I. Heftchen und Magazine — eine Konkurrenz für den Geschichtsunterricht?
Seit längerer Zeit — und nicht erst seit die sogenannte Hitleritis grassiert — haben Landser-Hefte und ähnliche Produkte weitgehend unbeachtet von der Geschichtswissenschaft und von der Geschichtsdidaktik das Geschichtsbild der westdeutschen Jugend über den Nationalsozialismus, den Zweiten Weltkrieg und die Person Hitlers mitgeprägt. In den letzten Jahren kamen einige — ihrer äußeren Aufmachung und inhaltlichen Gestaltung nach — wesentlich aufwendigere Reihen-produkte hinzu. Hierzu zählen die Zeitschrift „Das III. Reich", ferner populärgeschichtliche Magazine wie „Damals" und „Geschichte. Historisches Magazin", die neben zum Teil sehr aufwendigen Bildreportagen aus allen Gebieten der Geschichte auch über den Nationalsozialismus berichten.
Auch im Ausland ist der Nationalsozialismus ein beliebtes Thema populärwissenschaftlicher Zeitschriften, wie eine zufällige Auswahl französischer Periodika dieses Genres vom Herbst 1978 dokumentiert. HISTORIA No. 384 (November 1978) enthält (bereits als zweite Fortsetzung) einen Bericht von Albert Zarca über „Les enfants des chefs nazis (Martin Bormann jr., Erwin Keitel, Klaus von Schirach)"; in HISTORAMA — Histoire pour tous, No. 324 (November 1978) untersucht C. -J. Ehrengardt die Frage „Pourquoi la Luftwaffe a-t-elle perdu la bataille d'Angleterre?" und eine Sondernummer dieses Periodikums ist der SA und der Waffen-SS gewidmet (Histoire pour tous, hors serie No. 9, No-vember/Dezember 1978). Les dossiers de l'histoire No. 16 (November/Dezember 1978) berichten über „Les sectes nazies" und Miroir de l'histoire No. special 306 bis (Oktober 1978) widmet ein ganzes Heft dem Kampf der Truppen des „freien Frankreich" gegen die deutschen Armeen nach dem Waffenstillstand vom Sommer 1940 („Les franais qui ignorerent l'armistice, 1940— 1942").
Wenn man davon ausgeht, daß Geschichtsbewußtsein nicht allein und vielleicht nicht einmal in erster Linie vom staatlich verordneten Geschichtsunterricht begründet oder vermittelt wird, sondern sich zu einem wohl nicht unbedeutenden Teil außerschulisch konstituiert dann wäre die Geschichtsdidaktik als jene Wissenschaft, die die Konstitution und Entwicklung von Geschichtsbewußtsein erforscht, dazu aufgerufen, die Wirkung der genannten Zeitschriftenprodukte auf die Schüler und auf die Leser in ihrer Gesamtheit zu untersuchen.
In der jüngsten Vergangenheit wurde verschiedentlich darauf hingewiesen, daß unsere Schüler zu wenig über den Nationalsozialismus wüßten, weil er in der Schule zu knapp oder überhaupt nicht behandelt würde. Wenn dieser Befund zutrifft, dann muß befürchtet werden, daß viele Schüler ihr Interesse am Nationalsozialismus oder ihre Neugierde hinsichtlich der Kriegsereignisse mit Hilfe solcher Hefte befriedigen — eine Befürchtung, die angesichts dessen, was dort an Fakten und Einsichten vermittelt wird, schaudern macht. Dies gilt auch dann, wenn man Boßmanns Sammlung von Schüleraussagen zu Hitler eher entdramatisieren möchte, weil derartige Äußerungen zu nahezu jedem anderen Thema aus dem Geschichtslehrplan gesammelt werden könnten
Im folgenden soll berichtet werden, was dem Leser aus den genannten Publikationen an Wissen über den Nationalsozialismus, die Per-son Hitlers und den Zweiten Weltkrieg vermittelt wird, welche Auswirkungen derartige Publikationen haben und welche Rückschlüsse von hieraus auf die Interessen der meist jugendlichen Leser gezogen werden können.
Was die Funktion dieser Zeitschriften und Hefte bei der Schaffung von Geschichtsbewußtsein angeht, können wir auf einige bedeutsame Vorarbeiten zurückgreifen Klaus F. Geiger hat in einer umfassenden und profunden Analyse die „Kriegsromanhefte in der BRD" untersucht, ohne indes eine ähnliche Resonanz erfahren zu haben wie das Büchlein von Boßmann, das den Vorteil intensiverer Verlagspropaganda genoß. Weniger gut bestellt ist es um die Erforschung der Zeitschrift „Das III. Reich" und der anderen Zeitschriften zur Geschichte. Publizierte Versuche, Kriegsromanhefte und Zeitschriften in den Geschichtsunterricht miteinzubeziehen, liegen bislang noch nicht vor obwohl doch gerade die kritische Auseinandersetzung mit ihnen im Geschichtsunterricht die geschilderten Sachverhalte in den korrekten Zusammenhang bringen und den in erster Linie auf bloßer Emotionalisierung basierenden Erfolg vor allem der Kriegsromanhefte unterlaufen könnten (auf Beispiele zur Einbeziehung dieser Literatursorte in den Deutschunterricht kann hier nicht eingegangen werden) Dies erscheint um so wichtiger, als die behauptete Funktion von Heftromanen, die Leser würden sich „hinauflesen" können — „Vom Heftroman über das Taschenbuch zu Spinoza" —, so nicht stimmt, kann man doch bereits beim „Hinauflesen" zum kritiklosen Anbeter nationalsozialistischer Tugenden und Leistungen geworden sein, noch bevor man bei Spinoza angekommen ist. Und die Lektüre sogenannter anspruchsvoller Bücher hat für sich genommen die Menschen noch nie dagegen gefeit, Verstöße gegen Recht und Sittlichkeit zu begehen oder zu tolerieren: Es darf angenommen werden, daß selbst extreme Nazis gelegentlich ein gutes Buch lasen und sich nicht nur an Blut-und-Boden-Literatur berauschten. Heftromane und Zeitschriften als Produkte der „Massenkultur" erwerben „sich ihren zweifelhaften Namen eben dadurch, daß ihr erweiterter Umsatz durch Anpassung an die Entspannungs-und Unterhaltungsbedürfnisse von Verbrauchergruppen mit relativ niedrigem Bildungsstandard erzielt wird, anstatt umgekehrt das erweiterte Publikum zu einer in ihrer Substanz unversehrten Kultur heranzubilden"
Wenn geschichtliche Darstellung mehr leisten soll als bloße Befriedigung oft reichlich diffuser Vergangenheitsbedürfnisse, wenn sie nicht nur bestätigendes Kopfnicken hervorrufen soll („Ja, so etwa ist es gewesen"), wenn sie darüber hinaus die Wiederkehr des Falschen vermeiden helfen soll, dann genügt es nicht, die Geschichte im Unterricht von Zeit zu Zeit den neuen Erkenntnissen der Geschichtswissenschaft anzupassen. Nicht die wissenschaftliche Präzisierung der politischen und militärischen Rolle Hitlers dürfte aus-schlaggebend dafür sein, daß Landser-Hefte und ähnliche Produkte ihren Einfluß auf Jugendliche verlieren; vielmehr muß der Geschichtsunterricht — auch durch Berücksichtigung der affektiven Bedürfnisse der Schüler — zu einem Geschichtsbewußtsein beitragen, das sich gegenüber den negativen Einflüssen (der Landser-Hefte und vergleichbarer Produkte versperrt. Denn sobald der Schüler im Geschichtsunterricht beziehungslose Geschichte erfährt, die ihm in den meisten Fällen noch dazu gänzlich entemotionalisiert und objekti-viert entgegengebracht wird, so daß dieser hinter den systematisierten und strukturierten Sachverhalten den handelnden und erleidenden Menschen nicht mehr zu erkennen vermag, dann ist den oft irrationalen historisierenden Alltagsangeboten Tür und Tor geöffnet. Eine Generation, der innerhalb und außerhalb des Geschichtsunterrichts — wenn überhaupt — „selbstgerechte Verharmlosungen oder gar nachträgliche Verklärungen" geboten werden verschafft sich die verleugnete Geschichte auch durch die Hintertür.
II. Landser-Hefte
Wenn im folgenden von Landser-Heften gesprochen wird, dann sind damit jene der inhaltlichen Gestaltung nach weitgehend identi-sehen, aber in vier verschiedenen Reihen teilweise wöchentlich, teilweise vierzehntäglich erscheinenden, mittlerweile die 100 Millionen Stückzahl übersteigenden Produkte des Pabel-Verlags gemeint: „Der Landser" (Klein-band), „Der Landser" (Großband), „Der Landser — Ritterkreuzträger", ferner die 1977 angelaufene neue Reihe „SOS — Schicksale deutscher Schiffe". Im Vergleich dazu hat es im Jahr 1958 zehn verschiedene Reihen der Spezies Kriegs-und Soldatenromane gegeben
Der Dokumentationsanspruch der Landser-Hefte Die Landser-Hefte erheben — verstärkt durch Titelblattaufmachung, beigefügte Photographien, Wiedergabe von technischen Einzelheiten verschiedener Wehrmachtswaffen, in seriösem Berichtston abgefaßten Lebensläufen bedeutender Soldaten (in.der Regel hohen Offizieren) und sonstigen Dokumentationen — den Anspruch, authentische Dokumente zum Zweiten Weltkrieg zu sein Diesem An-9) spruch wird dadurch Nachdruck verliehen, daß alle Hefte den Untertitel „Erlebnisberichte zur Geschichte des Zweiten Weltkriegs" tragen. Damit „soll die Wahrheit der Erzählungen durch den Charakter des Subjektiven, des tatsächlich Erlebten, gewährleistet sein, zum andern soll sich in ihnen — als Beiträgen zur Geschichte — auch objektiv Wahrheit ausdrükken" In die gleiche Richtung wirken sollen die gleich zu Beginn nahezu aller Hefte eingebrachten Fußnoten, in denen es im allgemeinen heißt: „Alle Namen, außer jenen von Persönlichkeiten der Zeitgeschichte, sind verändert oder frei gestaltet" (z. B. Der Landser, Nr. 1042, März 1978, S. 4), oder noch verstärkend: „Nachstehender Bericht beruht auf kriegsgeschichtlicher Wahrheit und stützt sich auf historisches Tatsachenmaterial. Alle vorkommenden Namen und Personen — außer der Geschichte angehörende Persönlichkeiten — sind frei erfunden" (Der Landser-Sammelband Nr. 205, 1. Teil, Mai 1977, S. 12). Gelegentlich — wie etwa bei dem erzählend gestalteten Lebensbild der Testpilotin Hanna Reitsch — wird sogar ein sogenannter „Quellennachweis" geführt (Der Landser, Nr. 205, 2. Teil, Mai 1977, S. 64), der einige Literaturangaben enthält.
Der Anstrich des Dokumentarischen bzw. Authentischen, den die Landser-Hefte sich in den letzten Jahren gaben, zielt wohl u. a. darauf ab, Indizierungen, wie sie in den sechziger Jahren vielfach vorkamen, möglichst vorzubeugen. In die gleiche Richtung weist die seit 1963 von den Romanheft-Verlagen praktizierte Selbstkontrolle, derzufolge eine Prüfung der Manuskripte vor der Drucklegung erfolgt, um Verstöße gegen die Jugendschutzbestimmungen zu vermeiden. Der Rück-gang der Indizierungsanträge, den der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit, Fred Zander, in einer Fragestunde des Bundestags vom 11. Dezember 1974 feststellt, wird u. a. mit dieser Selbstauflage der Romanheft-Verleger in Verbindung gebracht Angesichts des nachstehend ausgebreiteten Materials bleibt es aber fraglich, ob diese freiwillige Selbstkontrolle der Romanheft-Verlage ein wirksames Instrument darstellt, die Flut kriegsverherrlichender bzw. kriegsverharmlosender Schriften zur bremsen.
Kriegsrealität?
Wenn von der Vermutung ausgegangen wird, die Landser-Hefte könnten die Realität des Zweiten Weltkrieges und unter diesem Blickwinkel den Nationalsozialismus als gesellschaftliches Phänomen insgesamt unrichtig wiedergeben, so sind damit keineswegs in erster Linie sachliche Unrichtigkeiten der erwähnten Fakten gemeint, wenngleich wesentliche Fakten — wie etwa die Neutralität Belgiens und Hollands (Der Landser-Großband Nr. 453, S. 22 f.) — zwar am Rande erwähnt, nicht aber in ihrer völkerrechtlichen Konsequenz erfaßt werden, oder aber die Teilung Polens Ende September 1939 unausgesprochen bleibt (Der Landser, Nr. 1032, S. 25). Beginn von Feldzügen, beteiligte Truppenteile, Angriffs- bzw. Rückzugsrichtungen u. a. werden im allgemeinen richtig wiedergegeben. Ein falsches Bild der Kriegswirklichkeit entsteht aber dadurch, daß Geschehnisse, die auf dem Hintergrund des Krieges als Nebensächlichkeiten gewertet werden müssen, überdimensional herausgehoben werden. Hinzu kommt, daß nicht selten parallel zur Erzählhandlung eintretende Ereignisse der „großen Politik" unerwähnt bleiben, so etwa, wenn das mit den geschilderten Kriegsereignissen zeitgleich ablaufende Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944 unerwähnt bleibt Und wenn schon zentrale Ereignisse des Kriegsverlaufes genannt werden, wie etwa die Invasion vom 4. Juni 1944 in der Normandie (im Heft Bertold K. Jochim: Todesboten über Deutschland, Der Landser, Nr. 1042, März 1978, S. 41 f.) oder der Umsturz in Italien am 24. Juli 1943 (SOS — Schicksale deutscher Schiffe, Nr. 63, März 1978, S. 50), dann wird dieses Faktum nur auf die Klein-gruppe der in dieser Erzählung agierenden Personen bezogen:
Also war gestern der 5. Juni 1944 gewesen. Seufzend nahm er Vermögens Pelzstiefel unter den Arm und trollte sich zur Tür hinaus. Es war inzwischen acht Uhr geworden, und Vermögen, der immer noch im Genuß einer ärztlich verordneten Schonzeit stand, räkelte sich auf die andere Seite. Als er schließlich in der Absicht die Augen öffnete, auch wirklich aufzustehen, war es neun Uhr geworden.
Er hob gerade einen Fuß aus dem Bett, als die Tür aufgestoßen wurde und Paulchen Rohr atemlos ins Zimmer stürzte. „Mensch“, keuchte er, „die Amis sind in Nordfrankreich gelandet!" „Hä?" Vermögen schob sich ein paar Haare aus der Stirn und sah den Kameraden mißtrauisch an. „Wenn du mich verkohlen willst", sagte er, „dann ..." „Es ist so“, beharrte Paulchen, „sie sind wirklich gelandet!"
Vermögen starrte ihn fassungslos an. Rohr hätte sich beinahe neben den Stuhl gesetzt, über den er gerade seine Hinterpartie beugte. „Verdammich, das hat noch gefehlt.“ „Hör mal!" sagte Vermögen. Er hatte sich wieder auf sein Bett gesetzt. „Wie ist denn das möglich? Ich denke, in der Gegend steht ein Bunker neben dem anderen?" „Weiß der Teufel!", entgegnete Rohr kopfschüttelnd, „vielleicht sind sie dazwischen durchgekrochen. Diese Lulatsche bringen doch alles fertig." „So eine Scheiße!" Vermögen rauft immer noch in seinen wieder herangewachsenen Haaren herum. „Wenn es nur nicht mehr ist!" Der Feldwebel starrte auf den Boden. „Das gibt vielleicht was“, murmelte er dann, „wir sollen nämlich rüber“. „Was?" Vermögen fuhr in die Höhe. „Wir?“ „Allerdings", nickte der Kleine, „und zwar umgehend".
Vermögen setzte sich wieder. Er hatte die alarmierende Nachricht immer noch nicht richtig verdaut. Nordfrankreich! Eine Invasion der Alliierten. Sicherlich Scharen von amerikanischen und englischen Jägern, dazu natürlich die entsprechende Anzahl von Bombern. Und dann natürlich wieder reiner Jäger-kampf.
Er schüttelte den Kopf und sah den Kameraden an. „Möglicherweise kann das noch 'ne größere Hölle für uns geben als hier“, sagte er wie zu sich selbst.
„So was hab'ich mir auch schon gedacht“, nickte Paulchen Rohr, stand auf und ging auf seinen leicht gekrümmten Beinen aus der Bude. (Bertold K. Jochim, Todesboten über Deutschland, Der Landser, Nr. 1042, März 1978, S. 41 f.)
Die Zerstückelung der Zusammenhänge Man vermißt allgemein in den Heften jeden Hinweis auf mögliche Auswirkungen auf das Gesamtkriegsgeschehen; keine der handelnden Personen scheint über den unmittelbaren Bereich seiner eigenen Zuständigkeit und Kompetenz hinauszublicken. Suggeriert wird damit ein bloß begrenztes Verständnis der Soldaten nur für den Einzelfall. Wer aber größere Zusammenhänge nicht erkennt, kann dafür auch nicht verantwortlich gemacht werden. Die Landser-Hefte tragen damit vorsätzlich zur nachträglichen . Rationalisierung'möglicherweise aufgetretener Schuldkomplexe einzelner Weltkriegsteilnehmer bei, indem sie diese in ihrer selbstlegitimatorischen Argumentation bestärken, eben über die Konsequenzen ihres Tuns nicht nachgedacht zu haben, weil ihnen höhere Einsichten weitgehend verschlossen blieben.
Die in den Landser-Heften betriebene Zerstückelung des Kriegsgeschehens in individuelle Handlungseinheiten enthebt die Heft-Autoren der Notwendigkeit, Zusammenhänge zwischen individuellem Erleben und militärischen bzw. politischen Abläufen darzustellen und Fragen nach der Verursachung des Krieges überhaupt wie auch einzelner Entscheidungen und Maßnahmen zu stellen. Der Krieg wird fatalistisch als gegeben hingenommen; er ist jeweils nur im Rahmen der Lebensgeschichte jeder Personengruppe greifbar, die in dem betreffenden Landser-Hefte auftritt. „Kriege werden geführt, solange Völker leben" Auch die Ursachen für die Eskalation des Krieges bleiben unerwähnt. So heißt es etwa im redaktionellen Vorwort zum Landser-Heft „Todesboten über Deutschland": „ 1943/44 war die Zeit gekommen, wo der Himmel über Deutschland nachts vom Dröhnen britischen Bomberflotten erfüllt war, und im Licht des Tages vollendeten amerikanische , Fliegende Festungen das gnadenlose Vernichtungswerk“ (Der Landser, Nr. 1042, S. 3). *
Und wo sich die Erwähnung der Urheber des Krieges nicht umgehen läßt, werden — wie das folgende Beispiel zeigt — syntaktische Tricks und bewußte Verfälschungen angewandt: „Als am 3. September 1939 (!) durch die Kriegserklärungen Frankreichs und Großbritanniens wegen des deutschen Einmarsches in Polen der Zweite Weltkrieg ausbrach ..." (Der Landser-Sammelband Nr. 205, 1. Teil, Mai 1977, S. 12).
Für einen Schüler, dem die tieferen Kriegsursachen und der Kriegsbeginn im Unterricht nicht vermittelt wurden und dem die auf kriegerische Konfrontation bzw. auf Hegemonie abzielende Politik des Nationalsozialismus nicht bekannt ist, stellt sich hier der Kriegsausbruch als ein von Frankreich und Großbritannien gemeinsam zu verantwortender völkerrechtlicher Akt dar. Daß mit der verhüllenden Umschreibung „deutscher Einmarsch in Polen" eigentlich eine Aggression bezeichnet wird, die unmittelbar den Krieg auslöste, wird an keiner Stelle erwähnt (übrigens auch nicht gelegentlich der Schilderung des Kampfes um den polnischen Stützpunkt Westerplatte [Der Landser, Nr. 1032, Januar 1978, S. 4 ff. ]). Indem Ursachen und Anlässe des Krieges oder einzelner Kriegsaktionen weitgehend verschleiert bleiben („Und dann kam der Regimentsbefehl durch. Angriff 3. 50 Uhr auf ganzer Breite der Front. Die ersten feindlichen Stellungen sind zu nehmen und in das gegnerische Hauptkampffeld einzubrechen" [Der Landser, Nr. 1046, April 1978, S. 31; vgl. auch die Schilderung des Kriegsbeginns mit Frankreich; Der Landser-Großband, Nr. 453, Februar 1978, S. 11]) und die Handlung sich selten über Regimentsebene hinaus bewegt („Wie es im großen und ganzen um die Kriegsgeschehnisse und die Fronten aussah, wußten wir kaum", SOS, Nr. 63, S. 18), erhält der Leser den Eindruck, der Krieg habe sich in Form von Einzelaktionen kleinerer Soldatengruppen abgespielt.
Der Sinn des Krieges, sofern es einen solchen überhaupt je gab, bleibt dem Leser genauso verschlossen wie die Hintergründe einzelner Kampfhandlungen im Rahmen taktischer oder strategischer Überlegungen. Und selbst für die Zeit nach dem Krieg verschleiert der Heftchen-Text die Tatsache, daß die meisten Landser als Verführte bzw. Verblendete in den Krieg gezogen sind:
Langsam stand er auf und wandte sich um. „Und jetzt?“ „Ich weiß es nicht!“ Niemand wußte es. Sie wußten es erst, als sie eines Tages in einer endlosen Kolonne über die Landstraßen Bayerns auf den großen Drahtkä- fig zulieien, den die Sieger für sie gebaut hatten. Da wußten sie es, obwohl sie es immer noch nicht glauben wollten. All die Tausende von Stunden Krieg, Opfer, Verzicht, Treue und Hingabe sollten umsonst gewesen sein? All die Schmerzensnächte in den Lazaretten, all die Millionen von toten Kameraden? Wofür waren sie dann eigentlich gestorben? Wofür waren sie mit neunzehn, zwanzig, dreißig, vierzig oder noch mehr Jahren irgendwo für immer geblieben?" (Der Landser, Nr. 1042, März 1978, S. 64). „Ich will es ihnen sagen, Schütz“, sagte darauf der Major. „Der Krieg ist ein Naturphänomen, ein Ungeheuer. Er verwüstet periodisch immer wieder ganze Länder, manchmal sogar Erdteile.
Die Menschen, die ihn anzetteln und führen, sind nur Werkzeuge dieser Molochs. Weiter nichts. Und was spielen wir Soldaten für eine Rolle? werden sie nun fragen. Ich werde ihnen auch das sagen, Schütz. Wir Soldaten bekämpfen dieses Ungeheuer und treiben es wieder in sein Loch zurück" (Der Landser, Nr. 610, S. 37
Wenn der Krieg — wie gezeigt — als Naturgesetz hingenommen wird, dessen Vermeidung kaum möglich erscheint, dann muß das Schicksal als ausschlaggebend für den Ausgang einzelner Kampfhandlungen wie des gesamten Krieges, aber auch für das überleben einzelner Soldaten in Anspruch genommen werden. Die Mystifizierung des Krieges (das „grausige Gesetz des Krieges", die „Geißel" Krieg), in dem irrationales Schicksalswalten an die Stelle bewußter Sachentscheidungen verantwortlicher Politiker und Militärs tritt und dafür „verantwortlich" gemacht wird, daß Ereignisse so und nicht anders eintraten, diese Mystifizierung des Krieges enthebt die Landser-Heft-Autoren der Notwendigkeit, ökonomische und politische Ursachen des Krieges zu benennen.
Wäre er (ein britischer Geleitzug, G. S.) von den deutschen Schlachtschiffen gefaßt worden, so hätten 10 000 britische Soldaten eine Katastrophe erlebt. Aber das Schicksal hatte es anders beschlossen — glücklicherweise (Der Landser-Sammelband Nr. 205, Juni 1977, Teil I, S. 2618). Der liebe Gott scheint uns wohl noch nicht haben zu wollen. Er hielt seinen Daumen dazwischen, so daß uns nichts passierte, soviel die Engländer sich auch anstrengten (SOS, Nr. 63, S. 11).
Da aber Fragen nach der Kriegsursache, den Kriegszielen und der Kriegsschuld weitgehend ausgeklammert werden, erscheint es den Autoren auch nicht notwendig, die Rolle Hitlers, wie die des NS-Staats-bzw. Parteiapparats genauer darzustellen. Wenn Hitler erwähnt wird, dann meist als militärischer Befehlshaber (vgl. etwa Der Landser, Nr. 1046, S. 5; ferner Der Landser, Nr. 1032, S. 42: „Hitler befaßte sich damals bereits mit dem Feldzug gegen den Bolschewismus und die Sowjetunion, dem Unternehmen . Barbarossa oder implizit als Veranlasser einer der angeführten Führerbefehle. Sogenannte hundertfünfzigprozentige Nazis kommen in den Heften nur selten vor; wenn sie aber handelnd auftreten, sind sie — zur Verstärkung des Kontrastes zum Militär — meist negativ überzeichnet, und das, was sie im Geiste des Nationalsozialismus sagen, strotz nicht selten von reichlicher Borniertheit (typisch hierfür die Gestalt des Soldaten Richter im Landser-Heft Nr. 1046, etwa S. 8 f., S. 29). Politik und Militär bleiben fein säuberlich getrennt, eine Taktik, die mithelfen soll, die in der Nachkriegszeit vielfach aufgetauchte Behauptung von der unpolitischen Wehrmacht und den unpolitischen Militärs zu unterstützen
Die Soldaten an der Front aber . .. hatten andere Sorgen. Bei ihnen ging es nicht um die damalige Politik, sondern um ihre Aufgabe im befohlenen Kampf (Der Landser, Nr. 1032, S. 10).
In den untersuchten Landser-Heften findet sich nicht die leiseste Andeutung hinsichtlich der terroristischen Potenz des NS-Regimes: kein Wort von Konzentrationslagern, keine Erwähnung der SS (außer der Waffen-SS) oder der Gestapo. Indem diese Fakten verschwiegen werden und gleichzeitig die Fairneß deutscher Soldaten betont („Gegner schweigt! Ist niedergekämpft! Halt, Batterie halt! Wollen die Leute retten"; Der Landser-Sammelband Nr. 205, Teil I, S. 15), und die Humanität des deutschen Sanitätspersonals gegenüber verwundeten Feinden herausgestellt wird (vgl. Der Landser, Nr. 1046, S. 45), kann das Bild vom deutschen Soldaten im Krieg reingehalten werden. Hitler als eine selten präsente, in wichtigen Situationen gleichwohl irgendwo über allem dräuende und quasi letztinstanzlich entscheidende Person erhält damit die Aura des Entrückten und Unerreichbaren. Wenn an Hitler Kritik ge-übt wird, dann meist insofern, als „er den Krieg — dessen Berechtigung nicht diskutiert wird, dessen Charakter als (nunmehr verlorengehender) Angriffskrieg nicht erwähnt wird — nicht in der besten denkbaren Weise .... führt" Und wenn schon einmal ein Hitler-Gegner genauer gezeichnet wird, dann bleibt er auf die Frage, warum er eigentlich dagegen sei, stumm: „Warum bist du eigentlich dagegen?', fragte Richter ... . Lange Gesichter', war die lakonische Antwort. „Aber ich bin's eben. Lassen wir es dabei, bis wir einmal Zeit dafür haben" (Der Landser, Nr. 1046, S. 29).
Der Krieg als Bewährungsprobe In diesen Zusammenhang gehört auch die in den Landser-Heften sowie in ihrem Magazin-Teil mit Systematik betriebene Reinwaschung der Waffen-SS Dies gelingt vor allem dadurch, daß Einheiten der Waffen-SS und einzelne ihrer Mitglieder so dargestellt werden, als seien sie fester Teil der Wehrmacht, von deren Integrität sie profitieren sollen. Eine „Spitzenleistung" auf diesem Gebiet ist die Mohrenwäsche des Generalobersten Sepp Dietrich (Der Landser-Sammelband Nr. 205, Teil II, S. 65— 71; Verfasser Dr. Gerd F. Heuer). Ganz unverhüllt wird die Karriere Sepp Dietrichs vom Landarbeiter zum General und Kommandeur der „Leibstandarte SS Adolf Hitler" auf seine Beteiligung an der „Hitler-Bewegung" zurückgeführt. Zunächst Angehöriger des „Freikorps Oberland" (genau wie der im Landser-Großband Nr. 352 vorgestellte „Schwertträger" Fritz von Scholz), dann kurzzeitig bei der Bayerischen Landespolizei, nahm er als Mitglied des „Bundes Oberland e. V." am „Hitler-Putsch" vom 9. November 1923 teil, um 1928 eine der ersten SS-Formationen im Deutschen Reich aufzustellen, mit der er Hitler während der sog.
„Kampfzeit" auf nahezu allen seinen Reisen begleitete. Nach den Reichstagswahlen vom 14. September 1930 rückte er als Mitglied der NSDAP-Fraktion in den Deutschen Reichstag ein. In seiner Eigenschaft als Leibstandartenkommandeur war er auch in die Vorgänge um den „Röhm-Putsch" verwickelt: „Wie die Prätorianer, die Leibwachen der römischen Imperatoren, befolgten die Männer der , Leib-standarte'und ihr Kommandeur bedingungslos die Befehle Hitlers. So auch, als es darum ging, während des sogenannten , Röhm-Putsches'vom 30. Juni 1934 in Berlin und München die Erschießungskommandos zu stellen, denen damals laut offiziellen Listen mindestens 83 Personen — Schuldige, angeblich Schuldige, Verdächtige und Verwechselte oder einfach Mißliebige — zum Opfer fielen" (S. 68). Nicht die Tatsache, daß das Leben Sepp Dietrichs diesen Gang nahm, ist in erster Linie beängstigend. Viel gefährlicher ist es, daß hier ein Mann („Idol seiner Soldaten") der heutigen Jugend offensichtlich als Held und Identifikationsfigur vorgestellt wird, als dessen vorzüglichste Charaktereigenschaft die bedingungslose Befehlsausführung galt und der als Mann der ersten Stunde am Aufbau des verbrecherischen NS-Regimes maßgeblich beteiligt war. Der Verfasser dieser Kurzbiographie flicht diesem Mann, den William L. Shirer „als einen der brutalsten des Dritten Reichs in persönlicher Erinnerung hat" einen wahren Ruhmeskranz, bar jeder Spur von Kritik
Die in manchen Heften recht zahlreichen Bekundungen der Ausweglosigkeit und Ohnmacht sind notwendig, um der Durchhaltemoral deutscher Soldaten jenen heroischen Anstrich zu geben, der den heutigen Leser zur Identifikation auffordert:
In den Gedanken der Männer, die sich immer wieder der Übermacht entgegenstemmten, war in diesen Tagen etwas, dessen sie sich kaum mehr erwehren vermochten: die Erkenntnis ihrer Ohnmacht diesem endlosen Strom gegenüber, dem sie auch jetzt wieder entgegenflogen. Gewiß, keiner wußte auch nur ungefähr, wie viele es wieder sein würden! ünd es interessierte sie vielleicht auch nicht mehr. Wozu auch? (Der Landser, Nr. 1042, S. 28).
Es waren Hunderte von Flugzeugleibern, die, bombenbeladen und waffenstarrend, sich ih- rem Ziel entgegenwälzten. Und keiner konnte den Fluß unterbrechen. Keiner! Wäre in dieser Situation etwas nähergelegen als die Frage: Warum noch? Aber sie blieb unausgesprochen (Ebd.), Der Blick des Oberfeldwebels wanderte zum Himmel hinaus. Wie sollte es weitergehen? Würde eines Tages nicht alles umsonst gewesen sein? (Ebd., S. 43).
Im Kasino aßen sie ein passables Abendbrot. Die Unterhaltung, die dabei an allen Tischen geführt wurde, war ziemlich laut. Und überall dasselbe Thema: Was wird sein? (Ebd., S. 44). „Wenn ich mir diesen Einsatz nachträglich überlege, könnte ich verrückt werden!" — “ Warum?“ fragten der Hauptmann und der Doktor fast zur gleichen Zeit. „Weil — weil ein solcher Einsatz bei hellem Tageslicht und einer solchen Abwehr von vornherein Wahnsinn ist" (Ebd., S. 60).
Er dachte nicht daran, wie jetzt alles weitergehen würde (Ebd., S. 63). „Also vergebliches Anrennen, Herr Oberst?" Schraders Stimme war heiser und leise .. . „Nein, Schrader, das ist ja der Wahnsinn! Kein vergebliches Anrennen. Sie werden es schaffen ... Blutend, verdreckt, ausgepumpt, halbtod vor Erschöpfung werden sie die stärkste Festung der Welt stürmen. Verstehen sie den Wahnsinn, Schrader? Sie werden trotzdem siegen — aber unter welchen Opfern. Es ist zum Verrücktwerden!" (Der Landser, Nr. 1046, S. 6; ähnlich S. 38).
Was ist es, das diese Soldaten immer wieder in die Schlacht ziehen läßt, obwohl sie die Sinnlosigkeit und Vergeblichkeit ihres Tuns längst erkannt haben? Ist es die Hoffnung auf eine glückliche Wende, auf geheime Wunder-waffen, auf den Endsieg und die Zeit danach? Ist es der Gedanke,. das Vaterland zu verteidigen, gegebene Befehle zu befolgen, sozusagen Pflichterfüllung bis zum Letzten, seinem Eid zu genügen, die Heimat vor dem Zugriff der Feinde zu retten? Konkrete Antworten auf solche Fragen sind kaum zu finden, am ehesten noch Hinweise auf den nackten Befehls-gehorsam. „Jetzt bist du in Rußland“, sagte Fiebig hart. „Und du machst mit, ob du willst oder nicht, so wie die Jungens und wir alle“ (Der Landser, Nr. 1046, S. 30).
Nach menschlichem Ermessen hatte Stalin recht. Er hatte nur einen einzigen Faktor übersehen, einen entscheidenden Faktor: den deutschen Landser da vorn, bereit zum Sprung. Den Landser, der zu dieser Zeit schon längst nicht mehr an das glaubte, was ihm die anderen da hinten in den braunen Uniformen der Partei vorpredigten. Und der trotzdem stürmen würde in ein paar Minuten. Weil er ganz einfach das tat, was ihm befohlen wurde.
Und wieder sah sie der Oberst vor sich, die hageren Gesichter unter den grauen Stahlhelmen. Soldaten, dachte der Oberst. Nichts als Soldaten, die ärmsten, betrogensten, prächtigsten Soldaten, die es nur immer geben kann (Ebd., S. 32).
Sie alle wußten, ähnlich wie ihre Kameraden in der Cherbourg-Schlacht, daß es ein Kampf ohne Hoffnung war. Am Ende würde die Niederlage stehen. Trotzdem taten sie dort ihre Pflicht, wohin sie der Krieg verschlagen hatte (Der Landser, Nr. 1032, S. 59).
Wie mag dies auf Schüler wirken, diese Pflichterfüllung, deren Sinn nicht (mehr) erkannt wird, dieser Kadavergehorsam, diese Willfährigkeit gegenüber sinnlosen und von den Befehlenden auch als sinnlos erkannten Befehlen? Kein Wort über die Gründe, die diese Soldaten immer wieder kämpfen läßt, die Offiziere militärische Aktionen von nur noch fragwürdiger Bedeutung befehlen läßt. Ging es wirklich um das nackte Leben der beteiligten Soldaten, wenn Festungen gestürmt werden sollten?
Aber was er fand, das waren Männer, die alles andere als begeistert waren und entweder still und ruhig oder auch oft genug laut schimpfend das taten, was sie tun mußten. Die kämpften, weil es um ihr eigenes Leben ging (Der Landser, Nr. 1046, S. 23).
Je sinnloser die deutschen Abwehrmaßnahmen gegen alliierte Bomber-Pulks werden, desto heroischer erscheint der Einsatz jedes einzelnen deutschen Jagdfliegers, der seinen zeitweise auftretenden Kleinmut besiegt und sich unbeugsam einer Übermacht von Feinden entgegenwirft. Dabei gelingt es, selbst in der Niederlage des Ganzen, immer wieder individuelle Siege davonzutragen
Welche Tugenden derartige Soldaten haben mußten, geht am deutlichsten aus den Prädikaten hervor, die in den Kurzviten bedeutender Truppenführer immer wieder bemüht werden. Während es in der Lebensbeschreibung des Generaladmirals Conrad Albrecht heißt, er sei „ein Vorbild an kameradschaftlicher Hilfsbereitschaft" gewesen und habe sich „mit viel menschlichem Verständnis für die Sorgen und Nöte seiner ehemaligen Kameraden einge-setzt" (Der Landser-Sammelband Nr. 205 Teil I, S. 66), benötigt der Verfasser der Kurz-biographie Sepp Dietrichs (s. hierzu weiter oben) für die Beschreibung seiner Soldaten-tugenden ein wahres Arsenal affektiv besetzter Eigenschaftswörter: soldatisch, populär, urtümlich, tapfer, tüchtig, urwüchsig, ehrlich, vorbildlich war Sepp Dietrich, während die Soldaten der von ihm befehligten „Leibstandarte Adolf Hitler" „für ihn durchs Feuer gingen und ihm auch nach dem Krieg die Treue hielten", seine Einheit im übrigen eine „tapfere, einsatzfreudige Formation" war, „auf die sich die höhere Führung ebenso wie die Kameraden vom Heer stets verlassen konnten" (Der Landser-Sammelband Nr. 205, Teil II, S. 65— 71).
Desillusionierung durch Landser-Hefte? Kriegsgeschichtliche Werke schildern den Verlauf großer Schlachten in summarischer Form, der LANDSER jedoch die Details und die endlose Skala der Schrecken, die jeder Krieg mit sich bringt. Dadurch formt sich seine stumme Anklage gegen kriegerische Gewalt in jeglicher Form (Anzeigen für die Landser-Hefte in SOS — Schicksale deutscher Schiffe, Nr. 63, S. 63).
Der nachfolgende Bericht zeichnet nicht nur die Schrecknisse und die Unerbittlichkeit, mit der diese Kämpfe geführt wurden, auf, er ist auch gleichzeitig eine leidenschaftliche Anklage gegen den Wahnwitz des Krieges (Der Landser, Nr. 1046, S. 3).
Das vorgebliche Hauptanliegen der Landser-Hefte, die Darstellung der ungeschminkten Realität des Zweiten Weltkriegs mit dem Ziel, zur Desillusionierung des Krieges beizutragen, wird in der genannten Werbeaussage deutlich herausgestellt. Bei genauerer Analyse zeigt sich jedoch, daß die Darstellung des Grauens in den Landser-Heften einen viel zu bescheidenen Raum einnimmt, um beim Leser tatsäch-lieh eine Desillusionierung zu bewirken 24a). Der Absturz des Flugzeugführers Paulchen Rohr (nach Aussage des Heftchen-Autors die „Rekonstruktion eines Geschehnisablaufes, wie er sich in der Wirklichkeit abgespielt haben mochte" [Der Landser, Nr. 1042, S. 53, Anm. ]) gerinnt in der Darstellung des Landser-Heftes zu einem pathetischen Schauspiel zwischen Himmel und Erde:
Plötzlich lichtete sich die schwarze Wand, und Tausende von Metern weiter unten standen die grauen Konturen der Schiffe. Mit einem festen Griff drückte der Feldwebel den Knüppel noch ein Stück nach vorn. Der Leuchtkreis des Visiers zeigte jetzt genau auf das Heckteil eines Schiffes, von dem Rohr kurz den Eindruck hatte, daß es ein Kreuzer sei. Er sah immer nur dieses graue, ruhig daliegende Oval.
Dann auf einmal erstarrte er unter einem donnerähnlichen Schlag, der irgendwo vom Leitwerk der Maschine zu ihm hinvibrierte. Immer noch sang der Motor in seinem hellen Ton, aber Rohr wußte, daß er getroffen war.
Seine Augen wurden groß und starr, als er plötzlich den Steuerknüppel bis an den hinteren Anschlag ziehen konnte, ohne daß die Ruder im geringsten reagierten. Sein ganzer Körper war mit einem Schlag in Schweiß gebadet, und seine Augen hetzten über die Zeiger am Armaturenbrett. Die Nadel des Tachometers ruckte über die 900-km/h-Anzeige und an den kleinen Begrenzungsstift des Anschlags.
Die Motorpartie der Maschine zeigte immer noch auf die graue Wand des Schiffes. Durch das Hirn des Feldwebels flogen tausend Gedanken, und nicht zuletzt der: Es ist aus! In seinem Unterbewußtsein schwelte die Erkenntnis, daß es bei diesem Sturzwinkel unmöglich war, noch mit dem Fallschirm abzuspringen. Der Schweiß floß ihm jetzt so stark über die Stirn, daß er kaum mehr sehen konnte. Er wischte mit dem Ärmel der Lederjacke darüber und blinzelte dann über den Rand des Motors. Der Atem schien nicht mehr zu funktionieren. Alles in ihm schien stillzustehen. Blitzartig zogen noch einmal Bilder aus seinem Leben an ihm vorbei. Er dachte an die Mutter, an das Mädchen, dem er Briefe schrieb, an Vermögen, an den , Alten', und bei all dem war es ihm, als ob er nur träume.
Doch er träumte bei einem Sturz von nahezu tausend Kilometern Geschwindigkeit. Auf einmal sah er die Geschütztürme des Kreuzers so deutlich vor sich, als ob er mit der Hand danach greifen könnte. Er sah Männer in wilder Hast herumrennen, und erst in jenem Augenblick, als ihm das Oberdeck des Schiffes riesengroß vor das Gesicht wuchs, ballte sich sein Entsetzen vor dem letzten Augenblick in einen Schrei (Der Landser, Nr. 1042, S. 52 f.).
Verluste, Ausfälle durch Tod oder Verwundung werden in solchen Szenen dadurch für den Leser erträglich gemacht, daß sie gleichsam bilanziert aufgeführt und damit verharmlost werden:
Als der Kommandeur den Verband in der Höhe von Alengon sammelte, waren es noch sieben Maschinen, die mit ihm nach Rennes zurückflogen (Ebd., S. 53). „Angriff abgewiesen. Starke russische Verluste, schätzungsweise zwei-bis dreihundert Tote und Verwundete. Eigene Verluste hoch, genaue Zahlen kommen gleich“ (Der Landser, Nr. 1046, S. 20).
Die Verluste werden dadurch verschleiert, daß die Anzahl der abfliegenden Maschinen unerwähnt bleibt bzw. die angekündigte Verlustmeldung einfach unterschlagen wird. Doch auch dort, wo genauere Angaben gemacht werden, bewirkt die entpersönlichte Form der Bilanzierung keinen Schrecken:
Von den dreißig Maschinen, mit denen der Verband am Morgen gestartet war, kehrten am späten Nachmittag genau achtzehn auf den Heimatflughafen zurück. Fünf Flugzeugführer waren in Hildesheim geblieben, wo Beschußschäden an ihren Flugzeugen ausgebessert wurden. Daneben fehlten außer dem abgeschossenen Staffelkapitän der ersten Staffel von der zweiten und dritten Staffel noch fünf Maschinen (Der Landser, Nr. 1042, S. 22 f.).
Die schwerste Wirkung hinterließ der Treffer in den Vormars, den Artillerieleitstand. Durch ihn wurden 6 Mann getötet und 11 verwundet. Unter den Toten befand sich auch der Erste Artillerieoffizier, Fregattenkapitän von Buchka (Der Landser-Sammelband Nr. 205, Teil I, S. 20 f. — Man beachte die bewußte Heraushebung des Offiziers aus der Zahl der Toten).
Vielleicht ist es kein bloßer Zufall, daß die einzige realistische Schilderung des Todes eines Soldaten (in dem Landser-Heft 1042) abgehoben erscheint vom eigentlichen Kriegs-geschehen. Mitgefühl stellt sich ein einen für Verwundeten, fast möchte man sagen: für einen Kranken:
Vermögen und der Doktor starrten entsetzt auf den wie leblos daliegenden Körper. Es daperte lange, bis der Arzt sich schließlich hochrappelte und die Soldaten fragte, wie das eigentlich passiert sei.
Sie wüßten es nicht, sagten sie, sie wollten gerade zum Gefechtsstand, da hätten sie ihn am Rand des Granattrichters im Hol gefunden. Sie senkten die Augen, während sie diese Auskunft gaben, und wischten dabei das Blut an ihren Hosen ab. „Großer Gott", sagte der Doktor. Er nahm die Kerze vom Tisch und stellte sie auf den Boden. Dann beugte er sich über den Körper des Hauptmanns und nestelte in Bauchhöhe an den Kleiderfetzen herum.
Seine Hand zuckte zurück, als ihm plötzlich Gedärme entgegenquollen. Gleich darauf schoß ein Blutstrahl in die Höhe. Auf dem Gesicht des Arztes standen Schweißtropfen. Er wischte sich über die Stirn und hinterließ dabei einen breiten Streifen Blutes. „Was ist, Doktor", ächzte der Hauptmann. Er war bei voller Besinnung. Seine Augenlider waren nur halb geöffnet. Er mußte furchtbare Schmerzen haben, aber er erduldete sie. Nicht einmal ein Stöhnen kam mehr über seine Lippen. „Wasser!" lispelte er nach einer Weile. „Wasser!"
Nein, wollte der Doktor sagen. Sie dürfen nichts trinken, Aber dann sah er nach den Soldaten und gab ihnen einen Wink. Einer kam mit einem Trinkbecher voll Wasser zurück. Sie setzen es dorthin, wo in dem blutverschmierten Gesicht die Lippen sein mußten. Der Todgeweihte trank in hastigen Zügen. Als der Becher schon halb geleert war, erfolgte ein schwerer Hustenanfall. Das Blut schoß in Strömen aus den Wunden.
Die Soldaten standen dabei und starrten mit vor Schreck geweiteten Augen auf diesen grausig zugerichteten menschlichen Leib. Fast konnten sie sich nicht mehr vorstellen, daß dies kurz vorher noch ihr Chef gewesen sein sollte. Auch Vermögens Blick lag entsetzt auf dem zuckenden Körper.
Sekunden später fiel der Kopf des Hauptmanns zur Seite. Er war tot (Der Landser, Nr. 1042, S. 61 f.).
Gegensatz diesem Im zu Beispiel wird bei der Darstellung des Gegners die Realität des Krieges häufig abgehoben von den beteiligten Menschen und der irdischen Sphäre entrückt als bloße Auseinandersetzung der Waffensysteme bzw. außerweltlicher Instanzen dargestellt.
Das stärkste Artilleriefeuer, das bis dahin jemals einen Angriff vorbereitet hatte, raste heulend in die Nacht hinauf, überschrie sich im grellen Diskant, orgelte und fauchte, rauschte und jaulte, als wollte die Hölle gen Himmel fahren (Der Landser, Nr. 1046, Nr. 25).
Die Erde wankte und der Himmel schrie und die Hölle hatte ihre Tore geöffnet (Ebd., S. 26).
Erst sah es so aus, als wäre der Russe von dieser Hölle, die da über ihn hereinbrach, völlig überrascht ... (ebd.).
Der Krieg grölte seinen Triumph in den zerrissenen Himmel hinauf. Das hier war seine Stunde. Seine und die seines Bruders, des Todes (ebd., S. 35). Krieg als Abenteuer und Idylle Spannung kommt in den Heften immer dann auf, wenn der Leser sich bei der Lektüre unwillkürlich die Frage stellt, ob das Unternehmen klappen wird, gesteckte Ziele erreicht, Zweikämpfe siegreich bestanden, Geländegewinne erzielt, Luftduelle gewonnen, Späh-und Stoßtrupps erfolgreich durchgeführt werden. „Diese Techniken der Spannungserzeugung verstärken die Identifikation des Lesers mit dem Handelnden, sie zwingen ihm den Wunsch auf, das jeweilige Ziel der Aktion möge erreicht werden, sie erzeugen atemloses, undistanziertes Miterleben — d. h. sie bereiten Genuß, keineswegs schrecken sie ab." Hinzu kommt, daß die auf ein Minimum reduzierte Leseschwierigkeit der kurzen „action-Sätze" Besinnungspausen zur Reflexion des Gelesenen kaum zulassen, noch erscheinen sie notwendig. Bedenkliche Formulierungen werden konsumiert, ohne daß die inhaltliche Aussage in all ihren Dimensionen wahrgenommen wird. Der bedenkliche Text geht unkontrolliert über in das Langzeit-Gedächtnis
Landserhumor, Urlaubs-bzw. Etappenerlebnisse, schnoddrige Redensarten angesichts der drohenden Gefahren und Landsererotik bestärken die Leser in der Vorstellung, daß der Krieg so schlimm wohl nicht gewesen sein konnte
All diesen Gestaltungstechniken gemeinsam ist die Absicht, von der vom Krieg ausgehenden Bedrohung abzulenken, sie zu verharmlosen, das Grauen zu neutralisieren. Das vorgebliche Ziel der Landser-Hefte, über die Darstellung und Schilderungen der Kriegs-schrecknisse eine desillusionierende, ja pazi-fizierende Wirkung auf den Leser auszuüben, erweist sich als Schutzbehauptung Die angeblich authentischen „Erlebnisberichte zur Geschichte des Zweiten Weltkrieges" begünstigen statt dessen Vorstellungen von einer Zeit, in der „allerhand los war" und zusammen mit Kameraden in fremden Ländern viel erlebt werden konnte (vgl. etwa die Schilderungen in dem SOS-Band Nr. 63, S. 4 bis 7, 10, 23 f., 39, 42, 60). Der Einsatz im Krieg ist die hervorragende Bewährungsprobe für heldische Tugenden und Fähigkeiten schlechthin.
Das wahre Antlitz des Krieges erscheint geschminkt, die Realität geschönt und verharmlost.
Auswirkungen der Landser-Heft-Lektüre auf die Leser Auch wenn manche Episoden einzelner Landser-Hefte aus der Sicht des militärischen Gegners geschrieben sind (vgl. etwa Der Landser-Sammelband Nr. 205, Teil I, S. 15, 16 f., 37, 39 f., 47 ff., wo die Konfrontation deutscher Schlachtschiffe mit englischen Verbänden teilweise auch aus englischer Sicht beschrieben wird), wird dem Leser doch im weit überwiegenden Teil der Hefte das Kriegsgeschehen aus deutscher Sicht geschildert. „Die Identifikationsgrundlage bildet also weitgehend die gleiche Nationalität von Hauptfiguren und Lesern." Nur die deutschen Soldaten sind es, die in den Erzählungen genauere, auch persönlichere Konturen bekommen, sei es, daß ihre Marotten hervorgehoben werden, sei es daß man sie als Träger besonderer soldatischer Tugenden charakterisiert. Werden ausländische Soldaten mit Namen und individuellen Zügen versehen, so sind es in überwiegendem Maße Personen der Kriegsgeschichte oder fiktive höhere Offiziere. Ansonsten aber sind es namenlose Gestalten, meist in anonymen Gruppen versammelt, oder aber der Feind begegnet den deutschen Soldaten überhaupt nur als Kriegsmaterial, als Sache, die zu bekämpfen leichter fällt, als wenn es sich um Personen handeln würde.
Es waren etwa dreißig Mustangs mit grellroten Luftschraubennaben, die Sekunden später durch die Abwehrkreise der einzelnen Staffeln stießen (Der Landser, Nr. 1042, S. 6).
Denn kaum hatte Vermögen die Maschine in eine leichte Linkskurve gelegt, als er aus großer Überhöhung mindestens ein Dutzend Lightnings heranschießen sah, die aus allen Rohren feuerten (Ebd., S. 20).
Da ist ein Gefechtsmast über der Kimm. Entfernung 265 Hundert. Gehört zu einem Schlachtschiff. Anscheinend , Ramillies'. Das war ein Schiff von rund 30 000 Tonnen Wasserverdrängung mit acht 38, 1 cm Geschützen. Ein starker Gegner — glücklicherweise viel langsamer als die deutschen Schiffe (Der Landser-Sammelband Nr. 205, Teil I, S. 29).
Was viele Studien zur Vorurteilsproblematik signifikant nachgewiesen haben, „daß Völker des Ostblocks auf einer Wertungsskala natio-naler Vorurteile negativer eingestuft werden als Völker des Westblocks" läßt sich durch eine entsprechende Analyse der Landser-Hefte erhärten. Schon das überfliegen der Titel der letzten ca. 30 erschienenen Landser-Hefte (von Nr. 1014 bis 1042) läßt ahnen, daß der Krieg mit der Sowjetunion dominierender Gegenstand der Erzählungen ist, die sowjetischen Soldaten demnach das Haupt-kontingent der Feinde stellen: — Unternehmen „Barbarossa" (Nr. 1014);
— Zwischen Don und Donez (Nr. 1018);
— Unternehmen „Paukenschlag" (Nr. 1019); — Am Fallschirm über dem Elbrus (Nr. 1020); — Die Bombennacht von Poltawa (Nr. 1023); — Die Schlacht am Dnjepr (Nr. 1024); usw.
Gegenüber den sowjetischen Soldaten und der Sowjetunion liefern nationale Vorurteile gängige Charakterisierungen. Die „Iwans" werden „als grausam und unredlich bezeichnet", gelten daneben aber als mutige, zähe und anspruchslose Soldaten „Jetzt weißt du, wie sie kämpfen“, knurrte der lange Oberfeldwebel. „Bis zum letzten Atemzug, verstehst du? Lassen sich überrennen und schießen dir auch als Verwundete noch in den Rücken, ehe du weißt, was los ist. Das da war nur einer, der nicht den Funken einer Chance mehr hatte und sich nicht ergeben wollte. Er wollte wenigstens noch einen von uns erwischen. Fanatische Burschen, kennen kein Pardon. Für andere nicht und nicht für sich“ (Der Landser, Nr. 1046, S. 42). Das war Russentaktik, die nicht nach geopferten Menschen fragte (Ebd., S. 53).
Buchstäblich einzeln mußten die Rotarmisten ausgeräuchert werden (Ebd., S. 64).
Die Gegner im Westen hingegen, vor allem die Engländer und Amerikaner, werden im allgemeinen neutral, teilweise aber auch durchaus wohlwollend dargestellt Der Feind steht im Osten, während als Gegner im Westen offensichtlich bereits die zukünftigen NATO-Partner heranrücken: „Du darfst die Engländer nicht unterschätzen. Daß sie trotz ihrer Übermacht das alte Blokkadespiel von 1914 bis 18 wieder durchführen, kann ich verstehen. Das liegt nämlich am Einfluß unserer Luftwaffe, die den Einsatz schwerer gegnerischer Streitkräfte bei Helgoland zu gefährlich macht. Ansonsten — abwarten. Ich kenne die Briten von meiner Weltreise auf der , Emden. Das sind Kerle wie wir. Darüber sollte uns auch die Kriegspropaganda nicht hinwegtäuschen“ (Der Landser-Sammelband Nr. 205, Teil I, S. 13). Der deutsche Hauptmann legt die Hand an den Rand des Stahlhelms. Die Bewegung wirkt auf die Männer, die es sehen, wie eine Geste der Hochachtung vor einem tapferen Gegner, der erst nach einem heldenmütigen Abwehrkampf seine Stellung aufgab (Der Landser-Großband Nr. 453, S. 51).
Man wird davon ausgehen können, daß diese unterschiedliche Sicht der deutschen Kriegs-gegner im Zweiten Weltkrieg auch ihre Ursache in dem sich nach 1945 entwickelnden Antagonismus zwischen der westlichen Welt und der Sowjetunion hat und die Festschreibung des Freund-Feind-Musters begünstigte.
Uber die Soldaten breitet in den Landser-Heften meist ein väterlich besorgter Vorgesetzter („der Alte") seine Fittiche. So forderte Sepp Dietrich „zwar von seinen Soldaten in Krieg und Frieden (!) härteste Einsätze, war aber zugleich in allen Lagen in vorbildlicher Fürsorge um sie bemüht, kannte in seinem Regiment jeden Offizier und Unteroffizier mit Namen, sprach sie mit , du'an..."
(Der Landser-Sammelband Nr. 205, Teil II, S. 68 Die Vorgabe pseudofamiliärer Strukturen trägt zur Emotionalisierung des in allen Armeen präsenten Verhältnisses von Befehl und Gehorsam bei, läßt dieses möglicherweise leichter ertragen und fördert bzw. erhält den Zusammenhalt der deutschen Wehrmacht auch in extrem widrigen Situationen. Den „Alten" und seine „Männer" verbindet ein nicht weiter zu begründendes Gefolgschaftsverhältnis; es trägt dazu bei, die wahren Abhängigkeitsverhältnisse beim Militär, zumal im Krieg, zu verschleiern (vgl. SOS, Nr. 63, S. 24, 40).
Weil Landser-Hefte dort weitgehend stumm bleiben, wo es um prinzipielle Fragen der Kriegsursachen und um die Kriegsverursacher geht und weil Landser-Hefte den Krieg in keinem Falle als zwangsläufige Konsequenz der verbrecherischen NS-Politik dar-stellen, ist zu befürchten, daß die Leser dieser Hefte in nicht wenigen Fällen aufgrund der Lektüre zu positiven Einschätzungen auch des Nationalsozialismus gelangen Ist es nicht naheliegend, die siegreichen Feldzüge dem Haben-Konto des Nationalsozialismus (oder Hitlers) gutzuschreiben? Muß ein Regime notwendig schlecht sein, das seinen Untertanen die offensichtliche militärische Überlegenheit (und nicht nur die militärische) gegenüber den „Iwans", „Tommies" und „Amis" so augenfällig demonstrierte? Und selbst dort, wo die Sinnlosigkeit des Krieges und die Ohnmacht des einzelnen Beteiligten angesprochen wird, kann dem in vielen Variationen dokumentierten Durchhaltewillen eine durchaus positive Seite abgewonnen werden: Ein Regime, das Menschen hervorgebracht hat, die zu derartigen Leistungen, ja zur Selbstaufopferung fähig und bereit waren, kann nicht in allem schlecht gewesen sein, auch wenn der Sinn des Opfers nicht definiert wird. Und die zahlreichen Berichte oft auch amüsanten Inhalts aus der Etappe oder von der gerade einmal ruhigen Front — erinnern sie nicht in fataler Weise an die gängigen Erzählungen der Väter-bzw. Großvätergeneration, die den Krieg und den Mann, der ihn auslöste (der aber auch die Arbeitslosigkeit und die Kriminalität beseitigte und Autobahnen schuf), in der Erinnerung in verklärendem Licht erscheinen lassen? Pfadfinderromantik stellt sich ein und läßt den jugendlichen Leser ein vielleicht sogar erstrebenswertes und lohnenswertes Kriegserlebnis miterleben. Bei einem unbefangenen, d. h. historisch nicht aufgeklärten Leser (und die Schüler fallen im allgemeinen unter diese Rubrik) so etwas wie Betroffenheit oder doch eine Einsicht in die Mitverantwortlichkeit der damals Beteiligten zu erwarten, dürfte illusionär sein.
Die Gefährlichkeit der Landser-Hefte ist meiner Ansicht nach nicht so sehr in einzelnen Formulierungen zu sehen, die den Krieg verherrlichen oder restfaschistische Positionen erkennen lassen. Ihre Gefährlichkeit besteht vielmehr darin, daß die gebündelten Aussagen der Landser-Hefte als „Instrument(e) der gesellschaftlichen Kommunikation" funktionieren. Der Anpassungsdruck, unter dem heutige Menschen leben, bedarf eines Ventils: Landser-Hefte bieten eine Flucht aus der gegenwärtigen Wirklichkeit. Gleichzeitig führen sie aber Menschen vor, die in Situationen, die weit hoffnungsloser sind, als die vom Leser selbst erfahrene Wirklichkeit, meist ohne Reflexion des eigenen Tuns funktionieren. Diese Begegnung des Lesers mit einer fiktiven Welt der Vergangenheit, in der Zwänge bestanden, die vom Leser als noch weit gravierender als die tagtäglich selbsterlebten begriffen werden, kann daher entlastende Funktion haben.
Eine durchgehende antimilitaristische Tendenz unter Verzicht auf Glorifizierung der Heldentaten im Krieg verzeichnet keines der von mir untersuchten Hefte. Dennoch — und das macht es so schwer, die negativen Seiten der Landser-Hefte auch Jugendlichen klar zu machen — gibt es in manchen Heften Passagen, die etwa das Schlachtfeld nach der Schlacht, die Lage in den Lazaretten und Hauptverbandsplätzen, den tröstund hoffnungslosen Alltag des Soldaten an und hinter der Front ohne Schminke zu zeichnen versuchen. Diese Ansätze, die Aura des Großartigen zu zerreißen, werden aber schnell dadurch verwischt und damit neutralisiert, daß die Soldaten letztendlich offensichtlich alternativlos dem bitteren Ende befehlsgemäß entgegentaumeln. Treue Pflichterfüllung bis zum Tode gilt als Wert schlechthin.
III. „Geschichte. Historisches Magazin"
„Geschichte. Historisches Magazin" ist eine populärwissenschaftliche Zeitschrift, die seit 1974 alle zwei Monate erscheint und vom Hi-storiographischen Institut in Solothurn (Schweiz) herausgegeben wird. Jedes Heft ist reich bebildert und beinhaltet meist ca. zehn Beiträge zu recht unterschiedlichen Themen aus der gesamten Geschichte.
Hauptthemen: Hitler und der Krieg Die den Ereignissen der Jahre 1933 bis 1945 gewidmeten Beiträge befassen sich in erster Linie mit außen-und militärpolitischen Fragen sowie mit einzelnen Feldzügen des Zweiten Weltkrieges. Eine Gesamtanalyse des Nationalsozialismus unterbleibt genauso wie der Versuch, Teilaspekte aus dem Bereich der Innenpolitik abzuhandeln: So fehlen bislang Beiträge über die Ursachen der Entstehung des Nationalsozialismus, über den NS-Macht-35 und Unterdrückungsapparat, über die staats-tragenden Kräfte jener Zeit, aber auch über die verschiedenen Formen des Widerstandes. Der Themenkomplex „Nationalsozialistischer Alltag“ wurde bislang völlig ausgeklammert, weshalb die geschilderten Ereignisse weitgehend abgehoben vom persönlichen Erfahrungsbereich der durchschnittlichen Leser bleiben. Dies muß Folgen für die Auffassung des Nationalsozialismus als einer „von oben" geprägten und daher auch „von oben" zu verantwortenden politischen Erscheinungsform haben. Nur ein Beitrag („Die Kapitulation Breslaus, Nr. 23/78, S. 4— 11, und Nr. 24/78, S. 50— 54) beschäftigt sich mit den Folgen nationalsozialistischer Kriegspolitik, wenngleich auch hier das militärische Geschehen in und um Breslau im Mai 1945, wie es von den kirchlichen Würdenträgern der Stadt und dem damaligen Stadtkommandanten erlebt wurde, im Mittelpunkt der Darstellung steht.
Während mehr als zehn Beiträge der deutschen Expansion in den Jahren 1938/39 („Anschluß" Österreichs, Zerschlagung der Rest-Tschechoslowakei) und einzelnen Abschnitten des Krieges gewidmet sind, finden sich nur zwei Beiträge, die zu Einblicken in das Wesen des Nationalsozialismus ansatzweise verhelfen können: Da ist ein Beitrag über die SS („Das Glaubensbekenntnis der SS", Nr. 11/1976, S. 19— 27), ferner ein Beitrag über den Reichstagsbrand vom 27. Februar 1933 (Nr. 17/1977, S. 4— 11).
Aspekte der Persönlichkeit Hitlers soll der Beitrag „Frauen um Hitler: Unity Mitford" (Nr. 7/1975, S. 14— 20) veranschaulichen, den Henriette Hoffmann, die Tochter des Leibphotographen und Vertrauten Hitlers, Heinrich Hoffmann, und spätere Frau des Reichsjugendführers Baldur von Schirach, geschrieben hat. Man könnte über diesen an sich belanglosen Aufsatz kommentarlos hin-weggehen, würde sich bei der Lektüre nicht der Eindruck aufdrängen, hier sollten dem negativen Image Hitlers mit Hilfe einer eigentlich der Regenbogen-Presse zuzuordnenden Thematik ein paar positive Farbtupfer aufgesetzt werden. Da wird Hitlers „Beschützerinstinkt" genauso bewundernd erwähnt wie seine „Menschenkenntnis", und die rührende Sorge Hitlers um Unity Mitford, nachdem sie am Tage der englischen Kriegserklärung an Deutschland einen Selbstmordversuch unternommen hat, wird breit ausgemalt: „Der gute Mensch" Hitler unterbricht eine Lagebesprechung an der Ostfront, um Unitys Überweisung in ein Krankenzimmer erster Klasse („auf seine Kosten") höchstpersönlich anzuordnen; und auf dem Höhepunkt des Polen-feldzugseilt er an ihr Krankenbett: „Er legt ihr wortlos einen riesigen roten Nelkenstrauß in die Hände und faßt nach ihrer Hand...
Täglich schickt Hitler Blumen, und so oft er in München ist, besucht er sie." Und mit dem Eingeständnis Hitlers: „Ich fühle mich schuldig, ich wage gar nicht mehr, einer Frau meine Bewunderung zu zeigen", ist die Rührseligkeit perfekt: Hitler als tragischer Held! Dazu paßt gut eine Prise NS-Romantik: „Sie (die Eltern Unity Mitfords, G. S.) versäumen keine der Kundgebungen, sehen die Hunderttausende von Männern an Hitler vorbeimarschieren. Sie sehen Hitlers Wagen in einem Meer von Blumen stehen, denn diese eisenharten Männer tragen Blumen mit sich, die sie vor Hitlers Wagen niederlegen wie Opfer-gaben, sie hören Lieder, nie gehörte, neue, mutmachende Lieder, fremde Marschmusik, Musik wie aus Urzeiten". Kitsch par excellence! Wer seine Zeitschrift einer jener „Frauen um Hitler" öffnet — und als solche hat Henny Hoffmann nach dem Urteil Alan Bullocks zu gelten —, der mußte wohl von vornherein mit einer Mohrenwäsche rechnen. „Die Stimme der Vergangenheit hörbar und die Zusammenhänge sichtbar zu machen", sei das Anliegen dieser Zeitschrift (Nr. 1/1974, S. 5). Nichts von dem wird eingelöst, wenn man die zahlreichen Aufsätze über das politisch-militärische Vorkriegs-und Kriegsgeschehen genauer untersucht. Gerade durch weitgehenden Verzicht auf jegliche Vorgeschichtsschilderung zeichnen sich die Beiträge über Feldzüge des Zweiten Weltkrieges aus: „Waffenstillstand mit Frankreich 1940" ist einer jener Artikel, die den Krieg als ein fait accompli darstellen:
Anfang Juni überrollten die deutschen Truppen die Weygand-Linie an Somme und Aisne, und sie stießen auf Rouen und Soissons vor. Am 14. Juni rückten frühmorgens die deutschen Soldaten in Paris ein ... Weygand überzeugte die Mehrheit der Regierung, daß die Fortsetzung des Kampfes sinnlos geworden sei (Nr. 10/1976, S. 44). Ähnlich verhält es sich mit der Schilderung des finnisch-russischen Krieges:
Am 30. November 1939 begann ohne Kriegserklärung — für den jüngsten nordischen Staat nicht unerwartet — mit einem Luftangriff auf Finnlands Hauptstadt der Vormarsch vielfach überlegener Sowjetarmeen gegen den winzigen Nachbarn (Nr. 16/1977, S. 14). Ein drittes Beispiel zeigt, daß außer der Nennung der Kombattanten, des Datums, mit dem die Kampfhandlungen aufgenommen wurden sowie der ersten Stoßrichtungen der Armeen keine weiteren Angaben gemacht werden:
Am 22. Juni 1941 beginnt die deutsche Operation , Barbarossa , der Angriff auf die Sowjetunion. Im schnellen Angriff stößt die Wehrmacht gegen Osten vor. Die Rote Armee ist überrascht worden und vermag den Angriffsschwung der deutschen Truppen nicht zu bremsen (Nr. 13/1976, S. 4).
In Fragen der Kriegsführung dominiert Hitlers Entscheidungsgewalt. Er ist es, der in den Beiträgen als Veranlasser für Truppenverschiebungen, Angriffsrichtungen, Gegenoffensiven usw. erscheint, kurz: als der taktische und strategische Befehlshaber schlechthin. Er ist es auch, dem die Siege zufallen und dessen Verantwortlichkeit für die Niederlage herausgestellt wird:
Stalin hatte zwar Hitler zu dessen Erfolgen in Frankreich im Juni 1940 in einem Telegramm gratuliert, denn Hitlers Siege gegen . kapitalistische'Staaten waren auch seine Siege. Gerade dieser rasche Triumph Hitlers gegen Frankreich brachte aber einen Umschwung in den deutsch-russischen Beziehungen, der schließlich zum Angriff Hitlers auf die Sowjetunion führte (Nr. 2/1975, S. 26).
Die Wehrmacht beherrscht in den ersten Monaten das Kriegsgeschehen voll und ganz und dringt bis vor die Mauern Moskaus vor. Hitler hat aber dennoch seinen Gegner unterschätzt, vor allem die Weite seines Landes und die Tücken des Klimas. Mit dem Einbruch des russischen Winters hat sich auch das Schlachtenglück gewendet (Nr. 13/1976, S. 4 f.).
Flitler und Mussolini testeten in Spanien ihre neuen Waffen (Nr. 13/1976, S.
Diese stark personalisierende Zuspitzung der Maßnahmen und Entscheidungen auf Hitler zeigt von neuem, wie berechtigt die „Fragen eines lesenden Arbeiters" bei Bert Brecht sind: „Der junge Alexander erobert Indien.
Er allein?
Cäsar schlug die Gallier.
Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich?
Philipp von Spanien weinte, als seine Flotte untergegangen war.
Weinte sonst niemand?
Friedrich der Zweite siegte im Siebenjährigen Krieg.
Wer siegte außer ihm?" 37)
Hitlers Fehlleistungen, seine Unfähigkeit, der militärischen Lage angemessene Entscheidungen zu treffen, werden als kriegsentscheidend angesehen:
Letztlich aber hatte die geringe Wirksamkeit der deutschen Kriegsmarine im Zweiten Weltkrieg ihre Ursache im Denken Hitlers selbst, das rein kontinental ausgerichtet war. Der Führer vermochte — sicher nicht zuletzt aufgrund seiner Erfahrungen im Ersten Weltkrieg als Gefreiter in einem Infanterieregiment — nicht global-strategisch zu denken. Er hatte kein Verständnis für einen global zu führenden Seekrieg, wie er für Deutschland im Zweiten Weltkrieg allein von kriegsentscheidender Bedeutung hätte werden können. Hier ist wohl die wesentliche Ursache dafür zu suchen, daß die deutsche Kriegsflotte und vor allem die deutsche U-Boot-Waffe nicht zu einer entscheidenden Wirkung gelangen konnten (Nr. 19/1977, S. 6).
Der Krieg wird zum bloß militärischen Kalkül, der Kriegsausgang und die einzelnen Entscheidungen im Verlauf des Krieges erscheinen als negative Folgen des mangelhaften strategischen Denkvermögens eines einzigen Mannes. Der Krieg wird nicht auf seine Ursache hin befragt, er wird vielmehr ohne Vorbehalte als Faktum akzeptiert. Auf dieser gedanklichen Ebene geht es dann nur noch darum, dem Leser nachträglich die vermeintlichen Siegeschancen vorzugaukeln:
Aber das Schauspiel, das sich bot (gemeint ist eine Auseinandersetzung zwischen Hitler und Guderian im Frühjahr 1945, G. S.), als schließlich Hitlers Feuer auf ein Feuer von größerer Hitze traf (!), ließ unvermeidlich die Frage aufkommen, was hätte geschehen können, wenn 1938 — oder auch erst 1940 — Beck oder Halder ähnliche Methoden (wie jetzt Guderian) angewandt hätten. Oder wie das Ergebnis ausgesehen hätte, wenn Guderian in der Stimmung von 1945 bereits im Jahr 1938 Chef des Generalstabes geworden wäre, wie es nicht fundierte Gerüchte wissen wollten. Oder man stelle sich vor, Below und Stauffenberg wären 1941 zum Zuge gekommen. Endlich, in der elften Stunde, war der Beweis angetreten worden, daß Hitler in seine Schranken gewiesen werden konnte. Hätte er dann nicht früher von Männern mit Per- sönlichkeit und unerbittlicher Entschlossenheit überwältigt werden können? (Nr. 15/1977, S. 7).
Zweierlei wird mit diesen Aussagen angestrebt: Einerseits zielen sie auf offensichtliche Leserbedürfnisse nach Spekulation (was wäre gewesen, wenn. ..?; hierzu zählt auch der Titel „Entschied Verrat den Zweiten Weltkrieg?" — Nr. 22/78, S. 40— 49 —, obwohl der Beitrag selbst mit allen daran geknüpften Spekulationen aufzuräumen versucht), die ein Gedankengebäude aufzustellen hilft, das den Krieg als einen zu gewinnenden begreifbar macht, wenn nur bestimmte Fehler, die in den allermeisten Fällen in der Person Hitlers liegen, hätten vermieden werden können (vgl. ähnlich auch in: Der Landser, Nr. 1032, S. 49). Die Behauptung, daß erst unmittelbar vor Kriegsende grundsätzliche Entscheidungen Hitlers durch entschlossenen Widerspruch unterlaufen werden konnten, verstärkt andererseits noch den in anderem Zusammenhang aus diesem Magazin gewonnenen Eindruck von der vorgeblichen Allmacht des „Führers". Man kann sich des Verdachts nicht erwehren, daß die behauptete Allmacht des „Führers", seine Intransingenz, seine geringe Bereitschaft, einmal getroffene Entscheidungen auf Vorhalt anderer zu ändern, ferner die vorgebliche Angst selbst höchster Militärs, sich dem Zorn Hitlers auszusetzen, der Absicht entsprungen sind, die weitgehende Untätigkeit jener zu entschuldigen, die an den Schaltstellen der Macht Einblick in das Unrechtsregime und die Folgen der militärischen und zivilen Maßnahmen erlangt hatten.
Auch das Ende Österreichs und der Tschechoslowakei wird in den Artikeln des „Historischen Magazins" fast ausschließlich auf persönliche Entscheidungen Hitlers zurückgeführt. Hinsichtlich der Vorgeschichte dieser Ereignisse wird der Leser auch hier allein gelassen. Statt dessen wird auf die Schilderung der äußeren Abläufe und die Inszenierung der Treffen Hitlers mit Schuschnigg in Berchtesgaden im Februar 1938 (Nr. 3/1975) und Hitlers mit Hacha im März 1939 (Nr. 13/1976) große Sorgfalt gelegt und die „Uberrumpelungs-und Erpressungsdiplomatie Hitlers" (Nr. 13/1976, S. 42) stark in den Vordergrund gestellt. Beide politisch-diplomatischen Akte erscheinen als die Folge einer Entscheidung, die sich ausschließlich zwischen jeweils zwei Statasmänner abspielte. Die starke Konzentration auf Hitler, die sich im übrigen auch in der Bildillustration der Beiträge niedergeschlagen hat, verhindert ein tieferes Eindringen in den Nationalsozialismus. Was die meisten Leser aus ihrer Schulzeit noch kennen, das Wirken großer Persönlichkeiten in der Geschichte, erhält durch die Beiträge in diesem Magazin eine zusätzliche Stabilisierung. Indem die Jahre 1933 bis 1945 implizit als Tummelplatz und Experimentierfeld hitlerscher Ideen erscheinen, die Rechtsbrüche und sonstigen Verbrechen jener Jahre als Auswüchse des kranken Hirns Hitlers deklariert werden können, enthebt man sich der Notwendigkeit, den Nationalsozialismus als gesellschaftliches Phänomen zu begreifen. Tiefere Zusammenhänge von Politik und Wirtschaft werden daher konsequenterweise (und sicherlich auch, weil sie sich weniger attraktiv journalistisch bzw. populärwissenschaftlich in Szene setzen lassen) nicht thematisiert. Mit dem Verschwinden Hitlers ist wohl auch der Faschismus untergegangen.
Man könnte angesichts einer Magazin-Konzeption, die eigentlich nur ein antiquarisches Interesse befriedigen möchte, zur Tagesordnung übergehen, wäre da nicht eine Publikumsdisposition, der eine derartige Sicht des Nationalsozialismus in erheblichem Maße entgegenkommt. Es ist daher sicherlich auch kein Zufall, daß nahezu jedes der bislang erschienenen 25 Hefte einen Beitrag zu einem Thema aus den Jahren 1933 — 1945 enthält, obwohl die Reihe die gesamte Geschichte zum Gegenstand hat.
Ein Blick in die Leserbriefspalte dieser Zeitschrift zeigt, wer diese Hefte — auch — liest: Alte und junge Unverbesserliche. Da wird nicht nur behauptet, „daß die Deutschen nicht die wahren Kriegsschuldigen sind“, sondern ausländische Aggressoren, an ihrer Spitze Winston Churchill (Nr. 23/78, S. 52). Und von einem Studenten der Politikwissenschaft werden die längst widerlegten „Forschungen" von David L. Hoggan und Paul Rassinier als Beweis herangezogen, um „die Anklagepunkte des IMT (Internationales Militär-Tribunal, G. S.) als politischen und juristischen Racheakt der Sieger über den Besiegten (zu) entlarven" (Nr. 23/78, S. 53). Allzu bereitwilliges Eingehen auf bekannte Leserinteressen am Kriegsgeschehen (verbunden mit einem Defizit an Hintergrundinformation) läßt vermuten, daß hier mit dem sehr selektiven Lesebedürfnis einer ganz bestimmten Leserschaft spekuliert wird.
IV. „Das III. Reich"
Der nicht eingelöste Anspruch der Zeitschrift Die von 1974 bis 1976 in 52 Heften erschienene Zeitschrift „Das III. Reich" (die Nachfolge-publikationen können hier unberücksichtigt bleiben) unterscheidet sich von „Geschichte. Historisches Magazin" dadurch, daß sie nur einer historischen Epoche gewidmet ist, demnach eine Gesamtschau dieser Zeit zu liefern beabsichtigt. Im Editorial zu Nr. 1/74 spricht der Chefredakteur des Unternehmens, Christian Zentner, das Ziel dieses Magazins an: „Das Wie und Warum der Ereignisse so zu beantworten, daß selbst komplizierte Zusammenhänge einer großen Leserschaft verständlich werden." Die damit verbundenen Absichten sind durchaus ehrenwert, stellen sie doch — für vergleichbare populärhistorische Schriften übrigens erstmalig — den Versuch dar, die Geschichte der jüngsten deutschen Vergangenheit als Erfahrungsfeld zu begreifen, auf dem handlungsorientierende Erkenntnisse für die Gegenwart gewonnen werden sollen, überdies soll „verständlich werden,. warum auch heute noch der Ruf nach Adolf in Taxis und Kneipen laut wird, wenn es um Verbrechen, Langhaarige und Ölscheichs geht" (Nr. 1/74, S. 3).
Leider wird von alledem nur sehr wenig eingelöst, und nach und nach verschwinden auch die zunächst durchaus bemerkenswerten Ansätze, das schwierige Thema Nationalsozialismus in den Griff zu bekommen.
Wohl in der Absicht, ein halbwegs seriöses Debüt in Sachen Nationalsozialismus zu liefern, werden in den ersten Nummern namhafte Autoren bemüht: Engelmann, Haffner, Höhne und Krummacher sind die bekanntesten. Andere, wie Harry Pross und Axel Egge-brecht, distanzierten sich sofort von diesem Unternehmen, und auch die oben genannten Autoren zogen sich schon bald von der Zeitschrift zurück Es ist daher nicht verwunderlich, daß das schwierige und in der Forschung noch immer heftig umstrittene Problem, den Faschismus als gesellschaftliches Phänomen zu erklären und die Frage nach den Vorausset-zungen für eine nationalsozialistische Machtübernahme zu beantworten, in der Zeitschrift „Das III. Reich" eine nur sehr unzureichende Behandlung fanden. Zwar referiert Bernt Engelmann zahlreiche bekanntgewordene Fälle, in denen Hilter Gelder aus der Wirtschaft zu-flossen (Nr. 1/74, S. 36 f.), und nimmt sich damit in aller Offenheit eines Themas an, das bislang nicht nur in Geschichtslehrbüchern, sondern bis vor kurzem auch von der Forschung vernachlässigt worden war. Die „Totalität eines historischen Entwicklungszusammenhangs" kann damit aber nicht erfaßt werden, denn gesellschaftliche Analysen verlangen mehr als bloße Angaben der Höhe jener in den Jahren vor 1933 an die NSDAP gezahlten Unterstützungsgelder. Wer den gesellschaftlichen Hintergrund für den Aufstieg des Nationalsozialismus aufzuhellen versucht, der darf sich weder auf die unmittelbaren Ereignisse der Jahre 1932/33 beschränken, noch sollte er sich mit einer Analyse der subjektiven Befindlichkeiten einzelner Beteiligter begnügen. Auch die von Engelmann erwähnte Disposition weiter Kreise der Großindustrie für „ein autoritäres Regiment, eine stramme Monarchie oder eine Militärdiktatur, (für) etwas Stabiles, das sie vor den . Roten'und Gewerkschaften schützte und durch eine neue Aufrüstung gut verdienen ließe" (Nr. 1/74, S. 36), greift als Erklärung für den Aufstieg des Nationalsozialismus zu kurz, weil damit etwa Fragen einer möglichen Kontinuität zwischen den reaktionären Wirtschaftskreisen des Kaiserreichs und den Finanziers der NSDAP gar nicht erst ins Blickfeld geraten. Faschismus auf der Basis weniger Jahre und weniger Indizien abzuhandeln, ermöglicht es kaum, Einblicke in gesellschaftliche Abläufe und Mechanismen zu vermitteln.
Ganz in der Tradition bürgerlicher Geschichtsschreibung werden die Ursachen des Faschismus und sein Aufstieg an die Macht im Beitrag von Sebastian Haffner psychologi-sierend und personalisierend erklärt Zwar sollte man diesen Aspekt bei der Würdigung des Faschismus und bei der der Einschätzung seines Erfolgs in der Form des Nationalsozialismus nicht gänzlich außer acht lassen; historische Prozesse aber in erster Linie auf diese Weise erklären zu wollen, greift zu kurz. Wenn schon das Volk „keine perfekte Verfassung, keine Wahlen, keine parlamentarischen Debatten" wollte, sondern auf „den starken Mann" hoffte (so in dem wohl von der Redaktion der Zeitschrift zu verantwortenden Vorspruch zu Haffners Beitrag), um wieviel plausibler ist es dann, daß sich hinter Hitler „der bei weitem tatbereiteste Massen-wille, die fanatischsten Überzeugungen, die ungestümsten Leidenschaften” (Nr. 1/74, S. 13) gruppierten!
Um eine Bewegung in Gang zu bringen, wie Hitler sie in Gang brachte, muß man Gefühle, Wünsche, Ängste, Triebe ansprechen, die bereitliegen und darauf warten, angesprochen zu werden. Weder normale Klasseninteressen noch bloßer Reklamerummel genügen für eine solche Massenmobilisierung; wer den Lavaausbruch, den Hitler bewirkte, verstehen will, muß in das Unterbewußtsein des Weimarer Deutschland hineinhorchen. Es muß dort etwas vorhanden gewesen sein, das auf einen Hitler sozusagen wartete — ein explosives Gemisch, für das Hitler den Zünder hatte; oder: der Zünder war (Nr. 1/74, S. 15). Hitler, der sich des Explosivstoffes Angst bedient, ist der große „Auslöser", der die Dinge in Bewegung bringt. Ob er — um noch einmal den Brechtschen „Lesenden Arbeiter" zu bemühen — nicht doch vielleicht den einen oder anderen Koch dabei hatte? Ob nicht vielleicht doch die faschistische Prädisposition weiter Bevölkerungskreise eine derartige Herausstellung Hitlers gar nicht rechtfertigt? Hitler als Messias, der das von der Bevölkerung erhoffte und erwartete „messianische Wunder" (Nr. 1/74, S. 17) vollbringen sollte? — Haffner hat in der Zwischenzeit in seinem Buch „Anmerkungen zu Hitler" diesen psy-chologisierend-personalisierenden Ansatz noch weiter ausgebaut
Die Einmaligkeit des Vorgangs wird durch diese Charakterisierung der Vorgeschichte des sogenannten Dritten Reiches und seiner Bedingungsfaktoren nahegelegt. Der Faschismus in seiner deutschen Ausprägung als Nationalsozialismus wird als ein Phänomen dargestellt, das irgendwann während der Weimarer Republik in den Köpfen der Menschen heranreift oder in sie hineinprojiziert wird und 1933 dank der herausragenden Fähigkeiten Hitlers an die Macht gelangt. Auf diesem Hintergrund kann dann auch die Finanzierung der NSDAP durch Wirtschaftskreise personalisierend abgehandelt werden, indem aufgezeigt wird, wer wen zu welchem Zeitpunkt in welcher Höhe finanzierte Die gesellschaftlichen Grundlagen des Faschismus bleiben ausgeblendet, die von Engelmann geschilderten Fälle sollen genauso individuell gewertet werden wie der im gleichen Heft geschilderte Kontakt Hitlers zu dem Kölner Bankier Freiherr von Schröder (Nr. 1/74, S. 6 ff.).
Ein Gesamtbild dessen, was Faschismus ist, kann in der Zeitschrift „Das III. Reich" nicht vermittelt werden; an keiner Stelle wird ernsthaft versucht, die soziale Basis des Nationalsozialismus, das präfaschistische Umfeld, zu skizzieren. Es ist daher nicht erstaunlich, daß die folgenden Hefte die historischen Fakten ganz nach der Art der älteren Geschichtslehrbücher, nur besser verpackt und reichlicher illustriert, als chronologische Abfolge darbieten, ohne daß ein innerer Zusammenhang der Einzelereignisse deutlich gemacht würde. Der so-genannte Röhm-Putsch z. B. erscheint in erster Linie als Blutorgie innerhalb der NS-Bewegung (Nr. 4/74, S. 136 ff), angereichert mit voyeuristisch anmutenden Details aus Röhms Privatleben (ebd., S. 145), weniger als ein Ereignis, dem am Ende einer ideologischen Rivalität innerhalb der NSDAP richtungsweisende Bedeutung zugekommen wäre 42). Ansonsten spielt die Person Hitlers bei der Darstellung relevanter Sachverhalte eine durchaus beherrschende Rolle: So wird in neun Folgen seine Lebensgeschichte bis zum Jahr 1933 breit ausladend geschildert (Nr. 6 bis Nr. 14); auf dem Titel von Heft Nr. 15 erscheint Hitler als „Mann des Jahres 1938"; auf dem Titel von Nr. 23 als Sieger in Frankreich; die Übernahme des Slogans „Ein Volk — ein Reich — ein Führer" verstärkt den Eindruck von der dominierenden Position Hitlers (Nr. 14); das Titelbild von Nr. 24 zeigt „Hitler in Paris"; „Hitler als Feldherr" ist Ge-genstand eines Berichts in Nr. 50. Ganz offensichtlich wird hier mit einer absatzfördernden und noch immer bestehenden Faszination der Person Hitlers auf breite Käuferschichten spekuliert.
Neben dieser direkten Erwähnung Hitlers bereits im Titel zahlreicher Beiträge wird er in nahezu jedem Heft abgebildet und dem Leser als der Entscheidungsträger aller wesentlichen politischen wie militärischen Probleme nahe-gebracht. Ansonsten dominieren die traditionellen Themen der NS-Zeit, während mit Beginn der Berichterstattung über den Zweiten Weltkrieg — sie setzt bereits mit Heft Nr. 17 ein — Analysen und Hintergrundberichte zugunsten zahlreicher Berichte über die verschiedenen Kriegsschauplätze fast ganz entfallen. Gelegentlich werden Artikel über die Entwicklung der Kriegstechnologie (Nr. 24: „Das Geheimnis der Maginotlinie"; Nr. 40: „Entwicklung des Radars") eingerückt. Die Überbetonung der politischen und Kriegsgeschichte geht auch aus den Inhaltsverzeichnissen der einzelnen Bände hervor. So werden dort etwa für den Band I (Hefte 1 bis 13) ganze fünf Artikel unter dem Stichwort „Wirtschaft" genannt, während Band II (Hefte 14 bis 26) dieses Stichwort gar nicht mehr aufführt, und Band III (Hefte 27 bis 39) sowie Band IV (Hefte 40 bis 52) insgesamt sechs Artikel zu diesem Themenkomplex verzeichnen.
Nicht immer hat man den Eindruck, die Ankündigung im Editorial, man werde alle Fragen „ohne Rücksicht auf Tabus, ohne jede Scheu vor . links'und . rechts"'(Nr. 1, S. 3), beantworten, werde wahrgemacht. Teilweise wird der NS-Jargon unkritisch übernommen — bereits der Titel der Zeitschrift unterliegt diesem Vorwurf — oder ehemalige Größen des NS-Reiches (wie etwa die Reichsfrauenführerin Gertrud Scholtz-Klink, Nr. 5, S. 218 ff.) kommen mit ihrem teilweise ungebrochenen Selbstverständnis zu Wort. Und nicht immer ist die Darstellung frei von einem unreflektierten Antikommunismus
Weniger aufschlußreich bezüglich der politisch-moralischen Position der Zeitschrift als bezüglich der des ehemaligen Generals und Jagdfliegers Steinhoff ist die Passage eines mit ihm geführten Interviews, wo es um die Frage geht, ob auf abgeschossene Flieger, die am Fallschirm hingen, geschossen wurde. Steinhoff: „... Bei der , Battle of Britain'jedenfalls hat es das bestimmt nicht gegeben; denn das war ja Luftkampf mit fairen Sportsleuten. In Rußland war das eine völlig andere Umgebung; dort kämpften wir ja nicht mit Sports-leuten" (Nr. 26, S. 549).
Einen offensichtlichen Negativ-Bericht hat Karlludwig Opitz über das „Nationalkomitee Freies Deutschland" (Nr. 41, S. 64 ff.) geschrieben. Offiziere, die sich dem Nationalkomitee anschlossen, werden als „Konvertiten" (ebd., S. 65) bezeichnet, und mit offensichtlicher Genugtuung vermerkt der Autor, daß Aufrufe vom Januar 1945 an „so ziemlich jeden Ober-befehlshaber der deutschen Heeresgruppe im Osten" (ebd., S. 67), den Widerstand gegen die weit überlegene Rote Armee einzustellen und die Waffen gegen Hitler und die SS zu richten, ohne Folgen blieben.
Spekulation mit Leserbedürfnissen Einen Vorwurf gilt es besonders zu markieren: das offensichtliche Kalkül der Redaktion, möglichst weite Schichten dadurch als Leser zu gewinnen, daß Sachverhalte gewissermaßen mit doppeltem Boden dargeboten werden und damit einer subjektiven Ausdeutung zugänglich sind. Hierzu einige Beispiele: Bereits der Vorspruch zum Editorial in Heft 1 läßt das ganze Unternehmen als doppelseitig erscheinen; dort heißt es: „Von Millionen verehrt und bewundert, von Millionen gehaßt und verachtet, führt er (gemeint ist Adolf Hitler, G. S.) sein Drittes Reich von Triumph zu Triumph zur bedingungslosen Kapitulation". — Der Bericht über polnische Ausschreitungen gegenüber Volksdeutschen in der Stadt Bromberg unmittelbar nach Kriegsbeginn (Nr. 17, S. 160 ff.) ist so abgefaßt und dargeboten, daß er sowohl als zeitgenössische Nazi-Propaganda als auch als moderne Recherche aufgenommen werden kann: „Wo volksdeutsche Brüder wehrlos hingemordet wurden, durften Deutschlands Waffen nicht schweigen" (Nr. 17, S. 160), heißt es da und: „Daß die Polen unter dem, was sie hier angerichtet hatten, noch lange zu leiden haben würden" (ebd., S. 162). Fast hat es den Anschein, als sei der Polenfeldzug eine Vergeltung für den sogenannten Bromberger Blutsonntag (s. auch den treffenden Leserbrief in Nr. 20). Oder wie soll man die folgende Charakterisierung der Waffen-SS durch Walter Görlitz verstehen?: „Die Waffen-SS wurde auch das Auffangbecken für die vielen ausländischen Freiwilligen, die sich weniger für Adolf Hitler als für den gemeinsamen Kampf gegen den Bolschewismus meldeten. Auf sonderbare Art repräsentierte die Waffen-SS zuletzt gewissermaßen eine . europäische Armee'" (Nr. 50, S. 443) — die Waffen-SS sozusagen als Vorläuferin der NATO? Daß die häufig zweideutige Darstellungsweise bei der Leserschaft angekommen ist, darf angesichts der heterogenen Zusammensetzung der Leserbriefschreiber angenommen werden. Die erhebliche Anzahl an Leserbriefen faschistischen Inhalts stimmt bedenklich. Sind es zunächst die beiden profilierten Autoren Engelmann und Haffner, die den Zorn einiger alter, wohl aber auch einiger junger Kämpfer auf sich ziehen (z. B. in Nr. 6, Nr. 10, Nr. 21, Nr. 29), so tauchen später Formulierungen auf, die auf eine noch immer oder schon wieder vorhandene faschistische Gedankenwelt schließen lassen. Zum Beispiel: „Ich hatte (von der zusammen mit der Zeitschrift zu kaufenden Schallplatte, G. S.) erwartet, eine Rede Adolf Hitlers, Görings und Goebbels vorzufinden. Statt dessen ist ein Durcheinander von allen möglichen uninteressanten Figuren, wie Thomas Mann, die alte Dietrich, Richard Tauber usw. verewigt. Wir möchten einmal wieder eine von Herzen kommende, ehrliche und wahre Rede hören. Unsere heutigen Politiker sind ja nicht mehr in der Lage dazu und stottern das ihnen von irgend einem Staatssekretär oder Ministerialrat Vorgeschriebene von ihrem Zettel herunter" (Nr. 19; ähnliche Briefe u. a. in Nr. 21, Nr. 24, Nr. 28).
Sicherlich darf angenommen werden, daß ein nicht unbedeutender Teil der Leserschaft bei der Lektüre der Hefte die vermeintlichen Sonnenseiten des NS-Regimes und die glorreichen Siege noch einmal erlebte. Die Aufmachung der Zeitschrift könnte überdies dazu beigetragen haben, daß sich so mancher dem süßen Traum vom Großdeutschen Reich hingab und der vergangenen nationalen Größe schwelgend nachhing. Die Chance, weite Bevölkerungskreise mit neuartigen journalistischen und technischen Mitteln sachgerecht und umfassend über die Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland und über große Teile Europas sowie über die Entstehungsbedingungen des NS-Regimes zu informieren, scheint vertan. Was bleibt, ist der wirtschaftliche Erfolg dieses Unternehmens, das das Defizit an Kenntnissen über den Nationalsozialismus in der Bevölkerung genau so nutzte wie die latente oder offene Neigung vieler Zeitgenossen, der vermeintlichen Faszination Hitlers noch einmal erliegen zu wollen. Kalkuliertes Mißverständnis und gezielte Zweideutigkeit in Text und Bild halfen mit, diesen wirtschaftlichen Erfolg einzufahren.
V. Konsequenzen
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die in den vergangenen Jahren in der wissenschaftlichen Literatur heftig diskutierte Frage, ob der Nationalsozialismus ohne die Persönlichkeit und das Wirken Hitlers überhaupt denkbar war oder ob „die Vielfalt der Erscheinungen jener historischen Periode deutscher Geschichte zwischen 1919 bzw. 1933 und 1945 allein auf die Persönlichkeit und das Wirken Adolf Hitlers" zu reduzieren sei — Nationalsozialismus also im Hitlerismus aufginge —, oder ob statt dessen Strategie und Taktik des Diktators und seine Entscheidungen in innen-und außenpolitischen Fragen nur zu begreifen sind auf der Basis gegebener politischer Konstellationen und wirtschaftlicher Faktoren, die seinen Entscheidungsspielraum im wesentlichen bestimmten, sich auf die Darstellung in den populärwissenschaftlichen und triviallite-* rarischen Produkten über die NS-Zeit überhaupt nicht ausgewirkt hat.
Statt dessen schlägt eine Sicht älterer deutscher Geschichtsschreibung voll durch, die in Hitler die treibende, gestaltend-bestimmende und verursachende Kraft in der deutschen Politik der Jahre 1933— 1945 sah und die ihn, um das „Phänomen Hitler" überhaupt fassen zu können, gerne dämonisierte. Hans Mommsen hat vor einiger Zeit gesagt, daß Vertreter einer derartigen Interpretation der deutschen Geschichte in den Jahren von 1933 bis 1945 der nationalsozialistischen Selbstdarstellung aufgesessen sind, die „von Anfang an darauf bedacht war, sich im Sinne des monolithen Führerstaates zu stilisieren, d. h. in allen offiziellen Äußerungen den Eindruck zu erwecken, als gäbe es eine klare Entscheidungsstruktur, die von der Person des Diktators bis herunter zum letzten Parteigenossen gereicht hätte. Zu dieser Stilisierung gehört auch die in der nationalsozialistischen Propaganda stets beibehaltene Devise, daß der Führer in jedem Augenblick gewußt habe, was er wollte, daß er letzten Endes alle poliB tisch maßgebenden Entscheidungen getroffen habe."
Was — so bleibt zu fragen — können Geschichtswissenschaft und Geschichtsdidaktik zur Abwendung jener Gefahren beitragen, die ausgehend von trivialhistorischen Schriften auf die Vorstellungswelt der Schüler und Erwachsenen einwirken? Solange das Geschichtsbewußtsein außerschulisch und abseits des Wissenschaftsbetriebs derart bedenkliche Impulse erfährt, genügt es nicht, daß Geschichtswissenschaft und Geschichtsdidaktik in mehr oder weniger gelehrten Schriften Mythen und Legenden dadurch zerstören, daß sie die Vergangenheit kritisch analysieren bzw. für den Unterricht aufarbeiten. Den offensichtlich starken Bedürfnissen der Öffentlichkeit nach emotionaler Hingabe an die Vergangenheit muß durch entsprechende Publikationen Rechnung getragen werden, ohne damit gleich der bösen Spekulation auf immer noch vorhandene positive Gestimmtheit für den Nationalsozialismus zu erliegen. Erich Kosthorst hat wohl zu Recht erkannt, daß die nostalgische Rückwendung unserer Zeit „als Indikator eines seelischen Grundbedürfnisses ernst genommen werden" müsse. „Er verweist einerseits auf die voraussehbaren gesellschaftlich-politischen Folgen anhaltender Geschichtsvergessenheit oder gar schulpolitisch organisierter Geschichtsverdrängung und ist andererseits zugleich eine didaktische Chance, wenn man das schweifende Sehnen nicht nur auf geschichtliche Oberflächenreize auflaufen, sondern auf geschichtliche Substanz treffen ließe."
Wenn Verlage diese Bedürfnisse einer breiten Leserschaft durch entsprechende Publikationen, die auf nostalgische Verklärung der Vergangenheit oder Verherrlichung vermeintlicher nationaler Größe verzichten, von sich aus zu befriedigen nicht imstande oder willens sind, sollten öffentliche Institutionen wie z. B. die Landeszentralen für politische Bildung oder Abteilungen der Kultusministerien hierfür Rechnung tragen. Die von diesen Stellen ausgehenden Aktionen im Zusammenhang mit der schulischen Behandlung der „Reichskristallnacht" sind Beweis dafür, daß ein derartiges Engagement öffentlicher Stellen bei Lehrern und Schülern auf allergrößtes Interesse stößt und seine Wirkung auf den Unterricht (und damit auch den Schüler) nicht verfehlen dürfte.
Angesichts vielfältiger Beweise neonazistischer Tendenzen bzw. Aktivitäten in der Bundesrepublik, deren Auswirkungen bis in die Schulen reichen ist die Gefahr besonders groß, daß Schüler ihre durch Presseveröffentlichungen angefachte, im Unterricht aber nur unzureichend gestillte Neugierde am Nationalsozialismus, an der Person Hitlers und den Kriegsereignissen mit Hilfe der in jeder Hinsicht leicht zugänglichen Landser-Hefte befriedigen. So für den Gegenstand eingenommen, sind sie zugleich potentielle Abnehmer von „NS-Devotionalien", wie sie in der jüngsten Zeit allerorts auf Flohmärkten, aber auch in Kleinanzeigen einschlägiger Zeitungen und Zeitschriften angeboten werden.
Die Vätergeneration der jetzigen Schüler, also die Dreißig-bis Vierzigjährigen, die auf nur bruchstückhafte eigene Erfahrungen aus der NS-Zeit zurückgreifen kann, stellt eine Marktgruppe dar, die auch die aufwendigeren und teureren, meist unter dem Deckmantel historischer Aufklärung angebotenen Publizistik-Produkte der NS-Zeit kaufen kann. So er-schienen 1977 im Hamburger John Jahr Verlag fünf Bildbände der Zeitschrift „Signal", „eine kommentierte Auswahl abgeschlossener Beiträge aus der Propaganda-Zeitschrift der Deutschen Wehrmacht" (Selbstanzeige des Verlags), oder, herausgegeben von einem obskuren „Documentary Series Establishment" mit Sitz in Schaan/Liechtenstein, mittlerweile 36 Langspielplatten, die nach Aussagen des Bayerischen Rundfunks „der Propaganda für den Nationalsozialismus, seiner gegenwärtigen und zukünftigen Rechtfertigung, der Erbauung der Unbelehrbaren und der Bestärkung in ihren Absichten" dienen Die Platten sind durchaus „gekonnt" gemacht. Sie bestehen aus Zusammenschnitten von Original-aufnahmen aus der NS-Zeit, wobei Reden (etwa von Hitler, Goebbels, v. Schirach, Hess und anderen) abwechseln mit Frontberichten, Sondermeldungen, Schlußworten der Angeklagten des Nürnberger Tribunals u. ä. Auf einigen Platten wird die Wirkung dieser Reden und Berichte noch durch die Wiedergabe des einschlägigen NS-Liedgutes gesteigert.
Die von den Verlegern dieser Produkte immer wieder bemühte Selbstbezeichnung „Dokumentation“ suggeriert beim Leser die Vorstellung, daß hier Sachverhalte wahr, wissenschaftlich abgesichert, genau recherchiert usw. dargestellt und wiedergegeben werden. Das Etikett „Dokumentation" kann bewirken, daß die inhaltliche Aussage etwa einer Hitler-Rede als Faktum angesehen wird und der propagandistische Gehalt der Rede verwischt bleibt. Die negativen Auswirkungen derartiger „Dokumentationen" werden auch dann nicht neutralisiert, wenn die einzelnen Passagen einer Platte oder die verschiedenen Druckschriften durch „Kommentare" miteinander verbunden oder eingeleitet werden. Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften hat daher im Falle des Teilnachdrucks von „Signal", der nach Ausweis des Schutzumschlags der Einzelbände „beste(n) Propaganda-Zeitschrift aller Zeiten", meiner Meinung nach zu Recht entschieden, den jedem Band beigefügten kurzen Kommentar sowie den von Walter Görlitz verfaßten gerafften historischen Bericht nicht als ausreichend bzw. geeignet anzusehen, „die Jugendgefährdung aufzuheben, noch begründen sie das Privileg der wissenschaftlichen Tendenzklausel für die gesamte Produktion" Die Indizierung der „Signal" -Bände, von denen innerhalb kürzester Zeit 17 000 Exemplare verkauft waren, bezog sich auch auf die Tatsache, daß durch die vom Verlag zu verantwortende, nur auf das Kriegerische bezogene Auswahl der Tatbestand der „Verherrlichung des Krieges" erfüllt wurde. Wenn aber dieser Begriff aus dem Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften (GjS § 1 Abs. 1 Satz 2) entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts „weit auszulegen" ist so muß man sich fragen, weshalb bisher noch nicht mehr Landser-Hefte und ähnliche Produkte indiziert wurden. Im entsprechenden Urteil des Bundesverwaltungsgerichts heißt es: „Eine enge Auslegung würde nur uneingeschränkte Lobpreisungen des Krieges treffen und alle Kriegsdarstellungen unerfaßt lassen, die an dem Schrecken des Krieges nicht blind vorbeigehen. Das Gesetz erstrebt Friedensgesinnung. Diese auch von Artikel 26 GG geforderte sozialethische Einstellung wird in der Vorstellung der Jugend nicht nur durch eine uneingeschränkte Lobpreisung des Krieges gefährdet. Sie zu gefährden ist vielmehr schon eine Darstellung geeignet, durch welche der Krieg irgendwie qualifiziert positiv bewertet wird, durch die er als anziehend, reizvoll, als romantisches Abenteuer oder als wertvoll oder auch nur als eine hervorragende, auf keinem anderen Gebiet zu erreichende Bewährungsprobe für männliche Tugenden und heldische Fähigkeiten oder auch nur als eine einzigartige Möglichkeit erscheint, Anerkennung, Ruhm oder Auszeichnung zu gewinnen."
Angesichts der oft bedenklichen Inhalte von Landser-Heften und der Wiedergabe von NS-Propagandareden auf Schallplatten bleibt es zweifelhaft, ob die gelegentliche, oft erst nach Verkauf eines beträchtlichen Teils der Auflage erfolgte Indizierung ein geeignetes Mittel darstellt, Schüler und Erwachsene vor Kriegsverherrlichung bzw. Kriegsverharmlosung zu schützen. Auf eine entsprechende Frage Herbert Wehners am 16. Februar 1978 im Bundestag antwortete der Staatssekretär im Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit: „Die Indizierung durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften ist nur ein bedingt geeignetes Mittel, weil sie nach dem Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften kein generelles Verbreitungsverbot des indizierten Objekts zur Folge hat. Generelle Verbote der Verbreitung von Propagandamitteln unter Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen werden durch das Strafgesetzbuch geregelt." Daraus wird deutlich, daß die Arbeit der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (BPS) noch keinen ausreichenden Schutz gegen die Auswirkungen tendenziell neonazistischer bzw. kriegsverherrlichender Schriften bieten kann Sie wirkt nur im nachhinein und kann sich nicht um Korrektur bereits eingefleischter Fehlhaltungen kümmern. Zudem — und dies gilt nicht nur für den klinischen Bereich — ist eine Prophylaxe immer besser als nachträgliches Herumdoktern an möglicherweise vermeidbaren „Krankheiten". Diese Prophylaxe muß daher bereits in der Schule erfolgen, und zwar nicht nur in jenen Klassen, die nach den Lehrplanvorschriften sich mit dem Nationalsozialismus zu beschäftigen haben. Bereits im Sachunterricht der Primar-stufe wäre die Behandlung dieses Themas möglich, so etwa, wenn im Anschluß an aktuelle Vorfälle das Interesse an diesem Sachverhalt nach historischer Aufklärung verlangt. So hat die Schülerzeitschrift TREFF im April 1977 das Auftauchen von Judenwitzen in einer Schule zum Anlaß genommen, ihre Leser (TREFF richtet sich an 8-bis 12-jährige) vorsichtig in das Thema „Judenvernichtung" einzuführen Auf der Orientierungsstufe kann im Leseunterricht auf Jugendbücher zurückgegriffen werden, die sich durchaus spannend und kindgerecht mit der NS-Problematik auseinandersetzen Im Ge-schichtsunterricht der 9. Klasse sollten Landser-Heft-Aussagen und auch die Darstellungen populärwissenschaftlicher Zeitschriften in den Unterricht einbezogen werden, um sie mit anderen Texten, Bildern, Filmen usw. zu kontrastieren. Nur so kann auf direktem Wege versucht werden, dem Krieg und dem Nationalsozialismus jenen Reiz zu nehmen, den die Lektüre bzw. das Abhören der oben genannten Produkte vermitteln. Im Sozialkundeunterricht können überdies die aktuellen Erscheinungsformen des Neo-Nazismus, seine Ursachen und Wirkungen, zum Gegenstand des Unterrichts gemacht werden. Aber auch auf Jugendliche im nachschulischen Alter sollte sich eine solche Aufklärung erstrecken
Es ist gut, daß die Bevölkerung durch zahlreiche Appelle verschiedener Gruppen, aber auch durch parlamentarische Behandlung des Themas, auf die Gefahren eines Neo-Nazismus in der Bundesrepublik und auf die Existenz bzw. Folgen von gewalt-und kriegsverherrlichenden Medien hingewiesen wurde
Jetzt, nachdem das Problem erkannt ist, müssen vor allem seitens der zuständigen Kultusministerien Taten folgen. Erst wenn es in einer gemeinsamen Aktion von Schule, Ministerien, Presse und Verbänden gelingt, die resistente heimliche Bewunderung des Nationalsozialismus und der Person Hitlers (und damit auch der schrankenlosen Gewalt nach innen und außen als eines legitimen politischen Mittels) durch öffentlichkeitswirksame und dennoch wissenschaftlich exakten Darstellungen allmählich abzubauen (die Geschichtswissenschaft wie die politische Bildung haben hierzu seit langem die grundsätzlichen Voraussetzungen geschaffen, ohne aber bislang die geeigneten Vermittlungsformen gefunden zu haben), kann die Gefahr eines Neo-Nazismus in der Bundesrepublik gebannt werden.