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Verbraucherpolitik -trojanisches Pferd zur Systemveränderung? Stellungnahme zum Beitrag von Anke Martiny in B 24/78 | APuZ 43/1978 | bpb.de

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APuZ 43/1978 Artikel 1 Grüner Protest -Zeichen der Parteienverdrossenheit? Politische Strömungen in der „Ökologie-Bewegung" Verbraucherpolitik -trojanisches Pferd zur Systemveränderung? Stellungnahme zum Beitrag von Anke Martiny in B 24/78 Entgegnung auf den Beitrag von Gerd Hauth

Verbraucherpolitik -trojanisches Pferd zur Systemveränderung? Stellungnahme zum Beitrag von Anke Martiny in B 24/78

Gerd Hauth

/ 11 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Aus Politik und Zeitgeschichte B 43/78, S. 21— 25

Seit Ausgang der 60er Jahre hat die Wirtschaftspolitik. versucht, ökonomische Prozesse und Entscheidungen transparenter zu gestalten und Maßnahmen an objektiven Zielen auszurichten, um damit eine Form von rationaler Wirtschaftspolitik zu finden, die den Ansprüchen aller sozialen Gruppen und Institutionen naherkommt. Die Einführung des so-genannten Stabilitätsgesetzes und die Gründung der Konzertierten Aktion waren sichtbare Anzeichen dieser Wirtschaftspolitik. Bis heute kann die Frage, ob diese Wirtschaftspolitik ihre Aufgabe erfüllt hat, nicht beantwortet werden. Parallel zu den wirtschaftspolitischen Bemühungen, Probleme zu verringern bzw. ihr Entstehen zu verhindern, nahmen die wirtschaftlichen, aber auch die sozialen Schwierigkeiten ständig zu. Dieser weltweiten Entwicklung konnte sich die Bundesrepublik nicht entziehen. Probleme wie Inflation, Stagnation, Arbeitslosigkeit, Verteilungskonflikte, Rohstoffpreisexplosion, Nord-Süd-Gefälle, Währungsunruhen scheinen sich zum Teil zu verschärfen. Im Laufe dieser Entwicklung ist deutlich geworden, daß eine ganze Reihe von Politikern und Wissenschaftlern einen Ausweg aus dem wachsenden Problemdruck nicht mehr im Rahmen der bestehenden Wirtschaftsordnung, sondern nur noch durch eine systemverändernde Wirtschaftspolitik zu finden glaubt. Beispiele für diese Absichten sind Verstaatlichungsforderungen (Banken, Mineralölindustrie) und die Forderung nach Investitionslenkung. In jüngster Zeit wird verstärkt die Verbraucherpolitik als Teilbereich der Wirtschaftspolitik als möglicher Hebel zur Systemveränderung eingesetzt. 2. Alle wichtigen sozialen Gruppen haben die Verbraucherpolitik inzwischen überprüft und ihr Konzept in die gesamte Wirtschaftspolitik eingeordnet. Dabei haben sich drei verschiedene Standpunkte herauskristallisiert:

a) Grundsätzlich ist der Verbraucher der stärkere Partner am Markt. Seine Kaufentscheidungen steuern das Angebot-Allerdings wird nicht verkannt, daß die Vielfalt des Angebots und der technische Standard vieler Produkte den Verbraucher überfordern. Seine Möglichkeiten, das Angebot durch bewußte und freie individuelle Wahlentscheidung zu steuern, müssen daher verbessert werden. Dies kann geschehen durch Produktinformationen, Normung von Verpackung, vergleichende Tests und regionale Produktpreisvergleiche, die unter Zuhilfenahme der Massenmedien den Verbrauchern helfen, ihr Informationsbedürfnis zu befriedigen und ihre Kaufentscheidung zu erleichtern.

b) Der Vorrang oder zumindest die Gleichran-gigkeit der Position der Verbraucher gegenüber den Anbietern wird bestritten. Machtposition und Manipulation der Anbieter schränken die Entscheidungsfreiheit der Verbraucher ein. Das fehlende Gleichgewicht zwischen Anbieter und Verbraucher soll etwa durch eine Verschärfung des Wettbewerbs, einheitliche Güterkennzeichnung, Beschränkung der Werbung, Verbesserung der rechtlichen Stellung des Verbrauchers, verschärfte allgemeine staatliche Aufsicht u. ä. m. angestrebt werden. Mit diesen Maßnahmen verstärkt zwar der Staat die Reglementierung, eine abrupte und grundlegende Änderung der Wirtschaftsordnung ist jedoch nicht beabsichtigt. c) In der marktwirtschaftlichen Ordnung ist der Verbraucher dem Anbieter grundsätzlich unterlegen. Diese Benachteiligung ist eine systemimmanente Erscheinung der Marktwirtschaft. Eine grundlegende Änderung der Wirtschaftsordnung ist unumgänglich, um die Stellung des Verbrauchers zu verbessern. Auf die Ausgestaltung der angestrebten Wirtschafts-und Gesellschaftsordnung im einzelnen wird im folgenden noch eingegangen. Eine differenzierte Darstellung insbesondere der beiden ersten Ansätze findet sich im Gutachten der Kommission für wirtschaftlichen und sozialen Wandel in der Bundesrepublik Deutschland 1). 3. Das Spektrum der einzelnen Ansätze reicht somit von der völligen Systemkonformität bis zur strikten Ablehnung der bestehenden Wirtsc Das Spektrum der einzelnen Ansätze reicht somit von der völligen Systemkonformität bis zur strikten Ablehnung der bestehenden Wirtschafts-und Gesellschaftsordnung. Systemverändernde bzw. systemkritische Verbraucherpolitik begreift sich nicht als Bündelung punktueller Interventionen, sondern als umfassende Neukonzeption unserer Wirtschafts-und Gesellschaftsordnung. Dabei verbleibt dieser Ansatz nicht in der Sphäre eines Denkmodells, sondern fließt bereits in die Überlegungen politischer Entscheidungsträger ein. Die Ausführungen von Anke Martiny 2) können — wie sich noch zeigen wird — als Beispiel dafür dienen. Damit erhält die systemkritische Verbraucherpolitik eine aktuelle politische Dimensio©, die über eine rein akademische Diskussion weit hinausreicht und eine grundsätzliche Auseinandersetzung erfordert. Ausgangspunkt der systemkritischen Verbraucherforschung und -politik ist die Prämisse, die etablierte Wirtschaftswissenschaft sei eindeutig anbieterorientiert. Aus diesem Grunde sei ein großes Theoriedefizit in der Verbraucherforschung entstanden 3). Die Priorität der Angebotsseite in den Wirtschaftswissenschaften habe auch in der Wirtschaftspolitik Folgen gezeigt. Wirtschaftspolitik zielt nach dieser Auffassung seit Keynes nur darauf ab, die gesamtwirtschaftliche Verbrauchernachfrage so zu steuern, daß sie das vorhandene Produktionspotential der Angebotsseite auslastet. Eine als notwendig erachtete selektive Steuerung innerhalb der Verbrauchernachfrage liegt außerhalb der wirtschaftspolitischen Absichten. Die Frage, ab wann und wie die Wirtschaftswissenschaften anbieterorientierte Prioritäten setzten, beantwortet B. Biervert sehr eindeutig: „Es war die subjektive Wertlehre, die die Arbeitswertlehre verdrängte und die die aus dieser entwikkelbaren sozialkritischen Forderungen unterdrücken half. Die Realisierung dieser Forderungen hätte nach einer Gestaltung der Produktionsverhältnisse verlangt, die eine grundsätzlich anders geartete Verbraucherpolitik als die heutige zur Folge gehabt oder diese gänzlich überflüssig gemacht hätte." 4)

An dieser Stelle kann keine wissenschaftliche Auseinandersetzung über die Richtigkeit der Arbeitswertlehre geführt werden. Zwei Aspekte sind jedoch notwendigerweise zu erwähnen. Die Arbeitswertlehre, die Karl Marx von den Klassikern Adam Smith und David Ricardo übernahm und weiterentwickelte, führt zu einer grundsätzlich anderen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung (u. a. Aufhebung des Privateigentums an Produktionsmitteln). Zum anderen werden die grundlegenden Erkenntnisse der Arbeitswertlehre in der Wirtschaftswissenschaft durchaus stichhaltig bestritten. Die von B. Biervert, aber auch indirekt von Anke Martiny aufgestellte Forderung, zur Arbeitswertlehre zurückzukehren, verkennt, daß Güter und Dienstleistungen ihren Wert vor allen Dingen durch die individuelle Wertschätzung des Verbrauchers erfahren. Gerade dies aber ist Inhalt der subjektiven Wertlehre und gerade damit wird deutlich, daß der subjektive Wertmaßstab notwendige Voraussetzung für den persönlichen Entscheidungsspielraum in der bestehenden Wirtschafts-und Gesellschaftsordnung ist.

5. Nicht unerwähnt sollte bleiben, daß der Vorwurf der anbieterorientierten Wirtschaftswissenschaften und -politik nicht grundsätzlich falsch ist. Seit jeher beschränkt die Angebotsseite mit ihren knappen Produktionsfaktoren die Möglichkeit, alle Bedürfnisse zu befriedigen. Eine Kritik an der Wissenschaft, die der Notwendigkeit folgt, das Angebot zu optimieren, um auf diese Weise einer möglichst hohen allgemeinen Bedürfnisbefriedigung gerecht zu werden, ist sehr praxisfern. Angesichts des Nord-Süd-Konflikts, in dem die Spannung zwischen Befriedigung von Bedürfnissen und Knappheit von Produktionsmitteln besonders scharf hervortritt, muß die Hauptaufgabe der Wirtschaftspolitik vor allen Dingen darin bestehen, weltweit die Effizienz der Produktionsmöglichkeiten zu verbessern. Verbraucherpolitik kann hier auf mittlere Sicht nur sehr peripher mitwirken, entscheidende Impulse vermag sie nicht zu setzen.

6. Die Einführung und Beibehaltung des marktwirtschafflichen Systems hat nach Ansicht der systemkritischen Verbraucherpolitik die Stellung des Verbrauchers ständig weiter geschwächt. Ursache dieser Entwicklung ist, so wird behauptet, daß die Marktwirtschaft aus sich selbst heraus zu einer Aufhebung des Wettbewerbs tendiere. Dies werde deutlich in einer fortschreitenden Konzentration auf der Angebotsseite und führe somit zwangsläufig zu immer weniger Wettbewerb. Sicherlich ist eine Tendenz zur Verringerung der Anbieterzahl in einigen Sektoren unserer Wirtschaft unverkennbar. Aber reicht dieser Sachverhalt aus, um den „stichhaltigen" Beweis zu führen, daß eine system-immanente Tendenz zur Aufhebung des Wettbewerbs und zur Monopolisierung besteht, wie B. Biervert und Anke Martiny es annehmen? Der erforderliche Nachweis läßt sich nicht erbringen. Die naive Auffassung, der Wettbewerb hänge von der Zahl der Anbieter ab, findet weder in der Theorie noch in empirischen Untersuchungen ihre Bestätigung. In zahlreichen empirischen Analysen wird nachgewiesen, daß der Wettbewerb bei zunehmender Konzentration durchaus nicht an Intensität zu verlieren braucht, sondern sogar zunehmen kann

Dann bleibt die Schlußfolgerung, die Anke Martiny zieht, wonach sich aus „der zunehmenden Vermachtung unserer Wirtschaft und dem nur begrenzt funktionierenden Wettbewerb" eine Benachteiligung des Verbrauchers ergibt, wie viele andere Thesen auch nur eine Behauptung, die dem Laien sicher verständlich und einleuchtend erscheint, gleichwohl aber falsch ist. 7. Für die systemkritische Verbraucherpolitik sind die Arbeitswertlehre sowie die Thesen von der Anbietermacht und der Selbstaufhebung des Wettbewerbs in der marktwirtschaftlichen Ordnung Prämissen, auf die sie ihr Konzept einer neuen Verbraucherpolitik aufbaut. Da diese Prämissen grundsätzlich nicht zutreffen, könnte sich eine weitere Auseinandersetzung bereits an dieser Stelle erübrigen. Trotzdem sind die Schlußfolgerungen, die von der systemkritischen Verbraucherpolitik gezogen werden, interessant genug, um näher untersucht zu werden.

In den Ausführungen von Anke Martiny beinhalten sich eine Fülle von Forderungen. Sie reichen von der qualitativen Prüfung der Werbung über öffentliche Boykottaufrufe (verfassungsrechtlich außerordentlich bedenklich) bis zur Einrichtung einer umfangreichen Verbraucherbehörde. All diesen Forderungen ist gemeinsam, daß der Verbraucher aus seiner Eigenverantwortung herausgelöst wird, um seine Verhaltensweisen den Direktiven übergeordneter Institutionen anzupassen. Daß ein Verbraucher z. B. auch ohne öffentliche Boykottaufrufe die Produkte eines bestimmten Herstellers schon bisher nicht zu kaufen brauchte und bei der angestrebten und von den Herstellern befürworteten Produktinformation noch besser in der Lage sein wird, Käufe zu tätigen oder zurückzustellen, wird tunlichst nicht erwähnt. Werden die geschilderten Maßnahmen den Prämissen und der daraus geforderten Schlußfolgerung nach einer völligen Neuorientierung der Verbraucherpolitik gerecht? Offenbar nicht, denn die Funktionsfähigkeit unserer Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung wird zwar spürbar eingeengt, nicht aber grundlegend geändert. Es bleibt also die Frage: Wohin zielen die Maßnahmen letztlich und wie sieht das Konzept einer neuen Verbraucherpolitik aus?

8. Im Aufsatz von Anke Martiny gibt es einige, wenn auch vage Formulierungen, die aber andeuten, welches die Grundsätze einer neuen Verbraucherpolitik sein könnten. So sollen „vermögenspolitische Reformschritte ... die Wirtschaftsordnung allmählich umgestalten, um eine wirksame demokratische Kontrolle wirtschaftlicher Verfügungsgewalt zu erreichen" Politische Entscheidungen sind zu treffen, damit Verbraucher unterscheiden können, inwieweit sie ihr „Geld sinnvoll oder sinnlos" ausgeben. Außerdem sollen politische Prioritäten für „sinnvollen Konsum oder sinnvoll verbrachte Freizeit" gesetzt werden. Es fällt schwer, die alternative Verbraucherpolitik herauszukristallisieren. Es stellt sich aber auch die Frage, weshalb Anke Martiny ihren Ansatz nicht konsequent zu Ende führt, sondern in allgemeiner Unverbindlichkeit verbleibt. Bei aller Zurückhaltung kann eines jedoch als gesichert gelten: Eine Verbraudierpolitik, die sinnvollen Konsum durchsetzen und sinnlosen Konsum verhindern will, setzt der Eigenverantwortlichkeit der Verbraucher ein Ende. Eine detaillierte Beschreibung des Konzepts einer neuen Verbraucherpolitik findet sich in einigen Aufsätzen der Reihe „Forschung aktuell" Danach soll eine neu zu gestaltende Verbraucherpolitik von „präzisen Vorstellungen über sozial erwünschte Konsummuster ausgehen" Diese Konsummuster sind nach „verschiedenen Verbrauchertypen und Verbrauchersituationen" zu differenzieren. Ist eine derartige typen-und situationsspezifische Matrix entwickelt, dann sind Informationen einzuspeisen, „die das Verhalten von Verbrauchern (diesen unbewußt oder von ihnen nicht erkannt) auf sozial erwünschte Konsummuster hinlenken"

Die offenkundige Manipulation des Verbrauchers wird dabei nicht bestritten, sondern sogar als notwendig erachtet. Im Gegensatz zur bestehenden Wirtschaftsordnung garantiere die Manipulation im hier angestrebten Konzept ein sozial wünschenswertes Verbraucherverhalten. Daher könne gefolgert werden, daß „systematische Untersuchungen vorangetrieben werden müßten, mit welchen informationspolitischen Aktivitäten (z. B. Techniken der ablenkenden Kommunikation, der Emotionalisierung usw.) bei Verbrauchern eine von diesen nicht bewußt (willentlich) kontrollierte bzw. zwar bewußt erlebte, aber nicht durchschaute, sozial wünschenswerte Änderung ihres Konsumverhaltens erzielt und wie solche Aktivitäten gerechtfertigt werden könnten" 9. Die in den Ausführungen von Anke Marti-ny vorhandenen Ansätze einer künftigen Neuorientierung der Verbraucherpolitik verdichten sich bei Biervert, Fischer-Winkelmann zu einem perfekten System der Entmündigung und Manipulation der Verbraucher. Die dazu benötigten Instrumente werden offenbar sehr gern von der bekämpften Anbieterwerbung übernommen. Der Zweck heiligt die Mittel. Immerhin verkennen Biervert, Fischer-Winkel-mann jedoch nicht, daß noch nach Möglichkeiten zu suchen ist, um eine derartige Politik zu rechtfertigen.

Die grundsätzliche Frage nach der Legitimation einer derartigen Verbraucherpolitik bleibt daher auch unbeantwortet, obwohl sie in einer demokratischen Verfassung das entscheidende Kriterium sein sollte. Die vagen Formulierungen, die Verbraucherpolitik müsse dieses oder jenes tun, können nicht darüber hinwegtäuschen, daß eine solche Politik nur von Institutionen durchgesetzt werden kann, die vollzugsverbindliche Anweisungen erteilen, deren Einhaltung überwachen und gegebenenfalls Abweichen sanktionieren (Amt für Verbraucherpolitik?). Eine politische Legitimation einer derartigen Institution durch Majoritätsentscheidungen bei Wahlen scheidet aus, da die manipulierten Verbraucher ex definitione nicht in der Lage sind, Entscheidungen für eine Veränderung ihres Verbraucherverhaltens selbst herbeizuführen. Zur Durchsetzung einer solchen Verbraucher-politik müßten sich die Institutionen also aufgrund ihrer „höheren Einsicht" selbst legitimieren. Endpunkt dieser Konzeption ist somit, daß sich eine „besser informierte Gruppe" gegen alle demokratischen Regeln selbst zur Instanz formfert, die darüber entscheidet, welcher Konsum für den einzelnen sozial wünschenswert und welcher schädlich ist. Da Konsum nicht als bloße materielle Bedürfnis-befriedigung gemeint ist, sondern als umfassende Befriedigung aller Bedürfnisse, entlarvt sich der Anspruch nach einer Neuorientierung der Verbraucherpolitik somit als ein System der totalen Bevormundung, Beherrschung und Manipulation des Individuums. 10. Interessant ist auch die Überprüfung der Arbeitsmethode, mit der die systemkritische Verbraucherpolitik ihre Ergebnisse erzielt. Die gegenwärtige Wirtschafts-und gesellschaftspolitische Situation wird analysiert. Diese Analyse geht davon aus, daß Produktion und Verteilung des Produktionsergebnisses fehlgeleitet sind (Arbeitswertlehre!), und daß in unserer Wirtschaftsordnung eine Tendenz zur Selbstaufhebung des Wettbewerbs besteht. Wohlgemerkt, dies sind nicht Ergebnisse der Analyse, sondern Ausgangspunkte derselben. Das gewünschte Ergebnis, daß diese Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung grundsätzlich zu verändern sei, stellt sich somit zwangsläufig ein. Die Analyse entlarvt sich daher als politisches Vehikel, um eine bereits feststehende Zielsetzung, nämlich die Veränderung der bestehenden Wirtschafts-und Gesellschaftsordnung, zu erreichen. Die wissenschaftliche Arbeitsweise, die von einer wertfreien Bestandsaufnahme auszugehen versucht, um daraus folgernd eine Therapie zur Erreichung einer Zielsetzung abzuleiten, wird hier umgekehrt. Die politische Zielsetzung steht im Vordergrund.

Um sie zu erreichen, ist eine bestimmte Wertung innerhalb der Bestandsaufnahme notwendig. Die politische Zielsetzung legitimiert sich somit quasi selbst. Zu einer solchen Arbeitsweise gehört, daß sie auf Fakten verzichtet und sich überwiegend in der schwerer angreifbaren Sphäre von Behauptungen bewegt. Ein einziges Mal geht Anke Martiny exemplarisch vor, wenn sie schreibt: „Die Interessen der Verbraucher können oft nur über staatliche Vorschriften und nur im Detail durchgesetzt werden, so z. B. wenn die Autohersteller verpflichtet werden, in jedes Auto Sicherheitsgurte einzubauen." Die Produzenten sind somit dafür verantwortlich, wenn die Benutzer von Kraftfahrzeugen darauf verzichten, sich Sicherheitsgurte in ihr Fahrzeug einbauen zu lassen. Und wie ist es heute? Weshalb wird ab 1979 ein Bußgeld erhoben, wenn Fahrzeuginsassen die vorgeschriebenen Sicherheitsgurte nicht anlegen? Offensichtlich geht die mangelnde Nutzung von Sicherheits-gurten nicht auf gleichgültige Hersteller, sondern auf mangelndes Sicherheitsbewußtsein der Verbraucher zurück. Abgesehen von der überrasdienden Logik, wird z. B. beim Thema Sicherheit von Kraftfahrzeugen nicht darauf verwiesen, daß die heutigen Fahrzeuge durch Eigeninitiative der Hersteller einen Sicherheitsstandard erreicht haben, der vor Jahren noch für undenkbar gehalten wurde. Bezeichnenderweise wird dieser Sachverhalt verschwiegen. Anstelle dessen werden Behauptungen aufgestellt, die zwar nicht stichhaltig, dafür aber zugkräftig sind. Sie reichen von konkreten, aus dem Zusammenhang gerissenen Einzelaussagen (Sicherheitsgurte!) bis zu mystischen Visionen (Ausbeutung und Machtlosigkeit des Menschen, anonyme, drohende Institutionen im Kapitalismus). Die regelmäßige Wiederholung derartiger Behauptungen soll erreichen, die breite Öffentlichkeit vor.deren Richtigkeit zu überzeugen. Es bleibt nur zu hoffen, daß die Angesprochenen erkennen, welche Bedrohung ihrer persönlichen Freiheit sich auch hinter den besorgten Forderungen nach einer gerechten Verbraucherpolitik verbergen kann.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Gutachten der Kommission für wirtschaftlichen und sozialen Wandel, Kap. IX, S. 403 ff.

  2. Ebd., S. 16.

  3. Bernd Biervert in: Verbraucherforschung, Reihe Forschung aktuell, Herausgeber Hans Matthöfer, S. 24.

  4. Vgl. Anke Martiny, a. a. O., S. 16.

  5. Vgl. B. Biervert, a. a. O., S. 28.

  6. Vgl. Anke Martiny, a. a. O., S. 22.

  7. Vgl. Thomas Vajna, Konzentration und Preisentwicklung. Eine Untersuchung für die deutsche Industrie, DIV-Verlag, Köln 1977; Hartmut Berg, Steigender Konzentrationsgrad, sinkende Wettbewerbs-intensität, Manuskript des Vortrags vom 4. 2. 1977, FIW-Forschungsinstitut, Köln; Herbert Giersch, Aufgaben der Strukturpolitik, in: Hamburger Jahrbuch für Wirtschaftsund Gesellschaftspolitik, 1964, S. 61 ff.

  8. Anke Martiny, a. a. O., S. 22.

  9. Anke Martiny, a. a. O., S. 23.

  10. Anke Martiny, a. a. O., S. 18.

  11. Anke Martiny, a. a. O., S. 27.

  12. Verbraucherforschung, Reihe Forschung aktuell, Herausgeber Hans Matthöfer.

  13. Bernd Biervert, Wolf F. Fischer-Winkelmann, Verbraucherforschung, a. a. O., S. 142.

  14. Ebd., S. 142.

  15. Ebd., S. 142/143.

  16. Ebd., S. 142.

  17. Anke Martiny, a. a. O., S. 17.

Weitere Inhalte

• Gerd Hauth, Dipl. -Volksw., geb. 1942 in Stettin; Studium der Volkswirtschaft an der FU Berlin; seit 1969 in’der volkswirtschaftlichen Abteilung der Bayer AG Leverkusen.