Die chinesische Außenpolitik seit dem Tode Mao Tse-tungs
Peter J. Opitz
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Zusammenfassung
Die chinesische Außenpolitik konnte im Verlauf des Jahres 1978 eine Reihe spektakulärer Erfolge verzeichnen: Im Frühjahr gelang der Abschluß eines Handelsabkommens mit der EG, im Herbst kam es zur Unterzeichnung eines Friedens-und Freundschaftsvertrages mit Japan, und kurz vor Jahresende kündigten Peking und Washington in einer überraschenden Gemeinsamen Erklärung die Aufnahme voller diplomatischer Beziehungen an. Damit hat sich die VR China endgültig aus der gefährlichen Isolierung befreit, in der sie sich noch zu Beginn der siebziger Jahre befand. Die konsequente Annäherung an die wichtigsten Mächte der westlichen Welt brachte der neuen chinesischen Führung jedoch noch weitere Vorteile: Sie drängte ihren derzeitigen Hauptgegner, die Sowjetunion, außenpolitisch in die Defensive und erweckte bei ihr das Gefühl einer internationalen Einkreisung. • In der vorliegenden Studie wird der Versuch unternommen, zu zeigen, daß die strategischen Grundlagen für die jüngsten außenpolitischen Erfolge Pekings nicht allein das Werk der neuen Führung sind, sondern schon zu Beginn der siebziger Jahre von Mao Tse-tung und Chou En-lai gelegt wurden.
„Wir begrüßen es, daß China wieder den ihm zukommenden Platz in der Welt einnimmt. Ohne China gäbe es kein Gleichgewicht in der Entwicklung der internationalen Situation. Aus diesem Grund ist Europa sehr an der neuen, nach außen gerichteten Politik Chinas interessiert."
James Callaghan „Wo immer in der Welt die Russen versuchen, sich breit zu machen, wird unvermeidLi auch China verwickelt."
Hsien-nien
Einleitung
„China's Great Leap Forward", so überschrieb, in Anspielung auf den sogenannten „Großen Sprung nach vorn", zu dem das kommunistische China im Jahre 1958 auf Veranlassung Mao Tse-tungs angetreten war, kürzlich eine renommierte amerikanische Zeitschrift ihre China gewidmete Titelgeschichte Der Titel hätte kaum treffender gewählt werden können. Denn während die Ära Mao Tsetungs in der Politik des , Großen Sprungs nach vorn'den ihr eigentümlichen Weg fand — und nach drei Ansätzen wieder verfehlte — profilierten sich die Nachfolger Maos bisher vor allem durch eine Politik des . Großen Sprungs nach außen". Der abgrenzende Vergleich kann sogar noch etwas weiter getrieben werden: Während sich das China Maos im Großen Sprung auf die . eigene Kraft" besann und damit nach innen wandte, ist das China Hua Kuo-fengs, Deng Xiaoping und Yeh Chien-yings auf die Bühne der internationalen Politik zurückgekehrt und versucht, für die Entwicklung des Landes nicht nur das technische Wissen des Auslands zu mobilisieren. sondern auch das ausländische Kapital. Die Unterschiede könnten kaum augenfälliger sein.
Die Strategie der neuen Führung zeigt sich am deutlichsten in ihrem neuen außenpolitischen Stil. Hatte Mao Tse-tung — und auch Chou En-lai in den letzten Jahren — China nur selten verlassen, so ist die neue Führung, kaum in Amt und Würden, schon in breiter Front zu einer außenpolitischen . Reise-Offensive" angetreten. An ihr nehmen nicht nur jene Führungskader teil, die sich besonders mit Außenpolitik beschäftigen, sondern die ganze chinesische Führungsspitze — den Par-teivorsitzenden und Premier Hua Kuo-feng eingeschlossen.
So treffend der Vergleich der neuen chinesischen Außenpolitik mit dem , Großen Sprung" Maos auf den ersten Blick auch erscheint — bei etwas näherem Hinsehen werden schnell die Grenzen sichtbar. Dabei zeigt sich nämlich, daß Mao Tse-tung keineswegs enger Isolierung das Wort geredet hatte und daß auch die heute so intensiv betriebene außenpolitische Öffnung Chinas keine Erfindung der neuen Führung ist. In ihr findet vielmehr eine außenpolitische . Wende'ihre konsequente Durchführung, die schon zu Beginn der siebziger Jahre von Mao Tse-tung und Chou En-lai eingeleitet wurde und ihre Wurzeln im Gefühl akuter Bedrohung durch die Sowjetunion hatte. Der Versuch, die jüngste Phase der chinesischen Außenpolitik auf ihre Ziele und Konzepte hin zu untersuchen, kann sich daher auch nicht auf eine Analyse der beiden vergangenen Jahre beschränken. Denn die spektakulären Ereignisse dieser Zeit — die Aufnahme voller diplomatischer Beziehungen zwischen Washington und Peking, der chinesisch-japanische Friedens-und Freundschaftsvertrag, das Handelsabkommen mit der Europäischen Gemeinschaft — markieren lediglich Stationen im Entfaltungsprozeß der neuen chinesischen Strategie, keinewegs den Beginn, an dem die einzelnen Fäden zusammenlaufen und ihre konzeptionelle Einheit erhalten.
I. Historischer Hintergrund und strategischer Rahmen der neuen chinesischen Außenpolitik
Nach dem endgültigen Bruch Pekings mit Moskau im Sommer 1963 geriet China außen-politisch in eine Situation, die allen strategischen Grundsätzen widersprach, die Mao Tse-tung bis dahin innen-und außenpolitisch propagiert und praktiziert hatte statt den Hauptfeind zu isolieren und international eine breite Front gegen ihn zu mobilisieren, kam Peking selbst in Gefahr, in die Scheren einer doppelten Eindämmungspolitik zu geraten. So wurde nicht nur der Ring enger, den die USA und ihre Verbündeten um China legten — auch die Sowjetunion begann nun ebenso systematisch wie erfolgreich, den ehemaligen Verbündeten international zu isolieren und einzukreisen. Die Gefahr, in der sich die chinesische Führung sah, wurde noch dadurch verschärft, daß Washington und Moskau sich aufeinander zubewegten und eine gegen China gerichtete Allianz in den Bereich des Möglichen rückte. Mochte auch Peking die gleichzeitige Konfrontation mit beiden Weltmächten gelegentlich schmeicheln, bot sie doch die Chance, sich international als besonders revolutionäre Macht zu profilieren — auf die Dauer war dies jedoch bedrohlich. Dies zeichnete sich insbesondere nach dem Einmarsch der Gruppen des Warschau-er-Pakts in die CSSR, nach der massiven Konzentration sowjetischer Truppen an der gemeinsamen Grenze und etlichen Grenzkon-flikten deutlich ab. Die seit 1969 landesweit propagierte Weisung Mao Tse-tungs: „Grabt tiefe Tunnel, legt überall Getreidelager an und strebt niemals nach der Hegemonie" brachte unmißverständlich zum Ausdruck, daß sich die chinesische Führung der Gefahr, in der das Land schwebte, durchaus bewußt war und nach Wegen suchte, ihr zu begegnen.
Daß ihre Aktivitäten sich nicht auf den Bau von Tunneln beschränkte, wurde spätestens im Sommer 1971 sichtbar. Verhandlungen, die China im Herbst 1969 mit der Sowjetunion aufnahm, hatten noch für einen Moment den Eindruck geweckt, Peking werde wieder an die Seite Moskaus zurückkehren, doch belehrte die Ankündigung des Nixon-Besuchs in China bald eines anderen: Anstelle einer Rückkehr ins sozialistische Lager zielte die strategische Wende der chinesischen Außenpolitik darauf ab, das Land der westlichen Führungsmacht USA näherzubringen. So kontrovers die Diskussionen über diese Entscheidung in der chinesischen Führung auch gelaufen waren, so positiv wirkte sie sich in der Praxis aus: Schon nach kurzer Zeit gelang Peking der Sprung in die Vereinten Nationen, die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu fast allen Ländern der Welt und der Aufbau neuer Positionen in Asien, Afrika und Lateinamerika. Als Chou En-lai, Architekt dieser neuen Politik, am 8. Januar 1976 starb, waren die wichtigsten Ziele erreicht: die Gefahr einer anti-chinesischen Allianz der beiden Supermächte war in weite Fernen gerückt, die außenpolitische Isolierung beseitigt und die Grundlagen für eine wirtschaftlich enge Zusammenarbeit mit der westlichen Welt gelegt, mit deren Hilfe die rasche Modernisierung des Landes durchgeführt werden sollte. Außerdem hatte Peking den neu gewonnenen internationalen Spielraum dazu genutzt, umfassende antisowjetische Initiativen zu starten, die sich nun nicht mehr auf propagandistische Attacken beschränkten, sondern von einem dichten Netz außenpolitischer Aktivitäten ergänzt wurden. Durch die notwendige Zusammenarbeit mit Regimen aller politischer Farben hatte sich die chinesische Führung zwar verwundbar gegenüber Angriffen gemacht, die ihre revolutionäre Glaubwürdigkeit in Frage stellten — andererseits zehrte sie noch vom guten Ruf der kulturrevolutionären Vergangenheit und war sichtlich bemüht, die neue Strategie ideologisch abzusichern.
Dies geschah am 10. April 1974, als der seit dem Frühjahr 1973 auf Betreibern Chou En-lais wieder rehabilitierte Deng Xiaoping auf der UN-Sonderkonferenz für Rohstoff-und Entwicklungsfragen die sogenannte „Drei-Welten-Theorie" vorstellte Diese Theorie war aus mehreren Gründen bemerkenswert: Sie bezog sich nicht mehr auf jene „Grundwidersprüche", die sich aus der marxistisch-leninistischen Tradition ableiten und an denen sich bislang alle wichtigen Weltanalysen Pekings orientiert hatten, sondern sie teilte die Welt in drei Teil-„Welten" ein. So unterschied Deng zwischen der „Ersten Welt", zu der nur die USA und die UdSSR gehören, einer „Dritten Welt", der die unterentwickelten Länder Asiens, Afrikas und Lateinamerikas angehören und einer „Zweiten Welt", die aus den entwickelten Ländern besteht. Ebenso bemerkenswert wie diese Klassifizierung, die sich am wirtschaftlichen Entwicklungsstand orientierte, war die Tatsache, daß als Aktionseinheiten und Akteure in diesem neuen Schema lediglich die Staaten auftauchten; weder war hier von Klassen die Rede, noch von revolutionären Bewegungen. Das bedeutete zwar nicht, daß von nun an aus chinesischer Sicht Klassen und Befreiungsbewegungen keine Rolle mehr spielten, sondern ihre Bedeutung war angesichts der veränderten Weltlage lediglich zurückgegangen. Als Haupttrend der Zeit galt nicht mehr das Revolutionsbegehren der Völker, sondern das Unabhängigkeitsstreben der Staaten
Ihm trug die neue chinesische Strategie dadurch Rechnung, daß sie die Staaten der Zweiten und Dritten Welt zum gemeinsamen Kampf gegen die beiden Supermächte aufrief. Aber noch in einem anderen Punkt wich Peking mit der Drei-Welten-Theorie von den bisher vertrauten Erklärungsschemata ab:
„Hauptkraft'* in diesem anti-hegemonistischen Kampf gegen die Supermächte sind nicht mehr die sozialistischen Länder, sondern die gesamte Dritte Welt, der allerdings die sozialistischen Länder zugeordnet sind, soweit sie nicht — wie die Staaten Osteuropas — der Zweiten Welt zugerechnet werden. In einem Punkt freilich befindet sich diese . Theorie'in Einklang mit den traditionellen strategischen Prinzipien Mao Tse-tungs: sie erfüllte die strategische Hauptforderung Maos, „die Widersprüche auszunutzen, die Mehrheit zu gewinnen, der Minderheit entgegenzutreten und die Feinde einzeln zu schlagen". Dies um so mehr, als Peking die Sowjetunion nun als die gefährlichere der beiden Supermächte betrachtete und die Kritik an den USA nicht nur weitgehend einstellte, sondern Washington sogar für den Kampf gegen Moskau gewinnen wollte.
In welche ideologischen Schwierigkeiten eine konsequente Durchführung der Drei-Welten-
Theorie China bringen mußte, war voraussehbar. Daß man sie in Peking voraussah, ist kaum zu bezweifeln. Wenn man sie dennoch in Kauf nahm, so vor allem, weil die unmittelbaren Vorteile, die diese Strategie China gebracht hat und noch immer bringt, erheblich die Nachteile überwiegen. Es überraschte somit wenig, daß die neue chinesische Führung seit ihrer Machtübernahme keine Gelegenheit versäumte, nicht nur die ideologische Stringenz der Drei-Welten-Theorie zu verteidigen, sondern auch ihre Bedeutung für die chinesische Außenpolitik zu bekräftigen. Daß dies keineswegs nur ein Lippenbekenntnis war, läßt sich an den Beziehungen Chinas zu den drei „Welten" belegen.
II. China und die „Erste Welt"
Die chinesisch-sowjetischen Beziehungen Seit Ausbruch des chinesisch-sowjetischen Konflikts bemühte sich Peking darum, den . sozial-
imperialistischen'Charakter der sowjetischen Politik . wissenschaftlich'begründen zu und diesen . objektiven'in Vordergrund Befund den der Polemik zu stellen. Dennoch war immer evident, daß sich diese unversöhnliche Haltung auch auf die Erfahrungen gründete, China die seit Mitte der zwanziger Jahre mit Moskau gemacht hatte. Die Mehrzahl der chinesischen Führer trug die antisowjetische Haltung mit, hinter der ganz ohne Zweifel Mao Tse-tung stand. Darüber war sich auch die sowjetische Führung im klaren, die ihre Angriffe auf den chinesischen Parteivorsitzenden und seine engsten Gefolgsleute konzentrierte. Solange Mao an der Macht war — soviel war den Sowjets klar — würde er alles tun, um eine Aussöhnung mit ihnen zu verhindern; den letzten Zweifel an seiner Einstellung mußte die von Mao geförderte Annäherung an Washington beseitigt haben.
Wenn die sowjetische Führung auch nicht gleich an freundschaftliche Beziehungen mit dem chinesischen Nachbarn dachte, so war sie doch an einem Abbau der Konfrontation und an einer Normalisierung der Beziehungen interessiert; sie hatte dies wiederholt mit Angeboten zum Abschluß eines Gewaltverzichtvertrages signalisiert. Es war somit zu erwarten, daß sie nach dem Tode Maos ihre Angebote wiederholen würde
Schon die Glückwunschadresse, die Kossygin dem neuernannten chinesischen Premier sandte, insbesondere der in ihr geäußerte Wunsch nach guter Nachbarschaft, ließ erkennen, daß Moskau hier die Normalisierung der Beziehungen anstrebte. Diese Absicht wurde noch dadurch unterstrichen, daß Hua Kuo-feng von polemischen Angriffen verschont blieb und Mao allein für die schlechten Beziehungen verantwortlich gemacht wurde. Daß die sowjetische Führung an dieser Politik auch festhielt, als von Hua kein Zeichen einer Verständigungsbereitschaft kam, sondern Peking die antisowjetischen Kampagnen — unter Beteiligung Huas — fortsetzte, ist nicht weiter verwunderlich, sondern zeugt eher von einer verständnisvollen Einschätzung der innenpolitischen Situation in China. Denn daß Hua, der offensichtlich ein Kompromißkandidat ohne nennenswerte eigene Hausmacht war, sich nicht für eine Annäherung an Moskau aussprechen konnte, lag auf der Hand. Dies um so mehr, als Mao noch immer eine wichtige Stütze der . Linken'bildete und diese nur auf eine günstige Gelegenheit warteten, um die Nachfolge Maos zu übernehmen. In diesem Fall hätte Hua Kuo-feng ihnen mit Annäherungsgesten gegenüber Moskau ein besonders griffiges Argument für eine „Säuberung" geliefert.
Doch auch nach dem Tode Mao Tse-tungs und der Stabilisierung der Position Huas blieb das sowjetische Werben ohne Erfolg. Obwohl die sowjetische Führung sowohl mit ihrem an die Adresse der Kommunistischen Partei Chinas gerichteten Kondolenztelegramm zum Tode Maos wie auch mit dem Glückwunschtelegramm, das Breshnew Hua Kuo-feng zu seiner Ernennung zum Parteivorsitzenden erneut ihre Bereitschaft zu erkennen gab, die seit März 1966 ruhenden Beziehungen zwischen den beiden Parteien zu reaktivieren, blieb Peking unversöhnlich und setzte seine Angriffe auf Moskau fort.
In seinem Politischen Bericht auf dem 11. Parteitag der KPCh (12. — 18. August 1977) erklärte Hua Kuo-feng zwar die Bereitschaft Chinas, mit der Sowjetunion auf der Grundlage der Fünf Prinzipien der friedlichen Koexistenz normale zwischenstaatliche Beziehungen zu unterhalten, sagte jedoch gleichzeitig eine lange Dauer der „prinzipiellen Auseinandersetzung mit der sowjetischen Führungsclique" voraus; er forderte dabei zur Bildung einer „breitestmöglichen Einheitsfront gegen den Hegemonismus der beiden Supermächte" auf Dieser Aufruf wurde sowohl in das . Allgemeine Programm'des neuen Parteistatuts aufgenommen wie auch in die Präambel der vom Nationalen Volkskongreß angenommenen neuen Verfassung Angesichts der Unversöhnlichkeit Pekings stellt sich die Frage nach ihren Ursachen — und vor allem nach ihrer Dauer. Denn wenn — und dafür spricht einiges — die Gegnerschaft zur Sowjetunion das „tragende" Element der chinesischen Außenpolitik ist, so dürfte ein Abweichen von diesem zum Prinzip erhobenen Kurs auch für die anderen Bereiche der chinesischen Außenpolitik nicht ohne erhebliche Konsequenzen bleiben.
Bevor eine Prognose über die voraussichtliche Dauer des sino-sowjetischen Konflikts gewagt wird, soll zunächst die der chinesischen Haltung zugrunde liegenden Motive geprüft werden. Denn von ihnen dürfte ja wesentlich die Dauer des Konflikts bestimmt werden. Dabei lassen sich zwei Arten von Ursachen unterscheiden: solche, die eher taktischer Natur sind und mehr die intransigente Haltung der Pekinger neuen Führung bestimmen, sowie andere, substantiellere, die den Konflikt auslösten und ihm auch heute noch zugrunde liegen.
Mit der ersten Gruppe eng verknüpft ist der Umstand, daß die Aufrechterhaltung einer anti-sowjetischen Haltung der neuen chinesischen Führung als bequemes Mittel dient, die Kontinuität der chinesischen Politik zu unterstreichen. Denn obwohl sie inzwischen fest im Sattel sitzt, könnte eine Annäherung an Moskau zum Entstehen einer Vertrauenskrise zwischen Führung und Bevölkerung führen.
Auch die Tatsache, daß die neue Führung bislang mit erheblich wichtigeren innenpolitischen, insbesondere wirtschaftspolitischen Problemen und Programmen beschäftigt war, um einem solch schwerwiegenden außenpolitischen Schritt das erforderliche Maß an Aufmerksamkeit und Vorbereitung widmen zu können, spielt in diesem Zusammenhang eine Rolle. Ein solcher Schritt aber ist — so ein drittes Argument — auch gar nicht nötig, da die Gefahr einer militärischen Auseinandersetzung mit der Sowjetunion inzwischen erheblich abgeklungen ist. Dies bestätigt deutlich die Behandlung des Grenzzwischenfalls, der sich am 9. Mai 1978 bei Del'nerecansk am Ussuri ereignete
Andererseits zeigt gerade dieser Zwischenfall und die anhaltende Präsenz größerer Truppenverbände beiderseits der Grenze — und damit sind nun die substantielleren Ursachen der chinesischen Unversöhnlichkeit angesprochen — daß sowohl Moskau wie auch Peking sich gegenseitig noch immer als Bedrohung empfinden. Nach den Ereignissen in der Tschechoslowakei läßt Peking die Möglichkeit eines sowjetischen Angriffs nicht außer acht, überdies macht Moskau keine Anstalten, auf jene Forderungen einzugehen, von deren Erfüllung China zunächst die Wiederaufnahme von Grenzverhandlungen abhängig macht. Dazu gehört der Abschluß eines Abkommens über die Aufrechterhaltung des Status quo an der Grenze, über die Verhütung bewaffneter Auseinandersetzungen und den Abzug der Streitkräfte beider Seiten aus den umstrittenen Gebieten; außerdem fordert Peking den Abzug der sowjetischen Truppen aus der Mongolischen Volksrepublik und den umstrittenen Grenzgebieten. Solange die sowjetische Führung nicht auf diese Forderungen eingeht, bei denen sich Peking auf ein Abkommen bezieht, das im September 1969 nach den blutigen Grenzkonflikten in Peking zwar ausgehandelt, dann aber nicht ausgeführt worden war, ist es wenig wahrscheinlich, daß in den sino-sowjetischen Beziehungen eine Entspannung eintritt .
Selbst bei Erfüllung dieser Bedingungen ist es demnach keineswegs sicher, daß Peking derzeit überhaupt an einer Entspannung interessiert ist. Denn eine Neuauflage der Allianz der beiden kommunistischen Großmächte könnte zu einer massiven Störung der gerade erst angelaufenen Zusammenarbeit mit den westlichen Staaten führen.
Ohne das westliche Know how und die dazu erforderlichen Kredite sind Hua und Deng aber kaum in der Lage, ihre ehrgeizige Politik der „vier Modernisierungen" zu einem erfolgreichen Abschluß zu bringen. Da diese Politik aber auch dem Ziel dient, das militärische Potential Chinas zu entwickeln, würde eine Trübung des westlichen Vertrauens nicht nur den Aufschwung Chinas zur industriellen Großmacht hemmen, sondern auch seine militärische Verwundbarkeit verlängern und sogar erneut die Gefahr einer anti-chinesischen Koalition der beiden „Supermächte" heraufbeschwören. Einer solchen Perspektive gegenüber aber ist aus chinesischer Sicht der Streit mit Moskau ohne Zweifel das kleinere Übel, zumal dann, wenn dieser Streit auf einem Niveau gehalten werden kann, das weder die Gefahr einer militärischen Verwicklung noch das Vertrauen des Westens in die Dauer des Konflikts mit größeren Zweifeln belastet.
Die chinesisch-amerikanischen Beziehungen Obwohl die chinesische Führung sich hütete, eine Aussöhnung mit Moskau öffentlich auch nur in Erwägung zu ziehen, bildete jedoch die Möglichkeit einer solchen Entwicklung einen starken Trumpf im diplomatischen Poker mit Washington. Die Argumente, die aus amerikanischer Sicht gegen eine Normalisierung der Beziehungen sprachen, waren insbesondere auf die auch von der neuen chinesischen Regierung erhobenen Forderungen zurückzuführen, die schon Mao Tse-tung und Chou Enlai erhoben hatten: Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit Taiwan, Abzug aller amerikanischen Streitkräfte von der Insel und aus der Straße von Taiwan sowie Annullierung des Verteidigungspaktes, in dem sich Washington 1954 verpflichtet hatte, im Falle eines Angriffs auf die Republik Hilfe zu leisten
Mochten auch Nixon und Ford — wie von chinesischer Seite nachträglich behauptet wurde —, die Annahme dieser Bedingungen insgeheim in Aussicht gestellt haben, so befreite der erzwungene Rücktritt den einen und die Wahlniederlage den anderen von einer verbindlichen Fixierung. Auch die Carter-Administration war bei aller prinzipiellen Bereitschaft zur Normalisierung lange Zeit nicht in der Lage, den Forderungen Pekings nachzugeben; sie hätte außenpolitisch ihr Gesicht verloren und innenpolitisch wäre sie unter den Beschuß der Freunde Taiwans geraten. Nicht nur großen Teilen der amerikanischen Bvölkerung, sondern auch einer beträchtlichen Anzahl von Kongreßmitgliedern war der Preis, den Peking für die Normalisierung forderte, zu hoch — zumal die chinesischen Kommunisten nicht bereit waren, Abstriche von ihren Forderungen zu machen. Im Sommer 1978 führte Carter noch einmal die essen-tials auf, auf deren Berücksichtigung seine Regierung bestand: die Aufrechterhaltung der Handelsbeziehungen zu Taiwan einschließlich der Waffenlieferungen; die Umwandlung der amerikanischen Botschaft in Taipeh in eine Handelsmission und der Verzicht Pekings auf eine gewaltsame Wiedervereinigung
Obwohl der chinesischen Führung klar sein mußte, daß ein Gewaltverzicht die Verhandlungen schnell über den toten Punkt hinwegbringen würde, beharrte sie auf ihrem Standpunkt, hier handele es sich um eine innere Angelegenheit Chinas. Während weder Brzezinski noch Schlesinger, die Peking im Frühjahr und Herbst 1978 besuchten, Zugeständnisse erreichten, begann die chinesische Führung von sich aus plötzlich ihre Verhandlungsbereitschaft zu signalisieren. Nach einem Gespräch, zu dem Deng Xiaoping den Leiter des amerikanischen Verbindungsbüros in Peking, Leonard Woodcock, im Dezember empfing, kam es zu ebenso intensiven wie kurzen Verhandlungen. Am 15. Dezember gaben Präsident Carter und Premier Hua Kuo-feng in gleichlautenden Kommuniques dann den Entschluß ihrer Regierungen bekannt, „sich gegenseitig anzuerkennen und mit Wirkung vom 1. Januar 1979 diplomatische Beziehungen aufzunehmen"
Welches waren nun die Ursachen, die diesen so unerwartet raschen Durchbruch bewirkt hatten — und vor allem: auf welcher Grundlage konnte eine Einigung erzielt werden?
Prüft man das Gemeinsame Kommunique und die verschiedenen Erklärungen beider Seiten, so scheint Peking als der eigentliche Sieger aus diesen Verhandlungen herausgekommen zu sein: die USA erkannten die Regierung der VR China als einzige rechtmäßige Regierung von China an und anerkannten auch den Standpunkt Chinas, daß es nur ein China gebe und Taiwan einen Teil Chinas sei; sie sagten den Abzug ihres in Taiwan noch verbliebenen militärischen Personals im Laufe von vier Monaten zu und kündigten den Verteidigungsvertrag mit der nationalchinesischen Regierung. Zudem — und das war wohl der bedeutsamste. Punkt — verzichtete die chinesische Regierung mit keinem Wort auf eine gewaltsame „Befreiung" Taiwans, sondern bekräftigte in einer Erklärung, daß die Art und Weise „in der Taiwan in den Schoß des Vaterlandes zurückkehren und das Land wiedervereinigt wird" eine innere Angelegenheit Chinas sei. Lediglich der Umstand, daß auf das Wort „Befreiung" verzichtet wurde, deutete ein Entgegenkommen der chinesischen Seite an.
Eine genauere Analyse der Dokumente und erläuternden Interviews beider Seiten korrigiert diesen Eindruck allerdings etwas und zeigt, daß der Verhandlungserfolg Pekings keineswegs so umfassend war, wie er auf den ersten Blick erscheint. So räumt das Gemeinsame Kommunique der „Bevölkerung der USA" die Möglichkeit ein, „mit der Bevölkerung auf Taiwan kulturelle, kommerzielle und andere inoffizielle Beziehungen aufrechtzuerhalten". Allerdings war dieser Punkt nie (wirklich kontrovers, da eine Fortsetzung der für die USA wichtigen Handelskontakte auch im längerfristigen Interesse Pekings liegt. Das trifft allerdings auch für einen anderen Bereich zu — obwohl hier der Dissens offen angesprochen wurde: er betrifft die Lieferung von Verteidigungswaffen an Taiwan durch die USA auch nach der Normalisierung der amerikanisch-chinesischen Beziehungen. Zwar erklärte Hua Kuo-feng, diese Absicht der Vereinigten Staaten stehe nicht im Einklang mit den Prinzipien der Normalisierung und solche Lieferungen seien sowohl einer friedlichen Lösung der Taiwan-Frage wie auch dem Frieden im asiatisch-pazifischen Raum insgesamt abträglich; ein Beharren auf der Beendigung der amerikanischen Lieferungen hätte jedoch zwei viel unangenehmere Konsequenzen provozieren können: die außenpolitische Anlehnung Taipehs an Moskau und/oder eine atomare Aufrüstung der Insel. Verglichen mit diesen Folgen ist die Fortsetzung der amerikanischen Waffenlieferungen das für Peking bei weitem kleinere Übel — zumal dann, wenn die Führung gar nicht an eine gewaltsame „Befreiung" denkt.
Obwohl also alle Anzeichen dafür zu sprachen scheinen, daß China keine solchen . Befreiungspläne'hegt, da diese die gesamte Annäherung Chinas an den Westen gefährden würde und der mögliche Gewinn in keinem Verhältnis zum Verlust stände, wurde Carter nicht nur in den USA der Vorwurf gemacht, die Grenzen der Kompromißmöglichkeiten erheblich überschritten zu haben.
Flexibilität zeigte die chinesische Führung auch hinsichtlich des Verteidigungsvertrags zwischen den USA und Taiwan. Zwar setzte sie, wie nicht anders zu erwarten war, seine Kündigung durch; sie akzeptierte jedoch, daß die vertraglichen Bestimmungen eine einjährige Kündigungsfrist vorsehen. Die dadurch entstandene paradoxe Situation, daß Washin-ton noch für ein Jahr an ein Verteidigungsabkommen mit einer Regierung gebunden ist, die es gar nicht mehr als rechtmäßig anerkennt, und Peking ein solches Abkommen akzeptiert, obwohl es die eigene Souveränität belastet, erklärt sich wohl letztlich nur aus den innen-und außenpolitischen Rücksichten, die Carter zu nehmen hatte. Indem die chinesische Führung diesen Rücksichten Rechnung trug, bekundete sie, neben ihrem eigenen Interesse an der Normalisierung, auch ihr Interesse daran, die Reputation der Vereinigten Staaten als Bündnispartner nicht allzu sehr zu strapazieren. Daß Peking grundsätzlich an einer Normalisierung seiner Beziehungen zu Washington interessiert war, ist evident; aber der bedeutsamste Grund für die Aufnahme der Beziehungen war aus chinesischer Sicht der wachsende internationale Einfluß der Sowjetunion, insbesondere in Südostasien sowie die bedrohliche Situation, die im Mittleren Osten entstanden war. Im Hinblick auf die Lage in Indochina lassen vor allem der im November 1978 geschlossene Freundschaftsvertrag zwischen Hanoi und Moskau und die wachsende Verschlechterung der chinesischvietnamesischen Beziehungen infolge der Vertreibung der Hoa aus Vietnam und der vietnamesischen Offensive gegen Kambodscha eine Rückendeckung durch Washington angeraten scheinen. Sie sichert China bei einer Ausweitung der Grenzkonflikte vor sowjetischen Repressionen und trägt darüber hinaus auch zur Beruhigung der ASEAN-Staaten bei. Im Mittleren Osten ist die Lage potentiell noch gefährlicher. Denn hier sind weder die Vereinigten Staaten noch China selbst in der Lage, der über Afghanistan sich vorschiebenden Sowjetunion wirkungsvollen Widerstand entgegenzusetzen; jene beiden Staaten, denen diese Aufgaben zugedacht war — die Türkei und vor allem der Iran — befinden sich innenpolitisch in einem desolaten Zustand.
Sieht man jedoch einmal von diesen außenpolitischen Motiven ab, so spricht einiges für die Behauptung, daß es insbesondere die amerikanische Regierung war, die auf eine rasche Normalisierung drängte und die chinesische Führung lediglich das amerikanische Interesse zugunsten einer optimalen Durchsetzung der eigenen Forderungen ausgenutzt hat. An einer schnellen Einigung mit China war Präsident Carter aber zumindest aus zwei Gründen interessiert: einmal um die Rückschläge der amerikanischen Vermittlungspolitik zwischen Ägypten und Israel zu überdek-ken; zum anderen aber, um die noch unentschiedene Situation im Nahen Osten für eine Verständigung mit Peking auszunutzen. Denn sollte er gezwungen sein, eine Einigung im Nahen Osten auf Kosten Israels zu erkaufen, so wäre er innenpolitisch kaum noch imstande, im Kongreß auch noch eine Normalisierung der Beziehungen zu China durchzusetzen, da diese in jedem Fall zu Lasten Taiwans gehen würde. Bei einer allzu langen Verzögerung des China-Problems bestand aber die Gefahr, es nicht mehr rechtzeitig vor den Präsidentschaftswahlen lösen zu können und sich so einen wichtigen außenpolitischen Erfolg entgehen zu lassen.
Hinzu mag noch Druck von Seiten der amerikanischen Wirtschaft gekommen sein, die bei einer weiteren Verzögerung der Verhandlungen mit China befürchten mußte, von ihren Konkurrenten in Japan und Westeuropa aus dem China-Geschäft gedrängt zu werden. Gerade diesen Eindruck hatte aber die chinesische Führung dadurch gefördert, daß sie zwar ihr großes Interesse an einer wirtschaftlichen Zusammenarbeit bekundete, diese selbst aber weitgehend von einer Normalisierung der Beziehungen abhängig machte.
Es ist derzeit noch zu früh, mehr über die Ursachen zu sagen, die der plötzlichen Entwicklung der chinesisch-amerikanischen Beziehungen zugrunde lagen. Sicher ist jedoch, daß es der neuen chinesischen Führung gelungen ist, die Annäherung an Washington, die von Mao und Tschou En-lai eingeleitet worden war, unter geschickter Ausnutzung aller Faktoren zu einem für sie überaus günstigen Abschluß zu bringen.'
III. China und die „Zweite Welt"
Die chinesisch-westeuropäischen Beziehungen Nach dem Tod Maos haben Chinas Beziehungen zu den beiden Kerngebieten der „Zweiten Welt" in den letzten beiden Jahren einen rasanten Verlauf genommen: mit der Europäischen Gemeinschaft kam es im April 1978 zum Abschluß eines nichtpräferentiellen Handelsabkommens und mit Japan im August 1978 zur Unterzeichnung eines Friedens-und Freundschaftsvertrages.
Obwohl das Handelsabkommen mit der EG auf den ersten Blick von geringerer Bedeutung zu sein scheint als der die ganze politische Palette abdeckende Vertrag mit Japan, der zudem noch durch mehrere kleine Abkommen ergänzt wird, trügt dieser Eindruck. Ohne Zweifel beinhaltet der Vertrag mit der EG gleichzeitig auch ein demonstratives Bekenntnis Pekings zur westeuropäischen Einigung. Allerdings wurzelt dieses Bekenntnis weniger in einer traditionellen Freundschaft zum „Abendland" als in recht handfesten globalstrategischen Überlegungen Denn nach chinesischer Einschätzung befindet sich in Europa der „strategische Schwerpunkt" des Machtkampfes der beiden Supermächte. „Aus der Proklamation eines Europa-Jahres und der Einberufung der europäischen Sicherheitskonferenz" so folgerte Tschou En-lai auf dem 10. Parteitag im August 1973 „ist ersichtlich, daß der strategische Schwerpunkt ihres Ringens in Europa liegt... Gegenwärtig ist der Sowjetrevisionismus dabei, ein Scheinmanöver im Osten zu vollführen, den Angriff aber im Westen zu unternehmen, er intensiviert das Ringen in Europa und forciert seine Expansion in Richtung auf das Mittelmeer und den Indischen Ozean und alle Gebiete, nach denen er seine Hände ausstrecken kann." An dieser strategischen Einschätzung hat sich, wie auch die Rede des chinesischen Außenministers auf der UNO-Vollversammlung im Herbst des vergangenen Jahres zeigte, nichts geändert
Man kann über diese Einschätzung streiten. Sicher ist, daß jener strategische Schwerpunkt — sofern es ihn überhaupt gibt — eher in Europa oder Afrika als in China liegt. Wo immer er aber auch geortet werden mag, nicht von der Hand zu weisen ist jene Überlegung, die Peking zur Stützung der eigenen Argumentation anführt: „Will die Sowjetunion die Weltherrschaft erlangen, muß sie sich vor allem Europa unterwerfen. Weltweit gesehen sind in Europa das Kapital, die Industrie, Landwirtschaft und die Wissenschaft und Technik der heutigen Welt verhältnismäßig konzentriert und entwickelt. Wer Europa im Griff hat, der kann dessen menschliche, materielle und finanzielle Resourcen für einen Weltkrieg nutzen."
Ob man diese Einschätzung Pekings teilt oder sie für ein Argument aus dem Arsenal der psychologischen Kriegsführung hält — von Bedeutung ist weniger der Wahrheitsgehalt als die Folgerungen, die die chinesische Führung aus ihrer Analyse zieht: die Notwendigkeit eines Europa, das sich der sowjetischen Bedrohung bewußt ist und sich wirkungsvoll gegen einen sowjetischen Angriff verteidigen kann. Da effizienter Widerstand aber nur von einem geeinten Westeuropa geleistet werden könnte, gehört die westeuropäische Einigung zu den wichtigsten Interessenbereichen der chinesischen Außenpolitik.
Dies Interesse beschränkt sich freilich nicht darauf, daß Westeuropa unabhängig und als militärisch starke Macht an der sowjetischen Westflanke erhalten bleibt. Angesichts der waffentechnischen Unterentwicklung der Volksrepublik und der anhaltenden Weigerung Washington, China mit Waffen zu beliefern, betrachtet die chinesische Führung Westeuropa auch als wichtigen Waffenlieferanten. Obwohl etliche Staaten Westeuropas starkes Interesse zeigen, mit China auf diesem Gebiet ins Geschäft zu kommen und auch die Vereinigten Staaten frühere Bedenken fallen gelassen haben, so daß sie heute darauf verzichten, solche Lieferungen durch ein Veto in den betreffenden Gremien der NATO zu blockieren, haben massive sowjetische Proteste bislang größere Abschlüsse verhindert. Wie ernst Moskau die Gefahren sieht, die sich aus seiner Sicht aus einer engeren militärischen Zusammenarbeit zwischen Westeuropa und China für die Sowjetunion ergeben würden, geht daraus hervor, daß sich Breschnew persönlich an westeuropäische Regierungschefs wandte Ob er auf diese Weise den Verkauf z. B.der umstrittenen britischen Harrier-Senkrechtstarter und anderer Waffensysteme an China wird verhindern können, bleibt ab-zuwarten. Sicher ist, daß die westeuropäischen Regierungen noch sorgfältiger das Risiko abwägen werden, das Waffengeschäfte mit Peking für die Entspannung in Europa darstellen.
Allerdings ist die Modernisierung der Landesverteidigung nur eine jener „vier Modernisierungen", die seit dem Tode Maos besonders vorangetrieben werden. Auch wenn die Westeuropäer hier vorsichtiger agieren müssen als es der Volksrepublik lieb sein kann, sind sie im Hinblick auf die anderen drei Bereiche (Landwirtschaft, Industrie, Wissenschaft/Technik) um so offener, mit Peking ins Geschäft zu kommen. Wenn dieses Geschäft nicht zum „Großen Geschäft" gedeihen wird, so dürfte das weniger an der Begrenztheit chinesischer Bedürfnisse liegen als vielmehr an Pekings Devisenmangel. Doch zeichnet sich hier bereits ein Umdenken ab, dessen Ausmaß und Auswirkungen zur Zeit noch gar nicht zu überblicken sind. Die neue Führung scheint zumindest auf dem Gebiet der Kreditaufnahme beim Ausland mit dem maoistischen Prinzip großzügiger umgehen zu wollen, demzufolge sich China von allen außen-politischen Abhängigkeiten freihalten und „aus eigener Kraft" entwickeln soll So bestätigte im Dezember des vergangenen Jahres der chinesische Außenhandelsminister auf einer Pressekonferenz in Hongkong, daß China die internationalen Handelsgewohnheiten respektiere und bei günstigen Konditionen die Aufnahme sowohl von Staats-wie privater Anleihen prüfen würde In dieser Richtung liegende Entscheidungen dürften den 1978 mit westeuropäischen Firmen geschlossenen Lieferverträgen für Industrieausrüstungen förderlich sein.
Den vertraglichen Rahmen für diese Handels-abschlüsse lieferte der im April 1978 in Brüssel unterzeichnete Handelsvertrag mit der Europäischen Gemeinschaft dessen Abschluß sich nach dem Auslaufen der bilateralen Handelsabkommen und der Überführung der Handelspolitik der EG-Mitglieder in die alleinige Zuständigkeit der Gemeinschaft anbot. Es handelt sich dabei um ein nicht-präferentielles Handelsabkommen mit einer Laufzeit von fünf Jahren. Sein erklärtes Ziel ist die Förderung und Verstärkung des wechselseitigen Handelsverkehrs (Art. 1).
Zu diesem Zweck räumen sich beide Seiten die Meistbegünstigung ein. Während Peking eine wohlwollende Berücksichtigung der EG-Einfuhren zusagt, verspricht die EG „eine immer weitergehende Liberalisierung der Ein-fuhren" aus China (Art. 4).
Obwohl das bisherige Volumen des Handels mit China — gemessen an dem Anteil der EG-Staaten am Welthandel — recht gering ist und der chinesische Markt im Westen erheblich überschätzt wird, eröffnen sich, sofern die Kreditbremsen nicht wieder angezogen werden, zumindest für einige westeuropäische Branchen interessante Perspektiven. Dabei kann jedoch nicht übersehen werden, daß sich der Volksrepublik auch Japan als ein Handelspartner anbietet, der infolge kürzerer Transportwege und günstiger Produktionskosten eine für China interessante Ergänzung und Alternative zum Handel mit Westeuropa und den USA darstellt.
Die japanisch-chinesischen Beziehungen Wie Westeuropa ist auch Japan nicht nur als Handelspartner für die Volksrepublik interessant, sondern ebenso als potentieller Verbündeter im Rahmen ihrer anti-sowjetischen Politik. Nichts zeigte dies deutlicher als die Hartnäckigkeit, mit der Peking auf der Aufnahme einer Anti-Hegemonie-Klausel in dem im August 1978 unterzeichneten Friedens-und Freundschaftsvertrag mit Japan insistierte. Der Unnachgiebigkeit, die die chinesische Führung in dieser Frage an den Tag legte, entsprach durchaus ihre Flexibilität, mit der sie in den Jahren zuvor auf die Wünsche und Interessen Japans eingegangen war So hatte Tschou En-lai weder Einwände gegen die Beibehaltung des japanisch-amerikanischen Sicherheitsvertrages erhoben, noch auf dem Abbruch der Handelsbeziehungen Japans zu Taiwan bestanden. Und auch die schon während des Tanaka-Besuches im Herbst 1972 vereinbarten Abkommen in den Bereichen Handel, Luftverkehr, Schiffahrt und Fischerei waren zur Zufriedenheit Japans abgeschlossen worden. Daß die chinesische Führung dies Entgegenkommen nicht nur wegen der angestrebten Isolierung Taiwans zeigte, sondern damit gleichzeitig eine Störung der Einkreisungspolitik Moskaus bewirken wollte, liegt auf der Hand.
Die sowjetische Führung hatte das Zustande-kommen des Vertrags zwischen Peking und Tokio ihrerseits dadurch gefördert, daß sie sich gegenüber der japanischen Forderung nach Rückgabe der vier seit 1945 besetzten Kurilen-Inseln unnachgiebig gezeigt und so bisher jeder japanischen Regierung den Abschluß des von Moskau gewünschten japanisch-sowjetischen Friedensvertrags unmöglich gemacht hatte. Auch die einseitige Errichtung einer 200-Meilen-Fischerei-Ausschlußzone im Frühjahr 1977, die jene vier Inseln miteinschloß und die japanische Fischereiwirtschaft vor ernste Probleme stellte, trug nicht dazu bei, eine sowjetisch-japanische Annäherung fördern.
Dabei wollte sich die neue japanische Regierung unter Takeo Miki China zuliebe durchaus nicht in eine anti-sowjetische Politik drängen lassen. So hatte sich Japan geweigert, die in der Gemeinsamen Erklärung vom September 1972 enthaltene Ablehnung jedes Hegemoniestrebens im asiatisch-pazifischen Raum auch in den Friedens-und Freundschaftsvertrag aufzunehmen. Hatte Premier Tanaka noch im Rausch der China-Euphorie die politische Tragweite dieser Klausel übersehen oder ihr keine besondere Bedeutung zugemessen, so erkannte die neue Regierung die anti-sowjetische Akzentuierung dieser Klausel ebenso deutlich wie die sich daraus für die japanische Politik ergebenden Gefahren.
Abgesehen von ihren sicherheitspolitischen Konsequenzen war evident, daß Japan durch eine Parteinahme zugunsten Moskaus oder Pekings die Chance aufs Spiel setzte, Handelspartner von zwei Mächten und Märkten zu sein, die der auf Export angewiesenen japanischen Wirtschaft überaus verlockende Perspektiven boten.
Zweifellos hätte ein Entgegenkommen Mos-kaus in der Frage der umstrittenen „nördlichen Territorien" Tokio in eine prekäre Lage gebracht. Denn in diesem Fall wäre es den japanischen Diplomaten kaum möglich gewesen, der chinesischen Forderung nach Aufnahme der Anti-Hegemonie-Klausel nachzu-geben. Insofern erleichterte die strikte Weigerung Moskaus, über diese Frage auch nur zu verhandeln, die japanische Politik; andererseits blockierte die sowjetische Unnachgiebigkeit aber wiederum den japanischen Verhandlungsspielraum, denn da die japanische Regierung ohne befriedigende Lösung des Insel-Problems das sowjetische Angebot zum Abschluß eines Friedensvertrags ebenso abschlagen mußte wie den von Breschnew vorgeschlagenen „Vertrag über gute Nachbarschaft und Zusammenarbeit", so konnte sie auch nicht, ohne den Verdacht einer antisowjetischen Kurskorrektur zu provozieren, eine de facto gegen Moskau gerichtete Anti-Hegemonie-Klausel akzeptieren, auf der aber wiederum Peking bestand. 9
Wenn also die japanische Regierung dem chinesischen Drängen nachgab, so war dies mit großer Wahrscheinlichkeit Resultat der sowjetischen Halsstarrigkeit, die Japan keine Hoffnung auf ein Einlenken ließ, wie auch der eigenen Ungeschicklichkeit auf innenpolitischer Ebene hinsichtlich der Handhabung der Vertragsprobleme und des diplomatischen Geschicks der Nachfolger Maos. Vielleicht gab schließlich die Angst, im Rennen um den chinesischen Markt, der sich nach dem Sturz der „Viererbande" unerwartet schnell zu öffnen begann, hinter den westeuropäischen Rivalen zurückzufallen sowie die Befürchtung, durch eine Normalisierung der, chinesisch-amerikanischen Beziehungen ein zweites Mal den rechten Zeitpunkt zu verpassen, den letzten Anstoß zur Unterzeichnung.
Außenpolitisch stellte der Vertrag nicht nur eine Niederlage der sowjetischen Außenpolitik dar und zeigte die Grenzen der japanischen Diplomatie auf — er zeigt auch deutlich, welch starke Position China inzwischen in der Region einnimmt So hat die chinesische Seite nicht nur die kontroverse Hegemonie-Klausel — von einer Nuancierung, die ihre Anwendbarkeit ausschließlich auf den asiatisch-pazifischen Raum begrenzt, abgesehen — in den Vertragstext einbringen können, sondern sich zudem durch die zeitliche Limitierung der Laufdauer des Vertrags auf zehn Jahre die Möglichkeit geschaffen, ihn bei mangelndem Wohlverhal22 ten Japans „zu jeder Zeit danach" kündigen zu können. Gründe dafür dürften sich bei etwas „bösen" Willen ohne große Schwierigkeit finden lassen — sogar mit Hilfe des Vertrags selbst. Denn da der Begriff „Hegemonie" im Völkerrecht nicht exakt fixiert ist und Peking zweifellos auch wirtschaftliche Expansion unter ihn subsummiert, dürfte das wirtschaftliche Engagement Japans in Asien genügend Anlässe für eine solche Interpretation bieten. Einen anderen Anlaß könnte die im Vertrag ausgeklammerte Frage nach der Zugehörigkeit der von Japan und China beanspruchten Sengaku-Inseln liefern. Auch dies spricht für die Flexibilität und das taktische Geschick der chinesischen Außenpolitik; daß Japan, im Gegensatz zu den Territorial-Auseinandersetzungen mit Moskau, im Falle Chinas nicht auf einer Lösung insistierte, spricht andererseits eher für die Verunsicherung Tokios. Soviel jedenfalls ist sicher: In zehn Jahren dürfte die japanische Verhandlungsposition kaum stärker geworden sein.
Die Unterschiedlichkeit der politischen Absichten beider Vertragspartner geht auch daraus hervor, daß die japanische Regierung nach der Unterzeichnung alles unternahm, um dem Vertrag durch nachträgliche Interpretationen die anti-sowjetische Spitze zu nehmen. Peking hingegen war bemüht, durch Besuchs-kontakte und Intensivierung der wirtschaftlich-technischen Zusammenarbeit den Eindruck herzlichen Einvernehmens und enger Zusammenarbeit zu erwecken. Bereits einen Monat nach dem Abschluß des Friedens-und Freundschaftsvertrags verabredeten Vizepremier Li Hsien-nien und der japanische Industrieminister Komoto eine zeitliche Verlängerung des im Frühjahr 1978 geschlossenen und auf acht Jahre befristeten Handelsvertrags sowie eine Erhöhung des auf 20 Mrd. US-Dollar festgesetzten Gesamtvolumens um mehr als das Dreifache.
So drohend die sowjetische Haltung vor der Unterzeichnung des Vertrages auch gewesen sein mag, sie ließ es bei einer offiziellen Bekundung ihres Mißfallens in Tokio bewenden; zwar wurde bekannt, daß sie auf den Kurilen-Inseln Etorofu und Kunashiri — letztere unmittelbar vor der nordjapanischen Hauptinsel Hokkaido gelegen — Militärbasen für Boden-truppen einrichtete, doch dabei blieb es im wesentlichen. Diese relativ schwache Reaktion wird zwar auch aus Rücksicht auf die sowjetisch-amerikanischen Beziehungen erfolgt sein, sie spiegelt aber wohl doch die Einsicht der so-wjetischen Führung wieder, Japan nicht durch allzu harte Maßnahmen noch weiter den Chinesen in die Arme zu treiben. Alles in allem hat Peking auch in dieser Region der „Zweiten Welt" beachtliche Erfolge gegenüber Moskau errungen; da als Folge der sowjetischen Indochina-Politik ein weiterer Bereich entstanden ist, in dem sich aie Interessen Japans und der Sowjetunion unvereinbar gegenüberstehen, ist die Wahrscheinlichkeit einer noch engeren chinesisch-japanischen Zusammenarbeit in Zukunft groß. Zwar wird sich die Regierung in Tokio ebenso wenig wie die Regierungen Westeuropas von Peking in eine anti-sowjetische Richtung drängen lassen, doch wird sie wie diese bis an die Grenzen des politisch Möglichen in der Zusammenarbeit mit China gehen.
IV. China und die „Dritte Welt"
Hält man sich an die Buchstaben der „Drei-Welten" -Theorie, so stellen die Länder Asiens, Afrikas und Lateinamerikas derzeit die welt-revolutionäre „Hauptkraft" dar. Ein Blick auf die Praxis der chinesischen Außenpolitik zeigt jedoch, daß sie dieser theoretischen Einschätzung nur bedingt Rechnung trägt und sich erheblich intensiver um die Länder der Zweiten Welt bemüht. Zwar verstärkt sich die chinesische Präsenz auch in jenen Gebieten der Dritten Welt, in denen Peking bislang nur unzureichend vertreten war, und auch das Netz der handels-und entwicklungspolitischen Kontakte wird immer dichter. Doch hat die chinesische Führung weder etwas unternommen, um aus jenen Ländern eine eigenständige internationale Kraft zu formen, noch hat sie Anstalten gemacht, sich selbst an die Spitze der Dritten Welt zu stellen. Dieser Zurückhaltung mag die Einsicht zugrunde liegen, daß derzeit die Chancen gering sind, in den Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas zuverlässige Reservisten für die Weltrevolution zu rekrutieren — insbesondere angesichts der begrenzten Mittel Chinas und der wirtschaftlichen und militärischen Stärke Washingtons und Moskaus. Statt eine eigenständige offensive Strategie zu verfolgen, konzentriert sich die chinesische Führung deshalb darauf, erst einmal eigene politische Positionen aufzubauen und die strategischen Kreise ihres Hauptfeindes, der Sowjetunion, zu stören. Betrachtet man die chinesischen Aktivitäten aus der Perspektive dieser anti-sowjetischen Zielsetzung, so verliert das Engagement Pekings in der Dritten Welt die Planlosigkeit und Zufälligkeit, die es auf den ersten Blick hin besitzt und nimmt über partikulare Zielsetzungen hinaus erkennbare strategische Konturen an.
Obwohl die Außenpolitik Moskaus nach chinesischer Auffassung primär dadurch charakterisierbar ist, alle sich bietende Gelegenheiten zur weiteren Expansion des sowjetischen Einflusses auszunutzen, vollzieht sich diese Politik keineswegs planlos, sondern folgt einer durchdachten „Globalstrategie". Da die chinesischen Aktivitäten insbesondere in der Dritten Welt weitgehend darauf ausgerichtet sind, diese Globalstrategie zu durchkreuzen, erscheint es sinnvoll, sie kurz zu skizzieren, wie sie sich der Führung in Peking darstellt
Nach chinesischer Auffassung besteht das Hauptziel der sowjetischen Außenpolitik darin, die Vereinigten Staaten zu schwächen und ihren Einfluß in der Welt zu untergraben. Dabei befinden sich die wichtigsten Aktionsräume und Aufmarschgebiete Moskaus in den Ländern der Dritten Welt, wo sich die günstigsten Möglichkeiten bieten, die weltpolitische Position Amerikas zu untergraben. Erkennbar sind nach chinesischer Ansicht insbesondere zwei Aktionsräume, auf die sich Moskau konzentriert. Einer davon ist Afrika, der Mittlere Osten, das Rote Meer und das Gebiet des Persischen Golfs. Hier sucht Moskau durch Anstiftung regionaler: Kriege „ein Netz militärischer Stützpunkte" aufzubauen, von denen aus sie den wichtigsten Verbündeten der Vereinigten Staaten und das „Herzland des Kapitalismus", Westeuropa, „von der Flanke her in die Zange nehmen" und die USA isolieren kann; in diesem Gebiet, insbesondere in Afrika, sind Rivalität und Ringen der Großmächte derzeit „am heftigsten". Der andere Aktionsraum ist Asien, das durch die Errichtung eines „asiatischen Sicherheitssystems" unter sowjetische Kontrolle gebracht werden soll. Hier sieht Peking in jüngster Zeit vor allem Südostasien einer verstärkten sowjetischen Expansion ausgesetzt, wobei die „Söldnerrolle", die in Afrika von Kuba übernommen wurde, auf Vietnam übergegangen ist. Ebenso wie die sowjetischen Aktionen am Horn von Afrika und in Angola — neben der Inbesitznahme strategisch wichtiger Rohstoffe und der Schaffung neuer Brückenköpfe für weitere Unternehmungen — das Ziel haben, die für Westeuropa lebenswichtigen Versorgungslinien vom Indischen Ozean durch das Rote Meer und um das Kap der Guten Hoffnung unter eigene Kontrolle zu bringen, so sollen Marinestützpunkte in Vietnam „unmittelbar die Seewege der USA und Japans und auch direkt die Sicherheit der Länder Süd-ostasiens und des pazifischen Raums" bedrohen. — Als wichtigste Gegenmaßnahmen empfiehlt Peking eine erhöhte Wachsamkeit und Steigerung der Verteidigungsbereitschaft in der Zweiten und Dritten Welt, ferner die Störung des globalstrategischen Aufmarsch-plans Moskaus und aktive Hilfe an die von Kuba und Vietnam bedrohten Länder sowie die Entlarvung der sowjetischen Beschwichtigungspolitik.
Wenden wir uns nach diesen allgemeinen Feststellungen nun etwas genauer dem chinesischen Engagement in diesen beiden Krisengebieten zu und beginnen mit der Außenpolitik Pekings im Mittleren Osten und in Afrika.
Die chinesische Politik in Afrika und im Mittleren Osten In Afrika wie im Mittleren Osten baut die heutige chinesische Führung auf den Grundlagen auf, die schon von Tschou En-lai gelegt worden sind. Dabei entwickelte sich insbesondere Afrika, wie George T. Yu zutreffend bemerkte, seit den siebziger Jahren zu einem „größeren Schlachtfeld des sino-sowjetischen Konflikts" Peking versuchte nicht nur durch die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu weiteren 24 afrikanischen Staaten sowie massive Entwicklungshilfe den sowjetischen Einfluß zurückzudrängen; es bemühte sich auch, von Moskau geräumte Positionen zu besetzen und den Widerstand an jenen Stellen des schwarzen Kontinents zu mobilisieren, wo es der Sowjetunion gelungen war, sich fest zu etablieren. So bot sich Peking gleich nach dem Ende der ägyptisch-sowjetischen Beziehungen im Jahre 1972 als Ersatz an und stieß ebenfalls nach der Ausweisung der sowjetischen Berater aus dem Sudan im Mai 1977 und in Somalia im November desselben Jahres nach. Diese Politik, so erfolgreich sie hinsichtlich der Schaffung eines Ringes anti-sowjetischer Länder in Ostafrika auch war, stellt die chinesische Außenpolitik allerdings auch vor eine Reihe schwieriger Probleme. Denn so wie die Unterstützung Sadats sie in den Konflikt mit jenen arabischen Staaten zu verwickeln droht, die der Israel-Politik des ägyptischen Staatschefs ablehnend gegenüberstehen, gefährdet Peking durch die aktive Unterstützung Somalias, zu der es schon vor dem Besuch Siad Barres in Peking im April 1978 gekommen war, die Beziehungen zu Äthiopien. In beiden Fällen gelang es jedoch der chinesischen Diplomatie bislang, sich aus den Konflikten herauszuhalten — stets mit der gleichen Taktik: indem sie Moskau als den eigentlichen Störenfried hinstellte, der die Länder der betreffenden Regionen gegeneinander aufhetze. Ähnlich hatte Peking zwar schon im Angola-Konflikt argumentiert: Auch hier beschuldigte es die Sowjets, nach dem Alvor-Abkommen der drei Befreiungsbewegungen mit Portugal über die Bildung einer Übergangsregierung zur Vorbereitung der Unabhängigkeit bestehende Differenzen zwischen den drei Gruppen ausgenutzt und auf diese Weise einen Bürgerkrieg ausgelöst zu haben, in dem sie dann durch den Einsatz kubanischer Söldner und eigener Militärberater zugunsten der MPLA ihre Position gefestigt hatten. Sofern die chinesische Führung wirklich der Überzeugung war, Moskau habe Angola sowohl zur Kontrolle der europäischen Versorgungslinien wie auch als Brückenkopf und Sprungbrett für die weitere Expansion in Mittel-und Südafrika ausnutzen wollen, war es nur folgerichtig, daß sie auch die seit dem Peking-Besuch Mobutus im November 1972 bestehenden guten Beziehungen zu Zaire weiter ausbaute und bei der Invasion der von Angola aus operierenden Rebellenverbände für die Regierung Mobutu votierte. Die Entsendung einer Gruppe chinesischer Militärberater nach Zaire im Juni 1978 und der bald darauf folgende Besuch des stellvertretenden chinesischen Generalstabschef in Zaire demonstrierten die Bereitschaft Pekings, die bestehende Situation zum eigenen Vorteile auszunutzen. Ähnlich schockiert wie im Falle der Unterstützung des korrupten Mobutu-Regimes reagieren viele der Symphatisanten Chinas auf die seit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen am 17. August 1971 immer intensiver gewordenen Beziehungen Pekings mit dem Schah von Iran. Dabei war auch hier offenkundig, daß es mehr gemeinsame Interessen als gemeinsame Ideale waren, die den ersten Besuch eines chinesischen Parteivorsitzenden in einem . kapitalistischen’ Land ausgerechnet in den Iran lenkten. Mochten diese Interessen im Falle Zaires auch nicht auf den ersten Blick zu erkennen gewesen sein — im Falle des Iran sind sie evident Nicht nur im Hinblick auf die Bedeutung des Iran für die Energieversorgung des Westens sticht der auch hier verwendete chinesische Hinweis auf die Gefährdung vitaler europäischer Interessen — auch in Asien spielte Teheran bisher eine wichtige strategische Rolle. Zum einen besaß der Schah großes Interesse daran, einer Ausweitung des sowjetischen Einflusses in Afghanistan entgegenzuwirken und die territoriale Einheit Pakistans aufrechtzuerhalten; zum anderen spielte die beträchtliche materielle Hilfe an Indien eine Rolle, die wesentlich dazu beitrug, dieses Land aus der Abhängigkeit von Moskau zu lösen. Die chinesische Führung lobte die intensiven Rüstungsanstrengungen des Schah und unterstützte sein Bemühen, die arabischen Golfanrainer für ein regionales Sicherheitssystem zu gewinnen, den Einfluß Moskaus durch einen Vertrag mit Afghanistan abzubauen und Indien in seiner Forderung, den Indischen Ozean in eine Friedenszone zu verwandeln, beizustehen. Ob es in der Zukunft infolge der politischen Entwicklung im Iran zu anderen, Peking nicht wohlgesonnenen Allianzen kommen wird, ist derzeit noch nicht überschaubar.
Insbesondere seit dem Staatsstreich in Kabul im April 1978, der den sowjetischen Einfluß in Afghanistan endgültig stabilisierte und die territoriale Einheit Pakistans erneut in Gefahr bringt, haben die diplomatischen Aktivitäten Chinas in der Golfregion zugenommen. So bemüht es sich seit einem Jahr verstärkt um das Vertrauen der konservativen Golfanrainer, zu denen es mit der bisherigen Unterstützung des Iran diplomatische Beziehungen sucht. Im Falle Kuwaits und Omans ist dies schon geglückt und hat sicher mit dazu beigetragen, daß China inzwischen die Unterstützung der Dhofar-Befreiungsfront eingestellt hat. Der Entschluß dürfte Peking sicherlich auch dadurch erleichtert worden sein, daß diese gegen Oman operierende Bewegung vom sowjetisch beeinflußten Südjemen unterstützt wird.
Chinas Politik der Wiederannäherung an Indien wurde durch den Sturz Indira Gandhis und dem Sieg der Janata-Koalition erheblich erleichtert. Wenn die indische Regierung auch nicht bereit war, den sowjetisch-indischen Freundschaftsvertrag vom August 1971 aufzukündigen, so löste sie sich doch aus der einseitigen Anlehnung an Moskau und wies energisch die sowjetischen Pläne zur Errichtung eines „Sicherheitssystems für Asien" zurück.
Auf chinesische Annäherungsversuche im Frühjahr 1977 hatte die indische Regierung positiv reagiert und die Zugehörigkeit Tibets zu China nicht in Frage gestellt; daraufhin begann Peking offen um Indien zu werben. Ob es zu einer dauerhaften Festigung der Beziehungen kommt, dürfte von der Flexibilität abhängen, mit der die Pekinger Führung die Grenzprobleme handhaben wird. Die Verhandlungen darüber werden dadurch erschwert, daß die Gebiete nicht nur in den bilateralen Beziehungen zwischen Indien und China, sondern auch im sino-sowjetischen Konflikt eine Rolle spielen, denn ein Teil des umstrittenen Territoriums ist auch von strategischer Bedeutung für die Verteidigung Chinas gegenüber Moskau.
Die chinesische Politik in Südostasien Die anti-sowjetische Haltung Pekings im Falle Afrikas und des Mittleren Ostens kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß es den Chinesen auch darum geht, eigene Machtpositionen und Einflußsphären aufzubauen; so erscheint der Argwohn gegenüber den sowjetischen Aktivitäten und Ambitionen in Asien durchaus verständlich. Moskau bemüht sich seit Ende der sechziger Jahre um die Realisierung einer gegen China gerichteten containment-Politik, die durch seine konsequente Flotten-und bilaterale Bündnispolitik wie auch durch sein Bemühen um ein System kollektiver Sicherheit in Asien belegbar ist Obwohl die Mehrzahl der asiatischen Staaten diesem Plan eher ablehnend gegenüberstand, gelang der Sowjetunion unter dem Eindruck der Räumung britischer Positionen „East of Suez" und der amerikanischen Nixon-Doktrin, die den militärischen Rückzug der USA aus Indochina signalisierte, in Süd-und Südostasien Fuß zu fassen. Den Boden dazu hatten neben verstärkten handels-und entwicklungspolitischen Aktivitäten auch die erfolgreiche Vermittlung im indisch-pakistanischen Krieg bereitet. Die sowjetische Position in dieser Region wurde ferner aufgewertet durch den indisch-/sowjetischen Vertrag vom 9. August 1971, mit dem sich die Sowjetunion während der Pakistan-Krise im Sommer 1971 hinter Indien stellte.
Trotz dieser Erfolge gelang es Moskau jedoch bisher nicht, den Einfluß der USA und Japans in Asien entscheidend zurückzudrängen und die asiatischen Länder zu einer Frontstellung gegenüber der VR China zu bewegen, auch wenn der sowjetischen Außenpolitik gerade im Laufe des letzten Jahres nicht unerhebliche Einbrüche geglückt sind. So ist es ihr nach der Konsolidierung ihres Einflusses in Afghanistan — insbesondere in Anbetracht des durch interne Entwicklungen gelähmten Iran — möglich, durch die Ermunterung des Separatismus in Belutschistan Pakistan etwas aus seiner pro-chinesischen Haltung herauszulocken. Zum anderen aber haben die Entwicklungen in Indochina die Position Moskaus in jener Region erheblich gestärkt. Dabei war es von Anfang an klar, daß nach der Beendigung der indochinesischen Kriege beide kommunistischen Großmächte noch intensiver versuchen würden, Einfluß auf die neu-errichteten Staaten zu gewinnen: China vor allem mit dem Ziel, Indochina nicht wieder in den Einflußbereich einer anderen Großmacht fallen zu lassen, und das hieß konkret, es vom Einfluß Moskaus freizuhalten; Moskau in der Absicht, den schon während des Vietnam-Krieges gewonnenen Einfluß weiter auszubauen — sowohl zur Abschnürung Chinas vom Süden her, wie auch als Brückenkopf für eine weitere Expansion in Südostasien und im Pazifischen Raum
Die zentrale Rolle spielte im Plan beider kommunistischer Mächte zweifellos Vietnam, das nach der gewaltsamen Wiedervereinigung zur stärksten Regionalmacht in Südost-Asien aufgestiegen war und schon während des Krieges seinen Einfluß auf Laos und Kambodscha ausgedehnt hatte. So band Hanoi nach Beendigung des Krieges vor allem Laos immer enger an sich und legalisierte diese Bindungen im Juli 1977 schließlich durch einen, auf 25 Jahre abgeschlossenen „Vertrag über Freundschaft und Zusammenarbeit." Die Befürchtungen der anderen südostasiatischen Anrainer, vor allem aber auch Chinas, daß dies nur der erste Schritt in Richtung auf eine von Vietnam dominierte indochinesische Föderation sei, fanden neue Nahrung, als sich die seit April 1975 zwischen Vietnam und Kambodscha schwelenden Grenzkonflikte im Herbst 1977 zu heftigen militärischen Auseinandersetzungen entwickelten. Obwohl Moskau wie Peking sich anfangs in diesem Konflikt zurückhielten, zeigte sich bald, wo jede der beiden Mächte stand und welche Ziele sie verfolgten: Während China kein Interesse am Entstehen einer größeren Regionalmacht in Indochina haben kann und folglich auch für die territoriale Unversehrtheit Kambodschas eintrat, ergriff die sowjetische Führung von Anfang an Partei für Vietnam. Auch hier lag das Motiv auf der Hand: Im Gegensatz zu China paßt die Bildung eines größeren indochinesischen Staates durchaus ins strategische Konzept Moskaus. Denn abgesehen davon, daß ein solcher Staat besser in der Lage wäre, einer chinesischen Expansion nach Süden Widerstand zu leisten, müßte er auf die Dauer Schutz vor der Großmacht China suchen und dabei auf Moskau als „natürlichen"
Verbündeten stoßen.
Diese Identität der Interessen machte es dem Kreml somit leicht, den vietnamesischen Ambitionen entgegenzukommen und Hanoi durch politische und militärische Hilfeleistungen für sich zu gewinnen. Diese Politik wurde zudem dadurch erleichtert, daß weder China fähig noch die USA willens gewesen waren, der vom Krieg und Naturkatastrophen schwer geschädigten vietnamesischen Wirtschaft durch größere Kredite unter die Arme zu greifen und sich somit auch hier die Sowjetunion als treuer Freund in der Not profilieren konnte.
Schon im Herbst 1977 hatten die Fronten für die kommenden Auseinandersetzungen deutliche Formen angenommen: Während die chinesische Führung durch den Empfang, den sie dem kambodschanischen Partei-und Regierungschef Pol Pot bei seinem Besuch in China im September/Oktober 1977 zuteil werden ließ, unübersehbar zum Ausdruck brachte, daß sie auf das Werben Kambodschas einzugehen und für die territoriale Integrität des Landes einzutreten bereit war, gab der vietnamesische Parteichef Le Duan, der einen Monat später Peking besuchte, unmißverständlich zu verstehen, daß Hanoi inzwischen fest im sowjetischen Lager stand.
Damit waren Ende 1977 die Weichen gestellt und die weiteren Konflikte, zu denen es zwischen Peking und Hanoi sowie zwischen Hanoi und Phnom Penh kommen sollte, ebenso programmiert wie die Allianzen, die durch sie ihre Bestätigung und Bestärkung erfuhren. Während die chinesische Führung sich bei ihrer Unterstützung Pol Pots nicht mehr auf diplomatische und propagandistische Maßnahmen beschränkte, sondern Waffen-und Wirtschaftshilfe gab, festigten und formalisierten Hanoi und Moskau ihre Beziehungen. So wurde Vietnam nicht nur im Juli 1978 formell Mitglied des COMECON, dem es bislang nur als Beobachter angehört hatte, sondern beide Staaten schlossen zudem im November 1978 einen Freundschaftsvertrag mit 25jähriger Laufzeit. Dieser enthält eine Klausel, die für den Fall der Bedrohung einer der beiden Seiten gegenseitige Konsultationen vorsieht, „mit dem Ziel, jene Bedrohung zu beseitigen und angemessen effektive Maßnahmen zu unternehmen, um den Frieden und die Sicherheit ihrer Länder zu gewährleisten".
Konflikte mit Hanoi entzündeten sich an drei Fragen, die die Errichtung von drei Generalkonsulaten, die China schon 1976 beantragt hatte ebenso betrafen wie die Situationen der 1, 8 Millionen in Vietnam lebenden Auslandschinesen (Hoa) und die Grenzstreitigkeiten. über jeden der drei Problemkomplexe — sie können hier weder im Detail dargestellt noch diskutiert werden — lassen sich bislang nur Vermutungen anstellen, ebenso wie über den Zusammenhang, in dem sie zueinander stehen. Soviel jedoch erscheint wahrscheinlich: Während Peking durch die Errichtung der Generalkonsulate, insbesondere in Ho-Chi-minh-Stadt, dem früheren Saigon, den Kontakt zu den in Vietnam lebenden Chinesen intensivieren wollte, konnte die vietnamesische Führung an einer stärkeren chinesischen Präsenz kaum sonderlich interessiert sein. So erklärt es sich auch, daß Hanoi die Eröffnung des Generalkonsulats in Ho-Chiminh-Stadt, der es grundsätzlich zugestimmt hatte, bis ins letzte Quartal des Jahres 1978 hinauszuzögern versuchte und daß es schon zuvor (durch eine Forcierung der Staatszugehörigkeitsfrage) das Hoa-Problem von der Wurzel her zu lösen getrachtet hatte.
Ob die vietnamesische Führung — darin vielleicht beraten von Moskau — gar die vollständige Vertreibung der Hoa plante, ist nicht nachzuweisen. Denn wenn ihr, angesichts der sich verschlechternden Beziehungen zu Peking, die Präsenz von fast zwei Millionen Chinesen auch als Risiko erscheinen mußte und die Gelegenheit günstig war, die durch die bevorstehende Kollektivierung des Handels ohnehin um ihre wirtschaftliche Existenz gebrachten chinesischen Händler abzuschieben, so sprachen doch auch ebenso gewichtige Gründe wirtschaftlicher Art, vor allem aber die zu erwartenden Gegenmaßnahmen Chinas, gegen eine solche Politik. Welches auch immer im einzelnen die Ursachen waren, die zum Exodus von 160 000 Hoa führten, fest steht, daß sich die Beziehungen zwischen Peking und Hanoi von nun an rapide verschlechterten: Nachdem China im Mai und Juni 1978 seine finanzielle Hilfe an Vietnam zu reduzieren begonnen und gleichzeitig Hanoi zur Schließung der vietnamesischen Generalkonsulate in K’un-ming, Nan-ning und Kanton aufgefordert hatte, erklärte das chinesische Außenministerium am 3. Juli, China werde seine gesamte Entwicklungshilfe an Vietnam einstellen und die chinesischen Experten abziehen
In denselben Zeitraum fällt die Klage Hanois über Grenzverletzungen durch die Chinesen. Nachdem die chinesisch-vietnamesischen Landgrenzen bis 1972 zwar unstrittig, letztlich aber auch rechtlich nicht eindeutig festgelegt waren, kann angenommen werden, daß die chinesische Führung hier den Hebel gegen Hanoi ansetzte. Vietnam konnte auf diese Weise nicht nur gezwungen werden, Soldaten, die es in der Wirtschaft dringend brauch-te, zu mobilisieren; vielmehr bot die Behauptung vietnamesischer Grenzübergriffe die Chance, der Welt, insbesondere aber der süd-ostasiatischen Umwelt, den vietnamesischen Expansionismus zu demonstrieren.
Damit aber klingt ein weiterer zentraler Bereich der chinesisch-vietnamesisch-sowjetischen Rivalität an, der hier zumindest gestreift werden muß.
So sehr die chinesische Führung den militärischen Rückzug Großbritanniens und der USA aus Südostasien begrüßte, so sehr waren ihr auch die Gefahren bewußt, die sich daraus für die weitere Zukunft der Region ergeben mußten. Peking mußte damit rechnen, daß das von der Sowjetunion im Sommer 1969 als sicherheitspolitische Alternative vorgeschlagene System kollektiver Sicherheit in Asien bei einigen der verunsicherten Staaten der Region auf offene Ohren stoßen würde. Aus diesem Grunde gab Peking nicht nur deutlich zu erkennen, daß China an einem übereilten Abzug der USA aus der Region wenig gelegen sei, sondern unterstützte auch zunehmend den von den ASEAN-Staaten im November 1971 gefaßten Entschluß, in Südostasien eine „Zone des Friedens, der Freiheit und der Neutralität" zu errichten.
Nachdem die Sowjetunion den Neutralitätsbestrebungen der ASEAN-Staaten lange Zeit ablehnend gegenübergestanden hatte, hat sie inzwischen diese Position geändert. Ebenso verstärkte auch Vietnam seine Bemühungen um die ASEAN-Staaten. Der vietnamesische Premier versicherte auf einer Reise durch einige Staaten Südostasiens, Vietnam werde die kommunistischen Parteien und Bewegungen dieser Staaten nicht länger unterstützen zudem machte Hanoi kurz vor der Einberufung der ASEAN-Außenministerkonferenz im Sommer 1978 den Vorschlag zur Bildung einer Staatengemeinschaft, „die ein wirklich unabhängiges, friedliches und neutrales Südostasien gewährleisten kann". Angesichts der gespannten Situation in der Region konnte es kaum überraschen, daß sich Peking heftig gegen diesen Plan wandte, da es dahinter nicht nur die Sowjetunion witterte, sondern auch die Absicht Vietnams, über eine . Organisation für südostasiatische Zusammenarbeit'ihren Einfluß auf die gesamte Region ausdehnen zu können
Rückblick und Ausblick
Versucht man die chinesische Außenpolitik der letzten Jahre im ganzen zu bewerten, so kommt man nicht umhin, ihr große Erfolge zu attestieren. Nicht nur die Gefahr einer antichinesischen Allianz der Großmächte scheint beseitigt und die Eindämmungspolitik Moskaus in Asien unterlaufen worden zu sein: Peking ist es sogar gelungen, die internationale Situation so zu verändern, daß Moskau sich seinerseits eingekreist fühlen muß. Denn wenn auch die USA, Westeuropa, Japan und China nicht durch formelle Verträge miteinander verbunden sind — und auch weit von einer anti-sowjetischen „Einheitsfront" entfernt sind, wie Peking sie anstrebt — so ist doch kaum zu übersehen, daß sich vier der Mächte des globalen „Fünfecks" im Laufe der letzten Jahre erheblich nähergekommen sind.
Das diese Entwicklung nicht gerade zur internationalen Entspannung beigetragen hat, liegt auf der Hand — und letztlich wohl auch im Interesse Chinas. Denn mit der Zunahme der internationalen Konfrontation wächst nicht nur die Bedeutung Pekings, sondern auch die Gefahr eines internationalen Konflikts, der — insofern er nicht in einen Weltkrieg mündet — zur Schwächung der anderen Großmächte und damit zur Stärkung Chinas beitragen könnte. Ob die chinesische Führung eine solche Entwicklung angesichts der großen und unkalkulierbaren Risiken, die mit ihr verbunden sind, bewußt ansteuert — wie ihre sowjetischen Gegenspieler behaupten — sei dahingestellt. Zumindest mittelfristig dürfte sie eher daran interessiert sein, die Modernisierung ihres Landes mit Hilfe der westlichen Staaten voranzutreiben und die Positionen Chinas in der Welt weiter auszubauen. Die Bedingungen dafür sind so günstig, daß es für China töricht wäre, sie zu gefährden.
Neben dem weiteren Ausbau der Beziehungen zum Westen stellen sich damit der chinesischen Außenpolitik als Hauptaufgaben, die Sicherung der eigenen Grenzen durch die Bildung eines cordon sanitaire aus neutralen oder China-freundlichen Nachbarstaaten und die Sicherung eines starken, zu eigenständiger Politik fähigen Westeuropa anzustreben. Dazu gehört insbesondere der Aufbau eines starken Riegels im Mittleren Osten, der der Sowjetunion auch weiterhin den Zugang zum Indischen Ozean versperrt und den westeuropäischen Staaten die Energiezufuhr garantiert. In der Logik dieser Ziele liegt es, die Beziehungen zu den arabischen Staaten weiter auszubauen und auf eine Einigung im Nahost-Konflikt zu drängen, um auf diese Weise eine wesentliche Voraussetzung für die Anwesenheit Moskaus im Nahen Osten zu beseitigen.
Als ein weiterer Bereich verstärkten chinesischen Engagements rückt das südliche Afrika ins Blickfeld. Diese Region ist wenigstens aus zwei Gründen für Peking interessant: Zum einen bietet sich den Nachfolgern Maos hier eine glänzende Chance, durch die Unterstützung der Frontstaaten und der verschiedenen Befreiungsbewegungen Chinas inzwischen erheblich lädiertes revolutionäres Image aufzubessern. Zum anderen muß sich Peking darum bemühen, die Einflußnahme Moskaus in dieser ebenso unstabilen wie strategisch wichtigen Region zurückzudrängen und sich als revolutionäre Alternative anzubieten. Die Reise des chinesischen Vizepremiers Li Hsien-nien in die Frontstaaten, und seine Verhandlungen mit den von dort aus operierenden Befreiungsbewegungen über verstärkte chinesische Waffenhilfe zeichnen das neue Aktionsgebiet Pekings deutlich aus.
Dennoch dürfte es China zunehmend schwerer fallen, sich als revolutionäre Macht auszugeben — die nationalen Eigeninteressen werden immer stärker in der chinesischen Außenpolitik durchschlagen und der innenpolitische Reformkurs wird den revolutionären Lack vergangener Jahrzehnte auch weiterhin angreifen. Aber nicht nur die revolutionäre Reputation Chinas wird zunehmend in Zweifel gezogen werden, sondern auch der Anspruch, ein Land der Dritten Welt zu sein. Zwar wird China noch einige Jahrzehnte einer intensiven und ungestörten wirtschaftlichen Entwicklung bedürfen, bevor es das Niveau einer wirtschaftlichen Weltmacht erreicht hat. Dennoch dürfte bei anhaltender wirtschaftlicher Entwicklung das internationale Gewicht Pekings weiter zunehmen und sich allmählich dem der anderen beiden Großmächte annähern. Die Weichen für eine solche Entwicklung sind jedenfalls in den Jahren nach dem Tode Maos gestellt worden.
Peter J. Opitz, Dr. phil., geb. 1937 in Brieg/Schlesien; Studium der Politischen Wissenschaft, Sinologie und Philosophie; Professor für Politische Wissenschaft am Geschwister-Scholl-Institut für Politische Wissenschaft der Universität München. Neuere Veröffentlichungen u. a.: Die Söhne des Drachen. Chinas Weg vom Konfuzianismus zum Kommunismus (Hrsg.), München 1974; Chinas Außenpolitik. Ideologische Prinzipien — strategische Konzepte, Zürich 1977; China zwischen Weltrevolution und Realpolitik. Ursachen und internationale Konsequenzen der chinesisch-amerikanischen Annäherung (Hrsg.), München 1979.
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