I. Einführung: Entwicklung der Arbeitsmarktpolitik
Lange galt die Bundesrepublik Deutschland im Internationalen Vergleich als Musterbeispiel eines Landes mit anhaltend hohem Niveau der Volbeschäftigung bei relativ geringen Preis-steigerungsraten. Die Arbeitsmarktpolitik erhielt daher in der Ende 1972 verabschiedeten Länderprüfung der OECD eine besonders gute Note. Als beispielhaft für andere Länder wurde hierbei vor allem die Schwerpunktverlagerung des arbeitsmarktpolitischen Instrumentariums der Bundesanstalt für Arbeit (BA) im Rahmen des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) von 1969 hervorgehoben: Von der finanziellen Absicherung bei vollem oder teilweisem Arbeitsausfall zur vorbeugenden beruflichen Anpassung und Fortbildung, ergänzt durch Arbeitsvermittlung und Berufsberatung
Bei einer Beurteilung der niedrigen Arbeitslosenquote in den Industrieländern bis 1973 — die mit Ausnahme der Konjunktur-und Strukturkrise 1966/67 um 1 Prozent schwankte — darf jedoch folgendes nicht vernachlässigt werden: Auch in Zeiten genereller Vollbeschäftigung gab es immer Personengruppen, die einem überdurchschnittlichen Beschäftigungsrisiko ausgesetzt waren. Hierbei sind vor allem zu nennen: Ältere, weibliche und behinderte Arbeitnehmer sowie Beschäftigte in struktur-schwachen Wirtschaftsbereichen und Regionen.
Seit 1974 ist andauernde hohe Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik, wie auch in den meisten anderen westlichen Industrieländern, wieder an der Tagesordnung. In den neun Mitgliedsländern der Europäischen Gemeinschaften sind durchschnittlich etwa 6 Millionen offiziell registrierte Arbeitslose zu verzeichnen. In den Mitgliedsstaaten Organi -der für wirtschaftliche sation Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) — 23 westliche Industrienationen — ist die Anzahl der gemeldeten Arbeitslosen auf etwa 16 Millionen gestiegen. In der Bundesrepublik ist die von der BA registrierte Arbeitslosigkeit mit Quoten von 4 und teilweise sogar 5 Prozent auf das hohe Niveau der Nachkriegszeit — Mitte der fünfziger Jahre — angestiegen. Besonders schwerwiegend ist, daß in der Bundesrepublik wie auch in anderen westlichen Industrienationen sich auch auf mittlere Sicht keine Lösung des Problems der Arbeitslosigkeit abzeichnet. Weitgehende Einigkeit besteht über die ungünstigen Beschäftigungsperspektiven für die Zukunft.
Die Bedrohung unserer demokratischen Wirtschafts-und Gesellschaftsordnung könnte kaum deutlicher gemacht werden. Zwar konnte bisher durch die mehr oder weniger eng geknüpften Netze der sozialen Sicherheit weitgehend verhindert werden, daß die materielle Existenz der von Arbeitslosigkeit Betroffenen zerstört wurde. Jedoch hat Arbeitslosigkeit häufig nicht nur erhebliche finanzielle, sondern darüber hinaus auch soziale, psychische und gesundheitliche Belastungen zur Folge. Der Weg von dem Schockerlebnis der Arbeitslosigkeit bis zur familiären, sozialen und gesellschaftlichen Isolation und Frustration sowie der daraus vielfach folgenden Resignation oder Aggression ist nicht weit
In der mehr als zwei Jahrzehnte andauernden Vollbeschäftigungsphase haben die Beschäftigungsentwicklung sowie Beschäftigungsungleichgewichte einen geringen Stellenwert in der wissenschaftlichen und politischen Diskussion eingenommen. Eine Ausnahme bildete die Zeit nach der Konjunktur-und Strukturkrise 1966/67, wobei die Probleme der Veränderungen in den Beschäftigungsstrukturen und die Förderung der Arbeitsmobilität im Vordergrund standen. Nach der Wiederherstellung der Vollbeschäftigung und der Verabschiedung des Arbeitsförderungsgesetzes 1969 ging das Interesse in Wissenschaft und Politik an der Arbeitsmarkt-und Beschäftigungspolitik erheblich zurück. Die lange Dauer der bestehenden Beschäftigungskrise ist
Vorabdruck aus: Diethard B. Simmert (Hrsg.), Wirtschaftspolitik kontrovers, Bd. 146 der Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung; eine Buchhandelsausgabe besorgt der Bund-Verlag in Köln. nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß in Wissenschaft und Politik oft die Meinung vertreten wird, daß mit den traditionellen Instrumenten der Konjunkturpolitik und flankierenden Maßnahmen einer einkommenssichernden und mobilitätsfördernden Arbeitsmarktpolitik die Vollbeschäftigung wieder hergestellt werden könne. Seit jedoch festgestellt werden mußte, daß mit diesen Mitteln der Wirtschafts-und Arbeitsmarktpolitik zwar das Wirtschaftswachstum stimuliert werden konnte, jedoch die Arbeitslosigkeit weiterhin auf hohem Niveau anhielt, hat die Diskussion um die Beschäftigungspolitik erneut begonnen. Hierbei zeigt sich besonders deutlich das Defizit an theoretischer und empirischer Grundlegung der Beschäftigungs-und Arbeitsmarktpolitik. Kennzeichnend hierfür ist bereits der Mangel einer einheitlichen Definition des Begriffs der Beschäftigungs-bzw. Arbeitsmarktpolitik. Im Rahmen dieses Beitrags erscheint es nicht möglich und zweckmäßig, eine ausführliche Erörterung der national und international bestehenden Unterschiede bei der Verwendung der Begriffe Arbeitsmarkt-und Beschäftigungspolitik vorzunehmen. Da sich die Wissenschaft bisher mit diesen Begriffen — vor allem der Arbeitsmarktpolitik — noch kaum systematisch beschäftigt hat, muß hier gemäß der politischen Praxis von folgender begrifflicher Abgrenzung ausgegangen werden: Unter Beschäftigungspolitik werden in Anlehnung an die Keynessche Vollbeschäftigungspolitik Maßnahmen der globalen, kurzfristig wirkenden Konjunkturpolitik zur Bekämpfung der generellen Unterbeschäftigung — z. B. durch die Geld-, Kredit-und Fiskalpolitik — verstanden. Zur Arbeitsmarktpolitik werden üblicherweise die Maßnahmen der Arbeitsministerien bzw. Arbeitsmarktbehörden gezählt. In der Bundesrepublik Deutschland sind dies die Maßnahmen der BA, die im Rahmen des AFG gesetzlich festgelegt sind: Arbeitsvermittlung, Arbeitsberatung, Berufsberatung, Maßnahmen zur Förderung der Arbeitsaufnahme sowie der regionalen Mobilität, berufliche Weiterbildung, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Gewährleistung von Einkommensersatzleistungen (Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe, Kurzarbeitergeld, Schlechtwettergeld).
Beide Begriffe — wie sie der politischen Praxis weitgehend entsprechen — umfassen lediglich einen Teil der wirtschafts-, sozial-und gesellschaftspolitischen Maßnahmen, die auf die Beschäftigungsund Arbeitsmarktentwicklung Einfluß nehmen. Vernachlässigt werden hierbei insbesondere: die Maßnahmen der sektoralen und regionalen Strukturpolitik, der Raumordnungspolitik, der Bildungs-und Ausbildungspolitik sowie der betrieblichen Personal-und Sozialpolitik. Dies ist nicht nur ein begriffliches Problem, sondern ausschlaggebend für die geringe Wirksamkeit der beschäftigungs-und arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen in der bestehenden politischen Konzeption
Dieser Beitrag hat sich vor allem mit den Problemen und Perspektiven der Arbeitsmarktpolitik zu befassen. Entsprechend stehen im Mittelpunkt der folgenden Ausführungen die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen und Instrumente der BA.
II. Problemstellung: Arbeitsmarktungleichgewichte
Die Beschäftigungssituation in der Bundesrepublik ist durch folgende Probleme gekennzeichnet, die auch für andere westliche Industrieländer symptomatisch sind:
— Die hauptsächliche Ursache der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit ist auf das generelle Defizit an Arbeitsplätzen zurückzuführen. Ausschlaggebend hierfür sind verringerte Zuwachsraten des durch die in-und ausländische Nachfrage bedingten Wirtschaftswachstums einerseits sowie anhaltend hohe Produktivitätssteigerungen andererseits. Verstärkt werden die hierdurch bedingten Beschäftigungsungleichgewichte durch die Trendumkehr in der Entwicklung der Erwerbsbevölkerung. Während das inländische Arbeitskräftepotential zwischen 1960 und 1973 um etwa 1, 8 Mill, abnahm — allerdings in etwa gleichem Ausmaß durch die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte ausgeglichen wurde —, ist seit 1975 ein Anstieg der inländischen Erwerbsbevölkerung zu verzeichnen, der bis 1985 etwa 1 Mill, betragen dürfte. Ohne wirksame beschäftigungspolitische Maßnahmen ist daher nicht auszuschließen, daß das generelle Defizit an Arbeitsplätzen in den kommenden acht bis zehn Jahren auf über 2 Millionen anwachsen könnte. — Darüber hinaus ist mit zunehmender Dauer der Arbeitslosigkeit eine Verschlechterung in der Struktur der Arbeitslosen zu beobachten. Ausschlaggebend hierfür ist die Verschärfung der personellen Aussonderungsprozesse in den Betrieben. Die Anforderungen an Qualifikationen, Leistungsfähigkeit und Verfügbarkeit der Arbeitnehmer werden erhöht und gleichzeitig die tatsächlich oder vermeintlich weniger produktiven Arbeitskräfte in die offene bzw. versteckte Arbeitslosigkeit gedrängt. Die Folgen dieser Ausleseprozesse kommen in der Struktur der Arbeitslosen deutlich zum Ausdruck
Seit 1976 sind über die Hälfte der registrierten Arbeitslosen Mädchen und Frauen. Dabei beträgt ihr Anteil an den abhängig Erwerbstätigen nur etwa 37 °/o. Die Beschäftigungsprobleme weiblicher Arbeitnehmer werden dadurch verschärft, daß über ein Drittel der arbeitslosen Frauen, nach Teilzeitarbeit sucht. Während auf 4 Vollzeitarbeitslose eine offene Stelle entfällt, ist dieses Verhältnis der nach Teilzeitarbeit suchenden Frauen erheblich schlechter: beinahe 9 zu 1. Vergleichsweise hohe Arbeitslosenquoten sind für die unteren sowie für die oberen Altersgruppen zu beobachten. Bei den jüngeren Arbeitnehmern ist die Arbeitslosigkeit am höchsten für die Altersgruppe der 20-bis unter 25jährigen. überdurchschnittlich hoch war zunächst auch die Arbeitslosigkeit bei den Jugendlichen unter 20 Jahren. Diese ist jedoch im vergangenen Jahr zurückgegangen, was von der BA vor allem auf den Rückgang der Zahl der männlichen Jugendlichen und auf verstärkte schulische Bildungsangebote zurückgeführt wird. Dies gilt jedoch nur für die inländischen Jugendlichen unter 20 Jahren. Bei den ausländischen Arbeitnehmern in dieser Altersgruppe hat sich die Arbeitslosigkeit weiterhin erhöht. überdurchschnittlich hohe Arbeitslosigkeit ist auch für die über 55jährigen Arbeit-nehmer zu verzeichnen: Für die 60-bis 65jährigen ging die absolute Zahl der Arbeitslosen seit ihrem Flöhepunkt im Mai 1976 zurück, was vor allem auf den vorzeitigen Austritt aus dem Erwerbsleben infolge Inanspruchnahme der flexiblen Altersgrenze zurückzuführen sein dürfte. So hat sich die Erwerbsbeteiligung dieser Altersgruppe seit Einführung der flexiblen Altersgrenze 1972 von 41, 8 Prozent auf 27, 6 Prozent im Jahre 1977 vermindert. Die Arbeitslosenquote dieser Altersgruppe ist jedoch wieder angestiegen, über die Hälfte der Arbeitslosen hat keine abgeschlossene Berufsausbildung. Bei den arbeitslosen Frauen liegt der Anteil noch darüber. Weiter zugenommen hat ebenso die Arbeitslosigkeit bei Arbeitnehmern mit gesundheitlichen Einschränkungen, deren Anteil an allen Arbeitslosen beinahe 30 Prozent beträgt. Besorgniserregend ist darüber hinaus die ständige Zunahme der Arbeitslosen mit langer Dauer der Arbeitslosigkeit. So ist der Anteil der ein Jahr und länger Arbeitslosen beinahe auf ein Viertel angestiegen. Von lang andauernder Arbeitslosigkeit sind die auch ansonsten benachteiligten und von Arbeitslosigkeit überdurchschnittlich gefährdeten Personengruppen betroffen: vor allem ältere Arbeitnehmer ohne abgeschlossene Berufsausbildung sowie mit gesundheitlichen Einschränkungen. Im folgenden wird untersucht, inwieweit die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen und Instrumente der BA in der Lage waren, diese schwerwiegenden globalen und strukturellen Beschäftigungsungleichgewichte zu bekämpfen. Dabei stehen vor allem folgende Maßnahmen im Vordergrund, die nachstehend einer gründlicheren Untersuchung unterzogen werden sollen: Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Maßnahmen zur Förderung der Arbeitsaufnahme, berufliche Weiterbildung.
III. Analyse einzelner Instrumente der Arbeitsmarktpolitik
Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen Wie in anderen westlichen Industrieländern haben auch in der Bundesrepublik arbeitsmarktpolitische Maßnahmen zur Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen im privaten und öffentlichen Sektor zunehmende Bedeutung erlangt, wenn sie auch insgesamt einen relativ geringen Umfang aufweisen. Nach den Vorschriften des Arbeitsförderungsgesetzes (§ 91 ff.) sind hierbei solche Arbeiten zu fördern, — die sonst nicht, nicht in demselben Umfang oder erst zu einem späteren Zeitpunkt durchgeführt würden, — die geeignet sind, 1. Voraussetzungen für die Beschäftigung von Arbeitslosen in Dauer-arbeit zu schaffen, insbesondere die Folgen von Strukturveränderungen oder der technischen Entwicklung auszugleichen, oder 2. strukturverbessernde Maßnahmen vorzubereiten, zu ermöglichen oder zu ergänzen oder 3. Arbeitsgelegenheiten für langfristig arbeitslose ältere Arbeitnehmer zu schaffen. Als Mittel hierzu kann die BA Zuschüsse zu den Lohnkosten zwischen 50 Prozent bis zur vollen Höhe des Arbeitsentgelts — je nach besonderer arbeitsmarktpolitischer Bedeutung — sowie Darlehen an öffentliche und private Träger gewähren.
Dieses Instrument ist zunächst kaum genutzt worden und wenn, dann vorwiegend zugunsten älterer Arbeitnehmer (über 45 Jahren), die in den nach der Rezession 1966/67 in Nordrhein-Westfalen geschaffenen Betrieben zur Verbesserung der Beschäftigungsstruktur beschäftigt waren. Von den in den Jahren 1969 bis 1972 mit Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen pro Jahr geförderten 1 500— 1 600 Arbeitslosen waren zwischen 1 338 und 1 178 im Jahr Arbeitnehmer über 45 Jahren.
Im Zuge der steigenden Arbeitslosigkeit 1974 wurden die Leistungen im Rahmen der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen verbessert und der geförderte Arbeitnehmerkreis erweitert. Zwischen 1975 und 1977 wurden durch die aus Mitteln der BA sowie im Rahmen der Konjunkturprogramme von Bund und Ländern finanzierten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen etwa 190 000 Arbeitsplätze gesichert bzw. geschaffen. Hierbei wurden zunächst Arbeitsplätze vorwiegend im Baugewerbe gefördert: Verkehrswesen, Geländeerschließung, Hoch-bau, Versorgungsanlagen. Diese Projekte waren zwar weniger arbeitsintensiv; doch zogen die öffentlichen Fördermittel erhebliche zusätzliche Investitionen nach sich. Für jede Million DM der Fördermittel wurden zusätzliche Investitionsausgaben von 1, 42 Mio. DM getätigt. Als sich mit zunehmender Dauer der Beschäftigungskrise herausstelle, daß sich die Arbeitslosigkeit immer mehr auf benachteiligte Personengruppen konzentrierte, wurde das Schwergewicht der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen verändert. Heute stehen Projekte in den Bereichen Büro und Verwaltung sowie Sozialpflege im Mittelpunkt. Hierbei handelt es sich um besonders arbeitsintensive Tätigkeiten, die bevorzugt zur Wiedereingliederung der Problemgruppen — vor allem der Frauen und Angestellten — genutzt werden können. Hierdurch ist auch zu erklären, daß trotz Verringerung der Fördermittel in den letzten beiden Jahren mehr Arbeitslose wieder eingegliedert werden konnten als zuvor. Darin zeigt sich der zweifache Vorteil der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen: — die Anpassung an die Struktur der Arbeitslosen (Un-und Angelernte, Frauen, Ältere, gesundheitlich Eingeschränkte) und — die bevorzugte Auswahl von Förderprojekten, in denen ein gesellschaftspolitischer Nachholbedarf besteht — insbesondere bei den Sozialdiensten.
Für 1979 sind im Haushalt der BA 1, 2 Mrd. DM für Lohnkostenzuschüsse im Rahmen von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zur Verfügung gestellt worden. Damit sollen etwa 50 000 Arbeitsplätze geschaffen werden. Neben der notwendigen Ausweitung ist eine qualitative Verbesserung und Anpassung der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen vorzunehmen. — Mißbräuche bei der Verwendung von Mitteln für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sind nach Möglichkeit zu verringern: insbesondere Entlassungen einerseits sowie Beschäftigungen der mit Mitteln für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen geförderten Arbeitnehmer andererseits; Abbau der mit solchen Mitteln gesicherten bzw. geschaffenen Arbeitsplätze nach Auslaufen der Förderung; öffentliche Förderung von Einstellungen, die auch ohne die Fördermittel erfolgt wären.
— Da mit dem anhaltend hohen Niveau der Arbeitslosigkeit immer deutlicher wird, daß die Beschäftigungskrise nicht lediglich konjunkturbedingt ist, sondern durch generelle strukturbedingte Defizite an Arbeitsplätzen hervorgerufen wird und sich zudem auf einzelne benachteiligte Arbeitnehmergruppen konzentriert, sind die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen verstärkt zum Abbau dieser strukturellen Arbeitslosigkeit einzusetzen. Dies bedeutet, daß sie den Strukturveränderungen insoweit Rechnung tragen müssen, als sie Ersatz für die im industriellen und privaten Dienstleistungssektor wegfallenden Arbeitsplätze bieten sowie vorwiegend die Wiedereingliederung der von Arbeitslosigkeit überdurch19 schnittlich betroffenen Personengruppen erleichtern. Hierzu sind bereits in der Vergangenheit positive Entwicklungstrends zu erkennen, die auch in der Zukunft fortzusetzen wären. Erforderlich ist weiterhin die stärkere Bereitstellung qualifizierter Arbeitsplätze im Rahmen der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, damit die Gefahr des beruflichen, einkommens-mäßigen und sozialen Abstiegs der arbeitslosen Teilnehmer an derartigen Maßnahmen soweit wie möglich verringert wird. Gerade die Arbeitsplätze im Rahmen der sozialen Infrastrukturbereiche, für die noch erhebliche gesellschaftspolitische Nachholbedarfe bestehen, erfordern nicht lediglich gering qualifizierte, sondern auch höher qualifizierte Arbeitskräfte.
Maßnahmen zur Förderung der Arbeitsaufnahme Ein weiteres Instrument der BA, das in der seit 1974 andauernden Beschäftigungskrise verstärkt genutzt wurde, sind Maßnahmen zur Förderung der Wiedereingliederung, die das Instrumentarium der Arbeitsvermittlung ergänzen. Hierbei sind insbesondere zu unterscheiden: — Zur Erleichterung der Wiedereingliederung kann die BA Arbeitgebern Einarbeitungszuschüsse für Arbeitnehmer gewähren, die eine volle Leistung am Arbeitsplatz erst nach einer Einarbeitungszeit erreichen können (§ 49 AFG).
— Zur Verbesserung der Beschäftigungsmöglichkeiten kann die BA spezielle finanzielle und sonstige Hilfen zur Förderung der regionalen Mobilität der Arbeitnehmer gewähren — insbesondere: Zuschüsse zu den Bewerbungskosten, Reise-und Umzugskosten, Arbeitsausrüstung, Trennungs-und überbrük-kungsbeihilfen (§ 53 AFG).
— Für schwer vermittelbare und ältere Arbeitnehmer sind Lohnkostenzuschüsse sowie die finanzielle Förderung der Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen als Eingliederungsbeihilfen vorgesehen (§ 54, 97, 98 AFG). Wie die Entwicklung der Beihilfen der BA zur Förderung der Arbeitsaufnahme von 1973 bis 1977 zeigt, ist die stärkste Zunahme bei den Eingliederungsbeihilfen für schwer vermittelbare und ältere Arbeitnehmer zu verzeichnen. 1977 entfielen auf diese Maßnahmen sowohl vom Mittelaufwand als auch von der Anzahl der Fälle her der größte Anteil. Sie wurden als spezielle Vermittlungshilfen bei 7, 2 Prozent der Vermittlungen eingesetzt.
Hingegen waren die Mobilitätszulagen an längerfristig Arbeitslose zur Förderung der regionalen Beweglichkeit wenig erfolgreich und wurden nur zum Teil in Anspruch genommen. Hierzu stellt die BA fest: „Jedes Jahr laufen Millionen zwischen-und innerbetriebliche Arbeitsplatzwechsel, über eine Million Umzüge in andere Kreise, etwa eine Million Berufs-wechsel, Millionen von Wechseln des Wirtschaftszweiges, der Arbeitsaufgabe und der technischen Ausstattung. Knapp zwei Millionen Fälle von Fortbildung und Umschulung wurden bisher von der Bundesanstalt finanziert. Ein mehrfaches an beruflicher Erwachsenenbildung fand über diese Förderung hinaus statt. Es besteht die Gefahr, daß eine Fülle von arbeitsmarktpolitischen Einzelhilfen daher in den üblichen Arbeitsmarktbewegungen untergeht, ohne per Saldo erwünschte Zusatzeffekte zu haben."
Dringend erforderlich ist eine Erfolgskontrolle derartiger Maßnahmen. Hierbei ist zu verhindern, daß Unternehmen tatsächlich oder vermeintlich leistungsschwächere Arbeitnehmer entlassen, um sie später mit Lohnkostenzuschüssen der BA wieder einzustellen. Die Wirksamkeit derartiger Maßnahmen, vor allem in Zeiten genereller Unterbeschäftigung, wird jedoch immer begrenzt bleiben, da ihre Inanspruchnahme von der generellen Absatz-und Beschäftigungssituation, mithin von der durch die Nachfrage bedingten Verfügbarkeit von Arbeitsplätzen abhängt.
Berufliche Weiterbildung Wie alle Untersuchungen über die Struktur der Arbeitslosen deutlich zeigen, nimmt das Risiko der Arbeitslosigkeit mit steigend qualifizierter Ausbildung ab. Dies zeigt die außerordentliche Bedeutung der beruflichen Weiterbildung bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Die logische Folge wäre eine Verstärkung der Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung in Zeiten der hohen Arbeitslosigkeit. Uber die Verringerung des Risikos der Arbeitslosigkeit durch bessere berufliche Qualifizierung hätten hierdurch folgende weitere Vorteile erreicht werden können:
— Die Zahl der Arbeitslosen wird abgebaut; anstelle der Zahlung von öffentlichen Mitteln für Arbeitslosenunterstützung und Arbeitslo-senhilfe könnten die öffentlichen Mittel produktiver verwendet werden, indem sie zur Verbesserung der beruflichen Bildung und damit der Beschäftigungsmöglichkeiten des einzelnen Arbeitnehmers beitragen und das Qualifikationspotential in der Gesamtwirtschaft erhöhen.
— Die gesamt-und betriebswirtschaftlich sowie sozialpolitisch erforderliche Anpassung der beruflichen Qualifikationen der Arbeitnehmer an die weiterhin ständigen Veränderungen in den Beschäftigungsstrukturen würde erleichtert.
Es ist daher auch unter beschäftigungspolischen Aspekten besonders problematisch, daß die berufliche Weiterbildung, die mit dem Arbeitsförderungsgesetz (AFG) 1969 erheblich verbessert und verstärkt wurde, im Rahmen der Einsparungen des Haushaltsstrukturgesetzes Ende 1975 wieder beträchtlich eingeschränkt worden ist. Seit der Verabschiedung des AFG ist die Gesamtzahl der Teilnehmer an beruflicher Fortbildung, Umschulung und Einarbeitung rapide angestiegen: von knapp 50 000 im Mai 1969 auf etwa 191 500 im Dezember 1975, wobei der größte Zuwachs der Teilnehmer zwischen 1969 und 1971 zu verzeichnen war. Nach der Verringerung des Unterhaltsgeldes sowie der Verschärfung der Zulassungsbedingungen im Rahmen des Haushaltsstrukturgesetzes Ende 1975 ist die Anzahl der Teilnehmer an den von der BA geförderten beruflichen Bildungsprogrammen erheblich zurückgegangen: auf 109 376 Ende 1977. Entsprechend hat sich die Anzahl der Empfänger von Unterhaltsgeld bei Vollzeitmaßnahmen beruflichen Weiterbildung
drastisch vermindert: vom 117 888 (1975) auf 64 081 (1977).
Die starke Verringerung der Teilnehmerzahlen bei der beruflichen Weiterbildung seit 1976 steht den Erfordernissen einer aktiven Arbeitsmarktpolitik in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit und ständiger Veränderungen der Beschäftigungsstrukturen entgegen. Wie die BA feststellt, ging die „Entlastungswirkung der Vollzeitmaßnahmen ... im Sinne einer Minderung der Arbeitslosenzahl ...deshalb 1976 auf 78 000 Personen zurück. 1977 trat erneut eine starke Abnahme der Entlastungswirkung ein" (auf 56 000 Personen).
Wie Untersuchungen des Instituts für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung (IAB) deutlich zeigen, sind die beschäftigungsund arbeitsmarktpolitischen Ergebnisse der beruflichen Weiterbildung insgesamt positiv einzuschätzen
— Die bei weitem überwiegende Mehrzahl der Weiterbildungsteilnehmer beenden die Ausbildung erfolgreich. Allerdings ist hierbei nach Bildungs-und Ausbildungsniveau der Teilnehmer zu unterscheiden. Zwischen 20 und 25 Prozent der Personen ohne Volksschulabschluß, ohne abgeschlossene Lehr-bzw. Anlernausbildung sowie ohne Berufsausbildung erreichten den Abschluß nicht.
— Von der generellen Behauptung einer Weiterbildung am Bedarf vorbei kann keine Rede sein: Eher umgekehrt ist die berufliche Verwertbarkeit der Weiterbildung außergewöhnlich hoch einzuschätzen. Zum Beispiel haben die Teilnehmer an Handwerkermeisterund Technikerlehrgängen, von denen vorher drei Viertel Arbeiter waren, zum überwiegenden Teil ihren beruflichen Status verbessern können. Besonders deutlich ist die berufliche Qualifizierung bei ehemals un-und angelernten Teilnehmern an Umschulungsmaßnahmen.
— Deutlich ist vor allem die Verbesserung der Wiedereingliederungschancen von Arbeitslosen nach erfolgreicher Teilnahme an derartigen Weiterbildungsmaßnahmen. Erfahrungsgemäß können etwa die Hälfte der Weiterbildungsteilnehmer innerhalb eines Jahres mit der Wiederbeschäftigung rechnen, jedoch nur etwa ein Drittel der Nicht-Teilnehmer.
— Von allen Personen, die zwischen dem 1. Juli 1975 und dem 30. September 1976 eine berufliche Weiterbildungsmaßnahme abgeschlossen haben, waren Ende September 1976 nur 8 Prozent arbeitslos. Dabei betrug der Anteil der Arbeitslosen vor der Teilnahme an der Weiterbildung etwa ein Drittel. Teilnehmer an Maßnahmen der beruflichen Einarbeitung sind in den seltensten Fällen nach Abschluß der Maßnahmen arbeitslos, Umschüler in gewerbliche Berufe in geringerem Umfang als in Angestelltenberufe. Weiterbildungsmaßnahmen in Tätigkeiten für die oder unterhalb der Facharbeiterebene tragen in besonderem Ausmaß zum Abbau der Arbeitslosigkeit bei.
— Darüber hinaus zeigten die Ergebnisse dieser Untersuchungen, daß ein erhebliches Interesse der Arbeitslosen — auch der Schwer-vermittelbaren — an einer beruflichen Wei-terbildung besteht. Hieraus ist die Schlußfolgerung zu ziehen, daß „auf vielen Qualifikationsebenen durchaus Möglichkeiten bestehen, um die Maßnahmen zur beruflichen Fortbildung oder Umschulung stark auszuweiten, und so einerseits die Wiedereingliederungschancen erheblich zu verbessern, andererseits den Arbeitsmarkt quantitativ und qualitativ zu entlasten"
— Auch die Mitte 1978 veröffentlichte Infratest-Untersuchung zeigt deutlich die Notwendigkeit und hohe Bereitschaft der Arbeitslosen zur beruflichen Weiterbildung
In den letzten Monaten ist offensichtlich wieder eine Zunahme der Teilnehmer an den von der BA geförderten beruflichen Weiterbildungsmaßnahmen zu beobachten. Danach sind die Eintritte in berufliche Weiterbildungsmaßnahmen insgesamt zwischen dem 1. Halbjahr 1977 und dem 1. Halbjahr 1978 um etwa 30 Prozent gestiegen. Hervorzuheben ist hierbei vor allem, daß dieser Anstieg für Frauen beträchtlich höher ausgefallen ist als für Männer. Weibliche Arbeitnehmer waren von Anfang an bei den von der BA geförderten beruflichen Weiterbildungsmaßnahmen bei weitem unterrepräsentiert. Bei einer Beurteilung des überdurchschnittlichen Anstiegs der Eintritte von Frauen in berufliche Weiterbildungsmaßnahmen ist allerdings deren niedriges Ausgangsniveau zu berücksichtigen.
Da die Verschärfung der Zugangsbedingungen sowie die Beschränkung des Unterhaltsgelds vor allem für arbeitsmarktpolitisch lediglich „zweckmäßige" Aufstiegsfortbildung Arbeitslose, von Arbeitslosigkeit bedrohte, sowie gering qualifizierte Arbeitnehmer begünstigt, haben die Anteile dieser Personenkreise an den beruflichen Weiterbildungsmaßnahmen, an denen sie vorher bei weitem unterrepräsentiert waren, erheblich zugenommen.
Trotz besonderer Informations-und Beratungshilfen von Seiten der BA im Rahmen ihres Aktionsprogramms „Berufliche Bildung und Beschäftigungslage" konnten die beruflichen Weiterbildungsmaßnahmen, abgesehen von ihrem generell unzureichenden Volumen, bisher folgende besonders gefährdete Arbeitnehmergruppen keinesfalls in ausreichendem Maße erfassen:
— Jugendliche, die für eine Berufsausbildung nicht in Betracht kommen;
— Frauen, die erstmalig oder erneut in das Erwerbsleben eintreten wollen;
— ältere Arbeitnehmer, die einer dauerhaften beruflichen Eingliederung bedürfen;
— Angehörige bestimmter Teilarbeitsmärkte, die von strukturellen Ungleichgewichten des Arbeitsmarktes besonders betroffen sind.
Dringend erforderlich ist daher neben der Aufhebung der finanziellen und sonstigen Beschränkungen der Teilnahme an von der BA geförderten beruflichen Weiterbildungsmaßnahmen im Rahmen des Haushaltsstrukturgesetzes von Ende 1975 die inhaltliche, zeitliche und regionale Anpassung der Weiterbildungsmaßnahmen an die besonderen Erfordernisse der bisher immer noch benachteiligten Personengruppen.
IV. Bewertung der Arbeitsmarktpolitik
Bei einer Bewertung dieser arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen sollen keinesfalls die Grenzen des Arbeitsförderungsgesetzes als rechtliche Grundlage für die Arbeitsmarktpolitik verkannt werden. Jedoch legt die Erfahrung in der seit 1974 anhaltenden Beschäftigungskrise den Schluß nahe, daß das verfügbare arbeitsmarktpolitische Instrumentarium nicht aus-reichend entwickelt und genutzt wird, um den in den §§ 1 und 2 AFG niedergelegten Zielsetzungen hinreichend Rechnung zu tragen: die Erzielung und Aufrechterhaltung eines hohen Beschäftigungsstandes sowie die ständige Verbesserung der Beschäftigungsstrukturen.
Geringer Stellenwert der Arbeitsmarktpolitik Zunächst ist ein erhebliches Mißverhältnis des Volumens der direkt beschäftigungswirksamen Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik zu den nur indirekt beschäftigungsfördernden Maßnahmen der Konjunktur-, Struktur-und Finanzpolitik festzustellen.
— So erreichten die öffentlichen Konjunktur-und Infrastrukturprogramme in der Bundesrepublik vom Februar 1974 bis August 1975 — dem Höhepunkt der Wirtschaftsrezession — ein Volumen von 17 Mrd. DM. Nach Angaben des Bundesfinanzministers ist hierdurch eine zusätzliche Nachfrage nach Investitionsgütern von 30 Mrd. DM entstanden. Die davon ausgegangenen Sekundäreffekte der Nachfrage-und Einkommenssteigerungen werden auf insgesamt 50 Mrd. DM beziffert. Dadurch sind pro Jahr etwa 235 000 Arbeitsplätze neu geschaffen bzw. gesichert worden
— Für die Maßnahmen zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur wurden in dem Zeitraum 1972— 1976 öffentliche Hilfen für gewerbliche Investitionen von etwa 10 Mrd. DM pro Jahr zur Verfügung gestellt. Das hierdurch den Angaben der Unternehmen zufolge in den Anträgen auf öffentliche Unterstützung geschaffene bzw. gesicherte Angebot an Arbeitsplätzen wird für den gesamten Zeitraum mit etwa 460 000 angegeben
Nach Untersuchungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung werden die Beschäftigungswirkungen des im Frühjahr 1977 verabschiedeten mittelfristigen öffentlichen Investitionsprogramms sowie aller 1977 beschlossenen Steuerentlastungsprogramme mit einer Nachfragewirkung von insgesamt 25 Mrd. DM 1978 auf zwischen 144 000 und 200 000 geschätzt
— Für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen standen von 1975 bis einschließlich 1977 aus dem Haushalt der BA sowie aus beschäftigungspolitischen Programmen der Bundesregierung insgesamt nur etwa 2, 6 Mrd. DM zur Verfügung. Nach Schätzungen des Instituts für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung wurden hierdurch etwa 190 000 Arbeitsplätze gesichert bzw. geschaffen.
Verlagerung der Schwerpunkte der Arbeitsmarktpolitik
Die Schwerpunktsetzung bei den verfügbaren arbeitsmarktpolitischen Instrumenten zeigt in der derzeitigen Beschäftigungskrise eine deutliche Verlagerung zurück zu den finanziellen Ausgleichsleistungen im Falle der Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung zu Lasten der Maßnahmen einer aktiven vorbeugenden Arbeitsmarktpolitik durch berufliche Qualifizie-rungs-und Anpassungsmaßnahmen. Während diese Maßnahmen nach ihrer rechtlichen Aufwertung im AFG 1969 bis zur Verabschiedung des Haushaltsstrukturgesetzes Ende 1975 absolut wie auch relativ nach Leistungsempfängern und Ausgaben der BA beträchtlich zugenommen haben, sind sie seit 1976 erheblich eingeschränkt worden. Erst in jüngster Zeit nehmen sie wieder geringfügig zu.
Diese Verlagerungen in der Schwerpunktsetzung der Arbeitsmarktpolitik werden durch den verstärkten Einsatz von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und den Maßnahmen zur Förderung der Arbeitsaufnahme zwar abgemildert, nicht jedoch grundsätzlich korrigiert. Stark angestiegen sind sowohl absolut wie auch relativ die finanziellen Kompensationsleistungen im Falle von Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung. Neben den Leistungen für Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und Konkursausfallgeld gehört hierzu auch das Kurzarbeitergeld. Dies ist arbeitsmarktpolitisch allerdings anders zu bewerten als die zuvor genannten finanziellen Ausgleichsleistungen im Falle von Arbeitslosigkeit. Durch den verstärkten Rückgriff auf das Instrument des Kurzarbeitergeldes kann zumindest für eine begrenzte Zeit Entlassung und Arbeitslosigkeit verhindert werden. Hält die Arbeitslosigkeit jedoch längere Zeit auf hohem Niveau an, wie dies in der Beschäftigungskrise seit 1974 der Fall ist, so kann auch das Instrument des Kurzaibeitergeldes nicht dauerhaft gegen notwendige Entlassungen schützen.
Im AFG sind die Vorschriften über das Kurzarbeitergeld im Rahmen der Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen vor den Leistungen an Arbeitslose aufgenommen. Damit sollen Arbeitnehmer bei unvermeidbarem vorübergehendem Arbeitsbzw. Entgeltausfall nicht entlassen und damit arbeitslos werden. Den Betrieben sollen die eingearbeiteten Arbeitskräfte möglichst erhalten bleiben. Zu Beginn der Beschäftigungskrise 1974 und 1975 ist erheblicher Gebrauch von dem Instrument des Kurzarbeitergeldes gemacht worden, wobei die bis dahin nur in wenigen Ausnahmefällen bestehende Möglichkeit zur Ausweitung der Bezugsdauer von Kurzarbeitergeld auf maximal zwei Jahre erweitert wurde. Mit anhaltender Dauer der Arbeitslosigkeit ist die Bedeutung der Kurzarbeit jedoch wieder zurückgegangen.
Mit zunehmender Dauer der Arbeitslosigkeit geht jedoch auch der Anteil der Empfänger von Arbeitslosengeld erheblich zurück: von 706 680 im Jahre 1975 (bei einer Gesamtzahl der Arbeitslosen von 1 078 300) auf 615 325 im Jahre 1976 (Gesamtzahl der Arbeitslosen 1 060 336) und auf 557 271 im Jahre 1977 (Gesamtzahl der Arbeitslosen 1 029 995). Umgekehrt nahm die Anzahl der Empfänger von Arbeitslosenhilfe (bei Erschöpfung oder Nichtbestehen eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld und Nachweis finanzieller Bedürftigkeit) zu: von 40 127 im Jahre 1974 auf 164 476 im Jahre 1976; sie ging jedoch im Jahre 1977 wieder leicht zurück auf 163 390. Demgemäß weist die Anzahl der Leistungsempfänger von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe insgesamt eine rückläufige Tendenz auf. Darin kommt die zunehmende Erschöpfung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld infolge des erheblichen Anstiegs der längerfristig Arbeitslosen (über ein Jahr) zum Ausdruck.
Neben dem Rückschritt bei einem wesentlichen Teilbereich der Maßnahmen der aktiven vorbeugenden Arbeitsmarktpolitik ist mithin auch eine Einschränkung bei den finanziellen Ausgleichsleistungen festzustellen — sei es, daß Arbeitslose nach länger andauernder Arbeitslosigkeit auf die niedrigeren Leistungen der Arbeitslosenhilfe (58 Prozent des Netto-einkommens gegenüber 68 Prozent des Netto-einkommens beim Arbeitslosengeld) verwiesen werden, oder sei es, daß sie infolge mangelnder finanzieller Bedürftigkeit überhaupt keine Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung mehr erhalten.
Diese Schwerpunktverlagerung in der Arbeitsmarktpolitik ist vor dem Hintergrund der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit auch unter Kostenerwägungen nicht zu rechtfertigen: Wie Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung zeigen, betragen die Aufwendungen der BA für jeden arbeitslosen Empfänger von Unterstützungsleistungen aus der Arbeitslosenversicherung im Jahr durchschnittlich etwa 12 700 DM (1977). Hinzuzurechnen sind noch zwischen 6 000 und 7 000 DM an Ausfällen von Beiträgen direkter und indirekter Steuern sowie zum Sozialversicherungssystem. Nicht einbezogen in diese Rechnung sind die individuellen und gesamtwirtschaftlichen Einkommenseinbußen: für Empfänger von Arbeitslosengeld 32 Prozent, für Empfänger von Arbeitslosenhilfe 42 Prozent sowie der gesamte Einkommensausfall für die zunehmende Anzahl jener Arbeitslosen, die infolge langfristiger Arbeitslosigkeit überhaupt keine Ansprüche auf Arbeitslosenunterstützung geltend machen können.
Die Aufwendungen der BA für die Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik sind nicht viel höher als für Leistungen der Arbeitslosenunterstützung. Für die Förderung der beruflichen Umschulung und Fortbildung entstehen der BA durchschnittliche Kosten für Unterhaltsgeld und Zuschüsse von etwa 18 000 DM pro Person und Jahr. Die Schätzungen der Kosten für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen schwanken zwischen 20 000 und 29 000 DM pro Jahr und gefördertem Arbeitnehmer — je nach der Arbeitsintensität der Projekte, die erfahrungsgemäß im Baubereich erheblich niedriger ist als im Büro-und Verwaltungsbereich sowie bei den sozialen Diensten. Bei einer Bewertung dieser Kosten und deren Vergleich mit den Kosten für die Arbeitslosigkeit sind auch die gesamtwirtschaftlichen Nachfragewirkungen der gesicherten bzw. verbesserten Einkommen nach erfolgreicher beruflicher Weiterbildung oder Wiedereingliederung in den Arbeitsprozeß zu berücksichtigen.
Verschärfung der . zumutbaren'Tätigkeit für Arbeitslose Einen weiteren erheblichen Rückschritt in der Arbeitsmarktpolitik bedeutet die Verschärfung der Bedingungen für die . Zumutbarkeit'der von Arbeitslosen anzunehmenden Beschäftigung — mit der drohenden Sperrung des Arbeitslosengeldes bei Ablehnung einer vom Arbeitsamt zugewiesenen Tätigkeit. Dies wurde ebenfalls durch das Ende 1975 verabschiedete Haushaltsstrukturgesetz in das AFG eingefügt (§ 103 1 a AFG). Danach können dem Arbeitslosen Beschäftigungen zugewiesen werden, die — nicht der bisherigen Tätigkeit des Arbeitslosen entsprechen und nach der Rechtsprechung auch einen beruflichen Abstieg bedeuten können;
— einen weiteren Weg vom Wohnort des Arbeitslosen erfordern, wobei nicht nur Tages-pendeln, sondern Wochenpendeln und in Einzelfällen auch die Notwendigkeit zu einem Umzug eingeschlossen sind;
— ungünstigere Arbeitsbedingungen insbesondere hinsichtlich der Entlohnung sowie der Arbeitszeit aufweisen.
Diese Bedingungen für die . Zumutbarkeit'einer vom Arbeitslosen anzunehmenden Beschäftigung wurden in einer im August 1978 von der BA an die Arbeitsämter zur einheitli-chen Anwendung dieser Vorschriften herausgegebenen Dienstanweisung weiter verschärft. Dieser Runderlaß der BA ist in der Öffentlichkeit auf erhebliche Kritik gestoßen, vor allem die darin festgeschriebene Möglichkeit einer beruflichen Herabstufung ohne Begrenzung nach unten, wenn sich die Bemühungen der Arbeitsämter um eine Vermittlung in eine Tätigkeit auf gleichem Qualifikationsniveau der bisherigen Beschäftigung des Arbeitslosen nach grundsätzlich längstens sechs Monaten als erfolglos erweisen; sowie der Zwang zu einem Umzug zur Aufnahme einer Dauerbeschäftigung an einem anderen Ort, wenn der Arbeitslose in der Nähe seines bisherigen Wohnortes innerhalb eines Jahres nicht vermittelt werden kann, wobei Ausnahmen nur unter sehr beschränkten Bedingungen zugelassen werden.
Diese Verschärfung der . Zumutbarkeit" ist ein weiterer Schritt zur Rückentwicklung der Arbeitsmarktpolitik: Hiermit wird nicht nur den 1969 eingeleiteten Bemühungen zur Verhütung von Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung durch vorbeugende berufliche Qualifizierung und Anpassung sowie den Zielsetzungen einer aktiven Sanierung strukturschwacher Gebiete im Rahmen der Regionalpolitik entgegengewirkt. Darüber hinaus kann eine Einschränkung der finanziellen Ausgleichs-leistungen für Arbeitslose eingeleitet werden. Dies widerspricht elementaren sozialpolitischen Grundsätzen, denen zufolge denjenigen, die durch nicht von ihnen zu verantwortende wirtschaftliche Bedingungen ihren Arbeitsplatz verloren haben, wenigstens ein Mindestmaß an finanzieller Sicherheit zu gewährleisten ist. Darüber hinaus haben Arbeitslose durch ihre eigenen Beitragszahlungen in das System der Arbeitslosenversicherung ihre Ansprüche auf Unterstützungsleistungen im Falle der Arbeitslosigkeit rechtmäßig erworben. Zudem ist es eine in Theorie und Praxis anerkannte und bekannte Tatsache, daß die Arbeitslosenversicherung zu den finanzpolitischen Stabilisatoren gehört: In Zeiten der Vollbeschäftigung werden Einkommensbestandteile (Beiträge zur Arbeitslosenversicherung) abgeschöpft, die bei Unterbeschäftigung in Form von Arbeitslosenunterstützung die gesamtwirtschaftliche Nachfrage erhöhen.
Insgesamt bedeutet diese Verschärfung der . Zumutbarkeit'bei Aufnahme einer Tätigkeit für Arbeitslose eine Fortsetzung der in der Öffentlichkeit hochgespielten Kampagne zur Diffamierung der Arbeitslosen. Gemäß den grundlegenden Gedankengängen der neoklassischen Wirtschaftstheorien werden danach die Ursachen für die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit in den angeblich zu hohen Kosten und Ansprüchen des . Faktors Arbeit'— mithin bei den Arbeitslosen selbst — gesehen. Entsprechend gilt als Patentrezept zur Wiederherstellung der Vollbeschäftigung die Senkung der Arbeitskosten. In diese Richtung zielen nicht nur die unablässigen Appelle von Seiten der Arbeitgeber und ihnen nahestehenden Wissenschaftlern nach Mäßigung bei den Lohnforderungen. In diesen Zusammenhang gehören gleichermaßen die unüberhörbaren Anschuldigungen, Arbeitslose zögen es vor, Arbeitslosenunterstützung zu beziehen, anstelle sich ernsthaft um die Aufnahme einer neuen Beschäftigung zu bemühen. Diese Art der Diffamierung wird auf wissenschaftlicher und politischer Ebene in verschiedenen Varianten vertreten — für Arbeitslose insgesamt sowie insbesondere für benachteiligte Arbeitnehmergruppen, vor allem im Hinblick auf Jugendliche, Frauen, Ältere. Im Rahmen dieses Beitrags ist es nicht möglich, die hierzu bestehenden Argumente und Gegenargumente aufzuführen. Dies ist bereits an verschiedenen anderen Stellen ausführlich geschehen
V. Perspektiven der Arbeitsmarktpolitik
Diese gefährlichen Entwicklungstendenzen in der Arbeitsmarktpolitik müssen umgehend aufgehalten und umgekehrt werden, soll die Arbeitsmarktpolitik ihrem Auftrag, wie er in den Zielen des AFG festgelegt ist, gerecht werden. Einen Ansatzpunkt hierfür bieten die Ergebnisse der im Auftrag des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung durchgeführten Untersuchung über die . Motivation von Arbeitssuchenden, Hemmnisse für die Einstellung von Arbeitslosen, Effektivität von Vermittlung und Beratung, Fortbildungs-und Mobilitätsbereitschaft von Beschäftigten In dieser von Infratest durchgeführten Untersuchung werden die o. a. Vorurteile gegen die Arbeitslosen deutlich widerlegt. Zudem werden wesentliche Schwachstellen der Arbeitsmarktpolitik deutlich gemacht, die Ansatzpunkte für die dringend erforderliche Trend-umkehr in der Arbeitsmarktpolitik aufzeigen. Hervorzuheben sind hierbei insbesondere:
— Das Kernproblem der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit liegt in dem generellen Defizit an Arbeitsplätzen, zu dessen Behebung die Arbeitsmarktpolitik durch Verbesserung und Erweiterung der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen beitragen sollte.
— Wesentliche Mängel bestehen bei der Arbeitsvermittlung, wobei vor allem auf die unzureichenden Informationen der Arbeitsvermittler über Zahl und Qualität offener Stellen sowie verfügbarer Ausbildungsplätze hingewiesen wird. Darüber hinaus stellt die Untersuchung fest, daß teilweise erhebliche Vorurteile bei Personalleitern gegenüber der Einstellung der vom Arbeitsamt zugewiesenen Arbeitslosen bestehen. Erforderlich ist daher eine bessere Information und Kooperation zwischen Arbeitsvermittler und Unternehmen. Die Arbeitsvermittler müssen daher ihre Außendiensttätigkeit — mithin die direkten Kontakte mit den Unternehmen — erheblich ausweiten. Dabei kommt es nicht nur darauf an, die Arbeitslosen zu mehr Flexibilität bei der Annahme verfügbarer Tätigkeiten zu veranlassen. Auch umgekehrt sind die Vorurteile in den Unternehmen gegenüber Arbeitslosen abzubauen und die Arbeitsmöglichkeiten stärker an die Erfordernisse der verfügbaren Arbeitskräfte anzupassen. Dies gilt vor allem für die Wiedereingliederung der zunehmend von lang-anhaltender Arbeitslosigkeit betroffenen Problemgruppen: Frauen, Ältere und Behinderte. Nur wenn auch von Seiten der Unternehmen bei der Gestaltung von Arbeitsplätzen, Arbeitsanforderungen und Arbeitszeit größere Anpassungsbereitschaft aufgewiesen wird, kann die ständige Verschlechterung in der Struktur der Arbeitslosen und damit die Ver-ringerung der Chancen zur beruflichen Wiedereingliederung dieser Personengruppen aufgehalten und zu einem nachhaltigen Abbau der Arbeitslosigkeit beigetragen werden.
— Eindeutig zeigen die Ergebnisse dieser Studie die Notwendigkeit zu einer Ausweitung und Verbesserung der beruflichen Qualifizierungs-und Anpassungsmaßnahmen. Notwendig ist es daher, die diesbezüglichen Beschränkungen hinsichtlich der Zulassungsbedingungen sowie der Unterhaltsgeldleistungen im Rahmen des Haushaltsstrukturgesetzes Ende 1975 umgehend rückgängig zu machen Darüber hinaus sind diese Maßnahmen stärker auf die Erfordernisse der arbeitsmarktpolitischen Problemgruppen anzupassen. Hierzu könnten sich zusätzliche Leistungen der Arbeitsämter zur besseren Information der Arbeitslosen über mögliche Weiterbildungsangebote sowie Vorbereitungsmaßnahmen zur Erleichterung der Teilnahme an derartigen Weiterbildungsprogrammen als nützlich erweisen. Hierbei ist jedoch zu verhindern, daß durch derartige Informations-und Vorbereitungsmaßnahmen nicht lediglich Druck auf Arbeitslose zur Annahme und Anpassung an eine minder qualifizierte Tätigkeit ausgeübt wird sowie erforderliche Mindestqualitätsstandards der Weiterbildungsprogramme nicht eingehalten werden.
Eine derartige Verbesserung der Arbeitsmarktpolitik wird jedoch in ihrer Wirksamkeit beim Abbau der hohen Arbeitslosigkeit eng begrenzt sein, wenn sie nicht durch eine gleichgerichtete Neuorientierung in den übrigen beschäftigungswirksamen Maßnahmenbereichen ergänzt wird. Erforderlich hierzu ist vor allem — die Schaffung von Arbeitsplätzen im Rahmen der globalen und strukturellen Wirtschaftspolitik sowie der Finanzpolitik;
— die Berücksichtigung der beschäftigungspolitischen Erfordernisse bei der Unternehmenspolitik und hier wiederum vor allem bei den Entscheidungen über Rationalisierung und Produktivitätssteigerungen;
— die Nutzung eines Teils der Produktivitätsfortschritte zur Humanisierung des Arbeitslebens durch Verkürzung der Lebens-, Jahres-, Wochen-und Tagesarbeitszeit.