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Wandlungen in der Wirtschaftspolitik Israels | APuZ 4/1979 | bpb.de

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APuZ 4/1979 Artikel 1 Entwicklungsphänomen Israel: Vom Kibbuz zum Kapitalismus? Wandlungen in der Wirtschaftspolitik Israels Judentum und Holocaust im deutschen Schulunterricht

Wandlungen in der Wirtschaftspolitik Israels

Yaacov Bach

/ 14 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die im Oktober 1977 proklamierte neue Wirtschaftspolitik in Israel bedeutete für das Land zwar keine Umwälzung des pluralistischen Charakters seines Wirtschaftssystems mit dem typischen Nebeneinander staatlicher, gewerkschaftlicher und privater Initiativen, wohl aber eine stärkere Betonung marktwirtschaftlicher Grundsätze und eine weitgehende Befreiung des Devisenverkehrs von administrativen Kontrollen. Der Erfolg der Liberalisierungspolitik wird an ihrem Beitrag zur Lösung der zentralen Probleme der Wirtschaft zu messen sein, insbesondere ihrem Einfluß auf die Verringerung des Handelsbilanzdefizits und der Eindämmung der fortschreitenden Inflation. Der Autor untersucht die jüngste wirtschaftspolitische Entwicklung in Israel und stellt die enge Verknüpfung von Wirtschaft und Politik dar.

I. In den drei Dekaden staatlicher Selbständigkeit dienten der Wirtschaftspolitik in Israel folgende Zielsetzungen als unverrückbare Leitprinzipien: a) Erhaltung und Verbesserung des Lebensstandards der stetig wachsenden Bevölkerung, b) Anpassung der Wirtschaft an die Anforderungen nationaler Verteidigung angesichts der permanenten äußeren Bedrohung, c) Anziehungskraft und Aufnahmefähigkeit der Wirtschaft für eine größtmögliche Zahl von Neueinwanderern, d) Streuung der Bevölkerung über das Gesamtgebiet des Landes.

Bei den Maßnahmen zur Erreichung dieser Ziele bemühte man sich, nach Möglichkeit gewissen Normen Rechnung zu tragen, die unter folgenden fünf Stichworten zusammengefaßt werden können: a) Vollbeschäftigung, b) wachsende Unabhängigkeit von äußerer Hilfe, c) Eindämmung der Teuerung, d) Erhöhung der Produktivität, e) sozialer Ausgleich und gerechte Verteilung der Lasten.

Schon die bloße Aufzählung und Nebenein-anderstellung dieser Ziele und Normen lassen erkennen, daß sie keineswegs ein harmonisches Ganzes bilden, sondern eher ein Spannungsfeld von Widersprüchen und Gegensätzlichkeiten — wie etwa die Paare Vollbeschäftigung versus Inflationsbekämpfung oder Bevölkerungsstreuung versus Produktivitätssteigerung.

II. Wie sah der Rahmen aus, innerhalb dessen man die Vielfalt dieser Aufgaben zu bewältigen hatte, und was für ein Instrumentarium stand bei der Verwirklichung der Wirtschaftspolitik zu Gebote? Um diese Fragen zu beantworten, sei eine kurze akademische Abschweifung erlaubt.

Aus der Fülle der Bemühungen um die systematische Erfassung und Darstellung der denkbaren Formen der Wirtschaftspolitik und der Mannigfaltigkeit ihrer Manifestationen in der Geschichte erweist sich als besonders hilfreich und wegweisend die Lehre von den „Marktformen", die von Walter Eucken (1891— 1950) in seinem Hauptwerk „Die Grundlagen der Nationalökonomie" entwickelt wurde.

Er unterschied zwei Grundtypen der Wirtschaft: die „Verkehrswirtschaft" (gleich Marktwirtschaft) und die „Zentralverwaltungswirtschaft", die in ihrer gedanklich reinen Form Modelle darstellen einerseits einer von Planung und staatlichen Interventionen freien Wirtschaft, in der ausschließlich die Kräfte des Marktes und des Wettbewerbes zur Geltung kommen, und andererseits einer „Kommandowirtschaft", in der das Wirtschaftsgeschehen der Lenkung, Antreibung oder Drosselung durch zentrale Verwaltungsorgane unterworfen ist. Wohlgemerkt: „in ihrer gedanklichen reinen", also modellartigen Form — denn in der Wirklichkeit werden wir kaum Beispiele für die vollkommene und absolute Durchführung eines dieser Extreme finden. Wohl aber können sie uns als Endpunkte einer Skala dienen, innerhalb derer sich das Gewicht der staatlichen Intervention gegenüber dem freien Spiel der Kräfte des Marktes bestimmen läßt. Die Geschichte der drei Jahrzehnte israelischer Wirtschaftspolitik bietet hierfür reichliches Anschauungsmaterial. In den ersten Jahren nach der Staatsgründung (etwa bis 1953) war die Wirtschaft einem äußersten Maß direkter staatlicher Kontrollen unterworfen; vor allem wurde die Verteilung der Güter sowohl für die Produktion wie für den Konsum behördlich reglementiert — ein System, dessen Rückkehr keine der folgenden Regierungen jemals ernsthaft angestrebt hat. Im 'Rahmen des-für Israel charakteristischen pluralistischen Wirtschaftssystems können wir in den folgenden Jahren zwar einen stufenweisen Abbau direkter Kontrollen, aber immer noch ein starkes Übergewicht des staatlichen Interventionismus über die Privatinitiative wahrnehmen. Wenn im Zusammenhang mit den Tendenzen, die von der Regierung Begin in der Wirtschaftpolitik verfolgt werden, von Liberalisierung, Entstaatlichung und dergleichen die Rede ist und dabei der Name des extremen Neo-Liberalen und Freihandelsapo-stels Milton Friedman genannt wird, so muß betont werden, daß es sich bei näherer Betrachtung nicht um eine umwälzende Wendung in der weltanschaulichen und wertungsbetonten Frage staatlicher Einmischung schlechthin, sondern nur um eine Neubestimmung in bezug auf deren Ausmaß und die Wahl der Instrumente handelt, sowie um die bestmögliche Abschaffung oder Einschränkung direkter Kontrollen. Der pluralistische Charakter des israelischen Wirtschaftssystems als solchem mit seinem Nebeneinander staatlicher, gewerkschaftlicher und privater Initiative und dem für ein demokratisches Gemeinwesen relativ schwerwiegenden Maß staatlicher Planung und Lenkung stand in Wirklichkeit gar nicht zur Debatte.

Mit dieser Klarstellung soll aber nicht die Bedeutung des Umschwungs in der Wirtschaftspolitik Israels herabgesetzt werden; denn schon die Abschaffung der direkten Devisenkontrollen und scharfen Devisenrationierung stellte einen epochemachenden Schritt dar, mit dem wenigstens auf diesem klar umrissenen Gebiet der Hydra der Bürokratie nicht nur der Kopf abgeschlagen, sondern sie direkt ins Herz getroffen wurde. Abgesehen von der Beseitigung eines kostspieligen Leerlaufs wurden dadurch mit einem Schlage Hemmnisse ausgeräumt, die in der Vergangenheit nicht unwesentlich zu der Austrocknung des für das Land lebenswichtigen Zustroms auswärtiger Investitionen beigetragen hatten.

Angesichts der betont dramatisierten Abschaffung der Devisenkontrollen und der für Transaktionen im Inland hergestellten Konvertibilität des Israel-Pfundes — d. h.der Gewähr des Rechts zum freien Erwerb von Fremdwährungen — gab es Stimmen, welche diese Maßnahmen gewissen bedeutenden historischen Vorbildern, wie z. B.der Erhardschen Wirtschafts-und Währungsreform in der Bundesrepublik Deutschland, an die Seite stellen wollten.

Ein solcher Vergleich mag auch nahe liegen durch das in beiden Fällen bewußt angestrebte Ausschlagen des Pendels auf der vorher erwähnten Skala von dem Pol der gelenkten zum Pol der freien Wirtschaft. — Aber dieser Vergleich teilt das Schicksal vieler historischer Vergleiche: er hinkt und hält näherer Prüfung nicht stand. Zur Zeit der Erhardschen Reformen gab es in Westdeutschland schlummernde Produktionskräfte in einem Umfang, der weit über das heute selbst bei optimitisch-ster Schätzung in Israel vorhandene Potential hinausging. Ferner konnte der auswärtige Kapitalzustrom (die Marshallhilfe) fast gänzlich in produktive Kanäle gelenkt werden — während die Israel zufließende Kapitalhilfe vor allem zur Bestreitung der zwar lebensnotwendigen, aber eben doch größtenteils unproduktiven Verteidigungsausgaben benötigt wird. Schließlich — und dies ist der wesentlichste Unterschied — waren im damaligen Nachkriegsdeutschland die Werktätigen bereit, ihre Lebensansprüche zurückzuschrauben und nicht zu versuchen, Stücke aus einem Kuchen herauszuschneiden, der noch nicht vorhanden war. Von gewerkschaftlichem Druck war jedenfalls keine Rede — wie ja auch später, als die deutsche Wirtschaft schon aufblühte, die Gewerkschaften für Appelle Verständnis zeigten, das Maß ihrer Forderungen den jeweiligen Kapazitäten der Wirtschaft anzupassen.

Angesichts der Verschiedenheit der Voraussetzungen bestand deshalb a priori keinerlei Berechtigung für die Annahme, daß Israel etwa einem Wirtschaftwunder entgegengehe.

Ob sich der von Finanzminister Ehrlich genannte Wunsch erfüllen wird, daß Israel sich nunmehr zu einem internationalen Finanzzentrum entwickele wie die Schweiz oder Luxemburg, dürfte weitgehend von der Verwirklichung der Friedenshoffnungen abhängen, die seit dem historischen Besuch von Präsident Sadat in Jerusalem und dem dramatischen Gipfeltreffen in Camp David an Realität gewonnen haben. Nur wenn ein Mindestmaß politischer Stabilität im Nahen Osten erreicht werden sollte, könnte mit verstärkter Heranziehung von Depositen aus ausländischen Quellen gerechnet werden. Eine weitere unabdingbare Voraussetzung wäre übrigens das glatte und störungsfreie Funktionieren der Kommunikation mit dem Ausland, die in der jüngsten Vergangenheit häufig durch Streiks unterbrochen oder in Frage gestellt wurde.

III. Der Prüfstein für den Erfolg oder Mißerfolg der neuen Wirtschaftspolitik ist ihr Beitrag, den sie zu der Lösung der drängenden Probleme der israelischen Wirtschaft leistet oder in Aussicht stellt. An dem Katalog dieser Probleme hat die Entwicklung der letzten Jahre nichts Wesentliches geändert.

Man kann von fünf Indikatoren sprechen, welche die Grundübel der israelischen Wirtschaft verdeutlichen:

1. Der erste Indikator wird dargestellt durch das bedrohliche Defizit in der Handelsbilanz, das gleichbedeutend ist mit dem Devisenbe-B trag, der nicht durch Exporte und Touristik erarbeitet wird, sondern dem Lande von außen in Form von einseitigen Kapitalübertragungen zufließen muß, damit die Produktion, das Verteidigungspotential und der persönliche Lebensstil der Bevölkerung aufrechterhalten werden können — wobei der Anteil der Zuwendungen, die direkt oder indirekt von der amerikanischen Regierung abhängig sind, in den letzten Jahren ständig gewachsen ist. Das Handelsbilanzdefizit beträgt zur Zeit fast 3 Milliarden Dollar, nachdem es den Höhepunkt von 4 Milliarden Dollar Ende 1975 erreicht und überschritten hatte. Dieses Defizit entspricht in der Größenordnung etwa einem Drittel des Bruttosozialprodukts. Nach der positiven Seite ist anzumerken, daß das Verhältnis von Export zu Import sich ständig gebessert hat, so daß gegenwärtig etwa zwei Drittel der Ausgaben für Importe durch die Deviseneinnahmen für Exporte gedeckt sind. 2. Der zweite Indikator wird präsentiert durch die Auslandsschulden, die gegenwärtig etwa 11 Milliarden Dollar betragen und sich daraus ergeben, daß die erwähnten einseitigen Zuwendungen, mit denen jeweils das Loch in der Zahlungsbilanz gestopft wird, keineswegs Geschenke sind, sondern zum größten Teil Darlehen, die dem Staat oder der israelischen Wirtschaft unter mehr oder minder günstigen Bedingungen gewährt werden und zu verzinsen und amortisieren sind. Eine günstige Wendung ist auf diesem Gebiet insoweit zu verzeichnen, als der Anteil der kurzfristigen im Vergleich zur langfristigen Verschuldung in den letzten Jahren eine sinkende Tendenz aufweist. Die relative Höhe dieser Belastung mag durch die Feststellung illustriert werden, daß in Israel jedem neugeborenen Kinde eine Schuldverpflichtung von etwa 2 500, — US-Dollar in die Wiege gelegt wird — eine Berechnung, bei der nur die Auslandsverschuldung berücksichtigt ist.

3. Der dritte Indikator ist gegeben durch das Defizit im Staatshaushalt — d. h.desjenigen Teils der 208 Milliarden IL betragenden Jahres-budgets, der nicht durch Steuern, reguläre Einnahmen oder — für Entwicklungsprojekte — durch langfristige interne Anleihen finanziert wird, sondern dem Staat von der Zentralbank geliehen wird, d, h. für dessen Aufbringung die Druckerpresse in Bewegung gesetzt wird, über die Höhe dieses Betrages wird gestritten: Die Angaben schwanken zwischen Jahresbeträgen von 9 bis 12 Milliarden Israel-Pfund. Nicht zu vergessen sei, daß die Kosten für die Landesverteidigung mehr als ein Drittel des Staatshaushalts in Anspruch nehmen und die Aufwendungen für den Schuldendienst ein weiteres Drittel. 4. Als vierten Indikator betrachten wir den Verfall der realen Kaufkraft der israelischen Währung, gemessen nicht nur am Wechselkurs im Verhältnis zu anderen Währungen, sondern vor allem auch am Index der Lebenshaltungskosten. Die Teuerungsrate betrug im Jahre 1977 bis etwa 42 °/o und dürfte im Jahre 1978 nahe an 50 0/0 gekommen sein. 5. Der fünfte Indikator schließlich ist der Stillstand im Wachstum des Sozialprodukts — eine Erscheinung, die zu den im Jahrzehnt der Industrialisierung (1952— 62) erreichten, für ein Entwicklungsland wie Israel ungewöhnlich hohen jährlichen Wachstumsraten von 8— 10% in grellem Kontrast steht.

Um der historischen Gerechtigkeit willen muß gesagt werden, daß schon die frühere (sozialistische) Regierung mit der Ausführung eines Programms begonnen hatte, das aus der klaren Erkenntnis der genannten Grundübel geboren war und gewisse Erfolge in der Eindämmung der Teuerung und der Verringerung des Handelsbilanzdefizits aufzuweisen hatte. Zur Exportförderung und Importverteuerung bediente man sich damals im Rahmen eines Systems manipulierter Wechselkurse des Mittels der sogen, schleichenden Abwertung und zur Kaufkraftabschöpfung der Einführung einer Mehrwertsteuer in Höhe von 8 % sowie einer Kürzung eines Teils der Subventionen für einfache Gebrauchsgüter.

Die am 28. Oktober 1977 verkündete Wirtschaftspolitik der Regierung Begin stellte also nur eine Verstärkung und Verschärfung der vorher eingeleiteten Maßnahmen dar — eine Art von „shoctreatment". Angesichts des bemerkenswerten Mutes dieser Aktion, des Geschicks in der Geheimhaltung ihrer Vorbereitungen und ihres vertrauensvollen Optimismus darf man mit Recht — auch rückblickend — von einem „ökonomischen Entebbe“ sprechen.

Mit einem Schlage wurde durch die Vereinheitlichung und Freigabe des Wechselkurses das Israel-Pfund um etwa ein Drittel abgewertet. Damit wurde Israel wieder zu einer Attraktion für jede Art von Deviseneinfuhr, sei es in Form von Kapitaltransfers privater Unternehmer, sei es im Rahmen von Finanzierungen durch öffenliche Institutionen oder auch einfach im Gefolge des verstärkten Zustroms von Touristen. Weniger deutlich war der exportfördernde Charakter dieser Maßnahmen. Denn Exporteure kamen unter dem früheren System der manipulierten Wechselkurse in den Genuß von Exportprämien, die den Gegenwert der von ihnen erzielten Deviseneinnahmen oft erheblich erhöhten. Mit der Rückkehr zu einem einheitlichen Wechselkurs fielen diese Prämien fort. Manche Firmen — und zwar gerade solche mit hohem „added value" (Netto-Deviseneinnahmen) ihrer Produkte — behaupteten nun, schlechter gestellt zu sein als vorher, weil sie die von ihnen importierten Rohmaterialien zum erhöhten neuen Kurs zu beziehen hatten, ohne für ihre eigenen Exporte in gleichem Maße entsprechend höhere Erlöse zu erzielen. Tatsächlich lag hier eine unerwünschte — wenn auch unvermeidliche — Begleiterscheinung der neuen Regelung vor.

Die Importverteuerung wirkte sich nicht in der vollen Höhe der Devisenverteuerung aus, da ein Teil der früher erhobenen Importauflagen von 15 0/0 (die sogen. Verteidigungsauflage) wegfiel.

Zur Abschöpfung von Kaufkraft erfolgte im Zuge der neuen Politik eine Erhöhung der Mehrwertsteuer von 8 0/0 auf 12 °/o, ferner eine weitere Kürzung der Subventionen für Verbrauchsgüter, die den budgetären Einsparungsmaßnahmen früherer Regierungen noch nicht zum Opfer gefallen waren.

Diese Vereinigung von Abwertung, Erhöhung der indirekten — also nicht progressiven — Steuern und der Verteuerung von einfachen Gebrauchsgütern durch Kürzung von Subventionen bot den Gegnern der neuen ökonomischen Politik die Hauptangriffsfläche. Zwar wurden im Zuge der Abwertung erzielte Gewinne durch Registrierung der Lagervorräte und entsprechende Auflagen weggesteuert und Maßnahmen getroffen, um die sozial schwächeren Bevölkerungsschichten durch Erhöhung direkter Sozialleistungen für die Teuerung zu entschädigen, aber es bleibt die unleugbare Tatsache bestehen, daß die neue Politik den Abstand zwischen den höheren und niedrigeren Einkommensklassen erweitert hat.

Die Gewerkschaft setzte sich energisch für die sofortige Gewährung von Teuerungszuschlägen für die Lohnempfänger ein — eine Forderung, der sowohl die Regierung wie die Privatunternehmer weitgehend nachgeben mußten. Der Reallohn wurde dadurch teilweise wiederhergestellt und die der Gesundung der Gesamtwirtschaft abträgliche Lohnspirale aufs neue in Bewegung gesetzt.

Die im Gefolge der neuen Politik zu erwartenden sozialen Unruhen haben bereits in zahlreichen Arbeitskonflikten ihren Ausdruck gefunden, wie z. B. in einem Streik der Seeleute, durch den der Wirtschaft empfindlicher Schaden zugefügt wurde.

Die Regierung machte deutlich, daß sie an ihrem Programm festhalten wolle, das Interesse von privaten Investoren für die in öffentlicher Hand befindlichen Anteile an staatlichen Unternehmen zu wecken. Angesichts der Beseitigung der bürokratischen Hürden hoffte man auf erneute stärkere Heranziehung ausländischer Investitionen.

Der Abschöpfung von Kaufkraft dienten wiederholte Auflagen von index-und dollargebundenen Obligationen sowie die Propagierung wertgebundener Sparprogramme, die mit verstärkten Anreizen ausgestattet wurden. Denn trotz des ständigen Rückgangs der realen Kaufkraft der Währung besteht in Israel ein beachtlicher Kapitalmarkt, der von lokalen Ersparnissen genährt wird — eine Erscheinung, die durch ein vielumstrittenes, in seiner Art einzigartiges System von Wertsicherungsklauseln für langfristige Anlagen ermöglicht wird.

IV. Schwierig und umkämpft blieben drei Po-stulate, von denen letztlich das Gelingen der neuen Wirtschaftspolitik abhängig sein dürfte: 1. die Kürzung der Haushalte von Staat und Gemeinden, 2. die Anregung des Wirtschaftswachstums, 3. die Erhöhung der Produktivität der Betriebe.

Die scharfe Auseinandersetzung zwischen dem Gouverneur der Zentralbank und dem Finanzminister, die sich in aller Öffentlichkeit abspielte, ist ein äußeres Kennzeichen für das Ringen um das volkswirtschaftlich erträgliche und erlaubte Maß des Haushaltsdefizits. Die radikale Abwertung des Israel-Pfundes im Verfolg der Freigabe des Wechselkurses hat eine Teuerungswelle in Bewegung gesetzt, die dem vorübergehenden Nachlassen des inflationistischen Druckes ein jähes Ende bereitete. Um so größere Bedeutung kommt nicht nur den erwähnten anti-inflationistischen Maßnahmen zu, sondern vor allem auch den Anstrengungen, das Defizit im Staatshaushalt so niedrig wie nur möglich zu halten. Jede zusätzliche Milliarde auf der Ausgabenseite, die nicht durch entsprechende zusätzliche Einnahmen gedeckt ist, bedeutet eine Anheizung der ohnehin schon bedrohlich verschärften Inflation. Selbst die energischste und konsequenteste Anwendung der Hilfsmittel, die der Zentralbank zur Verfügung stehen, kann auf die Dauer nicht die Folgen eines Milliarden-Defizits oder einer Erhöhung des Lohnniveaus ausgleichen.

Während die Zentralbank Anstrengungen macht, dem Absinken der Kaufkraft des Pfundes entgegenzuwirken, handelt der Finanzminister unter dem Druck der Forderungen der Ministerien und Interessentengruppen und unterliegt der Versuchung, Etatskürzungen aus dem Wege zu gehen und Entwicklungspläne vor der gesicherten Bereitstellung geeigneter Kapitalquellen in Angriff zu nehmen — nicht zuletzt auch, um auf diese Weise die Vollbeschäftigung in allen Teilen des Landes aufrechtzuerhalten.

Wiederum haben wir es mit wirtschaftspolitischen Zielsetzungen zu tun, die schwer miteinander vereinbar sind. Durch Steigerung des Anteils der produktiven Segmente der Wirtschaft im ganzen und durch echte und stetig fortschreitende Erhöhung der Produktivität der einzelnen Betriebe und des einzelnen Erwerbstätigen müßte eine Erneuerung des Wirtschaftswachstums trotz Kürzung der öffentlichen Haushalte bewerkstelligt werden. Dies wäre der einzige Weg, um den unvermeidlich inflationistischen Effekt von Entwicklungsvorhaben auszugleichen und im Griff zu behalten, schlummernde Produktivitätskräfte zu wecken und für die erwünschte Erneuerung des Wirtschaftswachstums frei zu machen. Eingefügt sei hier die Bemerkung, die zugegebenermaßen subjektiven Charakter hat, daß in Israel eine frischere Luft und ein neuer Arbeitswille zu spüren sind, die für die erwünschte Renaissance und Ankurbelung des Wirtschaftswachstums von nicht geringerer Bedeutung sein mögen als Olfunde oder die Entdeckung neuer Energiequellen.

Als Zeugnis hierfür wäre das Wiederaufleben großzügiger Entwicklungsprojekte zu erwähnen. Die für die politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit des Landes lebenswichtige Eigenerzeugung von Energie soll durch die Errichtung von Kernkraftwerken und durch Anlagen zur Ausnützung des Gefälles vom Mittelländischen zum Toten Meer gefördert werden.

Ebenso wird wieder an der Fortführung des Baus der Eisenbahnlinie nach Eilath gearbeitet. Schon vor 15 Jahren hatte der bedeutende Schweizer Nationalökonom Edgar Salin (1892 bis 1974) auf die Chancen hingewiesen, die dieser Bahnbau für die Entwicklung des Negev wie für die Gesamtwirtschaft Israels eröffnen würde. Er hatte der Regierung ein detailliertes, von erstrangigen Fachleuten ausgearbeitetes technisches Gutachten überreicht sowie ein Finanzierungsschema, das auf damals bestehenden konkreten Kapitalbeschaffungsmöglichkeiten fundiert war. In dem Begleitwort zu dem Gutachten hieß es, daß der Tag kommen würde, an dem diese Bahn ihren Beitrag zur Befriedigung der lebenswichtigen Verkehrsbedürfnisse Israels und zur Beilegung damit verbundener Fragen leisten werde, „in einer nicht mehr für Israel notbedingten und nicht mehr für Ägypten affektbeladenen Atmosphäre".

V. Die in diesem Aufsatz entwickelten Gedanken zu der im Oktober 1977 von dem israelischen Finanzminister Ehrlich proklamierten neuen Linie in der Wirtschaftspolitik waren Gegenstand eines Vortrags, den der Verfasser Mitte Februar dieses Jahres in Tel-Aviv vor den Teilnehmern einer Studienreise der Bundeszentrale für politische Bildung hielt. Der seither gewonnene zeitliche Abstand ermöglicht eine stärkere Akzentuierung der schon in dem Vortrag versuchten Abwägung der Erfolgschancen des veränderten Kurses. In Anlehnung an den Titel einer bekannten Schrift von Maynard Keynes ist man versucht, von den „Economic Consequences of Mr. Ehrlich" zu sprechen; denn die feierlich proklamierten Ziele können nur dann erreicht werden, wenn der Finanzminister und seine Mitarbeiter unerschütterlich und unbeirrbar an der eingeschlagenen Linie festhalten. Die Vorgänge der letzten Monate bestätigen die in dieser Hinsicht vom Verfasser geäußerten Zweifel. Sowohl in der Staatshaushalts-wie in der Lohn-politik wurde der Weg des geringsten Widerstandes eingeschlagen, mit dem Ergebnis, daß der Zahlungsmittelumlauf im Monatsdurchschnitt des letzten Halbjahres um 4 °/0 gestiegen ist. In einer Denkschrift, die der Gouverneur der Staatsbank Ende Juli 1978 der Regierung überreichte, finden sich folgende „Die in einzuschlagende der nahen Zukunft Wirtschaftspolitik muß in Rechnung stellen, daß die lokale Güternachfrage sich verstärkt hat. Diese Verstärkung der Nachfrage — die ihren Ausdruck vor allem in der Anregung der Bautätigkeit findet — sowie der Anstieg des Reallohnes können bei der niedrigen Arbeitslosigkeitsrate zu einer unerwünscht raschen Belebung der wirtschaftlichen Aktivität führen. Unter diesen Umständen kann — angesichts der mangelnden Zurückhaltung in den Ausgaben des öffentlichen Sektors — die Wirtschaft auf die Bahn eines überstürzten Wachstums geraten, welche zu einer Verschlechterung der Zahlungsbilanz und zu einer Beschleunigung des Tempos der Inflation führen muß." Tatsächlich bestehen heute schon Anzeichen, daß trotz des Ansteigens der Exportziffer im Jahr 1978 zum ersten Male seit 1974 nicht mit einer weiteren Verringerung des Handelsbilanzdefizits zu rechnen ist.

Andererseits ist zu betonen, daß der von Kritikern des Liberalisierungsprogramms befürchtete Sog an den staatlichen Devisenreserven nicht eingetreten ist, so daß insoweit die Abschaffung der administrativen Kontrollen und die Wahl ihres Zeitpunkts als geglückt bezeichnet werden können. Es wäre aber verfrüht, ein Gesamturteil über die Auswirkungen der neuen Politik fällen zu wollen. Insbesondere können die erstrebten Veränderungen in der Produktivität, denen eine zentrale Rolle zukommt, nur an längeren Zeiträumen gemessen werden.

Für jede differenzierte Betrachtung mag die Untersuchung der jüngsten wirtschaftspolitischen Entwicklung in Israel eine besondere Anziehungskraft besitzen als ein beredtes Beispiel der engen Verknüpfung von Wirtschaft und Politik in einer parlamentarischen Demokratie. Nur bei sorgfältiger Untersuchung und Berücksichtigung der wechselseitigen Beeinflussung von Regierung und Wählerschaft eröffnet sich der Weg zum Verständnis dieser Manifestation des Widerstreits zwischen der Einsicht in die ökonomischen Notwendigkeiten und der Anpassung an die politischen Forderungen des Tages.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Yaacov Bach, Dr. rer. pol., geb. 1911 in Tarnowitz/Oberschl., Studium der Rechts-und Staatswissenschaften an den Universitäten Freiburg i. Br., Berlin und Breslau; Abbruch des Studiums 1933 und Auswanderung nach Palästina; 1933— 1949 Landwirt; 1949— 1953 Regierungsbeamter; 1953— 1977 leitende Aufgaben im Bank-Konzern der „Bank Leumi Le-Israel" in Tel-Aviv; 1958 Promotion in Freiburg i. Br. mit einer Dissertation über „Gemüse-Vermarktung in Israel". Veröffentlichungen über Themen aus den Gebieten der Vermarktung, des Außenhandels und des Bankwesens.