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Emanzipation von Moskau? Aspekte der Stalinismus-Diskussion bei den Eurokommunisten Eine Bestandsaufnahme *) | APuZ 2/1979 | bpb.de

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APuZ 2/1979 Zum Problem des Eurokommunismus Materialien und Denkanstöße Emanzipation von Moskau? Aspekte der Stalinismus-Diskussion bei den Eurokommunisten Eine Bestandsaufnahme *)

Emanzipation von Moskau? Aspekte der Stalinismus-Diskussion bei den Eurokommunisten Eine Bestandsaufnahme *)

Harald Geiss

/ 61 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

In der vielschichtigen Entwicklung der kommunistischen Parteien Spaniens (PCE), Frankreichs (PCF) und Italiens (PCI) hin zu dem, was wir heute „Eurokommunismus" nennen, spielt ihre Auseinandersetzung mit dem Stalinismus eine zentrale Rolle. Die Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit im Rahmen des von Moskau beherrschten internationalen Kommunismus führte schließlich nicht nur zur außenpolitischen Emanzipation von der UdSSR, sondern auch zur generellen Ablehnung des „sowjetischen Modells" und zur Neubewertung mancher Prinzipien des Marxismus-Leninismus. Diesen historischen Prozeß zeichnet der vorliegende Aufsatz nach. Den Schwerpunkt der Untersuchung bilden Darstellung und Interpretation des aktuellen Standes der Stalinismus-Diskussion in den einzelnen Parteien sowie die Frage nach den Auswirkungen dieser Diskussion auf ihre politische Praxis. Dabei werden Unterschiede und Ähnlichkeiten bzw. Übereinstimmungen herausgearbeitet, um dem Leser die Einordnung und Beurteilung von — möglicherweise folgenreichen — zukünftigen Entwicklungen zu erleichtern. Genannt seien nur die bevorstehenden Parteitage von PCI und PCF im März bzw. Mai 1979.

Einleitung

Das in jüngster Zeit sich verstärkende Bestreben der UdSSR, das spätestens seit den Abmachungen von Helsinki auch ins internationale Blickfeld gerückte Problem der Bürgerrechtler in den Griff zu bekommen, trifft auf harte Kritik der kommunistischen Parteien Frankreichs (PCF), Italiens (PCI) und Spaniens (PCE) Für sie stehen dabei — obwohl als Begründung genannt — nicht die negativen Auswirkungen auf die internationalen Beziehungen im Vordergrund, sondern Fragen der „sozialistischen Demokratie", die den immer wieder hervorgehobenen Aspekt der „persönlichen Freiheiten" mit einschließen.

Das sowjetische Vorgehen ruft Erinnerungen an die stalinistischen Prozesse der Jahre 1936— 1938 wach, die — ähnlich wie heute — dazu dienten, unter den Schlagworten „Spio-nage" und „Landesverrat" Verbindungen zu obskuren ausländischen Feinden und Mächten zu konstruieren, um imaginäre, potentielle oder reale Opposition „auszuschalten"

Seitdem hat sich allerdings die Situation der kommunistischen Weltbewegung grundlegend gewandelt. Während damals die Reduzierung der Weltpolitik auf den Gegensatz zwischen Faschismus und Kommunismus weitgehend akzeptiert und deshalb auch der gesamte Kurs Moskaus als notwendig und stabilisierend für das eingekreiste „Vaterland des Sozialismus" interpretiert wurde, sehen zumindest die drei genannten Parteien heute die Probleme wesentlich differenzierter und beurteilen viele Maßnahmen als eklatante Verstöße gegen sozialistische Prinzipien. Ein wichtiger Grund für diese Verschiebung liegt darin, daß PCF, PCI und PCE durch ihre Versuche, neue Ansätze zur Analyse hochentwickelter kapitalistischer Staaten zu finden, immer wieder in Konflikt mit dem Anspruch des Kremls gerieten, auf dem Feld sowohl der Theorie als auch der Praxis im Besitz der für alle übrigen Kommunisten allgemein verbindlichen Wahrheit zu sein. Die daraus resultierende Ablehnung der sowjetischen Führungsrolle provozierte die Beschäftigung mit dem Phänomen des Stalinismus, dessen Kritik wiederum auf das Verhältnis zur UdSSR zurückwirkte.

Manche Eurokommunisten vertreten die Auffassung, der Grundstein für die Entwicklung hin zu autonomem Handeln sei schon mit dem Volksfront-Konzept der dreißiger Jahre gelegt worden, als nämlich der VII. Kominternkongreß (1935) die Doktrin verkündete, die kommunistischen Parteien müßten mit allen antifaschistischen Kräften — ganz gleich, ob „sozialdemokratisch", „sozialistisch" oder „bürgerlich" — zusammenarbeiten

Obwohl die bisherige Forschung die eigenständigen Vorstellungen der einzelnen Parteien in dieser Periode sicherlich zu wenig beachtet hat kann man doch generell feststellen, daß damals alle Richtungsänderungen nicht von den Sektionen der Komintern, sondern von Moskau verfügt wurden, auch wenn unter gewissen Bedingungen eine „objektive" Interessenidentität bestehen mochte; der Kreml benutzte die kommunistischen Parteien als Instrumente seiner Außenpolitik wobei er die Legitimation aus dem auf dem VI. Weltkongreß der Komintern (1928) angenommenen Passus zog: „Die Sowjetunion ist das wahre Vaterland des Proletariats, die festeste Stütze seiner Errungenschaften und der Hauptfaktor seiner internationalen Befreiung; das verpflichtet das internationale Proletariat, dem sozialistischen Aufbau in der Sowjetunion zum Erfolge zu verhelfen und das Land der proletarischen Diktatur mit allen Mitteln zu verteidigen.“

Diese von keinem „echten" Kommunisten bezweifelte Verpflichtung wiederum gab der UdSSR freie Hand bei der Definition, was zu ihrem — gleich der Weltrevolution — Nutzen sei, und gipfelte in der logischen Konsequenz, daß die einzelnen Parteien aus Überzeugung, mit „solidarischem Zähneknirschen" oder aufgrund direkten Drucks, wie z. B. im Spanischen Bürgerkrieg über die Dosierung der Waffenlieferungen, sämtliche Schwenkungen der Kreml-Diplomatie nachvollzogen.

Eine besonders groteske Situation ergab sich in der Zeit zwischen dem Hitler-Stalin-Pakt (1939) und dem deutschen Überfall auf Ruß-land (1941), als der bis dahin allen Aktivitäten zugrunde gelegte Antifaschismus über Nacht verschwand und dem PCF 1940 sogar „untersagt" wurde, sich in den Widerstand gegen das Besatzungsregime einzureihen Der auch von der internationalen Öffentlichkeit angeprangerte „moralische" Tiefpunkt der Komintern wurde allerdings relativ rasch überwunden, als die UdSSR mit ihren militärischen Siegen entscheidend und PCF sowie PCI in der Resistance aktiv zum Sturz von Nationalsozialismus und Faschismus beitrugen.

Die ersten Jahre nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs brachten die sukzessive Übertragung des sowjetischen Wirtschaftsund Gesellschafts„modells" auf die Staaten Osteuropas sowie die Mitarbeit der italienischen und französischen Kommunisten in Koalitionsregierungen Obwohl das Ansehen Moskaus jetzt seinen Höhepunkt erreicht hatte, kann man darüber spekulieren, ob nicht schon damals „objektive" Interessenkonflikte zwischen sowjetischen und nationalen Zielsetzungen aufgebrochen wären wenn nicht der Beginn des Kalten Krieges die Eliminierung der PCI bzw. PCF angehörenden Minister aus den Kabinetten bewirkt und dem Kreml die Chance geboten hätte, in Form der „Zwei-Lager-Theorie" in die Konfron-tationsstrategie der dreißiger Jahre zurückzufallen und massiv den durch die Auflösung der Komintern (1943) — zumindest optisch — relativierten Führungsanspruch innerhalb der kommunistischen Weltbewegung wiederherzustellen Das Jahr 1949 brachte dem internationalen Kommunismus zwei Ereignisse von weitreichender Bedeutung: die „Exkommunizierung" Jugoslawiens und den Sieg Maos im chinesischen Bürgerkrieg. Während das eine den vorläufigen Endpunkt einer eigenständigen Entwicklung markierte, die den bisherigen Zentrismus nicht mehr akzeptierte schien das andere die Vision vom unaufhaltsamen Vormarsch des Sozialismus zu erfüllen; seine Folgewirkungen indessen sollten noch zur Vertiefung der Frage beitragen, wie überhaupt und unter welchen Bedingungen „Sozialismus" zu verwirklichen sei

Obwohl es innerhalb der kommunistischen Parteien Frankreichs, Italiens und Spaniens schon immer „abweichende" Meinungen zu bestimmten Aussagen des Marxismus-Leninismus gegeben hatte, waren sie doch von vornherein nicht mehrheitsfähig, weil niemand — aus den verschiedensten Gründen — ernsthaft den absoluten sowjetischen Führungsanspruch bezweifelte. Der „Abfall" Jugoslawiens, den man nicht so einfach als „konterrevolutionären Akt" abqualifizieren konnte, eröffnete die Möglichkeit für Überlegungen hinsichtlich einer „Nationalisierung" des Weges zum Sozialismus, ohne gleichzeitig zwingend Richtigkeit und Verbindlichkeit des „sowjetischen Modells" zu revidieren und mehr als eine Modifizierung der Taktik zu beinhalten.

Die Frage nach Form und Inhalt der weitgehend unter Stalin geprägten sowjetischen Realität und ihre Übertragbarkeit auf andere Länder wurde erst akut, als Chruschtschow auf dem XX. Parteitag der KPdSU (1956) gewisse „Auswüchse" im Erscheinungsbild des Systems und den Personenkult in einer Geheimrede kritisierte, um seine eigene Position zu festigen und einen notwendig gewordenen „gemäßigten Wandel" einzuleiten

Beides, sowohl die Krise des internationalen Kommunismus nach dem Zweiten Weltkrieg als auch die Erkenntnis, daß die Reformfähigkeit des sowjetischen Staatsgefüges wenigstens in engen Grenzen wiederbelebt werden müsse, schuf die Voraussetzung dafür, daß PCI, PCF und PCE sich mit dem Stalinismus auseinandersetzen und anhand seines negativen Beispiels Lehren für die eigene Strategie und Taktik ziehen konnten.

I. Der XX. Parteitag der KPdSU (1956) und seine Auswirkungen auf die kommunistischen Parteien Spaniens, Frankreichs und Italiens

1. Chruschtschows Auseinandersetzung mit Stalin Der XX. Parteitag der KPdSU fand drei Jahre nach Stalins Tod statt und stand ganz im Zeichen einer bereits eingeleiteten Phase, die man allgemein als „Entstalinisierung" bezeichnet. Es ging der Staatsführung nun darum, sowohl die ergriffenen Maßnahmen sanktionieren zu lassen als auch Orientierungspunkte für die zukünftige Entwicklung zu setzen. Die „kontrollierte Reform von oben" sollte die auf dem ökonomischen Sektor unabdingbar gewordenen Veränderungen durch Korrekturen des politischen Systems flankieren oder gar erst ermöglichen, um die gesellschaftlichen Verhältnisse zu beruhigen und für einen kontinuierlichen Wandel tauglich zu machen. Zu ihr gehörten: Reduzierung des Terrors, Entlastung der Ideologie von antiquierten Dogmen, „Liberalisierung" der Herrschaftsmethoden, Dezentralisierung der Produktion, Ausbau der Leichtindustrie und stärkere Betonung der kollektiven Führung.

Das generelle Ziel der Gewinnung größerer Flexibilität wurde auch auf die kommunistische Weltbewegung übertragen: Aufrechter-haltung der führenden Rolle Moskaus im Gewände „modernerer", weniger repressiver Techniken. Als besonders wichtig für die Herausbildung des Eurokommunismus erwies sich diejenige Passage der Resolution, die vom Übergang zum Sozialismus in den kapitalistischen Staaten handelte. In ihr hieß es, es sei „völlig gesetzmäßig, daß die Formen des Übergangs der Länder zum Sozialismus in Zukunft noch mannigfaltiger werden" dieser Prozeß sei zwar nach wie vor revolutionär, doch könne er teilweise mit friedlichen Mitteln realisiert werden, bedeute also nicht unbedingt Bürgerkrieg. Hinzu kam das Prinzip der friedlichen Koexistenz, das die Forderung aufstellte, unter den „neuen" internationalen Bedingungen Kriege zu vermeiden.

Als Aufhänger für die gesamte Umorientierung diente die kritische Überprüfung der sowjetischen Vergangenheit. Obwohl schon die öffentlichen Sitzungen des Parteitages, über die alle Zeitungen ausführlich und wörtlich berichteten, ungewohnte Eingeständnisse mit sich brachten, fand die eigentlich systematische Auseinandersetzung mit Stalin doch in der Geheimrede Chruschtschows vom 25. Februar statt. Sie dokumentiert, was an der bisherigen Entwicklung als unabdingbar und irreversibel gelten und wo die Grenze zur Systemzerstörung liegen sollte .

Im Mittelpunkt der Betrachtungen standen Entfaltung und Konsequenzen des Personen-kults, „der in einer ganz bestimmten, konkreten Phase zur Quelle einer Reihe außerordentlich ernster und schwerwiegender Verfälschungen der Parteigrundsätze, der innerparteilichen Demokratie und der revolutionären Gesetzlichkeit wurde" . Um die negativen Seiten dieses Phänomens herauszuarbeiten, verglich Chruschtschow verschiedene Charaktereigenschaften Lenins und Stalins, wobei er besonders die Toleranz und die Fähigkeit zum überzeugen des ersteren hervorhob und lange Passagen seines „Testaments" zitierte, das in dem Vorschlag gipfelte, den Einfluß des Generalsekretärs der KPdSU entweder rigoros zu beschneiden oder ihn ganz aus dem Amt zu entfernen. Dieser Abschnitt endete mit dem Satz: „Die negativen Charakterzüge Stalins, zu Lenins Zeit erst im Ansatz vorhanden, entfalteten sich immer stärker und führten in den letzten Jahren zu einem folgenschweren Mißbrauch der Macht durch Stalin, der der Partei unsagbaren Schaden zufügte."

Für die zwanziger und den Beginn der dreißiger Jahre ergab sich allerdings eine völlig andere Bewertung. Hier habe Stalin erfolgreich den Aufbau des Sozialismus vorangetrieben, in der Industrialisierungsdebatte die „richtige" Alternative — den absoluten Primat der Schwerindustrie — gewählt und den Meinungskampf um zukunftsweisende Entscheidungen mit der nötigen Härte geführt. Der eigentliche Umschwung sei erst mit der Verlagerung der Auseinandersetzung von der ideologischen Ebene auf die radikaler Unterdrückungsmaßnahmen erfolgt, „als die Fundamente des Sozialismus in unserem Land gelegt, die ausbeutenden Klassen im allgemeinen liquidiert waren, als sich die soziale Struktur der Sowjetunion von Grund auf geändert hatte und die soziale Basis für partei-feindliche Gruppen und Bewegungen entscheidend eingeengt war, als die ideologischen Gegner der Partei politisch längst geschlagen waren" . Anschließend schilderte Chruschtschow die in seinen Augen entscheidenden Konsequenzen des Personenkults, die in den Jahren 1935 bis 1938 mit der „Säuberung" von „Trotzkisten, Sinowjewisten und Bucharinisten" einsetzten und in einer riesigen Welle von Verfolgungen all derjenigen Bürger endeten, die man als „Volksfeinde" definierte . Er kritisierte den Terror als — im Sinne der sozialistischen Gesetzlichkeit — unnötig, willkürlich und getragen von brutaler Gewalt. Illustriert wurden die Vorgänge durch Zahlen, Unterdrückungsmethoden und Namen prominenter Opfer .

Es kam zu weiteren Exzessen, die nun auch ganze Nationalitäten und Berufsgruppen trafen, wie z. B. die Ärzte, die beschuldigt wurden, hohe Funktionäre mittels bestimmter Medikamente ermorden zu wollen (sog. Ärzteverschwörung). Der Personenkult wirkte sich indessen nicht nur verheerend auf die sozialisti-sehe Umgestaltung der UdSSR aus. Die Dezimierung der Partei-und Militärkader führte darüber hinaus zu einer enormen Schwächung der Verteidigungsbereitschaft und zum Beinahezusammenbruch des Sowjetstaates. Während Stalin für die Mißerfolge seine Untergebenen verantwortlich machte, reklamierte er die Siege nach Stalingrad alleine für sich: „Auf alle mögliche Art und Weise versuchte er, im Volke die Vorstellung zu erwecken, daß alle vom Sowjetvolk im Großen Vaterländischen Krieg errungenen Siege dem Mut, der Kühnheit und dem Genie Stalins und sonst niemandem zu verdanken seien."

Obwohl Chruschtschow die Bestandsaufnahme der Fehler Stalins sehr detailliert und ausführlich vortrug, machte er nur ganz sporadisch und oberflächlich den Versuch, die „Auswüchse" am sonst fast perfekten System zu „erklären". Er zitierte zwar immer wieder die unbegrenzte Macht des Generalsekretärs, doch stellte er nie die Frage, woraus sie resultierte und welche Faktoren sie begünstigten. Als minimaler analytischer Ansatz könnte bestenfalls gelten, daß er die Zeitspanne von dreizehn Jahren zwischen dem XVIII. (1939) und XIX. Parteitag (1952) so interpretierte, daß die Partei als Entscheidungsträger praktisch ausgeschaltet worden sei. Ansonsten blieb es jedoch bei Zustandsbeschreibungen, deren Tenor meistens etwa so lautete: „Wie ist es zu erklären, daß nach dem XVII. Parteitag (1934 — H. G.) die Massenrepressalien gegen Aktivisten immer mehr zunahmen? Stalin hatte sich damals derart über Partei und Nation erhoben, daß er fortan weder auf das Zentralkomitee noch die Partei Rücksicht nahm... Stalin glaubte, er könne alles allein entscheiden und brauche nur noch Statisten. Er behandelte alle anderen so, daß sie ihm nur noch zuhören und Beifall klatschen durften.“

Die Konzentration der Kritik Chruschtschows auf die Person Stalins diente keinesfalls dazu, eine theoretisch fundierte Auseinandersetzung mit dem Phänomen des „Stalinismus" zu initiieren. Vielmehr sollte sie die Einbeziehung der leninistischen Grundlagen des Sowjetstaates in die allgemeine Diskussion verhindern. Deshalb wurde der Personenkult als „Auswuchs" des „Überbaus" charakterisiert und blieb ohne Verbindung zur „Basis“, d. h.dem generell richtigen Weg zum Sozialismus.

Der sehr flachen und eindimensionalen Analyse folgte dann auch sofort die von vornherein gewünschte Therapie: „Wenn wir diese Angelegenheit (bolschewistische Revolution und Aufbau der Partei durch Lenin — H. G.) als Marxisten-Leninisten betrachten, müssen wir feststellen, daß die Führungspraxis, die sich in den letzten Lebensjahren Stalins herausgebildet hat, zu einem ernsthaften Hindernis auf dem Wege der sowjetischen Gesellschaftsentwicklung geworden ist." Zusammenfassend kann man sagen, daß Chruschtschow die Rolle Stalins durchaus ambivalent empfand. Dem Positivum, daß er zunächst die Intentionen des Leninismus — „sozialistische Industrialisierung des Landes, die Kollektivierung der Landwirtschaft und die kulturelle Revolution" — verwirklichte, stand das Negativum des falschen Gebrauchs und Ausbaus der gewonnenen Popularität zum Personenkult entgegen. Hinzu kam, daß er ihm „subjektiv" durchaus „lautere" Motive zugestand: „Stalin war überzeugt, daß dies alles im Interesse der Verteidigung der Arbeiterklasse gegen die Angriffe des imperialistischen Lagers notwendig gewesen sei. Er betrachtete diese Dinge der -dem unter Gesichtspunkt Interes sen der Arbeiterklasse, der Interessen der Werktätigen, des Sieges des Sozialismus und Kommunismus. Wir dürfen nicht sagen, daß dies Handlungen eines vom Schwindel befallenen Despoten gewesen seien. Nach seiner Ansicht lagen diese Handlungen im Interesse der Partei, der werktätigen Massen, der Sicherung der Errungenschaften der Revolution. Hierin liegt die ganze Tragödie.“

Das Allheilmittel „Zurück zu Lenin" konkretisierte Chruschtschow anhand von drei praxisbezogenen Forderungen:

1. Ausmerzung aller mit dem Personenkult in Verbindung stehenden Erscheinungen, vor allem seine Auswirkungen auf Geschichtsschreibung, Philosophie, Volkswirtschaft, Literatur und bildende Künste.

2. „Befolgung des wichtigsten Grundsatzes der kollektiven Führung".

3. Kampf gegen die Willkür einzelner Personen, „die ihre Macht mißbrauchen"

Wenn man sich die damalige sowjetische Realität mit dem gerade überwundenen Ter-ror in allen gesellschaftlichen und politischen Bereichen vor Augen hält, ist der Stellenwert der Auseinandersetzung Chruschtschows mit Stalin sicherlich nicht gering einzuschätzen. Entscheidend bei ihrer Bewertung im Gesamtzusammenhang des internationalen Kommunismus ist jedoch, daß sie tiefergehende Analysen, die den Leninismus einbezogen, gerade verhindern sollte. Und tatsächlich hat es in der sowjetischen Ideologie seitdem keinen nennenswerten Fortschritt gegeben Folgende, schon 1956 verwandte Formel hat nach wie vor Gültigkeit: „Und die Tatsache, daß wir die mit der Über-windung des dem Marxismus-Leninismus fremden Persönlichkeitskults verbundenen Grundprobleme in all ihren Formen und auch das Problem der Liquidierung seiner lästigen Folgen dargelegt haben, ist ebenfalls ein Beweis für die große moralische und politische Kraft unserer Partei."

Für die UdSSR bedeutete der XX. Parteitag ohne Zweifel den Beginn eines „Normalisierungsprozesses" mit dem Ziel, innenpolitisch mehr „Effizienz" zu schaffen und dadurch außenpolitisch den selbst proklamierten Wettkampf mit den USA zu gewinnen. Weil aber trotz des großen Aufwands, der sich aus der historischen Situation ergab, die Veränderungen sehr kontrolliert und nur in begrenztem Umfang vonstatten gehen sollten, mußte es zwangsläufig zu Konflikten kommen. In der Sowjetunion selbst war es relativ einfach, das kritische Potential zu neutralisieren.

Welchen Einfluß aber hatte der Denkanstoß aus Moskau auf die Perzeption des Stalinismus bei denjenigen kommunistischen Parteien, die wir jetzt als „eurokommunistisch" bezeichnen? 2. Die kommunistische Partei Spaniens Der PCE befand sich in einer außergewöhnlichen Situation. Seit Ende des Spanischen Bürgerkriegs (1. 4. 1939) verboten und in der Illegalität, hatte er seine Basis weitgehend im Mutterland, während die Führungsspitze in Moskau, Paris und Prag residierte Diese Zersplitterung in Verbindung mit den Erfordernissen des täglichen Untergrundkampfes, der erst im Verlauf der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre in eine konsistente politische Programmatik mündete hatte zur Folge, daß weder viel Zeit noch Energie noch Interesse blieb, um systematisch die der UdSSR und dem sozialistischen Lager innewohnenden Widersprüche auf theoretischer Basis zu analysieren

Obwohl S. Carrillo betont, die Führung des PCE sei seit der Auflösung Komintern „nicht der ein einziges Mal in Moskau gewesen, um sich mit den sowjetischen Genossen vor einer Entscheidung oder dem Beginn einer neuen Politik zu beraten" macht er keinen Hehl daraus, daß sie alle damals „Stalinisten" gewesen seien. Der XX. Parteitag löste im PCE zwar individuelle Denkprozesse aus doch bedurfte es noch sowohl einer gewissen „Normalisierung" der Stellung innerhalb der spanischen Gesellschaft als auch einer weiteren Verschärfung der Konflikte im internationalen Kommunismus, um gravierende Veränderungen einzuleiten. Bei der Begründung und Legitimierung des heutigen unabhängigen Kurses spielt Chruschtschows Geheimrede dann allerdings eine entscheidende Rolle 3. Die kommunistische Partei Frankreichs Der PCF reagierte sehr widersprüchlich auf den Prozeß der Entstalinisierung. Auf der einen Seite stand das Bestreben, sowohl die führende Rolle Moskaus im internationalen Kommunismus als auch die eigene Struktur zu konservieren, auf der anderen der Versuch, gewisse Ergebnisse des XX. Parteitages dem politischen Kampf innerhalb des französischen parlamentarisch-demokratischen Systems nutzbar zu machen.

Dieser Zwiespalt läßt sich gut an der Person des Parteisekretärs verdeutlichen. M. Thorez hatte die Bezeichnung „Stalinist" immer als Ehrentitel betrachtet und noch lange von Chruschtschows „angeblichem Bericht" gesprochen Da er jedoch die veröffentlichten Ergebnisse nicht ignorieren konnte, erinnerte er im Zusammenhang mit der Parteitagsresolution daran, daß er selbst schon am 18. November 1946 in einem Interview erklärt hatte, es sei durchaus möglich, den Sozialismus auf einem anderen Weg als dem russischen zu erreichen

Ansonsten bestand die offizielle Linie darin, den von Stalin angerichteten „Schaden" gegen seine „Verdienste bei der Verteidigung des Sozialismus" aufzuwiegen Ansätze zu einer theoretischen Diskussion sind erst seit 1958 zu beobachten, als H. Lefebvre die stalinistische Orthodoxie radikal von „links" kritisierte Damals führte R. Garaudy, der später selbst mit der Partei brach (1970), eine heftige Kampagne gegen den Abweichler die noch im selben Jahr mit dessen Parteiausschluß endete. Diese erste Kontroverse um festgefahrene historische Traditionen bewirkte allerdings Erschütterungen, die nicht unwesentlich die heute angestellten Reflexionen beeinflußten. 4. Die kommunistische Partei Italiens Der PCI war sowohl bei der theoretischen Erörterung des Stalinismus als auch bei der Formulierung eines „eigenen Weges zum Sozialismus" am weitesten fortgeschritten P. Togliatti, der den neuen Kurs wesentlich mitbestimmt hatte, erhielt deshalb vom XX. Parteitag keine sensationellen Anstöße. Vielmehr benutzte er ihn zur Legitimierung und Weiterentwicklung seiner Vorstellungen. Schon in seiner Begrüßung an die Delegierten in Moskau wies er darauf hin, das sowjetische Modell könne nicht in allen Punkten für andere Länder verbindlich sein, und folgerte dann: „Die italienischen Kommunisten stehen vor der Aulgabe, einen italienischen Weg zu linden. Dieser Weg muß die historische Entwicklung des Landes, seine soziale Struktur, die Mentalität und Bestrebungen der breiten Massen der Werktätigen berücksichtigen und es möglich machen, für Italien entsprechende Formen zu finden, um die Mehrheit des Volkes für die sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft zu gewinnen.“

Die argumentative Basis für seine Konzeption des „Polyzentrismus", die nicht nur nationale Ausformungen des Sozialismus forderte, sondern auch den Führungsanspruch der UdSSR in der kommunistischen Weltbewegung zunächst einmal stark relativierte, bildete die Kritik am Stalinismus. In mehreren Stellungnahmen und Interviews analysierte der Parteisekretär als erster europäischer Kommunist nach den Jugoslawen das politische System der Sowjetunion und kam dabei zu folgenden, für die damaligen Verhältnisse „revolutionären" Ergebnissen:

Obwohl die „Enthüllungen" Chruschtschows zu begrüßen seien, müsse doch kritisiert werden, daß er es bisher versäumt habe, das „dornige Thema der politischen und historischen Gesamtbeurteilung" anzuschneiden; denn der Versuch, die Entwicklung durch die Aufzählung bestimmter Chraktereigenschaften Stalins zu personalisieren, beruhe nicht auf marxistischen Kategorien. Die eigentliche Frage müsse lauten, warum das Sowjetsystem bis zur „Degeneration" von den ursprünglichen Intentionen und Ansätzen des Leninismus abgewichen sei.

Für Togliatti lag die Antwort in dem Problem der Bürokratisierung vieler Bereiche, besonders der Partei: „Für uns steht es außer Zweifel, daß die Irrtümer Stalins in Verbindung standen mit einer übermäßigen Gewichtszunahme der bürokratischen Apparate im wirtschaftlichen und politischen Leben der Sowjetunion, und man geht wohl nicht fehl mit der Behauptung, daß die Partei der Ausgangspunkt für die schädliche Beschränkung der Demokratie und das allmähliche Uberhandnehmen der bürokratischen Organisationsformen war.“

Togliattis Analyse beinhaltete zwei Punkte, die grundsätzlicher Natur waren und deshalb sowohl die weitere Stalinismus-Diskussion als auch die Entwicklung hin zum Eurokommunismus nachhaltig beeinflussen sollten: 1. Die Ablehnung des Personenkults als monokausales Erklärungsmuster für die spezifische Ausformung des sowjetischen Sozialismus; statt dessen die Bestrebung, Stalin als Nutznießer und Vollender eines degenerierten politischen Systems zu begreifen. 2. Die Erkenntnis, daß man das Ende eines historischen Phänomens nicht dekretieren kann; die Aufgabe besteht vielmehr darin, seine Ursachen zu ergründen und zu beseitigen. Erst auf der Basis „radikaler" Kritik ist ein Abbau der Bürokratisierung sowie eine Demokratisierung von Staat und Gesellschaft in Osteuropa möglich.

Obwohl das Zentralkomitee der KPdSU am 30. Juni 1956 in einer ausführlichen Stellungnahme die „Äußerungen über gewisse Formen der Entartung des sowjetischen Systems" zurückwies verfolgte der PCI die eingeschlagene Linie konsequent weiter. Im Dezember 1956 formulierte der VIII. Parteitag den „italienischen Weg zum Sozialismus", der all diejenigen Aspekte aufgriff, die Togliatti in seiner Stalinismus-Kritik angeschnitten und als unvereinbar mit dem Marxismus-Leninismus bezeichnet hatte

Dieses offizielle Bekenntnis zur Eigenständigkeit belebte eminent die allgemeine Theorie-diskussion und führte zu intensiverer Marx-Lektüre sowie zur Neubesinnung auf die eigenen Traditionen. Vor allem erlebten Werk und Denken A. Gramscis eine regelrechte „Renaissance" — des Mannes also, der sich schon 1926 „gegen die Hegemonisierung der kommunistischen Parteien durch die KPdSU bzw. die Kommunistische Internationale" gewandt und erkannt hatte, „daß die Bedingungen der Transformation für Rußland, wo der Staat immer ein extremes Unterdrückungsinstrument gewesen war, und für die westeuropäischen Länder, wo ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Staat und bürgerlicher Gesellschaft bestand, unterschiedlich waren und daß deshalb eine eigene Revolutionsstrategie für die kapitalistischen Länder entworfen werden mußte"

Es ist sicherlich richtig, wie F. Marek bemerkt daß die Stalinismus-Kritik des PCI bis in die sechziger Jahre hinein zwei Barrieren nicht überschritt: 1. Die „Irrtümer" Stalins haben die sozialistischen Grundlagen der UdSSR nicht erschüttert. 2. Die Sowjetunion bleibt weiterhin das erste große Modell einer sozialistischen Gesellschaft.

Auch dem Vorwurf, Togliatti habe nicht zugegeben, „daß dieses Modell mit den ursprünglichen Sowjets als Räten der Produzentendemokratie nichts mehr gemein hatte" ist zuzustimmen. Dennoch muß man die Vorgänge des Jahres 1956 als Marksteine einer Entwicklung begreifen, die nicht nur den Stalinismus als inakzeptabel für den eigenen Weg zum Sozialismus ablehnte, sondern auch bestimmte leninistische Kategorien wie „Demokratischer Zentralismus", „Innerparteiliche Demokratie" oder „Führende Rolle der Partei" relativierte oder neu interpretierte.

II. Die Entwicklung der Beziehungen zwischen UdSSR, PCE, PCF und PCI bis zum Beginn der siebziger Jahre

Ohne detailliert den Weg der drei Parteien zu den gegenwärtigen eurokommunistischen Positionen nachzeichnen zu wollen er-scheint es doch notwendig, wenigstens die wichtigsten Etappen des Loslösungsprozesses von Moskau zu skizzieren. Er unterstreicht nämlich den Zusammenschluß von der Nichtüberwindung des Stalinismus in der UdSSR und dem Streben der Eurokommunisten nach Unabhängigkeit, besonders auch im ideologischen Bereich.

Zwei Faktoren, die in engem Zusammenhang mit dem XX. Parteitag stehen, vertiefen noch dessen Auswirkungen: 1. Der Beginn der Entspannungspolitik lockerte allmählich die harte Konfrontation und begünstigte die Entwicklung eigenständigerer Konzepte

2. Die UdSSR versuchte, ihr verlorengegangenes Prestige durch stärkere Zentrierung der kommunistischen Weltbewegung aufzufangen. Die auf europäischer oder weltweiter Ebene durchgeführten Kommunistenkonferenzen erfüllten indessen nicht ihren Zweck, sondern bewirkten in letzter Konsequenz, daß der PCI seinen bisherigen Kurs weiter intensivierte und der PCF, getrieben auch von innenpolitischen Zwängen, wenigstens einige Positionen in Frage stellte.

Wie tief die Kluft geworden war, dokumentiert das Memorandum Togliattis vom August 1964, das gemeinhin als sein „Testament" bezeichnet wird, weil es kurz vor seinem Tod entstand und nicht nur seine persönliche Entwicklung zusammenfaßte, sondern auch Orientierungspunkte für die Zukunft setzte

In unserem Zusammenhang sind die folgenden Gedanken zum internationalen Kommunismus und zur Auseinandersetzung mit dem sowjetischen Staats-und Gesellschaftssystem am wichtigsten:

1. Eine Neuauflage von Komintern oder Ko-minform könne nicht die Einheit der kommunistischen Weltbewegung wiederherstellen. Statt dessen müsse man die öffentliche Kommunikation und Diskussion über alle relevanten Aspekte pflegen. Die informellen Kontakte zwischen den einzelnen kommunistischen Parteien seien der einzig gangbare Weg, weil sich sowohl das internationale Umfeld als auch die sozio-ökonomischen Bedingungen der einzelnen Länder stark verändert hätten. Die Lösung liege in der Autonomie jeder Partei. 2. Das Verhalten der sozialistischen Staaten, besonders der UdSSR, jede Kritik an sich zurückzuweisen und so zu tun, als sei alles in bester Ordnung, könne man nicht akzeptieren, da gerade der Marxismus-Leninismus die Offenlegung bestehender Widersprüche und* Schwierigkeiten fordere. Für ausländische Kommunisten bringe dieser Tatbestand erhebliche Unannehmlichkeiten mit sich. Während man nämlich in Osteuropa immer noch den Eindruck erwecke, „als ob alles immer noch gut ginge", seien die westeuropäischen Kommunisten aus den verschiedensten Gründen gezwungen, „von schwierigen Situationen zu sprechen und sie zu erklären" Dem könne abgeholfen werden, wenn auch in den sozialistischen Staaten selbst politische Kontroversen nicht nur offen geführt, sondern auch aktuelle Themen von allgemeiner Bedeutung auf breiter Basis erörtert würden.

Diese Überlegungen veranlaßten Togliatti zu dem Schluß, daß sich die Entstalinisierung offensichtlich nur langsam und widerstrebend vollziehe und der XX. Parteitag der KPdSU noch weitgehend programmatischen Charakter besitze: „Das Problem, dem man die größte Aufmerksamkeit schenkt, ist jedoch heute im Hinblick sowohl auf die Sowjetunion als auch auf die anderen sozialistischen Länder in besonderem Maße das der Überwindung des Regimes der Beschränkung und Unterdrückung der demokratischen und persönlichen Freiheiten, das von Stalin errichtet wurde. Nicht alle sozialistischen Länder bieten das gleiche Bild. Man hat den allgemeinen Eindruck einer Langsamkeit und eines Widerstandes bei der Rückkehr zu den leninistischen Normen, die innerhalb der Partei und außerhalb eine breite Freiheit der Meinung und der Diskussion auf dem Gebiete der Kultur, der Kunst und auch auf politischem Gebiet gewährleisten. Diese Langsamkeit und dieser Widerstand sind für uns schwer erklärbar, vor allem angesichts der gegenwärtigen Bedingungen, wo es keine kapitalistische Einkreisung mehr gibt und der wirtschaftliche Aufbau grandiose Erfolge erzielt hat. Wir gehen stets von der Idee aus, daß der Sozialismus jene Ordnung ist, in der die Werktätigen die größte Freiheit besitzen und tatsächlich in organisierter Form an der Leitung des gesamten gesellschaftlichen Lebens teilnehmen. Wir begrüßen daher alle prinzipiellen Stellungnahmen und alle Tatsachen, die uns verdeutlichen, daß dies die Realität in allen sozialistischen Ländern ist und nicht nur in der Sowjetunion. Tatsachen, die uns manchmal das Gegenteil zeigen, fügen hingegen der ganzen Bewegung Schaden zu.“ Sofort nach Togliattis Tod veröffentlichte sein Nachfolger, L. Longo, das Memorandum und veranlaßte damit sogar „Pravda" und „Neues Deutschland", den Text abzudrucken. Erst diese weite Verbreitung machte vielen Kommunisten deutlich, um welche Fragen es mittlerweile ging und wie tief die Kluft zwischen der UdSSR und den großen kommunistischen Parteien Westeuropas tatsächlich geworden war.

Obwohl wahrscheinlich interne Beweggründe den Ausschlag gaben, unterstützten doch die italienischen Unabhängigkeitsbestrebungen nicht unwesentlich zwei Prozesse: die Herausbildung eines kritischeren Bewußtseins beim PCF, das seit Mitte der sechziger Jahre unter anderem durch die öffentliche Verurteilung der Behandlung von Dissidenten in der Sowjetunion zum Ausdruck kam, und die Intensivierung der Gedanken, die schließlich zum „Prager Frühling" führten.

Auf der anderen Seite beeinflußte die Entwicklung in der Tschechoslowakei hin zu einem „Sozialismus mit menschlichem Antlitz" mit ihrem abrupten Ende wiederum die kommunistischen Parteien Spaniens, Frankreichs und Italiens

Während die Reaktionen auf das Experiment eines „Dritten Weges" zwar wohlwollend, aber vorsichtig formuliert waren, änderte die Invasion der Warschauer-Pakt-Staaten am 21. August 1968 die Lage schlagartig. Der Aggressionsakt gegen ein Mitglied des sozialistischen Lagers und die ihm folgende Breschnew-Doktrin, die „Abtrünnige" mit dem gleichen Schicksal bedroht, zwang die im parlamentarisch-demokratischen Rahmen operierenden kommunistischen Parteien nicht nur zur Auseinandersetzung mit „bürgerlicher", sondern auch Vielfältiger „linker" Kritik. Der daraus entstehende Klärungsprozeß förderte sowohl die Präzisierung schon vorhandener Konzepte als auch die Einsicht, daß man in Zukunft programmatisch zusammenarbeiten müsse, um dem sowjetischen Anspruch wirksam begegnen zu können.

Der PCF nahm seit Beginn des „Prager Frühlings" eine „mittlere Stellung" ein. Er übte weder Kritik, noch spendete er Beifall. Waldeck-Rochet, der Generalsekretär, erklärte Mitte April 1968, nach Auffassung führender tschechoslowakischer Kommunisten gebe es keine Anzeichen für eine Gefährdung der sozialistischen Grundlagen. Anläßlich eines Ge-sprächs mit dem „Parteiideologen" der KPdSU, Suzlov, am 15. /16. Juli in Moskau befürwortete er dann allerdings eine „politische Lösung", d. h. Abbruch des Experiments durch direkte Einflußnahme und politischen Druck. Diese Einstellung führte innerhalb des europäischen Kommunismus zu harten Auseinandersetzungen, die den PCF schließlich veranlaßten, seinen Kurs weiter zu relativieren und Abstand von seiner Forderung nach einer Konferenz zur Behandlung der Vorgänge in der CSSR zu nehmen. Als sich die Lage Ende Juli gefährlich zuspitzte, operierte der PCF noch vorsichtiger und reagierte auf die Okkupation insgesamt lediglich mit der Erklärung des „Nichteinverständnisses"

Grundsätzlich anders verhielt sich der PCL Am 12. April meinte Longo im Hinblick auf den Reformkurs der KPÖ: „Die Verwirklichung einer fortgeschrittene-ren sozialistischen Demokratie ist nicht nur ein großer Beitrag zum Kampf der Arbeiterklasse und der Linkskräfte in den kapitalistischen Staaten, sondern stellt auch einen Anreiz für alle sozialistischen Länder dar, die Hindernisse, die der vollen Entwicklung der sozialistischen Demokratie im Wege stehen, mutiger zu überwinden."

Darüber hinaus versprach er Anfang Mai auf einer Pressekonferenz in Prag „die volle Unterstützung und Solidarität der italienischen Kommunisten" und bezeichnete nach seiner Rückkehr in einem Bericht vor dem Gramsci-Institut in Rom die tschechoslowakischen Tendenzen als positiv „nicht nur für ihr Land, sondern für alle sozialistischen Länder und für die gesamte internationale Arbeiterbewegung"

Ebenso konsequent verurteilte der PCI den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten und seine Folgen. Als beispielhaft dafür kann dieser Satz gelten: „Das Politbüro der italienischen KP hält deshalb diese Entscheidung für ungerechtfertigt, weil sie mit den Prinzipien der Autonomie und Unabhängigkeit jeder kommunistischen Partei und jedes sozialistischen Staates und mit den Erfordernissen der Verteidigung der Einheit der internationalen kommunistischen Arbeiterbewegung nicht zu vereinbaren ist.“

Den größten Einfluß übten die Ereignisse um den „Prager Frühling" zweifellos auf die Entwicklung des PCE aus. Noch im Jahre 1965 waren die beiden Mitglieder des Zentralkomitees F. Claudin und J. Semprün wegen ihrer seit Herbst 1963 geäußerten Vorschläge zur Demokratisierung der Partei und zu einer allgemeinen politischen Kursänderung, die annähernd mit heutigen eurokommunistischen Positionen übereinstimmen, aus dem PCE ausgeschlossen worden

Die Haltung im Jahre 1968 zeigte aber plötzlich, welche Wandlung zumindest die Führungsspitze der Partei innerhalb kürzester Frist vollzogen und wie stark sich das Abhängigkeitsgefühl von der UdSSR gelockert hatte. Das erreichte Niveau kann man durchaus mit dem des PCI vergleichen; bei weitem übertraf es das des PCF.

Die spanische Interpretation und Kritik ist besonders deshalb von fundamentaler Bedeutung, weil Prag ein Zentrum des Exils darstellte und wichtige Entscheidungsträger die Reformbestrebungen mit eigenen Augen beobachten konnten So hatte z. B. die Behauptung, alles sei von außen gesteuert und diene der Zerstörung des Sozialismus, nicht die geringste Chance. Vielmehr veranlaßte die eigene Anschauung S. Carrillo und andere nicht nur zur vehementen Verteidigung des Experiments, sondern auch dazu, wesentliche Bestandteile desselben in die eigene Programmatik aufzunehmen. Entscheidend war für die Zukunft neben der theoretischen und praktischen Ausformung des Sozialismus das vom Kreml auf brutale Weise praktizierte und von den spanischen Kommunisten schon dreißig Jahre zuvor erfahrene Verständnis des „Internationalismus". Als klar wurde, daß Moskau sogar die militärische Intervention nicht scheute, um die „Ordnung" wiederherzustellen, warnten sowohl Dolores Ibarruri als auch Carrillo: „Wenn ihr die Tschechen angreift, dann werden wir euch zum ersten Mal in der Geschichte unserer Beziehungen öffentlich verurteilen. Es wäre besser, ihr würdet den tschechischen Führern helfen. Laßt sie ihre Erfahrungen machen."

Das in Paris versammelte Zentralkomitee billigte diese Position. Am Tag des Einmarsches befand sich Carrillo auf der Krim und reiste nach Erhalt der Nachricht sofort nach Moskau, um dort offiziell zu protestieren: „Wir blieben zwei Tage in Moskau und unsere Diskussionen mit den sowjetischen Genossen waren außerordentlich beschwerlich. Wir waren eine Gruppe von Parteiführern, die eingeladen worden waren, ihren Urlaub dort zu verbringen. Dolores war da und Gallego, ich und andere, die ich nicht nennen will, weil sie in Spanien sind, aber wir waren uns alle einig — auch die, die später die Partei verlassen haben. Damals befürchteten wir, daß die Sowjets auch noch in Rumänien und in Jugoslawien einmarschieren würden. Am nächsten Tag bat ich um eine Fahrkarte nach Bukarest. Von da an haben wir über viele Dinge nachgedacht. Wir begannen, uns mehr mit dem Problem der Beziehungen zwischen sozialistischen Ländern und kommunistischen Parteien zu beschäftigen."

Letztlich bezeichnete der gewaltsame Abbruch des „Prager Frühlings" den Kulminationspunkt aller negativen historischen Erfahrungen und der Erkenntnis, daß sich das stalinistische System trotz gegenteiliger Beteuerungen nicht grundlegend verändert hatte. Er wurde somit eine wichtige Etappe bei der Herausbildung des Eurokommunismus: „Für uns, für die Kommunistische Partei Spaniens, wurde der Höhepunkf der Eroberung unserer Unabhängigkeit mit der Besetzung der Tschechoslowakei im Jahre 1968 erreicht. Die Vorbereitung dieser Operation wurde mit ähnlichen Methoden besorgt wie die historischen Prozesse von 1936, die auf dem 20. Parteitag aufgedeckt wurden, oder wie die Verurteilung Jugoslawiens. D. h., es wurde eine absolute Behauptung aufgestellt — in diesem Fall, daß die Tschechoslowakei kurz davor war, dem Kapitalismus in die Hände zu fallen —, auf der Grundlage dieser Behauptung wur-den Versionen der Ereignisse auigebaut, die Lichtjahre von der Wirklichkeit entfernt waren. Das war nichts anderes als der Versuch, uns für dumm zu verkaufen. Die Tschechoslowakei war der Tropfen, der das Faß zum überlaufen brachte und der unsere Parteien zum Nein veranlaßte. Bei diesem Internationalismus'wollten wir nicht mehr mitmachen. Eben diesen Internationalismus'haben wir als den , alten'bezeichnet, mit dem, davon sind wir überzeugt, Schluß gemacht werden muß. Der wahre Internationalismus ist etwas anderes, muß etwas anderes sein."

Mochten die Proteste und Reaktionen auf die sowjetische Aggression in ihrer Intensität auch unterschiedlich ausgefallen sein, so dokumentieren sie doch, daß achtzehn europäische kommunistische Parteien in aller Öffentlichkeit gegen den Kreml votierten; dies war ein absolutes Novum.

Die UdSSR reagierte wie 1956, nach dem XX. Parteitag der KPdSU: Sie drängte auf eine Weltkonferenz der kommunistischen Parteien. Als „dritte" fand diese dann schließlich vom 5. bis 17. Juni 1969 statt; sie konnte aber die entstandenen Risse nicht mehr als notdürftig kitten

Zu Beginn der siebziger Jahre hatten PCE, PCF und PCI zumindest insofern einen gewissen „Gleichstand" erreicht, als sie das sowjetische Wirtschafts-, Gesellschaftsund Staats-modell für ihre Länder ablehnten und im internationalen Kommunismus tendenziell Gleichberechtigung praktizierten.

Obwohl sie noch immer relativ oberflächlich blieb, hatte die 1956 begonnene Auseinandersetzung mit dem Stalinismus diesen Prozeß erheblich mitbestimmt. Eine neue Qualität erreichte sie in der Phase, als die Eurokommunisten die Ablehnung erkannter Negativa durch schöpferische theoretische Überlegungen ergänzten.

In den folgenden Jahren wurde die Auseinandersetzung mit der weitgehend von Moskau diktierten eigenen Geschichte auch die Bedingung für jegliche praktische Politik; und daß der Stalinismus in seiner mannigfaltigen Ausprägung diese historische Identität entscheidend geprägt hatte, stand außer Zweifel. Jetzt galt es, Klarheit darüber zu gewinnen, wo die Ursachen für die „Deformation" des Marxismus-Leninismus lagen und welche Konsequenzen die Diagnose erforderte.

III. Der aktuelle Stand der Stalinismus-Diskussion bei den Eurokommunisten

Seit Anfang der siebziger Jahre ist in den theoretischen Organen von PCI und PCF die Beschäftigung mit den verschiedensten Aspekten des Stalinismus stark intensiviert worden

Diese zunächst von Intellektuellen für Intellektuelle angestellten Reflexionen gewannen für die übrige Partei an Bedeutung, als in bewußter Distanzierung von Moskau systematisch eigene Zielvorstellungen mit partieller Beschreibung des einzuschlagenden Weges formuliert wurden und infolgedessen die innenpolitische Bedeutung rapide zunahm. Auch ihre proklamierte, angestrebte und in Ansätzen verwirklichte Bündnispolitik, die in der Öffentlichkeit ein vitales Interesse an parteiinternen Vorgängen und Diskussionen weckte, stärkte in PCI, PCF und PCE nicht nur ein wesentlich taktisch motiviertes Legitimationsbedürfnis nach außen, sondern auch das Gewicht derjenigen Mitglieder, die in der historischen Aufarbeitung des internationalen Kommunismus den Grundstein für die Gewinnung bzw. Wiedergewinnung der eigenen Identität sehen.

Das Ergebnis dieser zweipoligen Entwicklung ist nun in einer ganzen Reihe von Sammelbänden und Einzelanalysen greifbar, die das Phänomen des Stalinismus und seine Auswirkungen entwicklungsgeschichtlich und bzw. oder in bezug auf die heutige Situation thematisieren; ein großer Teil von ihnen liegt auch in deutscher Übersetzung vor * Obwohl es bei manchen Bewertungsfragen parteiintern ebenso wie zwischen den einzelnen Parteien Meinungsverschiedenheiten gibt, ist, was Analyse und Einordnung in den Gesamtzusammenhang der kommunistischen Weltbewegung betrifft, doch prinzipielle Übereinstimmung zu verzeichnen. Erhebliche Divergenzen bestehen da, wo es um die praktische Umsetzung der gewonnenen Ergebnisse geht. Auf der anderen Seite behindern selbstverständlich taktisch-politische Erwägungen die Gedankenführung besonders dann, wenn durch sie radikal Eckpfeiler des Marxismus-Leninismus in Frage gestellt werden. 1. Die historisch-theoretische Analyse des Stalinismus PCE Gegenüber der in 1. 2. skizzierten Situation haben sich insofern keine grundlegenden Veränderungen ergeben, als die Partei nach wie vor ihre Hauptaufgabe darin sieht, die noch sehr junge spanische Demokratie zu festigen und nach ihren Vorstellungen zu formen, was sicherlich — zumindest an der Basis — ein übermäßiges Interesse an ideologischen Erörterungen nicht gerade begünstigt. Hinzu kommt, daß „leider die Theorie traditionell keine starke Seite der spanischen Arbeiterbewegung gewesen ist" Dennoch sind die Aussagen der Führungsspitze zum Stalinismus eindeutig, kritisch und radikal, ohne die Qualität „wissenschaftlicher" Beweisführung zu beanspruchen. In Zukunft wird die wichtigste Aufgabe darin bestehen, die Urteilsbildung durch intensive Forschungen und Studien zu untermauern.

Das hohe Problembewußtsein S. Carrillos ist daran zu erkennen, daß er sich nicht lange damit aufhält, die Exzesse besonders der dreißiger Jahre als fürchterliche „Abweichungen" vom sozialistischen Weg zu begreifen, son-dem nach den Ursachen des Stalinismus sucht, um ihn zu „erklären".

Zentraler Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist die „objektive" russische Situation des Jahres 1917, die er — durchaus im Einklang mit den Ergebnissen „bürgerlicher Forschung" — mit dem Terminus der „Unterentwicklung" beschreibt. Allerdings folgert er daraus nicht die prinzipielle Unmöglichkeit einer sozialistischen Revolution, betont vielmehr die Richtigkeit des beschrittenen Weges: „Man kann über die Probleme des Sozialismus, der unter diesen Bedingungen zustande gekommen ist, über die Gefahren, die dies objektiv mit sich bringt, diskutieren. Woran aber kein Zweifel bestehen kann, ist, daß die russischen Kommunisten und die Arbeiterklasse keine andere Wahl hatten, als die Macht zu ergreifen und zu versuchen, mit oder ohne Unterstützung der europäischen Revolution die Fundamente einer neuen Gesellschaft zu errichten."

Gerade das Eintreten für Lenins Theorie vom „schwächsten Glied" gegen die von Marx und Engels getroffene Voraussage, die proletarische Revolution werde in den fortgeschrittensten kapitalistischen Staaten Westeuropas ausbrechen und siegen, führt aber zu Konsequenzen, vor denen auch der Generalsekretär nicht die Augen verschließen kann. Die gravierendste besteht wohl in dem Spannungsverhältnis zwischen Sozialismus und Rückständigkeit, das sich konkret im Konzept des Aufbaus des „Sozialismus in einem Lande" und der Erkenntnis von Marx und Engels manifestiert, „daß der vollkommene Sieg des Sozialismus nur der Sieg des Sozialismus in der ganzen Welt sei" Doch nicht dieses Spannungsverhältnis an sich hat zum Stalinismus geführt, sondern die Kombination von russischer Tradition und bewußter Entscheidung für den rasanten Aufbau der Schwerindustrie auf Kosten der Landwirtschaft: „Man muß sich die Frage stellen, ob der Staatstyp, der sich in der Sowjetunion entwickelt hat, und zwar ganz besonders das mit dem Namen Stalin verknüpfte diktatorische System mit all seinen Auswüchsen, Gewalttaten und Willkürlichkeiten, nicht gerade aus dieser (von Marx und Engels nicht vorgesehenen — H. G.) Funktion entstanden ist, d. h. aus der Verwirklichung der ursprünglichen Akkumulation, aus der Entwicklung der modernen Industrie um jeden Preis."

Denn der gewählte Kurs führte zwangsläufig zum Bruch des Bündnisses zwischen Arbeitern und Bauern, auf dem der Erfolg der Oktoberrevolution beruht hatte, und somit zur spezifisch russischen Ausformung der „Diktatur des Proletariats". Sowohl Marx und Engels als auch Lenin hatten nämlich unter diesem Begriff die Unterdrückung einer kleinen Minderheit durch die überwiegende Mehrheit verstanden. Die Entwicklung verlief nun aber ganz anders, indem sie den Ausnahmezustand des Bürgerkrieges nicht nur nicht beendete, sondern die gesellschaftlichen Widersprüche noch verschärfte, auf die Partei übertrug und den „Klassenkampf von oben" zum konstitutiven Element des Stalinismus machte. Die daraus resultierende Bürokratisierung auf allen Ebenen ließ einen Staat entstehen, der noch viel „vollkommener" als der zaristische war und in Verbindung mit „Korruptionserscheinungen der Diktatur des Proletariats" den für Grundstein die Verbrechen des Stalinismus legte

Obwohl Carrillo die historische „Vorbelastung" der Oktoberrevolution bewußt hervorhebt, macht er nicht den Fehler, aus ihr einen „Automatismus" zu konstruieren. Er betont zwar, daß der „asiatische Feudalismus" wahrscheinlich den Übergang zu einem „nicht bürokratischen Sozialismus" unmöglich gemacht habe sieht aber die wichtigste Bedingung für die spezifische Ausformung des Stalinismus in der Zerstörung des ursprünglich vorhandenen demokratischen Kerns. Und hier liegt für ihn die eigentliche Problematik, weil sie vom Individuum beeinflußbar ist: „Im Kampf gegen den Faschismus haben wir Kommunisten und andere gemerkt, daß die demokratischen Freiheiten mit all ihren Begrenzungen und Einschränkungen, die es in der bürgerlichen Gesellschaft gibt, einen wirklichen Wert haben, der nicht unterschätzt werden darf."

Der Generalsekretär geht sogar soweit, dem Stalinismus „formale Ähnlichkeit" mit faschistischen Diktaturen zu bescheinigen ihn als „Form des Totalitarismus" zu bezeichnen Auf eine kurze Formel gebracht, ist für ihn die im Phänomen des Stalinismus sichtbar gewordene „Entartung des Sowjetsy-stems" gleich „sozialistischer Totalitarismus" Carrillo beläßt es freilich nicht bei dieser vernichtenden Kritik, sondern unternimmt den Versuch, die sowjetische Entwicklung in das Konzept des historischen Materialismus einzupassen: „Wenn alle Staaten Werkzeuge der Herrschaft einer Klasse über eine andere sind und wenn es in der UdSSR keine antagonistischen Klassen gibt, dann besteht auch keine objektive Notwendigkeit zur Unterdrückung anderer Klassen. Uber wen herrscht dann dieser Staat? Die Oktoberrevolution hat einen Staat hervorgebracht, der offensichtlich kein bürgerlicher Staat ist, aber er ist auch noch nicht das als herrschende Klasse organisierte Proletariat, er ist noch keine wirkliche Arbeiterdemokratie."

Gerade dieser Charakter einer „Übergangsgesellschaft" zwischen Kapitalismus und Sozialismus macht es notwendig, von den Exzessen des Stalinismus zu abstrahieren und nach seinen Strukturmerkmalen zu fragen, die noch heute bestimmend sind: „Der Staat ist weiterhin das große Problem, nicht nur vor, sondern auch nach der Unterdrückung des Privateigentums."

Trotz der Erkenntnis, daß in der UdSSR der Staat über die Gesellschaft herrscht, vertritt Carrillo die Meinung, daß der sowjetische Staat — ebenso wie jeder kapitalistische — in einem bestimmten historischen Kontext die ihm zugewiesene Aufgabe erfüllt habe. Heute allerdings müsse man ihn als „Bremse für die Entwicklung einer wirklichen Arbeiterdemokratie . . . , (als) Bremse für die materielle Entfaltung des Landes" betrachten

Obwohl diese „Verobjektivierung" den Anschein einer Verharmlosung des Stalinismus erwecken mag, ist sie doch die einzige Möglichkeit, den Anspruch eines Kommunisten mit der Hoffnung auf Veränderbarkeit auch des osteuropäischen „bürokratischen Sozialismus" zu verbinden: „Ganz gewiß ist es dem Sozialismus da noch nicht gelungen, sich dem Wesen des Sozialismus als neuer Gesellschaft anzunähern." PCF Für die kommunistische Partei Frankreichs ist das Bild keineswegs so klar umrissen, wie manche Autoren das behaupten J. Elleinstein hat zwar als einziger bisher eine breit angelegte Geschichte des „Stalinschen Phänomens" präsentiert, doch bedeutet dies noch nicht, daß seine Kernthesen unumstritten wären. Die gewichtigsten Gegenargumente kommen von den Philosophen L. Althusser und E. Balibar und ihren „Schülern".

Elleinstein hält den seit dem Tode Lenins zu beobachtenden Stalinismus mit dem Ansatz des „Personenkults" nicht für faßbar. Der Suche nach seinen Ursachen legt er die folgende Alternative zugrunde, die dann auch weitgehend den Fortgang seiner Beschreibung, Analyse und Bewertung bestimmt: „Entweder läßt sich das Stalinsche Phänomen aus den spezifisch-historischen Bedingungen der ersten sozialistischen Revolution heraus erklären: dann müßte man es als eine Art Unfall des Kommunismus bezeichnen. Oder aber, es ist sein natürliches und demzufolge unvermeidliches Produkt."

Elleinstein datiert den Beginn des sozialistischen Aufbaus auf das Ende des Bürgerkrieges (1921) mit der von ihm geschaffenen, „damals vorhandenen Wirklichkeit" an der die Bolschewiki nur bedingt Verantwortung trugen. Diese Realität war im wesentlichen von zwei Faktoren gekennzeichnet: 1. Die völlig darniederliegende Wirtschaft, die unbestritten „die absolute Priorität der Produktivkraftentwicklung erforderte" 2. Ein politisches System, das die Zwänge harter bewaffneter Auseinandersetzungen geformt hatten und dessen Veränderung besonders Lenin für unabdingbar hielt.

Während die „Neue Ökonomische Politik" (NEP) rasch positive Ergebnisse zeitigte, führte unter anderem der Kronstädter Matrosenaufstand (1921) dazu, daß das noch rudimentär vorhandene demokratische Element der Sowjets vollständig abgebaut wurde: „Die Haltung der Bolschewiki zwischen den Jahren 1921/22 läßt sich weitgehend mit der Angst erklären, von den Volksbewegungen überrannt zu werden, welche die Gegner der Sowjetmacht aufgestachelt hatten, was um so gefährlicher war, als das Elend in Rußland inzwischen tragische Formen angenommen hatte.“

Hinzu kam, daß wegen der Nichtexistenz bzw. Dezimierung des Proletariats „die Diktatur der bolschewistischen Partei, wenn auch nicht de jure, so doch de facto mit der Diktatur des Proletariats identisch gesetzt worden ist" Ob Lenin den Widerspruch zwischen „Liberalisierung" der Ökonomie und Straffung der politischen Diktatur hätte ebnen können, ist eine Frage, die auch Elleinstein stellt, aber nicht eindeutig beantworten kann, denn : „Was Lenin ohne Zweifel nicht richtig erkannt hatte — und das ist auf das Fehlen historischer Erfahrung zurückzuführen —, ist die Auswirkung der spezifischen Beziehungen zwischen der aufgeblasenen Bürokratie und dem politischen System der Sowjets, so wie es 1922 bestand, mit einer einzigen Partei an der Spitze; ferner die Rolle der Tscheka (der späteren GPU) und der Roten Armee, die Verringerung der Rolle der Sowjets bei gleichzeitigem Schwinden des demokratischen Lebens auf allen Ebenen der Partei und des Staates. 1922 bestanden all diese Faktoren unabhängig voneinander. Manchmal überschnitten sie sich, aber sie fielen nicht zusammen. Erst aus ihrem Zusammentreffen sollte das Stalinsche Phänomen entstehen.“

Darüber hinaus wirft Elleinstein Lenin vor, er habe trotz seiner offen geäußerten Beunruhigung über die Gefahr einer Spaltung der schmalen, Partei und Staat beherrschenden Führungsschicht und der scharfen Kritik an Stalin immer zu sehr den rein formalen Charakter der Demokratie in den Vordergrund gestellt und ihren Wesensgehalt unterschätzt. Ohne diesen wichtigen Punkt weiter zu erörtern, kommt er zu dem Ergebnis, alle genannten Faktoren hätten gemeinsam eine Konstel-lation geschaffen, deren Schlüsselfigur Stalin war bzw. wurde.

Die Voraussetzungen und Bedingungen des Stalinismus bewertet Elleinstein im Rückgriff auf seine eingangs zitierte Alternative zusammenfassend dann so: „Die . bürokratische Deformation'und. die nationalistische und großrussische Politik konnten nur mit mehr Demokratie bekämpft werden-, von dieser fehlte jedoch jegliche Grundlage im Rußland des Jahres 1923; und es bestand auch keine Aussicht, diese einzuführen, da damit gleichzeitig die Sowjetmacht gefährdet wurde, wie die Ereignisse in Kronstadt veranschaulicht hatten ... So können wir also feststellen, daß einige Züge der sowjetischen Form des Sozialismus aus diesem historischen Zusammenhang heraus entstanden sind und nicht aus dem Sozialismus selbst . .. Die Verbindung zwischen den Anfängen der 20er Jahre und der Mitte der 30er Jahre läßt sich nicht wegdenken; diese Verbindung beruht auf dem Weiterbestehen der politischen Strukturen und auf Erscheinungen des Bewußtseins, des Verhaltens der Menschen sowie auf Überlieferungen und historischen Begleitumständen, die den Boden bereiteten, auf dem die giftigen Pflanzen des Stalinschen Phänomens emporschossen. Dieser Boden war also schon im Jahre 1923 teilweise bestellt, und Lenin hatte dies zu verhindern versucht. Das bedeutet aber nicht, daß jenes Phänomen notwendig, historisch notwendig, d. h. unvermeidlich gewesen ist, aber es war doch immerhin möglich."

Nach dieser prinzipiellen Einordnung fällt die Interpretation des „eigentlichen" Stalinismus der dreißiger Jahre und der Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr allzu schwer, obwohl der grundlegende Einschnitt doch erst mit der Realisierung des Industrialisierungskonzepts von Preobrazenskij erfolgte. Für Elleinstein stellt die 1928/29 beginnende, auf zentraler Planung beruhende forcierte Entwicklung der Schwerindustrie, die mit der rücksichtlosen Ausbeutung der kollektivierten Landwirtschaft finanziert wurde, nur ein graduelles Problem dar. Obschon sie weitere Bürokratisierung und massenhafte Ausübung physischer Gewalt zur Folge hatte, entsprach sie „bezüglich der Ziele den Interessen des Sozialismus" Die angewandten Mittel finden zwar schärfste Ablehnung, doch verhindern sie nicht, auch den Stalinismus als „Sozialismus" zu bezeichnen: „Einerseits half es (das Stalinsche Phänomen — H. G. j, den Sozialismus aufzubauen — dies verneint allerdings eine große Zahl von Autoren —, andererseits errichtete es den Sozialismus oft mit Mitteln größter Barbarei und Despotie ... Vor dem Hintergrund dieser Problemstellung gibt es nur die Möglichkeit, entweder den Änderungen jener Zeit ihren sozialistischen Charakter abzusprechen oder aber zu sagen, daß der Sozialismus und die Ereignisse unter Stalin zwei Seiten derselben Medaille sind."

Begründet wird diese Haltung des Sowohl-Als-auch unter anderem mit dem sicher ernst zu nehmenden Hinweis, ebensowenig wie der Faschismus die notwendige ideologische und politische Konsequenz des Kapitalismus darstelle, sei der Stalinismus die eigentliche Form des Sozialismus. Da aber Elleinstein externe Zwänge für die Methoden des wirtschaftlichen Aufbaus nur bedingt gelten läßt und korrekterweise die „kapitalistische Einkreisung" nicht für das Konzept an sich verantwortlich macht, wird nicht so recht deutlich, was er mit seiner „Beweisführung" bezweckt: „Das oftmals vorgebrachte Argument, die Stalinsche Politik während der Jahre 1929 bis 1939 — d. h. die Zwangskollektivierung und der Terror — wäre notwendig gewesen und habe schließlich den Sieg der SU im zweiten Weltkrieg gesichert, scheint lächerlich in Anbetracht der schrecklichen Schläge gegen die sowjetische Wirtschaft und die Rote Armee, der Nachlässigkeit der sowjetischen Behörden am Vorabend des Krieges und im Verlauf der ersten Kriegshandlungen sowie angesichts der historischen Fehler Stalins, dessen strategische Voraussagen einmal mehr sich als völlig irrig erwiesen."

Denn selbst wenn man den Vergleich zwischen Stalinismus und Faschismus ablehnt und Ähnlichkeiten nur in einigen Erscheinungen wie z. B. Konzentrationslagern und Folter zugibt, muß doch die Frage erlaubt sein, ob nicht beide durch ihre programmatischen Ziele schon weitgehend auch die anzuwendenden Methoden festgeschrieben haben. Auf die UdSSR bezogen beinhaltet dies die Forderung, von den „Auswüchsen" zu abstrahieren und die eigenen Vorstellungen vom Sozialismus mit dem spezifisch sowjetischen Inhalt zu vergleichen.

Und genau hier setzt die Kontroverse innerhalb des PCF ein. Zur Verdeutlichung der neuralgischen Punkte noch einmal kurz die Position Elleinsteins: Weil der ökonomische Inhalt des Stalinismus „in der Tat sozialistisch" ist „muß man den Schlüssel für das Verständnis des stalinistischen Phänomens auf der Ebene des Überbaus suchen“ In eine prägnante Formel gekleidet könnte sie also lauten:

Sowjetischer Weg nach 1928/29 = Modernisierungsdiktatur minus Privateigentum.

Die Kritiker von „links" wenden sich vor allem gegen die „unmarxistische" Trennung von Basis und überbau, die sie als „ökonomistisch“ bezeichnen: „Im Gegensatz zu all diesen rechten Positionen, dieser Renaissance des Spiritualismus, setzt die Kritik des Stalinimus eine nichtökonomistische Annäherung an den Sozialismus voraus. Da diese Kritik der Ort einer notwendigen Vertiefung der politischen Theorie des Marxismus ist, läult sie direkt auf die aktuellen Probleme der Demokratie, auf die Hegemonie der Arbeiterklasse beim Übergang zum Sozialismus hinaus." Und: „Eine solche repressive Diktatur (gemeint ist der Stalinismus — H. G.), ohne Hegemonie und ohne Offenheit, entsteht nicht in der Sphäre des Überbaus, die von den gesellschaftlichen Verhältnissen abgetrennt oder abtrennbar wäre. So als bliebe im übrigen die Produktionsweise an sich sozialistisch. Denn diese Trennung zwischen ökonomischem und Politischem mit ihren Konsequenzen — Primat der Technik und der Kader über die Politik und die Massen — macht genau die Form der stalinistischen Theorie aus, so wie sie sich in den Jahren 1936— 39 entwickelte."

Die „mechanistische Deformation des Marxismus", die durch „den Primat der Entwicklung der Produktivkräfte" der „Diktatur des Proletariats" nur noch die „Rolle eines politischen Mittels, genauer noch einer politischen . Technik'zur Errichtung des sozialistischen Staats" zumaß beginnt für die „linken"

Kritiker schon 1924 in einigen Artikeln Stalins greifbar zu werden, setzt sich 1926 in seinen „Prinzipien des Leninismus" fort und findet 1939 ihren Höhepunkt in seiner Schrift „Fragen des Leninismus", deren Leitmotiv darin besteht nachzuweisen, daß „Lenin sich nicht widerspricht" Gerade der als „Ökonomismus" bezeichnete „Ausschluß des Widerspruchs als bewegender Kraft aus dem Sozialismus" den schon Gramsci moniert hatte, beraubte aber die „Diktatur des Proletariats" als der Form des Klassenkampfs in der Übergangsperiode zwischen Kapitalismus und Kommunismus ihres entscheidenden Stellenwerts in der Theorie des Marxismus-Leninismus. In der neuen Verfassung von 1936 ersetzte Stalin die „Diktatur des Proletariats" durch die Formel „Staat des ganzen Volkes", erklärte den Klassenkampf offiziell für beendet und machte damit die Entwicklung der UdSSR zum verbindlichen Modell für den Übergang zum Sozialismus. Der XVIII. Parteitag der KPdSU (1939) sanktionierte dann den „Verzicht" auf das „Wesentliche der Diktatur des Proletariats: ihre Eigenschaft als Entwicklungsprozeß des Staats neuen, demokratischen Typs, der auf das Absterben des Staates im Kommunismus gerichtet ist" .

Die „Abschaffung" des Klassenkampfes als Kern des Marxismus-Leninismus wiederum hatte zwei wichtige Ergebnisse: 1. „Die Diktatur des Proletariats ist zunächst nicht eine Machtform neuen Typs (Sowjets, Selbstorganisation der Massen). Sie wird ein Staat, der die klassische, von Grund auf antidemokratische Trennung jedes Staates reproduziert: Die Trennung zwischen Führern und Geführten. 2. Der Sozialismus ist keine historische Übergangsphase auf lange Sicht mehr, die zur klassenlosen Gesellschaft (Kommunismus) reicht. Er ist bereits eine Gesellschaft ohne Klassenkampf, eine, harmonische 'Gesellschaft: Eine Produktionsweise."

Die „linke" Stalinismus-Kritik im PCF stimmt mit dem Urteil Togliattis überein, nach dem das sowjetische „System über keine innere Dialektik und keine pluralistische Ausdrucksform seiner Widersprüche mehr" verfügt Sie charakterisiert den Sozialismus Moskauer Prägung spätestens seit dem XVIII. Parteitag der KPdSU als „Produktionsweise", die zwar rein zeitlich auf die klassisch-marxistischen Geschichtsetappen „Urgesellschaft — Sklavenhaltergesellschaft — Feudalismus — Kapitalismus" folgt, aber entgegen jeder Voraussage und tatsächlichen Beschaffenheit, sozusagen aufgrund von Stalins Definition, ohne Klassenkampf vonstatten geht und keinerlei „ungleiche Entwicklung im Widerspruch" in sich birgt. Weil die Perspektiven dieses Stadiums sich im Materiellen erschöpfen und das Emanzipatorische des ursprünglichen Sozialismus fast gänzlich ausklammern, bezeichnet Althusser es als „ökonomischen Evolutionismus der Produktivkräfte"

Die „linken" Kritiker greifen Elleinsteins Buch nicht nur wegen der in ihm enthaltenen undialektischen Trennung von „Basis" und „überbau" als „Karikatur des Marxismus" an sondern auch wegen der Behauptung, Lenin habe immer die „Demokratie", den Wert und die Nützlichkeit der demokratischen Institutionen „unterschätzt"; sie nennen es „Dummheit und Verleumdung", daß der Autor das Stalinsche Phänomen aus dem „Verfall der proletarischen Demokratie" erklären will

Für sie liegt das entscheidende Problem vielmehr in der „führenden Rolle der Partei" während der „Diktatur des Proletariats": „Was kann man tun, damit diese politische Führung nicht zur Identifizierung von Partei und Staat, sondern zur ständig wachsenden Kontrolle der Staatsfunktionen durch die Massen führt?“

Zur Lösung dieses Dilemmas fordern die „linken" Kritiker eine „Rückbesinnung" auf Lenin, weil jener selbst hierzu Anregungen erarbeitet habe, ohne in den Fehler zu verfallen, ein dogmatisches System zu errichten: „Wenn man diese Texte Lenins noch einmal liest, so heißt das nicht nur, daß man dem Leninismus seine revolutionäre Tugend zurück-gibt, seine unter dem Gewicht des Dogmatis mus begrabene kritische Kraft. Es heißt, seine wirkliche historische Stellung herauszuarbeiten.“

PCI Wie schon kurz dargelegt, reicht die systematische Auseinandersetzung der kommunistischen Partei Italiens mit dem Stalinismus bis in die fünfziger Jahre zurück. Vertieft wird diese Tradition durch die bewußte Anknüpfung an das Werk A. Gramscis, der bis zu seinem Tode (1937) die Vorgänge in der UdSSR kritisch verfolgte und aus ihnen Alternativen für die industriell hochentwickelten Staaten Westeuropas ableitete.

Das relativ ungebrochene Theoriebewußtsein und die mit ihm verbundene frühzeitige Ablehnung des sowjetischen Modells als Vorbild für das eigene Land ermöglichten den Dialog mit anderen gesellschaftlichen Kräften. So fanden z. B.seit Anfang der sechziger Jahre unter dem Stichwort „Marxismus und Christentum" Kolloquien mit der katholischen Paulus-Gesellschaft statt die wiederum innerparteiliche Diskussionen bis hin zu speziellen Stalinismus-Seminaren befruchteten.

Diese langwährende Wechselwirkung ließ ein sehr differenziertes Bild des Stalinismus entstehen. Seine grundsätzlichen Wertungen entsprechen weitgehend denen des PCE, doch vereinigt es in sich die verschiedensten Elemente, auch die vorgestellten französischen „philosophischen" Ansätze, und vermeidet so die Gefahr monokausaler Erklärungen.

Da der Stalinismus ein historisches Phänomen darstellt, er also im Jahre 1924 nicht dasselbe war wie 1930, 1938 oder gar in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, kann man nach italienischer Auffassung seine Wurzeln, sein Wesen und seine Konsequenzen nur verstehen, wenn man seine Geschichte nachzeichnet

Die Oktoberrevolution erwies sich trotz aller marxistisch begründeten Bedenken bezüglich der russischen Unterentwicklung als notwendig, weil sie vier Hauptziele formuliert hatte, welche die für die Februarrevolution verantwortlichen Kräfte nicht verwirklichen wollten oder konnten:

1. Separatfrieden mit Deutschland, 2. Aufteilung des Großgrundbesitzes unter die Bauern, 3. Einführung des Achtstundentages in der Industrie, 4. Errichtung der Sowjetmacht.

Ihren eigentlich sozialistischen Charakter erhielt sie durch Forderung 4, denn alle übrigen hätte — theoretisch — auch eine bürgerliche Regierung erfüllen können. Aber gerade diese Forderung wurde am schnellsten wieder in Frage gestellt, und die Macht der bolschewistischen Partei ersetzte die der Sowjets. Dagegen betrachtete Lenin die Vergesellschaftung der Produktionsmittel zunächst nicht als vorrangig.

Der Bürgerkrieg zerschlug allerdings viele Pläne, „langsam" an den Sozialismus heranzugehen: z. B. die Absicht, über die Verstaatlichung lediglich der Banken einen „Staatskapitalismus" zum Aufbau der Ökonomie zu schaffen. Dennoch besaß das Regime auch in dieser Periode eine gewisse Legitimation: „Die Bolschewiki landen — recht oder schlecht — einen politischen Kontakt zur russischen Wirklichkeit, den die anderen politischen Kräfte nicht fanden. Das erklärt auch deren historisches Versagen. Zu manchen Zeiten hatten sie größere Gebiete unter ihrer Kontrolle als die Bolschewiki. Sie konnten sich auf ausländische Hilfe stützen, was Lenin sicher nicht konnte. Trotzdem verloren sie auf allen Ebenen und wurden schnell verdrängt, erst auf dem Feld der Revolution, dann auf dem Feld der Konterrevolution.“

Der Bürgerkrieg brachte zwei wichtige Ergebnisse für die Herausbildung und Entwicklung des Stalinismus: 1. Er gewöhnte an Gewaltanwendung in der Politik. 2. Der Kriegskommunismus führte in der kommunistischen Partei zu Rissen zwischen der extrem westlich und internationalistisch geprägten Intelligenz und den der russischen Realität verhafteten Technokraten und Kommissaren, deren Repräsentant schon damals Stalin war.

Die Neue ökonomische Politik löste die Kriegswirtschaft ab. Ihre als längerfristige Übergangsphase zum Sozialismus gedachte Konzeption scheiterte, weil dem „sozialen Pluralismus kein adäquater politischer Pluralismus entsprach" Hinzu kam, daß die Revolution in eine Krise geraten war, da die erhofften Umwälzungen in Westeuropa ausblieben. Diese Tatsache trat nicht erst nach dem Scheitern der revolutionären Bewegung in Deutschland (1923) ins Bewußtsein, sondern Lenin artikulierte sie schon auf dem X. Parteitag (1921).

Die Konsequenz . Aufbau des Sozialismus in einem Lande' verschärfte sowohl die gesellschaftlichen als auch die Widersprüche innerhalb der kommunistischen Partei. Entscheidend war nun, daß Stalin im Gegensatz zu Lenin, der die Widersprüche der jungen sowjetischen Gesellschaft sehr feinfühlig erkannte und beschrieb, sie aber nie akzeptierte, „sich nicht nur mit den Widersprüchen abfand, sondern sich mit ihnen einrichtete"

Die in diesem Zusammenhang auftauchende Frage nach der Kontinuität Lenin-Stalin wird in ihrer überspitzten Form abgelehnt: „War Stalin schon ganz im Leninismus enthalten oder nicht? Ich ziehe es vor, den Begriff . Leninismus'nur mit Vorsicht, oder am liebsten überhaupt nicht zu gebrauchen. Es ist keine philologische Pedanterie, wenn ich es für angebracht halte, von , Lenins Werk'zu sprechen. Ein wesentlicher Wesenszug seines Denkens war doch gerade die Fähigkeit, sich in der Auseinandersetzung mit den konkreten Problemen der revolutionären Praxis weiterzuentwickeln ... Der Begriff Leninismus'entstand erst nach Lenins Tod, als man sich anschickte, sein Denken zu kodifizieren und in ein System simpler Lehrsätze zu pressen, kurzum, daraus ein doktrinär-statisches Gebilde zu machen. Das wird Lenins Werk aber keineswegs gerecht."

Ein weiteres Indiz dafür, daß keine gerade Linie von Lenin zu Stalin führt, bildet der grundsätzliche Konflikt über die Nationalitätenfrage: „Im Grunde wurde die Entwicklung zum Stalinismus in Rußland nicht durch die Anwendung der Leninschen Gedanken bedingt, sondern vielmehr von dem Versuch, den Sozialismus in einem wirtschaftlich rückständigen Land aufbauen zu wollen.“

Der „Konservatismus" Stalins (Erhaltung der Revolution unter den gegebenen Bedingungen), der vor allem in seiner „unleninisti-sehen" Theorie über die Verschmelzung von Partei und Staat zum Ausdruck kommt, schränkte die begrenzten Möglichkeiten des „Sozialismus in einem Lande“ noch weiter ein: „Daraus ergab sich sogar ein reduktiver Effekt auf den Begriff Sozialismus'selbst. Von nun an beschränkte er sich auf die Schaffung einiger Grundlagen des Sozialismus — die Volksbildung, die moderne Industrie, der ökonomische Fortschritt. Wirklich eine Verarmung gegenüber dem, was die marxistischen Denker zuvor unter Sozialismus verstanden hatten."

Die Frage nach Alternativen zum Stalinismus kann nur rein theoretischer Natur sein, weil sich der Generalsekretär im Grunde genommen immer als „Realist" verhielt und die große Schwäche der Opposition in ihrer Unfähigkeit lag, eine echte Alternative zu formulieren. Dafür liefern die bis in die erste Hälfte der dreißiger Jahre dauernden Fraktionskämpfe den Beweis.

Der eigentlich qualitative Sprung erfolgte mit der forcierten Industrialisierung. Sie ersetzte den Leninschen „Evolutionismus" der NEP durch einen gigantischen „Voluntarismus" und erneuerte den Konflikt mit allen gemäßigten Kräften: „Andererseits hätte eine langsamere Gangart ein breites Bündnis verschiedener sozialer Kräfte — also Arbeitern, Bauern und einem großen Teil der kleinbürgerlichen Intelligenz — erfordert. Gleichberechtigte Zusammenarbeit jedoch muß die Möglichkeit zur eigenständigen Artikulation einschließen, so daß jede soziale Schicht ihren Interessen politischen Ausdruck verleihen kann. Nur so hätte die einzig konsequente Alternative zur Stalin-sehen Konzeption realisiert werden können."

Die bürgerkriegsähnlichen Folgen der mit der Industrialisierung gekoppelten Kollektivierung schrieben dann die Geschichte der Gewalt in Rußland fort und bereiteten den Boden für die Säuberungen der Jahre 1936 bis 1938.

Ende der dreißiger Jahre war das stalinistische System voll ausgebildet. Seine Ideologie beruhte auf „Glorifizierung statt Analyse der Widersprüche" und seine politische Grundlage „vor allem auf der Verschmelzung der verstaatlichten Wirtschaft mit der Staatsmacht, die sich wiederum mit der Herrschaft einer einzigen Partei vermischte" und so „eine einmalige Konzentration staatlicher und gesellschaftlicher Entscheidungsmechanismen" entstehen ließ Kurz gesagt, Stalins Konzeption des Sozialismus war die „Verstaatlichung".

Die Entstalinisierung blieb unter anderem deshalb ein Torso, weil sie nicht die These von der führenden Rolle der kommunistischen Partei in Frage stellte. Das Hauptproblem der UdSSR besteht heute darin, daß der „politische Monolithismus" einen „sozialen Pluralismus" beherrscht

Die aus der historischen Analyse zu ziehenden Lehren sind folgende: „Jedes System, das ausschließlich auf dem Staatseigentum, einer autoritäten Planung und einer administrativen Verwaltung der Wirtschaft beruht, muß beim Stalinismus landen. Und wir sollten uns keine Illusionen machen, daß wir dem nur wegen unserer alten demokratischen Traditionen entkommen könnten. Die Erfahrung des Stalinismus hat so zumindest den Vorteil, uns zu lehren, wie man es nicht machen soll .. . Wo der Pluralismus nicht nur durch die Vielfalt des gesellschaftlichen Gefüges, sondern auch durch die Mannigfaltigkeit der ideologischen Traditionen zu einer unumgänglichen Notwendigkeit geworden ist, hat der Stalinismus keine Chance mehr."

Zusammenfassung Trotz unterschiedlicher Schwerpunktsetzung im Detail ist der eurokommunistischen Perzeption des Stalinismus gemeinsam, daß sie von dem Zusammenhang zwischen historischer Kontinuität (auf spezifisch russischer Tradition beruhende gesellschaftliche und ökonomische Unterentwicklung) und marxistisch-leninistischer Theorie bzw. Ideologie ausgeht. Welchen Stellenwert dabei die Spät-phase des zaristischen Rußland, der „Revisionismus" Lenins und die Vorgeschichte der Oktoberrevolution einnehmen, wird nur am Rande untersucht Entscheidend ist, daß der sozialistische Charakter der Oktoberrevolution außer Zweifel steht.

Auf dieser Basis gehen dann aber die Eurokommunisten rigoros den qualitativen „Brüchen" und Veränderungen nach. Schließlich kritisieren sie nicht nur unverhohlen das heute immer noch herrschende bürokratisch-konservative System der UdSSR, sondern fragen auch generell, ob es überhaupt oder was an ihm noch sozialistisch sei. Der Unterschied zum Ansatz Chruschtschows ist evident. Obwohl PCE, PCF und PCI die historische Bedeutung Stalins keineswegs verkennen, lehnen sie den „Personenkult" als Erklärungsmuster ab.

Ihre Einordnung des Generalsekretärs in das sozio-ökonomische Gefüge des sowjetrussischen Staates läßt sich durchaus mit derjenigen vergleichen, die den Syntheseversuchen der bei uns geführten Faschismusdiskussion im Hinblick auf den Stellenwert Hitlers und das Problem der Kontinuität in der deutschen Geschichte zugrunde liegt: Beide Diktatoren verkörperten eine durch besondere historische Umstände begünstigte Gruppe bzw. Schicht (Kommissare/Technokraten bzw. Kleinbürgertum), ordneten die vorgefundenen „Versatzstücke" und schufen daraus etwas qualitativ Neues. 2. Die Auswirkungen auf die praktisch-politische Ebene Vorbemerkung Das Verhältnis der Eurokommunisten zur UdSSR bzw. KPdSU dient vielen Beobachtern als Gradmesser ihrer Lernfähigkeit oder „Glaubwürdigkeit". Der Wert dieses Kriteriums muß allerdings spätestens seit der zwischen PCE und Kreml Ende 1977 ausgetragenen Kontroverse, die wegen der Behauptung Carrillos entstanden war, der sowjetische Staat habe sich seit Stalins Tod nur geringfügig verändert, stark relativiert werden. Dieser Streit untermauert nämlich in Verbindung mit der scharfen Kritik an den Menschenrechtsverletzungen in Osteuropa die These, daß die Spannungen keineswegs — wie oft behauptet — taktischer Natur seien: „Die Unabhängigkeit der eurokommunistischen Parteien von Moskau existiert also nicht nur in deren Propaganda. Sie ist wirklich vorhanden und mußte von Moskau nach langem Widerstreben bei der Konferenz der Kommunistischen Parteien Europas in Berlin am 29. und 30. Juni 1976 auch anerkannt werden.“

Dieses Ergebnis beruht nicht zuletzt auch auf der Auseinandersetzung mit dem Stalinismus.

Aber gerade wenn man das Argument vernachlässigt, der Eurokommunismus sei nichts weiter als das geschickt eingesetzte „trojanische Pferd" Moskaus, muß man prüfen, wie groß die Wirkung der im Verlauf der Stalinismus-Diskussion gewonnenen Erkenntnisse auf die politischen Konzeptionen und Strukturen der einzelnen Parteien wirklich ist: „Die Kernfrage ist nicht, wie unabhängig die Eurokommunisten sind, sondern wie kommunistisch.“

PCE Daß die „Glaubwürdigkeit" des Eurokommunismus durch das Erscheinungsbild der osteuropäischen Systeme vorbelastet ist, steht für den PCE außer Zweifel. Doch nicht allein dies hat sein Programm beeinflußt, sondern auch die Einsicht, daß hauptsächlich zwei Faktoren seine Zukunft bestimmen: 1. Die konkreten spanischen Verhältnisse. 2. Das am Beispiel des Stalinismus sichtbar gewordene und durch die eigene Geschichte erfahrene Problem des „Revisionismus" in der Arbeiterbewegung.

Punkt 2 wird durch die von Marx/Engels über Lenin zu Stalin, Chruschtschow und Breschnew reichende Kette verdeutlicht; jeder einzelne veränderte aufgrund der zeitbedingten historischen Umstände die Ideologie seines Vorgängers: „Manchen mag es wie eine Gotteslästerung vorkommen, wenn sie lesen, daß einige Thesen Lenins überholt seien; das sind dieselben, die nicht wissen, daß er dasselbe über Marx sagte und daß die sowjetischen Fortführer Le- nins offen einige seiner Thesen revidierten.“

Den „Revisionismus" an sich bewertet Carrillo durchaus positiv. Eine Gefahr sieht er allerdings darin, daß die „neuen" Theorien ihrerseits wieder häufig Allgemeingültigkeit beanspruchen und ihre Relativität verkennen bzw. verleugnen: „Der Marxismus gründet sich auf die konkrete Analyse der konkreten Realität. Entweder er ist das, oder er ist pure Ideologie, im abschätzigen Sinne dieses Begriffs, die von der Wirklichkeit absieht und zu etwas wird, das nichts mehr mit dem Marxismus zu tun hat.“

Die Ablehnung jeglicher Orthodoxie veranlaßte die Parteispitze, sofort mit der Legalisierung des PCE im Frühsommer 1977 auch die Eliminierung des „Leninismus" in Angriff zu nehmen: „Wir, die Kommunistische Partei Spaniens, sind keine leninistische, sondern eine marxistische Partei. Wir leugnen nicht, daß von Lenin einige Beiträge von universalem Wert stammen, -z. B. die Analyse des Imperialismus, die er dem Marxismus hinzufügte ... Der Leninismus hat eine wichtige historische Rolle gespielt, aber er hat keinen universalen Wert.“

Schwierigkeiten gab es bei dem Versuch, an der Basis allgemeine Zustimmung für die Reform zu erhalten. Zunächst erarbeitete M. Azcärate ein Kernstück von fünfzehn Thesen zur Organisation und Zielsetzung der Partei, deren letzte darauf gerichtet war, die für alle übrigen europäischen kommunistischen Parteien gültigen Grundlagen des „Marxismus-Leninismus" abzuschaffen: „Die Spanische Kommunistische Partei definiert sich als eine marxistische, demokratische und revolutionäre Partei, welche den leninistischen Beitrag in alles einbezieht, in dem er heute gültig ist, ebenso die Beiträge der anderen großen Revolutionäre ... Auf dieser Basis ist kein Platz für die restriktive Erkenntnis, daß der Leninismus der Marxismus unserer Epoche sei.“

Ende Januar 1978 wurden die Thesen vom Zentralkomitee mit 133 Ja-Stimmen bei einer Gegenstimme und zwei Enthaltungen gebilligt, im Organ „Mundo Obrero" veröffentlicht und in 200 000 Exemplaren verteilt. In den zehn bis zum 9. Parteitag verbleibenden Wochen zeigte sich dann, daß relativ viele Mitglieder noch stalinistisch zu nennenden Positionen anhingen und den eurokommunistischen Kurs insgesamt skeptisch bis ablehnend beurteilten Dennoch blieb die große Konfrontation auf dem am 23. April beendeten Parteitag aus. Auch die zitierte These 15 fand voll-inhaltlich Eingang in die neuen Statuten

Der PCE versucht permanent, seine Theorie der bereits praktizierten Politik anzugleichen. Die Parteitagsdelegierten akzeptierten die bürgerlichen Freiheiten, die pluralistische Demokratie und die — als schrittweiser und gewaltloser Übergang zum Sozialismus verstandene — Revolution. Das Besondere am derzeitigen spanischen Eurokommunismus besteht darin, daß er überwiegend pragmatisch vorgeht, Dogmen möglichst zu vermeiden sucht und seine ideologische Basis erst noch schaffen muß. Der Grund dafür liegt in der Unsicherheit, die von der weitgehend über die Köpfe der meisten Parteimitglieder geführten Auseinandersetzung mit dem Stalinismus ausgelöst wurde: Man weiß, was man nicht will, ohne einen präzisen theoretischen Leitfaden für den Weg zum Sozialismus zu besitzen.

Die von der Basis oft gestellte und berechtigte Frage, worin eigentlich noch der prinzipielle Unterschied zu den spanischen Sozialisten bestehe, braucht Carillo nicht sonderlich zu beunruhigen, denn der enorme Mitgliederzuwachs seit der Legalisierung hat nicht nur die Struktur der Partei, sondern auch die interne Willensbildung erheblich zu seinen Gunsten verändert.

Die Frage wird allerdings bei den Abgrenzungsbemühungen gegenüber dem PSOE, deren Eckpfeiler das Attribut „kommunistisch" darstellt, eine entscheidende Rolle spielen. PCF Obwohl die Streichung des Begriffs „Diktatur des Proletariats" auf dem 22. Parteitag Anfang Februar 1976 einstimmig erfolgte löste sie heiße Debatten aus, die zum Teil in gesonderte Publikationen mündeten und das Prinzip des „demokratischen Zentralismus" vor eine harte Zerreißprobe stellten.

Die schon vorgestellten „Philosophen" warfen G. Marchais vor, er habe sich dem „beständigen Druck der herrschenden bürgerlichen Ideologie" gebeugt, denn die als solche hochgespielte Alternative „Diktatur des Proletariats" oder „demokratischer Weg zum Sozialismus" sei „eher durch die Logik'als durch die Geschichte erzwungen" Sie konnten sich zwar nicht gänzlich dem Argument verschließen, das Bild von der „Diktatur des Proletariats" werde in westlichen Gesellschaften mit dem „realen Sozialismus" in Osteuropa gleichgesetzt, doch wollten sie ihm mit der Parole „zurück zu Lenin“ begegnen: „Die faschistischen Diktaturen geben der These von Marx und Lenin nur noch mehr Gewicht: der Diktatur der Klasse der Bourgeoisie muß das Proletariat seine eigene Klassen-diktatur entgegenstellen."

Der Versuch, die durch Stalin diskreditierte Form des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus wiederzubeleben, war aber zum Scheitern verurteilt, weil die „liberalen" Kräfte, mit Elleinstein an der Spitze, die „normative Kraft des Faktischen" auf ihrer Seite hatten; d. h., die in ihrer Stalinismus-Kritik zum Ausdruck gekommene Haltung des Sowohl-Als-auch repräsentierte die einzige Möglichkeit, die Interessen der Partei mit der politischen und gesellschaftlichen Wirklichkeit Frankreichs am Ende der siebziger Jahre zu verbinden.

Der Sieg der „Liberalen" bedeutete allerdings noch nicht, daß sich auch schon ihre Stalinismus-Interpretation insgesamt durchgesetzt hatte. Denn gerade die Betonung der restriktiven Rolle von Staat und Partei in der UdSSR ließ sie Konsequenzen für die innere Demokratie der eigenen Partei fordern, die den Empfehlungen der „Linken" entsprachen. Es war also weniger ihre Theorie als vielmehr deren praktische Anwendung, die schließlich dazu führte, daß man ihnen sogar die parteieigenen Publikationsorgane sperrte.

Nach der Wahlniederlage im März 1978 verschärfte sich der Konflikt zusehends, weil Elleinstein explizit das autoritäre Erscheinungsbild des PCF für den Mißerfolg verantwortlich machte, bei der „bürgerlichen" Presse — z. B. „Le Monde" — sein Recht auf freie Meinungsäußerung verwirklichte und dadurch an den Rand des Parteiausschlusses geriet Im September 1978 trat dann ein überraschender Wandel ein. Im Zuge der Vorbereitungen auf den im Mai 1979 projektierten 23. Parteitag empfahl das Politbüro allen Mitgliedern die Lektüre eines kürzlich erschienenen Sammelbandes über die Probleme des Stalinismus, der weitgehend die Position Elleinsteins vertritt. In Verbindung mit der von hohen Funktionären öffentlich geübten Selbstkritik hinsichtlich einiger Punkte im Verhältnis zu den Sozialisten stärkt diese Tatsache die Vermutung, daß der PCF durch behutsame innerparteiliche Liberalisierung den Kurs des „Sozialismus in den Farben Frankreichs" forcieren und seine Bündnisfähigkeit hervorheben will.

Die Rehabilitierung Elleinsteins signalisiert jedoch nicht nur die offizielle Beendigung des Stalinismus, sondern auch das Bestreben, die „linken Philosophen" zu isolieren, weil sie eine Renaissance der marxistisch-leninistischen Theorie wünschen und mit Überlegungen wie den folgenden die Integration in das französische Parteiensystem nur unnötig erschweren: „Aber sie (eine kommunistische Partei — H. G.) kann auch nicht in eine Regierung der Diktatur des Proletariats (im Gegensatz zu einer bürgerlichen — H. GJ eintreten in der Annahme, daß es ihre eigentliche Aufgabe sei, die Angelegenheiten dieses Staates zu , verwalten', obwohl sie dessen Absterben und dessen Ende vorbereiten muß. Denn wenn sie alle ihre Kräfte dieser Verwaltung'widmet, d. h., wenn die Partei praktisch mit dem Staat verschmilzt — wie man es in den Ländern Osteuropas erlebt —, wird sie nicht zu seiner Zerschlagung beitragen können. Eine kommunistische Partei kann sich also unter keinen Umständen als gewöhnliche Regierungspartei'verhalten, denn eine Regierungspartei sein heißt eine Staatspartei sein; was entweder bedeutet, daß man dem bürgerlichen Staat dient, oder aber daß man den Staat der Diktatur des Proletariats verewigt, obwohl es doch darum geht, zu seiner Zerschlagung beizutragen.“

Wie die Dinge aber liegen, wäre dem PCF nichts lieber, als an der „Verwaltung" des französischen Staates mitzuwirken. Negativ formuliert könnte man also sagen: Weder Stalinismus noch Kommunismus.

Die Entwicklung zum Sozialismus freilich wird von den harten Realitäten diktiert.

PCI Die kommunistische Partei Italiens erklärt ganz offen, welche Lehren sie aus dem Stalinismus gezogen hat Hinsichtlich des ökonomischen Sektors lehnt sie eine totale Verstaatlichung ab, hält aber wegen des mittlerweile erreichten Entwicklungsstandes der Produktivkräfte gesamtgesellschaftliche Planung für notwendig. Diese Planung soll nicht streng zentralisiert, sondern demokratisch erfolgen, was Konsequenzen für die soziopolitische Ebene hat. Das Problem besteht nämlich darin, die bewußte Planung ganz konkreter gesamtgesellschaftlicher Ziele „mit der autonomen Beteiligung verschiedener sozialer Kräfte, beginnend bei der Arbeiterklasse, an der Erarbeitung und Verwirklichung einer solchen Gemeinschaftsaufgabe" zu verbinden Und hier können, obwohl auch vertiefte theoretische Überlegungen von Nutzen sind, die eigentlichen Lösungen erst nach Erfahrungen in der Praxis konkretisiert werden. Soviel aber dürfte sicher sein: Eine sche-matische Aufpfropfung der überkommenen, in der Phase des liberalen Konkurrenzkapitalismus entstandenen demokratischen Formen auf eine Volkswirtschaft mit gesamtgesellschaftlicher Planung verspricht keinen Erfolg.

Allerdings besteht die Möglichkeit, Voraussetzungen für die spätere Praxis zu schaffen. Die Ansicht, „daß die Arbeiterklasse nur durch die maximale Ausdehnung der Demokratie ein breites soziales Bündnis herstellen kann" setzt die prinzipielle Anerkennung des politischen Pluralismus voraus, so daß Veränderungen lediglich über die qualitative Verbesserung des bürgerlichen Staates auf breiter mehrheitlicher Basis realisierbar erscheinen: „Ohne die Wichtigkeit der demokratischen Techniken zu verkennen (was eine der Lehren ist, die wir aus der Analyse des Stalinismus ziehen können), eher noch, um die Dauerhaftigkeit und das korrekte Funktionieren solcher Techniken zu sichern (die sich von allein gewiß nicht absichern können, was die Geschichte zu häufig bewiesen hat), streben wir eine breitere, substantiellere und konkretere Demokratie an, in deren Rahmen sich selbst die formale Demokratie einordnet und Bedeutung bekommt."

Obwohl der PCI einen wesentlich höheren theoretischen Standard besitzt, ist die Ähnlichkeit in der Handhabung praktischer Fragen mit dem PCE unverkennbar Das beweist auch der im September 1977 gemachte Vorschlag L. Lombardo-Radices, den Grundsatz des „Marxismus-Leninismus" aus den Parteistatuten zu streichen, über dessen Verwirklichung auf dem nächsten Parteitag im März 1979 beraten werden soll. Dieser Prozeß fand seinen vorläufigen Höhepunkt in einer Rede E. Berlinguers am 17. September 1978 anläßlich des Pressefestes der Parteizeitung „Unitä" in Genua, in der er klarstellte, daß der PCI weiterhin den „dritten Weg zwischen Sozialdemokratie und Leninismus" verfolge. Das Zitat läßt erkennen, welche Wandlung die kommunistische Partei Italiens in den letzten dreißig Jahren durchgemacht hat. Sie betrachtet ihr stalinistisches Stadium als längst abgeschlossen, hält die Identifikation mit dem Leninismus zur Lösung der gegenwärtigen Probleme für untauglich und sieht schon die nächste „drohende" Entwicklungsstufe: die „Sozialdemokratisierung".

Sicherlich ist der Trend hin zu einer Sozialdemokratie „deutschen Typs" gering, doch verwischen sich unter den tagespolitischen Zwängen die Unterschiede z. B. zu den französischen Sozialisten immer mehr so daß in manchen Fragen ein Zusammengehen auf europäischer Ebene mit dem PSF mittlerweile wahrscheinlicher geworden ist als mit dem PCF Und die gerade jetzt wieder verstärkten Bemühungen, mit den italienischen Sozialisten konstruktive Gespräche über alle bestehenden Gegensätze zu führen und tendenziell eine Aufhebung der „Spaltung der Arbeiterbewegung" anzustreben, werden dem zumindest nicht entgegenwirken. 3. Schlußbetrachtung Der Emanzipationsprozeß der Eurokommunisten von Moskau ist am Ende der siebziger Jahre so weit fortgeschritten, daß weder von einer direkten oder indirekten außenpolitischen Abhängigkeit noch von irgendwelcher Attraktivität des „sowjetischen Modells" die Rede sein kann. Was manchen Betrachter indessen irritiert, ist ihre emotionale Verbundenheit mit der Oktoberrevolution, die das folgende Zitat aus dem Jahre 1965 verdeutlicht und die sich seitdem — bei aller Kritik — kaum abgeschwächt hat: „Als Kommunist iühle ich der Sowjetunion gegenüber eine permanente Dankbarkeit; darüber soll kein Zweifel und nicht der Schein eines Mißverständnisses sein. Die sozialistische Revolution nahm ihren Ausgang in der Sowjetunion. Für uns Kommunisten ist dies eine historische Realität... Aber wir Kommunisten sind uns darüber klar: die russische Revolution hat die Arbeiterklasse in den westlichen Ländern einen ungeheuren Preis gekostet.“

Bei der Bewertung dieser Ambivalenz darf man die geschichtliche Dimension nicht vergessen. Die Diskussion des Stalinismus hat nämlich gezeigt, daß das Zurückgehen hinter bestimmte, heute erreichte Positionen äußerst unwahrscheinlich ist; dazu gehört unter anderem die prinzipielle Anerkennung der „bürgerlichen Freiheiten". Der italienische Kommunist G. Boffa hat das gegenüber dem französischen Sozialisten G. Martinet so formuliert: „Ich finde es positiv, daß wir in unserem Gespräch sterile Auseinandersetzungen vermieden haben, z. B., ob die sowjetische Gesellschaft jetzt sozialistisch zu nennen sei oder nicht. Für mich ist es nur zu legitim festzustellen, daß diese bestimmte Form des Sozialismus, die man dort bereits für mehr oder weniger vollendet hält, nicht mit dem Sozialismusbild übereinstimmt, das wir bei uns verwirklichen wollen.“

Sicherlich bestehen noch erhebliche Unterschiede zwischen PCE und PCI auf der einen und dem PCF auf der anderen Seite, was die Instrumentalisierung des außerparlamentarischen Umfeldes (Gewerkschaften, Verbände, etc.) und den Stellenwert des „demokratischen Zentralismus" betrifft. Während erstere mit zunehmender Integration in das jeweilige nationale Parteiensystem tendenziell abnimmt, wird die Überwindung des letzteren — besonders beim PCF — hauptsächlich davon abhängen, ob es den Führungsspitzen gelingt, die Parteistruktur entsprechend dem schon vorhandenen linken Spektrum konflikt-fähig zu machen.

Endgültig werden die Eurokommunisten das stalinistische Erbe erst dann überwunden haben, wenn ihre innerparteiliche Demokratie in einem ausgewogenen Verhältnis zu dem sie umgebenden gesellschaftlichen Pluralismus steht

Fussnoten

Fußnoten

  1. Reaktionen auf den Prozeß gegen Ginzburg und Scaranskij z. B. im „Kölner-Stadt-Anzeiger" vom 12. 7. 1978.

  2. Dazu immer noch unentbehrlich: R. Conquest, The Great Terror. Stalins Purge of the Thirties, Rev. Ed., Pelican Books 1971.

  3. Für den PCF: H. Grebing, Der Revisionismus. Von Bernstein bis zum „Prager Frühling", München 1977, S. 271; Ph. Robrieux, Maurice Thorez. Vie secrete et vie publique, Paris 1975, Kapitel über den Beginn der dreißiger Jahre. Für den PCE: S. Carrillo, „Eurokommunismus" und Staat, Ham-burg/Berlin-West 1977, S. 125 und S. 129 ff.: „Die Spanische Volksfront-Erfahrung".

  4. Carrillo, a. a. O., S. 137.

  5. Für den Spanischen Bürgerkrieg weist dies nach: H. Geiss, Das „Internationale Komitee für die Anwendung des Abkommens über die Nicht-einmischung in Spanien" als Instrument sowjetischer Außenpolitik 1936— 1938, Phil. Diss., Frankfurt/M. 1977.

  6. Protokolle des VI. Weltkongresses der Komintern, Bd. IV, Hamburg 1929, S. 85 f. Zit. auch bei: H. J. Lieber/K. H. Ruffmann (Hrsg.), Der Sowjet-kommunismus, Dokumente, Bd. I, Köln/Berlin-West 1963, S. 334.

  7. A. Rossi, Les communistes francais pendant la dröle de guerre, Paris 1951.

  8. D. Geyer (Hrsg.), Osteuropa-Handbuch, Sowjetunion, Außenpolitik I, 1917— 1955, Köln/Wien 1972, S. 382— 424 (J. K. Hoensch).

  9. C. D. Kernig (Hrsg.), Sowjetsystem und Demokratische Gesellschaft. Die Kommunistischen Parteien der Welt, Freiburg/Basel/Wien 1969, S. 202 (PCF), S. 277 (PCI); D. Oberndorfer (Hrsg.), Sozialistische Parteien in Westeuropa, Bd. I: Südländer, Opladen 1978, S. 42/43 (PCF), S. 152/53 (PCI). Repräsentanten des PCI weisen immer wieder darauf hin, daß ihre Partei maßgeblich an der Ausarbeitung der Verfassung von 1947 mitgewirkt hat. So z. B. S. Segre in: H. Timmermann (Hrsg.), Euro-kommunismus. Fakten—-Analysen—Interviews, Frankfurt/M. 1978, S. 182.

  10. So kritisierte z. B. die UdSSR auf der konstituierenden Sitzung des Kommunistischen Informationsbüros (1947) PCI und PCF wegen ihrer Teilnahme am „bürgerlichen Parlamentarismus", Oberndorfer, a. a. O., S. 43 und S. 151— 153.

  11. Zu der sehr komplexen Frage des Kalten Krieges aus amerikanischer Sicht jetzt: D. Yergin, Shattered Peace. The Origins of the Cold War and the National Security State, Boston 1977.

  12. So A. Zdanov in einer Rede im September 1947; dazu: F. C. Barghoorn, The Sovet Critiqüe of American Foreign Policy, in: Columbia Journal of International Affairs, Winter 1951, S. 9— 12.

  13. Offiziell 1947 durch die Gründung des Kommunistischen Informationsbüros (Kominform). Der internationale Aspekt im Zusammenhang mit der Intensivierung des Kalten Krieges wird betont von: D. F. Fleming, The Cold War and its Origins 1917— 1960, Bd. I: 1917— 1950, 5. Ausl., London 1968, S. 482.

  14. Nähere Informationen dazu in: W. Leonhard, Eurokommunismus. Herausforderung für Ost und West, München 1978, S. 70— 88: „Jugoslawien — ein Grundstein des heutigen Eurokommunismus".

  15. Ebd., S. 108— 123: „Der europäische Kommunismus im Schatten des Moskau-Peking-Konfliktes (1957— 1967)".

  16. Der Text wurde einer amerikanischen Zeitung zugespielt und bei uns u. a. abgedruckt in: Ostprobleme, Nr. 26/26, 8. Jg, 1956, S. 86 ff.

  17. Leonhard, a. a. O., S. 88.

  18. Zur Definition des Begriffs s. M. Steinkühler (Hrsg.), Eurokommunismus im Widerspruch. Analyse und Dokumentation, Köln 1977, S. 389— 392: „Gespräch mit Frane Barbieri, der den Ausdruck Eurokommunismus’ prägte".

  19. Der XX. Parteitag der KPdSU,'Düsseldorf 1956, S. 353.

  20. Im folgenden Bezugnahme auf den Text in: R. Crusius/M. Wilke (Hrsg.), Der XX. Parteitag der KPdSU und seine Folgen, Frankfurt/M. 1977, S. 487 - 537, Anhang.

  21. Ebd., S. 478,

  22. Ebd., B. 490.

  23. Ebd., S. 491.

  24. Alle Zitate ebd., S. 492.

  25. Ebd., S. 518.

  26. Ebd., S. 498— 511.

  27. Ebd., S. 499.

  28. Ebd., S. 533.

  29. Ebd., S. 534.

  30. Ebd., S. 535.

  31. Ebd., S. 537.

  32. Daß Intellektuelle in der UdSSR den Stalinismus dennoch weiter diskutieren und Welche analytischen Möglichkeiten auch dort marxistische Positionen eröffnen, beweist z. B. R. A. Medwedew, Die Wahrheit ist unsere Stärke. Geschichte und Folgen des Stalinismus, Frankfurt/M. 1973.

  33. Crusius/Wilke, a. a. O., S. 537.

  34. Einen guten Überblick gibt G. Hermet, Les communistes en Espagne, Paris 1971, und L'Espagne de Franco, Paris 1974.

  35. Die einzelnen Schritte sind nachzulesen bei Kernig, a. a. O., S. 479/80.

  36. So Carrillo in: S. Carrillo/R. Debray/M. Gallo, Spanien nach Franco, Berlin-West 1975, S. 129.

  37. Ebd., S. 119.

  38. Ebd., S. 118.

  39. S. Carrillo, „Eurokommunismus" und Staat, Hamburg/Berlin-West 1977, S. 92/93.

  40. E. Mandel, Kritik des Eurokommunismus. Revolutionäre Alternative oder neue Etappe in der Krise des Stalinismus?, Berlin-West 1978, S. 66.

  41. S. dazu die Schilderung ihrer Moskau-Reise 1956 und deren Nachwirkungen von S. Signoret, La nostalgie n'est plus ce qu’elle etait, Paris 1976, S. 152— 159, S. 169— 173, S. 209— 211.

  42. Leonhard, a. a. O., S. 90.

  43. So J. Duclos in „L'HUmanite" vom 10. 3. '1956.

  44. Sein Buch erschien in deutscher Übersetzung unter dem Titel „Probleme des Marxismus“ (Frankfurt/M. 1965).

  45. Cahiers du Communisme Nr. 4, 1958.

  46. Zur Entwicklung des PCI nach 1944 s. Oberndorfer, a. a. O., S. 149 ff.

  47. Der XX. Parteitag der KPdSU, a. a. O„ S. 329— 334.

  48. Z. B. in: „Unitä" vom 15. 3. 1956 und „Nuovi argomenti" vom Mai/Juni 1956.

  49. Z. B.der Schriftsteller A. Moravia in: „Unitä“ Vom 17. 6. 1956.

  50. „Pravda" vom 2. 7. 1956.

  51. „Erneuern und sich stärken". Bericht Togliattis an den VIII. Parteitag der Italienischen Kommunistischen Partei, Dezember 1956, in: P. Togliatti, Ausgewählte Reden und Aufsätze, Frankfurt/M. 1977, S. 393— 471.

  52. S. dazu L. Gruppi, Gramsci — Philosophie der Praxis und die Hegemonie des Proletariats, Ham-burg/Berlin-West 1977.

  53. Grebing, a. a. O., S. 243.

  54. Crusius/Wilke, a. a. O., S. 178.

  55. Ebd., S. 178.

  56. Detailliertere Auskünfte dazu z. B. in: A. Kimmel (Hrsg.), Eurokommunismus. Die kommunisti-

  57. Diesen Aspekt hebt besonders H. Ehmke in seinem Vorwort zu Timmermann, a. a. O., S. 7/8, „Die Entspannungspolitik als Faktor blockinterner politischer und sozialer Bewegung", hervor.

  58. Die diesbezüglichen Dokumente sind abgedruckt bei Steinkühler, a. a. O.

  59. Togliatti, a. a. O., S. 765— 779: „Memorandum zu Fragen der internationalen Arbeiterbewegung und ihrer Einheit, Jalta, August 1964".

  60. Ebd., S. 777.

  61. Ebd., S. 778/79.

  62. Einen prägnanten Überblick über die Ereignisse in der SSR gibt Leonhard, a. a. O., S. 123 ff.

  63. Ebd., S. 134.

  64. Ebd., S. 143.

  65. Zit. nach „Informations-Bulletin", Wien, Nr. 23/24, 1968, S. 74.

  66. Ebd. Nr. 26/27, S. 72.

  67. Bericht L. Longos über die Vorgänge in der CSSR vom 8. Mai 1968, zit. nach „Weg und Ziel", Wien, Nr. 7/8, 1968, S. 353.

  68. Zit. nach Leonhard, a. a. O., S. 142.

  69. S. dazu das Vorwort von J. Semprün zu: F. Claudin, The Communist Movement. From Comin-tern to Cominform, Penguin Books 1975, S. 3— 5, und die entsprechenden Abschnitte in den Memoiren J. Semprüns: J. Semprün, Federico Sanchez, Erinnerungen eines führenden ehemaligen spanischen Kommunisten, Hamburg 1978, bes. S. 156— 216: „Nur für das Zentralkomitee bestimmt", und S. 217— 277: „Zwischenspiel im Ampurdan".

  70. Die folgende Darstellung stützt sich weitgehend auf die Schilderung in Carillo/Debray/Gallo, a. a. O., S. 120— 123.

  71. Ebd., S 120.

  72. Ebd., S. 121.

  73. Carrillo, „Euro-kommunismus", a. a. O., S. 141.

  74. S. dazu Leonhard, a. a. O., S. 143— 149.

  75. Vor allem in „Rinascita", „Cahiers du Commu-nisme", „La Nouvelle Critique".

  76. Im folgenden beziehe ich mich hauptsächlich auf: L. Althusser, Ideologie und ideologische Staatsapparate, Hamburg/Berlin-West 1977; E. Balibar, über die Diktatur des Proletariats, Hamburg/Berlin-West 1977 (Orig. 1976); G. Boffa/G. Martinet, Marxistische Stalinismus-Kritik, Hamburg 1978 (Orig. 1976); S. Carrillo, „Eurokommunismus" und Staat, Hamburg/Berlin-West 1977 (Orig. 1977); S. Carrillo/R. Debray/M. Gallo, Spanien nach Franco, Berlin-West 1975 (Orig. 1974); J. Ell-

  77. Carrillo, a. a. O., S. 137.

  78. Ebd., S. 149.

  79. Carrillo/Debray/Gallo, a. a. O., S. 115.

  80. Carrillo, a. a. O., S. 173.

  81. Ebd., S. 151.

  82. Carrillo/Debray/Gallo, a. a. O., S. 130.

  83. Carrillo, a. a. O„ S. 157.

  84. Ebd., S. 168.

  85. Ebd., S. 169.

  86. Ebd., S. 157.

  87. Ebd., S. 168.

  88. Ebd., S. 171.

  89. Ebd., S. 175.

  90. Carrillo/Debray/Gallo, a. a. O., S. 129.

  91. S. dazu z. B. die Zusammenfassung A. Kimmels in: Timmermann, a. a. O., S. 107— 109 und S. 120, Anm. 38 Und 39.

  92. Er vermeidet den Begriff „Stalinismus", um das persönliche Element nicht zu stark zu betonen. So heißt sein Buch im Original auch „L’histoire du phnomne stalinien".

  93. Elleinstein, a. a. O., S. 8.

  94. Ebd., S. 11.

  95. Ebd., S. 12.

  96. Ablösung der straff reglementierten Kriegs-wirtschaft durch ein System, in dem die Privatinitiative — außer in den verstaatlichten Industrie-betrieben — wieder einen relativ hohen Stellenwert erhielt.

  97. Elleinstein, a. a. O., S. 27.

  98. Ebd., S. 25.

  99. Ebd., S. 41.

  100. Ebd., S. 51.

  101. Ebd., 'S. 52.

  102. Ebd., S. 53.

  103. Ebd., S. 82.

  104. Ebd., S. 83.

  105. Ebd., S. 135.

  106. Ebd., S. 207.

  107. Ebd., S. 197.

  108. Chr. Buci-Glucksmann, über Stalinismus-Kritik von links, in: Freiheit der Kritik, a. a. O., S. 169.

  109. Ebd., S. 177.

  110. Balibar, a. a. O., S. 141/42, Anm. 6 und S. 230.

  111. J. Stalin, Fragen des Leninismus. Bericht auf dem XVIII. Parteitag, Moskau 1947, S. 669— 674; vgl. dazu auch R. Linhart, Lenine, les Paysans, Taylor, Paris 1976. Er beweist, daß Lenin nicht aufhört, sich zu „widersprechen".

  112. Freiheit der Kritik, a. a. O., S. 170.

  113. Ebd., S. 177.

  114. Ebd., S. 179.

  115. So 195& in seinen „Intervista a Nuovi Argomenti", in: P. Togliatti, Opere Scelte, Riuniti, S. 709.

  116. Freiheit der Kritik, a. a. O., S. 180.

  117. Balibar, a. a. O., S. 141, Anm. 4.

  118. Ebd., S. 92.

  119. Ebd., S. 98.

  120. Ebd., S. 129.

  121. S. dazu Grebing, a. a. O., S. 244 ff.

  122. So G. Boffa, in: Boffa/Martinet, a. a. O., S. 8.

  123. Ebd., S. 22.

  124. Ebd., S. 23/24.

  125. Ebd., S. 26.

  126. Boffa, ebd., S. 27.

  127. Martinet, ebd., S. 34.

  128. Boffa, ebd„ S. 44.

  129. Ebd, S. 55.

  130. Ebd., S. 79 ff.

  131. Ebd., S. 181 ff.

  132. Martinet, ebd., S. 124 und S. 184.

  133. Gerade diese Aspekte betonen: A. v. Borcke, Die Ursprünge des Bolschewismus. Die jakobinische Tradition in Rußland und die Theorie der revolutionären Diktatur, München 1977; P. W.

  134. M. Spieker, Demokratie oder Diktatur? Zur Ideologie des Eurokommunismus, in: Politische Vierteljahresschrift (PVS), XIX/1/78, S. 21. Ansonsten warnt Spieker vehement vor dem Eurokommunismus.

  135. Ebd., S. 21/22.

  136. Carrillo, a. a. O., S. 10.

  137. . Ebd., S. 20.

  138. So M. Azcärate in einem Interview der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 8. 7. 1977.

  139. Zit. nach dem „Spiegel" vom 17. 4. 1978, S. 182.

  140. S. dazu die Ausgaben von „Mundo Obrero" der Monate Februar/März 1978, in denen jede Woche acht Seiten für Leserbriefe zum Thema „Statutenreform" zur Verfügung standen.

  141. Eine gute Zusammenfassung der Ergebnisse des 9. Parteitages des PCE (1978) findet sich in der „Frankfurter Rundschau" vom 24. 4. 1978; aus osteuropäischer Sicht s. S. Zapiräin, IX. Parteitag der KP Spaniens, in: Probleme des Friedens und des Sozialismus (PFS), 9/1978.

  142. S. dazu K. Burkhardt, Wandlungen im französischen Kommunismus? Der 22. Parteitag der Kommunistischen Partei Frankreichs, in: Aus Politik unxd Zeitgeschichte, B 17/76. Eine gute Zusammenfassung und Wertung der Diskussion über den Stellenwert der „Diktatur des Proletariats" gibt S. Breuer, Stalinismuskritik von links? Marginalien zur Kontroverse über die Diktatur des Proletariats in der Kommunistischen Partei Frankreichs, in: Leviathan 3/77, S. 378— 399.

  143. Balibar, a. a. O„ S. 11/12.

  144. Ebd., S. 16.

  145. S. dazu das Gespräch mit J. Elleinstein über das Phänomen des Stalinismus, der Demokratie und des Sozialismus, in: „Esprit", Paris, Nr. 2, 1976.

  146. Althusser, a. a. O., S. 163. Eine breitere Auseinandersetzung mit der Position L. Althussers findet sich in: Projekt Klassenanalyse (Hrsg.), Louis Althusser. Marxistische Kritik am Stalinismus?, Berlin-West 1975.

  147. S. dazu besonders: Boffa/Martinet, a. a. O., S. 127/28; P. Ingrao, Bürgerliche Demokratie oder Stalinismus? Nein: Massendemokratie, in: Sozialisten, Kommunisten und der Staat, a. a. O., S. 111— 125; CI. Mancina, Diktatur und Pluralismus — Zur aktuellen Gramsci-Diskussion in Italien. 1976 verfaßtes Vorwort zu: Gruppi, a. a. O., S. 7— 23.

  148. Boffa/Martinet, a. a. O., S. 128.

  149. Ebd. S. 128.

  150. Gruppi, a. a. O., S. 19.

  151. Näheren Aufschluß darüber gibt z. B. auch das Interview mit den beiden ZK-Mitgliedern L. Lombardo-Radice (PCI) und M. Azcärate (PCE) im „Spiegel", Nr. 51, 1977.

  152. Zum Stand des Jahres 1978 s. H. Timmermann, Die KPI — Profil einer eurokommunistischen Partei in der Regierungsmehrheit, in: Osteuropa 5/78, S. 415— 429, und 6/78, S. 511— 524.

  153. S. dazu das Interview mit G. Pajetta, einem der führenden „Außenpolitiker“ des PCI, in „Repubblica" vom 31. 10. 1978. Pajetta erklärte, seine Partei strebe im neuen Europaparlament gemeinsame Aktionen mit „Sozialisten und Sozialdemokraten“ an; von einer „Einheit der Kommunisten" im Europäischen Parlament zu sprechen, sei deshalb eine Fiktion, weil erhebliche Meinungsverschiedenheiten zwischen den kommunistischen Parteien Frankreichs und Italiens bestünden.

  154. So C. Luporini bei einer Diskussion über „Freiheit im Kommunismus", abgedruckt in: Christentum und Marxismus heute. Gespräche der Paulus-Gesellschaft, Wien 1966, S. 233.

  155. Boffa/Martinet, a. a. O., S. 186.

  156. Diesen Punkt untersucht: H. Timmermann, Aspekte der innerparteilichen Struktur und Willensbildung bei den „Eurokommunisten", in: Sozialismus in Theorie und Praxis. Festschrift für R. Löwenthal, Berlin/New York 1978, S. 458— 493.

Weitere Inhalte

Harald Geiss, Dr. phil., geb. 1949; Studium der Osteuropäischen, Mittleren und Neueren Geschichte, der Politischen Wissenschaften, Philosophie und Russistik; seit 1975 wiss. Mitarbeiter am Ostkolleg der Bundeszentrale für politische Bildung, Köln. Veröffentlichungen: Beiträge zur sowjetischen Außenpolitik und zum Eurokommunismus in Fachzeitschriften.