Zusammenfassung
Aus Politik und Zeitgeschichte B 43/78, S. 21— 25
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Aus Politik und Zeitgeschichte B 43/78, S. 21— 25
a) Grundsätzlich ist der Verbraucher der stärkere Partner am Markt. Seine Kaufentscheidungen steuern das Angebot-Allerdings wird nicht verkannt, daß die Vielfalt des Angebots und der technische Standard vieler Produkte den Verbraucher überfordern. Seine Möglichkeiten, das Angebot durch bewußte und freie individuelle Wahlentscheidung zu steuern, müssen daher verbessert werden. Dies kann geschehen durch Produktinformationen, Normung von Verpackung, vergleichende Tests und regionale Produktpreisvergleiche, die unter Zuhilfenahme der Massenmedien den Verbrauchern helfen, ihr Informationsbedürfnis zu befriedigen und ihre Kaufentscheidung zu erleichtern.
b) Der Vorrang oder zumindest die Gleichran-gigkeit der Position der Verbraucher gegenüber den Anbietern wird bestritten. Machtposition und Manipulation der Anbieter schränken die Entscheidungsfreiheit der Verbraucher ein. Das fehlende Gleichgewicht zwischen Anbieter und Verbraucher soll etwa durch eine Verschärfung des Wettbewerbs, einheitliche Güterkennzeichnung, Beschränkung der Werbung, Verbesserung der rechtlichen Stellung des Verbrauchers, verschärfte allgemeine staatliche Aufsicht u. ä. m. angestrebt werden. Mit diesen Maßnahmen verstärkt zwar der Staat die Reglementierung, eine abrupte und grundlegende Änderung der Wirtschaftsordnung ist jedoch nicht beabsichtigt. c) In der marktwirtschaftlichen Ordnung ist der Verbraucher dem Anbieter grundsätzlich unterlegen. Diese Benachteiligung ist eine systemimmanente Erscheinung der Marktwirtschaft. Eine grundlegende Änderung der Wirtschaftsordnung ist unumgänglich, um die Stellung des Verbrauchers zu verbessern. Auf die Ausgestaltung der angestrebten Wirtschafts-und Gesellschaftsordnung im einzelnen wird im folgenden noch eingegangen. Eine differenzierte Darstellung insbesondere der beiden ersten Ansätze findet sich im Gutachten der Kommission für wirtschaftlichen und sozialen Wandel in der Bundesrepublik Deutschland 1). 3. Das Spektrum der einzelnen Ansätze reicht somit von der völligen Systemkonformität bis zur strikten Ablehnung der bestehenden Wirtsc
An dieser Stelle kann keine wissenschaftliche Auseinandersetzung über die Richtigkeit der Arbeitswertlehre geführt werden. Zwei Aspekte sind jedoch notwendigerweise zu erwähnen. Die Arbeitswertlehre, die Karl Marx von den Klassikern Adam Smith und David Ricardo übernahm und weiterentwickelte, führt zu einer grundsätzlich anderen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung (u. a. Aufhebung des Privateigentums an Produktionsmitteln). Zum anderen werden die grundlegenden Erkenntnisse der Arbeitswertlehre in der Wirtschaftswissenschaft durchaus stichhaltig bestritten. Die von B. Biervert, aber auch indirekt von Anke Martiny
5. Nicht unerwähnt sollte bleiben, daß der Vorwurf der anbieterorientierten Wirtschaftswissenschaften und -politik nicht grundsätzlich falsch ist. Seit jeher beschränkt die Angebotsseite mit ihren knappen Produktionsfaktoren die Möglichkeit, alle Bedürfnisse zu befriedigen. Eine Kritik an der Wissenschaft, die der Notwendigkeit folgt, das Angebot zu optimieren, um auf diese Weise einer möglichst hohen allgemeinen Bedürfnisbefriedigung gerecht zu werden, ist sehr praxisfern. Angesichts des Nord-Süd-Konflikts, in dem die Spannung zwischen Befriedigung von Bedürfnissen und Knappheit von Produktionsmitteln besonders scharf hervortritt, muß die Hauptaufgabe der Wirtschaftspolitik vor allen Dingen darin bestehen, weltweit die Effizienz der Produktionsmöglichkeiten zu verbessern. Verbraucherpolitik kann hier auf mittlere Sicht nur sehr peripher mitwirken, entscheidende Impulse vermag sie nicht zu setzen.
6. Die Einführung und Beibehaltung des marktwirtschafflichen Systems hat nach Ansicht der systemkritischen Verbraucherpolitik die Stellung des Verbrauchers ständig weiter geschwächt. Ursache dieser Entwicklung ist, so wird behauptet, daß die Marktwirtschaft aus sich selbst heraus zu einer Aufhebung des Wettbewerbs tendiere. Dies werde deutlich in einer fortschreitenden Konzentration auf der Angebotsseite und führe somit zwangsläufig zu immer weniger Wettbewerb. Sicherlich ist eine Tendenz zur Verringerung der Anbieterzahl in einigen Sektoren unserer Wirtschaft unverkennbar. Aber reicht dieser Sachverhalt aus, um den „stichhaltigen" Beweis zu führen, daß eine system-immanente Tendenz zur Aufhebung des Wettbewerbs und zur Monopolisierung besteht, wie B. Biervert
Dann bleibt die Schlußfolgerung, die Anke Martiny zieht, wonach sich aus „der zunehmenden Vermachtung unserer Wirtschaft und dem nur begrenzt funktionierenden Wettbewerb"
In den Ausführungen von Anke Martiny beinhalten sich eine Fülle von Forderungen. Sie reichen von der qualitativen Prüfung der Werbung über öffentliche Boykottaufrufe (verfassungsrechtlich außerordentlich bedenklich) bis zur Einrichtung einer umfangreichen Verbraucherbehörde. All diesen Forderungen ist gemeinsam, daß der Verbraucher aus seiner Eigenverantwortung herausgelöst wird, um seine Verhaltensweisen den Direktiven übergeordneter Institutionen anzupassen. Daß ein Verbraucher z. B. auch ohne öffentliche Boykottaufrufe die Produkte eines bestimmten Herstellers schon bisher nicht zu kaufen brauchte und bei der angestrebten und von den Herstellern befürworteten Produktinformation noch besser in der Lage sein wird, Käufe zu tätigen oder zurückzustellen, wird tunlichst nicht erwähnt. Werden die geschilderten Maßnahmen den Prämissen und der daraus geforderten Schlußfolgerung nach einer völligen Neuorientierung der Verbraucherpolitik gerecht? Offenbar nicht, denn die Funktionsfähigkeit unserer Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung wird zwar spürbar eingeengt, nicht aber grundlegend geändert. Es bleibt also die Frage: Wohin zielen die Maßnahmen letztlich und wie sieht das Konzept einer neuen Verbraucherpolitik aus?
8. Im Aufsatz von Anke Martiny gibt es einige, wenn auch vage Formulierungen, die aber andeuten, welches die Grundsätze einer neuen Verbraucherpolitik sein könnten. So sollen „vermögenspolitische Reformschritte ... die Wirtschaftsordnung allmählich umgestalten, um eine wirksame demokratische Kontrolle wirtschaftlicher Verfügungsgewalt zu erreichen"
Die offenkundige Manipulation des Verbrauchers wird dabei nicht bestritten, sondern sogar als notwendig erachtet. Im Gegensatz zur bestehenden Wirtschaftsordnung garantiere die Manipulation im hier angestrebten Konzept ein sozial wünschenswertes Verbraucherverhalten. Daher könne gefolgert werden, daß „systematische Untersuchungen vorangetrieben werden müßten, mit welchen informationspolitischen Aktivitäten (z. B. Techniken der ablenkenden Kommunikation, der Emotionalisierung usw.) bei Verbrauchern eine von diesen nicht bewußt (willentlich) kontrollierte bzw. zwar bewußt erlebte, aber nicht durchschaute, sozial wünschenswerte Änderung ihres Konsumverhaltens erzielt und wie solche Aktivitäten gerechtfertigt werden könnten"
Die grundsätzliche Frage nach der Legitimation einer derartigen Verbraucherpolitik bleibt daher auch unbeantwortet, obwohl sie in einer demokratischen Verfassung das entscheidende Kriterium sein sollte. Die vagen Formulierungen, die Verbraucherpolitik müsse dieses oder jenes tun, können nicht darüber hinwegtäuschen, daß eine solche Politik nur von Institutionen durchgesetzt werden kann, die vollzugsverbindliche Anweisungen erteilen, deren Einhaltung überwachen und gegebenenfalls Abweichen sanktionieren (Amt für Verbraucherpolitik?). Eine politische Legitimation einer derartigen Institution durch Majoritätsentscheidungen bei Wahlen scheidet aus, da die manipulierten Verbraucher ex definitione nicht in der Lage sind, Entscheidungen für eine Veränderung ihres Verbraucherverhaltens selbst herbeizuführen. Zur Durchsetzung einer solchen Verbraucher-politik müßten sich die Institutionen also aufgrund ihrer „höheren Einsicht" selbst legitimieren. Endpunkt dieser Konzeption ist somit, daß sich eine „besser informierte Gruppe" gegen alle demokratischen Regeln selbst zur Instanz formfert, die darüber entscheidet, welcher Konsum für den einzelnen sozial wünschenswert und welcher schädlich ist. Da Konsum nicht als bloße materielle Bedürfnis-befriedigung gemeint ist, sondern als umfassende Befriedigung aller Bedürfnisse, entlarvt sich der Anspruch nach einer Neuorientierung der Verbraucherpolitik somit als ein System der totalen Bevormundung, Beherrschung und Manipulation des Individuums. 10. Interessant ist auch die Überprüfung der Arbeitsmethode, mit der die systemkritische Verbraucherpolitik ihre Ergebnisse erzielt. Die gegenwärtige Wirtschafts-und gesellschaftspolitische Situation wird analysiert. Diese Analyse geht davon aus, daß Produktion und Verteilung des Produktionsergebnisses fehlgeleitet sind (Arbeitswertlehre!), und daß in unserer Wirtschaftsordnung eine Tendenz zur Selbstaufhebung des Wettbewerbs besteht. Wohlgemerkt, dies sind nicht Ergebnisse der Analyse, sondern Ausgangspunkte derselben. Das gewünschte Ergebnis, daß diese Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung grundsätzlich zu verändern sei, stellt sich somit zwangsläufig ein. Die Analyse entlarvt sich daher als politisches Vehikel, um eine bereits feststehende Zielsetzung, nämlich die Veränderung der bestehenden Wirtschafts-und Gesellschaftsordnung, zu erreichen. Die wissenschaftliche Arbeitsweise, die von einer wertfreien Bestandsaufnahme auszugehen versucht, um daraus folgernd eine Therapie zur Erreichung einer Zielsetzung abzuleiten, wird hier umgekehrt. Die politische Zielsetzung steht im Vordergrund.
Um sie zu erreichen, ist eine bestimmte Wertung innerhalb der Bestandsaufnahme notwendig. Die politische Zielsetzung legitimiert sich somit quasi selbst. Zu einer solchen Arbeitsweise gehört, daß sie auf Fakten verzichtet und sich überwiegend in der schwerer angreifbaren Sphäre von Behauptungen bewegt. Ein einziges Mal geht Anke Martiny exemplarisch vor, wenn sie schreibt: „Die Interessen der Verbraucher können oft nur über staatliche Vorschriften und nur im Detail durchgesetzt werden, so z. B. wenn die Autohersteller verpflichtet werden, in jedes Auto Sicherheitsgurte einzubauen."
• Gerd Hauth, Dipl. -Volksw., geb. 1942 in Stettin; Studium der Volkswirtschaft an der FU Berlin; seit 1969 in’der volkswirtschaftlichen Abteilung der Bayer AG Leverkusen.
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