Zusammenfassung
Aus Politik und Zeitgeschichte B 43/78, S. 27— 30
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Aus Politik und Zeitgeschichte B 43/78, S. 27— 30
Der Beitrag von Gerd Hauth muß als typischer Diskussionsbeitrag zur Verbraucherpolitik aus der Sicht der anbietenden Wirtschaft gewertet werden. Um seine Position und die meine als die einer „typischen Verbraucher-politikerin" aneinander anzunähern, würde vermutlich erheblich mehr Platz zur Klärung der beiderseitigen Vorverständnisse notwendig sein, als zur Verfügung steht. So schwierig es im einzelnen auch sein mag, will ich doch versuchen, meine Position abermals zu erläutern.
Ich anerkenne, daß auch von Seiten der anbietenden Wirtschaft die Verbraucherpolitik zunehmend als Teil der Wirtschaftspolitik gewertet wird. Vergleichende Warentests, Preisvergleiche und Aufklärung der Verbraucher durch die Massenmedien oder die Verbraucherorganisationen werden als verbraucherpolitische Maßnahmen von Seiten der Anbieter nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Dabei ist nicht zu bestreiten, daß verbraucherpolitische Maßnahmen mitunter schmerzlich fühlbare Auswirkungen auf die Tätigkeit der Unternehmen haben. Gleichwohl haben die Verbraucherinteressen vor den Produzenteninteressen noch keineswegs den Vorrang, geschweige denn gleichen Rang. Aber es ist zuzugeben, daß Umweltschutz, Gesundheitsschutz, Schutz vor wirtschaftlichem Schaden, soziale Folgekosten, Sicherheitsaspekte und auch der Energieverbrauch auf der Anbieterseite als wichtige Argumente bei wirtschaftlichen Entscheidungen immer stärker berücksichtigt werden. Aus meiner Arbeit im Präsidium des Deutschen Institutes für Normung weiß ich, daß Hersteller und Handel verbraucherpolitische Argumente gewöhnlich ernst nehmen und ihnen nachzukommen suchen. An der prinzipiellen Ungleichgewichtigkeit der Macht beider Markt-partner ändert dieses feststellbare Entgegenkommen der anbietenden Wirtschaft allerdings nichts. Weit leichter schafft sich der Anbieter den gewünschten Nachfrager, als dies umgekehrt der Fall ist.
Den Punkt, an dem „aus dem wachsenden Problemdruck" von seifen der Verbraucher-politik nur noch der Weg durch „eine system-verändernde Wirtschaftspolitik" offensteht, wüßte ich nicht zu bezeichnen; weder durch die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung im allgemeinen noch twa durch die von mir mitverantwortete Verbraucherpolitik scheinen mir Anhaltspunkte für einen solchen Scheideweg gegeben. Unser Wirtschaftssystem ist keine reine Marktwirtschaft, wie alle Praktiker wissen, sondern ein Mischsystem mit sowohl privatwirtschaftlichen wie gemeinwirtschaftlichen und auch staatlich-dirigistischen Elementen. Weder der Agrarbereich noch etwa die staatliche Kohlepolitik haben noch viel mit freier Marktwirtschaft zu tun. Außerdem sollte man wohl nicht vergessen, daß das Grundgesetz im Artikel 15 die Überführung Von Produktionsmitteln in Gemeineigentum oder andere Eigentumsformen als Möglichkeit durchaus vorsieht. An der Verfassung gemessen, wäre nicht einmal die Verstaatlichung bestimmter Bereiche als „systemverändernd" zu brandmarken.
Ebensowenig taugt das Schlagwort von der „Investitionslenkung" als Schreckgespenst marktwirtschaftsgläubiger Mitbürger. Staatliche Lenkung von Investitionen wird auf vielfältige Weise betrieben, und die Forderung nach größeren Steuervergünstigungen für die Industrie soll schließlich auch nichts anderes zur Folge haben, als daß diese verstärkt investiert. Investitionslenkung also durch staatliche Steuerpolitik! Die Gewährung von Subventionen oder die staatliche Forschungsförderung leisten gleiche Dienste.
Weil es die ideale Marktwirtschaft bei uns genausowenig wie im übrigen Europa oder in den Vereinigten Staaten und Japan gibt, und weil Fehlentwicklungen gewöhnlich zu Lasten des schwächeren Marktpartners, also der Verbraucher und der kleinen Unternehmen gehen, betreibt die Bundesregierung seit Jahren bewußt Verbraucherpolitik und Selb-Ständigenpolitik als wichtige Teilpolitiken der allgemeinen Wirtschaftspolitik. Die Stellung des Verbrauchers im Markt muß genauso gestützt und gestärkt werden wie diejenige des mittelständischen Unternehmers gegenüber dem Großbetrieb. Insbesondere unter Wettbewerbsgesichtspunkten sind beide in gleicher Weise schutzbedürftig. Der Verbraucher ist dies zusätzlich, weil er beispielsweise Gesundheits-, Sicherheits-und Umweltrisiken weder aus eigener Kenntnis des Produktionsprozesses noch durch sonstige, ihm direkt vom Hersteller gegebene Informationen, hinreichend abschätzen kann.
Hauth unterscheidet in seinem Beitrag zwischen systemkonformer, systemkritischer bzw. systemverändernder Verbraucherpolitik. Er behauptet, es hätten sich „drei Standpunkte herauskristallisiert“. Standpunkt A ist in sich widersprüchlich: Entweder ist der Verbraucher „der stärkere Partner am Markt", dann kann er aber durch „die Vielfalt des Angebots und (den) technischen Standard vieler Produkte" nicht gleichzeitig überfordert sein. Oder er ist halt doch überfordert, dann werden aber „seine Kaufentscheidungen ... das Angebot“ nicht „steuern". Als Standpunkte B und C unterscheidet Hauth wenig scharf zwischen dem fehlenden Vorrang oder der fehlenden Gleichrangigkeit der Position der Verbraucher gegenüber den Anbietern einerseits und der grundsätzlichen Unterlegenheit der Verbraucher den Anbietern gegenüber andererseits. In jedem Fall ist die bei Punkt C daraus abgeleitete Folgerung für meine Parlamentskollegen und mich unzutreffend, der zufolge wir eine „grundlegende Änderung der Wirtschaftsordnung" als „unumgänglich" betrachteten. Denn alle in meinem Aufsatz beschriebenen Maßnahmen sind innerhalb unserer Wirtschaftsordnung angesiedelt.
Hauth argumentiert in seiner Stellungnahme nicht redlich: Unrealistische Idealmodelle (Standpunkt A) werden den allseits bekannten und unbestrittenen Analysen von der Unterlegenheit und Schutzbedürftigkeit der Verbraucher gegenübergestellt, und aus diesen Analysen wird eine bedenkliche Neukonzeption unserer Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung unterstellt, von der in Regierung und Parlament nirgendwo die Rede ist. Die verbraucherpolitischen Ziele der Bundesregierung, wie sie im 2. Bericht zur Verbraucher-politik vom 20. Oktober 1975 niedergelegt sind, lauten zusammengefaßt:
— Stärkung der Stellung des Verbrauchers am Markt;
— Information und Beratung des Verbrauchers, z. B. über richtiges Marktverhalten;
— Verbesserung der Rechtsposition der Verbraucher und Schutz vor Irreführung und unlauteren Verkaufspraktiken;
— umfassender Schutz des Verbrauchers vor gesundheitlicher Schädigung; — Stärkung und Straffung der verbraucherpolitischen Interessenvertretung.
Diese Ziele stimmen übrigens überein mit den verbraucherpolitischen Zielen der Europäischen Gemeinschaft, für deren rasche Verwirklichung sich in einer Entschließung auch das Europäische Parlament eingesetzt hat.
Ich halte Hauths Ansatz in Punkt 5 unter dem Vorzeichen des Nord-Süd-Konflikts und der weltweit herrschenden Mangellagen, „die Hauptaufgabe der Wirtschaftspolitik vor allen Dingen" darin zu sehen, „weltweit die Effizienz der Produktionsmöglichkeiten zu verbessern", für ein zu kurz greifendes Argument. Es bestätigt allerdings meine These, die Hauth in Punkt 4 angreift: daß nämlich die etablierte Wirtschaftswissenschaft eindeutig anbieterorientiert sei. Ich bestreite ja überhaupt nicht, daß es sowohl für unsere Gesellschaft als auch für die Menschen im übervölkerten Vorderindien oder im hungernden Schwarz-Afrika von größerem Vorteil ist, sich auf eine effiziente Wirtschaft abstützen zu können als auf eine überhaupt nicht leistungsfähige oder marode Volkswirtschaft.
Doch muß die Leistungsfähigkeit immer unter zwei Aspekten gesehen werden: Angesichts der sich abzeichnenden Ressourcenknappheit darf das Wirtschaften nicht länger nach der Devise „Konsum um jeden Preis“ ablaufen;
wir müssen alternative Modelle entwickeln lernen, wohlgemerkt innerhalb unseres bestehenden Wirtschaftssystems, aber abgestützt auf eine verbesserte Wirtschaftsforschung aus Verbrauchersicht.
Mit der Marxschen Arbeitswertlehre habe ich mich wissenschaftlich nie beschäftigt. Ich halte es auch für ein nicht glückliches Verfahren, aus Zitaten des Wirtschaftswissenschaftlers Bernd Biervert Folgerungen abzuleiten, die dann (in Punkt 4 der Hauthschen Stellungnahme) als „indirekt von (mir) aufgestellte Forderung" deklariert werden.
Zu Punkt 6 seiner Ausführungen ist Hauth nur anzuraten, sich mit dem ersten Gutachten der Monopolkommission und mit den im Laufe der letzten Jahre erstellten Berichten der Bundesregierung zur Situation des Wettbewerbs einmal intensiver zu beschäftigen. Der Kampf gegen Kartelle, Preisabsprachen und andere Einschränkungen des Wettbewerbs zieht sich durch die Jahrzehnte, und er war in den meisten Fällen nicht von Erfolg gekrönt.
Die Automobilpreiserhöhungen, gegen die das Bundeskartellamt verschiedentlich Einspruch erhoben hat, oder die Erhöhung der Kraftfahrzeugversicherung, die uns in den letzten Wochen beschäftigt hat, beleuchten nachdrücklich, wie schwach die Position des Verbrauchers in solchen Fällen ist.
Die von mir vertretenen verbraucherpolitischen Vorstellungen, die gerade auf eine aktivere Beteiligung und Einflußnahme der Verbraucher abzielen, als Ansätze für ein System der Entmündigung und Manipulation der Verbraucher darzustellen, zeugt von großer „Mißverständnisbereitschaft". Ich möchte gerade die Eigenverantwortlichkeit der Verbraucher stärken und ihnen als Voraussetzung dazu beispielsweise eine wirkungsvolle Beratung über vernünftige und sinnvolle Einkommensverwendung und richtiges Marktverhalten angedeihen lassen. Außerdem habe ich verschiedentlich betont, daß besten Gesetze unwirksam sind, wenn ihr Vollzug nicht sichergestellt ist. Deshalb muß zur Aktivierung der einzelnen Verbraucher eine bessere Vertretung ihrer Interessen und Wahrnehmung ihrer Rechte treten. Aktivierung läßt sich durch eine verstärkte Ausbildung der Verbraucher zu kritischen und selbstbewußten, unabhängigen und informierten Teilnehmern am Wirtschaftsleben erreichen, die verbesserte Interessenvertretung durch eine wirklich schlagkräftige Verbraucherschutzorganisation, wie auch immer sie beschaffen sein mag.
Der aufgeklärte, kritische Verbraucher soll imstande sein, das Angebot der Wirtschaft am Markt und auch die Angebotsstrategien der Anbieter wirksam zu „kontrollieren“, um durch seine gezielte und vernünftige Nachfrage kostspielige volkswirtschaftliche Fehlentwicklungen vermeiden zu helfen. Wenn die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucher und die Stiftung Warentest unter dieser Prämisse eine bessere Beratung und Aufklärung der Verbraucher beabsichtigen und den Beratungskräften und anderen Multiplikatoren in dem gerade gegründeten Verbraudierinstitut das notwendige Wissen vermitteln wollen, so ist dieser Schritt nur zu begrüßen.
Soweit ich sehen kann, versteht sich die von Politikern, Regierung und Verbraucherorganisationen betriebene Verbraucherpolitik als „Hilfe zur Selbsthilfe". Sie zielt auf mehr Demokratie, Selbstorganisation und Selbstbewußtsein der Verbraucher ab. Dies hat natürlich eine kritische Auseinandersetzung mit Produkten und Vertriebsmethoden zur Vorbedingung, was der anbietenden Wirtschaft aus verständlichen Gründen sehr häufig mißfällt.
Solange allerdings Hersteller unsichere und gefährliche Produkte auf den Markt bringen und der Handel sie verkauft, muß man sich über eine manchmal auch aggressiv geführte Diskussion der Verbraucherpolitiker nicht wundern. Es geht in der Verbraucherpolitik vorrangig um den Schutz der Bürger vor Schäden und vor der Einschränkung ihrer Freiheit durch mächtige Anbieter und Hersteller; in zweiter Linie geht es natürlich auch darum, die Freiheitsräume der Wirtschaft in unserer sich frei nennenden Marktwirtschaft zu gewährleisten. Dazu ist allerdings als wichtige Vorbedingurg notwendig, daß die Hersteller und Anbieter sich sachlich mit der Kritik der Verbraucher an den Produkten und Verkaufsmethoden auseinander-setzen und berechtigten Klagen Mißständen nachgehen. Ich gestehe gern zu, daß dies in einer Vielzahl von Fällen problemlos geschieht. Ich möchte an dieser Stelle noch einige Worte zur Verteidigung der Wissenschaftler Biervert, Fischer-Winkelmann, Köhler und Rock sagen: Diese Wuppertaler Arbeitsgruppe hat in einem vom Bundesministerium für Forschung und Technologie herausgegebenen Band („Forschung aktuell") über eine „verbrauchergerechte Verbraucherforschung und -politik“ geschrieben. Die dort enthaltenen Aufsätze dienen mehr der Problematisierung eines bisher wissenschaftlich etwas „unterbelichteten“ Forschungsbereichs, als daß sie „endgültige Wahrheiten" zu formulieren vor-gäben. Meiner Meinung nach ist es in der Tat so, daß man sich in unserem Wirtschaftsleben manche Fragen bisher einfach nicht gestellt hat. Biervert und seine Kollegen versuchen, ausgehend von der vorfindbaren Situation, Fragen aus der Verbraucherperspektive zu stellen — durchaus ohne Anspruch darauf, auf diese Fragen nun auch gleich eine passende Antwort bereitzuhalten. Als Ergebnis ihrer Überlegungen kristallisieren sich zwei Thesen heraus:
1. Der Gedanke der Selbstorganisation der Verbraucher, 2. eine möglichst frühzeitige Berücksichtigung der Verbraucherinteressen bei der Herstellung privater und öffentlicher Güter.
Diese beiden Thesen als angeblich perfektes System der totalen Bevormundung, Beherrschung und Manipulation des Individuums darzustellen, ist eine beachtliche Verdrehung der dargelegten Überlegungen. Für mich er-29 gibt sich aus dieser Fehlinterpretation vor allem die Frage, ob nicht tatsächlich Werbung und Verkaufspraktiken der anbietenden Wirtschaft mit ihrer ja gar nicht so selten anzutreffenden Bevormundung der unwissenden und meist auch schlecht informierten Verbraucherschaft weit grundsätzlicher und nachhaltiger in Frage gestellt werden müßten, als dies geschieht, um unser Wirtschaftsleben nicht nur aus der Blickrichtung der Anbieterschaft ins Visier zu nehmen.
Ein letztes Wort zu Punkt 10 der Hauthschen Ausführungen. „Daß die heutigen Fahrzeuge durch Eigeninitiative der Hersteller einen Sicherheitsstandard erreicht haben, der vor Jahren noch für undenkbar gehalten wurde", ist beileibe nicht der freiwillig geleisteten Initiative der Automobilhersteller zuzuschreiben. Da hat es vor Jahren in den Vereinigten Staaten einen Verbraucherpolitiker namens Ralph Nader gegeben, der just an der mangelnden Sicherheit der Automobile ansetzte und äußerst wirksame Kampagnen entfesselte. Diese haben zunächst in den Vereinigten Staaten beachtliche Folgen gehabt und — wegen der Exportchancen — auch auf den deutschen Automobilmarkt übergegriffen. Der Zusammenhang ist typisch: Zuerst müssen Verbraucherpolitiker aktiv werden und für konkrete Einzelziele kämpfen — solange, bis die Wirtschaft sich ihren Appellen nicht mehr entziehen kann. Schließlich wird dem Verbraucher dann zugestanden, was eigentlich schon längst sein Recht gewesen wäre. Geschenkt wird uns nichts. Aber das geht den Politikern, die sich für Kinder und Jugendliche, für Familien insgesamt, für alte Menschen, für Behinderte, für ausländische Arbeitskräfte, für Frauen einsetzen oder für Natur-und Umweltschutz kämpfen. meistens ganz genauso. Die Verpflichtung^ aus unserer Wirtschaftsordnung mit ihrem oft unsozialen „freien Spiel der Kräfte" einen Sozialstaat zu zimmern, der auch den weniger mächtigen Gruppen Schutz bietet, nehmen wir ernst. Diesem Ziel dient auch eine aktive Verbraucherpolitik.
Anke Martiny, Dr. phil., geb. 1939 in Dortmund; Journalistin; seit 1972 Mitglied des Deutschen Bundestages, Vorsitzende der Arbeitsgruppe Verbraucher-politik der SPD-Bundestagsfraktion, Mitglied des Wirtschaftsausschusses des Bundestages. Veröffentlichung: (zus. mit Otfried Klein) Marktmacht und Manipulation, Frank-furt/Köln 1977.
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