Einleitung
Die Gestaltung des Verhältnisses der Schulfächer Geographie, Geschichte und Sozialkunde (Politik) stellt nicht nur ein bisher noch ungelöstes didaktisches Problem dar, sondern löst als bildungspolitische Aufgabe immer wieder interessenbedingte Kontroversen bei Fachverbänden, Parteien und in der Öffentlichkeit aus. Während die Fächer Geographie und Geschichte als eine Selbstverständlichkeit im Schulwesen der neugegründeten Bundesrepublik verankert wurden, bedurfte es eines Beschlusses der Kultusministerkonferenz (KMK) im Jahre 1950 zur Einführung eines eigenen Faches für den politischen Unterricht im engeren Sinne Zehn Jahre später leitete die KMK in ihrer Saarbrücker Rahmenvereinbarung dann die Entwicklung zur Zusammenfassung der getrennten Fächer auf der gymnasialen Oberstufe als Gemeinschaftskunde ein. Seither setzte sich in der bildungspolitischen und fachdidaktischen Diskussion weitgehend die Auffassung durch, daß „politische Bildung ein fächerübergreifender Auftrag sei, und nicht Sache eines einzelnen Schuloder Hochschulfaches allein" Doch wurde darunter nicht gleichzeitig auch die Integration der beteiligten Schulfächer in einem Unterrichtsfach verstanden. Namentlich der Verband der Geschichtslehrer Deutschlands im Verein mit vielen Geschichtsdidaktikern und vorwiegend konservativen Historikern plädierte für einen eigenständigen Geschichtsunterricht und sah seinen Einfluß auf die politische Bildung bei einer Vereinigung von Geschichts-und Sozialkundeunterricht schwinden.
Hinzu kam die Krise in der Geschichtswissenschaft, d. h. die theoretische und methodische Verunsicherung der Disziplin angesichts ihres Rückstands gegenüber der internationalen Forschung, ihrer Rolle zur Zeit des Nationalsozialismus sowie ihrer Unzulänglichkeit, neue Aufgaben und Perspektiven in einer demokratischen Gesellschaft und für eine zeitgemäße politische Bildung zu entwickeln. Erst im letzten Jahrzehnt gelang es der Geschichtswissenschaft, durch den Aufschwung der Sozial-und Wirtschaftsgeschichte beachtenswerte Ansätze zu einer modernen historischen Sozialwissenschaft vorzulegen. Ihr stand eine sich etablierende und expandierende Politikwissenschaft gegenüber, die ihre gesellschaftspolitische Rolle auszufüllen begann, indem sie zunächst vor allem eine die politische und gesellschaftliche Ordnung legitimierende und integrierende Funktion wahr-nahm, die im letzten Jahrzehnt durch eine verstärkt gesellschaftskritische Funktion ergänzt wurde. Trotz zunehmender theoretischer und methodischer Differenzierung und Polarisierung in unterschiedliche, ja kontroverse Ansätze gelang es, die ihr zufallenden Aufgaben im Rahmen der politischen Bildung wahrzunehmen. Audi die Geographie durch-lief in den letzten Jahrzehnten eine Krise in ihrem Wissenschaftsverständnis, die sie zu einer neuen Standortbestimmung zwang. Seitdem endgültig die Dominanz von Landschaftskunde und Länderkunde in Forschung und Lehre durchbrochen ist, erfährt die Geographie als Raumwissenschaft eine Hinwendung zu Fragen der gesellschaftlichen Entwicklung mit dem Ziel, ihre Erkenntnisse für die Lösung der Umwelt-und Weltprobleme einzusetzen und auch im Unterricht fruchtbar zu machen.
Wenn sich über das Rivalitätsverhältnis in den sechziger Jahren eine gewisse Kooperation der Fächertrias erreichen ließ, sei es durch ihre enge Koordination in den Lehrplänen einiger Bundesländer, sei es durch ihre Integration in den Rahmenplänen anderer Bundesländer, so wurde diese Kooperation in jüngster Zeit wieder in Frage gestellt. Den spektakulärsten Angriff führten die Thesen, die dem Senat der Westdeutschen Rektoren-konferenz zur Verabschiedung vorlagen
Sie wollten im Pflichtbereich der gymnasialen Oberstufe den politischen Unterricht auf das Fach Geschichte unter weitestgehender Einschränkung der Gegenwartsprobleme reduzieren und die Fächer Sozialkunde und Geo-graphie in den Wahlbereich verbannen. Damit wäre in einer demokratischen und entwickelten Gesellschaft die Behandlung der gesellschaftlichen und politischen Gegenwart innerhalb einer einheitlichen Grundbildung nahezu ausgeschlossen gewesen. Die berechtigten Einwände der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft, der Deutschen Vereinigung für politische Bildung und des Verbandes deutscher Schulgeographen sowie mancher Hochschulen und Hochschulvertreter gegen diesen radikalen Abbau einer Vermittlung politischen Wissens und politischer Qualifikationen an die Jugend trugen sicherlich zu ihrer Ablehnung durch die KMK bei.
Hinter dieser wechselvollen Entwicklung stehen nicht nur konkurrierende bildungs-und gesellschaftspolitische Interessen und Ziele, sondern es läßt sich auch eine konzeptionelle Schwäche in bezug auf eine didaktisch begründete Verknüpfung der am fächerübergreifenden politischen Unterricht beteiligten Schulfächer Sozialkunde, Geschichte und Geographie vermuten.
Um diese zuletzt genannte Problematik genauer untersuchen und Überlegungen zu einem eigenen Ansatz unterbreiten zu können, soll folgendermaßen vorgegangen werden: Im ersten Analyseschritt werden ausgewählte didaktische Konzeptionen des Sozialkundeunterrichts, des Geschichtsunterrichts und des Geographieunterrichts sowie ein Rahmenplan-entwurf auf ihre Aussagen zum fächerübergreifenden Unterricht befragt, um daran anschließend einige systematische Fragen dieses Problemkomplexes zu verfolgen, aus denen sich Voraussetzungen und zentrale Aspekte eines fächerübergreifenden politischen Unterrichts ergeben.
I. Der fächerübergreifende Unterricht in didaktischen Konzeptionen
In den weithin bekannten Konzeptionen zur politischen Bildung von Giesecke, Schmiederer und Sutor zählt die Verbindung zu den Nachbarfächern nicht zu den Kernproblemen. Den losesten Beziehungszusammenhang knüpft Giesecke, indem er sowohl eine Trennung der Gegenstände wie der Aufgaben von Politik und Geschichte vornimmt als auch dem historischen Teilaspekt lediglich die Aufgabe stellt, „die Wertmaßstäbe für die Beurteilung der politischen Gegenwart" zu liefern. Denn das Charakteristische des Politischen, das im aktuellen und noch nicht entschiedenen Konflikt zum Ausdruck kommt, kann nur an Beispielen aus der politischen und gesellschaftlichen Gegenwart im Fach Politik didaktisch erschlossen werden. Hierzu dienen das Aktions-und Orientierungswissen, während die aus der historischen Erinnerung gewonnenen Wertmaßstäbe das Bildungswissen im Fach Geschichte vermitteln.
In der revidierten Fassung seiner Didaktik steht nicht mehr so sehr der aktuelle Konflikt im Mittelpunkt der didaktischen Reflexion, vielmehr sind es politische und gesellschaftliche Konflikte, die aus dem neuzeitlichen Demokratisierungsprozeß resultieren zu dessen Verständnis die Schüler im politischen Unterricht befähigt werden sollen. Mit dieser Umdeutung seiner zentralen politisch-didaktischen Kategorie wächst auch die Bedeutung der Geschichte zur historischen Dimension für den politischen Lernprozeß, die darin zum Ausdruck kommt, daß die Vermittlung . historischen Bewußtseins'zu einem Teilziel des obersten Lernziels . Mitbestimmung'neben den anderen Teilzielen . Analyse aktueller Konflikte', . Training systematischer gesamtgesellschaftlicher Vorstellungen', . Training praktischer Handlungsformen'und . Training selbständiger Informationsermittlung und Informationsverarbeitung’ erhoben wird Doch gleichzeitig mit diesem Bedeutungszuwachs geht eine inhaltliche Eingrenzung des historischen Aspekts einher, indem er auf die Erklärung des „Prozesses der gelungenen bzw. gescheiterten Demokratisierung" zugespitzt wird, die durch eine „chronologische, ereignisgeschichtliche Darstellung" wichtiger Schlüsselereignisse „seit der Französischen Revolution ... in strukturgeschichtlicher Orientierung" geleistet werden soll.
Hatte die Geschichte als historische Dimension bei Giesecke einen eigenen Gegenstandsbereich im Rahmen des politischen Unterrichts, so fällt dieser bei Schmiederer fort. Die Geschichte wird auf den genetischen Aspekt von Gegenwartsphänomenen beschränkt, wenn er sie nur im Zusammenhang des zweiten Ziels der politischen Bildung, des Engagements und der politischen Praxis, berücksichtigt. „Voraussetzungen" dafür, „daß unter bestimmten Umständen aus der Reflexion politische Handlungsbereitschaft“ erwächst, schafft u. a. die Fähigkeit zur „gründlichen soziologischen Analyse der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse und Strukturen unter Einschluß der historischen Dimension" um an dieser „die geschichtliche Bedingtheit gesellschaftlicher Probleme und politischen Handelns" und ihre Veränderbarkeit aufzuzeigen.
Für Sutor stehen politisches und geschichtliches Bewußtsein in einem dialektischen Zusammenhang; daher übernehmen politische und historische Bildung komplementäre, nicht alternative Aufgaben Die eigentümliche Aufgabe der Sozialkunde ist die „Vermittlung von Ordnungswissen zur Einübung in politisches Urteilen", die der Geschichte ist die „Ortsbestimmung der Gegenwart" Die spezifische Funktion geschichtlicher Erkenntnis für die politische Bildung sieht er einmal in der historischen Aufklärung, die es — ähnlich wie bei Giesecke — ermöglicht, aus historischer Erfahrung aktuelle politische Streitfragen besser beurteilen zu können. Zum andern sieht er sie in der „Erfahrung der Relativität alles Politischen“, ihrer Vorläufigkeit und ihrem Wandel Beide Funktionen stehen im Dienst des obersten politischen Bildungsziels: der Aneignung von Ordnungswissen und politischer Urteilsfähigkeit
Die Unterschiede und jeweiligen Akzentuierungen im Verhältnis von politischer und historischer Bildung resultieren aus den je zugrunde liegenden politiktheoretischen Prämissen und didaktischen Zielsetzungen. Im liberalen Konfliktmodell Gieseckes, in dem die aktuelle, in die Zukunft offene Kontroverse im Zentrum des politischen Unterrichts steht, wird der geschichtlichen Dimension nur der schmale Raum der Wertmaßstäbe eingeräumt; die gesteckten Lernziele sollen allein durch die Behandlung von Fragen der politischen Gegenwart erreicht werden. Die im Rahmen der . Kritischen Theorie'verankerte „historisch-materielle" Theorie in Gieseckes neuerer Konzeption macht die historische Dimension zu einem integralen Bestandteil des politischen Unterrichts mit einem eigenen Gegenstandsbereich in Schlüsselereignissen der neueren Geschichte in Hinblick auf den Demokratisierungsprozeß. Die Beschäftigung mit der Gegenwart wie der Vergangenheit unterliegt dem Ziel der Fortsetzung des neuzeitlichen Demokratisierungsprozesses und der Erweiterung der Mitbestimmungsrechte in allen gesellschaftlichen Bereichen. Gegenwart und Vergangenheit bilden ein Kontinuum. Die Ziele: Demokratisierung, Emanzipation und politisches Engagement lassen sich nur im Zusammenhang mit Herrschaftsabbau, Aufklärung des falschen Bewußtseins und strukturellen gesellschaftlichen Veränderungen erreichen. Die historische Dimension wird auf den genetischen Aspekt der Gegenwartsprobleme und den Nachweis der Veränderbarkeit aller gesellschaftlichen Verhältnisse beschränkt.
Sutor geht in seinem normativ-ontologischen Ansatz vom Personsein des Menschen aus, dessen zentrale Aufgabe es ist, die Gesellschaft human und rational durch die Verwirklichung des Gemeinwohls zu gestalten. Dies Ziel stellt sich in je wechselnden historischen Situationen als politische Ordnungsaufgabe. Jeder einzelne wirkt in seiner Zeit zumindest durch seine Urteilsfähigkeit an dieser Aufgabe mit. Denn „historisch geklärtes Gegenwartsbewußtsein“ schärft „als positive Leistung geschichtlicher Bildung" das Verständnis für politische Bildung, die Urteilsfähigkeit und die Erkenntnis des Wesens der Politik. Die Geschichte vermag so zur Erreichung der Ziele des politischen Unterrichts beizutragen.
Die prinzipiellen Auffassungen zum fächerübergreifenden politischen Unterricht bestimmen die Ansichten über das Verhältnis von politischer und historischer Bildung. So lehnte Giesecke noch in der ersten Fassung seiner Didaktik, in der er die unterschiedliche Aufgabenstellung beider betont, einen fächerübergreifenden Unterricht ab. In seiner revidierten Didaktik wie in Schmiederers Arbeit wird die Frage der unterrichtlichen Gestaltung von politischer und historischer Bildung nicht thematisiert, obwohl gerade diese beiden Konzeptionen von ihren politiktheoretischen Prämissen her und Gieseckes Konzept auch in seinen Unterrichtsinhalten für eine Fächerverbindung offen sind.
Erst in Sutors Konzept wird die inhaltliche Verknüpfung beider Fächer im Unterricht als tendenziell möglich hingestellt, wenn die noch vorhandenen Unzulänglichkeiten in der didaktischen Diskussion, namentlich in der Erarbeitung fächerübergreifender Lernziele, überwunden seien Als gangbaren Weg schlägt er die Erarbeitung fächerübergreifender Lernziele mit den Methoden der Einzeldisziplinen, aber durch Zusammenschau ihrer Ergebnisse vor in einem zweiten Schritt wären die Unterrichtsgegenstände den übergreifenden Zielen unterzuordnen. Da es bisher weder in den Lehrplänen einzelner Bundesländer noch dem Deutschen Ausschuß für das Erziehungsund Bildungswesen gelungen sei, ein praktikables Konzept vorzulegen, kommt Sutor zu dem Schluß, daß beide Fächer, solange kein gemeinsames Dach besteht, „zu koordinieren, aber nicht zu integrieren" seien.
In der Geschichtsdidaktik überwiegen Positionen, die — wie bei Rohlfes — der Geschichte aufgrund der angeblich nur ihr spezifischen Sachund Erkenntnisstrukturen wie Mehrdi-mensionalität, Multiperspektivität, Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, Individualität und Allgemeines, Ereignis und Struktur einen autonomen Bildungsauftrag zusprechen. Rohlfes räumt darüber hinaus der Geschichte einen Vorrang für die politische Bildung insgesamt ein, weil „historische Sachverhalte ... lehrreicher (seien)" als eine Untersuchung der Gegenwartspolitik, da „Anfang und Ende“ des Geschehens, „Konsequenzen und Tragweite vollzogener politischer Entscheidungen“ überblickt werden können. Politi-sche Fragen, d. h. Gegenwartsfragen, dienen im Geschichtsunterricht allenfalls als Einstieg in die Untersuchung der Vergangenheit. Demgegenüber hat der Sozialkundeunterricht den Auftrag, rechtliche, wirtschaftliche, soziale und verfassungsinstitutionelle Fragen zu behandeln, sowie „Probleme in die Dimension der Aufgabe zu versetzen" Damit will er direkt zur Veränderung der Wirklichkeit beitragen, wohingegen der Geschichtsunterricht nur bewußtseinsverändernd auf die Praxis einzuwirken vermag. Bei dieser klaren Aufgabentrennung und eindeutigen Prioritätensetzung bleibt kein Raum für Erwägungen einer Integration der Schulfächer.
Eine Außenseiterposition nimmt Süßmuth ein mit seiner an der Curriculumforschung wie an französischen und angloamerikanischen Vorbildern orientierten Konzeption des historisch-politischen Unterrichts. Auf der Grundlage der Geschichtswissenschaft als einer historischen Sozialwissenschaft und des Richtziels Emanzipation bestimmt er den Beitrag der Geschichte zur politischen Bildung, die er durchaus fächerübergreifend sieht, ohne dies jedoch näher auszuführen. Vielmehr konzentriert er sich auf die politische Aufgabe des Geschichtsunterrichts. Denn didaktisch zielt die Vergangenheitsanalyse auf die Lösung von Gegenwartsproblemen, vor allem auf die Aneignung eines Orientierungswissens; sie besitzt politische Implikationen. Aktualitätsund Zukunftsbezug sind vorrangige Unterrichtsprinzipien, Gegenwartsphänomene Ausgang und Ziel, aber nicht Gegenstand des Unterrichts. Die Analyse des geschichtlichen Verlaufs im Unterricht ist für ihn „vom Interesse an der Zukunft und vernünftigen gesellschaftlichen Verhältnissen“ geleitet.
Während weder in den Konzeptionen zur politischen Bildung noch in denen des Geschichtsunterrichts die Geographie auch nur erwähnt wird, wurde in der Didaktik der Geographie die Herausforderung der politischen Bildung äußerst produktiv verarbeitet. Hier überwiegen Positionen, die den Beitrag der Geographie zum gesellschaftswissenschaftlich-politischen Unterricht von unterschiedlichen Ansätzen her bestimmen, ohne jedoch ein Konkurrenzverhältnis zu den Sozialwissenschaften einschließlich der Geschichte aufzubauen. Bereits Geipel vertritt die Auffassung, daß die Sozialwissenschaften und die Geographie — und zwar die Länderkunde wie die Allgemeine Geographie — oftmals den gleichen Gegenstand untersuchen, jedoch unter grundsätzlich verschiedenen Aspekten. So vermögen seiner Ansicht nach auch die Länderkunde und die Allgemeine Geographie „politisch bildende Arbeit" zu leisten. Diese Intention verdeutlicht er an länderkundlichen Beispielen, aber auch an thematischen Beispielen, etwa bei der Behandlung Europas oder der Familie in unterschiedlichen Kulturen. Gesellschaftswissenschaftliche Einsichten integriert er als „sozialkundliche Aspekte ... in den erdkundlichen Bildungskanon" und zwar durch eine „stärkere Berücksichtigung der sozialgeographischen und sozialkundlichen Fragen"
Zum ersten Mal vermittelt Geipel dem Schulfach Erdkunde damit eine didaktisch be-gründete gesellschaftswissenschaftliche Perspektive. Vorstellungen über eine Kooperation der Fächer führt er nicht aus, betont jedoch, daß in einem umfassenderen Lernbereich Sozialkunde vor allem sozialgeographische Fragen und Einsichten im Fadi Erdkunde dominieren sollten.
Birkenhauer gehört zu jenen Didaktikern, die ihre Konzeption konsequent auf den neueren Ergebnissen der Sozialgeographie, verzahnt mit dem Curriculummodell von Robinsohn, aufbauen. Dabei geht er vor allem von den Daseinsfunktionen aus, nämlich sich fortpflanzen, in Gemeinschaft leben, wohnen, arbeiten, sich ernähren und versorgen, sich bilden, sich erholen und am Verkehr teilnehmen Dies sind „Aktivitäten verschiedener Sozialgruppen .... die ... als Aktivität der Gesellschaft insgesamt die Umwelt und den naturvorgegebenen Raum ... überformen, Funktionsstätten für den Ablauf der gesellschaftlichen Prozesse schaffen und den räumlichen Ablauf der Daseinsäußerungen ... ermöglichen“ Da Birkenhauer anerkennt, daß die Geographie allein nicht die gesellschaftlichen Erscheinungen erfassen und erklären kann, wohl aber deren räumliche Strukturen und Prozesse einschließlich ihrer raumordnerischen Konsequenzen, gilt für die Geographiedidaktik wie für den Geographieunterricht, daß sie „ihren Beitrag zur Sozialkunde und zur politischen Weltkunde mit guten Gründen erfüllen“ können. Wie die meisten Didaktiker dieses Faches entwickelt auch Birkenhauer keine eigenen Überlegungen zur organisatorischen Gestaltung des Verhältnisses der Fächer Erdkunde, Geschichte und Sozialkunde/Politik.
Auch andere Didaktiker der Geographie wie Filipp gehen bei unterschiedlicher Akzentsetzung von der Sozialgeographie aus, um die Lernziele und Inhalte eines erneuerten Erdkundeunterrichts, der viele inhaltliche Ergän-Zungen und Überschneidungen mit dem sozialkundlichen oder politischen Unterricht aufweist, zu erarbeiten. Sie betonen die Bedeutung der Sozialgeographie, aber auch der Politischen Geographie, die dazu beitragen soll, die Schüler zu befähigen, sich mit der räumlichen Umwelt auseinanderzusetzen. Folglich stehen bei ihnen die Daseinsgrundfunktionen im Mittelpunkt. Bei ihrer Behandlung im Unterricht überschneiden sich die Inhalte des Geographieunterrichts mit denen des Sozial-kunde-oder Politikunterrichts beispielsweise bei Fragen der Sozialisation oder der Raum-planung. Das Problem der Verknüpfung der Unterrichtsfächer bleibt auch bei ihnen vage; doch dürften sie als Befürworter, zumindest nicht als Gegner einer Fächerintegration interpretiert werden.
Ansätze zur gleichrangigen Berücksichtigung der Fächer Sozialkunde (Politik), Geschichte und Geographie liegen, abgesehen vom synoptischen Vorschlag des Deutschen Ausschusses für das Erziehungs-und Bildungswesen, in den Rahmenplänen für den Unterricht in Gesellschaftslehre/Politik an den Gesamtschulen Nordrhein-Westfalens und in den Hessischen Rahmenrichtlinien vor.
An den nordrhein-westfälischen Gesamtschulen werden die Fächer Politik, Geschichte und Erdkunde als zwar aufeinander bezogene, aber getrennte Schulfächer unter einer organisatorisch-didaktischen Klammer koordiniert Es bleibt jedoch weitgehend offen, wie Süßmuth kritisiert, auf welche Weise der Unterricht koordiniert werden kann, wenn die Aufgabenteilung zwischen politischem und historischem Unterricht mit der Trennung in Gegenwartsund Vergangenheitsorientierung begründet wird. Da bei diesem Verfahren die neueren sozialwissenschaftlich ausgerichteten Ansätze in der Geschichtswissenschaft, aber auch die Hinwendung der Sozialwissenschaften zur Geschichte übergangen werden, bezweifelt er mithin zu Recht, ob sich die so ausgerichteten Fächer überhaupt koordinieren lassen. In den Hessischen Rahmenrichtlinien, die den interessantesten Integrationsansatz darstellen, bilden die Trias: oberstes Lernziel, Lerntelder und lachspeziiische Arbeitsschwerpunkte die Grundpfeiler des Lehrplans. Während das oberste Lernziel, die „Befähigung zur Selbst-und Mitbestimmung“, das „die Kenntnis der Grundstrukturen gesellschaftlicher Wirklichkeit .... die Fähigkeiten (zu) begründeter Stellungnahme ..., (zur) Bestimmung der eigenen Position ... (und zum) überlegten Handeln“ einschließt, ebenso wie die Lernfelder Sozialisation, Wirtschaft, öffentliche Aufgaben und Intergesellschaftliche Beziehungen nicht an den Systematiken von Wissenschaf-ten orientiert sein sollen, trifft dies für die Arbeitsschwerpunkte zu.
Der sozialkundliche Schwerpunkt dominiert in diesem Integrationsansatz, da innerhalb der Lernfelder gegenwartsorientierte Analysen überwiegen, die darauf ausgerichtet sind, die Fähigkeit zur „Nutzung und Erweiterung des politischen Handlungsraumes“ zu vermitteln. Der geschichtliche Schwerpunkt ist , aspekthaft‘ unter den Kategorien Gegenwartsbezug, Ideologiekritik und Veränderbarkeit einbezogen. Darüber hinaus werden die neueren Erkenntnisse und Fortschritte der Geschichtswissenschaft kaum adäquat berücksichtigt wodurch insbesondere die Entscheidung für die historischen Kategorien unzureichend begründet bleibt und die politischsozialkundlichen Kategorien durch gesellschaftspolitische Entscheidungen Zustande-kommen. Der Integrationsansatz resultiert insgesamt nicht aus der Interdependenz politik-und geschichtswissenschaftlicher Fragen und Erkenntnisse. Der geographische Aspekt wird in den Kategorien „Raum“ als Umwelt und „Welt“ einbezogen und insbesondere mit sozialkundlichen Themen in den Lernfeldern „Sozialisation“ und „Intergesellschaftliche Beziehungen“ verbunden Da die inhaltlichen, methodischen und didaktischen Neuansätze der Sozialgeographie mit einbezogen werden, bleiben traditionelle geographische Gegenstände und Lernziele vernachlässigt oder werden ganz ausgeklammert Dadurch, daß gesellschaftswissenschaftliche Umweltaspekte und sozial-geographische Ansätze sich unter ergänzenden Fragestellungen auf gleiche oder ähnliche Gegenstände beziehenM), ist eine Integration zwischen sozialkundlichen und geographischen Aspekten gelungen.
Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß sowohl in den didaktischen Konzeptionen Geographie-und Geschichtsunterrichts die Frage des fächerübergreifenden politischen Unterrichts ausschließlich vom jeweiligen Fach her untersucht wird. Auf diese Weise wird Geschichte zur historischen Dimension gegenwärtiger Gesellschaft und Politik reduziert. Politik gilt einmal als ein unabhängiger, der Geschichte unterzuordnender Bereich; sie wird zum anderen funktional als Unterrichtsprinzip integriert, jedoch nicht weiter thematisiert.
Fast allen didaktischen Ansätzen ist der Ausgang von übergeordneten unterrichtlichen Zielsetzungen (Funktionszielen), die auf wissenschaftstheoretischen sowie politik-, geographie-oder geschichtstheoretischen Annahmen basieren, gemeinsam. Auf dieser Grundlage werden die Aufgaben und das Verhältnis von politischer und historischer Bildung begründet, aus denen seinerseits die Vorstellungen über die unterrichtliche Zuordnung der Fächer resultieren. Die neueren theoretischen und methodischen Erkenntnisse und Ergebnisse der Fachwissenschaften werden indessen nur partiell und kaum hinreichend berücksichtigt.
Aus der Analyse der vorgetragenen Ansätze möchte ich diese Ergebnisse festhalten und im folgenden insbesondere den zu wenig beachteten Fragen nach der Bedeutung der Fachwissenschaften für einen didaktischen Ansatz zum fächerübergreifenden politischen Unterricht nachgehen. *
II. Wissenschaftstheoretische und fachwissenschaftliche Grundlagen für eine Didaktik des fächerübergreifenden Unterrichts
Die Zuordnung von Schulfach und Fachwissenschaft begegnet im Bereich politischer Bildung größeren Schwierigkeiten als bei anderen Schulfächern. Während für die Fächer Geographie und Geschichte die gleichnamigen Disziplinen die unbestrittenen Grundlagenwissenschaften darstellen, gilt dies nicht gleichermaßen für das Fach Sozialkunde (Politik). Sein fachwissenschaftlicher Hintergrund wird teilweise in der Politikwissenschaft (Sutor) gesehen, teilweise in den Sozialwissenschaften insgesamt mit dem Schwerpunkt in der Politikwissenschaft (Schmiederer). Die divergierenden Positionen resultieren einmal aus der Auffassung, daß der Gegenstand politischer Bildung die „Gesellschaft insgesamt und in allen ihren verschiedenen Dimensionen" sei; zum anderen aus dem Verständnis von Politikwissenschaft als einer Disziplin, deren Forschungsobjekt das Politische im engeren Sinne als öffentliche Herrschaftsund Machtausübung einschließlich der politischen Meinungs-und Willensbildung ist.
Die Erkenntnisproblematik teilen die Sozial-wissenschaften mit allen anderen Wissenschaften. Sie heben sich dabei jedoch weniger durch autonome methodologische und theoretische Ansätze voneinander ab als vielmehr durch ihnen eigentümliche Fragestellungen und Erkenntnisziele die erst interdisziplinäre Kooperation und multiperspektivische Betrachtungsweisen ermöglichen.
Jede sozialwissenschaftliche wie jede didaktische Reflexion steht in einem bestimmten Subjekt-Objekt-Verhältnis. Sie ist zugleich vom „jeweiligen historischen Stand der Gesellschaft, ...dem Erkennnisniveau und den methodischen Mitteln"
der Wissenschaf-ten geprägt wie vom je individuellen Erkenntnisinteresse und politischen wie pädagogischen Entscheidungen und Zielen. Zum Prinzip der Wissenschaftlichkeit gehört, daß die Entscheidungen, Erkenntnisinteressen und -ziele in ihrem normativen und gesellschaftlichen Bezug offengelegt werden. Erst die auf derartiger Transparenz basierenden wissenschaftlichen Ergebnisse können intersubjektive Überprüfbarkeit und Objektivität beanspruchen Die am Demokratiegebot des Grundgesetzes ausgerichtete Zielbestimmung, daß der historisch-politische Unterricht zur Demokratisierung beitragen soll, ist trotz der „divergierenden gesellschaftspolitischen Profile eine eindeutige gesellschaftspolitische Entscheidung und gleichzeitig ein didaktisches Funktionsziel, dem das primäre Lernziel . Fähigkeit zur Selbst-und Mitbestimmung'korrespondiert.
Der wissenschaftlich fundierte historische, geographische und politische Unterricht in einer demokratischen Gesellschaft muß alle diejenigen „Denkformen, Begriffe, Fragestellungen, Fertigkeiten und Kenntnisse (vermitteln), die nötig sind, um selbst zu verantwortende Entscheidungen treffen zu können" wie es dem Postulat der Selbst-und Mitbestimmung entspricht. Dazu bedarf es stärker als in den bisher erarbeiteten Konzeptionen zum politischen, geographischen und historischen Unterricht der Hineinnahme des in den Sozialwissenschaften erarbeiteten Erkenntnis-und Problemstandes ihrer Verfahrensweisen und Ergebnisse. Diese Voraussetzungen bieten eine Grundlage, auf der das je besondere Potential der Geschichtsund Politikwissenschaft wie der Geographie entfaltet und für einen fächerübergreifenden politischen Unterricht nutzbar gemacht werden kann.
Die spezifisch geschichtswissenschaftliche Fragestellung zielt auf „die Erklärung des ge-sellschaftlichen Wandels in der Zeit" auf seine Ursachen, Eigenarten und Auswirkungen. Sie geht aus von der „Erfahrung des steten Wandels aller gesellschaftlichen Ordnungen" die namentlich in einer von rapiden technischen und ökonomischen Entwicklungen gekennzeichneten Zeit die objektive Situation und das subjektive Bewußtsein prägen. Diese Fragehaltung richtet sich auf „ganze Gesellschaften oder ähnlich komplexe Systeme (wie z. B. Städte)", aber auch auf Teilsysteme und Einzelprobleme Sei es die Untersuchung partieller Wirklichkeitsbereiche, sei es der Versuch, die Gesamtgeschichte eines Zeitraumes zu erfassen; die historische Forschung — primär auf „das Prozeßhafte aller gesellschaftlichen Phänomene gerichtet — untersucht in dieser Perspektive die kausalen und funktionalen Beziehungen zwischen sozialen, ökonomischen, politischen und kulturellen Faktoren. Da stets konkrete Situationen, Konstellationen und Gegenstände betrachtet werden, können die jeweiligen individuellen Besonderheiten von generellen Tendenzen, können kurz-und mittelfristige Erscheinungen von langfristigen Veränderungen unterschieden werden
Für die Bearbeitung ihrer Aufgaben wendet die heutige Geschichtswissenschaft „Methoden (an), die jenen der Sozialwissenschaften im Prinzip ähnlich sind" Sie versucht, ihre traditionellen, quellenkritischen und hermeneutischen Verfahren mit den von den systematischen Sozialwissenschaften angebotenen Begriffen, Modellen und Theorien, typisierenden, generalisierenden und quantifizierenden Verfahren zu verknüpfen. Denn diese erleichtern die Erforschung überindividueller Phänomene, Strukturen und Prozesse, sowie dia-chronische und synchronische Vergleiche. Die Erkenntnisse und Leistungen der Geschichtswissenschaft besitzen gesellschaftliche Funktionen, die sich in didaktischer Perspektive auf die Frage nach ihrem Beitrag zur politischen Bewußtseinsbildung zuspitzen:
1. Die Erkenntnis der historischen Dimension von Gegenwartsphänomenen erweitert die Einsicht in ihre Ursachen und Entwicklung. Sie relativiert die angeblich konstanten Sachzwänge in modernen komplexen Gesellschaften durch den Nachweis möglicher Alternativen in der Vergangenheit. Sie ermöglicht es, daß die Gegenwart sich ihrer Historizität kritisch bewußt wird, einerseits vor dem Hintergrund ihrer eigenen Vergangenheit, andererseits darin, daß sie die Vergangenheit im Lichte gegenwärtiger Erfahrungen und Maßstäbe mißt
2. Der Aufweis des Wandels der Vergangenheit zur Gegenwart führt zur Erkenntnis der prinzipiellen Veränderbarkeit aller gesellschaftlichen Verhältnisse.
3. Sachverhalte, die zeitlich und räumlich entfernt sind, vermitteln modellhaft Kategorien und Einsichten, die neben der Erfahrung des frappierend anderen gesellschaftlichen Lebens indirekt der Vorstellung möglicher Alternativen dienen können.
4. Die Geschichte nimmt auch die Rolle eines Kollektivgedächtnisses wahr und kann in dieser Funktion zur Produzentin von Integration, Mythen und Rechtfertigungsideologien mißbraucht werden.
5. Nicht zuletzt vermittelt die Geschichte Wissen, Vorstellungen und Erfahrungen, Motivationen und Normen, die auch die Handlungsfähigkeit in der Gegenwart zumindest indirekt beeinflussen
In dieser Konzeption als historische Sozialwissenschaft eröffnet die Geschichtswissenschaft eine Kooperationsmöglichkeit mit der Politikwissenschaft als einer kritischen Sozialwissenschaft. Die spezifisch politikwissenschaftliche Fragestellung richtet sich auf das . Politische" als Differenzierungsmerkmal. Bereits bei der Bestimmung des Politikbegriffs tritt die Situation der Politikwissenschaft mit ihrer gegenwärtigen Tendenz zur Desintegration zutage, die sich in der mangelnden Kooperationsbereitschaft der einzelnen politikwissenschaftlichen Schulen ausdrückt.
Allgemein hat es Politikwissenschaft mit Entscheidungen oder politischem Handeln als einer bestimmten Form des sozialen Handelns zu tun, das sich auf die Gesellschaft insgesamt wie ihrer Teilbereiche b*ezieht Politisches Handeln ist bewußtes und geplantes und damit rationales Handeln von Individuen und Gruppen. Es ist von Motiven und normativen Zielen bestimmt, muß anderen vermittelbar sein und dient der Erreichung gesetzter Zwecke; es basiert auf den Interessen von Gruppen und Klassen und versucht, diese im politischen Prozeß durchzusetzen
Bei der inhaltlichen Differenzierung des Politikbegriffs treffen divergierende und konkurrierende Auffassungen aufeinander, die unterschiedliche Dimensionen der politischen Realität akzentuieren. Für den normativ-ontologischen Ansatz ist die „Problematik des . guten Lebens" im praktisch-philosophischen Sinne und (die) darauf bezogene richtige politische Ordnung“ der zentrale Inhalt der Politikwissenschaft, „von der her politische Praxis ... Sinn und Maß" erhält. Im Rahmen des dialektisch-historischen Ansatzes stellt nach marxistischem Politikverständnis „der politische Prozeß ... unter verschiedenerlei Vermittlungen eine abhängige Variable des Klassenkampfes" dar; daher bilden die „Interessen, die die Klassen ... verfolgen, den In-halt der Politik” Da im strengen Sinn der Klassenkampf nicht als ein eigenständiges, sondern als ein abgeleitetes Phänomen verstanden wird, das auf Antagonismen in der Produktionsphäre zurückgeht, wird das Politische auf das Ökonomische reduziert Nach empirisch-analytischem Politikverständnis erfaßt die politische Handlungsdimension entweder die autoritativen Entscheidungen über die Verteilung von Gütern und Leistungen oder die subjektiven Attitüden gegenüber objektiven Macht-und Herrschaftsbeziehungen sowie Normen und Werten. Und im . realistischen'Politikverständnis sind die Probleme von Macht und Herrschaft, insbesondere des Machterwerbs, der Machtbehauptung und der Prozesse, durch die sich das politische System machtstrukturell verändert, wichtigste Aufgabe der Politikwissenschaft
Eine kritisch orientierte Politikwissenschaft darf nicht übersehen, daß die . Isolierung und Verabsolutierung" eines einzelnen Ansatzes politikwissenschaftlich zu einer Verkürzung des Gegenstandes und der Erkenntnisaufgabe führt und didaktisch die eigene Erkenntnisgewinnung in einer mehrdimensionalen Realität beschränkt. Ein kritisches Politikverständnis wird versuchen, der Komplexität des Gegenstandes durch die Verknüpfung kompatibler Theorieansätze, Kategorien und Methoden gerecht zu werden. Ein primäres Anliegen ist es, die Beziehungen und das politische Handeln von Individuen und Gruppen im gesellschaftlichen Kontext sowohl in seinen strukturellen und funktionalen wie normativen Dimensionen mit den damit verbundenen Theorieansätzen und Methoden zu untersuchen Dabei müssen insbesondere in Ideologie-, gesellschaftsund herrschaftskritischen Analysen die materiellen und wert-orientierten Bedürfnisse, Interessen und Zielvorstellungen gesellschaftlicher Gruppen, die Konflikte und Strategien zu ihrer Durchsetzung einschließlich ihrer Wandlungstendenzen untersucht werden. * Die Erkenntnisse und Leistungen der Politikwissenschaft besitzen gesellschaftliche Funktionen, die ähnlich wie die der Geschichtswissenschaft zur politischen Bewußtseinsbildung und darüber hinaus zur politischen Handlungsfähigkeit beizutragen vermögen:
1. Die historische Dimension ergänzt die primär gegenwartsbezogene Betrachtungsweise und eröffnet die Erkenntnis, daß politische Systeme dynamische Gebilde sind und sich im geschichtlichen Ablauf ändern, aber auch, daß vergangene Strukturen und Prozesse noch die Gegenwart beeinflussen.
2. Der Aufweis der prinzipiellen Veränderbarkeit aller und damit auch gegenwärtiger gesellschaftlicher Verhältnisse verhilft zur Einsicht in die Notwendigkeit, politische Zielorientierungen für die Zukunft aufzustellen.
3. Die Möglichkeit, Realisierungschancen und -grenzen politischer Zielorientierungen einschätzen und sie praktisch durchsetzen zu können, verlangt die Berücksichtigung der beteiligten gruppen-und klassenspezifischen Interessen und ihrer Konfliktfähigkeit sowie der jeweiligen strukturellen Rahmenbedingungen.
4. Die Fähigkeit zu Ideologie-, gesellschafts-und herrschaftskritischer Analyse ermöglicht es, die angebotenen Denkschemata und Meinungen über Staat und Politik, normative Zielvorstellungen und Systemerfordernisse sowohl als Resultat gesellschaftlicher Prozesse und Kräfte zu durchschauen als auch mit der konkreten und aktuellen Wirklichkeit zu konfrontieren
5. Nicht zuletzt vermittelt die Politikwissenschaft durch ihren Praxisbezug die notwendigen Voraussetzungen dafür, daß die erarbeiteten Denk-und Verhaltensweisen der Klärung der eigenen Interessen und des eigenen Standorts dienen sowie in der Suche nach Durchsetzungsmöglichkeiten von Zielen und Interessen praktisch angewandt werden.
Die spezifisch geographische Fragestellung richtet sich allgemein auf den Beziehungszusammenhang zwischen „Mensch bzw. Gesellschaft und Lebensraum“; dies bedeutet, die Geographie „versucht, die (je) ausgewählten (räumlichen) Sachverhalte gleichzeitig in ihren natürlichen wie menschlich-kulturellen Bezügen zu sehen“ In der raumdifferenzierenden Betrachtungsweise, wie sie heute vor allem der Länderkunde und der Sozialgeographie zugrunde gelegt wird, geht es um räumliche Strukturen aller Art sowie um die „Art der zwischen den Sachverhalten und Entwicklungsprozessen bestehenden funktionalen Verknüpfungen" Auf diese Weise werden Raumeinheiten auf der Erdoberfläche erfaßt, die in ihrem dynamischen Gleichgewicht und Wandel — auch Grundkategorien der regionalen Prozesse und Entwicklungen — untersucht werden, wobei von den jeweiligen natürlichen und gesellschaftlichen Bedingungen ausgegangen wird.
Die Komplexität der geographischen Sichtweise — nämlich die Sachverhalte in ihren natürlichen, ihren kulturellen wie sozialen Zusammenhängen zu erfassen — hat zu einer erheblichen Spezialisierung dieser Wissenschaftsdisziplin in verschiedene Teilbereiche geführt. So stehen sich heute als Hauptrichtungen gegenüber die „Geo-Okologie, die der Erfassung des Wirkungsgefüges des Naturhaushalts (dient) und die Sozialgeographie" die den Kulturraum untersucht, sowie die beide Fachrichtungen integrierende neuere Länderkunde und die Angewandte Geographie oder Umweltwissenschaft, die sich vorrangig der Stadt-und Landesplanung zuwendet.
Die heutige Sozialgeographie stellt eine „Weiterentwicklung der funktionalen Anthropogeographie unter sozialwissenschaftlichen Aspekten" dar, die in ihrer inhaltlichen und methodischen Neuorientierung „enge Verbindungen und starke Konvergenzen zur empirischen Soziologie und regionalen Wirtschaftsforschung“ einschließlich ihrer quantitativen Methoden und Arbeitstechniken aufweist. Es ist das Ziel der Sozialgeographie im Unterricht, „zum Verständnis der Raumwirklichkeit beizutragen, konkret, realitätsnah und anschaulich“ Darüber hinaus wird der Sozial-geographie die Aufgabe gestellt, „auf die Lösung von Gestaltungsproblemen der Gesellschaft, die als akut und vorrangig bewertet werden, mindestens mittelfristig hin(zu) zielen“
Ein ähnliches Ziel verfolgt auch die Länderkunde, die „die Zusammenhänge physischer, kultureller, wirtschaftlicher und sozialer Strukturen“ und „Gestaltungskräfte bestimmter Großräume und Länder untersucht und die Bewertung der Landesnatur“ einschließt. Das Hauptaugenmerk liegt sowohl auf der Verbindung der sozialen und wirtschaftlichen Prozesse mit den Faktoren der Landesnatur als auch auf der kritischen Reflexion der räumlichen Entwicklung in den Untersuchungsgebieten.
Auch die Erkenntnisse und Leistungen der Geographie besitzen gesellschaftliche Funktionen, die als Einsichten und Fähigkeiten didaktisch insofern relevant werden, als sie zur aktiven Auseinandersetzung mit der Umwelt dienlich sein können:
1. Die Orientierung in den komplexen räumlichen Systemen wie sie Länder, Lebensräume und wirtschaftliche wie politische Räume darstellen, bietet die Voraussetzung dafür, das Wechselverhältnis zwischen menschlichem Handeln und Naturraum oder Kulturraum zu erkennen.
2. Die Einsicht in die zwischen Mensch und Raum bestehenden Abhängigkeitsverhältnisse vermittelt das Verständnis für die Beziehungen, Konflikte und Abhängigkeiten zwischen Menschen, sozialen Gruppen und Gesellschaften, die durch regionale Kontakte unterschiedlichen Grades bestimmt sind.
3. Die Notwendigkeit, den Raum zu bewerten, insbesondere den Handlungs-und Planungsraum des Menschen in den verschiedensten Regionen, führt zur Erkenntnis der Möglichkeiten und Folgen steuernder Eingriffe und Maßnahmen in den Lebensraum.
4. Die Geographie vermittelt auch die Erkenntnis, daß die Verflechtung der Völker auf der Erde und das Schrumpfen der Entfernung voneinander durch die gesteigerten Kommunikationsmittel Chancen und Gefahren in sich birgt. 5. Wandlungen im Sozial-und Wirtschaftsgefüge vermögen den unmittelbaren Umweltbereich und fremde Räume zu beeinflussen. Daher müssen Weltprobleme wie die Überbevölkerung oder die Welternährungsfrage als alle Menschen berührende Fragen erkannt werden
Es bleibt unbestritten, daß der Sozialkunde-, der Geographie-wie der Geschichtsunterricht auch isoliert gesellschaftsrelevante Erkenntnisse vermitteln kann. Doch ist es nicht unberechtigt, anzunehmen, daß bei einer inhaltlichen Verknüpfung dieser Fächer — die ausgeht von den aufgewiesenen gemeinsamen und sich ergänzenden Erkenntnismöglichkeiten für eine umfassende politische Bewußtseinsbildung und Handlungsorientierung — die von den drei Fächern gesetzten Ziele der Selbst-und Mitbestimmung effektiver erreicht werden können.