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Politische Erwachsenenbildung | APuZ 48/1978 | bpb.de

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APuZ 48/1978 Artikel 1 Ende des bürgerlichen Zeitalters? Betrachtungen zur antibürgerlichen Welle der Zwischenkriegszeit Politische Erwachsenenbildung

Politische Erwachsenenbildung

Ein Positionspapier von Hans Bolewski, Bernhard Gebauer, Manfred Hättich, Albrecht Martin, Hildegard Matthäus, Heinrich Oberreuter, Hans Palm, Hans-Ulrich Reh, Herbert Scheffler, Werner Scherer, Rudolf* Sussmann Rudolf* Werner Scherer Herbert Scheffler Hans-Ulrich Reh Hans Palm Heinrich Oberreuter Hildegard Matthäus Albrecht Martin Manfred Hättich Bernhard Gebauer Ein Positionspapier von Hans Bolewski Sussmann

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Zusammenfassung

Die Arbeitsgruppe Politische Bildung/Weiterbildung hat sich 1974 im Rahmen der Akademiearbeit der Konrad-Adenauer-Stiftung konstituiert. Ihr gehören an: Praktiker der politischen Erwachsenenbildung, Wissenschaftler, Vertreter von Verbänden und Politiker. Sie sieht ihre zentrale Aufgabe in der Unterstützung der politischen Bildungsarbeit vorrangig in den freiheitlich-sozial orientierten Bildungsstätten und konzentrierte sich bisher in ihrer Arbeit auf die Schwerpunkte: Zielvorstellungen der politischen Bildung, Realisierbarkeit von Bildungsurlaub, Erarbeitung von Grundsätzen einer praxisorientierten Ausbildung von Erwachsenenbildnern und Mitwirkung an einem politischen Konzept zur Weiterbildung. Seit 1977 arbeitet sie an einem Positionspapier zur politischen Erwachsenenbildung, das Grundlagen und Zielprojektionen aufzeigt und zu den zentralen Problemen politischer Bildungsarbeit in der Bundesrepublik Deutschland Stellung nimmt. Keines unserer parlamentarischen, demokratischen westeuropäischen Nachbarländer kennt eine so umfangreiche politische Erwachsenenbildungsarbeit wie die Bundesrepublik Deutschland, und in keinem dieser Länder wird politische Erwachsenenbildung in privater und öffentlicher Trägerschaft so intensiv öffentlich gefördert. Gerade weil dies so ist, wird im Zusammenhang mit krisenhaften politischen Situationen und deren Folgen politische Bildungsarbeit immer wieder problematisiert, werden ihre vermeintlichen und realen Ergebnisse auch öffentlich kritisiert. Politische Bildung ist nicht problembeladener und krisenhafter als das politische und soziale Leben der Gesellschaft, in der sie sich vollzieht. Sie nimmt allerdings teil an krisenhaften Entwicklungen und kann sowohl bremsende wie verstärkende Wirkung haben. Weil dies so ist, hat sich die zunehmende politische Polarisierung und politische Konfrontation der politischen Kräfte in Staat und Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland auch auf die Theorie und Praxis der politischen Bildung ausgewirkt. Die Verständigung und Konsensbildung hinsichtlich der Ziele, zentralen Aufgaben und Inhalte, der Methoden und der gesetzlichen Rahmenbedingungen ist nicht nur schwieriger geworden, sondern bedarf neuer Impulse. Das Positionspapier zur politischen Erwachsenenbildung ist der Versuch eines Beitrags zur neuen Konsensbildung über die und in der politischen Erwachsenenbildung in der Bundesrepublik Deutschland.

I. Begründungen für politische Erwachsenenbildung

INHALT I. Begründungen für politische Erwachsenenbildung 1. Im Interesse des Bürgers 2. Im Interesse des Staates II. Allgemeine Ziele politischer Erwachsenenbildung 1. Rationale Urteilsbildung 2. Das Einüben der Bürgerrolle 3. Der rationale Dialog III. Der Ordnungskonsens — Öffentliche Förderung und Verfassungskonsens IV. Ziele, Inhalte und Methoden der politischen Erwachsenenbildung — Differenzierte Teilnehmererwartungen, Wissensdefizite und Programmgestaltung V. Politische Bildung und politische Aktion — 鴐߂?

i. Im Interesse des Bürgers Die Demokratie bedarf der Bürger, die ihre Interessen artikulieren und sie in gesellschaftliche und politische Zusammenhänge einordnen können.

Die Demokratie bedarf der Bürger, welche die politischen Prozesse, in die ihre Bedürfnisse eingehen sollen, verstehen und die den Handlungszusammenhang, in dem die Repräsentanten stehen, nachvollziehen können.

Unsere freiheitliche Demokratie gründet in Werten, die sich im wesentlichen in der abendländischen, Geschichte entwickelt haben und in deren Zentrum die Würde des Menschen steht. Es gehört zu den Aufgaben der politischen Bildung, diese Werte im politischen Bewußtsein lebendig zu halten.

Unsere freiheitliche Demokratie ist im Vergleich zu anderen politischen Ordnungen rational und argumentativ am schlüssigsten von den Bedürfnissen der Menschen her zu begründen. Es liegt im Interesse der Erhaltung dieser Ordnung, daß möglichst viele Bürger ihre politische Ordnung nicht nur gefühlsmäßig bejahen, sondern auch argumentativ verteidigen können und bereit sind, sich zu engagieren.

Bei den in irgendeiner Weise politisch Interessierten lassen sich in unterschiedlich gestreuter Intensität folgende Bedürfnisse ausmachen: — Informationsbedürfnis — Orientierungsbedürfnis — Identifizierungsbedürfnis — Kritikbedürfnis — Kommunikationsbedürfnis — Handlungsbedürfnis Für diese Bedürfnisse muß die politische Erwachsenenbildung entsprechende Hilfen an-bieten; aus ihnen ergeben sich sowohl Pflichten der Erwachsenenbildung als auch Qualifikationskriterien der pädagogischen Mitarbeiter. Es gibt für die politische Information vielfältige Angebote seitens der Medien, Parteien und Verbände. Diese Informationen sind in der Regel jedoch nicht zureichend strukturiert. Die Fülle des Angebotes führt zu einer Verwirrung, die eher Orientierungslosigkeit bewirkt und damit zur Beeinträchtigung des Urteilsvermögens führt. Eine kontinuierliche, selbständige Weiterbildung mit Hilfe der vorhandenen Medien erfordert einen nur von wenigen aufbringbaren Arbeitsund Zeitaufwand und ist ohne Dialog mit anderen nicht möglich. Politische Erwachsenenbildung hat nicht zuletzt die Aufgabe der Stärkung eigenständiger Personalität unter dem Gesichtspunkt des Sichzurechtfindens unter Mitverantwortung in der sozialen und politischen Umwelt.

Unter eigenständiger Personalität-wird nicht völlige Unabhängigkeit im Sinne der Abwesenheit von Fremdbestimmungen, Zwängen und Einflüssen verstanden. Es geht vielmehr darum, daß der einzelne die sein Verhalten bestimmenden Faktoren erkennen, zwischen notwendigen und nicht notwendigen Zwängen, zwischen wählbaren und nicht wählbaren Einflüssen unterscheiden kann und so zu einer von ihm möglichst selbst-oder zumindest mitverantworteten Lebensführung kommen kann.

Auch eine umfassendere und intensivere politische Bildung in den Schulen, als sie derzeit geschieht, könnte politische Erwachsenenbildung nicht ersetzen. Dasselbe gilt für das Verhältnis von Erwachsenenbildung zur außerschulischen Jugendbildung. Weder die Schule noch die außerschulische Jugendbildung können die Erfahrungssituationen des Erwachsenenalters vorwegnehmen, in denen sich Umweltbedingungen, Bedürfnisse und Handlungsmöglichkeiten anders stellen. Darüber hinaus gilt die heute allgemeine Notwendigkeit des lebenslangen Lernens nicht nur für die beruflichen Tätigkeiten. Gerade derjenige, dem in der Schule die elementaren Fähigkeiten zur bewußten Erfassung der sozialen und politischen Umwelt vermittelt wurden und der in der außerschulischen Jugendbildung begonnen hat, seine Kenntnisse zu vertiefen und diese Fähigkeiten anzuwenden, muß die Möglichkeit ständiger Weiterbildung haben, da diese Umwelt nicht statisch, sondern stets in Veränderungen begriffen ist.

Auch wenn die verschiedenen Stufen einer fachspezifischen oder allgemeinen Bildung nicht ohne Einfluß auf das Verhältnis zur Politik sind, so lassen sich die dort gewonnenen Fähigkeiten nicht ohne weitere Bildungshilfe übertragen. Bekanntlich determinieren Fähigkeiten anderer Bildungsbereiche noch keineswegs politische Urteile auf gleichem Niveau. Und um in anderen Zusammenhängen erworbene Fähigkeiten auf die Politik anwenden zu können, muß der Bereich der Politik erst bekannt sein.

Politische Bildung kann zur politischen Aktivität motivieren, aber sie legitimiert sich nicht erst durch diese Zielsetzung oder Wirkung; sie hat schon allein dann ihren Sinn, wenn sie Kenntnisse und Verstehen von Politik vermittelt.

Das Ziel muß jedoch sein, möglichst viele Bürger für ein aktives Verhältnis zur freiheitlichen Ordnung zu gewinnen. Die Entscheidung über den Grad des politischen Engagements liegt aber beim Bürger selbst. Da es also nicht Sache der politischen Bildung sein kann, die Auswahl der Engagierten zu treffen, muß sie ein Angebot an alle Bürger sein.

Aber auch gerade für bereits engagierte und aktive Bürger ist politische Bildung notwendig. Es gibt Lernprozesse der Praxis, die durch institutionalisierte Bildung nicht ersetzt werden können. Es gibt aber auch Lernprozesse, die nur in Distanz zur Praxis möglich sind. Dem politisch Aktiven muß politische Bildung die Möglichkeit geben, zeitweise außerhalb der Praxis über die Praxis nachdenken zu können. Dies ist schon deshalb notwendig, weil das politische Engagement der Lernfähigkeit auch entgegenwirken kann. Gerade wer sich politisch festgelegt hat, tut sich allein schwer, Zusammenhänge auch losgelöst von seiner jeweiligen Position zu betrachten, auf andere zu hören und andere Sichtweisen nachzuvollziehen. 2. Im Interesse des Staates Den Prinzipien einer freiheitlich-demokratischen Ordnung widerspricht es, den Bürger durch Indoktrination oder Orientierungslosigkeit lenkbar zu machen. Dies können aber demokratische politische Parteien auch in ihrem eigenen Interesse nicht wollen.

Eine andere Form der Lenkbarkeit basiert auf traditional und emotional verfestigten Einstellungen, die zwar auf der einen Seite stärker gegen Verführbarkeit immunisieren, auf der anderen Seite die Menschen aber innerhalb der Gesinnungsgruppe insofern lenkbar machen, als sie über politische Einzelentschei-düngen weniger nachdenken, solange sie das Gefühl haben, daß die prinzipielle Ausrichtung noch gegeben ist. Hier wird dann von der politischen Bildung als einem aufklärerischen Faktor eine Verunsicherung der Anhänger befürchtet. Eine solche Auffassung richtet sich zunächst gegen die eigene Grund-position, weil sich diese offensichtlich gegenüber rationalem Denken nicht für gesichert genug hält, oder sie mißachtet den Bürger, indem sie diesen nicht für fähig hält, argumentative Begründungen nachzuvollziehen. Darüber hinaus beruht sie auf dem Irrtum, es hanB dele sich bei der politischen Bildung nur um Schärfung des kritischen analytischen Intellekts, nicht aber auch um Wertvermittlung. Die repräsentative Demokratie ist labil, wenn nicht in allen Gruppen der Bevölkerung eine große Zahl von Bürgern ihre Verantwortung aktiv wahrnimmt und ihr politisches Urteil nach gewissenhafter Prüfung fällt. Diese bedarf des rationalen Dialogs zwischen Volksvertretern und Bürgern.

II. Allgemeine Ziele politischer Erwachsenenbildung

Auch die Zielsetzungen politischer Erwachsenenbildung sind — ebenso wie die dargelegten Begründungen — unter einem doppelten Aspekt zu sehen. Zunächst einmal sind Fähigkeiten des einzelnen zu entwickeln und zu fördern. Durch möglichst breite Streuung dieser Fähigkeiten soll politische Bildung dann auch Einfluß nehmen auf die politische Kultur der Gesellschaft. 1. Rationale Urteilsbildung Politische Bildung soll dazu beitragen, daß der einzelne seine sozialen und politischen Urteile rationaler bilden kann.

Unter Rationalität wird hier vor allem die Fähigkeit verstanden, die eigenen Urteile auf ihr Zustandekommen und auf ihr Verhältnis zur sozialen und politischen Wirklichkeit hin überprüfen zu können. Es wäre aber utopisch, als Zielsetzung der politischen Bildung einen Bürger vor Augen zu haben, der sich nur noch ausschließlich rational in diesem Sinne verhalten, der ständig alle seine Urteile überprüfen würde. Es geht vielmehr darum, daß der Bürger dazu grundsätzlich in der Lage ist und sich vor allem vor wichtigen Entscheidungen rational verhält. In dem Maße, in dem er dazu nicht fähig ist, bleibt er von seinen subjektiven Stimmungslagen, von Fremdurteilen, von Überredung und Gruppendruck, von seinen Augenblicksinteressen abhängig. Das bedeutet dann aber auch, daß er als Bürger einer freiheitlichen politischen Gemeinschaft von den verfassungsmäßig garantierten Meinungs-, Rede-und Koalitionsfreiheiten nicht als relativ autonomes Subjekt Gebrauch mahen kann, sondern Objekt seiner unmittelbaren Umwelteinflüsse und der jeweiligen öffentlich wirksamen Meinungen und Verhaltensweisen bleibt.

Zur Rationalität im hier gemeinten Sinne gehört nicht nur die Pflege des analysierenden Intellekts. Das Einüben des Denkens in Zusammenhängen, des Erkennens der Wertrelevanz politischer Sachverhalte und der Wahrnehmungsfähigkeit für die Lebenssituationen und Bedürfnisse anderer ist nicht weniger wichtig. Deshalb kann diese Zielsetzung auch nicht als Vernachlässigung oder gar Unterdrückung emotionaler Dimensionen verstanden werden. Es geht um die Verstärkung der Kompetenz des einzelnen, alle Fähigkeiten, durch die er in politisch relevante Umweltbeziehungen treten kann, bewußt steuern zu können. Solche Kompetenz wird nicht in einem einmaligen Bildungsgang erworben, um dann kontinuierlich aktualisiert zu werden. Sie muß immer wieder trainiert werden, weil die ihr entgegenstehenden Faktoren im Alltagsleben zu mächtig sind.

Die Betonung von formalen, inhaltlich also zunächst offenen Kompetenzen beruht ihrerseits auf einer Wertentscheidung. Denn der Würde der Person entspricht und aus dem Recht auf Entfaltung der Persönlichkeit folgt unter anderem auch das Recht auf eigene Meinung, auf selbstverantwortetes Urteil. Die Pflege der formalen Urteilskompetenz ergibt sich also aus einer prinzipiellen, wertorientierten Auffassung über die Situation des Menschen in der Gesellschaft. Somit ist die Förderung solcher formalen Kompetenzen auch eine Konsequenz der freiheitlich-demokratischen Verfassungsordnung. Sie ist als systemkonformes Postulat auch nur in einer freiheitlichen Ordnung sinnvoll, da jede andere Ordnung das selbständige politische Urteil zumindest als störend diffamiert. Stärkung der personalen Autonomie und Förderung des selbständigen Urteils sind entscheidende Postulate, die nicht von der Utopie eines isolierten Individuums ausgehen. Sie haben nicht die Aufhebung aller Abhängigkeiten und Bindungen zum Ziel, sondern die Möglichkeit des Bewußtseins der Abhängigkeit und damit auch eine gewisse Kompetenz, zwischen alternativen Abhängigkeitsmöglichkeiten wählen zu können.

Eine Fehlentwicklung der Betrachtungsweisen des Verhältnisses zwischen dem einzelnen und der Gesellschaft in den letzten Jahren ist unter anderem auch darin zu sehen, daß die Kategorie der Abhängigkeit nur noch ausschließlich negativ wertbesetzt behandelt wurde. Schon deshalb gehen viele Aussagen der sogenannten emanzipatorischen Pädagogik an der Wirklichkeit der menschlichen Existenz und damit an den Möglichkeiten der tatsächlichen Hilfe für den einzelnen vorbei. Jede soziale Beziehung enthält immer auch Momente der Abhängigkeit, die für den einzelnen keineswegs nur belastend, sondern auch entlastend, für die Verwirklichung menschlicher Existenz geradezu notwendig sind.

Rationalität des Urteils heißt in diesem Zusammenhang zunächst nichts anderes als die Fähigkeit, sich unter anderem auch seiner Abhängigkeit bewußt zu werden. Dies kann zu einer Ablehnung von Abhängigkeiten und zu dem Versuch, sich von ihnen frei zu machen, führen, wo man in ihnen keinen Sinn sieht. Es kann aber ebensogut zu bewußten Bejahungen von Abhängigkeiten führen und ist auch dann ein personalautonomer Akt. Auch die bewußte Übernahme der Bürgerrolle in einem Staat ist ohne Anerkennung der Abhängigkeiten und Gehorsamsverpflichtungen nicht denkbar.

Es ist ein durchaus richtiges Teilziel von politischer Bildung, wenn gesagt wird, die Menschen sollen in ihr lernen, ihre eigenen Interessen zu erkennen und zu artikulieren. Als ausschließliches und verabsolutiertes Ziel ist dies jedoch anarchistisch und asozial. Es wird in solcher Ausschließlichkeit meistens auch gerade von jenen vertreten, die auf der anderen Seite vorgeben, sie wüßten ziemlich genau, welches die Interessen der einzelnen zu sein hätten. Eine solche Mischung von anarchistischen und kollektivistisch-totalitären Tendenzen hat die politische Bildung in den letzten Jahren teilweise in Mißkredit gebracht. Solche Tendenzen müssen notwendigerweise die politische Bildung in Manipulation und Indoktrination verfälschen und widersprechen dem Menschenbild unserer Verfassung. 2. Das Einüben der Bürgerrolle Indem politische Bildung Menschen motiviert und ihnen hilft, ihre Bürgerrolle in der Demokratie wahrzunehmen, dient sie nicht nur den einzelnen, sondern auch dem Staat, dem in ihm verfaßten Volk und seinen Gruppen. Will politische Erwachsenenbildung möglichst vielen Bürgern helfen, dann muß ihr ein differenziertes Bild der Möglichkeiten, die Bürgerrolle zu verwirklichen, zugrunde liegen. Die Formel, politische Bildung habe die Bürger zum politischen Engagement zu führen, ist nicht falsch. Sie ist aber zu eng gefaßt, weil sie von vornherein jene Menschen ausschließt und entmutigt, die, aus welchen Gründen auch immer, ein besonderes politisches Engagement für sich selbst nicht vorsehen wollen.

Vor allem aber ist der Begriff des politischen Engagements in den letzten Jahren häufig zu einseitig ausgelegt worden. Diese Einseitigkeit hat vor allem zwei Aspekte:

1. Es wird so getan, als würde der einzelne seine Bürgerrolle erst dann verantwortlich wahrnehmen, wenn er sich kontinuierlich politisch betätigt. Im Extrem geht dies so weit, daß man dem Bürger einredet, er würde seine politische Verantwortung nur wahrnehmen, wenn er alles, was er tut oder erlebt, auch unter politischen Gesichtspunkten betrachtet. 2. Die wichtige Forderung nach Kritikfähigkeit wird vielfach überzogen, indem ausschließlich das kritische Engagement als das für den Bürger angemessene ausgegeben wird. Mit Hilfe eines oberflächlichen Kritik-begriffes wird nur das negative Werturteil gegenüber dem Staat, seinen Institutionen und gegenüber den politischen Repräsentanten als wahrhaft kritisches Urteil charakterisiert. Inhaltliche Übereinstimmung zwischen Regierten und Regierenden wird von vornherein verdächtigt oder als falsches Bewußtsein diffamiert.

Demgegenüber muß die Rolle des Bürgers differenziert gesehen werden, wenn politische Bildung nicht von jeweiligen Gruppen einseitig instrumentalisiert werden soll. Ein Bürger, der Politik lediglich aufmerksam beobachten will, soweit ihm dies möglich ist, um an den allgemeinen Wahlen mit einigermaßen begründetem Urteil teilnehmen zu können, realisiert bereits ein politisches Engagement, das nicht gering zu schätzen ist. Politische Bildung darf ihm die Hilfe zu solchem Engagement nicht versagen. Selbstverständlich soll politische Erwachsenenbildung die Möglichkeiten eines darüber hinausgehenden Engagements aufzeigen und Hilfen auch für dessen Wahrnehmung bereitstellen für die, die dies wollen. Es geht hier darum, einer mehr oder weniger ausdrücklichen Diffamierung des Bürgers, der seinen wesentlichen Lebensinhalt im Beruf oder in anderen Bereichen, nicht aber unmittelbar in der Politik sieht, entgegenzutreten. Eine freiheitliche Gesellschaft lebt geradezu davon, daß die Menschen ihre Rollen im Beruf, in Familie, in Hilfsorganisationen, in Kirchen, in der Wissenschaft, in der Kunst, im Sport usf. wahrnehmen. Der gleichzeitigen Ausfüllung mehrerer Rollen sind Grenzen gesetzt. Politische Bildung dient der freiheitlichen Ordnung, indem sie auf der einen Seite den Menschen die Möglichkeiten und Bedeutungen einer bewußt wahrgenommenen Bürgerrolle aufzeigt und auf der anderen Seite aber ebenso deutlich macht, daß frei-B heitliche Ordnung den einzelnen nicht umfassend und auf die politische Bürgerrolle reduziert in Pflicht nimmt.

Die Förderung der Kritikfähigkeit ist ein wesentliches Ziel politischer Bildung in einer freiheitlichen Demokratie. Kritisches Verhalten bedeutet vor allem rationales Abwägen und Urteilen. Am Ende einer kritischen Prüfung kann ebensosehr Zustimmung wie Ablehnung stehen. Es muß als eine Fehlentwicklung betrachtet werden, die weder dem einzelnen Bürger noch der Gesellschaft nützt, wenn unter dem kritischen Bürger vielfach nur noch der protestierende Bürger verstanden wird. Dafür dürften vor allem zwei problematische Auffassungen vom Staat mitverursachend sein:

Auf der einen Seite wird der Staat fast nur noch als eine Verteilungsorganisation angesehen, der gegenüber man lediglich seine jeweiligen Interessen möglichst erfolgreich zu vertreten hat. Auf der anderen Seite wird der Staat als eine Organisation der Herrschenden ausgegeben, der gegenüber sich der Bürger ausschließlich in der Situation der Abhängigkeit oder gar der Unterdrückung befindet. In beiden Fällen wird die Tatsache ausgeklammert, daß gerade ein freiheitlicher Staat nicht existieren kann, wenn er nicht vor allem auch als Rechtsgemeinschaft aufgefaßt wird. Eine freiheitliche Rechtsgemeinschaft ist auf kritische Loyalität und Integrationsbereitschaft angewiesen. Politische Bildung muß vor allen Dingen auch diesen Aspekt des Bürgerseins vermitteln.

Nur eine realitätsbewußte und geschichtsbezogene politische Bildung befähigt zu einem humanen politischen Engagement. Radikale, nur an utopischen Entwürfen orientierte Kritik darf nicht auf die Zerstörung der Ordnungen hinwirken, die, gemessen an den Normen und Wertprämissen der Verfassung, notwendigerweise unvollkommen sind. Sie kündigt sonst die Loyalität gegenüber der je konkreten Rechtsgemeinschaft auf und nimmt dem Bürger die Möglichkeit, zusammen mit anderen an der schrittweisen Verbesserung der Zustände zu arbeiten.

In diesem Zusammenhang ist auch die Forderung zu problematisieren, politische Bildung habe in erster Linie Meinungen und Einstellungen zu verändern. Entweder geht eine solche Zielformulierung von der Voraussetzung aus, daß es zu einem je gegebenen Zeitpunkt nur negativ zu bewertende Meinungen und Einstellungen gibt; dann macht sich dieses Bildungsprogramm einen Wahrheitsoder Gewißheitsanspruch zu eigen, der in der Demokratie niemandem zusteht. Oder aber dieser Zielsetzung liegt die Auffassung zugrunde, politische Bildung habe sich ausschließlich mit zu verändernden Meinungen und Einstellungen zu befassen; dann entsteht langfristig der Eindruck, politische Bildung sei lediglich ein Umerziehungsinstrument, das die Bürger zum Objekt macht.

Demgegenüber kann es ebenso berechtigt als Aufgabe der politischen Bildung angesehen werden, positiv zu wertende Meinungen und Einstellungen zu stabilisieren und zu verstärken. Wenn es richtig ist, daß eine freiheitlich-repräsentative Demokratie sowohl auf Wachsamkeit wie auf Vertrauen der Bürger angewiesen ist, dann kann sich politische Bildung nicht einseitig nur als Verstärkung des Mißtrauens verstehen. Wo politische Bildung auf unchristliche Loyalität bis hin zur Vertrauensseligkeit trifft, wird sie also die Kritikfähigkeit stärken müssen, ohne Loyalität und Vertrauen völlig abzubauen. Wo ihr hingegen bloße Protesthaltung und Loyalitätsverweigerung entgegentritt, wird sie Loyalität und Vertrauen aufbauen müssen, ohne die Kritikfähigkeit zu schwächen. 3. Der rationale Dialog Der politischen Erwachsenenbildung kommt auch die Aufgabe zu, ständig an der Rationalisierung der politischen Kommunikationsprozesse mitzuwirken. Für eine freiheitlich-plura-le Demokratie ist es nicht gleichgültig, in welcher Weise sich das Sprechen zwischen Repräsentanten und Repräsentierten einerseits und zwischen den verschiedenen Gruppen der Gesellschaft andererseits abspielt. Wiederum geht es nicht um das utopische Ziel, den politischen Dialog der Gesellschaft als eine völlig machtfreie, ausschließlich an Kriterien eines wissenschaftlichen Disputs orientierte Diskussion zu verwirklichen.

Die notwendigen Machtfaktoren und die strategische und taktische Orientierung des politischen Sprechens drohen aber ohne Gegengewichte die öffentliche Diskussion immer wieder von den Sachproblemen wegzudrängen und die Entscheidungsprobleme selbst für die Bürger unkenntlich zu machen. Politische Bildung kann und soll Rationalität in dieser Diskussion verstärken, indem sie Gelegenheiten zu Gesprächen zwischen Politikern und Bürgern und zwischen den Gruppen anbietet, die nicht unter Entscheidungsdruck stehen und in denen nicht die Absicht der Werbung dominiert. Dies setzt allerdings die Bereitschaft möglichst vieler Politiker voraus, sich an solchen sachlichen Erörterungen zu beteiligen und da-19 bei auf die werbende und rechtfertigende Sprache weitgehend zu verzichten.

Der genannten Aufgabe kommt politische Bildung. sicherlich auch dadurch nach, daß sie sich an wissenschaftlichen Erkenntnissen orientiert. Diese Verwissenschaftlichung der politischen Bildung sollte aber nicht zum Selbstzweck werden, so daß sich politische Bildung in erster Linie als Einrichtung der Vermittlung von Wissenschaft versteht. Tendenzen dieser Art machen immer wieder verschiedene Gefahren deutlich: Entweder wird die Vermittlung zu abstrakt und hilft dem Bürger dadurch nicht, die Wirklichkeit der Politik besser zu verstehen. Oder aber die politische Bildung gerät in eine Pseudowissen-

schaftlichkeit, weil die Ziele für eine Kurzzeitpädagogik zu hochgesteckt sind.

Politische Bildung soll nicht nur zwischen Wissenschaft und Bürger, sie soll vor allem auch zwischen Politik und Bürger vermitteln. In vielen Fällen eignet sich die Sprache der Wissenschaft nicht für die Lernprozesse in der politischen Bildung. Auch decken sich die Forschungsinteressen der Wissenschaft keineswegs immer mit den Lernbedürfnissen in der politischen Bildung. Deshalb kommt der politischen Bildung die wichtige Aufgabe zu, Ergebnisse der Wissenschaften und Erfahrungen der praktischen Politik für ihre Vermittlungsaufgabe aufzubereiten.

Streng wissenschaftliche Orientierung hat den Vorteil, daß nicht Erkenntnisse als wissenschaftlich ausgegeben werden, die wissenschaftlichen Maßstäben nicht standhalten. Auf der anderen Seite aber bleiben Gesprächsbedürfnisse unbefriedigt. Gerade der wertorientierte Bereich des Politischen muß auch anderen als wissenschaftlichen Erkenntnisweisen offenbleiben. Wenn zum Beispiel dem Teilnehmer der politischen Bildung gesagt wird, die Wissenschaft könne über inhaltliche Wertentscheidungen keine Aussage machen, dann hat er zwar ein Wissenschaftsverständnis gewonnen, bleibt aber ohne Hilfe im Umgang mit in einer Gesellschaft gültigen oder umstrittenen Werten. Damit ist nicht bestritten, daß strenge Wissenschaftlichkeit in Teilen und Phasen der Bildungsprozesse ihren legitimen Platz hat; hier geht es um die. Zielsetzung der politischen Bildung in ihrer Gesamtheit.

III. Der Ordnungskonsens — öffentliche Förderung und Verfassungskonsens

Mit öffentlichen Mitteln geförderte politische Bildung setzt einen Konsens über die Grundprinzipien der verfassungsmäßig festgelegten politischen Ordnung voraus. Wenn dieser Konsens nicht mehr als selbstverständlich vorausgesetzt werden kann, sind die fördernden Stellen verpflichtet, Maßnahmen zu ergreifen, die verhindern, daß sich jene Gruppen, die den Konsens aufgekündigt haben, der politischen Bildung bemächtigen. Die Alternative zu staatlichen Kontrollen kann nur in Initiativen der Träger und Einrichtungen der politischen Bildung selbst liegen. Aus diesem Grund muß das Hauptgewicht auf eine intensive, offene und öffentlich wirksame Diskussion im Sinne des ständigen Arbeitens an der Konsensbildung gelegt werden. Alle, die an einer Förderung ihrer politischen Bildungsmaßnahmen seitens der öffentlichen Hand interessiert sind, müssen bereit sein, mit allen anderen zusammen an der Herstellüng eines ordnungspolitischen Konsenses zu arbeiten. Im Gesamtsystem der Erwachsenenbildung soll politische Bildung durchaus konkurrierend vor sich gehen, was die Interessen und Zielsetzungen im Rahmen der Verfassungsordnung angeht. Sie kann aber nicht konkurrierend sein zwischen der Bejahung und Verneinung der Verfassung.

Die gemeinsame Arbeit am Verfassungskonsens hat nicht zuletzt den Zweck, daß die in der politischen Bildung tätigen Einrichtungen und Personen selbst initiativ werden, um sich von extremistischen Einflüssen und Indoktrinationen freizumachen. Man sollte auch in diesem Punkt nicht immer auf staatliche Maßnahmen warten, sondern selbst aktiv daran arbeiten, daß die politische Bildung in der Öffentlichkeit wieder jenes Vertrauen zurückgewinnt, welches die notwendige Grundlage für eine öffentliche Förderung ist.

Bei allem ist zu beachten, daß die Frage des Spielraums der öffentlichen Förderung politischer Bildung nicht identisch ist mit der Frage nach dem Spielraum der Meinungsfreiheit in unserer Ordnung. Das Recht z. B., auf der Straße für kommunistische und andere extremistische Auffassungen Propaganda zu machen, begründet noch keinen Anspruch auf öffentliche Finanzierung von Maßnahmen, auch dann nicht, wenn sie als politische Bildung ausgegeben werden.

Die Diskussion über den Ordnungskonsens ist eine ständige Aufgabe und sollte nicht nur auf abstrakter Ebene geführt werden. Konsens und Dissens sind vielmehr immer wieder am Beispiel konkreter Fragestellungen zu überprüfen. Die Gruppen und Einrichtungen, die öffentliche Förderung ihrer politischen Bildungsarbeit in Anspruch nehmen wollen, sollten im Rahmen des öffentlichen Dialogs aufgefordert sein, ihre Auffassung vom notwendigen Konsens im Sinne der Förderungsbedingungen anhand konkreter Kontroversen, die in der Gesellschaft zu beobachten sind, darzustellen. Im Sinne dieser Aufforderung zum offenen Dialog werden hier folgend einige Thesen aufgestellt. Träger, die diese Mindestforderungen ablehnen, sollten nicht öffentlich gefördert werden. 1. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ist eindeutig auf die repräsentative Demokratie als grundsätzliches Struktur-prinzip unserer staatlichen Ordnung festgelegt. Das schließt ergänzende plebiszitäre Elemente oder die Diskussion über den Nutzen oder die Problematik eines stärkeren Ausbaus dieser Elemente nicht aus. Aber es schließt die Werbung für prinzipielle Alternativen im Sinne plebiszitärer Demokratie oder der Räte-demokratie oder jedweder Diktatur, auch der des Proletariats, aus. Die Werbung für solche Alternativen als Zielsetzung politischer Bildung hat keinen Anspruch auf öffentliche Förderung. Davon zu unterscheiden ist die Möglichkeit der Diskussion solcher Alternativen. Es muß zum Beispiel auch im Rahmen öffentlich geförderter politischer Bildung möglich bleiben, daß Veranstalter Vertreter solcher Auffassungen oder entsprechende Publikationen in den politischen Bildungsprozeß zum Zwecke der kritischen Auseinandersetzung einbauen. 2. In unserer Gesellschaft wird das Problem der Gewalt diskutiert. Der moderne Rechtsstaat ist, unter anderem eindeutig darauf angelegt, subjektive Rechtsnahme zu verhindern und für die Rechtssuche klar formulierte und formalisierte institutionelle Wege zu eröffnen. Die Befürwortung von Interessensoder Meinungsdurchsetzung auf dem Wege der Gewalt kann keinen Anspruch auf öffentliche Förderung erheben. Dabei sollte durchaus auch die politische Moral, die in bestimmten Fragen nicht losgelöst von geschichtlicher Verantwortung betrachtet werden kann, eine Rolle spielen. Es muß geradezu als ein Skandal bezeichnet werden, daß in einem Land, in dem noch die Erinnerung an die „Reichskristallnacht“ lebendig ist oder sein sollte, die Gewalt gegen Sachen als legitim dargestellt wird.

Personen, Gruppen und Einrichtungen, die für ihre politische Bildungsarbeit öffentliche Förderung beanspruchen, sollten Einigkeit erzielen in der Ablehnung jeglicher Gewaltanwendung zur Durchsetzung von Gruppeninteressen und Gruppenauffassungen im Rahmen unserer Verfassungsordnung. Die These von der strukturellen Gewalt, die Gegengewalt notwendig macht, kann nicht ernst genommen werden, da es eine Gesellschaft ohne Institutionen, die mit dem Recht der Gewaltanwendung ausgestattet sind, nicht gibt. Geschichtlich gesehen ist das Gewaltmonopol des Staates ein wichtiger Schritt zur Überwindung willkürlicher Rechtsnahme durch einzelne und durch Gruppen und ebenso zur Befriedigung der Gesellschaft. Die Wahrnehmung des staatlichen Gewaltmonopols muß in freiheitlichen Ordnungen kritisch beobachtet und auf den dafür verfassungsmäßig vorgesehenen Wegen kontrolliert werden. Der Weg dieser Kritik in die Propagierung von Gegengewalt ist aber historisch gesehen ein Rückschritt hinter den erreichten Freiheits-und Gerechtigkeitsgrad des modernen Verfassungsstaates. Die Beurteilung des Gewaltproblems ist sicherlich auch abhängig von der wertenden Sicht der real gegebenen politischen Ordnung und der konkreten Zustände in unserem Staate. Wer tatsächlieh der Auffassung ist, daß wir in einem reinen Unterdrückungssystem leben, daß unser Staat auf dem direkten Wege in die faschistische Diktatur ist, der wird zur Frage der Gewaltanwendung und der revolutionären Gesinnung ein anderes Verhältnis haben. Solche Charakterisierungen unserer politischen und sozialen Ordnung können vor einer unvoreingenommenen, nicht fanatisierten, historisch vergleichenden Überprüfung nicht bestehen. Es ist nicht nur legitim, sondern sogar zu fordern, daß staatliche Instanzen die Verbreitung solcher Diffamierungen unserer politischen Ordnung nicht unterstützen.

3. Eine der großen Schwierigkeiten der gegenwärtigen Lage ist dadurch gegeben, daß im Demokratieverständnis der Konsens brüchig und nicht mehr klar artikulierbar geworden ist. Dabei spielen für die politische Bildung nicht einmal absolut gegensätzliche Ordnungsalternativen die entscheidende Rolle. Für den Konsens unter den freiheitlichen Demokraten erweist sich vielmehr die verbreitete Tendenz, das Demokratieverständnis im Sinne eines Ordnungskonzepts möglichst in jeder Hinsicht materiell zu füllen und kontroverse Konzepte in der Ausgestaltung der Demokratie an die verbindliche Grundordnung zu binden, als verhängnisvoll.

Im Grunde stehen sich hier offene und geschlossene Demokratievorstellungen gegen-21 über. Eines der fundamentalsten, Freiheit und Frieden stiftenden Merkmale der modernen rechtsstaatlichen Demokratie ist die Tatsache, daß sie vor allem die Formen der Willensbildung und der Entscheidungsfindung festlegt, während sie sich der inhaltlichen Vorwegnahme politischer Problemlösungen weitgehend enthält und auf relativ wenige Wert-prinzipien beschränkt. Gerade dadurch bildet die freiheitliche Demokratie Rahmenbedingungen für weitgehende Meinungsund Ziel-freiheit und für eine offene Diskussion und Auseinandersetzung zwischen kontroversen Problemlösungen. Diese Freiheitsräume werden in dem Maße eingeengt, in dem umstrittene Problemlösungen mit der verbindlichen, Konsens beanspruchenden Grundordnung identifiziert werden.

Je geschlossener das Demokratieverständnis, um so folgerichtiger sind Tendenzen eines autoritären Gesinnungsdrucks. Wer dann nicht für bestimmte Formen der wirtschaftlichen Mitbestimmung ist, gilt nicht mehr als Demokrat. Wer sich nicht zu bestimmten Realisierungsformen der Gleichberechtigung von Mann und Frau bekennt, wird als demokratiefeindlich charakterisiert. Wer nicht bereit ist, jegliche tradierte Struktur des Bildungswesens zu verwerfen, muß sich den Vorwurf der Demokratiefeindlichkeit gefallen lassen.

Diese Thesen sind als Beispiele gedacht für die Aufforderung, an einem Konsens zwischen denen, die öffentlich geförderte politische Bildung betreiben, zu arbeiten. Es würde das Ansehen der politischen Erwachsenenbildung und damit auch ihre Überzeugungskraft stärken, wenn eine Solidarität der plural strukturierten Erwachsenenbildung in solchen Fragen öffentlich vernehmbar herbeigeführt werden könnte.

IV. Ziele, Inhalte und Methoden der politischen Erwachsenenbildung — Differenzierte Teilnehmererwartungen, Wissensdefizite und Programmgestaltung

Bei den Teilnehmern politischer Bildungsveranstaltungen gibt es unterschiedliche Erwartungen: Es werden Informationen zur eigenen Meinungs-und Urteilsbildung gewünscht; man erwartet Orientierung über komplexe politische und soziale Vorgänge; man möchte Begründungen für politische Entscheidungen erfahren und kritisieren; man sucht Verständigung mit Gleichgesinnten oder die Auseinandersetzung mit Gesprächspartnern anderer politischer Überzeugungen; man erwartet Hilfestellung zum Erwerb von Fähigkeiten, um sich am politischen Willensbildungsprozeß wirksam beteiligen zu können. Diese Erwartungen können in einer Person vereinigt, aber auch innerhalb einer Teilnehmerschaft differenziert auftreten. Das Gesamtangebot der politischen Erwachsenenbildung muß den differenzierten Erwartungen gerecht werden. Die Erwartungen weisen in der Regel subjektive Betroffenheit aus, an denen politische Bildung soweit wie möglich anknüpfen sollte.

Die Veranstaltungsprogramme sollten nicht nur die generellen Ziele des jeweiligen Trägers benennen, sondern auch Auskunft geben über die zu erwerbenden Qualifikationen, über die Inhalte und über die Methoden.

Für den Bürger, der seine soziale und politische Situation und seine Rechte und Pflichten in der freiheitlichen Rechtsgemeinschaft verstehen und begreifen will, stellt die Information über die gesellschaftlichen und staatlichen Institutionen, über ihre Kompetenzen und Wirkungsmöglichkeiten eine wichtige Grundlage dar. Die einseitige Überbetonung der Institutionenkunde früherer Jahre, insbesondere im Bereich der schulischen politischen Bildung, hat nicht nur berechtigte Kritik hervorgerufen, sondern auch zu einer nicht gerechtfertigten Abwertung der Institutionenkunde schlechthin geführt. Ohne grundlegende Kenntnisse der gesellschaftlichen und staatlichen Institutionen werden aber Einsichten und Urteile über die freiheitliche Demokratie unmöglich gemacht.

Grundsätzlich sind alle Themenbereiche politischer Bildung geeignet, Wert-, Sachund Sozialkompetenzen des Bürgers zu erweitern. Neben der Institutionenkunde sind vor allem zeitgeschichtliche Kenntnisse und die Kommunalpolitik als defizitäre Bereiche der politischen Bildung zu nennen. Eine Überprüfung gängiger Alltagsurteile läßt unschwer erkennen, daß zeitgeschichtliche Kenntnisse, zu denen inzwischen auch die Entwicklungen nach dem Zweiten Weltkrieg gehören, in völlig unzulänglichem Umfang verbreitet sind. Die weithin noch vernachlässigte Kommunalpolitik ist am ehesten geeignet, Handlungsmöglichkeiten und Handlungskompetenzen zu vermitteln. Weiterhin als defizitär kann die Auseinandersetzung mit anderen politischen Systemen, vor allem auch mit totalitären Demokratie-vorstellungen, bezeichnet werden. Allgemei-B ner formuliert, kann man von einer Vernachlässigung der ordnungspolitischen Perspektiven sprechen. Dabei ist durchaus zuzugeben, daß deren Betonung in früheren Jahren aus geschichtlich verständlichen Gründen zu Verkürzungen geführt hat, welche die differenzierte Betrachtung realer Entwicklungen vernachlässigte. Aber die Überwindung der mehr statischen und vereinfachten Betrachtungsweise zugunsten einer prozessualen hat inzwischen zu einer weitgehenden Ausblendung ordnungspolitischer Grundstrukturen geführt, die nach wie vor fundamentale Unterscheidungen zwischen Ordnungen im staatlichen, ökonomischen und gesamtgesellschaftlichen Bereich ermöglichen.

Die Methoden der Vermittlung politischer Bildung müssen den jeweiligen Problembereichen und Sachverhalten einerseits sowie den Lernbefähigungen und dem Lernverhalten der Teilnehmer andererseits adäquat sein. Auf keinen Fall dürfen sie die Gefahr der Persönlichkeitsverletzung und der Aufhebung des Subjektcharakters der Teilnehmer in sich bergen. Alle Methoden sind ständig zu überprüfen, ob sie nicht der Manipulation dienen.

Unter der Vielzahl von Methoden gibt es keine, die allgemeinen Vorrang beanspruchen kann. Von der fachlichen Kompetenz der Teilnehmer, von ihrem Informationsstand und von ihrem Informationsbedürfnis wird es abhängen, welche Rolle und welchen Umfang Vorträge in einer Veranstaltung haben. Von der Bereitschaft und dem Willen, das eigene Denkvermögen einzusetzen und sich in kontrollierbaren Schritten am Lernprozeß ständig und unmittelbar zu beteiligen, hängt es ab, inwieweit das Lehrgespräch möglich und notwendig ist. Zur Gruppenarbeit gehören als Voraussetzungen neben dem zeitlichen Rahmen die Möglichkeiten, eigene Kenntnisse und Erfahrungen zur Kompetenzerweiterung sinnvoll einzusetzen.

So nützlich die Gruppenarbeit für die Entfaltung eigener Kenntnisse und Fähigkeiten und für das Entdecken der eigenen Kommunikationsprobleme ist, so sehr bedarf sie einer entsprechenden Sachkompetenz. Wenn vorausgesetzt werden kann, daß alle Gruppenmitglieder ein zueinander ausgeglichenes Lernverhalten haben und sich fachlich oder in ihrer Wertkompetenz ergänzen, bietet Gruppenarbeit mit die günstigsten Voraussetzungen zur Verbesserung von Kritikfähigkeit und Urteilsbildung, zur Förderung von Kreativität und Kompromißbereitschaft.

Gute Lernvoraussetzungen bietet gerade auch für Erwachsene das Planspiel. Zusätzlich zu den Vorteilen der Gruppenarbeit werden die Motivationen und das Engagement der Teilnehmer, ihre Fähigkeiten zur Problemlösung und zum Entscheidungshandeln gefördert. Zumindest bei längerfristigen Veranstaltungen sollten in Ergänzung zu den genannten Arbeitsmethoden auch Repetitorien zur Selbst-prüfung und Kurzreferate zur Befähigung der Erarbeitung von Einzelproblemen im Selbst-studium stärker als bisher in der Erwachsenenbildung Eingang finden.

Auf alle Fälle muß politische Bildung sich so dialogisch wie möglich vollziehen. Dies muß für politische Erwachsenenbildung verbindlich sein, weil sie ihren Adressaten immer unbeschadet aller Bildungsdefizite als mündigen Bürger zu respektieren hat.

Auch entspricht der offene Dialog der freiheitlich-demokratischen Gesellschaft, in der der Teilnehmer sich selbst, seine Probleme und Fragen, seine Kritik, seine Begründungen und Ablehnungen oder Zustimmungen im jeweiligen Sachzusammenhang einbringen kann. In diesem Zusammenhang muß aber darauf aufmerksam gemacht werden, daß es Formen der Teilnehmerorientierung oder der Teilnehmermitbestimmung gibt, die sich entgegen ihrem Etikett als sehr brauchbare Instrumente der Teilnehmermanipulation erweisen können und damit den Dialog zerstören.

Mehrheitsbeschlüsse der Teilnehmer über Inhalt und Formen von Bildungsveranstaltungen können einen höheren Grad von Fremdbestimmung bewirken als die Realisierung eines vorher allen Interessierten offengelegten Veranstaltungskonzepts.

V. Politische Bildung und politische Aktion — Gefahren einseitiger Instrumentalisierung der politischen Bildung

In der Diskussion der letzten Jahre ist die Grenze zwischen politischer Bildung und politischer Praxis unschärfer geworden. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Einmal haben sich Gruppen vor allem vom extrem linken Spektrum mancher Bereiche oder Einrichtungen der politischen Bildung bemächtigt, die mehr oder weniger ihre spezifischen politischen Ziele durchsetzen wollen und von daher die politische Bildung instrumentalisieren. Von pointierten Positionen der Konflikttheorie wurde die Auffassung verbreitet, daß es in der politischen Bildung in erster Linie auf die Analyse und Aufhellung sozialer Konflikte und auf ihre praktische Austragung ankäme. Bestimmte emanzipationspädagogische Richtungen wenden sich gegen das theoretische Lernen, wenn damit nicht Befreiung im Sinne ihrer emanzipatorischen Praxis verbunden ist. . Zum Teil in Verbindung mit Konflikt-und Emanzipationstheorien, zum Teil selbständig, hat in manchen Bereichen der Erwachsenenbildung eine betonte Psychologisierung eingesetzt, die in der Auslösung und Bewältigung gruppendynamischer Prozesse und Selbsterfahrungsübungen wesentliche Komponenten sozialer und politischer Bildung sieht.

Schließlich haben Bestrebungen gegen eine einseitig kognitive, theoretisierend mitunter nur wissenschaftlich orientierte, wirklich-

keits-und praxisferne politische Bildung zu einer starken Betonung des Lernens durch Tun geführt.

Einer einseitigen Instrumentalisierung der politischen Bildung für spezifische politische Zielsetzungen muß eine klare Absage erteilt werden, weil das überschreiten der Grenze zur Indoktrination dann kaum zu verhindern ist. Gerade die Verbindung der politischen Bildung mit der politischen Aktion hat die politische Bildung in Mißkredit gebracht.

Gegenüber einer zu sehr an harmonistischen Gesellschaftsbildern orientierten politischen Bildung ist die Herausstellung der sozialen und politischen Konflikte als wichtiger Gegenstand der politischen Bildung berechtigt und notwendig. Offene soziale Konflikte sind nicht zuletzt ein Ergebnis der Freiheit.

Wo die Freiheit der eigenen Meinung, der eigenen Interessenwahrnehmung, der eigenen Überzeugungen und Wertsetzungen besteht, ist der Konflikt ein wesentliches Prinzip des gesellschaftlichen und politischen Lebens. Zur politischen Sozialisation gehört nicht zuletzt das Einüben des Verhaltens in sozialen Konflikten. Aber der Konflikt ist weder das einzige Verstehensnoch Lebensprinzip der Gesellschaft. Gemeinschaftspflege, Integration, Identifizierung, Loyalität und Kooperation sind ebenso fundamental. Sicherlich geschieht ein wichtiger Teil der Sozialisation durch Verhalten in Konfliktsituationen. Und wie in der Klassengemeinschaft der Schule, so kann es auch in Erwachsenengruppen im Laufe eines politischen Bildungsprozesses Konflikte geben, die als Ernstfall verstanden und bewältigt werden müssen. Es ist unbestritten, daß man in und aus solchen Ernstfällen lernen kann und soll. Aber nicht alles, was gelernt werden muß, wird im Ernstfall gelernt.

Dies gilt zum Beispiel für die unbefangene Analyse eines Konflikts. Und wiederum gilt, daß in der engen Verbindung mit der politischen Aktion und der damit in der Regel gegebenen Parteinahme politische Bildung leicht in Indoktrination oder zumindest in parteiliche Selektion übergeht.

Für die Begründung einer engen Verbindung oder gar Identität von politischer Bildung und Aktion durch das Emanzipationspostulat gilt ähnliches wie für den Konflikt. Außerdem wird hier besonders deutlich, daß der Überbetonung der Aktion eine Unterbewertung der geistigen Fähigkeiten des Menschen zugrunde liegt. Der Mensch entfaltet sich nicht nur in der Aktion. Auch Erkenntnis alleine verändert den Menschen und kann ein Schritt der Befreiung sein.

Gruppendynamische und Selbsterfahrungsübungen können schon deshalb nicht im Mittelpunkt der politischen Bildung stehen, weil eine Konzentration auf sie wichtige Teile der Politik oder gar das Politische selbst ausblendet. Politische Bildung hat keine therapeutische Aufgabe. Der politische Bildner, der mit solchen Verfahren unter Umständen tief in den Persönlichkeitsbereich anderer eingreift, maßt sich eine Kompetenz an, die ihm von der Zielsetzung der politischen Bildung her nicht gegeben ist.

Gründlich zu diskutieren ist die Auffassung, daß politisches Handeln im Rahmen der politischen Bildung notwendig sei, um die Verbindung mit der Wirklichkeit zu erhalten oder wiederherzustellen. Aber die Problematik und ihre Lösungsmöglichkeiten müssen differenziert gesehen werden. Unstrittig ist die Forderung nach eigenem Tun, wo sie methodisch gemeint ist und sich gegen den reinen Frontalunterricht, gegen das Vortragswesen als zentrale Vermittlungsmethode wendet. Der Realitätsbezug der politischen Bildung ist hingegen zunächst eine Frage der Gegenstände, sowohl was deren Auswahl als auch was die Verfahren ihrer Vermittlung betrifft. Politische Erwachsenenbildung kann nur in den seltensten Fällen in einem langfristigen Kurssystem durchgeführt werden, das umfassende Stoff-oder Problembereiche der Sozial-wissenschaften vermittelt. Dagegen sprechen nicht nur Gründe der Organisation, der Zeit-

und Arbeitsbelastung, sondern auch die Erwartungen der Erwachsenen selbst. Wenn politische Bildung den Erwachsenen helfen soll, ihre soziale Umwelt besser verstehen und beurteilen zu lernen, dann empfiehlt es sich, daß die politische Bildung bei den politischen und politisch relevanten Rollen anknüpft, welche die Adressatengruppen spielen, oder an den Problemen, von denen diese betroffen sind. Darüber hinaus kann der Wechselbezug zwischen politischen Aktivitäten und politischer Bildung in der Erwachsenenbildung unter entsprechenden Bedingungen intensiver sein als etwa beim Unterricht an öffentlichen Schulen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß aus einer Veranstaltung außerschulischer politischer Bildung Aktivitäten etwa im kommunalen Bereich hervorgehen.

Schon gar nicht ausgeschlossen, sondern begrüßt werden sollten die Fälle, bei denen im Laufe politischer Aktivitäten ds Bedürfnis entsteht, das Problemfeld dieses Handelns in Bildungsveranstaltungen zu reflektieren und zu analysieren. Beide Male besteht aber keine volle Identität zwischen der politischen Aktion und dem Prozeß der politischen Bildung. Der Kern der politischen Bildung muß gerade in Fällen solch enger Verbindung darin bestehen, daß in Distanz zum aktuellen Handeln Reflexionen ermöglicht werden, die nicht unter unmittelbarem Entscheidungsdruck stehen. Handlungssituationen verlangen oft relativ rasch Optionen. Bildungsprozesse zeichnen sich nicht zuletzt dadurch aus, daß sie nicht vorschnell in Optionen drängen. Sie sollen dazu helfen, die Optionen möglichst rational zu begründen.

Bildungsprozesse müssen einen längeren Atem haben als politische Aktionen. Im Unterschied zu letzteren sollen sie auch von taktischen Momenten möglichst frei gehalten werden. Praktisch ist aus diesen Abwägungen zu folgern, daß politische Bildungseinrichtungen durchaus in die Lage kommen können, politische Aktivitäten mit Bildungsprozessen zu begleiten. Die Einrichtungen selbst sollen aber nicht als Initiatoren und Durchführer politischer Aktionen im Rahmen politischer Bildungsmaßnahmen auftreten. Gerade da, wo die politischen Bildungseinrichtungen in die Nähe der politischen Praxis kommen, haben sie die Aufgabe, die Rationalität der Optionen, der Urteile und der Diskussionen zu fördern. Dieser Möglichkeit begeben sie sich, wenn sie selbst politische Aktionen anregen oder ihnen Ziele setzen. Die entscheidende Begründung dieser Norm ist darin zu sehen, daß diese Funktion ausfällt, wenn die politische Bildung sich selbst in die politische Praxis verstrickt.

Gerade unter dem Aspekt der Rationalität kann politische Erwachsenenbildung durchaus kritische Funktionen gegenüber der praktischen Politik haben. Indem sie sich selbst parteinehmend in die politische Auseinandersetzung begibt, mindert sie Legitimität und Erfolgsaussicht dieser kritischen Position.

VI. Politische Bildung in homogenen und heterogenen Gruppen — Pluralismus als normatives Konzept

Aus der Bejahung des Gruppenpluralismus ergibt sich, daß es nicht nur gruppenunabhängige politische Bildung geben kann. Gruppen-identifizierung und Gruppenloyalität sind wesentliche Faktoren des sozialen Selbstverständnisses und des gesellschaftlichen Wirkens der einzelnen. Es kann nicht Aufgabe politischer Erwachsenenbildung sein, diese Faktoren zu eliminieren oder auch nur unberücksichtigt zu lassen. Unter diesem Aspekt hat politische Bildung vielmehr die Aufgabe, die Gruppenbindungen der einzelnen in ein geordnetes soziales Umwelt-und Ordnungsverständnis einzufügen und damit auch wieder zu rationalisieren.

Der Bürger muß üben können, seine Gruppen-loyalität ohne Verabsolutierung und ohne Blindheit für die Interessen, Zielsetzungen und Situationen anderer zu aktualisieren. In der pluralistischen Demokratie steht der einzelne Bürger immer wieder in der Spannung zwischen der Erkenntnis der eigenen Gruppeninteressen einerseits und dem Verstehen anderer Interessen und des Gemeinwohls ande-

rerseits zwischen dem Dienst an der eigenen Gruppe und dem Dienst an anderen und am Staat. Politische Bildung soll dem einzelnen auch helfen, diese Spannung auszuhalten.

Das kann sie nur, wenn sie den Pluralismus auch als normatives Konzept bejaht. Eine an überholten klassenkämpferischen Gesellschaftsvorstellungen orientierte politische Bildung muß dieses Ziel verfehlen. Sie befähigt den einzelnen ihrer Tendenz nach nicht zur rationalen und toleranten Gegnerschaft, die den anderen in die Freiheit der eigenen Interessen und der eigenen Meinungen versetzt, sondern verführt zur blinden und intoleranten Feindschaft.

Es muß Möglichkeiten der politischen Erwachsenenbildung geben, in denen gemeinsames Lernen in interessen-und meinungsheterogenen Gruppen und das üben des Dialogs möglich ist. Daneben sind aber Möglichkeiten der gruppeninternen oder gruppenorientierten politischen Erwachsenenbildung nicht nur in Kauf zu nehmen, sondern als gleichermaßen legitim anzusehen. Der einzelne hat nicht nur das Bedürfnis, sich dem kontroversen Dialog unter verschiedenen Grundauffassungen auszusetzen, er hat auch das Bedürfnis, mit Mitgliedern der eigenen Gruppe auf der Basis ge25 meinsamer Grundauffassungen Probleme zu diskutieren. Gruppeninterne Veranstaltungen, bei denen die Indoktrination bewußt und konsequent vermieden wird, können sogar in gewisser Hinsicht die Rationalität des Dialogs mehr fördern, weil in heterogenen Teilnehmerkreisen die jeweiligen Gruppenmitglieder sich eher zur bloßen Rechtfertigung und Verteidigung der eigenen Gruppe veranlaßt sehen können.

Die Gruppen sind bei der Gestaltung ihres Eigenlebens prinzipiell autonom. Es kann niemand von außen einer Gruppe das Recht streitig machen, Veranstaltungen durchzuführen, die in erster Linie dazu dienen, durch die verschiedensten Mittel der Überzeugungskraft und des Gruppenerlebnisses die Teilnehmer auf Gruppenziele einzuschwören, die Gruppenloyalität für die Auseinandersetzung mit anderen zu stärken usf. Aber diese Gruppen-aktionen sind klar zu unterscheiden von Veranstaltungen der politischen Bildung. Soweit die Grenzen fließend sind oder bewußt nicht eingehalten werden, ist es Sache der Teilnehmer, inwieweit sie dies akzeptieren wollen oder nicht. Handelt es sich hingegen um öffentlich geförderte gruppeneigene Veranstaltungen, dann muß die Förderung an Kriterien gebunden sein, welche die Einhaltung der Grenzen zwischen politischer Bildung und anderen gruppenintegrierenden Maßnahmen transparent machen. Solche Kriterien sind zum Beispiel: die Zulassung von Kontroversen; die sachliche, also nicht bloß polemische Darstellung von anderen Positionen; die Zulassung aller Fragen, soweit sie sich im Rahmen der Thematik halten; der Verzicht auf Zwang zur Offenlegung der eigenen Optionen im Sinne des Veranstaltungsergebnisses. '

Für die Sicherung der Einhaltung solcher Kriterien gibt es keine Patentlösung. Die unmittelbare Beobachtung des Ablaufs solcher Veranstaltungen durch die fördernde Stelle kann im Einzelfall gerechtfertigt, aber nicht generelle Förderungsbedingung sein. Als eine Möglichkeit bietet sich an, den Teilnehmern die öffentliche Förderung der Veranstaltung und die damit verbundenen Bedingungen bekanntzugeben. Damit wäre immerhin die Möglichkeit geschaffen, daß sich Teilnehmer auf diese Kriterien berufen können. Gruppenspezifische politische Erwachsenenbildung hat auch eine wichtige allgemeinpolitische Funktion. Die geforderte Rationalität des Dialogs zwischen den Gruppen kann nicht darin bestehen, daß die an ihm Teilnehmenden von ihrer Gruppenzugehörigkeit absehen. Auch deshalb wäre es falsch, nur eine politische Bildung zu rechtfertigen, die nicht an politische oder gesellschaftliche Gruppen gebunden ist und sich nur an heterogene Teilnehmerzusammensetzungen wendet. Beides ist notwendig. Es muß ein breitgestreutes Angebot gruppenunabhängiger politischer Bildung geben, dessen Organisationsstruktur grundsätzlich jedem Bürger, der sich politisch bilden will, dies unter zumutbaren Bedingungen ermöglicht.

Daneben ist aber auch die gruppenspezifische politische Bildung von öffentlichem Interesse. In der pluralen Gruppengesellschaft liegt es im allgemeinen Interesse, daß möglichst viele Menschen in Parteien, Gewerkschaften, Verbänden und Kirchen auf der Basis und im Rahmen ihrer Gruppenidentifizierung politisch gebildet werden. Dieses allgemeine Interesse bezieht sich auf den Rationalitätsgrad sowohl der jeweils eigenen Gruppenbeziehung wie auch des Verhältnisses und der Kommunikation der Gruppen untereinander.

Das Gruppenmitglied soll seine Zugehörigkeit gegenüber sich selbst und gegenüber anderen begründen können, soll Aufgaben und Stellenwert seiner Gruppe im Rahmen des ganzen sozialen Systems beurteilen und die Identifikationsgründe der Mitglieder anderer Gruppen nachvollziehen können.

VII. Lehrkräfte in der politischen Erwachsenenbildung — Fachliche, pädagogische und politische Kompetenzen

Die thematische Breite der politischen Erwachsenenbildung verlangt eine Vielzahl von wissenschaftlichen Fachkompetenzen, die nur arbeitsteilig eingebracht werden kann. Stets muß aber mit der wissenschaftlichen die pädagogische Kompetenz verbunden sein. Wenn politische Erwachsenenbildung konkrete Politik verstehbar machen oder gar zum eigenen politischen Handeln motivieren und befähigen soll, dann muß auch praktische politische Kompetenz in ihr wirksam werden. Mag die personelle Verbindung der drei Kompetenzen auch als Idealfall gelten, so wird man dennoch nicht ihre gleichgradige Realisierung in einer Person zum verbindlichen Maßstab machen können. Auf der einen Seite verlangt die Bedeutung, die die Erwachsenenbildung in unserer Gesellschaft erlangt hat, eine Präzisierung der Qualifikation für die in diesem Bereich hauptamtlich oder nebenamtlich Tätigen. Auf der anderen Seite ist das gesamte Arbeitsfeld so differenziert, daß man sich auch vor einer allzu engen Typisierung und Standardisierung im Berufsbild dieser Lehrkräfte hüten sollte.

Bei aller Notwendigkeit zunehmender Professionalisierung sollte gerade in diesem Bereich die Durchlässigkeit zu anderen Berufen in beiden Richtungen erhalten bleiben. Gerade die Erwachsenenbildung, in der es nicht nur auf institutionalisierte Abläufe, sondern zumindest ebensosehr auf Kreativität und persönliches Engagement ankommt, ist gegenüber der mit Professionalisierung immer auch gegebenen Gefahr der Sterilität besonders empfindlich.

Für die hauptamtliche Tätigkeit in der politischen Erwachsenenbildung sollte sozialwissenschaftliche Kompetenz im weiteren Sinne (also z. B. auch juristische, wirtschaftliche oder historische Kompetenz) Voraussetzung sein. In die Politikwissenschaft sollte eine hauptamtliche Lehrkraft in der politischen Erwachsenenbildung soweit eingedrungen sein, daß sie deren Methoden und Ergebnisse rezipieren, gegebenenfalls zwischen dem Fachwissenschaftler und den Teilnehmern einer Bildungsveranstaltung vermitteln und sich gewisse Qualitätsmaßstäbe für die Beurteilung schriftlicher oder mündlicher politikwissenschaftlicher Präsentationen aneignen kann.

Die Lehrkräfte in der politischen Erwachsenenbildung können heute nicht mehr umhin, sich mit den wichtigsten Fragestellungen und Diskussionen der politischen Pädagogik, der Didaktik und der Methodik vertraut zu machen. Es kann dahingestellt bleiben, ob dies vor allem in akademischen Ausbildungsgängen zu geschehen hat. Vordringlicher dürfte die Forderung nach der Möglichkeit einer nicht zu kurzen Einarbeitungszeit in der Praxis, in der diese durch eigenes Studium und in gemeinsamem Lernen mit anderen reflektiert werden kann, sein. Ebenso wichtig sind die Möglichkeiten, im Verlaufe der Tätigkeit die Praxis immer wieder für konzentrierte eigene Weiterbildung unterbrechen zu können.

Beide Forderungen haben personelle Strukturen zur Voraussetzung, da ihre Verwirklichung nicht auf Kosten der Arbeit der Einrichtungen oder der jeweiligen Kollegen gehen darf. Im übrigen gehören zur pädagogischen Kompetenz auch Züge eines Persönlichkeitsbildes, die für den offenen, dialogfähigen und souveränen Umgang mit Menschen unabdingbar sind.

Zur politischen Kompetenz im weitesten Sinne gehört zumindest die Fähigkeit, konkrete politische Situationen, Strukturen und Prozesse verstehen und nachvollziehen zu können. Neben der Nähe zur Wissenschaft ist also auch eine zumindest mentale Nähe zur praktischen Politik zu fordern. Wiederum kann offen bleiben, auf welche Weise diese erworben sind. Sie kann aus vorausgegangener oder begleitender eigener politischer Aktivität erwachsen. Wichtiger für die politische Erwachsenenbildung dürfte es sein, daß die in ihr wirkenden Lehrkräfte nicht nur zum Dialog mit Wissenschaftlern, sondern auch mit den praktischen Politikern fähig sind. Man könnte die drei Kompetenzen auch als dialogische Kompetenzen formulieren. Der Lehrer in der Erwachsenenbildung muß dialogfähig sein gegenüber der Wissenschaft, gegenüber der Politik und zugleich gegenüber einer in der Regel hoch differenzierten Teilnehmerschaft. Solche Dialogfähigkeit wird nicht in erster Linie in Studiengängen, sondern vor allem in einem die Praxis ständig begleitenden Austausch mit den genannten Gruppen und mit den Kollegen erworben. Die notwendige Vermehrung solcher Gesprächsgelegenheiten kann schon deshalb nicht den einzelnen Lehrkräften überlassen bleiben, weil dahingehende Initiativen erfahrungsgemäß vom Alltagsbetrieb zu häufig blockiert werden. Das System der Erwachsenenbildung muß hierfür institutionelle Vorkehrungen auch in dem Sinne aufweisen, daß die Wahrnehmung dieses ständigen Dialogs zur beruflichen Tätigkeit gehört und nicht nur als zusätzliche Liebhaberei oder Anstrengung gewertet wird.

VIII. Öffentliche Hand und freie Trägerschaft — Bedingungen und Grenzen des Subsidiaritätsprinzips

Es besteht heute weitgehend Übereinstimmung darüber, daß dem Staat auch für die Erwachsenenbildung Verantwortungen und Verpflichtungen zukommen. Staat und Kommunen als öffentliche Träger politischer Erwachsenenbildung haben ein ausreichendes, plurales Gesamtangebot zu gewährleisten. Da hat primär durch Anregung und Förderung von Einrichtungen und Veranstaltungen freier Träger zu erfolgen. Erst wenn freie Träger trotz Bereitstellung der erforderlichen Mittel nicht bereit oder in der Lage sind, ein ausreichendes, plurales Angebot zu erbringen, sollen öffentliche Träger eigene Einrichtungen schaffen und Veranstaltungen durchführen.

Bei der Förderung von Einrichtungen und Veranstaltungen öffentlicher und freier Träger sowie freier Träger untereinander sind gleiche Grundsätze und Maßstäbe anzuwenden. Für die politische Bildung gilt dies erst recht, wenn man ihre Doppelfunktion als Hilfe für den je einzelnen und als Faktor für die Funktionsfähigkeit des Gesamtsystems anerkennt. Umgekehrt verlangen die plurale Gruppenstruktur und die Bedeutung der gruppenspezifischen politischen Bildung die freie Trägerschaft.

Die staatlichen Aktivitäten konzentrieren sich vor allem auf die Förderung und Subventionierung nichtstaatlicher Organisationen und Einrichtungen, die ausschließlich oder teilweise in der politischen Bildungsarbeit tätig sind. Daneben nimmt der Staat aber auch Aufgaben der politischen Bildung unmittelbar wahr, etwa durch die Bundeszentrale oder die Landeszentralen für politische Bildung, durch eigene Akademien oder im Rahmen der Fortbildung von Angehörigen des Öffentlichen Dienstes.

Die Beantwortung der Frage, inwieweit dem Staat inhaltliche und strukturelle Gestaltungskompetenzen zustehen, hängt im wesentlichen von ordnungspolitischen Grundentscheidungen ab, die sich auf die allgemeine Frage zuspitzen, ob man mehr oder weniger Staat, mehr oder weniger staatliche Planung, mehr oder weniger Entfaltungs-und Gestaltungsmöglichkeiten der einzelnen und der gesellschaftlichen Gruppe will. In diesem Punkte sind in der Gegenwart unterschiedliche, mitunter gegenläufige Tendenzen anzutreffen. Auf der einen Seite gibt es unbeschadet noch teilweise unzureichender Förderung das Bestreben des Staates und der Kommunen, immer mehr Kompetenzen an sich zu ziehen. Auf der anderen Seite sind aber gerade auch im Bereich der politischen Erwachsenenbildung Nachlässigkeiten in der Frage zu beobachten, ob die geförderten Bildungsmaßnahmen sich noch im Rahmen der Pflege eines ordnungspolitischen verfassungsmäßigen Grundkonsenses bewegen.

Auf der Basis der Bejahung einer freiheitlich-pluralen Demokratie und des Subsidiaritätsprinzips ergibt sich, daß die öffentliche Verantwortung des Staates und der Kommunen für die politische Erwachsenenbildung zunächst und vorrangig durch die Sicherung der Pluralität in inhaltlicher und organisatorisch-struktureller Hinsicht wahrgenommen wird. Dies gilt für die Erwachsenenbildung im allgemeinen, ist aber für die politische Erwachsenenbildung schlechthin unverzichtbar. Nur so können Alternativen, konkurrierende Angebote, Meinungen und Wertungen unverkürzt in die Diskussion eingebracht werden.

Der Staat muß die Autonomie der freien Träger, allerdings stets unter Beachtung ihrer Verfassungskonformität, gewährleisten und ihre Arbeitsmöglichkeiten durch staatliche Förderung sichern. Als Förderungskriterien kommen dabei in erster Linie die personelle, pädagogische und sachliche Leistungsfähigkeit der Einrichtungen in Betracht.

Gegen diese Grundsätze wird verstoßen, wenn der Staat oder Kommunen inhaltliche Vorgaben machen oder die Förderung als Hebel zur Durchsetzung bestimmter, partieller politischer Ziele benutzen. Das gilt auch für kontroverse politische Konzepte. Einerseits darf politische Bildung nicht als isolierter Bildungsauftrag gesehen werden, andererseits muß eine Politisierung der vielfältigen Bildungsbereiche unter dem Vorwand einer Integration mit der politischen Bildung unterbleiben.

Eine unabdingbare Forderung für die Subventionierung politischer Erwachsenenbildung durch die öffentliche Hand muß allerdings deren Verfassungskonformität sein. Dabei muß die Kompetenz der Auslegung solcher Verfassungskonformität bei den fördernden staatlichen oder kommunalen Stellen liegen, die sich an den Verfassungsinterpretationen des Bundesverfassungsgerichts zu orientieren haben. Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß die Betonung dieser Kompetenz im Einzelfall zu Problemen oder Ungerechtigkeiten führen kann.

Aber das Gegenmodell, demzufolge jede Gruppe, jeder Träger oder jede Einrichtung sich auf je eigene Verfassungsinterpretationen berufen kann, ist problematischer und nicht praktikabel.

Verfassungskonformität bezieht sich auf die unveränderbaren Inhalte der Verfassung. Sie bedeutet aber auch hier nicht, daß Verfassungsbestimmungen nicht diskutiert und problematisiert werden dürften. Es geht darum, daß öffentlich geförderte Veranstaltungen der politischen Bildung nicht dazu benützt werden dürfen, die Teilnehmer auf eine Veränderung der nicht veränderbaren Teile der Verfassung hin zu motivieren. Die Notwendigkeit der " Überprüfung der Verfassungskonformität wird allerdings immer Probleme aufwerfen, die nicht zur vollen Zufriedenheit aller Beteiligten gelöst werden können. Besser wäre es für die politische Erwachsenenbildung, wenn die fördernden staatlichen Instanzen sich auf den Verfassungskonsens aller Träger und Einrichtungen in diesem Bereich verlassen könnten. Wenn heute mehr als früher staatliche Maßnahmen in dieser Richtung gefordert werden, dann ist dies nur eine Antwort auf die Tatsache, daß sich extremistische politische Positionen da und dort der politischen Bildung bemächtigt haben. Um zu verhindern, daß die Subventionsentscheidungen in rein formalistisch-administrativen Dimensionen verbleiben, kann der Staat sich politisch pluralistisch zusammengesetzter, sachkundiger Gremien bedienen.

Eine andere Möglichkeit ist die der systematischen Überwachung der einzelnen Bildungsveranstaltungen. Sie ist schon deshalb abzulehnen, weil tatsächliche oder auch nur vermutete Überwachung jede Art von Erwachsenenbildung hinsichtlich der Tagungspsychologie und damit der Lernvoraussetzung stört.

Auch personalpolitische Maßnahmen sind nur begrenzt und in extremen Fällen, in denen die Verfassungsfeindlichkeit leicht identifizierbar ist, anwendbar, wenn sie nicht zu einer Atmosphäre des Mißtrauens, des Opportunismus oder der ständigen Konflikte in der politischen Bildung führen sollen. Gerade in der politischen Bildung ist zu bedenken, daß restriktive Maßnahmen zum Zwecke der Erhaltung der freiheitlichen Grundordnung sehr leicht eine Atmosphäre schaffen können, in der die Motivation zum Engagement für diese Ordnung nicht gestärkt, sondern geschwächt wird.

Die Kriterien für die Förderung politischer Erwachsenenbildung sollen in erster Linie Qualitätskriterien sein. Sie setzen sich in einem solchen Bereich am wenigsten auf dem Wege administrativer Verordnung und Kontrolle durch. Längerfristig sind bessere Wirkungen zu erwarten von einem verstärkten, kontinuierlichen, offenen Dialog zwischen allen mit politischer Erwachsenenbildung Befaßten, von mehr Transparenz durch öffentliche Diskussion und von einer qualitativ hochstehenden Aus-und Fortbildung aller in der Erwachsenenbildung Tätigen.

Auch da, wo der Staat selbst unmittelbar Maßnahmen zur politischen Bildung ergreift, wie etwa in der Bundeszentrale, in den Landeszentralen, in staatlichen Akademien oder in Einrichtungen, die der Fortbildung von Angehörigen des öffentlichen Dienstes dienen, hat die Sicherung pluraler Angebotsstrukturen Vorrang. Eigene staatliche Maßnahmen sollen neben das Angebot nichtstaatlicher Träger treten; sie dürfen dieses weder ersetzen noch die freien Träger auf eine bloße Ergänzungsfunktion abdrängen. Staatliche Angebote in politischer Bildung müssen in sich ausgewogen und plural sein. Sie müssen auf der Basis des verfassungsmäßigen Grundkonsenses Meinungsvielfalt widerspiegeln und dürfen nicht einseitiger regierungskonformer Propaganda dienen.

Die staatlichen Dienstleistungen im Bereich der politischen Erwachsenenbildung sollen vor allem Ergänzungsfunktionen haben:

1. Es gibt immer wieder Bevölkerungsgruppen, die von den vorhandenen Einrichtungen der freien Träger nicht erreicht werden. Für diese sollte der Staat entsprechende Angebote gewährleisten. Er soll auch kleinere gesellschaftliche Gruppen, die den formalen Anforderungen der Förderungskriterien zunächst nicht genügen können, stützen und fördern, indem er Initiativen und Engagements solcher Gruppen anregt.

2. Politische Erwachsenenbildung kann auf einen Grundbestand an Daten, an Arbeitsmaterialien und an technologischen Voraussetzungen nicht verzichten. Staatliche Einrichtungen können im Bedarfsfälle bei der Beratung von Trägern politischer Erwachsenenbildung sowie durch die Erarbeitung und Bereitstellung von Publikationen, von Informationsund Lehrmaterial wichtige Aufgaben übernehmen.

Der Staat kann hier Dienstleistungen anbieten, die von anderer Seite nicht oder nicht in ausreichendem Maße erbracht werden können.

3. Auch politische Erwachsenenbildung ist auf Innovationen, z. B. bei der Erschließung neuer (bildungsferner und lernungewohnter)

Zielgruppen, angewiesen. Hier können staatliche Einrichtungen anregen und fördern sowie durch eigene Maßnahmen, vor allem durch die Entwicklung von Modellvorhaben, Pilot-funktionen übernehmen. Dabei sollte der Staat stets mit nichtstaatlichen Einrichtungen der politischen Bildung und mit geeigneten Fachleuten Zusammenwirken, um Ausgewogenheit und Praxisnähe von Anfang an sicherzustellen. Damit leistet er zugleich einen wichtigen Beitrag zur Kooperation im Bereich der politischen Bildung.

4. Der Staat muß politischem Extremismus offensiv entgegentreten. Staatliche Einrichtungen haben deshalb die Aufgabe, die geistig-politische Auseinandersetzung mit antidemokratischen und verfassungsfeindlichen Bestrebungen zu führen und andere Träger dabei zu unterstützen.

IX. Kooperationsformen in der politischen Erwachsenenbildung — Plurales und subsidiäres Gesellschaftskonzept

In einem pluralen und subsidiär aufgebauten System der Erwachsenenbildung hat jede gesellschaftliche Gruppe das Recht, Bildungsmöglichkeiten anzubieten. Wird ein öffentliches Interesse an einem System der Erwachsenenbildung, das grundsätzlich jedem Bürger Möglichkeiten der Weiterbildung gibt, anerkannt, was heute wohl unbestritten ist, dann ergibt sich für den Staat bzw. für die öffentlichen Hände die Verpflichtung, für ein solches System Sorge zu tragen.

Für ein öffentlich garantiertes Erwachsenenbildungssystem gibt es zwei prinzipielle Lösungsmöglichkeiten. Der Staat könnte in eigener Regie ein solches System ohne Rücksicht auf das, was freie Träger in eigener Entscheidung und aus eigener Kraft leisten, aufbauen. Die andere Möglichkeit besteht darin, daß die freien Träger gemeinsam mit dem Staat die Verantwortung für ein solches System übernehmen und in ihren jeweiligen Aktivitäten vom Staat gefördert werden. Die zweite Lösung entspricht einem pluralen subsidiären Gesellschaftskonzept.

In einem von freien Trägern mitverantworteten System der Erwachsenenbildung ergeben sich spezifische Koordinierungsprobleme. Eine ausschließlich vom Staat übernommene Koordinierung würde die Autonomie der freien Träger in Frage stellen. Daraus ergibt sich für die Träger die Verpflichtung, gemeinsam für die Koordination Sorge zu tragen. Hierfür müssen sie entsprechende Kooperationsformen entwickeln.

Die Kooperation hat vor allem das Ziel, den Bürgern ein bedarfsgerechtes und somit vielfältiges Angebot in zumutbarer Entfernung anzubieten und die Effizienz der Bildungsarbeit zu steigern. Dem dienen vor allem die Herausgabe gemeinsamer Weiterbildungsverzeichnisse, die Veröffentlichung von Arbeitsmaterialien, die Entwicklung von Curricula, der Erfahrungsaustausch, die Durchführung gemeinsamer Fortbildungsseminare für Mitarbeiter und die gemeinsame Nutzung von Räumen und Geräten.

Die Kooperation in Planung und Durchführung dient auch einem möglichst rationellen Einsatz der personellen und sachlichen Mittel. Sie darf aber gerade auch in der politischen Bildung nicht zur Aufhebung der Pluralität führen. Die Behandlung kontroverser Themen in gemeinsamen Veranstaltungen mehrerer Träger ist eine der Möglichkeiten der Darstellung von Pluralität und der Förderung des rationalen Dialogs zwischen den Gruppen, von der mehr als bisher Gebrauch gemacht werden sollte. Daneben muß aber gewährleistet bleiben, daß die einzelnen Träger solche Themen auch im Rahmen ihrer spezifischen Wertpositionen behandeln können. Das Recht auf Pluralität schränkt das rationelle Prinzip der Vermeidung von Mehrfachangeboten gleicher Themenbereiche in räumlicher und zeitlicher Nähe ein.

Die Kooperation macht gemeinsame Gremien der an der Erwachsenenbildung beteiligten Institutionen auf den verschiedenen Ebenen notwendig. Bei der Arbeit dieser Gremien ist darauf zu achten, daß sie einerseits nicht zu wirkungslosen Ritualen erstarren, andererseits das Personal der Einrichtungen nicht zu sehr auf Kosten der eigentlichen Bildungsarbeit absorbieren, über die Planung und Abstimmung der Bildungsmaßnahmen hinaus sollten die Gremien aller Ebenen — besonders auf der kommunalen und regionalen Ebene — vor allem folgende Aufgaben wahrnehmen: — Sie sollten ständig an der Konsensbildung über die Absichten und Ziele der politischen Bildung arbeiten. Hierzu gehört auch die Beschreibung des Dissens, womit die Grenzen der Kooperation jeweils abgesteckt und bewußt werden.

— Sie sollen an der Weiterentwicklung der Methoden und Hilfsmittel für die politische Erwachsenenbildung mitwirken.

— Sie sollen vor allem für eine umfassende und kontinuierliche gegenseitige Information Sorge tragen.

— Sie sollen für ein ausreichendes Angebot zur Fortbildung der Mitarbeiter in der politischen Erwachsenenbildung sorgen.

— Nicht zuletzt sollen sie für eine ständige Präsentation der politischen Bildung in der Öffentlichkeit und für eine zureichende Förderung Sorge tragen.

Um die Eigenständigkeit und die spezifischen Bedürfnisse der politischen Bildungsarbeit erfolgreich darstellen zu können, empfiehlt es sich, im Rahmen der Gremien für die allgemeine Erwachsenenbildung spezielle Kommissionen oder Arbeitskreise für die politische Bildung einzurichten.

X. Einschätzung und Überprüfung politischer Erwachsenenbildung — Maßstäbe einer Effizienzkontrolle

Heute wird mit Recht ein methodenbewußtes und überprüfbares Vorgehen in der politischen Bildung verlangt. Die mit einer Bildungsveranstaltung verfolgten Absichten müssen in Lernzielen formuliert werden können. Nun stößt aber vor allem in der politischen Erwachsenenbildung die Überprüfung der Erreichung eines gesetzten Lernziels oder die Messung des Grades der Annäherung an ein solches Ziel aus verschiedensten Gründen auf Grenzen.

Einer Überprüfung durch ein allgemein anwendbares Instrumentarium steht die von den Trägern beanspruchte Lernzielautonomie entgegen. Tatsächlich könnte ein solches Instrumentarium den Pluralismus in der politischen Erwachsenenbildung einengen. Unbeschadet der Tatsache, daß es auch in der politischen Erwachsenenbildung Kurse geben kann, die zu klar beschriebenen Qualifikationen und entsprechenden Zertifikaten führen sollen, muß insgesamt ein freies Angebot gewährleistet sein, dem der einzelne auch hinsichtlich der Verwertung in individueller Entscheidung antworten kann.

Eine Bildungsveranstaltung wird nicht dadurch zwecklos, daß die Teilnehmer Unterschiedliches in ihr lernen. Eine standardisierte Überprüfung des angestrebten Erfolgs gerät leicht an die Grenzen eines Eingriffs in die Persönlichkeitsrechte Erwachsener, die Bildungsangebote wahrnehmen wollen. Es gibt Ziele, die sich einer zureichenden Operationalisierung und einer adäquaten empirischen Überprüfung entziehen. Sie sind gerade in der politischen Erwachsenenbildung wiederum besonders häufig, bei der es sich ohnedies zu weiten Teilen um Kurzzeitpädagogik handelt.

Ob z. B. jemand zu einer rationalen Urteilsbildung befähigt worden ist und diese Fähigkeit auch anwendet oder ob jemand seine Einstellung geändert hat, zeigt sich in der Regel erst später im politischen Gespräch oder bei politischen Entscheidungen. Solche Veränderungen sind häufig vom einzelnen selbst nicht präzise zu erkennen oder gar hinsichtlich ihrer Kausalität bestimmbar.

Dessen ungeachtet sollte bei der Durchführung von Bildungsveranstaltungen alles getan werden, damit sie einen planvollen Ablauf und klare Zielsetzungen erkennen lassen. Bei aller notwendigen Differenzierung sollen die Ziele soweit wie möglich operationalisiert sein. Bis zu gewissen Graden läßt sich der Erfolg auch während einer Veranstaltung beobachten. Schon deshalb ist es notwendig, daß auch mehrtägige Veranstaltungen von einem pädagogischen Leiter kontinuierlich geleitet oder wenigstens begleitet werden. Ziele sollten auch dann so präzise wie möglich beschrieben werden, wenn ihre Überprüfung nicht möglich oder nicht beabsichtigt ist. Einmal dient dies der Offenlegung der Absichten des Veranstalters, worauf die Teilnehmer einen Anspruch haben. Zum anderen erleichtern sie es dem Teilnehmer, den Erfolg der Bildungsveranstaltung individuell zu überprüfen. Einer standardisierten Lernzielkontrolle durch den Veranstalter dürften Hilfen, die den Teilnehmern während oder am Ende einer Veranstaltung für eine individuelle und eventuell differenzierte Erfolgskontrolle gegeben werden, vorzuziehen sein. Sie unterstützen die Rationalität des Bildungsprozesses, ohne die Freiheit des Teilnehmers anzutasten. Ein zusätzlicher Bedarf nach Erfolgskontrollen ergibt sich aus der Notwendigkeit von Förderungskriterien. Hier sind noch keine befriedigenden Lösungen gefunden worden. Die Zahl der Teilnehmertage oder Teilnehmerstunden als Förderkriterien für Träger und Einrichtungen der Erwachsenenbildung sagt über pädagogische Wirkungen nichts aus. Es handelt sich hier um eine quantifizierte Leistungsbilanz der Veranstalter, die eher dazu verführt, Subventionsstrategien über pädagogische Erwägungen zu stellen.

Auf der anderen Seite müssen der Förderung objektivierbare Kriterien zugrunde liegen. Eine kontinuierliche und präzise Qualitätskontrolle im Hinblick auf Planung, Durchführung, Zielsetzungen und Methoden der Veranstaltungen würde, vom Verwaltungsaufwand einmal abgesehen, die Autonomie der Träger essentiell antasten. Man wird in Zusammenarbeit von öffentlicher Hand und Trägern politischer Erwachsenenbildung zu einer Kombination von Kriterien kommen müssen, wobei die Kontrollelemente, die in der Kooperation der Träger und Einrichtungen sowie in ihrem relativen Offentlichkeitscharakter liegen, mit in Rechnung zu stellen sind. Generell müssen aber gerade für die politische Erwachsenenbildung bei aller Notwendigkeit, ihre Effizienz zu verbessern und die Relation zwischen den eingesetzten Mitteln und dem Erfolg möglichst günstig zu gestalten, Freiräume bleiben, in denen ein von Erfolgsdruck freier Diskurs möglich ist.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Hans Bolewski, Dr. phil., geb. 1912 in Kiel; Bildungsbeauftragter der Landeskirche Hannover und Lehrbeauftragter an der Universität für Erwachsenenbildung, Hannover. Bernhard H. D. E. Gebauer, Dr. phil., geb. 1931 in Berlin; Leiter der Politischen Akademie Eichholz der Konrad-Adenauer-Stiftung e. V., Vorsitzender des Arbeitskreises deutscher Bildungsstätten e. V. Manfred Hättich, Prof., Dr. rer. pol., geb. 1925; Ordinarius für Politische Wissenschaften an der Universität München (beurlaubt); Direktor der Akademie für politische Bildung in Tutzing seit 1970. Albrecht Martin, geb. 1927; Lehrbeauftragter für Studien-und Berufsfragen an der Universität Mainz; Landtagspräsident von Rheinland-Pfalz seit 1974. Hildegard Matthäus, geb. 1934 in Mülheim/Ruhr; Fachoberlehrerin der kaufm. Berufs-und Handelsschule; seit 14 Jahren Stadtverordnete Schule und Kultur, Landesvorsitzende Kommunalpolit. Vereinig. NRW, Ausschuß Bildung und Kultur. Heinrich Oberreuter, Dr. phil., geb. 1942; Wissenschaftlicher Assistent und Lehrbeauftragter am Geschwister-Scholl-Institut der Universität München; seit 1971 Mitglied des Vorstandes der Deutschen Vereinigung für Parlamentsfragen; 1974 Preis des Bayerischen Landtages. Hans Palm, geb. 1937; Professor für Politikwissenschaft und Gemeinwesenarbeit an der Fachhochschule des Landes Rheinland-Pfalz, Abt. Koblenz; Dekan des Fachbereichs Sozial-arbeit; seit 1976 Vorsitzender des Programmrates der Stiftung Europa-Haus Marienberg. Hans-Ulrich Reh, Regierungsdirektor, geb. 1937; Referent für Weiterbildung und kulturelle Stiftungen im Kultusministerium Rheinland-Pfalz; persönlicher Referent des für Hochschulen, kulturelle Angelegenheiten und Planung zuständigen Staatssekretärs. Herbert Scheffler, geb. 1923 in Berlin; Gründungsmitglied und von 1959 bis 1973 Vorstandsmitglied im Arbeitskreis, deutscher Bildungsstätten; Leiter der Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz; stellvertr. Vorsitzender der Europäischen Akademie Berlin sowie des Europa-Hauses Marienberg. Werner Scherer, geb. 1928 in Neunkirchen, Minister a. D.; von 1955 bis 1975 MdL Saarland, 1960 bis 1965 stellvertr. Vorsitzender des Ausschusses für Haushalts-und Finanzfragen; ab 1963 Vorsitzender des Ausschusses für Kulturpolitik und Jugendfragen, 1960 bis 1963 Landesvorsitzender der JU; 1965 bis 1977 Minister für Kultus, Unterricht und Volksbildung; 1973 bis 1977 Vorsitzender des Landesverbandes Saar der CDU. Rudolf Sussmann, M. A., geb. 1946; wissenschaftlicher Mitarbeiter der Hanns-Seidel-Stiftung; seit 1974 nebenberuflich Lehrbeauftragter für politische Bildung an der Katholischen Stiftungsfachhochschule für Sozialwesen in München.