Das nukleare System der Nachkriegszeit ist in den siebziger Jahren durch drei Entwicklungen erschüttert worden: — durch die Zündung eines Kernsprengkörpers 1974 in Indien, der den Eintritt eines Entwicklungslandes in den „Nuklearen Club" signalisiert hat; — durch den verstärkten Rückgriff auf Kernkraft als alternative Energiequelle, zu dem die Vervierfachung der Rohölpreise seit dem letzten Nahostkrieg zwang; — durch das Auftreten einer neuen Gruppe von zivilen nuklearen Lieferländern und die damit einhergehende Vermarktung kompletter Brennstoffkreisläufe, die das Monopol der Vereinigten Staaten beendete.
Dadurch hat das Problem der Weiterverbreitung von Kernwaffen eine neue Dimension gewonnen; damit ist aber auch der Konsens zerbrochen, der bisher die Nuklearmächte und die Nichtkernwaffenstaaten der Dritten Welt einte und der im Nichtverbreitungsvertrag seine Kodifizierung gefunden hatte. In diesem hatten die Nichtnuklearen auf den Kernwaffenbesitz verzichtet und damit ein gewisses Maß an Diskriminierung in Kauf genommen; als Gegenleistung hatten ihnen die nuklearen Supermächte Sicherheitsgarantien gegeben und technische Hilfe zugesagt sowie eigene Abrüstungsschritte in Aussicht gestellt. Der von den nuklearen Supermächten erstrebten globalen sicherheitspolitischen Stabilisierung entsprach eine unbehinderte wirtschaftliche Nutzung der Kernenergie für friedliche Zwecke durch die zivilen nuklearen Industriestaaten und die Aussicht auf regionale politische Stabilität in der Dritten Welt. (Allerdings darf nicht übersehen werden, daß wichtige Schwellenmächte wie Indien, Brasilien oder Pakistan dem Vertrag ferngeblieben waren.) Die gegensätzlichen Interessen der'Nuklearmächte und der nuklearen Habenichtse führten dann auch zur Ergebnislosigkeit der Überprüfungskonferenz zum Nichtverbreitungsvertrag im Jahre 1975.
Das Ergebnis des NV-Vertrages war die Herausbildung eines hierarchisch strukturierten nuklearen Systems: dominiert von den Kernwaffenmächten, mit einer Mittelschicht von zivilen Nuklearstaaten wie Kanada, die Bundesrepublik Deutschland und Japan, die zwar sicherheitspolitisch auf die Hegemonialmäcbte angewiesen sind, aufgrund ihrer ökonomisrhen und technologischen Potenz jedoch eine eigenständige Nuklearpolitik verfolgen und damit die Spielregeln des nuklearen Systems mit-prägen, und schließlich die nuklearen Schwellenmächte als Unterschicht, zu denen die Entwicklungsländer der Dritten Welt wie Argentinien, Brasilien und der Iran gehören, die aber dennoch sicherheitspolitisch, wirtschaftlich und technologisch von den beiden anderen Gruppen abhängig sind. Der Kompromiß zwischen diesen drei Gruppierungen verlor seine Tragfähigkeit, als sich herausstellte, daß zum einen die Nuklearmächte nicht bereit waren, die gegebenen Zusagen einzulösen und den nuklearen Verzicht der Nichtkernwaffenstaaten durch verstärkte technische Hilfe und eigene Abrüstungsbeiträge zu honorieren. Anstatt sich zu verringern, vergrößerte sich damit die politische Statusdifferenz zwischen ihnen und den nuklearen Habenichtsen. Zum zweiten stieg die wirtschaftliche Bedeutung der Kernenergie für die Länder der Dritten Welt als Folge der Verknappung und Verteuerung des Rohöls nach dem letzten Nahostkrieg. Ohne Rückgriff auf eine breite, zivile Nutzung der Kernenergie schien für viele dieser Länder eine fortschreitende Industrialisierung und damit eine Verkürzung des Entwicklungsabstandes zwischen reichen und armen Ländern nicht mehr möglich.
Diese „Ökonomisierung" gibt dem Nuklear-problem eine neue Dimension. In Zukunft geht es nicht mehr nur darum, die Weitergabe von nuklearen Waffen an Nichtkernwaffenstaaten zu vermeiden, sondern darüber hinaus um die Reduzierung der sicherheitspolitischen Risiken einer Weiterverbreitung nuklearer Technologien, und zwar ohne daß die industrielle Entwicklung und Nutzung der Kernenergie einschneidend behindert wird. Der Nichtverbreitungsvertrag, mit dem primär eine sicherheitspolitische Lösung des Proliferationsproblems versucht wurde, ist dieser Aufgabe nicht mehr gewachsen. Andere Lösungsstrategien müssen hinzutreten.
Das Ziel der Nichtverbreitungspolitik sollte die Stabilisierung des bestehenden Nuklear-systems sein. Dies könnte einmal durch eine Verhinderung der horizontalen Proliferation, d. h.der Entstehung von neuen Kernwaffen-staaten, geschehen. Es wäre jedoch illusionär, sich darunter eine absolute Schließung des „Nuklearclubs" vorzustellen, ganz abgesehen davon, daß es diesen als klar definierte Gruppe nicht mehr gibt. Neben die Supermächte mit ihren breitgefächerten nuklearen Potentialen sind jene Staaten getreten, deren Bomben primär Demonstrationsobjekt sind, und jene, die zwar auf den Besitz von Kernwaffen verzichtet haben, aber als zivile nukleare Lieferländer technologisch und ökonomisch den gleichen Entwicklungsstand wie die Nuklear-mächte im engeren Sinne erreicht haben und mit diesen international konkurrieren. Schließlich gibt es die latenten Kernwaffen-staaten, die wie Israel und Indien die Fähigkeit zur Waffenproduktion besitzen, auf ihre offene Demonstration aber bisher verzichtet haben.
Von einem stabilen nuklearen System wird man dann sprechen können, wenn die Zunahme an Kernwaffenstaaten und an zivilen Nuklearmächten (d. h. solchen Staaten, die über einen geschlossenen Brennstoffkreislauf verfügen) etwa konstant bleibt. Die Anstrengung sollte sich darauf richten, den nuklearen Status eines Landes politisch zu isolieren, um die Auslösung einer Kettenreaktion nuklearer Ambitionen zu verhindern. Wichtiger als die Zuwachsrate an neuen Nuklearmächten ist jedoch die Bedingung, daß sich jede neue Nuklearmacht an die Regeln des bestehenden Systems hält, d. h. ihre nukleare Macht politisch oder jetzt auch ökonomisch, aber nicht militärisch nutzt. Eine besondere Gefahr stellen daher Nuklearwaffen in der Verfügungsgewalt eines Staates wie z. B. Israel oder Südafrika dar, der unter bestimmten Bedingungen in eine politisch und militärisch ausweglose Situation geraten und dann als „letztes Mittel" Kernwaffen einsetzen könnte. Schritte zur Stabilisierung des Nuklearsystems müssen daher darauf abzielen, die Kosten eines Regelverstoßes unannehmbar hoch zu halten, ihre Einhaltung jedoch politisch und wirtschaftlich zu belohnen.
Weiter erscheint eine Stabilisierung nur möglich, wenn auch der vertikalen Proliferation, d. h.dem quantitativen und qualitativen Ausbau der nuklearen Arsenale der Kernwaffen-mächte, Einhalt geboten oder diese zumindest unter Kontrolle gehalten werden kann. In diesem Zusammenhang kommt den sowjetisch-amerikanischen Verhandlungen über eine Begrenzung der strategischen Rüstungen (SALT) große Bedeutung zu.
Die Stabilisierung des internationalen Nuklearsystems läßt sich jedoch nur mit und nicht gegen die betroffenen Staaten verwirklichen. Seine Vielschichtigkeit deutet auf unterschiedliche Interessenlagen seiner Mitglieder je nach ihrem nuklearen Status und ihren politisch-ökonomischen Prioritäten sowie Rahmenbedingungen hin. Diese müssen identifiziert und berücksichtigt werden, wenn die Bemühungen um die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen einige Aussicht auf Erfolg haben sollen.
Die Interessen der Kernwaffenmächte
Den fünf etablierten Nuklearmächten ist gemeinsam, daß sie zwar für sich selbst einen militärischen und politischen Anspruch auf den Besitz von Kernwaffen erheben, gleichzeitig aber das Entstehen weiterer Nuklear-mächte zu verhindern suchen. Sie fürchten, durch den verantwortungslosen Umgang mit Kernwaffen durch einen dritten Staat irgendwo in der Welt in einen nuklearen Konflikt hineingezogen zu werden, dessen Entwicklung sie nicht steuern können und der schließlich auch zu ihrer eigenen Vernichtung führen würde. Sie wollen daher den bestehenden nuklearen Status quo festschreiben, und zwar entweder durch formalisierte vertragliche Verzichte oder durch informelle bilaterale Absprachen — oder aber durch eine Kombination von beiden. Multilaterale Verträge wie der Baruch-Plan, die verschiedenen sowjetischen Vorschläge für kernwaffenfreie Zonen oder der Kernwaffensperrvertrag hatten primär den Zweck, Staaten außerhalb des eigenen Machtbereichs den Kernwaffenbesitz zu verweigern Im eigenen Einflußbereich honorierten sie dagegen Zurückhaltung auf dem militärischen Sektor mit verstärkter Kooperation bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie. Die Politik des Nichtverbreitungsvertrages hat gezeigt, welchen hohen Stellenwert die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion der nuklearen Stabilisierung einräumten und daß sie bereit waren, dafür Belastungen in den Beziehungen zu ihren Verbündeten und Freunden in Kauf zu nehmen
Vereinigte Staaten: Sicherheitspolitische Stabilisierung und wirtschaftliche Vorteile Seit Präsident Eisenhowers „Atoms for Peace" -Programm ist es ein Kernelement amerikanischer Nuklearpolitik, die Weiterverbreitung nuklearer Technologien dadurch zu steuern, daß anderen Ländern eine enge technologische Kooperation angeboten wird. Seit Mitte der fünfziger Jahre haben im Zuge dieser Politik etwa 30 Länder und EURATOM Reaktoren, Brennstoffe und kerntechnologisches Wissen erhalten und sich im Gegenzuge dazu verpflichtet, diese nur zu friedlichen Zwecken zu benutzen und sie internationaler Kontrolle zu unterstellen. Die Hilfe erfolgte meist in Form von bilateralen Abkommen, in einigen Fällen jedoch auch über die Internationale Atomenergiebehörde (IAEO), die auf Vorschlag der USA zur internationalen Förderung und Kontrolle der Nuklearenergie geschaffen worden war. Der Nichtverbreitungsvertrag multilateralisierte und kodifizierte dieses System nur, -inhaltlich enthielt er dieselben Elemente: Verzicht, Kontrolle, Koope1) ration, wenn auch unter Betonung der Restriktionen — was ihn bei den Nichtnuklearen um so anstößiger machte.
Die bei weitem erfolgreichste Nichtverbreitungsmaßnahme war jedoch der weltweite Verkauf von Leichtwasserreaktoren, für welche dann die Vereinigten Staaten die Lieferung von angereichertem Uran als Brennstoff übernahmen. Diese Politik veranlaßte eine Reihe von Ländern, auf die eigene Entwicklung entsprechender Technologien zu verzichten, da diese unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten nicht mit den amerikanischen Leistungen konkurrieren konnten.
Gestützt auf ein derartiges Netz von technologischen und Brennstoffabhängigkeiten konnte Washington auch die Anwendung und Einhaltung des lAEO-Kontrollsystems durchsetzen. Während die Vereinigten Staaten auf diese Weise eine weitgehend proliferationssichere nukleare Ordnung errichteten, bauten sie gleichzeitig ihre Stellung als führende Nuklearindustriemacht aus und profitierten davon wirtschaftlich.
Anfang der siebziger Jahre trat jedoch eine neue Situation ein. Während die Ölkrise die Bedeutung der Kernenergie als alternative Energiequelle unterstrich, lenkte die indische Nuklearexplosion erneut die Aufmerksamkeit auf die Gefahren der nuklearen Proliferation. Gleichzeitig trafen innerhalb der Vereinigten Staaten verschiedene Entwicklungen zusammen, welche deren Glaubwürdigkeit als zuverlässiger und preisgünstiger Lieferant von angereichertem Brennstoff in Frage stellten: die Kommerzialisierung der Anreicherungsanlagen, die verwaltungsmäßige Neuorganisation des Nuklearbereichs sowie die Neuordnung des Exportlizenzverfahrens.
Während die USA Anreicherungsaufträge stornierten und die Überprüfung der Genehmigungsverfahren zur Verzögerung von Brennstofflieferungen führte, begannen andere westliche Industriestaaten eigene, kommerzielle Anreicherungs-und Wiederaufbereitungsanlagen zu bauen und auf den internationalen Märkten als Anbieter nuklearer Reaktoren, Technologien und Brennstoffe aufzutreten. Mit der Zusage der Lieferung eines kompletten Brennstoffkreislaufes an Brasilien durch die Bundesrepublik und von Wieder-aufbereitungsanlagen an Pakistan durch Frankreich verloren nicht nur die Vereinigten Staaten ihre Monopolstellung als Exporteur von nuklearen Anlagen, sondern mit der leichteren Verfügbarkeit von Plutonium in Ländern der Dritten Welt gewann auch das Nichtweiterverbreitungsproblem eine neue Dimension, vor allem: es entglitt der amerikanischen Kontrolle.
Wie verhielten sich die Vereinigten Staaten angesichts dieser doppelten Herausforderung? Die ersten Reaktionen spiegelten deutlich die Ambivalenz sicherheitspolitischer Ziele und wirtschaftlicher Interessen wider. Die Nixon-Regierung schlug auf der Energiekonferenz im Frühjahr 1974 in Washington die Errichtung gemeinsamer Anreicherungsanlagen vor Damit sollten die Zweifel an Liefermöglichkeiten und -bereitschaft der USA zerstreut (und nationale Anreicherungsanlagen überflüssig gemacht) werden, während sie gleichzeitig ihre beherrschende Stellung auf dem internationalen Reaktor-und Brennstoff-markt einschließlich der damit gegebenen Kontrollmöglichkeiten behalten würden. Im Kongreß mehrten sich jedoch unter dem Einfluß der durch Vietnam und Watergate ausgelösten Krise des präsidentiellen Systems die Stimmen derjenigen, die sich für eine restriktider Regierung erwarteten, daß sie eine solche auch gegenüber ihren Verbündeten durchsetzen würde
Als sich jedoch abzeichnete, daß die Westeuropäer und Japan nicht nur eigene Anreicherungs-und Wiederaufbereitungsanlagen bauen, sondern diese auch an dritte Länder liefern würden, ging es für die amerikanische Regierung nicht mehr darum, derartige Pläne zu verhindern, sondern diese so zu steuern, daß sie nicht im Widerspruch zu ihren Nichtverbreitungszielen stehen würden. Alle Transfers sollten einer strikten internationalen Kontrolle unterworfen werden, um eine mißbräuchliche Verwendung von Plutonium zu verhindern. In bilateralen Gesprächen mit Bonn setzte Washington gewisse Modifikationen des deutsch-brasilianischen Nuklearge-schäfts durch (insbesondere die Errichtung von trilateralen Sicherheitskontrollen), auch konnte es Südkorea zum Verzicht auf den Kauf einer experimentiellen Wiederaufbereitungsanlage von Frankreich veranlassen. Um jedoch langfristig den internationalen Nuklearmarkt unter Kontrolle zu bringen, waren multilaterale Absprachen notwendig.
Auf Initiative von Außenminister Kissinger fanden 1975 verschiedene, zunächst geheim gehaltene Treffen von Vertretern der wichtigsten nuklearen Lieferländer (USA, Sowjetunion, Großbritannien, Frankreich, Kanada, Bundesrepublik Deutschland und Japan) statt, die später unter dem Namen „London Suppliers Club" bekannt wurden und auf denen gemeinsame Richtlinien für Nuklearexporte erarbeitet wurden Diese waren die erste wirksame Absprache der wichtigsten Lieferländer aus West und Ost (zu den ursprünglichen sieben Staaten waren in den beiden folgenden Jahren noch Italien, Belgien, Niederlande, Polen, ÖSSR, DDR, Schweden und die Schweiz hinzugekommen). Sie stellten einen Kompromiß zwischen den Forderungen Kanadas, Großbritanniens und der USA nach einem völligen Transferverzicht von sensitiven Anlagen und umfassenden Sicherungsmaßnahmen und der weniger weitgehenden Haltung Frankreichs und der Bundesrepublik Deutschland dar, die nur zu freiwilliger Zurückhaltung und verstärkten Kontrollen bereit waren, im übrigen aber ihren nationalen Entscheidungsspielraum — und damit ihre internationalen Marktchancen — nicht eingeschränkt sehen wollten. Gleichzeitig plädierten sie dafür, die Empfängerländer in die Diskussion über die Nichtverbreitung von Kernwaffen einzubeziehen.
Diesem Zweck sollte eine „Internationale Evaluierung des Brennstoffkreislaufes" (INFCE) dienen, deren Organisationskonferenz im Oktober 1977 in Washington stattfand. Auf dieser Veranstaltung sollten Liefer-und Empfängerländer gemeinsam die technischen und verfahrensmäßigen Probleme des Brennstoff-kreislaufes untersuchen und die Möglichkeit alternativer Verfahren überprüfen. Die USA verbanden mit dieser auf zwei Jahre veranschlagten Unternehmung einmal die Erwartung, daß dadurch andere Länder für die Probleme, die mit einer unkontrollierten Nutzung des Brennstoffkreislaufes verbunden waren, sensibilisiert und einstweilen vom Schritt zur Plutoniumökonomie abgehalten werden könnten; zum anderen hofften sie auf die Entwicklung „sicherer" Verfahren, welche eine wirtschaftliche Nutzung der Kernenergie erlauben, aber weniger leicht zur Entstehung neuer Kernwaffenmächte führen würden.
Eine erhöhte — vor allem innenpolitische — Dringlichkeit erhielt das Proliferationsproblem, als der demokratische Herausforderer Carter 1976 im Präsidentschaftswahlkampf dieses aufgriff und die Ford-Administration veranlaßte, ihre bisherige Nuklearenergiepolitik zu überprüfen. Am 28. Oktober erklärte Präsident Ford ein dreijähriges Moratorium für die Weitergabe von Anreicherungs-und Wiederaufbereitungsanlagen und forderte zu neuen internationalen Initiativen zur Verbesserung der geltenden Richtlinien für Nuklear-exporte auf. Gleichzeitig kündigte er Schritte an, um die Glaubwürdigkeit der USA als internationaler Brennstofflieferant wiederherzustellen Seine Erklärung spiegelte die Überzeugung wieder, daß eine Lösung des Nichtverbreitungsproblems nur in Zusammenarbeit mit den anderen Lieferländern gefunden werden könnte — und nicht gegen diese, wenn die Vereinigten Staaten nicht beträchtliche wirtschaftliche Nachteile riskieren wollten.
Diese Einschätzung änderte sich jedoch nach dem Amtsantritt der Carter-Administration. Erstens wurde dem Nichtweiterverbreitungsproblem nunmehr höchste außenpolitische Priorität zugemessen. Zweitens erhielten die sicherheitspolitischen Aspekte dieser Politik Vorrang vor wirtschaftlichen und technologischen Interessen. Drittens war die Carter-Administration nunmehr bereit, zugunsten dieser Politik Belastungen im Verhältnis zu ihren Verbündeten und Freunden hinzunehmen
Die wichtigsten Sachfragen der Carterschen Nuklearpolitik waren:
— wirksamere Sicherungsmaßnahmen, insbesondere die Kontrolle aller kerntechnischen Anlagen eines Landes;
— Zurückhaltung bei der Ausfuhr sensitiver Anlagen, bis ihre mißbräuchliche Verwendung durch wirksamere Sicherungsmaßnahmen besser verhindert werden könnte;
— Garantien für die Belieferung mit Brennstoff und Hilfestellung bei der Abfallbeseitigung als zusätzlicher Anreiz für solche Länder, die auf den Betrieb eines vollen Brennstoffkreislaufes verzichteten;
— Übereinstimmung zwischen der Nuklearpolitik im Innern und außenpolitischen Zielen;
— Abbau von Sicherheits-und Prestigegesichtspunkten, welche Staaten zur Entwicklung von Kernsprengkörpern veranlassen könnten;
— Herbeiführung eines internationalen Konsenses über die zukünftige Struktur und Verwaltung des nuklearen Brennstoffkreislaufes
Kennzeichnend für die Cartersche Politik war die Mischung von Restriktionen und Anreizen (wobei erstere allerdings wesentlich stärker ausgeprägt waren!) und das Vertrauen auf technologische Lösungen für das Nichtverbreitungsproblem. Politische Gesichtspunkte wurden dagegen unterbewertet. Ein weiteres Merkmal war der hohe moralische Anspruch, mit dem die Vereinigten Staaten einen neuen „code of good conduct" auf nuklearem Gebiet propagierten.
Mit dieser Politik reagierte die Carter-Administration auf die herrschende Stimmung im Kongreß und wirkte zugleich auf diese wieder zurück. Die in der 95. Sitzungsperiode eingebrachten Entwürfe für eine umfassende Nichtverbreitungsgesetzgebung gingen in ihrer Reichweite weit über die bisher debattierte Neuordnung der Genehmigungsverfahren für Nuklearexporte hinaus. Die Sorge vor einer Weiterverbreitung von Kernwaffen war so ungeteilt, daß es kaum Stimmen gab, die Bedenken gegen die vorge-schlagenen einschneidenden Beschränkungen äußerten oder eine stärkere Berücksichtigung bündnispolitischer oder wirtschaftlicher Interessen forderten. Der im Februar 1978 mit überwältigender Mehrheit von beiden Häusern des Kongresses verabschiedete und im März vom Präsidenten unterzeichnete „Nuclear Non-Proliferation Act" legt einmal Kriterien und Sicherungsmaßnahmen für Nuklear-exporte fest, zum anderen enthält er Sanktionen und Anreize, mit der andere Länder zu einem NV-konformen Verhalten veranlaßt werden sollen; schließlich regelt er im einzelnen die Genehmigungsverfahren, einschließlich eines verstärkten Mitspracherechtes des Kongresses.
Seine wichtigsten Bestimmungen sind:
— zusätzliche Sicherungsmaßnahmen für alle Exporte von Kernmaterialien und -Anlagen;
— die vorherige Zustimmung der USA für die Wiederaufbereitung oder Weitergabe von Kernbrennstoffen oder Anlagen amerikanischer Herkunft;
— die Einstellung der nuklearen Zusammenarbeit mit einem . nichtnuklearen'Land, das einen Kernsprengkörper zur Explosion gebracht hat oder bestehende Auflagen und Sicherungsmaßnahmen verletzt hat;
— die Neuverhandlung aller bestehenden Abkommen innerhalb von zwei Jahren, um sie mit diesen Bestimmungen in Einklang zu bringen; dabei ist die Bereitschaft zu derartigen Neuverhandlungen innerhalb von 30 Tagen nach Inkrafttreten des Gesetzes zu erklären;
— die Einführung neuer Genehmigungsverfahren, die zwar die Lizenzerteilung durch die Einschaltung neuer Behörden komplexer machen, durch die Einführung von Fristen die Genehmigungsverfahren jedoch beschleunigen sollen;
— die Errichtung einer internationalen Brennstoffreservebank, die Kernbrennstoffe verfügbar macht, falls eines der bestehenden Lieferländer seinen Lieferverpflichtungen nicht nachkommen kann;
— die Unterstützung einer internationalen Evaluierung des Brennstoffkreislaufes, insbes.der Arbeiten der seit Oktober 1977 tagenden INFCE
Die neue amerikanische Nuklearpolitik beseitigte zwar die bisherige Ambivalenz zwischen sicherheitspolitischen Bedenken und kommerziellen Interessen zugunsten einer eindeutigen Priorität des Ziels der Nichtweiterverbreitung, ersetzte sie jedoch durch eine neue Ambivalenz von nationaler Gesetzgebung und internationaler Verhandlung. Die Aufforderung Washingtons, im Rahmen der INFCE gemeinsam über die Probleme des nuklearen Brennstoffkreislaufes und über alternative Verfahren und Technologien zu beraten, wurde unglaubwürdig, als die USA — noch ehe die Ergebnisse der INFCE vorlagen — einseitig neue Regeln für das nukleare System einführten. Zwei Punkte waren für die Westeuropäer, insbesondere die Bundesrepublik besonders anstößig: zum einen verstieß nach ihrer Auffassung die Forderung nach Neuverhandlung bestehender Abkommen gegen die allgemeine Völkerrechtspraxis des „pacta sunt servanda" zum anderen griffen eine Reihe von Vorschriften, so z. B. die Auflage einer vorherigen Genehmigung von Anreicherung, Wiederaufbereitung und Weitergabe von Kernmaterialien, in die Beziehungen zu dritten Ländern oder in die inneren Angelegenheiten von EURATOM ein. Dabei fühlten sich diejenigen nuklearen Lieferländer besonders benachteiligt, die auf den Besitz von Kernwaffen verzichtet hatten, da die bestehenden Kernwaffenstaaten durch eine „Großvaterklausel" von den Restriktionen ausgenommen worden waren
Eine Folge des amerikanischen Vorgehens könnte es sein, daß es in Zukunft zu einem gespaltenen Brennstoffmarkt kommt, wenn eine Reihe von Empfängerländern u. U. bereit ist, höhere Kosten für „vetofreien" Brennstoff in Kauf zu nehmen Darüber hinaus könnte sich der Trend zum Betrieb von eigenen Anreicherungs-und Wiederaufbereitungsanlagen beschleunigen — eine Entwicklung, die die Vereinigten Staaten mit ihrer Politik ja zu vermeiden suchten. Es besteht daher die Gefahr, daß die Cartersche Nuklearpolitik gerade an ihren hohen Ansprüchen scheitert, in-dem sie nukleare Unabhängigkeitsbestrebungen fördert statt eindämmt, und durch die Abwertung von Sicherheits-, Macht-oder Prestigegesichtspunkten andere Länder in die Distanz zu den USA treibt und damit deren Möglichkeiten schwächt, mäßigend einwirken zu können.
Sowjetunion: Nichtverbreitung als Ziel oder Instrument? Sehr frühzeitig erkannte die Sowjetunion die Zusammenhänge zwischen ziviler nuklearer Forschung und militärischer Proliferation. Etwa zur gleichen Zeit, als sie bilaterale Abkommen zur Zusammenarbeit auf dem nuklearen Sektor mit anderen Staaten abschloß, forderte sie auch in der internationalen Abrüstungsdiskussion Maßnahmen zur Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen. Zunächst unterstützte sie die polnischen Pläne für eine kernwaffenfreie Zone in Mitteleuropa, später unterbreitete sie eigene Vorschläge für derartige Zonen in anderen Teilen der Welt und setzte sich für eine Einstellung der Kernwaffenversuche sowie für einen Produktionsstopp von spaltbarem Material für militärische Zwecke ein. Mit den Kooperationsabkommen ebenso wie mit ihren Rüstungskontrollvorschlägen reagierte Moskau auf das amerikanische „Atoms for Peace" -Programm und die damit bewirkte Weiterverbreitung von Kern-technologien im Westen. Gleichzeitig hatten die meisten der sowjetischen Vorschläge aber auch eine politische Zielsetzung. Sie waren Instrument der sowjetischen Deutschlandpolitik, die darauf abzielte, die politische und militärische Entwicklung der Bundesrepublik unter Kontrolle zu halten. Die psychologischen Wirkungen dieser zweiten Zielsetzung der sowjetischen Nichtverbreitungspolitik waren so nachhaltig, daß dabei häufig übersehen wird, daß die Sowjetunion ebenso wie die USA bestrebt war, die Entstehung von weiteren Kernwaffenstaaten zu verhindern 1955 beschloß die Sowjetführung eine engere nukleare Zusammenarbeit mit ihren Block-partnern, die ihren Abschluß in bilateralen Kooperationsabkommen mit der VR China, Polen, der Tschechoslowakei, Rumänien, der DDR, Ungarn und Bulgarien fand. Ein Jahr 'später gründeten elf sozialistische Staaten das
Vereinigte Institut für Nuklearforschung in Dubno bei Moskau
Die Intensivierung der zivilen Nuklearforschung im Westen ebenso wie die Debatte über eine nukleare Mitwirkung und die Ausrüstung der NATO-Partner mit nuklearen Trägerwaffen hatten dazu geführt, daß nun auch Moskaus Verbündete auf eine nukleare Teilhabe drängten. Bei verschiedenen Gelegenheiten, insbesondere gegenüber Peking und Ost-Berlin, machte die Sowjetunion jedoch deutlich, daß sie nicht nur eine Weitergabe von Kernwaffen strikt ablehnte, sondern auch nicht bereit war, entsprechende eigene Anstrengungen, z. B. Chinas, zu unterstützen oder zu billigen
In der engen Verzahnung der Forschungseinrichtungen und -programme, insbesondere in der Präsenz von sowjetischen Wissenschaftlern in den verschiedenen Ländern, sah Moskau eine ausreichende Gewähr dafür, daß die nuklearen Fähigkeiten nicht für militärische Zwecke mißbraucht werden würden. Von formalisierten bilateralen oder multilateralen Kontrollen konnte sie daher absehen. Es kam hinzu, daß sie sich in der internationalen Abrüstungsdiskussion stets gegen internationale Kontrollen ausgesprochen und sie als Einmischung in innere Angelegenheiten denunziert hatte. Die Ironie der Geschichte wollte es, daß die Sowjetunion mit ihrer Nuklearpolitik einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung des chinesischen Nuklearpotentials leistete und sich die vorhandenen Kontrollmechanismen infolge des Bruches zwischen Moskau und Peking als unwirksam erwiesen.
Während der sechziger Jahre war die Ambivalenz der sowjetischen Nuklearpolitik noch stärker ausgeprägt. Vor allem während der Debatte über den Kernwaffensperrvertrag war nicht immer zu erkennen, wann Moskau die Sorge vor einer Weiterverbreitung von Kernwaffen dazu benutzte, um seine weltpolitischen Vorstellungen zu fördern, und wann es Rüstungskontrollziele verfolgte. Seine gegen den Plan einer multilateralen Atomstreitmacht (MLF) der NATO gerichtete Kampagne hatte sicher ebenso das Ziel, eine nukleare Teilhabe der Bundesrepublik zu verhindern, wie auch, Bonn im eigenen Lager zu diskreditieren und damit der zaghaft begonnenen neu-* en Ostpolitik den Wind aus den Segeln zu nehmen. Ihre Rolle bei der Invasion der SSR im August 1968 zeigt darüber hinaus, daß Moskau das Interesse an einer blockinternen Stabilisierung höher stellte als einen möglichst weltweiten Beitritt zum NV-Vertrag. Andererseits hätte die Sowjetunion den Vertrag zwar pro forma unterstützen, es aber den USA überlassen können, die Schwellen-mächte zum Beitritt zu veranlassen. Die rumänische Unterschrift am Tage der Auflage und, mehr noch, die Unterzeichnung des Vertrages durch die Mehrzahl der arabischen Staaten gingen jedoch deutlich auf Initiativen der UdSSR zurück, die sich auch zusammen mit den USA die diplomatischen Kosten des Vertrages teilen mußteI Sicher hatte der Vertrag für Moskau auch die Funktion, eine nukleare Mitwirkung seiner Verbündeten zu verhindern und indische oder ägyptische Bitten um nukleare Waffenhilfe (gegen China bzw. Israel) unter Verweis auf internationale Verpflichtungen abzublocken.
Gleichzeitig baute Moskau jedoch die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der friedlichen Nutzung der Kernenergie aus. Mit allen Staaten des Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) wurden neue Verträge über wissenschaftlich-technologische Zusammenarbeit geschlossen. Auf diese Weise sind in den RGW-Staaten und Jugoslawien auf dem Sektor des Apparate-und Anlagenbaus leistungsfähige Nuklearindustrien entstanden. Bisher ist jedoch die Sowjetunion das einzige östliche Land, das kommerzielle Kernreaktoren liefert. Bis Ende 1976 hat sie mit sieben Staaten, darunter mit Finnland als einzigem nichtsozialistischen Land, Verträge über die Lieferung von 31 Kernkraftwerken geschlossen, davon sind zehn Kraftwerke bereits in Betrieb Forschungsreaktoren haben außer Jugoslawien auch einige Länder der Dritten Welt, so Ägypten und Kuba, erhalten. Mit Indien besteht seit 1961 ebenfalls ein Kooperationsabkommen, das auch nach der indischen Nuklearexplosion fortgesetzt wurde. Mit Ausnahme der bereits in den sechziger Jahren an Ägypten und Jugoslawien gelieferten Forschungsreaktoren unterstehen alle von der Sowjetunion gelieferten Anlagen den lAEO-Sicherungsmaßnahmen. Ferner unterhält sie seit Ende der sechziger Jahre auch mit den meisten westlichen Industriestaaten Abkommen über eine Zusammenarbeit auf dem Nuklearsektor. In den vergangenen Jahren ist die Sowjetunion darüber hinaus auf dem internationalen Brennstoffmarkt als Lieferant von niedrig angereichertem Uran aufgetreten, bei dem die westeuropäischen Staaten derzeit etwa die Hälfte ihres Brennstoffbedarfs decken.
Gegenwärtig ist die sowjetische Nuklearpolitik durch das Bemühen gekennzeichnet, eng mit den Vereinigten Staaten bei der Verhinderung einer Weiterverbreitung von Kernwaffen zusammenzuarbeiten. Auf dem Höhepunkt der amerikanischen Kritik an deutsch-brasilianischen Nuklearabkommen wurde Moskau deswegen in Bonn vorstellig. Auch in ihrem eigenen Einflußbereich verstärkte die Sowjetunion ihre Zurückhaltung bei der Lieferung von nuklearen Anlagen. Im „Supplier's Club" hat Moskau die von Washington vertretene Restriktionspolitik unterstützt und sich für ein Verbot der Weitergabe sensitiver Anlagen eingesetzt. Ebenfalls hat es an der Ausarbeitung und Verabschiedung der Richtlinien für den Nuklearexport mitgewirkt und sich in der IAEO für die Verbesserung der Sicherungsmaßnahmen eingesetzt.
Ähnlich wie während der Verhandlungen über den Kernwaffensperrvertrag ist eine Situation entstanden, in der die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion ein hohes gemeinsames Interesse an einer nuklearen Stabilisierung besitzen. Diese „nukleare Komplizenschaft" der beiden Großen schafft Konflikte mit den anderen nuklearen Lieferländern, die ihre Prioritäten unterschiedlich gesetzt haben, und mit den nuklearen Schwellen-mächten, die sich diskriminiert fühlen und die den „Nuklearimperialismus" der Kernwaffen-staaten scharf kritisieren.
Die nuklearen Lieferländer: Realisierung wirtschaftlicher Vorteile
In den letzten Jahren hat sich eine Gruppe von zivilen nuklearen Lieferländern herausge-bildet, die als Produzenten und Lieferanten von Kernkraftanlagen weltweit agieren und das Monopol der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion auf diesem Gebiet gebrochen haben. Zu ihnen sind die beiden kleineren Kernwaffenstaaten Großbritannien und Frankreich zu zählen sowie die Nichtkernwaffenstaaten Kanada, Bundesrepublik Deutschland, Japan und Schweden. Potentielle weitere Mitglieder dieser Gruppe sind Belgien, die CSSR, die DDR, Italien, die Niederlande, Polen und die Schweiz. Ihre Interessen unterscheiden sich deutlich von denjenigen der nuklearen Großmächte. Im Vordergrund stehen bei ihnen technologische Leistungsfähigkeit, auch technologische Konkurrenz bzw. Aufholen des technologischen Abstandes zu den Vereinigten Staaten, ferner die unbeschränkte wirtschaftliche Nutzung der Kernspaltung, vor allem zur Energieerzeugung im eigenen Lande, aber auch zum weltweiten Anlagenexport. Sicherheitsgesichtspunkte glauben sie dagegen in Anbetracht des von den nuklearen Supermächten garantierten nuklearen Gleichgewichts hintanstellen zu können.
Die Interessengemeinschaft dieser Staaten ergibt sich primär aus ihrem wirtschaftlich-technologischen Potential. Sie ist in den siebziger Jahren evident geworden, wenn auch ihre Wurzeln weiter zurückreichen. Mit der Einladung dieser Staaten zur Mitarbeit in der Gruppe der Nuklearen Lieferländer fanden ihre Belange internationale Beachtung.
Die Entwicklung des nuklearen Sektors verlief in den fünf wichtigsten zivilen Nuklear-staaten recht unterschiedlich. Das britische und das kanadische Nuklearprogramm, in gewissen Grenzen auch das französische, gingen auf das anglo-kanadische Montreal-Projekt und das britisch-amerikanische Quebec-Abkommen von 1943 zurück. Allerdings wurde die kriegsbedingte Zusammenarbeit bald nach der japanischen Kapitulation zugunsten nationaler Programme aufgegeben bzw. von den USA aufgekündigt
Während die Kanadier vor allem Uranprospektion und nukleare Grundlagenforschung betrieben und an der zivilen Nutzung der Kernenergie interessiert waren, hatte für Großbritannien der Erwerb eines strategischen Nuklearpotentials Priorität. Das erste zivile Reaktorprogramm wurde im Juni 1952 verabschiedet, die Ausgliederung der Kernforschung aus dem Verteidigungsressort und die Schaffung der Britischen Atomenergiebehörde erfolgte 1954 Heute verfügt Großbritannien über neun Kernkraftwerke des MA-GNOX-(Natur-Uran) Typs, die etwa 10 v. H.der Elektrizität liefern. Weitere fünf Kernkraftwerke eines weiterentwickelten, gasgekühlten Reaktortyps sollen 1979 in Betrieb genommen werden; in der Planung befinden sich zwei weitere Werke. Darüber hinaus verfügt Großbritannien über ein breites Spektrum nuklearer Anlagen (z. B. zur Wiederaufbereitung und zur Herstellung von Radioisotopen) sowie von Forschungsinstituten
In Frankreich stand die Gründung des Comite a l’Energie Atomique (CEA) im Oktober 1945 am Anfang der Nachkriegsentwicklung. Es befaßte sich zunächst vor allem mit Grundlagenforschung. Ziel war es, die französische Nuklearforschung so rasch wie möglich derjenigen der angelsächsischen Mächte ebenbürtig zu machen. Erst in der zweiten Phase wurde an der industriellen Nutzung der Kernenergie gearbeitet. Schwerpunktprojekt des 1. Fünfjahresplans war die Produktion von Plutonium als Spaltstoff für künftige Reaktoren. Damit sollte einmal die Unabhängigkeit auf dem Brennstoffsektor gewährleistet werden, zum anderen wurde damit jedoch auch die Grundlage gelegt für ein späteres militärisches Nuklearprogramm. Bereits der 2. Fünfjahresplan von 1957 enthielt Mittel für Forschungs-und Entwicklungsarbeiten auf dem militärischen Sektor. Kernstück war eine Isotopentrennanlage zur Produktion von angereichertem Uran. Im April 1958 wurde dann der Bau eines militärischen Sprengkörpers beschlossen, der im Februar 1960 gezündet wurde
Die britische und die französische Entscheidung für den Bau von Kernwaffen hatte ähnliche und doch wieder sehr verschiedene Motive. Beide Staaten waren aus dem Zweiten Weltkrieg siegreich hervorgegangen, hatten jedoch politischen Einfluß, wirtschaftliche Macht und kolonialen Besitz verloren. Beide sahen daher in Kernwaffen vor allem politische Instrumente, um zumindest einen Teil des verlorenen Einflusses wiederzuerlangen. Während Großbritannien nach Bündnisfähigkeit und Einfluß gegenüber den USA strebte, hatte die Nuklearpolitik Frankreichs das Ziel, seine Unabhängigkeit politisch und militärisch zu untermauern. Auch das zivile Nuklearprogramm Frankreichs hat zum einen die Aufgabe, die Abhängigkeit des Landes von Rohölimporten zu verringern. Zum anderen ist Frankreich ein wichtiger Anbieter von nuklearen Anlagen und Dienstleistungen auf dem Weltmarkt. In einem komplizierten Anpassungsprozeß hat es die Linie der national entwickelten und mit Natururan arbeitenden Gas-Graphit-Reaktoren aufgegeben und sich für die leistungsfähigeren Leichtwasser-Reaktoren amerikanischer Bauart entschieden, gleichzeitig jedoch Anlagen zur Anreicherung und Wieder-aufbereitung von bestrahlten Brennstoffen errichtet, um alle Stufen des Brennstoffkreislaufes in nationaler Regie zu haben. Gegenwärtig ist Frankreich führend auf dem Gebiet der Entwicklung und dem Bau von Schnellen Brütern. Das größte handicap für das französische Kernenergieprogramm sind — neben Einsprüchen von Kernkraftgegnern gegen den Bau von neuen Anlagen — seine steigenden Kosten und die Finanznot der staatlichen Elektrizitätsgesellschaft EDF
In der Bundesrepublik und in Japan waren die Kernforschung bis Mitte der fünfziger Jahre durch das Besatzungsstatut beschränkt. Während Bundeskanzler Adenauer durch einen formellen Verzicht in den Pariser Verträgen auf die Produktion von ABC-Waffen und seine Kontrolle durch die Westeuropäische Union, später durch die Integration der westdeutschen Kernforschung in die Europäische Atomgemeinschaft (EURATOM) das Mißtrauen gegenüber Deutschland zu beseitigen und die Beschränkungen abzubauen suchte, schlug Japan den Weg einer gesetzlichen Verankerung der ausschließlich friedlichen Nutzung der Kernenergie im „AtomenergieGrundgesetz" sowie einer engen Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten ein
Nach der Wiedererlangung der staatlichen Souveränität kam es in der Bundesrepublik etwa gleichzeitig zu Initiativen seitens der Wissenschaft, der Industrie, der Elektrizitätsgesellschaften und von Bund und Ländern. 1956 gründeten der Bund, das Land Baden
Württemberg und die Industrie gemeinsam das Kernforschungszentrum Karlsruhe. Als weitere Kernforschungszentren wurden die Kernforschungsanlage Jülich des Landes Nordrhein-Westfalen und die Gesellschaft für Kernenergieverwertung in Schiffbau und Schiffahrt mbH gegründet Diese dezentrale Struktur prägte das erste Jahrzehnt der Forschungspolitik. Ein zweites Merkmal war die parallele Entwicklung — und Förderung — verschiedener Reaktorlinien. Während die öffentliche Förderungspolitik die Entwicklung eigener Reaktortypen und den Aufbau einer leistungsfähigen Kernindustrie unterstützen sollte, dominierten bei den Elektrizitätsfirmen Rentabilitätskriterien. Unter diesem Gesichtspunkt waren für sie die in den USA entwikkelten Leichtwasserreaktoren (LWR) besonders attraktiv. Dank ihres relativ hohen Entwicklungsstandes waren die führenden Unternehmen im Anlagenbau — Siemens, AEG und Brown/Boveri/Krupp — in den sechziger Jahren in der Lage, über Lizenzen auf Gegenseitigkeit, LWR technologisch weiterzuentwikkein und sich dann in den siebziger Jahren von ausländischen Lizenzen unabhängig zu machen.
Kennzeichen der Kommerzialisierung des deutschen Reaktorbaus in den siebziger Jahren waren einmal die Reduzierung der Rolle des Staates als Förderer und Finanzier und andererseits — durch die sich dadurch ergebenden Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkte — eine fortschreitende Unternehmenskonzentration. 1969 gründeten AEG und Siemens als gemeinsame Tochtergesellschaft die Kraftwerkunion AG, die zum beherrschenden Unternehmen auf dem Reaktormarkt wurde. (Als AEG 1976 seine Anteile an Siemens verkaufte, ging die KWU ganz in den Besitz von Siemens über.) 1971 wurde die Babcock-Brown & Boveri Reaktor GmbH gegründet, die mit einer amerikanischen Lizenz ebenfalls LWR herstellt. Die staatlichen Förderungsmittel werden heute primär zur Entwicklung von Hochtemperaturreaktoren und Schnellen Natriumbrütern sowie für die Sicherung der Brennstoffversorgung, die Urananreicherung, die Wiederaufbereitung und die Endlagerung eingesetzt. Ziel ist dabei weiterhin, Zugang zu allen Teilen des Brennstoffkreislaufes zu haben. Beim Wiederaufbau der westdeutschen Wirtschaft wurde der Kernindustrie besondere Bedeutung als Wachstums-und Zukunftsindustrie zugemessen. Eine konkurrenzfähige Kern-industrie sollte vor der Welt (und nicht zuletzt auf den Exportmärkten!) die Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft dokumentieren. Dies galt insbesondere, als sich erwies, daß die Bundesrepublik auf anderen Gebieten, z. B. beim Flugzeug-oder Großcomputerbau, nicht mehr mithalten konnte. Der „Schnelle Brüter" erhielt daher für die deutsche Industrie etwa die gleiche symbolische Bedeutung wie für Frankreich die „Concorde". Näherliegend war jedoch das energiepolitische Bemühen, die Abhängigkeit der Bundesrepublik von Energieeinfuhren und vom Preisdiktat der OPEC-Staaten zu reduzieren. Bislang ist allerdings die gesamtwirtschaftliche Bedeutung des nuklearen Sektors relativ gering. Der Anteil der Kernenergie am Gesamtenergieverbrauch beträgt derzeit 3, 1 Prozent; bis 1985 ist ein Anstieg auf 13 Prozent geplant. Der Anteil an der Stromerzeugung beträgt gegenwärtig etwa 8 Prozent und soll in den nächsten zehn Jahren auf 35 Prozent gesteigert werden. In der Kernindustrie werden derzeit etwa 35 000 Arbeitskräfte beschäftigt, zum größten Teil Spezialisten. Weitere 240 000 Arbeitsplätze bestehen bei ca. 300 Zulieferbetrieben. Das jährliche Investitionsvolumen für Kernkraftwerke und Brennstoff-kreislauf ist mit etwa acht Mrd. DM beträchtlich Die Produktionskapazität der Kraftwerkshersteller wurde — in den Jahren des Booms und in der Annahme eines rasch steigenden Energiebedarfs — für den gleichzeitigen Bau von sechs Kraftwerken mit einer Leistung von je 1300 MWe ausgelegt. Da nach den gegenwärtigen Planungen davon nur zwei auf dem Binnenmarkt abgesetzt werden können, kann eine Kapazitätsauslastung nur über Auslandsaufträge erfolgen. Die Folge ist eine starke Exportorientierung der Kernkraft-industrie.
Den unterschiedlichen Entstehungsbedingungen und Zielsetzungen entsprechen auch unterschiedliche nationale Organisationsformen. In Großbritannien, wo die zivile Kernforschung zunächst ein Nebenprodukt der militärischen Entwicklung war, übt auch heute noch der Staat eine dominierende Rolle auf Auftraggeber und Unternehmer aus. Die 1954 gegründete und heute dem Staatssekretär für Energiefragen unterstellte Atomic Energy Authority (UKAEA) ist sowohl das zentrale Koordinationsgremium für alle Kernenergie-fragen als auch ein riesiges staatliches Forschungsinstitut.
Auch in Frankreich kommt dem Commissariat ä L'Energie Atomique (CEA) eine Schlüsselstellung zu. Es ist gleichzeitig Atomenergiebehörde, Großforschungszentrum und industrielle Holdinggesellschaft für eine Reihe von spezialisierten Unternehmen. Mit der Einsetzung des „Conseil Superieure de Politique Nucleaire Exterieure (CPNE)" durch Staats-präsident Giscard d’Estaing ist jedoch die politische Leitungsfunktion des Staates gegenüber den ausufernden ökonomischen Interessen unterstrichen worden.
In Kanada wird der Uranbergbau — die älteste und zunächst bedeutendste Aktivität auf dem Nuklearsektor — durch Staatsunternehmen getätigt. Auch der wichtigste Kernkraftwerkshersteller — Atomic Energy of Canada, Ltd. (AECL) — befindet sich teilweise im Staatsbesitz, während sich die Elektrizitätsgesellschaften überwiegend in Privatbesitz befindet. AECL nimmt darüber hinaus Forschungsund Entwicklungsaufgaben wahr. Während die AECL beim Ministerium für Energie, Bergbau und Rohstoffe ressortiert, wird die staatliche Aufsicht, einschließlich der Genehmigungsverfahren, vom Atomic Energy Control Board (AECB) ausgeübt
Für die Bundesrepublik und für Japan ist eine Kooperation, in einzelnen Fällen aber auch Konkurrenz von Staat und Industrie charakteristisch. Die gemeinsame Gründung von Forschungseinrichtungen und die Aufstellung der verschiedenen Atompläne, aber auch die Entscheidung der Elektrizitätsversorgungsunternehmen für die Leichtwasserreaktorlinie sind dafür Belege. Allmählich entwickelte sich eine Art von Arbeitsteilung, nach der der Bund einen Großteil der Kosten für Forschung und Entwicklung, die Industrie die Weiterentwicklung bis zur Serienreife sowie Investitions-und Betriebskosten übernahmen. Auslandsgeschäfte wurden vom Staat nicht nur mit Krediten und Ausfallbürgschaften gefördert, sondern in der Regel auch im Rahmen von Regierungsabkommen abgewickelt. Die Federführung für Kernforschung und -entWicklung lag in der Bundesrepublik zunächst beim von Franz Josef Strauß geleiteten Bundesministerium für Atomfragen, aus dem das heutige Bundesministerium für Forschung und Technologie (BMFT) entstand. Das Kernforschungszentrum Karlsruhe ist ein staatliches Großforschungszentrum. Als Bindeglied zwischen Ministerium und Industrie und als Beratungsgremium des Bundes diente vom Januar 1956 bis zum Oktober 1971 die Deutsche Atomkommission, der 25 Vertreter aus Wissenschaft und Industrie sowie der Verbände angehörten. Das Deutsche Atomforum wurde 1959 als Interessenvertretung der Kerntechnischen Industrie gegründet, um in der Öffentlichkeit um Verständnis und Unterstützung für diese zu werben Die enge Verflechtung zwischen staatlicher Verwaltung und Industrie einerseits und das geringe Maß an politisch-parlamentarischer Kontrolle andererseits (die Aktivitäten der Umweltschützer und Kernkraftgegner sind ja erst neueren Datums, und sie üben weniger eine Kontrolle aus, als daß sie eine Antihaltung repräsentieren und auslösen) haben dazu geführt, daß das Bundesministerium für Forschung und Technologie (BMFT) zum Sachwalter und Interessen-vertreter der Kernindustrie in der Bundesrepublik geworden ist.
Die Verflechtung von staatlichen und industriellen Strukturen und Interessen ist somit für alle fünf Länder kennzeichnend. In Großbritannien, Frankreich und Kanada gibt die staatliche Planung den Rahmen für die industriellen Aktivitäten ab, wobei der Staat häufig Unternehmer und Kontrolleur in einer Person ist, während in der Bundesrepublik und Japan industrielle Interessen den Kurs der staatlichen Nuklearpolitik weitgehend bestimmen. Ein weiterer Rahmen für die Nuklearpolitik der Bundesrepublik und Frankreichs, seit 1973 auch Großbritanniens, ergibt sich durch ihre Mitgliedschaft in der EURATOM-Gemeinschaft. Frankreich und die Bundesrepublik initiierten EURATOM mit sehr unterschiedlichen Erwartungen. Auf deutscher Seite wurde an die Gründung der Atomgemeinschaft die Erwartung geknüpft, diese könnte sich — neben EGKS und EWG — als Vorstufe zu einer Europäischen Politischen Gemeinschaft erweisen. Bonn sah in ihr ferner ein politisches Sicherheitsnetz für die junge deutsche Atomforschung, das angesichts der eingebauten Sicherungsmaßnahmen Schutz vor Mißtrauen über die Redlichkeit der deutschen Motive und vor der Verdächtigung, die Bundesrepublik strebe nach Kernwaffen, bieten sollte. In Frankreich waren dagegen Regierung und Parlament bestrebt, eine Beeinträchtigung der nationalen Handlungsfreiheit zu vermeiden, insbesondere keine zusätzlichen Hindernisse für eine nukleare Waffenentwicklung aufzurichten. Paris versprach sich vor allem eine finanzielle Unterstützung seiner ehrgeizigen Projekte durch die Gemeinschaft. Seine eigentliche Bedeutung erhielt die EURATOM als Rahmen für die nukleare Kooperation mit den Vereinigten Staaten, die fast ausschließlich über die Gemeinschaft abgewickelt wurde (so z. B. bis heute die Brennstofflieferungen der USA), und als Rahmen für ein System gemeinschaftseigener Sicherheitskontrollen, von denen zwar die französischen und britischen Kernwaffenprogramme ausgenommen sind, das aber dennoch von den Mitgliedern als zuverlässig und nichtdiskriminierend empfunden wurde. Während der Verhandlungen über den Nichtverbreitungsvertrag legten die Gemeinschaftsmitglieder deshalb auch Wert darauf, daß dieses System nicht zerstört würde. Der Beitritt Großbritanniens im Zuge der Erweiterung der Europäischen Gemeinschaften hat EURATOM nicht wesentlich verändert.
Die vorhandenen Gemeinschaftsprojekte — das Kernforschungszentrum ISPRA, der geplante Teilchenbeschleuniger — konnten jeweils nur nach langem Feilschen um nationale Egoismen realisiert werden. Erfolgreicher waren dagegen Projekte, die von zwei oder mehr Staaten gemeinsam unternommen wurden, wie z. B. die französisch-italienisch-iranisch-spanisch-belgische Anreicherungsanlage „Eurodif" oder die gemeinsam von Großbritannien, der Bundesrepublik und den Niederlanden betriebene Ultrazentrifuge der „Urenco". In der Regel vermochten jedoch erst äußere, alle Gemeinschaftsstaaten betreffende Ereignisse so etwas wie ein politisches Gemeinschaftsbewußtsein auszulösen. Die Reaktion auf den Kernwaffensperrvertrag Ende der sechziger/Anfang der siebziger Jahre oder die Irritation durch die amerikanische Nukleargesetzgebung im Frühjahr 1978 sind dafür Beispiele.
Die Verhandlungen über den Kernwaffen-sperrvertrag fanden in einer Phase statt, in der die nukleare Zukunft — und zwar in sicherheitspolitischer wie in wirtschaftlich-technologischer Hinsicht — ungewiß war. In Großbritannien und Frankreich war zu dieser Zeit eine lebhafte Strategiediskussion über die Funktion nationaler Nuklearstreitkräfte im Gange; Kanada überprüfte seinen NATO-Beitrag; Japan stand vor der Aufgabe, die Auswirkungen der chinesischen Nuklearexplosion für seine Sicherheit und politische Rolle in Südostasien zu bewerten; die Bundesrepublik führte mit den Vereinigten Staaten Verhandlungen über eine nukleare Teilhabe im Rahmen einer multilateralen NATO-Atomstreitmacht. Während der Nichtverbreitungsvertrag die privilegierte Stellung Großbritanniens und Frankreichs festschrieb, beschränkte und erweiterte er zugleich den Handlungsspielraum der Bundesrepublik und Japans. Bonn mußte sowohl auf die MLF als auch auf andere Formen nuklearer Teilhabe verzichten, gleichzeitig befreite es sich jedoch — ebenso wie Japan — von dem seitens der Sowjetunion und ihren Verbündeten mit Permanenz vorgebrachten Vorwurf, es strebe Kernwaffen. Vertrag nach Der betraf die Schwellenmächte in ähnlicher Weise; dies führte zu einer weitgehenden Interessenabstimmung unter ihnen, die sich in ähnlichen Argumenten und einer gemeinsamen Haltung auf der Konferenz der Nichtnuklearen Staaten im Sommer 1968 in Genf ausdrückte.
Ebenso waren in den sechziger Jahren die Möglichkeiten und Grenzen der friedlichen Nutzung der Kernenergie noch nicht abzusehen. Die ersten kommerziellen Reaktoren wurden in Betrieb genommen, die technologische Entwicklung der Kernenergie und ihre wirtschaftliche Bedeutung ließen sich in den verschiedenen Staaten jedoch noch nicht präzise abschätzen. Auf keinen Fall durfte durch den Kernwaffensperrvertrag die friedliche Nutzung der Kernenergie behindert werden, auch sollte es keine Benachteiligung gegenüber den Kernwaffenstaaten geben. Dieser Gesichtspunkt spielte auch beim Abschluß des Abkommens über Sicherheitsmaßnahmen mit der IAEO eine Rolle. Für die Bundesrepublik war darüber hinaus wichtig, daß das EURATOM-System nicht gefährdet werden würde; Japan wollte sich dagegen nicht gegenüber der EURATOM diskriminiert sehen. Bonn wie Tokio ratifizierten den NV-Vertrag daher erst, als ein befriedigendes IAEO-Sicherungsabkommen ausgehandelt worden war. Beide sahen zwar nicht alle Bedenken hinsichtlich des Vertragswerkes ausgeräumt, eine weitere Zurückhaltung hätte jedoch ihre Beziehungen zu den Vereinigten Staaten belastet, von denen beide sicherheitspolitisch abhängig sind
Der im Nichtverbreitungsvertrag zutage getretene Gegensatz zwischen den nuklearen Supermächten einerseits und den zivilen Nuklearmächten andererseits verschärfte sich weiter in den siebziger Jahren. Grund dafür war einmal die verschiedene Energiesituation: Die Vereinigten Staaten waren in wesentlich größerem Maße autark und damit weniger vom Olembargo und Preisdiktat der OPEC-Staaten als die Westeuropäer betroffen, ebenso hatte die unterschiedliche Struktur, Größe und volkswirtschaftliche Bedeutung der einheimischen Kernindustrie zur Folge, daß sie weniger auf den Exportmarkt angewiesen waren. Die andere Ursache ist darin zu sehen, daß die USA eine sicherheitspolitische Position vertraten, während die Haltung der zivilen Nuklearstaaten wesentlich von kommerziellen Gesichtspunkten geprägt war. Der Konflikt entzündete sich an dem deutsch-brasilianischen Nuklearabkommen von 1975 und der französischen Bereitschaft, Wieder-aufbereitungsanlagen an Südkorea und an Pakistan zu liefern. Die indische Nuklearexplosion hatte bewirkt, daß Washington das Risiko des Transfers nuklearer Anlagen in Länder der Dritten Welt fürchtete und ein höheres Maß an Zurückhaltung und Kontrolle empfahl. Während Kanada, das mit seinem 1960 an Indien gelieferten Forschungsreaktor wesentlich zur indischen „Bombe" beigetragen hatte, neue Sicherungsmaßnahmen ankündigte, machten die westeuropäischen zivilen Nuklearmächte geltend, daß seit Inkrafttreten des NV-Vertrages alle Nuklearexporte der Kontrolle der IAEO unterlägen und daß bisher in keinem Fall beim Betrieb eines Kernkraftwerkes angefallenes Plutonium zur Waffenherstellung benutzt worden sei. Dieser Weg sei zu langwierig und kostspielig. Hinzu kam die Sorge, daß vermehrte Restriktionen die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Kernindustrie beeinträchtigen würden, die unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten den Exportmarkt brauchte und sich gegen die marktbeherrschende Stellung der USA durchzusetzen suchte. Der heftige Konkurrenzkampf um Anteile am Weltmarkt führte dann auch dazu, daß die amerikanischen Warnungen in Westeuropa zunächst als Ausdruck wirtschaftlichen Konkurrenzneides verstanden wurden
Im deutsch-brasilianischen Abkommen
hatte sich zum ersten Mal ein Land verpflichtet, einen kompletten Brennstoffkreislauf an ein Land der Dritten Welt zu liefern. Zwei Entwicklungen hatten zum Abschluß dieses Geschäftes beigetragen: Zum einen die Enttäuschung Brasiliens, daß die Vereinigten Staaten — ursprünglich war als Kraftwerks-lieferant der amerikanische Konzern Westinghouse in Betracht gezogen worden — weder bereit waren, eine Liefergarantie für angereichertes Uran abzugeben, noch Wiederaufbereitungsanlagen an Brasilien zu liefern; und zum anderen die seit langem zwischen der Bundesrepublik und Brasilien bestehende Zusammenarbeit auf technologisch-wissenschaftlichem und wirtschaftlichem Gebiet. Für die deutsche Seite war das Brasilien-Abkommen in erster Linie ein Exporterfolg; man glaubte in Bonn, daß das Brasilienabkommen, insbesondere in Anbetracht der vorgesehenen Sicherungsmaßnahmen, voll in Einklang mit den Intentionen des Nichtverbreitungsvertrages stehen würde. Bei seinem Zustandekommen spielte auch eine wesentliche Rolle, daß es nahezu ausschließlich vom BMFT und von der Außenwirtschaftsabteilung im Auswärtigen Amt vorbereitet und durchgeführt wurde
Die Kritik an dem französisch-pakistanischen Abkommen über die Lieferung einer Wieder-aufbereitungsanlage an Pakistan entzündete sich daran, daß Pakistan unter dem Eindruck der indischen Kernexplosion auch nach einer nuklearen Option strebt. Die Vereinigten Staaten versuchten, über die Androhung einer Einstellung der Militärhilfe das Land zu einem Rücktritt von dem Abkommen zu veranlassen. Dieses war jedoch nicht bereit, dem Druck nachzugeben. Mehr Erfolg hatte Washington in Seoul, das ebenfalls eine Wieder-aufbereitungsanlage von Frankreich beziehen wollte. Hier glaubte der amerikanische Geheimdienst konkrete Hinweise darauf zu haben, daß Südkorea angesichts des bevorstehenden Abzuges der amerikanischen Truppen Vorbereitungen für ein eigenes nukleares Abschreckungspotential traf. Allerdings kostete das südkoreanische Einlenken seinen Preis:
die Vereinigten Staaten sagten Südkorea zu, ihre (nuklearen) Luftstreitkräfte im Land zu belassen und ihre Militärhilfeleistungen deutlich zu erhöhen.
Ein weiterer Streitpunkt waren die verschiedenen Auffassungen der USA und der anderen nuklearen Lieferländer in der Frage des Brennstoffkreislaufes und der Plutonium-Wirtschaft. In den Vereinigten Staaten war in einem von der Ford Foundation initiierten Bericht die Zurückstellung von Wiederaufbereitungsanlagen und Schnellen Brütern empfohlen worden, bis Technologien entwickelt worden wären, durch welche die Gefahr verringert würde, daß Plutonium für militärische Zwecke abgezweigt werden könnte. Da die vorhandenen Uranreserven ausreichend seien und eine Wiederaufbereitung daher unwirtschaftlich wäre, könnte auch aus diesen Gründen auf einen vollen Brennstoffkreislauf verzichtet werden Aus der Sicht der von der Einfuhr von Uran, insbesondere von angereichertem Brennstoff abhängigen westeuropäischen Nuklearstaaten und Japans sah die Situation jedoch anders aus. Priorität hatte die Sicherstellung der Versorgung mit Kernbrennstoffen über den Betrieb eigener Anreicherungs-und Wiederaufbereitungsanlagen. Hinzu kam, daß in der Wiederaufarbeitung auch eine, zumindest teilweise Lösung für das Abfallproblem gesehen wurde. Während in den Vereinigten Staaten nur eine — bislang unwirtschaftliche — kommerzielle Wiederaufbereitungsanlage in Betrieb und der Bau von Schnellen Brütern innenpolitisch umstritten und von der Regierung zurückgestellt worden war, befanden sich in den westeuropäischen Nuklearstaaten geschlossene Brennstoffkreisläufe in der Erprobung oder bereits im Betrieb. Die Politik Washingtons, die auf eine Beschränkung der Wiederaufarbeitung abzielte und die für die Weiterverarbeitung des von ihr gelieferten Spaltstoffes ihre vorhergehende Zustimmung forderte, bedeutete daher eine potentielle Gefährdung der westeuropäischen Bestrebungen, Autarkie auf dem Kernenergiesektor zu erreichen. Hiervon war vor allem die Bundesrepublik betroffen, da für Großbritannien und Frankreich als etablierte Kernwaffenstaaten Sonderregelungen galten.
Die amerikanisch-europäischen bzw. amerikanisch-japanischen Meinungsverschiedenheiten stellten die beteiligten Länder vor die Frage, ob ihre nuklearen Interessen oder die Rücksichtnahme auf die Bündnisbeziehungen Priorität haben sollten. Solange die Nixonbzw. Ford-Administration aus Bündnisrücksichten ihre Bedenken gegen die westeuropäischen Exportgeschäfte nur auf diplomatischem Wege äußerte, versuchten sie, Nichtverbreitungsgesichtspunkten dort Rechnung zu tragen, wo es sich ohne Beeinträchtigung ihrer nuklearen Exportpolitik machen ließ. Bonn erklärte sich bereit, in das Brasilien-Abkommen zusätzliche Sicherungsmaßnahmen einzubauen. Es unterstützte ferner die kanadisch-amerikanische Initiative, im Rahmen der nuklearen Lieferländer sich über gemeinsame Grundsätze für Nuklearexporte zu verständigen. Gleichzeitig bekräftigten jedoch Bonn und Paris, daß sie zu den mit Brasilien und Pakistan abgeschlossenen Abkommen stehen und sie in der vorgesehenen Form durchführen würden.
Die Arbeit der Gruppe Nuklearer Lieferländer (dem sogenannten „London Supplier's Club") entsprach dabei in mehrfacher Weise den Interessen der nuklearen Lieferländer: Zum einen leitete sie den amerikanischen Druck auf ein multilaterales Forum ab und schütze damit die einzelnen Staaten vor bilateralen Pressionen, zum anderen ermöglichte sie eine gemeinsame Erarbeitung von Richtlinien, die von allen beteiligten Staaten für vertretbar gehalten wurden — wobei es dabei nicht ohne einige Formelkompromisse abging — und die ein Gegeneinanderausspielen auf den Exportmärkten verhindern sollten Stärker als die Supermächte waren sich Frankreich und die Bundesrepublik jedoch des tendenziell diskriminierenden Charakters des Nuklearclubs bewußt. Sie machten daher den Vorschlag, einige der nuklearen Entwicklungsländer zu den Beratungen hinzuzuziehen. Dieser Vorschlag scheiterte jedoch einmal an der Zurückhaltung Washingtons, vor allem aber daran, daß Länder wie Brasilien oder Pakistan eine Mitwirkung ablehnten. Insgesamt verfolgten Paris und Bonn die Tendenz, über Absichtserklärungen und eine Verbesserung des Kontrollinstrumentariums der IAEO hinaus keiner Regelung zuzustimmen, die ihre eigene Handlungsfreiheit auf dem Nuklearsektor beschränkt und ihre Beziehungen zu den Handelspartnern in der Dritten Welt belastet hätte.
Mit dem Amtsantritt der Carter-Administration ergab sich eine neue Situation. Die Akzentverlagerung von der Bündnis-orientierung zur Priorität nuklearer Nicht-verbreitung forderte die nuklearen Lieferlänger zur Entscheidung heraus, ob sie an ihrer bisherigen Haltung festhalten und damit eine Belastung ihrer Beziehungen zu den Vereinigten Staaten riskieren sollten, oder ob sie sich dies aus sicherheitspolitischen Erwägungen nicht leisten könnten. Eine Schlüsselrolle fiel dabei Frankreich zu. Nicht nur war es das westeuropäische Land mit der am höchsten entwickelten Nuklearindustrie und der am stärksten auf Unabhängigkeit von den USA bedachten Außenpolitik, sondern aufgrund der Verflechtung der westeuropäischen Nuklearindustrien über EURATOM oder Gemeinschaftsprojekte waren die anderen Länder auch nicht in der Lage, ihre bisherige Politik gegen Paris durchzuhalten. Es war daher von weitreichender Bedeutung, als Staatspräsident Giscard d’Estaing am 16. Dezember 1976 ankündigte, daß Frankreich bis auf weiteres auf den Export von Anreicherungsanlagen verzichten werde Am 17. Juni 1977 folgte die Bundesrepublik, die nun dem Druck sowohl von Washington als auch von Paris ausgesetzt war, mit einer entsprechenden Erklärung. Diese Selbstbindung der beiden wichtigsten westeuropäische Staaten muß im Zusammenhang gesehen werden mit der auf dem Londoner Gipfel im Mai 1977 getroffenen Vereinbarung, die Probleme des Brennstoffkreislaufs gemeinsam mit den nuklearen Empfängerländern zu überprüfen. Auf der Organisationskonferenz der INFCE setzten insbesondere Paris und Bonn durch, daß die Arbeit der Experten nur in Form von Empfehlungen, aber nicht von bindenden Entscheidungen den Regierungen übermittelt werden sollte. Ihre Absicht war es, die Verabschiedung einer neuen Nukleargesetzgebung im amerikanischen Kongreß zu verzögern oder zumindest diese zu entschärfen. Dabei unterschätzten sie jedoch die aus der Watergate-Krise genährte Eigendynamik in Washington, die relativ geringe bzw. zu späte Einflußnahme von Seiten der amerikanischen Nuklearindustrie und die nur sehr vorsichtig vom State Department an der Gesetzgebung angebrachten Korrekturen. Als am 10. März 1978 der Nuclear Nonproliferation Act in Kraft trat, reagierten sie daher mit einer Mischung aus Überraschung, Bestürzung und Empörung auf die im Gesetz enthaltene Bestimmung, daß sie innerhalb von 30 Tagen ihre Bereitschaft zu Neuverhandlungen über die geltenden Verträge über Brennstofflieferungen erklären sollten. Die EURATOM-Mitglieder ließen denn auch die Frist verstreichen, ehe sie sich — kurz vor dem Bonner Wirtschaftsgipfel — zu „Gesprächen" mit den USA bereit erklärten. Beide Seiten lenkten jedoch ein: EURATOM, indem es seine Verärgerung über das einseitige Vorgehen der USA zurückstellte, und die USA, indem sie Flexibilität in der Handhabung des Gesetzes, insbesondere hinsichtlich der vorgesehenen Fristen und Ausnahmeregeln, in Aussicht stellten.
Die Entwicklung der Kernenergiepolitik der zivilen Nuklearstaaten zeigt deutlich die Dominanz wirtschaftlicher Gesichtspunkte. Diese lassen sich einmal aus der unterschiedlichen Struktur der Kernindustrie im Vergleich zu derjenigen in den USA herleiten, sie ergeben sich zum anderen aus der geschützten Situation unterhalb des Nuklearschirms der Supermächte. Diese erlaubt es ihnen, sich aus der Verantwortung für die Erhaltung des bestehenden Nuklearsystems wegzustehlen. Während das Verhalten der Vereinigten Staaten — in gewissen Grenzen auch dasjenige Großbritanniens und, nach dem Dezember 1976, Frankreichs — demjenigen von etablierten Siatus-quo-Mächten entspricht, reagierten die Bundesrepublik und Japan, trotz oder gerade wegen des in verbindlicher Weise ausgesprochenen Verzichts auf eine Kernwaffen-option, wie nicht-saturierte Staaten, deren Ziel es ist, ihren Status in einem spezifischen Bezugssystem — dem nuklearen System — aufzuwerten. Zivile nukleare Größe als Ersatzhaltung für den militärischen Nuklearverzicht? Eine weitere Erklärung für das Verhalten der Bundesrepublik und Japans liegt in der maßgeblichen Rolle, welche der Kernindustrie in diesen Ländern bei der Formulierung der Energiepolitik zukommt.
Erst unter dem Eindruck der Krise in den deutsch-amerikanischen Beziehungen als Folge des Brasilien-Abkommens begann die Bundesregierung, die ihr weitgehend entglittene politische Kontrolle über die Nuklearpolitik wiederherzustellen. Organisatorischen Ausdruck fand dieses Bemühen in der Gründung eines Kabinettsausschusses für die friedliche Nutzung der Kernenergie. Ein weiteres Beratungsgremium ist der Beirat für die friedliche Nutzung der Kernenergie, dem Vertreter der Bundesregierung, der Bundestagsparteien, der Länder, der Verbände und der Wissenschaft angehören
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die zivilen Nuklearmächte mit dem Nichtverbreitungsvertrag und durch die Krise in ihren Beziehungen zu den USA über Nuklearexport und Brennstoffkreislauf ihre nuklearpolitische Unschuld verloren haben, daß sie jedoch bisher über einen gespannten Attentismus hinaus noch nicht gezeigt haben, daß sie ein längerfristiges nukleares Konzept besitzen, das industrielle Nutzung der Kernenergie mit Verantwortung für die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen verbindet.
Die nuklearen Schwellenmächte: Ambivalenz wirtschaftlicher Entwicklung und Streben nach regionaler Machtentfaltung
Der Prozeß zunehmender Differenzierung im internationalen System hat innerhalb der „Dritten Welt" zur Herausbildung einer neuen Gruppe von Mittleren Mächten geführt, die durch Bevölkerungszahl, Wirtschaftskraft, Militärpotential und darauf gestütztem politischen Anspruch regionale Macht ausüben und im Begriff sind, diese auch über die eigene Region hinaus zu projizieren. Die fünf prominentesten Vertreter dieser Gruppe, die zugleich über ein substantielles Kernenergie-programm verfügen, sind Indien, Pakistan, Iran, Brasilien und Argentinien. Damit stellt sich die Frage, ob und in welchem Maße nu33) klearer Status als Attribut regionaler Einflußnahme begriffen wird und welche Auswirkungen dies auf die Weiterverbreitung von Kernwaffen hat. Warum besitzen aber Nigeria, Saudi-Arabien und Mexiko wohl das Potential einer Mittleren Macht, verfügen jedoch nur über ein bescheidenes nukleares Entwicklungsprogramm? Und warum fehlt dagegen den nuklearen Schwellenmächten Israel, Südafrika, Taiwan und Südkorea die Fähigkeit zu regionaler Machtentfaltung?
Ein weiterer Zusammenhang besteht zwischen dem Einsatz von modernen Technologien und dem Willen zur Beschleunigung des Modernisierungsprozesses. Die Beherrschung z. B.der Nukleartechnologie wird als Voraussetzung sowohl der industriellen Entwicklung als auch zur Verwirklichung eines höheren Maßes an wirtschaftlicher und politischer Unabhängigkeit von den Industriestaaten gesehen. Kernkraftwerke sind aus dieser Sicht Zukunftsinvestitionen, die eine Verkürzung des Schrittes von der Unterentwicklung zum modernen Industriestaat versprechen. Vertreter der „Dritten Welt" werten es als ein Zeichen von „weißer Arroganz", wenn die Nuklear-mächte ihnen vorzurechnen suchen, daß der nukleare Weg mit zu hohen politischen und wirtschaftlichen Kosten verbunden sei und keine echten Entwicklungsvorteile verspreche. Mit der Ablehnung der Bevormundung durch die Industriestaaten enden aber auch die Gemeinsamkeiten zwischen den nuklearen Schwellenmächten, deren Politik nur aus einem spezifischen regionalen Kontext, aus der Kenntnis ihres politischen Systems oder ihres wirtschaftlichen Entwicklungsstandes zu erklären ist.
Indien Unter den nuklearen Entwicklungsländern nimmt Indien eine Sonderstellung ein. Es ist nicht nur das einzige Land, das einen nuklearen Sprengkörper zur Explosion gebracht hat, sondern es verfügt auch über das technologisch am höchsten entwickelte Kernenergie-programm, dessen Wurzeln bis in die vierziger Jahre zurückreichen. Heute verfügt Indien über sieben Kernforschungsinstitute, vier Forschungsreaktoren, acht fertiggestellte bzw. im Bau befindliche Kernkraftwerke, eine Isotopentrennanlage (eine zweite ist im Bau), Anlagen zur Brennelementherstellung und zur Fabrikation von Schwerem Wasser sowie einen Schnellen Brüter für Forschungszwecke, der 1980 in Betrieb genommen werden soll.
Das indische Kernenergieprogramm sieht bis zum Jahre 1984 die Installierung von 1680 MW und bis 1991 von 6000 MW elektrischer Leistung vor. Besonders bemerkenswert ist die breite Basis an hochqualifizierten Fachkräften, ferner der hohe Grad — ca. 75 Prozent — an nuklearen Anlagen und Ausrüstungen, die im Land selbst hergestellt werden können. Das Plutonium für den indischen Kernsprengkörper wurde aus einem von Kanada gelieferten und nicht den IAEO-Kontrollen unterstehenden Forschungsreaktor gewonnen. Ein Engpaß besteht jedoch bei der Versorgung mit Schwerem Wasser. Hier reicht die eigene Produktion nicht aus, um sowohl das zivile Kernenergieprogramm als auch die Plutoniumherstellung zu versorgen. Als Kanada nach der indischen Versuchsexplosion die nukleare Kooperation einstellte (sie wurde zwei Jahre später wieder aufgenommen), führte dies zwar zu Verzögerungen des indischen Kernenergieprogramms, gefährdete dieses aber nicht ernsthaft. Neben dem hohen Selbstversorgungsgrad schützt Indien seine Zusammenarbeit mit einer ganzen Reihe von Ländern vor einer zu großen Abhängigkeit von einem Lieferanten. Indien hat zwar den Teststopvertrag unterzeichnet und ratifiziert; durch den Nichtbeitritt zum Kernwaffensperrvertrag hält es sich jedoch alle politischen Optionen offen
Eine der Hauptantriebskräfte für das indische Nuklearprogramm ist die forcierte Modernisierung des Landes. Dahinter steht die Vorstellung, daß Indien unter Ausnutzung der Kernenergie am schnellsten Anschluß an die wirtschaftliche Entwicklung der Industriestaaten gewinnen könnte. Sie wird neben Wasserkraft und Kohle als der zukunftsträchtigste Energieträger betrachtet. Um den Bau einer aufwendigen Anreicherungsanlage zu vermeiden und um sich nicht in die Abhängigkeit von Brennstofflieferanten zu begeben, hat Indien ebenso wie viele andere Entwick36) lungsländer mit Natururan arbeitenden Schwerwasserreaktoren kanadischer Bauart den Vorzug vor mit angereichertem Uran arbeitenden Leichtwasserreaktoren gegeben. Daneben wird die Entwicklung von Hochtemperaturreaktoren und von Schnellen Brütern betrieben. In ihnen wird zum einen der Reaktortyp der Zukunft gesehen, der dann zur Verfügung stehen würde, wenn das indische Piogramm in 10 bis 20 Jahren seinen Höhepunkt erreicht, und der zum anderen ein Höchstmaß an energiepolitischer Unabhängigkeit zu versprechen scheint.
Der Test eines Kernsprengkörpers im Jahre 1974 sprengt jedoch die ökonomischen Dimensionen und verweist auf die politischen Motive des indischen Nuklearprogramms, obwohl Neu Delhi nicht müde wird, auf den friedlichen Charakter des Versuchs und den wirtschaftlichen Nutzen von Kernsprengkörpern, z. B. für die Ol-und Gasexploration, zu verweisen. Zum einen war die indische Explosion eine Reaktion auf die chinesische Entwicklung zur Atommacht. Zum anderen war sie ein Versuch, die Niederlage Pakistans im Konflikt um Westbengalen politisch zu zementieren und die Vorherrschaft Indiens auf dem Subkontinent statusmäßig abzusichern. In einer Region und Periode sich abschwächender Bündnisbeziehungen soll das indische nukleare Potential dazu dienen, die Kräfterelation Indiens zu seinen beiden Hauptgegnern — China und Pakistan — zum eigenen Vorteil politisch zu stabilisieren. Es bleibt abzuwarten, ob, wann und unter welchen Bedingungen es diese politische Option in eine militärische, d. h. in die Entwicklung eines einsatzfähigen Kernwaffenpotentials umsetzt. Gegenwärtig dürfte Neu Delhi die destabilisierenden Wirkungen eines solchen Schrittes mehr fürchten, als es sich positive Wirkungen davon verspricht.
Die indische Nuklearexplosion hat jedoch auch eine innenpolitische Dimension. Sie verschaffte der durch Wahlniederlagen und Skandale angeschlagenen Regierung Indira Gandhi einen innenpolitischen Erfolg, der zwar nicht lange anhielt, aber momentane Entlastung versprach. Der Versuch war so kalkuliert, daß zum einen die Anhänger eines militärischen Nuklearpotentials sich ihrem Ziel ein Stück näher sahen, zum anderen nicht die Kritik des militärischen Establishments herausgefördert wurde, das Abstriche an den konventionellen Streitkräften fürchtet, und zum dritten die Befürworter einer Politik der Gewaltfreiheit und Abrüstung nicht völlig vor den Kopf gestoßen wurden. Die indische Regierung betonte daher immer, daß sie keine Bombe, sondern einen für friedliche Zwecke nutzbaren Sprengsatz zur Explosion gebracht habe. Diese innenpolitische Ambivalenz veranlaßt die Regierung Desai, an den wesentlichen Elementen der bisherigen indischen Nuklearpolitik festzuhalten.
Pakistan Das historische Spannungsverhältnis auf dem indischen Subkontinent wirkt in besonderem Maße auf Pakistan und das pakistanische Nuklearprogramm zurück. Insbesondere hat die indische Versuchsexplosion in Pakistan die Sorge verstärkt, daß Indien im Begriff sei, seine hegemoniale Rolle auf dem Subkontinent auszubauen. Mit dem Besitz von einsatzfähigen Kernwaffen seitens Indiens würde das militärische Kräfteverhältnis auf dem Subkontinent trotz großer pakistanischer Anstrengungen unwiderruflich zuungunsten Pakistans fixiert werden, es sei denn, dieses ginge ebenfalls den Weg einer militärischen nuklearen Entwicklung. Charakteristisch für derartige Überlegungen ist die Äußerung des ehemaligen Premierministers Bhutto: „Wenn Indien die Bombe baut, werden wir Blätter oder Gras essen oder auch hungern, aber wir müssen dann auch eine haben." Seine Unterschrift unter den Nichtverbreitungsvertrag macht Rawalpindi daher auch davon abhängig, daß Indien ebenfalls dem Vertrag beitritt. Das pakistanische Nuklearprogramm hat jedoch auch eine ökonomische Dimension. Wie viele sich rasch industrialisierende Entwicklungsländer hat Pakistan einen hohen Primär-energiebedarf, von dem nur ein kleiner Teil durch einheimische Rohstoffe gedeckt werden kann. Es gehört zu den von der Olpreiserhöhung am stärksten betroffenen Ländern. Ein ambitiöses Kernenergieprogramm mit 24 Natururan-Kraftwerken soll nicht nur die Energielücke schließen, sondern Pakistan auf dem Energiesektor auch weitgehend autark machen. Andererseits verfügt das Land über beträchtliche Kohlevorkommen und noch weitgehend unerschlossene Ressourcen an Erdöl, Erdgas und Wasserkraft. Da Pakistan über eine kaum entwickelte personelle und industrielle nukleare Infrastruktur verfügt (gegen-wärtig sind lediglich ein Forschungsreaktor und ein kleines Kraftwerk in Betrieb), scheinen jedoch weder die technischen Voraussetzungen noch die wirtschaftlichen Notwendigkeiten für ein großangelegtes Kernenergieprogramm gegeben zu sein, vielmehr steht zu befürchten, daß dringend benötigte Geld-und Personalmittel von anderen Entwicklungssektoren abgezogen werden müssen. Dies gilt in besonderem Maße auch für die Wiederaufarbeitungsanlage, die Pakistan in Frankreich bestellt hatte und für welche die wirtschaftlichen Voraussetzungen frühestens in 20 bis 30 Jahren gegeben gewesen wären. Alle Anzeichen sprechen daher dafür, daß die Verantwortlichen in Rawalpindi sich auch bei der Planung des zivilen Energieprogramms vor allem von sicherheitspolitischen Überlegungen leiten lassen.
Iran Das Nuklearprogramm des Iran unterscheidet sich von demjenigen Indiens und Pakistans durch seine primär wirtschaftliche Motivation. Die durch Rohölexporte erzielten Einnahmen sollen zum Aufbau einer Kernenergiekapazität genutzt werden, mit deren Hilfe dann der Energiebedarf des Landes gedeckt werden kann, wenn um die Jahrhundertwende die Rohölquellen im eigenen Lande versiegt sein werden. Das iranische Kernenergieprogramm ist relativ jungen Datums (1974 wurde die Atomenergiebehörde des Iran [AEOI] gegründet); es kann sich bislang nicht auf eine nationale technologische und industrielle Infrastruktur stützen. Das Land ist vielmehr weitgehend auf die Kooperation mit den nuklearen Lieferländern, insbesondere mit Frankreich, der Bundesrepublik und den Vereinigten Staaten, angewiesen. Das iranische nukleare Entwicklungsprogramm sieht daher die gleichzeitige Intensivierung der Kernforschung und den Aufbau einer Kernenergiekapazität von etwa 9 000 MW bis zum Jahre 1985 und von 24 400 MW bis 1993 vor Im Gegensatz zu Indien und Pakistan hat sich der Iran für mit angereichertem Uran arbeitende Leichtwasserreaktoren (LWR) entschieden. Zunächst hatte der Iran versucht, Anreicherungs-und Wiederaufarbeitungsanlagen von Frankreich oder der Bundesrepublik zu erwerben; als zusätzlichen Anreiz hatte Teheran Endlagerstätten für radioaktiven Abfall in Aussicht gestellt. Nach dem Beschluß der nuklearen Lieferländer, auf den Verkauf von sensitiven Anlagen zu verzichten, wurde dieses Vorhaben jedoch einstweilen zurückgestellt.
In einem weiteren Punkt unterscheidet sich die Situation des Iran von derjenigen Indiens und Pakistans. Der Iran ist nicht nur Mitglied des Nichtverbreitungsvertrages und hat alle seine Anlagen internationaler Kontrolle unterstellt, sondern ihm fehlt auch — abgesehen von dem latenten politischen und ideologischen Gegensatz zur Sowjetunion — eine unmittelbare äußere sicherheitspolitische Bedrohung, die als Auslöser für ein Kernwaffenprogramm dienen könnte, außerdem die dazu notwendige technologische Basis. Andererseits sollte nicht übersehen werden, daß Teheran über ausreichende Wirtschaftskraft und Finanzmittel verfügt, um mit Hilfe von wissenschaftlichen „Gastarbeitern" innerhalb relativ kurzer Zeit auch eine militärische Option zu erwerben, falls sich die internationalen Rahmenbedingungen oder die innenpolitische Lage ändern und den Erwerb eines Kernwaffenpotentials als nützlich erscheinen lassen würden. Die Mitgliedschaft im Kernwaffensperrvertrag wäre dann sicher kein unüberwindbares Hindernis.
Argentinien In Lateinamerika sind Argentinien und Brasilien die beiden führenden nuklearen Entwicklungsländer. In Argentinien wurden bereits Anfang der fünfziger Jahre die ersten Grund-lagen für das heute hochentwickelte Kernforschungs-und Entwicklungsprogramm gelegt, in dessen Rahmen bis 1985 drei Kernkraftwerke errichtet werden sollen. Um einmal das einheimische Uran zu nutzen und um zum anderen eine Abhängigkeit von ausländischen Brennstofflieferanten zu vermeiden, wurde Natururanreaktoren der Vorzug gegeben. Ein erstes Kernkraftwerk wurde von Siemens/KWU geliefert, ein weiteres in Kanada bestellt, ein drittes befindet sich in der Planung. Mit eigenen reichen und kostengünstig abbaubaren Uranvorkommen, mit Versuchsanlagen für die Brennelementherstellung, mit eigener Schwerwasserproduktion und chemischer Wiederaufbereitung verfügt Argentinien über das know-how des gesamten Brennstoffkreislaufs. Ein Engpaß besteht jedoch in der Versorgung mit Schwerem Wasser. Die argentinische Entscheidung für die Schwerwasser-Natururan-Reaktorlinie, die im Lande selbst nicht unumstritten ist, war nahezu ausschließlich politisch motiviert und sollte die Unabhängigkeit von ausländischen Brennstofflieferungen gewährleisten. Vom technologischen Entwicklungsstand her hätte Argentinien auch für Leichtwasserreaktoren optieren können. Nicht sicher ist jedoch, ob es auf Dauer dabei bleiben wird, da die maximale Leistung und Wirtschaftlichkeit dieses Reaktortyps begrenzt sind. Mit der Lieferung eines Forschungsreaktors an Peru steht Argentinien darüber hinaus an der Schwelle des Clubs der nuklearen Lieferländer. Das argentinische Nuklearprogramm ist so angelegt, daß zum einen eine breite Grundlage theoretischer und empirischer Nuklearforschung geschaffen und zum anderen Schritt für Schritt die Unabhängigkeit von ausländischen Lieferanten dort erhöht werden soll, wo dies wirtschaftlich vertretbar erscheint
Neben dem Bestreben, ein Höchstmaß an kerntechnischer Autarkie zu erreichen, ist es ein Kennzeichen der argentinischen Nuklearpolitik, sich alle Optionen für die politische Operationalisierung dieser Kapazitäten offen zu halten. Argentinien ist daher dem Nichtweiterverbreitungsvertrag nicht beigetreten; den Vertrag für eine kernwaffenfreie Zone in Lateinamerika (Vertrag von Tlatelalco) hat es unterzeichnet, aber nicht ratifiziert. Allerdings unterstehen alle seine Reaktoren den Sicherungsmaßnahmen der IAEO. Es wird sehr weitgehend vom künftigen nuklearen Kurs Brasiliens und von der innen-und wirtschaftspolitischen Entwicklung im Innern abhängen, welche der möglichen nuklearen Optionen Argentinien realisiert: die „kanadische Option", d. h.den bindenden Verzicht auf ein Kernwaffenpotential; die „indische Option", d. h. die Demonstration der Fähigkeit zu einem militärischen Potential, ohne jedoch dieses unmittelbar zu realisieren; oder die „israelische Option", d. h. die „Bombe im Keller" bzw. die Schaffung der Voraussetzungen für ein einsatzfähiges Kernwaffenpotential ohne die öffentliche Zurschaustellung desselben
Brasilien Obwohl das Nuklearprogramm Brasiliens ebenfalls in die fünfziger Jahre zurückreicht, fehlt ihm die Stetigkeit des argentinischen. Es pendelte lange zwischen einem auf nukleare Autarkie und einem auf möglichst rasche Fortschritte unter Inkaufnahme von Abhängigkeiten angelegten Kurs. 1967 setzte sich dann die Auffassung durch, daß die Reduzierung der energiepolitischen Abhängigkeit die oberste Priorität haben müßte. Diese Aufgabe erhielt nach der Ölkrise für das von Rohöleinfuhren abhängige Land eine noch größere Bedeutung. 1974 wurde dann die nationale Nukleargesellschaft NUCLEBRAS gegründet und ihr die Aufgabe übertragen, die industriellen und technischen Voraussetzungen für den Bau von Kernkraftwerken sowie anderen nuklearen Anlagen zu schaffen und damit langfristig die Deckung des wachsenden Energiebedarfs zu ermöglichen.
Das Ziel war, bis 1990 eine Kernenergieleistung von ca. 10 000 MW aufzubauen. Ein erster Leichtwasserreaktor wurde bei Westinghouse in den USA in Auftrag gegeben; für weitere Anlagen wurden Angebote eingeholt. Gleichzeitig wurde mit der Atomenergiebehörde der USA ein Vorvertrag über die Lieferung von angereichertem Uran abgeschlossen. Als jedoch die AEG als Folge inneramerikanischer Entwicklungen — die Umstellung auf kommerzielle Anreicherungsleistungen — einen Vorbehalt für die Lieferung geltend machte, begann sich Brasilien auch um die Lieferung von Anreicherungs-und Wieder-aufbereitungsanlagen zu bemühen. Aufgrund der damit verbundenen Proliferationsgefahr waren die USA jedoch nicht bereit, derartige Anlagen zu liefern, so daß Brasilien mit anderen Staaten über die Lieferung der Reaktoren sowie von Anreicherungs-und Wiederaufarbeitungsanlagen zu verhandeln begann. Als Folge traditionell enger Wirtschaftsbeziehungen und einer seit mehreren Jahren bestehenden wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit, die sich auch auf den nuklearen Sektor erstreckte, gelang es der deutschen Industrie, sich das Brasiliengeschäft zu sichern. Politische Bedenken wurden dabei zugunsten der sich bietenden Marktanteile zurückgestellt
Mit diesem Abkommen, das eine Zusammenarbeit bei der Uranprospektion, der Herstellung von Brennelementen, der Anreicherung, dem Reaktorbau und bei der Wiederaufarbeitung — d. h. alle Sektoren des Brennstoff-kreislaufs — umfaßt, sicherte sich Brasilien den Zugang zu moderner Technologie, akzeptierte aber zugleich internationale Sicherungsmaßnahmen und ein hohes Maß an technologischer Abhängigkeit — zumindest während der 15— 20jährigen Laufzeit des Abkommens. Ebenso wie Argentinien ist Brasilien dem Nichtverbreitungsvertrag nicht beigetreten; trotz Unterschrift und Ratifikation ist es auch durch den Vertrag von Tlatelalco nicht gebunden, da es bisher nicht auf sein Vorbehaltsrecht nach Art. 28 verzichtet hat (danach tritt der Vertrag für das betreffende Land erst in Kraft, wenn alle lateinamerikanischen Staaten — also auch Kuba — beigetreten sind und die Großmächte die Zusatzprotokolle unterzeichnet haben). In Art. 2 des deutsch-brasilianischen Vertrages hat sich Brasilien jedoch — zum ersten Mal in völkerrechtlich verbindlicher Form — zum Ziel der Nichtweiterverbreitung bekannt.
Das brasilianische Nuklearprogramm muß primär im Rahmen der industriellen Entwicklung des Landes gesehen werden und soll diesem den Anschluß an die Industriestaaten innerhalb kürzester Frist ermöglichen. Mit der forcierten Nuklearisierung wird der Versuch unternommen, die Energielücke zu schließen bzw. die Abhängigkeit von Rohöleinfuhren zu verringern (bzw. die Standortnachteile der Wasserkraft auszugleichen), ferner soll es die kleiner gewordenen Wachstumsraten durch die mit der Kernenergie assoziierte technologische Fortschrittlichkeit kompensieren. Allerdings sieht es aufgrund von technischen Schwierigkeiten in Brasilien gegenwärtig nicht so aus, als könnte das ehrgeizige Programm zeitlich und umfangmäßig in der geplanten Form realisiert werden Das brasilianische „Wirtschaftswunder" — zumindestens bis zur Ölkrise vollzog sich die industrielle Entwicklung des Landes in einem beeindruckenden Tempo — dient darüber hinaus der herrschenden Militärregierung als Legitimitätsausweis. In diesem Sinne wird auch das Nuklearprogramm von der Junta als Instrument innen-und außenpolitischer Macht-entfaltung begriffen, das den Hegemonialanspruch Brasiliens als führende Macht in Lateinamerika untermauern soll. Ihm kommt damit möglicherweise — vorausgesetzt Argentinien erwirbt keine Atomwaffen — eine Ersatz-42) funktion für ein Kernwaffenpotential zu, durch welches das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten in einem für Brasilien kaum durchstehbaren Maße belastet werden würde. Israel und Südafrika, aber auch Taiwan, und Südkorea nehmen in nuklearer Hinsicht eine Sonderstellung ein Sie sind Staaten, die aufgrund ihrer zumindest teilweisen Isolierung zum Schutz ihrer Sicherheit nach Kernwaffen — als Abschreckungs-oder Vergeltungswaffen — streben und über die technologische Basis verfügen, um diese herstellen zu können (oder bereits hergestellt haben). Allerdings dürfen gegenwärtig weder Israel noch Südafrika den Besitz eines nuklearen Potentials demonstrieren, wenn sie nicht den noch bestehenden Schutz durch die westlichen Großmächte verlieren oder ihre Intervention riskieren wollen. Sicherheitsgarantie und militärische Option stehen daher in einer direkten Relation zueinander.
Noch stärker ausgeprägt ist dieser Bezug bei Taiwan und Südkorea. Als die Vereinigten Staaten nach der Annäherung an die VR China und nach dem Rückzug aus Südostasien darangingen, ihre politischen Garantien für Nationalchina und ihre militärische Präsenz in Südkorea zu reduzieren, reagierten beide Länder darauf mit einer Intensivierung ihres Nuklearprogramms, und zwar mit der Absicht, sich zumindest eine militärische Option zu verschaffen. Unter dem Druck der USA stellte jedoch Taiwan die Arbeiten an einer Wiederaufarbeitungsanlage ein, und Südkorea stornierte das mit Frankreich geschlossene Abkommen über die Lieferung einer derartigen Anlage. Dies zeigt den Fortbestand der sicherheitspolitischen Abhängigkeit dieser Staaten von ihrer Schutzmacht, die durch eine Aktualisierung dieser Garantiefunktion den Zugang zu Kernwaffen verweigern kann. Gleichzeitig gehören Israel, Taiwan und Südkorea zu denjenigen Ländern, für welche die Nutzung der Kernenergie zur Stromerzeugung wirtschaftliche Vorteile verspricht und nur mäßige Entwicklungskosten erfordert.
Betrachtet man die Triebkräfte für die nukleare Entwicklung in der Dritten Welt und fragt nach den Konsequenzen für die Weiter-verbreitung von Kernwaffen, so läßt sich feststellen, daß ein nukleares Energieprogramm vor allem in denjenigen Ländern zum Attribut wirtschaftlicher Entwicklung geworden ist — wobei dem Erwerb nuklearer Technologie ein höherer Stellenwert als dem ökonomischen Nutzen des Energieprogrammes selbst zugemessen wird —, die dieses als Basis regionaler Machtentfaltung begreifen und einsetzen. Die Beispiele Brasiliens und des Iran zeigen aber auch, daß mit einem zivilen Nuklear-programm das Fehlen einer militärischen Option ökonomisch, dasjenige Indiens, daß mit dem Besitz dieser Option ihre militärische Aktualisierung politisch kompensiert werden kann. Kommt jedoch eine spezifische Bedrohungssituation oder -perzeption dazu — wie im Fall Israels, Südafrikas oder auch Indiens bzw. Pakistans —, dann wächst der Druck in Richtung auf Erwerb oder zumindest Offen-halten einer militärischen Option. Obwohl es sich bei denjenigen Staaten, die der Realisierung einer solchen Option am nächsten herangekommen sind, auch um diejenigen handelt, denen ein Kernenergieprogramm den höchsten wirtschaftlichen Nutzen verspricht, so bestehen zwar Zusammenhänge, aber kein Automatismus zwischen diesem und der militärischen Option. Dennoch können durch ambitiöse zivile Programme konkurrierende Prozesse in den Nachbarländern ausgelöst werden, die (wie in Pakistan als Reaktion auf die indische Entwicklung oder in Brasilien mit Blick auf Argentinien) eine eigene Dynamik entfalten und, aufgrund der politischen Funktion der meisten Kernenergieprogramme, sehr wohl eine Bewegung hin auf eine militärische Option auslösen können.
In diesem Sinne könnten die indische Explosion ebenso wie die großangelegten Nuklear-programme Brasiliens und des Iran ebenso eine stabilisierende wie eine destabilisierende Funktion im Hinblick auf das internationale Nuklearsystem haben. Die „Entkoppelung" der Entwicklung in einem Land von derjenigen im Nachbarstaat könnte jedoch dadurch erleichtert werden, daß in den letzten Jahren Differenzierungsformen und Zwischenstufen des nuklearen Status entstanden sind. Zum einen hat sich die Gruppe der nuklearen Lieferländer herausgebildet, von denen einige Statusvorteile ohne Kernwaffenbesitz genießen und anderen verheißen, zum anderen läßt sich heute zwischen aktuellen und latenten Kernwaffenstaaten (z. B. Israel) und zwischen militärischer und politischer Option (z. B. Indien) unterscheiden. Mit der fortschreitenden weltweiten Verbreitung von kerntechnischem know-how ebenso wie den neuen Differenzierungen sind zwar die Schwellen zur Nuklear-macht niedriger geworden, ihre Zahl jedoch mit der Zunahme der Reaktionsweisen gewachsen. Für das Ziel der Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen bzw. die Stabilisierung des internationalen Nuklearsystems bedeutet dies, daß zur Befriedigung der Sicherheits-und Status-bedürfnisse der nuklearen Entwicklungsländer Strategien entwickelt werden müssen, die eine politische oder ökonomische Lösung versprechen und damit Alternativen zum Erwerb von militärischen Nuklearpotentialen bieten.
Möglichkeiten zur Stabilisierung des nuklearen Systems
Kennzeichnend für die gegenwärtige nukleare Situation ist die Sorge, weitere Länder könnten in den Besitz von Kernwaffen gelangen und sie möglicherweise einsetzen, sowie das Bedürfnis nach verstärkter, weltweiter Nutzung der Kernenergie zur industriellen Entwicklung. Die indische Nuklearexplosion von 1974 und die Energiekrise im Gefolge des Nahostkrieges von 1973 haben in dieser Hinsicht eine katalytische Funktion gehabt. Für die internationale Nuklearpolitik folgt daraus, daß sich langfristig nur solche Lösungsstrategien als tragfähig erweisen dürften, bei denen sowohl Nichtverbreitungsgesichtspunkten als auch dem Bedürfnis nach friedlicher Nutzung der Kernenergie Rechnung getragen wird.
Mit der Weiterverbreitung nuklearer Technologien wurde aber auch der Zugang zu Kernwaffen wesentlich erleichtert. Damit rückte die Befürchtung in den Vordergrund, daß viele Länder versucht sein könnten, das durch die friedliche Nutzung der Kernenergie erworbene Wissen zum Bau der „Bombe" einzusetzen. Der Erwerb eines militärischen Potentials wurde als fast zwangsläufige Folge der Beherrschung des zivilen Brennstoffkreislaufs gesehen. Sicher ist für den Bau von Kernwaffen die Beherrschung der entsprechenden Technologien unabdingbar. Man macht es sich jedoch zu einfach, daraus einen Kausalzusammenhang zu konstruieren und eine Nichtverbreitungsstrategie darauf abzustellen, Barrieren gegen den Zugang zu bestimmten nuklearen Materialien und Verfahren zu errichten, anstatt primär politische Vorkehrungen dagegen zu treffen, daß diese Materialien und Verfahren zur Waffenherstellung benutzt werden. Politische und sicherheitspolitische Gründe dürften auch heute noch in erster Linie dafür ausschlaggebend sein, daß ein Land die Schwelle zur Nuklearmacht übersteigt.
In Anbetracht der Vielfalt der Motive für eine Kernwaffenoption genügt eine allgemeine Strategie zur Lösung des Proliferationsproblems nicht. Aber auch der Nichtverbreitungsvertrag ist nicht mehr ausreichend, ganz abgesehen davon, daß wichtige Schwellen-mächte wie Indien, Brasilien, Argentinien und Südafrika ihm nie beigetreten sind. Vielleicht hätte ihre Unterschrift erzwungen werden können, wenn sich alle nuklearen Lieferländer verpflichtet hätten, weder Anlagen noch Technologien oder Brennstoff an Nichtmitglieder zu liefern. Doch diese Chance ist verpaßt, spätestens seit der indischen Nuklearexplosion.
Der Nichtverbreitungs-Vertrag sollte vor allem die Weitergabe von Kernwaffen durch eine Nuklearmacht bzw. ein nationales Kernwaffenprogramm eines -Nichtkernwaffenstaa tes mittels einer Kombination von Verzichten und Zusicherungen verhindern. Der Vertrag hat zwar die politische Schwelle erhöht, die ein Staat überschreiten muß, wenn er ein Kernwaffenpotential aufbauen will, sie ist aber weiterhin für denjenigen überwindbar, der sich aus politischen oder militärischen Gründen zu diesem Schritt veranlaßt sieht. Vor allem ist mit dem NV-Vertrag nicht die erstrebte Entkoppelung von Waffentechnologie und friedlicher Nutzung der Kernenergie erreicht worden. Vielmehr hat die technische Entwicklung der letzten Jahre dazu beigetragen, daß die Trennwand zwischen militärischem und zivilem Bereich noch dünner wurde. Unter dem Eindruck der Energiekrise und einer ungesicherten Brennstoffversorgung schien es zwingend, auch Anreicherung und Wiederaufbereitung in nationaler Regie zu betreiben.
Das Hauptproblem des Kernwaffensperrvertrages liegt jedoch in der Einseitigkeit der Beschränkungen. Die Nichtkernwaffenstaaten verzichteten in ihm nicht nur auf eine nukleare Option, sondern sie wurden für ihren Verzicht darüber hinaus durch die Auflage weiterer Beschränkungen und Sicherungsmaßnahmen bestraft. Dieses Ungleichgewicht des Vertrages ließe sich mildern, wenn einmal die Kernwaffenstaaten für sich die gleichen Sicherungsmaßnahmen zuließen, wie sie von den Nichtnuklearen verlangt werden, und wenn zum anderen im täglichen Nukleargeschäft Nichtmitglieder nicht gegenüber den Mitgliedern bessergestellt würden. Für alle müßten in Zukunft umfassende Sicherungsmaßnahmen gelten. Auch wäre daran zu denken, die in Art. IV enthaltenen Verzichte und Zusicherungen besser auszubalancieren. Vielleicht könnte auf diese Weise der NV-Vertrag für eine größere Anzahl von Staaten akzeptabel gemacht werden.
Die Gruppe Nuklearer Lieferländer (NSG) ist recht erfolgreich in dem Bemühen gewesen, Richtlinien für den Nukleartransfer und damit eine Art „Marktordnung" für den internationalen Kernanlagenmarkt zu entwickeln. Ihre Schwäche liegt darin, daß sie praktisch ein Kartell der Lieferländer ist und daß die von ihr ausgearbeiteten Richtlinien einem Diktat der technologisch entwickelten Länder gleichkommen, an deren Formulierung die Entwicklungsländer keinen Anteil haben. Mehr und mehr verlor daher der „Londoner Club" seine stabilisierende Funktion und wurde zum Addressat der Kritik aus der Dritten Welt.
Mit der Veröffentlichung der Richtlinien im Januar 1978 und ihrer Hinterlegung bei der IAEO wollten die nuklearen Lieferländer diesen Eindruck korrigieren und gleichzeitig ihre Unterstützung für die Behörde in Wien unterstreichen. Nachdem ein Grundkonsens unter den nuklearen Lieferländern erreicht worden war, sollten die Diskussionen im multilateralen Rahmen fortgesetzt werden. Ein solches Forum bildet die seit Oktober 1977 tagende Konferenz zur Evaluierung des internationalen Brennstoffkreislaufes (INFCE), an der Liefer-und Empfängerländer, Industriestaaten und Entwicklungsländer, Vertreter aus Ost und West sowie aus der südlichen Halbkugel teilnehmen. Besonders wichtig könnte sein, daß zu ihren Mitgliedern elf Staaten gehören, die den Kernwaffensperrvertrag nicht unterzeichnet haben. Aufgabe der INFCE ist die Ausarbeitung von wissenschaftlich-technologischen Grundlagen, auf deren Basis dann ein internationaler Konsens herbeigeführt werden kann. Vorläufig besteht das Hauptproblem jedoch weiterhin darin, daß es den Teilnehmern an einem gemeinsamen Interesse und der notwendigen Entschlossenheit fehlt, ein tragfähiges, stabiles Nuklearsystem zu errichten und dafür auch Abstriche an den eigenen Positionen zu machen.
Unter den gegebenen Bedingungen scheint die Internationale Atomenergiebehörde in Wien (IAEO) noch am besten geeignet, die Interessen der nuklearen Liefer-und Empfängerländer zu berücksichtigen, und zwar sowohl unter dem Entwicklungs-als auch dem Kontrollaspekt. Die IAEO hat den Vorzug, daß ihr Beitritt allen Ländern offen steht und mit einem Minimum an Diskriminierungen verbunden ist, und daß ihr sowohl die Förderung der friedlichen nuklearen Kooperation als auch die Kontrolle ihres Mißbrauchs übertragen ist. Ihre Unabhängigkeit sollte gestärkt und ihre Rolle zu der eines ehrlichen Maklers zwischen Liefer-und Empfängerländern aufgewertet werden. Dann könnte sie alle internationalen Transfers abwickeln. Außer der Durchführung der — dann möglichst universellen — Sicherungsmaßnahmen könnte sie weitere Dienstleistungen erbringen, z. B. technische oder wirtschaftliche Gutachten erstellen. Die von der amerikanischen Regierung vorgeschlagene International Nuclear Fuel Authority, eine Art Brennstoff-Reservebank, könnte in die IAEO integriert oder ihr unterstellt werden. Vielleicht wäre diese dann in einem späteren Stadium in der Lage, die Entsorgung in eigener Regie zu betreiben, um die Menge des international frei verfügbaren Plutoniums gering zu halten. Voraussetzung für eine derartige Ausweitung der Tätigkeit der IAEO ist jedoch ihre politische Aufwertung zu einer weltweit respektierten internationalen Nuklearbehörde und die Stärkung ihrer institutioneilen Leistungsfähigkeit. Dazu braucht sie einmal die Unterstützung der verschiedenen Gruppen des nuklearen Systems und zum anderen finanzielle und personelle Mittel Ein Problem besteht freilich darin, Vorsorge dagegen zu treffen, daß die politische Aufwertung der IAEO nicht gleichzeitig zu einer verstärkten Politisierung führt, die z. B. verhindern würde, daß Israel und Südafrika in das IAEO-System einbezogen werden können. Die Reorganisation der IAEO kann jedoch nur ein Schritt auf dem Weg zu einem stabileren internationalen Nuklearsystem sein. Außerdem wäre es illusionär anzunehmen, alle Staaten würden bereit sein, ihre nuklearen Ambitionen ohne weiteres einer internationalen Regelung unterzuordnen. Sicherheitsbedenken, politisches Prestige, innenpolitische Glaubwürdigkeit oder auch nur situationsbedingte Opportunität werden auch weiterhin die Entscheidungen der nationalen Regierungen bestimmen. Es gibt daher keine Patentlösung für eine wirksame Nichtweiterverbreitungspolitik, ja, noch nicht einmal eine für alle Fälle geeignete Strategie. Obwohl es sich um ein globales Problem handelt, sind jeweils auf die spezifische Situation jedes Staates oder jeder Region zugeschnittene Ansätze erforderlich. Das heißt, obwohl unter Arms-Control-Gesichtspunkten eine umfassende Lösung am zweckdienlichsten wäre, könnten pragmatische, begrenzte Schritte wirksamer sein, mit denen kein Land oder keine Ländergruppe vor den Kopf gestoßen wird. Das Dilemma einer derartigen Politik besteht darin, daß diese zugleich prinzipiell und pragmatisch sein muß, d. h. einerseits allgemeine Prinzipien postulieren, in ihrer Anwendung jedoch bestimmte regionale oder länderspezifische Bedingungen berücksichtigen — und damit diskriminieren — muß. Jede derartige Politik muß zumindest partiell den Interessen des betroffenen Staates entgegenkommen und ihm eine Kooperation lohnender als eine Ablehnung erscheinen lassen. An folgende Schritte wäre dabei zu denken:
— Bekräftigung oder Erweiterung von bestehenden Sicherheitsgarantien;
— Stabilisierung regionaler Konfliktherde;
— Einführung von vertrauensbildenden Maßnahmen für regionale Spannungsgebiete;
— Angebot wechselseitiger Inspektion von Nuklearanlagen (um die Befürchtung vor einer geheimen Waffenentwicklung zu zerstreuen) ;
— Unterstützung regionaler Initiativen für kernwaffenfreie Zonen oder regionale Absprachen über den Nicht-Ersterwerb von Kernwaffen;
— volle Erfüllung des Vertrages von Tlatelalco über eine kernwaffenfreie Zone in Lateinamerika; — Entwicklung eines „Code of good Conduct“ seitens der nuklearen Empfängerländer (als Gegenstück und Korrelat zu den Richtlinien der NSG);
— Schaffung von regionalen Gemeinschaften für die friedliche Nutzung der Kernenergie nach dem Muster von EURATOM;
— Unterstützung von Gemeinschaftsprojekten oder joint ventures nach dem Modell der URENCO; — wirtschaftliche und technische Hilfe beim Aufbau einer zivilen Kernindustrie für energieknappe Entwicklungsländer;
— Garantien für die gesicherte Belieferung mit angereichertem Uran zu festen Preisen;
— Errichtung multilateraler Wiederaufbereitungsanlagen und Endlagerstätten für radioaktiven Abfall;
— Entwicklung von kostengünstigen technischen Verfahren für Wiederaufarbeitung und von Schnellen Brütern, bei denen geringere Mengen an mißbräuchlich verwendbarem Plutonium frei werden;
— Verbesserung des physischen Schutzes für Lagerung und Transport von Kernwaffen und waffenfähigen Materialien;
— Erarbeitung eines internationalen Konsenses über Sanktionen bei Verstößen gegen die „nuklearen Spielregeln"
Aufgabe dieser Maßnahmen wäre es, die friedliche Nutzung der Kernenergie zu fördern und die nuklearen Entwicklungsländer bei der Ausbeutung derselben zu unterstützen wenn Projekte ebensosehr — auch ihre dem nationalen Prestige wie der industriellen Entwicklung dienen sollten—. gleichzeitig aber den Erwerb von Kernwaffen weitgehend zu tabuisieren durch die Verweigerung von Privilegien und Statussymbolen für Kernwaffen-staaten. Ein derartiges Vorgehen basiert auf der Annahme, daß auf einer bestimmten Stufe der wirtschaftlich-technologischen Entwicklung der Bedarf eines Staates an Energie, technischem know-how und finanziellen Ressourcen in einem Maße steigt, das die Realisierung einer Kernwaffenoption sowohl im Hinblick auf die verfügbaren Ressourcen als auch auf die politischen Kosten verbietet. Daraus folgt ein zweiter Gesichtspunkt: Während unter energiepolitischen Gesichtspunkten es für einen Staat von Vorteil ist, bei der Brennstoffversorgung mit Hilfe des Betriebs eigener Anreicherungs-und Wiederaufarbeitungsanlagen möglichst autark zu sein, ist es unter Nichtverbreitungsgesichtspunkten optimal, wenn ein Staat kerntechnologisch mit anderen möglichst weitgehend verflochten ist, um nukleare Alleingänge auszuschließen. Eine derartige Verflechtung kann über Brennstofflieferverträge und Anreicherungs-sowie Wiederaufbereitungsleistungen durch andere Staaten erfolgen; zuverlässiger dürften jedoch Übereinkünfte sein, bei denen der betroffene Staat direkten Einfluß auf die von ihm nicht national kontrollierten Teile des Brennstoff-kreislaufs hat, wie dies z. B. bei Gemeinschaftsprojekten und bei von mehreren Staaten gemeinsam betriebenen Anlagen der Fall ist. Daneben sollte nicht außer acht gelassen werden, daß es neben den fossilen Energieressourcen und der Kernenergie andere alternative Energiequellen gibt, z. B. Sonnenenergie, die nicht mit der Gefahr der militärischen Nutzung belastet sind und deren Entwicklung vorangetrieben werden sollte.
Die Bemühungen um eine nukleare Nichtweiterverbreitung sollten vor allem darauf gerichtet sein, die Legitimität des Nicht-Besitzes von Kernwaffen zu verstärken, d. h. die politischen und psychologischen Kosten einer militärischen Option müssen möglichst hoch angesetzt und der Verzicht auf eine solche mit positiven Anreizen belohnt werden. Auf keinen Fall darf der Erwerb nuklearer Macht politisches Prestige und internationalen Status verheißen. Eine solche Bewußtseins-und Wertänderung jedoch einen weitgehenden internationalen Konsens, den es noch herbeizuführen gilt. In Anbetracht der Vielzahl der Motive und Interessen ist dies sicher keine leichte Aufgabe, aber eine, die der Anstrengung wert sein sollte.
Der Bundesrepublik Deutschland kommt dabei ein hohes Maß an Verantwortung zu. Sie ist nicht nur eines der wichtigsten nuklearen Lieferländer und steht damit voll in der Verantwortung für die internationale nukleare Entwicklung, sondern als Nichtkernwaffenstaat und Mitglied des Nichtverbreitungs-Vertrages hat sie auch ein besonderes moralisches Gewicht, um einen stabilisierenden Einfluß geltend machen zu können. Ihre eigene Zukunft ist davon abhängig, daß ihre politische Integrität und militärische Sicherheit nicht durch nukleare Konflikte oder Drohungen erschüttert werden und daß ihre Industrie zur Deckung ihres Energiebedarfes — innerhalb klar definierter Grenzen — auf die Nutzung der Kernkraft zurückgreifen kann.