubbaus im tropischen Westafrika anzubahnen.

  23. J. Galtung, Probleme der Friedenserziehung, in: Chr. Wulf (Hrsg.), Kritische Friedenserziehung, Frankfurt 1973, S. 42.

  24. Ebd., S. 39.

  25. H. -E. Bahr/H. -J. Benedict/R. Grönemeyer, Aktivierung im Nahbereich, epd-Entwicklungspolitik Nr. 11/1974, S. 27.

  26. Aus einem unveröffentlichten Manuskript.

  27. D. Claessens /D. Danckwortt, Jugend in Gemeinschaftsdiensten. Eine soziologisch-psychologische Untersucnung über die Arbeit in den Internationalen Jugendgemeinschaftsdiensten, München 1957, S. 189.

  28. Dies wird in Gesprächen mit früheren Freiwilligen immer wieder deutlich, die — oft unbewußt — ihr Leben einteilen in die Zeit vor und die Zeit nach ihrem (dann meist langfristigen) Dienst; der Dienst wird offensichtlich noch lange als eine sehr tiefe Zäsur empfunden.

  29. S. o. Anm. 18, passim.

  30. Vgl. H. -E. Bahr (Hrsg.), Politisierung des Alltags — gesellschaftliche Bedingungen des Friedens. Berichte und Analysen (Reihe Theologie und Politik, Bd. 4), Darmstadt/Neuwied 1972.

  31. Für den Frieden. Handreichung der Konferenz der Berater und Beistände der Kirchen in Nord-westdeutschland (Beschlossen am 1. 9. 1975), hektographiert, S. 18.

  32. A. Skriver, a. a. O., S. 13.

  33. Sehr aufschlußreich ist die nun über zwei Jahrzehnte währende Hetze der rechtsradikalen Presse gegen die Aktion Sühnezeichen, die gelegentlich in der Zeitschrift „Zeichen" (Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste, Jebensstr. 1, 1000 Berlin 12) dokumentiert und kommentiert wird.

  34. Ein abgeschlossenes Forschungsprojekt ist dokumentiert in: M. Huhn/K. Hungar/H. Schwall, Abstand vom bürgerlichen Leben. Eine empirische Untersuchung über Freiwillige im Friedensdienst am Beispiel der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste, Heidelberg 1977.

  35. Dargestellt z. B. in D. Senghaas (Hrsg.), Imperialismus und strukturelle Gewalt. Analysen über abhängige Reproduktion, Frankfurt 1972; ders. (Hrsg.), Peripherer Kapitalismus. Analysen über Abhängigkeit und Unterentwicklung, Frankfurt 1974.

  36. Vgl. P. H. Gruber (Hrsg.), Ungerechte Fesseln öffnen. Offizieller Bericht der Konferenz über ökumenische Unterstützung für Entwicklungsprojekte, Genf 1970, S. 43— 67.

  37. United Nations Voluntary Service, am Sitz der Vereinten Nationen in Genf. Deutsche Kontakt-stelle: Arbeitskreis Lernen und Helfen in Ubersee e. V., Truchseßstr. 100, 53 Bonn-Bad Godesberg.

  38. Vgl. K. -K. Rabe, Wir kämpfen um unser Leben. Unterdrückung und Widerstand der Landarbeiter in den USA, Berlin 1977.

  39. Eine kurze Einführung in Ziele und Aktionen gibt Satish Kumar, Non-Violence or Non-Existence. The Gandhian ideology of a non-violent society, London o. J. (1968), S. 26— 29.

  40. Vgl. die geschichtlichen Darstellungen in H. Delfs (Hrsg.), Aktiver Friede. Gedenkschrift für Friedrich Siegmund-Schultze (Schriften des ökumenischen Archivs der EKD Bd. VII), Soest 1972. — Zur Lateinamerika-Arbeit des Versöhnungsbundes: H. Goss-Mayr, Die Macht der Gewaltlosen. Der Christ und die Revolution am Beispiel Brasiliens, Graz/Wien/Köln 1968; dies., Gewaltlose Aktion in Lateinamerika, Der Christ in der Welt, Bd. 21, H. 4 (Dez. 1971); dies., Der Mensch vor dem Unrecht. Spiritualität und Praxis gewaltloser Befreiung, Wien 1976 (dort ein Aktionsbeispiel S. 95— 101); dies., Latin American Nonviolence: Four Successes, IFOR-Report, Dezember 1978, S. 12— 15.

  41. Vgl. H. Goss-Mayr (Hrsg.), Geschenk der Armen an die Reichen. Zeugnisse aus dem gewalt-freien Kampf der erneuerten Kirche in Lateinamerika (Soziale Brennpunkte Bd. 7), Wien 1979.

  42. G. Howe (Hrsg.), Atomzeitalter — Krieg und Frieden, Witten/Berlin 1959, S. 226 ff.

  43. Die gesamte Entwicklung ist gut zu verfolgen dank der Dokumentation im Gütersloher Taschenbuch 414 (1978): Die Denkschriften der Evangelischen Kirche in Deutschland, Band 1/2: Frieden, Versöhnung und Menschenrechte.

  44. Ebd., S. 51.

  45. Ebd., S. 52.Die Evangelische Kirche in Deutschland gibt wesentliche Zuschüsse zu den Kosten der Zentralen der Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden e. V. und ihrer Mitgliederorganisationen Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste e. V., Eirene, Internationaler christlicher Friedensdienst e. V. und Weltfriedensdienst e. V. — Dabei sind die Leistungen und Aufwendungen für die Beratung und Betreuung der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen sowie für den Zivildienst noch nicht berücksichtigt.

  46. Ich folge im Blick auf die Kriterien als solche W. von Eichborn, a. a. O., Kap. V (S. 107— 118), füge jedoch einen dritten Punkt hinzu.

  47. Damit ist auch ein Zerrbild wie das der „freiwilligen

  48. S. o., Anm. 28.

  49. S. o., Schlußabsatz von Abschn. III. 1.

  50. A. a. O., S. 189 f.

  51. Vgl. die Enttäuschung der Peace Corps-Rückkehrer, paradigmatisch in M. Windmiller, The Peace Corps and Pax Americana, Washington D. C. 1970, z. B. im Vorwort u. S. 37, 42, 74, 93, 112. — Ganz anders dagegen die Einschätzung von E. Rosenstock-Huessy, Dienst auf dem Planeten (vgl. o. Anm. 8), passim und im Dokumentar-Anhang.

  52. S. o., Anm. 14.

  53. Malteserhof, 5330 Königswinter 1 Römlinghoven. Zur Zeit 15 Mitgliedorganisationen.

  54. Eine ökumenische Gruppe mit mehreren Zellen gemeinsamen Lebens.

  55. Der Schalom-Preis 1976 ist dokumentiert in: Friedensarbeit an der Basis. Strategie und Praxis (Friedens-und Freiwilligendienste H. 4), Königs-winter (AGDF) 1977.

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Wilfried Warneck, geb. 1929 in Königsberg (Pr.); Studium der evangelischen Theologie; Gemeindearbeit und Dienst in der Gemeinwesenarbeit unter Obdachlosenfamilien, in der Organisation und Leitung vor allem in Afrika tätiger Entwicklungsdienste und innerhalb eines wissenschaftlichen Projekts der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft, Heidelberg; Mitarbeit in deutschen und internationalen Gremien des Freiwilligendienstes, u. a. als Vorstandsmitglied der Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden e. V.; seit 1976 Geschäftsführer von „Church and Peace", der europäischen Koordinationsstelle der „Historischen Friedenskirchen", von kommunitären Friedensgruppen, ökumenischen Friedensdiensten und theologischen Konferenzen zur Frage des kirchlichen Friedenszeugnisses. Veröffentlichungen: Eirene — Freiwillige im Friedensdienst. Erfahrungen einer ökumenischen Dienstgruppe, in: R. Schmidt (Hrsg.), Frieden konkret, Essen 1968; Bibliographien „Friedensdienste" und „Pazifismus und pazifistische Bewegungen", in: G. Scharffenorth/W. Huber (Hrsg.), Neue Bibliographie zur Friedensforschung (Studien zur Friedensforschung Bd. 12), München 1973; Heilendes Handeln in der Heimatgemeinde, in: W. Erk/M. Scheel (Hrsg.), Ärztlicher Dienst weltweit, Stuttgart 1974; in Vorbereitung: Kriegsdienstverweigerung und Entwicklungsdienst.