Einführung
Die dramatischen Verhandlungsschlachten, die seit Monaten auf der weltpolitischen Bühne um eine Friedenslösung im Nahen Osten geschlagen werden, haben in dieser Zeit fast völlig von einem anderen Schauplatz der israelischen Politik abgelenkt, auf dem ebenfalls vor nunmehr gut einem Jahr die Zeichen auf Kurswechsel gestellt wurden: gemeint ist die „Neue Wirtschaftspolitik", die am 29. Oktober 1977 mit einer Überraschungsaktion vom israelischen Finanzminister Simcha Ehrlich in Szene gesetzt worden war mit der erklärten Absicht, Israels Wirtschaft in Zukunft auf einen stärker marktwirtschaltlich gesteuerten Kurs zu führen.
Dieser Kurswechsel dokumentierte sich zunächst in Liberalisierungsmaßnahmen im Bereich der Währungspolitik, die zu einer Freigabe und Abwertung des israelischen Pfundes führten
Gerade die jüngsten Fortschritte auf dem Weg zu einer zumindest partiellen Befriedung im Nahen Osten haben vielfach als Signal gewirkt, Überlegungen und Planungen, aber auch Spekulationen und Zukunftsvisionen über die damit frei werdenden wirtschaftlichen Entwicklungskräfte und ihre Möglichkeiten etwa im Rahmen einer israelisch-ägyptischen Kooperation oder gar eines größeren „Gemeinsamen Marktes" in Nahost anzustellen.
Sicherlich ist es an der Zeit, den Fragen der sozialökonomischen Entwicklung in diesem Raum stärkere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Zweifellos hat gerade in der deutschen Of-fentlichkeit die Tatsache bisher relativ wenig Beachtung gefunden, daß Israel in den dreißig Jahren seiner bisherigen staatlichen Existenz eben nicht nur seine vielerorts bewunderte politische und militärische Lebenskralt bewiesen, sondern auch eine soziale und wirtschaftliche Entwicklungsdynamik gezeigt hat, die ähnlich der Wiederaufbauleistung im Nachkriegs-Deutschland durchaus als „Wirtschaftswunder“ etikettiert werden kann
Die besonderen Bedingungen und Formen dieser erstaunlichen wirtschaftlichen Entwicklung sind — wie fast alles in diesem neuen israelischen Gemeinwesen — geprägt und damit nur erklärbar aus der Verarbeitung geschichtlicher Erfahrungen des jüdischen Volkes und den daraus im Zionismus entwickelten sozialen Wert-und Ordnungsvorstellungen für die Errichtung einer neuen Gesellschaft, wie sie in der Pionierphase der jüdischen Einwanderung nach Palästina in die Praxis umgesetzt worden sind
Abseits aller ideologischen Wertungen stellt sich damit für dem ökonomisch geschulten Betrachter die Frage, wie weit ein Programm des Wirtschaftsliberalismus den zukünftigen Entwicklungsaufgaben von Wirtschaft und Gesellschaft in Israel unter den in diesem Land gegebenen speziellen Bedingungen gerecht werden und mit den bisherigen Grundlagen und Handlungsmaximen der israeli-sehenWirtschaftsgesellschaft vereinbart werden kann.
Die Frage nach der Adäquanz alternativer wirtschaftspolitischer Philosophien und Programme mündet damit ein in die Problematik einer langfristigen sozialökonomischen Entwicklungskonzeption für Israel, unter Berücksichtigung vor allem der historischen, geopolitischen und natürlichen Rahmenbedingungen. Dieses Problem ist nur anzugehen, wenn zunächst einmal die Hauptlinien der bisherigen sozialökonomischen Entwicklung in Israel nachgezeichnet und dabei neben den Ergebnissen auch die wesentlichen Triebkräfte dieses Prozesses herausgestellt werden (I).
In einem zweiten Schritt müssen dann die Schlüsselprobleme der israelischen Entwicklungspolitik auf dem weiteren Weg in die Industrialisierung identifiziert werden: Schwachstellen und Engpässe als retardierende Momente ebenso wie erfolgversprechende Ansatzpunkte für eine weitere Entwicklung als stimulierende Faktoren (II).
Erst danach können in einem dritten Schritt gewisse Schlußfolgerungen und sachlich begründete Aussagen gewonnen werden über notwendige Formen und Inhalte israelischer Entwicklungspolitik, die möglicherweise auch für den aktuellen Widerstreit wirtschafts-und strukturpolitischer Ordnungsvorstellungen in Israel eine Orientierungshilfe bieten können (III).
Israel stellt als Entwicklungsland trotz aller Sonderbedingungen aufgrund seiner räumlich begrenzten Dimensionen und zeitlich gerafften Abläufe sowie der hohen Transparenz seiner internen Daten und Prozesse einen fast idealen sozialökonomischen „Laborversuch" dar, dessen Ergebnisse und Erkenntnisse zweifellos trotz gebotener Vorsicht bei ihrer verallgemeinernden Anwendung auch für andere Entwicklungsländer verwertbar sind. Auch wenn damit Israel nicht als „entwicklungspolitischer Modellfall" schlechthin etikettiert werden kann und soll, ergeben sich daraus doch in der Vergangenheit und erst recht für eine friedlichere Zukunft Möglichkeiten und Chancen des Wirkens von Israel über seine Grenzen hinaus als — passives — Entwicklungsmodell und als — aktiver — Entwicklungshelfer (IV).
I. Bilanz eines dreißigjährigen „Wirtschaftswunders" in Israel
Tabelle 1
Tabelle 1
1. Ergebnisse Die „Entwicklungsformel“ der israelischen Wirtschaft in den 30 Jahren seit der Staats-gründung wurde auf einer internationalen entwicklungspolitischen Tagung in aller Kürze umschrieben als „rapid economic expan-sion combined with social effort": schnelles wirtschaftliches Wachstum verbunden mit sozialen Anstrengungen“).
Das fast atemberaubende Tempo des dreißigjährigen Wachstumsprozesses der israelischen Wirtschaft dokumentiert sich zunächst einmal recht eindrucksvoll in der überschlägigen Verneunfachung des realen Bruttosozialprodukts (BSP) in Israel im Zeitraum von 1950 bis 1973
Mit + 6, 6°/o für 1974, + 2, 2% für 1975, + 0, 9% für 1976 und + 0, 5% für 1977 wird der starke Abfall des Entwicklungstempos des BSPs besonders deutlich, wenn man die Werte dieser letzten vier Jahre mit der durchschnittlichen jährlichen realen Wachstumsrate von 10, 5% in den 25 Jahren zuvor vergleicht
Mit diesem extrem steilen Entwicklungspfad hatte Israel — neben Japan — in dies
Mit diesem extrem steilen Entwicklungspfad hatte Israel — neben Japan — in diesem Zeitraum das Wachstumstempo aller anderen Länder der Welt in den Schatten gestellt. In eben diesen ersten 30 Jahren hat sich die Bevölkerung des Staates Israel mehr als vervierfacht; dennoch ist das Bruttosozialprodukt pro Kopi jährlich bis 1973 im Durchschnitt um 6% gestiegen: von einem Niveau von 473 US-Dollar im Jahre 1950 auf 1 225 US-Dollar 1972 9).
In einer Untersuchung aus dem Jahr 1965 kommt Rene L. Frey 10) bei einem internationalen Wohlstandsvergleich anhand von vier Wohlstandsindikatoren (Prokopfeinkommen; Industrialisierungsgrad, gemessen am Anteil der im primären Sektor Beschäftigten; Lebenserwartung bei Geburt; Kalorien je Einwohner) zu dem Ergebnis, daß Israel 1961 bereits das Wohlstandsniveau damals „mittelreicher" europäischer Staaten (z. B. Italien, Norwegen) erreicht hatte und beim Indikator . Lebenserwartung'sogar an erster Stelle rangierte. Unter Zugrundelegung der israelischen Entwicklungsplanung rechnete Frey damals damit, daß Israel bis 1975 das Wohlstandsniveau der höchstentwickelten europäischen Staaten zu Beginn der sechziger Jahre erreichen würde; da die realisierten Wachstums-werte in Israel in dieser Zeit eher insgesamt über den Plandaten lagen, dürfte sich diese Erwartung erfüllt haben.
Vor allem bis 1973 war die Entwicklung der israelischen Wirtschaft mit starken strukturellen Veränderungen in der Zusammensetzung des Sozialprodukts verbunden
Im Zeitraum der Anteil des gleichen hat gewerblichen Sektors wesentlich zugenommen. So beschäftigte die verarbeitende Industrie.
1954 erst 24%, 1973 bereits 29% aller Arbeitnehmer und steigerte in dieser Zeit ihren Beitrag zum Netto-Inlandsprodukt von 21,7% auf 26,2%. Auffallend hoch im internationalen Vergleich ist der Anteil des Tertiären Sektors im weiteren Sinne (Transportwesen, Handel, Banken, öffentliche Dienste) mit im Zeitablauf relativ konstanten etwa 50%; er weist auf den gewichtigen Anteil des öffentlichen Sektors im israelischen Wirtschaftsgefüge hin — vor allem von Aktivitäten im Bereich des Infrastrukturausbaus —, zugleich aber auch auf die dadurch gewissermaßen „eingebauten" Bremsen für globale Produktivitätssteigerungen. Wenn häufig festgestellt wird, daß Israel nach gängigen Kriterien seit seiner Gründung in zunehmendem Maße wirtschaftlich über seine Verhältnisse gelebt habe und noch lebe, so ist damit die Tatsache angesprochen, daß das Land von seinen Anfängen an etwa ein Fünftel, nach zwischenzeitlicher Abnahme neuerdings sogar bis zu einem Drittel seiner insgesamt verbrauchten Ressourcen von außen „zugeschossen“ bekam. Anders ausgedrückt: Das Brutto-Inlandsprodukt deckte in den letzten Jahren nur zu etwa zwei Dritteln die gesamtwirtschaftliche Nachfrage. Die Angebotslücke wurde durch Importüberschüsse aufgefüllt, bei einem Anteil des militärischen Sektors von gut einem Drittel am Bruttosozialprodukt (seit dem Yom-Kippur-Krieg 1973) in erster Linie durch ausländische Waffenlieferungen. Da diese durchweg über Kanäle des Staatshaushalts laufen und ihn entsprechend aufblähen, erklärt sich daraus die fast absurd erscheinende Relation, daß der Umfang des israelischen Staatsbudgets heute etwa 90 % des Volumens des israelischen Bruttosozialprodukts entspricht.
Die Verwendung dieser gesamten Ressourcen (Bruttosozialprodukt plus Importüberschuß) sah seit 1973 folgendermaßen aus (vgl. Tab. 1 13)Gerade der Vergleich mit der Bundesrepublik Deutschland macht dabei den hohen Anteil der Verwendung der israelischen Ressourcen für nichtinvestive Zwecke des Staates — zu Lasten des privaten Verbrauchs und der Investitionen — deutlich.
Bedingt durch die chronischen Defizite vor allem in seiner Außenhandelsbilanz sowie in allen Bereichen der öffentlichen Güterversorgung lebt Israel von Anfang an unter starkem inflationären Druck. Während sich in den ersten 25 Jahren die Inflationsrate stets um die 7— 8°/o-Marke hielt, ist sie nach dem Yom-Kippur-Krieg bedrohlich angestiegen und bewegt sich in den letzten Jahren zwischen 30 und 40 °/o. Komplizierte indexabhängige Ausgleichsmechanismen, die ihrerseits wieder inflationstreibend wirken, sorgen vor allem im Kreditbereich und bei den Einkommen für eine Kompensation dieser Geldentwertung für den einzelnen durch Überwälzung auf die Allgemeinheit, d. h. die Staatskasse. Auf diese Weise wird jedenfalls die gleichmäßige Verteilung der Inflationslasten erreicht.
Die Erfolge der israelischen Entwicklungsformel „rapid economic expansion combined with social effort" können ohnehin nicht eingeschätzt werden, ohne das Resultat eben dieser „sozialen Bemühungen" bei der Verteilung des materiellen Wohlstandszuwachses zur Kenntnis zu nehmen. Hier scheint das egalitäre Verteilungsideal der israelischen Gründer-generation sich in beachtlichem Maße gegen die dem ökonomischen Entwicklungsprozeß innewohnenden Differenzierungstendenzen durchgesetzt zu haben. Die Einkommensverteilung Israels ist eine der gleichmäßigsten der Welt und übertraf darin z. B. Anfang der sechziger Jahre nach Norwegen noch Länder wie Dänemark, Großbritannien und Schweden und sogar sehr beträchtlich die Niederlande, die Bundesrepublik Deutschland und erst recht die USA u). Im Zuge der wirtschaftlichen Entwicklung nahm dann die Ungleichheit der Einkommensverteilung in Israel bis 1967 leicht zu, danach setzte sich der egalitäre Trend wieder stärker durch (vgl. Tab. 2).
Die Vergleichszahlen aus der Bundesrepublik Deutschland zeigen übrigens, daß die israelischen Verteilungswerte insgesamt in der Tat dem Gleichheitsideal etwas mehr angenähert sind. 2. Wesentliche Entwicklungsfaktoren Fragt man nach den Hauptfaktoren, die sowohl stimulierend als auch retardierend die wirtschaftliche Entwicklung Israels seit seiner Gründung im wesentlichen bestimmt haben, so muß zunächst zur Kenntnis genommen werden, was David Horowitz, prominenter israelischer Ökonom und langjähriger Präsident der Zentralnotenbank in Jerusalem, mit der Kompetenz des Insiders so zusammenfaßt:
. Exogenous extraeconomic factors play an exceptionally large role in the development of Israel. Geopolitical and Strategie conjunctures, the historical background, psychological and ideological forces, and ethnic diversity are among the most powerful determinants of Israel's social and economic pattem, and no analysis of its formation and growth can af-ford to disregard them. The political background especially must always be kept in mind. Political events exert a much more de-cisive influence on Israel s economy than is usual in other countries, owing to the special role of immigration and Capital Import, and regional events and developments . .
Eben diese Dominanz politischer Bestimmungsgründe erschwert die Identifizierung jener ökonomischen Faktoren, die als Hauptantriebskräfte bzw. -hindernisse der israelischen Wirtschaftsentwicklung gewirkt haben. Folgt man dem Schema der ökonomischen Produktionsfaktoren: Arbeit — Natur — Kapital, so kann man damit immerhin gewisse Anhaltspunkte für eine solche Identifizierung gewinnen, die allerdings zusätzlich noch die wirtschafts-und gesellschaftspolitischen Aktivitäten zu berücksichtigen hat.
Entscheidender Entwicklungsiaktor Arbeit Der entscheidende und maßgebliche Bestimmungsgrund der ökonomischen und sozialen Entwicklung Israels liegt in seiner Bevölke rung: „Demography is the crucial and conclusive determinant of the economic and social development of Israel."
Mit einer Jahresrate von etwa 6% im Durchschnitt des Zeitraums 1948 bis 1970 (in der ersten Dekade sogar von 15 °/o) übertrifft die Wachstumsrate der israelischen Bevölkerung selbst die Bevölkerungsexplosion mancher Entwicklungsländer um gut das zwei-bis dreifache. Horowitz spricht insofern zu Recht von dem israelischen Phänomen als einer „Bevölkerungstransplantation", -deren treiben de Kräfte nicht den historischen Kolonisierungsmustern folgend von ökonomischen Anreizen dominiert und daher auch nicht durch Absorptionsgrenzen des Landes limitiert waren
Neben dem quantitativen Volumen der Bevölkerungstransplantation nach Israel verdient vor allem deren qualitative Struktur Beachtung: Hier ist immer wieder auf die große Bedeutung des kostenlosen Imports an . Know-how'und , skill‘ durch die Einwanderer, vor allem aus den Industrieländern Europas und Amerika, hingewiesen worden
Will man die qualitativen Aspekte des Faktors Arbeit als Entwicklungsfaktor „Humankapital" in Israel richtig einschätzen, müssen demnach neben der „Importkomponente" unbedingt die intensiven Bemühungen und Erfolge in der sozialen und ökonomischen Integration und Assimilation sowie im systematischen Ausbau des im Lande verfügbaren Qualifikationspotentials durch ein außerordentlich differenziertes Erziehungs-und Bildungswesen Beachtung finden. Die Schwierigkeit, dies in Kürze durch geeignete Zahlen zu indizieren, ist offenkundig. Der hohe Stellenwert des Erziehungswesens in Israel ist allenfalls an seinem 3. Platz im Staatshaushalt (nach Schulden-und Verteidigungslast) abzulesen, an der ständigen Abnahme der Analphabeten-quote bis in die Nähe des auch in hochentwickelten westlichen Industrieländern üblichen Bodensatzes von 2— 5 % der Gesamtbevölkerung einerseits
Erst recht jeder quantitativen Indizierung entzieht sich ein Entwicklungsfaktor, der in Israel wesentlich zur Aktivierung und Effektivität des vorhandenen Potentials an Humankapital beigetragen hat; er hat sehr wenig mit üblichen ökonomischen Motivationen zu tun und kann am ehesten sehr pauschal als der „spezifisch jüdische Pioniergeist" umschrieben werden. Horowitz kennzeichnet diesen unwägbaren Produktionsfaktor so
Dabei spiegelt das Wort vom „Wiederaufbau" in sich schon ein wesentliches Element der Motivation wieder, womit zugleich sichtbar wird, daß jedenfalls dieser Entwicklungsfaktor möglicherweise nur zeitlich begrenzt wirksam ist. Mit welch dauerhaftem Ergebnis für die Ausformung neuer sozialökonomischer Strukturen das aber verbunden sein kann, zeigt etwa der geschichtliche Vergleich mit den Hugenotten oder Puritanern, deren Vertreibung und Neuansiedlung einem ähnlichen politischen und religiösen „Transplantationsmuster" folgte wie das zeitgenössische Schicksal des jüdischen Volkes.
Kärgliche natürliche Ressourcen Gemessen an seinen natürlichen Ressourcen ist Israel ein ausgesprochen armes Land: Bei ohnehin geringer geographischer Ausdehnung besteht es zu fast zwei Dritteln aus Wüste oder Bergland und nur zu etwa einem Drittel aus landwirtschaftlich nutzbarer Fläche. Die natürlichen Wasservorräte sind dürftig; Bodenschätze sind außer einigen chemisch verwertbaren Mineralien im Toten Meer und Negev sowie spärlichen Kupfervorkommen am Roten Meer so gut wie nicht vorhanden, -ähnliches gilt für natürliche Energiequellen. Diese Kargheit der natürlichen Bedingungen hat insofern gewirkt, als strukturbildender Faktor als er von vornherein alle Anstrengungen der Israelis auf die totale Mobilisierung des technischen Fortschritts bei der Erschließung und wirtschaftlichen Entwicklung des Landes gelenkt hat. Dank der qualitativ reichen menschlichen Ressourcen des Landes konnten seine durch die Natur und erst recht durch seine geopolitische Situation gesetzten Engpässe vielfältig kompensiert werden: Parade-beispiele dafür sind z. B. die in Israel entwik-kelten Bewässerungstechniken und Projekte zur Energiegewinnung.
In einem Bericht aus dem Jahre 1968 urteilte eine Expertenkommission der Weltbank über die Ursachen des Wirtschaftswunders in Israel, daß dieses im wesentlichen auf zwei Faktoren zurückzuführen sei: das oben skizzierte Humankapital im Lande (...... a capable and determined population with a broad base of well-educated and energetic people who proved able to overcome the difficulties of economic development with great ingenuity . . .") (...... eine fähige und entschlossene Bevölkerung, gestützt auf eine breite Basis gebildeter und energiegeladener Menschen, die sich den Schwierigkeiten der wirtschaftlichen Entwicklung mit großem Einfallsreichtum gewachsen zeigte . . .") und den Kapitalimport („. . . and a relatively large and continuous flow of foreign Capital originating chiefly from private donations of American Jews and from reparation payments by West Germany")
Kapitalbildung dank Auslandshilic Um die Bedeutung des Kapitalimports für die wirtschaftliche Entwicklung Israels einschätzen zu können, ist zunächst das Ausmaß der Kapitalbildung im Lande zu beachten: Von 1950 bis 1972 wuchs der reale Produktivkapitalstock um mehr als das zwölffache, die Kapitalausstattung pro Beschäftigten um mehr als das fünffache
Die volkswirtschaftliche Finanzierung dieser Kapitalbildung sah so aus, daß zwar eine durchschnittliche private Sparquote von 5— 7 0/0 festzustellen ist, diese aber durch die laufenden Budgetdefizite der öffentlichen Hand vollständig absorbiert wurde, so daß in der Tat die gesamtwirtschaftliche Sparquote in Israel meist negativ war und damit — rechnerisch — praktisch die gesamte Kapitalbildung durch Kapitalimporte gedeckt wurde
Im Zeitraum von 1950 bis 1973 überstieg dieser Kapitalimport den gesamten Importüberschuß um 2 Milliarden Dollar und bestand zu zwei Dritteln aus einseitigen Kapitalübertragungen, davon etwa je ein Drittel aus deutschen Quellen und aus solchen des Auslands-judentums und ein Drittel aus langfristiger Schuldenaufnahme
Schließlich darf nicht übersehen werden, daß zu den Faktoren der wirtschaftlichen Entwicklung neben Wachstum und Struktur der Produktionsfaktoren auch Produktivitätssteigerungen gehören, die auf so vielfältige Quellen wie etwa den Erziehungsund Ausbildungsbereich, die unternehmerische Effizienz, Einführung fortgeschrittener Technologien oder auch generell Verbesserungen der gesamtwirtschaftlichen Koordinationsmechanismen zurückzuführen sind: Hier ist eine Identifizierung einzelner ursächlicher Faktoren schlechthin ausgeschlossen. Entsprechend ist es auch müßig, im Anschluß an den amerikanischen Ökonomen Abba Lerner der Frage nachzugehen, inwieweit Fortschritte in diesen Bereichen einer entsprechenden israelischen Wirtschaftspolitik zuzurechnen seien: waren sie möglich „dak" oder — wie Lerner eher annimmt— „trotz" derselben?
Sicherlich kamen praktisch alle bisher skizzierten Entwicklungen von Wirtschaft und Gesellschaft in Israel unter starkem Regierungseinfluß zustande. Dies wird bereits deutlich aus dem Ausmaß direkter Beteiligung des Staates in allen Bereichen der Wirtschaft: z. B. aus dem etwa 50prozentigen Anteil des „kollektiven Sektors" (je zur Hälfte in staatlicher und in gewerkschaftlicher Regie) an der gesamten industriellen Produktion, oder aus der Schlüsselstellung der Regierung bei der Aufbringung und Verteilung der Finanzmittel im In-und Ausland (insbesondere nachdem die israelische Steuerquote in den siebziger Jahren zu einer der höchsten in der Welt geworden ist.)
Regierungsaktivitäten als Entwicklungs-impulse und -hetnmnisse Daß Regierungsaktivitäten als Entwicklungsfaktoren zumeist sowohl stimulierend als auch retardierend gewirkt haben, zeigen Beispiele auf der Einnahmen-wie auch auf der Ausgabenseite des Budgets: — Das israelische Steuersystem ist mit seinen extrem hohen Spitzensteuersätzen (80 % Einkommensteuer bei den nach deutschen Maßstäben gehobenen mittleren Einkommen) und durch seine starke Progression nach landläufigen Kriterien als außerordentlich leistungshemmend einzuschätzen. Dennoch war die gesamte Steuerlastquote in Israel bis in die siebziger Jahre hinein durchaus mit den Verhältnissen in den meisten westeuropäischen Industrieländern vergleichbar, weil durch eine Fülle von Ausnahmen, Abzügen und Sondervergünstigungen die Basis des versteuerbaren Einkommens in Israel extrem schmal ist
Erklärt wird dieser Zusammenhang aus den sozialen Wertmaßstäben und gesellschaftlichen Ordnungsvorstellungen der bisherigen israelischen Führungselite, die weitaus stärker von nationalen Gemeinwohlidealen als von partikulären Gruppeninteressen bestimmt waren. Daraus resultiert insgesamt in Israel bis auf den heutigen Tag ein Verteilungsklima, in dem die verschiedenen Einkommens-gruppen für die Verbesserung ihres Lebensstandards eher auf eine allgemeine Steigerung des Volkseinkommens als auf eine Verbesserung ihrer relativen Position setzen, wie das in weniger durch Solidarität geprägten westlichen Industriegesellschaften der Fall ist. Auch die bemerkenswerte Abwesenheit von Korruption in Israel, für die die vielfältigen und verschlungenen Finanzkanäle, die ins Land führen, sicherlich einen optimalen Nährboden liefern könnten, zeugt von dieser guten Verteilungsmoral. Gerade verglichen mit Erfahrungen in vielen anderen Entwicklungsländern gehört sie sicherlich zu den klaren Aktivposten der israelischen Entwicklungsbilanz. — Als die wirtschaftliche Entwicklung eindeutig hemmender Faktor wird allgemein Israels im internationalen Vergleich fast unerreicht hohe Verteidigungslast eingestuft: zumal diese in den vergangenen 30 Jahren einen immer größeren Anteil der nationalen Ressourcen verschlungen hat. Lagen in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre die Verteidigungsausgaben noch unter 8 % des Bruttosozialprodukts, so brachten die kriegerischen Auseinandersetzungen in der Folge jeweils auch langfristig erhebliche Steigerungen dieser Quote. Nach dem Sinai-Krieg 1956 stieg sie zwar nur langsam bis zum 6-Tage-Krieg 1967 auf 10%, erreichte aber danach bis 1970 26 %, die bis 1972 dank rapidem Wirtschaftswachstum auf 21 % zurückgingen
Nachdem der Yom-Kippur-Krieg 1973 etwa zwei Drittel des gesamten israelischen Bruttosozialprodukts dieses Jahres verschlungen und die Ressourcen des Landes völlig erschöpft hatte, sind seither die Verteidigungsausgaben nicht mehr unter 30— 35% des BSP gesunken. Selbst wenn man in Rechnung stellt, daß die für Israel insgesamt verfügbaren Ressourcen dank des erheblichen Importüberschusses um etwa ein Drittel das BSP übersteigen, der Anteil der Verteidigungsausgaben an dieser Gesamtgröße also „nur" knapp ein Viertel ausmacht, wird die gewaltige Belastung des israelischen Wirtschaftspotentials daraus deutlich — und der Gewinn eines möglichen Friedensschlusses auch in ökonomischen Kategorien abschätzbar.
Dennoch dürfen auch die Impulse für die israelische Wirtschaftsentwicklung aus dem Verteidigungsbereich nicht völlig vernachlässigt werden: Dies gilt für den Aufbau der so-genannten „science-based-industry" („Wissenschaftbegründete Industrien", s. u.) im Lande als außerordentlich wichtigem struktur-bildenden Faktor und auch — ä konto der „unwägbaren Entwicklungsfaktoren" — für die militärische Bedrohung als Integrationsund Motivationshilfe, aber erst recht für die Rolle der israelischen Streitkräfte als „Schmelztiegel" und „Schule der Nation" in einem entwicklungspolitisch höchst bedeutsamen Sinne
II. Schlüsselprobleme israelischer Entwicklungspolitik auf dem weiteren Weg der Industrialisierung
Tabelle 2
Tabelle 2
Daß Israels zukünftige wirtschaftliche Entwicklung im wesentlichen auf dem Weg weiterer Industrialisierung zu suchen ist, wird nicht nur durch die bisherige Entwicklungsbilanz des Landes nahegelegt, sondern auch durch eine inzwischen zielstrebige Entwicklungsplanung seiner öffentlichen und privaten Stellen bestätigt und forciert. Will man ihre Erfolgsaussichten einschätzen und insbesondere geeignete Instrumente und Konzeptionen ihrer Realisierung beurteilen sowie auch deren Schlüsselprobleme erkennen, so darf nicht übersehen werden, daß die israelische Gesellschaft in'ihren Grundidealen und Wertvorstellungen keineswegs bereits eine typische „Industriegesellschaft''ist: Trotz aller Industrialisierungsanstrengungen und -erfolge sind die Ideale des Agrarzionismus der Pionierzeit
Es wird sich zeigen, daß es — wieder einmal — die historischen Wurzeln sind, die in hohem Maße Begründung, Besonderheit und Lösungsbedingungen auch für die Schlüsselprobleme der israelischen Wirtschaftsentwicklung der Zukunft bestimmen. 1. Schlüsselproblem: Humankapital Die bisherige Bestandsaufnahme dürfte trotz aller selektiven Kürze klargemacht haben, wie stark die wirtschaftlichen Entwicklungschancen Israels vom Produktionsfaktor Arbeit abhängen: da den Möglichkeiten von dessen quantitativer Expansion durch die primär politischen Bestimmungsgründe weiteren Einwanderungszuzugs, die Eigengesetzlichkeit demographischer Prozesse sowie schließlich auch gewisse Absorptionslimits eines beengten Territoriums auf mittlere Sicht relativ enge Grenzen gesetzt sind, konzentrieren sich die Erwartungen auf seine qualitative Dimension.
Nachdem Israel heute und in näherer Zukunft nur noch ausnahmsweise mit dem „Import" von Humankapital in Gestalt hochqualifizierter Einwanderer rechnen kann, ist die „Eigenproduktion" als zentrale Aufgabe eines gut ausgebauten Erziehungs-und Ausbildungswesens mit großer Breitenwirkung offenkundig. An dieser Stelle wäre dazu nur anzumerken, daß Israel mit seinem so umfassend und vertiefend wie nur möglich agierenden Bildungssystem ausdrücklich das Risiko einer temporären Überproduktion hochqualifizierter — zum Beispiel akademisch geschulter — Arbeitskräfte eingeht, weil es ihm gefährlich erscheint, mögliche internationale Wettbewerbsvorteile für sein politisches und ökonomisches überleben nicht voll auszuschöpfen
Die „kritischen Punkte" im Bereich der Entwicklung des Faktors Humankapital dürften in Israel eher auf einer anderen Ebene zu suchen sein: Es stellt sich nämlich die sehr grundsätzliche Frage, in welche Wandlungen der fortschreitende Industrialisierungsprozeß die „arbeitende Gesellschaft" unerbittlich zwingt, als die sich das jüdische Volk in Israel in seinem vom Zionismus geprägten Weltbild verstanden hat und besonders in Teilen seiner Führungselite bis heute versteht. Die Rolle der Arbeit als zentraler Wert und Medium der nationalen Befreiung und Selbstfindung des Jüdischen Volkes
Industrialisierung bedeutet aber nun einmal: zunehmende Spezialisierung und Differenzierung von Funktionen, Qualifikationen und auch Einkommen in Wirtschaft und Gesellschaft. Die Erfahrungen mit fortgeschrittenen Industrialisierungsprozessen in westlichen Ländern belegen dies, und die israelische Entwicklung zeigt ähnliche Tendenzen, auch wenn die Statistiken bisher noch stark egalitäre Einkommensverhältnisse ausweisen. Aber es mehren sich bereits kritische Stimmen von Ökonomen, die auf den Mangel von Einkommensanreizen für den Erwerb höherer Ausbildungsqualifikationen oder allgemein als Mobilitätsfaktor in der israelischen Wirt-schäft hinweisen
Insofern war oben schon einmal mit gutem Grund auf die Konfliktarmut der weitgehend „klassenlosen" israelischen Gesellschaft und ihre egalitäre Verteilungssituation als wichtigem positiven Entwicklungsfaktor in der Vergangenheit hingewiesen worden.
Die mit dem fortschreitenden Industrialisierungsprozeß einhergehende Verschiebung in den Prioritäten sozialer Werte wird besonders deutlich am Beispiel der Textilindustrie in Israel: Als besonders arbeitsintensiver, d. h. arbeitsplatzschaffender Industriezweig war sie in der Aufbauphase zunächst mit bevorzugtem Standort in den Entwicklungsstädten des Landes besonders forciert worden. Nachdem mit zunehmender Exportorientierung sich die Leistungsfähigkeit der israelischen Wirtschaft stärker im internationalen Wettbewerb zu bewähren hatte, haben sich viele dieser Unternehmen als nicht lebensfähig erwiesen. Erst in jüngster Zeit wird von der drohenden Schließung eines der größten Textilwerke des Landes in einem Entwicklungsort berichtet, in dem 25 Prozent der Arbeitnehmer damit dem Schicksal der Arbeitslosigkeit ausgeliefert wären
Entwicklung „zukunftssicherer" Industrien gezogen worden sind, wird später noch die Rede sein.
Eisenstadt bezeichnet es in diesem Zusammenhang als das Hauptproblem, „ . . . einen Weg zu finden, um die Resultate einer zunehmenden Differenzierung in Wirtschaft und Gesellschaft mit neu entstehenden Schichten und sozialen Konflikten in einem auf egalitären Ideologien beruhenden sozialen Rahmen zu kombinieren."
Demographische Umstrukturierung Hinter diesem generellen Differenzierungsprozeß steht allerdings ein Umstrukturierungsvorgang der israelischen Gesellschaft, den man stark vereinfachend gelegentlich als „Orientalisierung" oder gar „Levantinisierung" bezeichnet; auch vom Vordringen des „zweiten" gegenüber dem „ersten" Israel wird gesprochen
Gemeint ist die Tatsache, daß in den letzten zehn Jahren die Israelis mit einem europäisch-amerikanischen Vater, die „aschkenasi-sehen" Juden (das bislang sogenannte „erste Israel"), zahlenmäßig ins Hintertreffen geraten sind gegenüber den „sephardischen" Juden afro-asiatischer Herkunft (bisher das so-genannte „zweite Israel"). Bei den Wahlen zur Knesset 1973 wurden 43, 7% aschkenasisehe Juden gegenüber 47, 5 % sephardische Juden und 8, 8% Juden mit einem in Israel geborenen Vater gezählt
Die Entwicklung ist seither noch weiter fortgeschritten, so daß heute davon auszugehen ist, daß die Mehrzahl der in Israel lebenden Juden aus orientalischen Ländern stammt. Dieser ethnische Umschichtungsprozeß ist insofern sozialökonomisch relevant, als zwischen sephardischen und aschkenasischen Juden ein wesentliches Ausbildungs-und Einkommensgefälle besteht, das trotz aller staatlichen Bemühungen bisher auch keineswegs abgebaut werden konnte. So wurde noch 1971 festgestellt, daß das Durchschnittseinkommen des erwachsenen Juden orientalischer Abstammung nur 70 % des gesamtisraelischen Durchschnittseinkommens erreicht
Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß mit der demographischen Struktur sich auch die Struktur der sozialen und ökonomischen Wertungen und Motivationen in Israel verändern wird: etwa durch eine Verlagerung weg von Wert-und Ordnungsvorstellungen der vor allem von den osteuropäischen Sozialisten geprägten Pionierphase hin zu einem stärker vom jüdischen Traditionalismus bestimmten geistigen Klima, über dessen Auswirkungen auf sozialökonomische Verhaltensnormen und -muster man allerdings vorerst nur spekulieren kann; ob der neuerliche Kurswechsel in Richtung Wirtschaftsliberalismus hier „ins Bild paßt", wird noch zu prüfen sein. Sicher scheint jedenfalls, daß es bei den Wahlen vom Mai 1977 gerade das durch die „Orientalisierung" Israels aufgebaute traditionalistisch orientierte Wählerpotential war, das die politische und in der Folge wohl auch die ökonomische Landschaft des jüdischen Staates entscheidend verändert hat.
So muß die Frage hier einstweilen zurückgestellt werden, welche neue sozialökonomische Entwicklungsideologie aus diesen gesellschaftlichen Wandlungsprozessen resultiert und Qualifikationsniveau und Motivationsstruktur der israelischen Arbeit in Zukunft bestimmen wird. Vielleicht zeigt sie sich aber in Ansätzen bereits in der Art und Weise, wie heute in Israel ganz pragmatisch und konsequent die Aufgabe einer Modernisierung der Wirtschaft verstanden und bewältigt wird. 2. Schlüsselproblem: Technischer Fortschritt Eine „science-based-nation", eine auf der Wissenschaft basierende Nation, so hat ein amerikanischer Begutachter des „technologischen Israel" (Roy Popkin) emphatisch dieses Land genannt: alle technischen Errungenschaften seit Menschengedenken, von den Er-kenntnissen des Alten Testaments bis hin zu den modernsten Technologien von morgen, würden hier systematisch genutzt, um natürliche Grenzen und Hindernisse in der Entwicklung des Landes zu überwinden!
Diese grundsätzliche Orientierung aller israelischen Aktivitäten auf dem Gebiet wissenschaftlicher und technischer Forschung und Entwicklung spiegelt sich äußerst plastisch in einer Begebenheit, die Popkin von Dr. Chaim Weizmann, dem berühmten Naturwissenschafter, Zionistenführer und ersten israelischen Staatspräsidenten, erzählt. Auf die Frage eines Besuchers — etliche Jahre vor der Staatsgründung — in seinem Labor in Re-hovot nach dem Zweck eines gerade laufenden Experiments antwortete Weizmann: „I’m crea-ting absorptive capacity" (ich schaffe Absorptionskapazitäten)
Eben dieses Leitmotiv — die Lebensbedingungen für das jüdische Volk in seiner alten neuen Heimstatt quantitativ und qualitativ zu verbessern — beherrschte die Tätigkeit jüdischer Wissenschaftler und Techniker von den Anfängen der Rückwanderung nach Palästina an bis in die Gegenwart. Schon 1903 beauftragte der 6. Zionistische Kongreß eine Expertenkommission aus international renommierten jüdischen Wissenschaftlern — darunter auch der deutsche Ökonom Franz Oppenheimer — mit einer wissenschaftlichen Untersuchung des Entwicklungspotentials von Palästina. Auf ihre Aktivitäten gehen z. B. die Wiederentdeckung des biblischen „wilden Weizens" in Palästina sowie planmäßige Aufforstungen mit von den Agronomen als besonders geeignet empfohlenen Olivenbäumen zurück; auch die Basis für spätere Bewässerungsprojekte in Israel wurde damals bereits durch umfassende geologische Erkundigungen der Grundwasserverhältnisse im Lande geschaffen.
Israel wird heute mit gutem Grund als „das konzentrierteste Labor der Welt auf dem Gebiet der angewandten Wissenschaften"
Das zionistische Motto des „Wenn ihr wollt, ist es kein Märchen .. .", das Theodor Herzl um die Jahrhundertwende seiner Zukunftsvision vom Judenstaat vorangestellt hatte, kennzeichnet auch heute noch Einstellung und Motivation der meisten Wissenschaftler und Ingenieure in Israel: Schon in Herzls „Altneuland" galten ja die Bewässerungsingenieure als die eigentlichen Staatsgründer.
Wie in allen Bereichen des Lebens in Israel, so knüpften auch Wissenschaft und Technik in vielem an das an, was seit Moses im Lande der Väter praktiziert wurde: Auch in dieser Hinsicht sind die Themen der Bibel und des Talmud in Israel aktuell geblieben und dienen bis heute als Quelle mancherlei technologischen Wissens. Dies gilt vor allem in allen Bereichen der Agrarund Bewässerungstechnologie; denn die Überwindung der Kargheit des Landes ist Israels Problem seit Moses'Zeiten. Diese selbstverständliche Fortführung jüdischer Traditionen kommt aber auch etwa zum Ausdruck in der Standortwahl für das Weizmann-Institut nahe Rehovot: Weizmann entschied sich 1933 für diesen Platz vor allem deswegen, weil er nahe bei den Ruinen von Yavne lag, wo die alten Juden in der Römer-zeit eine Technische Schule erbaut hatten; er sah das Institut als „modernes Yavne".
Höchstentwickelte Agrartechnologie Die Erfolge, die seit den frühesten Tagen der zionistischen Siedler auf dem Gebiet der angewandten landwirtschaftlichen Forschung und Agrartechnologie in Israel erzielt wurden und die ganz wesentlich die stürmische Entwicklung des Landes ermöglichten, können hier nur ganz pauschal konstatiert werden. Nach dem Urteil eines amerikanischen Experten
Die strikte Orientierung aller Forschungs-
und Entwicklungsarbeiten an den drängenden Problemen der landwirtschaftlichen Praxis haben deren nahtlose und unmittelbare Umsetzung und Anwendung in neue Agrartechnologien garantiert; Probleme bestanden dabei allenfalls insofern, als neue technische Lösungen zumeist unter höchstem Zeitdruck zu suchen und zu realisieren waren. Denn dies war die typische Konstellation der Gründerjahre, nach einem Untersuchungsbericht aus dem Jahr 1969
Dennoch ist insgesamt gerade in der landwirtschaftlichen Entwicklung Israels eine langlri-stige Strategie durchaus erkennbar und hat sich als solche bewährt. Sie liegt zum einen im konsequenten Handeln nach der Erkenntnis, daß ein moderner Agrarsektor die Conditio sine qua non einer fortschrittlichen Wirtschaft darstellt — eine Erkenntnis übrigens, die in den wenigsten Entwicklungsländern beherzigt wird. Sie wird zum anderen sichtbar in einem kontinuierlichen Modernisierungsprozeß in Gestalt hoher Investitionen in allen Bereichen der Agrartechnologie, und dies auch zu Zeiten — wie etwa in den fünfziger Jahren —, als der bestehende Arbeitskräfteüberschuß eine stärkere Technisierung nach gängigen ökonomischen Kriterien eigentlich als unsinnig erscheinen ließ; auf diese Weise sicherte sich Israel einen auch heute im internationalen Vergleich hohen Leistungsstand seiner Landwirtschaft. Parallel dazu lief eine beständige Verbreiterung und Vertiefung des landwirtschaftlichen Könnens, des „agricultural skill", im Lande
Gerade für die letztgenannte Entwicklungskomponente kann die Bedeutung und Leistung der Kibbuzim in der israelischen Gesellschaft nicht hoch genug veranschlagt werden. Sie dokumentieren in Israels Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung das überwiegen des Elements der Kooperation gegenüber dem der Konkurrenz, jedenfalls bisher. Bei absolut stagnierendem, relativ sogar abnehmendem quantitativen Gewicht — nur etwa 3% der Gesamtbevölkerung leben heute in den Kibbuzim — stellen sie einen dennoch unübersehbaren Faktor auch in der Entwicklung Israels zu einer Industrienation eigener Prägung dar. Dank des ständigen Ausbaus eigener kleinerer Betriebe, vor allem der Leichtindustrie, in den letzten 15 Jahren — 1977 waren es bereits 295 Betriebe, und nur etwa 10% der genossenschaftlichen Siedlungen hatten noch keine zweite industrielle Basis
Industrialisierung der Kibbuzim Dieser Industrialisierungsprozeß in den Kibbuzim geht in enger Verbindung und Ergänzung mit der Technisierung und Spezialisierung der Landwirtschaft vor sich und ist wie diese zunehmend exportorientiert. Kennzeichnend ist dabei der Einfallsreichtum im Aufspüren sowohl von der Fertigungswie von der Absatzseite her zur landwirtschaftlichen Produktion komplementärer industrieller Programme. Wesentliche Triebkräfte für diese Entwicklung stammen aber aus den sich wandelnden Arbeitsbedürfnissen: Zum einen favorisieren die älter werdenden Kibbuz-Vetera-nen die leichtere und besser dosierbare Fabrik- vor der Feldarbeit
Die Industrialisierung der Kibbuzim trägt zweifellos dazu bei, die junge Generation weitgehend in den ländlichen Siedlungen zu halten, und sie besorgt zugleich die schrittweise Integration der nicht-städtischen Bevölkerung in die Industriegesellschaft. Dennoch ist offenkundig, daß gerade im Hinblick auf die notwendige zunehmende Exportorientierung der israelischen Wirtschaft die Industrialisierungsbestrebungen der Kibbuzim allein keineswegs ausreichen können, zumal sie ihrer Natur nach auf Klein-und Mittelbetriebe beschränkt sind.
Betrachtet man die Schwerpunkte der vom Staat durch seine Forschungsund Technologiepolitik geförderten Entwicklungsanstrengungen, so ist aber bisher gegenüber Landwirtschaft, Verteidigungssektor und Grundlagenforschung die Förderung industrieller Technologien eher zu kurz gekommen
Wissenschaft als Exportartikel Den größten komparativen Kostenvorteil am Weltmarkt besitzt Israel ganz zweifellos beim wissenschaftlich-technischen Know-how. Aufgrund von Kosten-Nutzenrechnungen des Weizmann-Instituts werden in einer unveröffentlichten Studie eines deutschen Bundesministeriums für 1977 folgende Vergleichszahlen für die durchschnittlichen Aufwendungen für Wissenschaftler genannt: USA: 60 000 Dollar/Jahr; Europa: 40 000 Dollar/Jahr; Weizmann-Institut: 20 000 Dollar/Jahr. Die Computer-stunde kostet nach den gleichen Berechnungen am Weizmann-Institut 48 Dollar gegenüber etwa 120 Dollar an der Harvard University.
Es liegt also nahe, daß Israel planmäßig Wissenschaft als Exportartikel nutzt; denn da das eigene Land angesichts der quantitativen und qualitativen Expansion von Ideen und Entwicklungen in den wissenschaftlichen Zentren des Landes zu begrenzt ist, bietet sich die ökonomische Verwertung der „überproduktion" an. In dieser Richtung laufen bereits recht umfangreiche „Export" -Aktivitäten israelischer Wissenschaftler, vor allem in amerikanischem Auftrag; auch mit der Bundesrepublik Deutschland bestehen in zunehmendem Maße derartige Auftragsverhältnisse. Daß sich hier auch ein weites Betätigungsfeld für eine wissenschaftlich-technische Entwicklungshilfe von Israel an Drittländer abzeichnet, liegt auf der Hand.
Für die israelische Volkswirtschaft insgesamt weitaus nutzbringender ist aber doch die industrielle Verwertung des wissenschaftlich-technischen Know-how im eigenen Land: also nicht der Export seiner kostbarsten „Naturschätze" als Rohstoff, sondern als verarbeitetes Fertigprodukt. Folgerichtig betreibt Israel in den letzten zehn Jahren mit allen Mitteln ein „Crash Program" zur Entwicklung sogenannter „science-based-industries": von Industriezweigen also, die in hohem Maße „wissenschaftsbegründet" sind, weil in ihre Produktion ein vergleichsweise hoher Anteil an wissenschaftlichen Leistungen und Knowhow eingeht — und die somit eine besonders hohe Wertschöpfungskapazität aufweisen. Offensichtliche Vorteile dieses Konzepts neben dem bereits erwähnten der Nutzung des „brain" -Reservoirs: Bei den Erzeugnissen dieses Industriesektors handelt es sich größtenteils nicht um Großserienprodukte, sondern um Neuentwicklungen und Spezial-anfertigungen, die beim Export nicht den Wettbewerb internationaler Massenhersteller zu fürchten haben. Und: Im Zuge der von Israel vor allem seit dem 6-Tage-Krieg von 1967 verfolgten Politik einer Importsubstitution auf dem Gebiet der militärischen Ausrüstung fiel in den neuerrichteten Betrieben ohnehin neues Know-how an, das in der Folge auch für die zivile Produktion nutzbar gemacht werden konnte. Besonders die Luftfahrt-und die Elektronikindustrien in Israel verdanken diesem -von der Regierung gezielt geförderten — Technologietransfer aus dem Rüstungsbereich wesentliche Entwicklungsimpulse
.... there is not sufficient awareness of the latter phase through wich a developed product becomes a marketable Commodity." . (........der letzten Phase der Überführung eines fertig entwickelten Produktes in ein Marktgut wird keine hinreichende Beachtung geschenkt".) — Es fehlt in Israel an genuinen Industriemanagern, — außer solchen, die entweder aus dem Wissenschaftsbetrieb oder dem Militär kommen —, die auf Dauer die erfolgreiche Führung neuer Unternehmen bei internationalem Wettbewerb gewährleisten können. Dieses Schlüsselproblem der israelischen Industrialisierung wird noch näher zu betrachten sein.
Wenn man gelegentlich als Zielvorstellung der israelischen Entwicklungspolitik findet, man wolle eine Art „Schweiz des Nahen Ostens" werden
Daß zu diesem neben dem ökonomischen Kalkül in Israel auch ganz wesentlich politische Überlegungen beitragen, wurde bereits mit dem Stichwort der „Importsubstitution" im Bereich moderner Waffenproduktionen angedeutet. Darüber hinaus stellt es als Garant israelischer Überlegenheit im israelisch-arabischen Konflikt ein Politikum ersten Ranges dar, — und wird von arabischer Seite auch als solches eingeschätzt
Auch der offizielle Industrieentwicklungsplan der Regierung konstatierte
Der jahrhundertealte Ruf der Juden als geschäftstüchtige und begabte Handelsleute und Finanziers läßt gelegentlich die fehlende Tradition eines jüdischen Industrie-Unternehmertums übersehen. Schon in der Geschichte der jüdischen Wiederbesiedelung Palästinas in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts dominierte so stark der Gedanke einer weltweiten Rückkehr des jüdischen Volkes zum „Land", daß die ersten industriellen Initiativen bezeichnenderweise in den Händen von Christen — z. B.deutschen Templern — lagen
Die mangelhafte Effizienz der Management-prozesse in diesen Bereichen ä konto überbordender bürokratischer Verwaltungspraktiken („Planung durch Fortschreibung") und des Vorherrschens informeller Beziehungen aufgrund alter Kameraderie ist aber in Israel nicht nur Gegenstand literarischer Satiren, sondern auch selbstkritischer Expertenäußerungen: „Management development is our number one problem." („Management-Entwicklung ist unser Problem Nr. 1)
Eines der Mittel, mit denen man in Israel dieses Hindernis zu überwinden versucht, ist die Aktivierung jüdischer Industrieller im Ausland, die beim Erwerb von industriellem Management-Know-how, bei der Entwicklung von Marktbeziehungen und der Errichtung von neuen Betrieben behilflich sein sollen. Diesem Zweck dienten in der Vergangenheit verschiedene Wirtschaftskonferenzen mit weltweitem Echo in Jerusalem und Tel Aviv. Danach bestehen im Ausland nun vielfältige Ausschüsse, die die Bedürfnisse der israelischen Industrie gründlich erforschen und Kontakte zwischen ausländischen und israelischen Unternehmen schaffen sollen.
Diese Entwicklung wird durch das Assoziationsabkommen zur Schaltung einer Freihandelszone zwischen der EG und Israel vom Mai 1975 zusätzlich forciert; denn dieses erzwingt eine strukturelle Anpassung der israelischen Industrie, die danach bis 1985 schrittweise in die europäischen Wirtschaftsbeziehungen integriert werden soll.
Zu kleine Betriebsgrößen Hauptsorgenpunkt der Israelis im Zusammenhang damit ist das Betriebsgrößenproblem: Israels Betriebe sind im Durchschnitt sehr viel kleiner als die der EG (1971: 61 Arbeitnehmer), Großbetriebe fehlen in Israel fast völlig. Die Betriebsgrößenstruktur in Israel ist zum einen bedingt durch die Kleinheit des israeli-sehen Marktes, die potenziert wird durch die politisch bedingte Abschnürung von seinen natürlichen Nachbarmärkten und die bisher dank protektionistischer Maßnahmen weitgehende Abschottung gegenüber dem Weltmarkt. Sie wird aber auch erklärt aus „managerial atti-tudes"
Daraus folgt bei qualifizierten Managern in Israel die große Neigung zur Verselbständigung: „Whoever can, likes to be his own boss."
Angesichts des Mangels an risikobereiter Unternehmerinitiative in anderen Entwicklungsländern ist dies zweifellos als positiver Entwicklungsfaktor zu werten. Aber das mit ihm verbundene Problem geringer „economies of scale" verlangt eine entsprechende bewußte Strukturpolitik
Die Politik der Regierung wird in dieser Hinsicht als widersprüchlich kritisiert: Einerseits werden Fusionen steuer-und wettbewerbs-rechtlich unterstützt, andererseits werden Kleinunternehmen durch die Steuerpraxis stark begünstigt, da sie sich leichter der Berichtspflicht zu entziehen vermögen
Insgesamt. hat sich in den letzten 20 Jahren die Industriestruktur zugunsten von Branchen verschoben „typical of small scale and longrundeclining cost-curves" (die gekennzeichnet sind durch kleine Serien und langfristig abnehmende Kostenverläufe)
Auch in anderen kleinen Ländern wurde das überleben kleinerer Industrien und Unternehmen durch deren Spezialisierung gesichert: so etwa im Rahmen der EG in Dänemark durch „design-intensive” Produkte, oder auch durch die Möglichkeiten des „sub-contracting", die ja auch in Israel im Verbund mit europäischen Wirtschaftspartnern bereits genutzt werden.
Aufschlußreich in diesem Zusammenhang ist jedenfalls die Tatsache, daß nach einer Umfrage unter israelischen Industriellen und Experten diese die Wettbewerbsfähigkeit der israelischen Industrie sehr viel stärker von Qualitätsverbesserungen, Verbesserungen der Technologien, Spezialisierung im Produktionsprozeß und hoher Kapazitätsnutzung abhängig sehen als von der Unternehmensgröße
Das harte Urteil der ökonomischen Experten über das „Übermaß an zentraler Administration" und den „falschen Gebrauch von Preis-mechanismen" darf nicht als indirektes Plädoyer für eine einseitige marktwirtschaftliche Steuerung mißverstanden werden; daß man in Israel prinzipiell ohne Scheuklappen gegenüber alternativen ordnungspolitischen Konzeptionen agiert, wird vielmehr als eine Chance gesehen, die nur bisher leider nicht hinreichend genutzt worden sei: „A small country, with a strong and influential government, Israel could have properly combined central administration and market mechanism and thereby become a model that both deve-loping and developed countries could follow."
Mit den Augen des Wirtschaftsfachmanns gesehen, ist in Israel die ökonomische Effizienz gegenüber sozialen und politischen Zwängen im gesamtwirtschaftlichen Steuerungsprozeß unnötigerweise ins Hintertreffen geraten; erklärt wird dies, jedenfalls zum Teil, mit „lack of understanding of the basic economic principles" („mangelndem Verständnis der grundlegenden ökonomischen Prinzipien")
Bodenpreispolitik als Exempel Zur Verdeutlichung des angesprochenen Problems soll hier auf ein Beispiel verwiesen werden, das auch von Lerner/Ben-Shahar angeführt wird als Exempel für das Unvermögen der israelischen Regierung, sich von den Ideologien der Pionierzeit zu lösen und in stärkerem Maß Prinzipien der ökonomischen Effizienz zu folgen: Die Bodenpreispolitik
Auch vom Standpunkt des Ökonomen gibt es keine grundsätzlichen Einwendungen gegen das von Anbeginn in Israel praktizierte Dogma, daß der Boden als nationales Eigentum prinzipiell nicht verkauft, sondern nur verpachtet wird: dies allerdings nur, solange die Pachtsätze eine nach Kriterien ökonomischer Effizienz optimale Nutzung des Bodens sicherstellen. Da alle landwirtschaftlichen Siedler in Israel gleich viel Land bekommen, und dies zu einem Pachtzins, der weit unter dem „Marktpreis" liegt (der dem „Grenzprodukt" des landwirtschaftlich genutzten Bodens entsprechen müßte), verschieden „gute" Siedler aus ihrem Landstück aber unterschiedlich „viel" erwirtschaften, verhindert ein solches administratives Allokationssystem eine Ausweitung der „besser" bebauten Flächen durch Verkauf und Zukauf „schlechter" bebauter Flächen zwischen den Siedlern. Das entspricht zwar der jüdischen Siedlungsideologie, widerspricht aber ökonomischen Prinzipien, zumal der zu niedrige landwirtschaftliche Pachtzins insgesamt auch noch dazu führt, daß landwirtschaftliche Siedlungen möglicherweise weit mehr Boden beanspruchen, als es ihrem volkswirtschaftlichen Nutzen entspricht, — etwa verglichen mit alternativen Bodennutzungen für touristische oder industrielle Zwecke.
Gerade an diesem Beispiel wird besonders deutlich, daß das Problem einer effizienteren Gestaltung gesamtwirtschaftlicher Steue-rungsprozesse in Israel nicht einfach ein Ra-tionalisierungsproblem für Experten ist; es ist vielmehr ein Problem des Unidenkens: Von den Anfängen an mit der . arbeitenden Gesellschaft'der Juden in Israel gewachsene Wert-und Zielorientierungen müssen kompatibel gemacht werden mit den Erfordernissen wirtschaftlicher Entwicklungsdynamik im Zeichen von Industrialisierung und Weltmarktorientierung.
III. Wirtschaftsund strukturpolitische Ordnungsvorstellungen im Widerstreit
1. Vom „konstruktiven Sozialismus" der Gründergeneration zum „Wirtschaftsliberalismus" der Begin-Regierung Der eingangs skizzierte Kurswechsel der Begin-Regierung vor gut einem Jahr ist allgemein im In-und Ausland über die konkreten wirtschaftspolitischen Änderungen hinaus als Wende in den Wirtschaft und Gesellschaft des Staates Israel beherrschenden Ordnungsvorstellungen empfunden worden. Viel beigetragen zu dieser ideologischen Interpretation hat die Tatsache, daß die geistige Vaterschaft an dem neuen Kurs dem Chicagoer Nationalökonomen und Nobelpreisträger Milton Friedman in seiner Eigenschaft als Wirtschaftsberater der Begin-Regierung zugesprochen wurde; zumal dieser in zahlreichen Verlautbarungen die währungspolitischen Liberalisierungsmaßnahmen in Israel emphatisch als Sieg des Kapitalismus über den Sozialismus gefeiert hat
Wenn der , New Deal'der Begin-Regierung in der internationalen Presse vor allem als Abkehr von „kollektivistischen Pionieridealen" und „paternalistischem Dirigismus" verstanden und weithin begrüßt wurde
Widerstreit der Traditionen Dieser Widerstreit der Traditionen hat von den Pionierzeiten an schon immer in Israel für eine im Prinzip pluralistische Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft gesorgt. Starkes staatliches Engagement in der Wirtschaft, ein intensiver Interventionismus in allen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereichen und der Ausbau eines wohlfahrtsstaatlichen Systems umfassender sozialer Sicherungen waren in Israel zuallererst Produkte politischer und praktischer Notwendigkeiten beim Aufbau des neuen Staatswesens und nicht Realisierung ideologischer Konzeptionen. Anderenfalls wäre z. B. nicht erklärbar, warum es in Israel nie eine zentrale Planung der Wirtschaft gegeben hat und gibt. Ideologien haben diese Ordnung allerdings sehr wohl insofern geprägt, als eine von den Prinzipien der Gerechtigkeit und Gleichberechtigung geprägte . arbeitende Gesellschaft'der Juden im Lande Israel von jeher das Leitziel aller zionistischen Bestrebungen war und als solches auch dem Willen zur politischen und ökonomischen Unabhängigkeit voranging. Die Siedlungspioniere, — insbesondere der zweiten Aliyah
Dies alles also beinhalten die „kollektivistischen Pionierideale", von denen sich das heutige Israel angeblich distanzieren müßte.
Konflikt der Generationen Der Wandlungsprozeß der Ideale und sozialen Werte in der israelischen Gesellschaft ist aber keineswegs neu; am konkretesten läßt er sich fassen als Generationskonflikt: zwischen den „Ideologen" der Pioniergeneration und den-„Pragmatikern“ der im Lande geborenen 2. und 3. Generation von Israelis, die in ihrer sachlicheren, funktionelleren Haltung und Denkweise gegenüber den Anforderungen der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung eher mit den ökonomischen Grenzen des insgesamt Machbaren zu leben bereit sind; anders als ihre Väter, die mit dem zionistischen Elan des „wenn ihr wollt ..." alles möglich machen zu können glaubten. In der Deutung des Soziologen Avni-Segre heißt das
Der Durchbruch dieser neuen Gesellschaft wird mit dem Sechstage-Krieg datiert:
„ .. . the June war Consolidated the supremacy of industry over agriculture. It was the Air Force and advanced technology that won the war in the first three hours of conflict. It was industry and technology that proved they could assure the economic and political future of the state. Productivism has thus be-come a widespread new idea in Israel . .
(„Der Junikrieg besiegelte die Vorherrschaft der Industrie über die Landwirtschaft. Es waren die Luftwaffe und die moderne Technologie, die den Krieg in den ersten drei Stunden des Konfliktes gewannen. Es waren Industrie und Technologie, die unter Beweis stellten, daß sie die ökonomische und politische Zukunft des Staates zu sichern in der Lage sind. , Produktivismus‘ ist auf diese Weise zum verbreiteten neuen Ideal in Israel geworden.")
Muß das aber nun heißen, daß die neue industriell geprägte Generation in Israel mit fliegenden Fahnen in das Lager des Wirtschaftsliberalismus westlicher Prägung abwandert, weil die kollektiven Ideale der Siedlungsväter für sie überholt sind? Für diese Annahme könnte auf den ersten Blick das Vordringen des „zweiten Israel" sprechen, also der zunehmende Einfluß der aus traditionellen afroasiatischen Kulturen in das moderne Israel verpflanzten sephardischen Juden: Weitgehend unberührt von den Idealen des Agrarzionismus, repräsentieren sie in der neuen is83) raelischen Industriegesellschaft zweifellos ein materiell motivierendes, auf ökonomische Anreize reagierendes und damit prinzipiell marktwirtschaftlich gut steuerbares Element
Soziale Kraitproben programmiert Der in Israel bisher praktisch nicht existente Verteilungskonflikt zwischen Kapital und Arbeit wird damit unausweichlich programmiert; die ersten Proben sind in den Streiks des Jahres 1978 bereits durchexerziert worden. Angesichts der dominierenden Arbeitgeberposition des Staates bzw.der Histadrut erscheint es in der politischen Situation Israels als völlig ausgeschlossen, daß das Land sich echte soziale Kraftproben leisten kann.
Wie steht es aber mit den hochgespannten Erwartungen, dem „Promise of Capitalism", die mit den Liberalisierungsmaßnahmen für Israel verbunden wurden? Milton Friedmans Version dazu
(„Wenn Israels Sprung in die Freiheit von Dauer ist, sage ich voraus, daß er das gleiche Wirtschaftswunder hervorbringen wird wie der ähnliche Sprung in Deutschland 1948 ... Er könnte Israel auch zu einem der großen Finanzzentren machen, einem teilweisen Ersatz für Beirut...")
Die „Entfesselung schlummernder Produktiv-kräfte", auf die der neue wirtschaftspolitische Kurs spekulierte, hat bisher jedenfalls nicht stattgefunden. Ganz sicher waren und sind die politischen Rahmenbedingungen für Israel im Nahen Osten auch nicht annähernd denen der Bundesrepublik Deutschland in der Wiederaufbau-und Wirtschaftswunderphase nach dem Zweiten Weltkrieg vergleichbar. Außerdem haben die angestellten Überlegungen für die Schlüsselprobleme zukünftiger Entwicklungspolitik in Israel besonders hinsichtlich der Mängelerscheinungen im industriellen Management und im gesamtwirtschaftlichen Steuerungssystem gewisse Begrenzungen sichtbar werden lassen, die einer „kapitalistischen Radikalkur", jedenfalls bis auf weiteres, gesetzt sind.
Das Diktat der politischen Zwänge wurde bereits deutlich am Schicksal des israelischen Staatsbudgets für 1978, das im Zeichen des neuen Kurses erstmals in Volumen und Struktur die Zurückdrängung des Staates zumindest tendenziell hätte erkennen lassen müssen. Wie wenig Spielraum die die israelische Wirtschaftslage bestimmenden Sachzwänge den Politikern lassen, zeigt sich darin, daß dieses Budget — entgegen anderslautenden Proklamationen — praktisch keine Abstriche oder wesentlichen Umschichtungen im Bereich der öffentlichen Ausgaben realisieren konnte. Natürlich kann man dem Finanzminister Ehrlich — wie etwa Y. Bach es in seinem Beitrag tut — deswegen „Inkonsequenz" vorwerfen, — gemessen nämlich am „Entstaatlichungs" -Ziel des Liberalisierungskonzepts, — und seine „Nachgiebigkeit" gegenüber Forderungen von Ministerien und Interessentengruppen bedauern. Fraglich ist nur, ob einem verantwortlichen Regierungspolitiker in Israel heute angesichts der politischen und auch gerade der entwicklungspolitischen Erfordernisse überhaupt eine Alternative zum Handeln bleibt. Nicht umsonst hat Minister Ehrlich immer betont, daß man in Israel die Ratschläge von Milton Friedman nur „sehr selektiv" anwenden könne: „ ... wenn wir seine Theorie von Kopf bis Fuß anwenden, muß Israel binnen einem Monat alle Lichter ausschalten"
» Mit dem Kurswechsel zum Wirtschaftsliberalismus ist aber unausweichlich die Frage aufgeworfen, ob in Zukunft der wirtschaftlichen Entwicklung in Israel Priorität eingeräumt werden soll und kann
Israel hätte nie seinen heutigen wirtschaftlichen Entwicklungsstand erreicht, wenn es nicht in besonderem Maße von Kräften profitiert hätte, die man etwas unkonventionell als „Produktionsfaktor Weltanschauung" bezeichnen könnte. „Ideology as a resource"
Welche Ansatzpunkte lassen sich aber in Israel heute finden, die diesen „neuen Traum" wenigstens andeutungsweise konturieren könnten, wenn es nicht Friedman's „Promise of Capitalism" sein kann oder soll? Nach wie vor lassen sie sich zwingend wohl nur aus den alten Grundidealen und -werten des Staates der Juden in Israel ableiten:
Traditionelle Wer(Orientierungen erhalten 1. Das Anreizsystem der israelischen Industriegesellschaft muß auch in Zukunft neben dem ökonomischen Gewinnstreben der Selbstverwirklichung des jüdischen Volkes im Rahmen seiner traditionellen Wertorientierungen Raum lassen. Das heißt aber:
— Das israelische Wirtschaftssystem kann nur pluralistisch sein.
— Die wirtschaftlichen Entscheidungsund Steuerungsmechanismen dürfen weder einseitig von Gruppeninteressen dominiert sein (weswegen der Ausweitung der betrieblichen Mitbestimmung der Arbeitnehmer über die ersten 'Ansätze im gemeinwirtschaftlichen Sektor hinaus sicher für Israel besondere gesellschaftspolitische Bedeutung zukommt), noch darf ein Übermaß von Anweisungsbürokratie den einzelnen wie auch die Gesellschaft reglementieren und strangulieren (weswegen Befreiung von bürokratischen Fesseln und Dirigismen als „Liberalisierung" das Gebot jeder zukunftsorientierten Entwicklungspolitik in Israel ist).
— Arbeitslosigkeit rührt in einer als „arbeitenden Gesellschaft" gegründeten und gewachsenen Industrienation an die Grundlagen der staatlichen Existenz; als Staatsfeind Nr. I wird sie keinesfalls akzeptabler, wenn sie als „Nebenprodukt" marktwirtschaftlicher Regelmechanismen auftritt. Die neuerdings erstmalig steigenden Arbeitslosenziffern in Israel könnten insofern dazu führen, daß dem Liberalisierungskonzept der Begin-Regierung von vornherein alle weiteren Bewährungschancen kategorisch abgeschnitten werden.
Enge Grenzen sozialer Ungleichheit 2. Wenn man im Sinne der egalitären Ideale der zionistischen Staatsgründer Israels (die insoweit durchaus verbreiteten Vorstellungen der Nationalökonomie entsprechen, modernen wie sie etwa der bekannte amerikanische Ökonom John Kenneth Galbraith vertritt) die Fortschrittlichkeit einer Gesellschaft an der gerechten Verteilung des nationalen Einkommens mißt, so können einem entwicklungspo-litischen Konzept, das „die Reichen reicher und die Armen ärmer" machen muß, von vornherein nur geringe Chancen eingeräumt werden. Zumal vorher ja festgestellt wurde, welch positiven Beitrag die relativ egalitäre Verteilungssituation in Israel zur umfassenden Entwicklung des Landes geleistet hat.
Die starke Identifizierung der Israelis mit ihrem Staat als Inbegriff der arbeitenden Gesellschaft in Israel als Ganzes beruht mit darauf, daß dieser Staat eben kein Klassenstaat ist: „Zwar ist Israel nicht zu einem einzigen Kibbuz geworden, aber wahrscheinlich bildet es die am wenigsten in Schichten, Stände oder Klassen unterteilte Gesellschaft der freien Welt. Es gibt natürlich reiche Leute. Doch ... ist Israel der einzige Staat, in dem die Kapitalbesitzer keinen politischen Einfluß haben."
Diese Aussage kann natürlich nur ein persönliches Urteil widerspiegeln, deutet aber doch an, weshalb eine stärkere Einkommensdifferenzierung von der überwiegenden Mehrzahl der Israelis auch heute noch als unvereinbar mit den Grundidealen ihres Staates empfunden wird, zumal wenn sie in sichtbarem Luxuskonsum einerseits gegenüber fortgesetzt niedrigen Einkommensstandards andererseits in weiten Kreisen vor allem der orientalischen Juden zutage tritt
Präierenz für „zusätzliche Dimensionen"
3. Schließlich gilt es auch, die (quantitative) „Orientalisierung" und (qualitative) „Judaisierung" der politischen Landschaft Israels als neue Entwicklung des alten Konflikts zwischen dem „ersten" und -dem „zweiten" Isra el
Angesichts der eher zunehmend gewichtigen Rolle religiöser Traditionen im heutigen Israel muß möglicherweise in Zukunft auch mit einer zunehmenden Neigung zur Herausbildung eschatologisch bestimmter gesellschaftlicher Zielvorstellungen gerechnet werden, wie sie ähnlich gewissen frühzionistischen Theorien eigen waren. Denn eine „auserwählte" Gesellschaft unterscheidet sich von einer „normalen" eben dadurch, daß sie nicht wie diese vorrangig nach Gesichtspunkten ökonomischer Effizienz handelt, sondern ideologischen Zeichen folgt. Die Präferenz für „zusätzliche Dimensionen" (Lavon) ist im traditionalistisch-konservativen Teil der israelischen Führungselite sicher stärker ausgeprägt als bei den geistigen Erben des Arbeiterzionismus, die heute eher dem Ideal einer offenen und pluralistisch strukturierten Industriegesellschaft anhängen. Insofern bleibt abzuwarten, ob die Anleihe, die die religiös-konservativ dominierte Regierung Begin beim „alten Traum vom Kapitalismus" gemacht hat, überhaupt die volle Laufzeit einer politischen Legislaturperiode erreichen wird. Denn es darf schließlich nicht übersehen werden, daß Liberalisierung jedenfalls ein Programm für den Frieden ist. Daß von einem wirksamen Friedensschluß in Israel starke Impulse für eine Entfesselung unternehmerischer und technologischer Produktivkräfte ausgehen könnten, wird kaum jemand bezweifeln. Solange aber Krieg und Belagerungszustand als tägliche Bedrohungen vor der Tür stehen, fehlt es sicherlich am rechten Klima für das Gedeihen einer freien Marktwirtschaft. Israel kann sich bis auf weiteres ein konsequentes Laissez-faire schon deshalb gar nicht „leisten", weil es eben auch zur Sicherung seiner politischen Lebensfähigkeit seine Entwicklung jederzeit beherrschen muß.
IV. Israel: Modellfall für Entwicklungsländer?
Trotz aller Einzigartigkeit vor allem seiner historischen und politischen Konstellationen bietet das „Entwicklungsphänomen Israel" doch einen Erfahrungsfundus an, der in mancher Hinsicht als entwicklungspolitisches Lehrstück von Interesse sein kann — und in der Tat auch schon häufig genutzt worden ist, vor allem von Entwicklungsländern Afrikas und Lateinamerikas. Denn Israel demonstriert exemplarisch, was üblicherweise in der ökonomischen Entwicklungstheorie als „balanced growth doctrine" bezeichnet wird: „Development requires an Overall sophisticated balance." („Entwicklung verlangt ein umfassen-des ausgeklügeltes Gleichgewicht".)
Der Modellfall Israel zeigt aber eben zugleich, daß das Postulat der . Ausgewogenheit'oder . Gleichgewichtigkeit'als Entwicklungsprinzip in einem weitaus umfassenderen Sinne zu sehen ist, als es bisher von der Entwicklungstheorie verstanden wurde: nämlich als Forderung nach einer ausgewogenen und parallel laufenden Entwicklung der landwirtschaftlichen und der industriellen Sektoren einer Volkswirtschaft; weil nur so die Herausbildung hinreichend großer und differenzierter Binnenmärkte bei gleichzeitiger Kaufkraftsteigerung der breiten Bevölkerung gewährleistet wird, die wiederum die notwendige Voraussetzung für weitere Investitionen und damit Wachstum sind.
Israels Entwicklungsmuster entspricht dieser „Doktrin" geradezu vorbildlich, zumal neben Landwirtschaft und Industrie gleichzeitig auch die Infrastruktur planmäßig ausgebaut wurde und innerhalb der Wirtschaftssektoren das Entstehen einseitiger Monokulturen bzw. -Produktionen weitgehend vermieden wurde; so sind die zunächst dominierenden Citrusfrüchte im Agrarexport längst durch weitere Qualitätsprodukte wie Blumen, Gemüse, Wein ergänzt worden.
Das Prinzip der . Ausgewogenheit' kennzeichnet aber darüber hinaus die israelische Entwicklung sehr viel weitgehender und vielschichtiger: 1. Israel hat unter Beweis gestellt, daß bestehende Mängel und Engpässe in der Ressourcenausstattung einer Volkswirtschaft im Prinzip auszugleichen sind; konkret wurde diese Austauschbarkeit menschlicher und materieller Ressourcen genutzt, um die natürliche Kargheit des Landes durch den Einsatz von . Humankapital'wirkungsvoll zu kompensieren. 2. Israel hat gleichermaßen investiert in die Entwicklung seines Produktivkapitals — in Gestalt von Anlagen aller Art — wie seines Humankapitals, also das Erziehungswesen im weitesten Sinne. Diese Ausgewogenheit der Entwicklung, die auch innerhalb des Erziehungssektors durch gleichmäßige Förderung aller Bereiche und Ebenen festzustellen ist, sicherte die weitgehende Übereinstimmung von Beschäftigungs-und Bildungssystem und verhinderte damit u. a. einen „brain drain", also die Talentabwanderung, unter der andere Entwicklungsländer so stark zu leiden haben. 3. Die israelische Führungselite aller staatlichen und gesellschaftlichen Bereiche gleichermaßen hat nie als Sachwalter partikulärer Gruppeninteressen oder einseitiger Ideologien agiert, sondern aus einem breiten national orientierten Konsensus heraus gehandelt. Entsprechend sind Wirtschaft und Gesellschaft in Israel pluralistisch geordnet und pragmatisch gesteuert. Der „Blick aufs Ganze" hat sich dabei insbesondere bewährt in einem beachtlichen Gleichmaß von sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungsanstrengungen; Integration und Egalität galten deshalb als so vorrangig, weil stärkere soziale und wirtschaftliche Ungleichgewichte vermieden bzw. abgebaut werden sollten.
4. Das Miteinander von „Pflug und Buch" in den Händen der jüdischen Palästina-Siedler hat sich in Israel erhalten als Einheit und Einigkeit von Wissenschaft, Technik und Produktion, von Theorie und Praxis; sie erweist sich als wichtige Bedingung einer optimalen Mobilisierung und Motivierung aller menschlichen Produktivkräfte.
5. Schließlich zeigt das israelische Beispiel, daß „Sozialinnovationen" im weitesten Sinne, die sich in Israel ja keineswegs nur auf die bekannten Kibbuzim und ähnliche kooperative Siedlungsund Produktionsformen beschränken, für die gesamte sozialökonomische Entwicklung mindestens so wichtig sind wie die sonst so einseitig favorisierten Innovationen technologischer Art; sie sind allerdings ungleich schwerer zu imitieren als technische Errungenschaften.
Israel als Entwicklungshelfer Damit ist zugleich angesprochen, in welcher Richtung Israel neben seiner Rolle als mögliches Entwicklungsmodell auch als aktiver Entwicklungshelfer für Drittländer besonders viel zu bieten hat. Angesichts seiner hervorragenden Kompetenz für bedarfsgerechte Entwicklungstechnologien aller Art besteht ohnehin schon seit Jahren ein starkes Engagement in „technischer Hilfe", die vor allem im afrikanischen, asiatischen und südamerikanischen Raum sehr gefragt ist. Weit schwieriger als die Übertragung von Technologien läßt sich aber die Verpflanzung des sozialen Know-how spezifisch israelischer Machart bewerkstelligen, ohne das aber das „Entwicklungsmodell Israel" eben nicht funktioniert und jedenfalls nicht imitierbar ist.
Den Möglichkeiten Israels, wie sie gelegentlich beschworen werden, „to become the scientific-industrial pioneer serving as a bridge between the develpped and the newly developing world" („der wissenschaftlich-technische Pionier zu werden, der die Brücke zwischen dem bereits entwickelten und dem sich neu entwickelnden Teil der Welt schlägt")