Probleme der Staatsverschuldung sind nicht erst in jüngster Zeit Gegenstand heftiger politischer und wissenschaftlicher Auseinandersetzungen geworden. Anstoß für die aktuelle Debatte ist die rasant gestiegene Staatsverschuldung in den letzten Jahren. Die besondere Schwierigkeit einer rationalen Beurteilung der Folgen staatlicher Verschuldung liegt darin, daß die gegenwärtige wirtschaftliche Situation in der Bundesrepublik, die durch ein scheinbar dauerhaftes Sinken der realen Wachstumsrate bei anhaltenden Preissteigerungen gekennzeichnet ist, in der bisherigen wirtschaftlichen Entwicklung der Bundesrepublik unbekannt ist und damit natürlich die herkömmlichen Beurteilungskriterien in Frage gestellt werden. Diese Unsicherheit führt zu Unklarheiten, und Mißverständnissen, deren Folge oft polemische Diskussionen sind. In der Kritik werden einerseits Positionen erkennbar, die eine lange historische Tradition aufweisen. Sie beruhen u. a. auf liberalen Vorbehalten gegenüber der Ausweitung der staatlichen Aktivität und auf schlechten Erfahrungen mit einer inflationären Kriegsfinanzierung. Andererseits ist zu bedenken, daß das schuldenpolitische Denken, d. h. die Auffassung von Funktionen und Grenzen der Staatsverschuldung, sich im Laufe der historischen Entwicklung erheblich gewandelt hat. Deswegen wird in diesem Beitrag ein kurzer historischer Abriß finanzpolitisch relevanter Ansichten — von der traditionellen bis hin zur modernen Theorie, wie sie heute im Stabilitätsund Wachstumsgesetz und im Grundgesetz ihren Niederschlag gefunden haben — geboten. Daran schließt sich eine Analyse der verschiedenen Erscheinungsformen, in denen öffentliche Defizite ausgewiesen werden, an. Beim internationalen Vergleich der Staatsverschuldung wird auf die Besonderheiten in der Entwicklung der deutschen Staatsverschuldung eingegangen. In der dann folgenden Betrachtung der Entwicklung des Schuldenstands und der Schuldenbelastung wird besonders auf die verschiedenen staatlichen Ebenen und auf die in der politischen Diskussion häufig benutzten „Quoten" eingegangen. Die Erörterung verschiedener Aspekte der Notwendigkeiten und Grenzen der Staatsverschuldung führt zu keinem eindeutigen Ergebnis. Eine klare Antwort auf die Frage „Wieviel Schulden darf der Staat machen?" ist nicht möglich, da es keine objektiv feststellbare Grenze der Staatsverschuldung gibt. Ihre Höhe ist vielmehr letztlich eine politische Größe, bei deren Bestimmung man allerdings auf die Beachtung wichtiger Merkmale (Kapitalmarktentwicklung, Verteilungsproblematik, Belastbarkeit u. a.) angewiesen ist.
Das Thema , Staatsverschuldung'ist nicht erst in jüngster Zeit zum Gegenstand heiliger und lebhafter öffentlicher Auseinandersetzungen geworden. Die Verschuldung der öffentlichen Hände ist seit jeher umstritten. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts sprach der große englische Nationalökonom David Ricardo von der Staatsverschuldung als der „schrecklichsten Geißel, die je zur Plage der Nation erfunden wurde“. Der deutsche Finanzwissenschaftler Lorenz von Stein faßte gegen Ende des 19. Jahrhunderts dagegen seinen Standpunkt mit den Worten zusammen: „Ein Staat ohne Staatsschuld tut entweder zu wenig für seine Zukunft, oder er fordert zuviel von seiner Gegenwart.“
Anstoß für die aktuelle Debatte ist die für 1979 geplante zusätzliche Staatsverschuldung im Umfang von circa 60 Mrd. DM. Die jüngste Haushaltsdebatte im Bundestag hat gezeigt, wie unversöhnlich die Positionen sich auch heute noch gegenüberstehen. Die einen halten eine zügige Konsolidierung der öffentlichen. Finanzen für dringend notwendig, während die anderen eine kreditfinanzierte Ausweitung der Staatsausgaben für das Gebot der Stunde halten, um beim Abbau der Arbeitslosigkeit voranzukommen.
Zweifellos sind die Probleme der Staatsverschuldung vielschichtig genug, um jedem, der eine von diesen jeweils verschiedenen Meinungen vertritt, durchaus gute Gründe für seinen Standpunkt zu liefern. Angesichts dieses Wechselbades von Meinungen versucht der nachfolgende Beitrag Orientierungspunkte für die Diskussion dieses aktuellen Themas zu vermitteln.
I. Einführung in die Problematik
Abbildung 1
Die Schulden der Länder wachsen am schnellsten Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 21. 6. 1978 •
Die Schulden der Länder wachsen am schnellsten Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 21. 6. 1978 •
Mit dem ölschock von Ende 1973 und der damit ausgelösten weltweiten Rezession kam es in den westlichen Industriestaaten durchweg zu einem Anstieg der öffentlichen Defizite. Dieser Anstieg beruhte einesteils auf dem Bemühen der öffentlichen Hand, die aufgetretene Nachfragelücke zu schließen; andernteils war die Zunahme der Budgetfehlbeträge selbst unmittelbarer Ausfluß der rezessiven Wirtschaftsentwicklung. Während jedoch in vielen Staaten der westlichen Welt die hohen Staatsdefizite als vorübergehendes Phänomen betrachtet wurden, kam in der Bundesrepublik Deutschland frühzeitig eine Diskussion in Gang, die u. a.den strukturellen Aspekt der sprunghaft gestiegenen Staatsverschuldung betonte Damit war neben der für bundesrepublikanische
Verhältnisse außerordentlichen Zunahme des Nettoverschuldungsbedarfs seit 1974 auch der langfristige Aspekt der Staatsverschuldung angesprochen.
Welche Größenordnungen die Staatsverschuldung in der Bundesrepublik Deutschland innerhalb weniger Jahre angenommen hat, sei an einigen Zahlen demonstriert. Hatte 1974 das Gesamtdefizit aller öffentlichen Gebietskörperschaften noch 13, 32 Mrd. DM betragen, so stieg dieser Nettokreditbedarf rezessionsbedingt im Jahr 1975 auf 60, 29 Mrd. DM. 1976 mußten bei wieder anziehendem Wachstum die öffentlichen Hände immerhin noch 41, 8 Mrd. DM Fremdfinanzierungsmittel aufnehmen, um das Budget auszugleichen, und 1977 blieb trotz erheblicher Konsolidierungsanstrengungen ein Loch von 34, 5 Mrd. DM. Im laufenden Jahr muß mit einer wieder höheren Staatsverschuldung von gut 52 Mrd. DM gerechnet werden.
Auch auf den Bestand der Staatsschulden wirkte sich die starke Zunahme der öffentlichen Kreditaufnahme spürbar aus. Betrug 1972 der Schuldenstand aller Gebietskörperschaften erst 155 Mrd. DM, so erhöhte sich dieser bis Ende 1975 auf rund 250 Mrd. DM und wird Ende 1978 fast 400 Mrd. DM erreicht haben
Angesichts dieser Entwicklung ist in der letzten Zeit die Problematik der Staatsverschuldung in den Mittelpunkt der wirtschaftspolitischen Diskussion gerückt. Die besondere Schwierigkeit einer rationalen Beurteilung der Folgen staatlicher Verschuldung liegt darin, daß die gegenwärtige wirtschaftliche Situation in der Bundesrepublik, die durch ein scheinbar dauerhaftes Sinken der realen Wachstumsrate bei anhaltenden Preissteigerungen gekenn-zeichnet ist, in der bisherigen wirtschaftlichen Entwicklung der Bundesrepublik unbekannt ist und damit natürlich die herkömmlichen Beurteilungsmaßstäbe in Frage gestellt werden. Diese Unsicherheit führt zu Unklarheiten, Mißverständnissen und Polemik in der Diskussion. In der Kritik werden einerseits Positionen erkennbar, die eine lange historische Tradition aufweisen. Sie beruhen u. a. auf liberalen Vorbehalten gegenüber der Ausweitung der staatlichen Aktivität und auf schlechten Erfahrungen mit einer inflationären Kriegsfinanzierung. Andererseits ist zu berücksichtigen, daß sich die Auffassungen über Funktionen und Grenzen der Staatsverschuldung im Laufe der historischen Entwicklung erheblich gewandelt haben. Deswegen soll zunächst ein kurzer historischer Abriß finanzpolitisch relevanter Ansichten — von der traditionellen bis hin zur modernen Theorie, wie sie heute im Stabili-tätsund Wachstumsgesetz und im Grundgesetz ihren Niederschlag gefunden hat — erfolgen.
II. Ansichten zur Staatsverschuldung: Vom Finanzklassizismus zur modernen Theorie
Abbildung 2
I. II. III. IV. V. VI. INHALT Einführung in die Problematik Ansichten zur Staatsverschuldung: Vom Finanzklassizismus zur modernen Theorie
1. Klassisch-liberale Ansichten 2. Übergang zur modernen Theorie Erscheinungsformen der Staatsverschuldung 1. Ausgabenüberschüsse 2. Einnahmedefizite 3. Kombinierte Strategien Internationale Staatsverschuldung im historischen Vergleich 1. Internationaler Vergleich zwischen den wichtigsten westlichen Volkswirtschaften 2. Historische Besonderheit in Deutschland Entwicklݦ
I. II. III. IV. V. VI. INHALT Einführung in die Problematik Ansichten zur Staatsverschuldung: Vom Finanzklassizismus zur modernen Theorie
1. Klassisch-liberale Ansichten 2. Übergang zur modernen Theorie Erscheinungsformen der Staatsverschuldung 1. Ausgabenüberschüsse 2. Einnahmedefizite 3. Kombinierte Strategien Internationale Staatsverschuldung im historischen Vergleich 1. Internationaler Vergleich zwischen den wichtigsten westlichen Volkswirtschaften 2. Historische Besonderheit in Deutschland Entwicklݦ
In der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur hat das Thema . Staatsverschuldung'Tradition. Wirtschaftspolitiker wie auch Finanzwissenschaftler widmeten einen Großteil ihrer Forschungsarbeit dem Phänomen der Staatsverschuldung. Wähend die Nationalökonomen dabei vornehmlich die Zusammenhänge zwischen der Staatsverschuldung einerseits und den Folgen für Wachstum, Geldwert, Beschäftigung und Handel andererseits im Auge hatten, konzentrierten die Finanzwissenschaftler ihre Arbeit auf konkrete Deckungsgrundsätze für die öffentlichen Haushalte. Sie bauten dabei vielfach auf den Erkenntnissen der nationalökono-mischen Lehre auf, kamen aber auch zu eigenständigen Einsichten in die größeren Zusamunterscheiden
Bedingt durch die historische Entwicklung, als deren prägnantester Abschnitt die Weltwirtschaftskrise von 1929/32 gelten kann, haben sich die Ansichten über Sinn und Zweck der Staatsverschuldung geändert. Drei finanzpolitische Konzeptionen lassen sich grundsätzlich unterscheiden
1. Die klassisch-liberale Anschauung, nach der ein jährlicher Haushaltsausgleich durch Steuereinnahmen vorzunehmen war;
2. die Lehre vom zyklischen Budgetausgleich, die forderte, ordentliche Ausgaben durch ordentliche Einnahmen zu decken, wobei auftretende Defizite innerhalb eines Konjunkturzyklus auszugleichen sind;
3. die Theorie der kompensatorischen Budget-politik, die, ausgehend von der Vorstellung einer säkularen Stagnation, vom Staat eine dauerhaft aktive Nachfragestützung erwartet, wobei der Budgetausgleich keine Rolle mehr spielt.
L Klassisch-liberale Ansichten Die klassisch-liberale Ansicht über die Staatsverschuldung muß als Reaktion auf die Feudalherrschaft und die mit ihr verbundenen Fehlentwicklungen in der Geldwirtschaft begrif-fen werden. Die Staatsverschuldung trat bis ins 18. Jahrhundert hinein durchweg als Verschuldung der Herrscher bei ihren Untertanen in Erscheinung. Und wenn auch behauptet wurde, die Schulden der Fürsten machten das Volk reicher und nicht ärmer, so wandte sich doch die bürgerlich-liberale, klassische Nationalökonomie grundsätzlich gegen staatliche Einwirkungen auf den Wirtschaftsablauf. Sie postulierte, gewitzt durch die Erfahrungen mit den Dirigismen der absoluten Herrscher, den „Nachtwächterstaat", den sie mit der Auffassung begründete, daß die Marktwirtschaft die bestmögliche Versorgung der Wirtschaftssubjekte ohne Eingriffe des Staates gewährleiste und der Staat sich auf die primären Aufgaben — Verteidigung, Rechtsordnung und allenfalls noch. Erziehungswesen — zu beschränken habe. Daraus folgt die Forderung nach wirtschaftspolitischer Abstinenz des Staates, d. h. Eingriffe des Staates in den Wirtschaftsablauf durch Besteuerung und Ausgabenpolitik sind weitgehend zu beschränken. Das Finanzgebaren des Staates wurde an den Maßstäben „soliden" hauswirtschaftlichen Wirtschaftens gemessen und führte zu den klassischen Dek-reichend wäre. Die „sich ergebende ständige Erhöhung der Staatsschuld (ist) nicht als finanziell und ökonomisch nachteilig, sondern geradezu als Vorbedingung für eine gleichmäßig fortschreitende Wirtschaftsentwicklung anzusehen" Die Grenze der Staatsverschuldung ist entsprechend diesem finanzpolitischen Konzept allein durch die Realisierung des Vollbeschäftigungsziels definiert. c) Die Vertreter der Theorie der stabilisierenden Budgets schließlich haben weitgehend die gleiche Auffassung wie die Verfechter des zyklischen Budgetausgleichs. Sie glauben aber im Gegensatz zu jenen, daß die Politiker das ökonomisch Zweckvolle nicht durchführen werden, weil es wahltaktisch und politisch sicherlich leichter ist, die Staatsausgaben zu erhöhen (hierbei profitieren die Bürger nur) als die Steuerschraube zwecks Erhöhung der Staatseinnahmen anzuziehen. Aus diesem Grund stützt sich das „stabilizing budgeting" überwiegend auf automatische Stabilisatoren, d. h. auf die „built-in-flexibility" des Haushalts. (So steigt beispielsweise das Aufkommen der Lohn-und Einkommensteuer wegen des eingebauten progressiven Tarifbereichs im Konjunkturboom, gemessen an der Einkommensentwicklung, überdurchschnittlich.) Damit werden die Nachteile des „cyclical budgeting“ vermieden, das eine häufige Variation von Steuersätzen und öffentlichen Ausgaben verlangt und zudem das Problem zuverlässiger Konjunkturdiagnosen und -prognosen aufwirft.
Durch die eingebauten Stabilisatoren ergeben sich für den an einem Vollbeschäftigungsniveau ausgerichteten Staatshaushalt im Konjunkturzyklus automatisch Veränderungen des Saldos zwischen Einnahmen und Ausgaben, die über Kreditaufnahmen oder Stillegung von Mitteln ausgeglichen werden müssen. Nur als Durchgangsphase würde sich ein ausgeglichener Haushalt ergeben, da kein bewußter Ausgleich mehr verlangt, wenn auch über einen längeren Zeitraum hinweg unterstellt wird. Entscheidend dafür ist freilich der Verlauf des jeweiligen konkreten Konjunkturzyklus. Je stärker die Depressionsjahre im Vergleich zu den Boomjahren ausfallen, um so geringer ist die Chance eines Ausgleichs und um so eher kommt es langfristig zu einer zunehmenden Staatsverschuldung.
Die neuen theoretischen Erkenntnisse fanden ihren Niederschlag in der geänderten Fassung des Artikels 115 Grundgesetz (Haushaltsrechtsreform 1969). Danach bedürfen die „Aufnahme von Krediten sowie die Übernahme von Bargeschäften, Garantien oder sonstigen Gewährleistungen, die zu Ausgaben in künftigen Rechnungsjahren führen können, ... einer der Höhe nach bestimmten Ermächtigung durch Bundesgesetz. Die Einnahmen aus Krediten dürfen die Summe der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen nicht überschreiten; Ausnahmen sind nur zulässig zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts."
Es ist in der Finanzwissenschaft heute vorherrschende Meinung, daß die Vorschrift des Artikels 115 Grundgesetz ein Kompromiß zwischen dem Bestreben darstellt, das Haushaltsrecht an die Erfordernisse einer gesamtwirtschaftlich orientierten Finanzpolitik anzupassen, und dem Wunsch, gleichzeitig eine objektiv zu bestimmende Grenze für die staatliche Kreditaufnahme zu schaffen. Damit wird versucht, was von der Sache her eigentlich nicht möglich ist. Entweder hat der Staat auch bei der Kreditaufnahme den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung zu tragen, wozu er durch Artikel 109 Absatz 2 Grundgesetz bei seiner (gesamten) Haushaltswirtschaft verpflichtet ist, oder er wird ermächtigt, Kredite als legitime Finanzierungsmittel nur für bestimmte Ausgaben zu betrachten und unabhängig von der jeweiligen gesamtwirtschaftlichen Situation in Anspruch zu nehmen. Da nach dem Erlaß des Stabilitäts-und Wachstumsgesetzes im Jahre 1967 kein Zweifel daran bestehen kann, daß der erste Grundsatz verwirklicht werden soll, läßt sich im Grundgesetz —-so sehr man das auch bedauern mag — eine generelle Grenze für die Kreditaufnahme nicht fixieren. Somit bleibt letztlich nur die Orientierung an der jeweiligen gesamtwirtschaftlichen Situation übrig
öffentliche Defizite treten als Folge von Ausgabenüberschüssen, Einnahmedefiziten oder einer Kombination von beidem auf. Für die Wirtschaftsund Finanzpolitik haben die einzelnen Erscheinungsformen jedoch jeweils eine andere Qualität, wenn es darum geht, mit Hilfe öffentlicher Defizite das Wirtschaftswachstum anzuregen. 1. Ausgabenüberschüsse Die Bewältigung der Rezession von 1966/67 kann als ein klassischer Fall dafür gelten, wie antizyklische Globalsteuerung zum Erfolg führt, wenn das Defizit der öffentlichen Haushalte durch Ausgabenüberschüsse herbeigeführt wird. Am 19. Januar 1967 beschloß die Bundesregierung einen Eventualhaushalt in Höhe von 2, 5 Mrd. DM der ausschließlich Investitionen der öffentlichen Hand zum Gegenstand hatte Im Herbst 1967 wurde dann ein zweites Investitionsprogramm mit einem Volumen von 5, 3 Mrd. DM vom Bund nachgeschoben. Durch dieses Programm, an dem die Länder ebenfalls beteiligt waren, wurde eine Auftragsvergabe im Gesamtwert von 10, 1 Mrd. DM realisiert, so daß der direkte Nachfrage-effekt beider Programme 12, 6 Mrd. DM betrug. Zur Finanzierung dieser Konjunkturankurbelungsmaßnahmen wurde sowohl auf Noten-bankkredite gemäß § 6 III StabWG als auch auf Kapitalmarktmittel zurückgegriffen. Die Nettoverschuldung aller öffentlichen Haushalte betrug 1967 und 1968 fast 6 Mrd. DM 23). Zwar war Anfang 1968 noch ein drittes Konjunkturprogramm zeitweise im Gespräch, doch wurde eine Verabschiedung nicht mehr erforderlich, da sich im Verlauf des Jahres 1968 die expansiven Kräfte festigten und durch endogene Entwicklungen verstärkt wurden.
Außer für Investitionen kann die öffentliche Hand aber auch Ausgabenüberschüsse produzieren, indem sie beispielsweise Sozialleistungen und Unterstützungsgelder erhöht. Hierbei ist zu bedenken, daß durch Staatsaufträge von den Produzenten schlagartig Gütermengen und Arbeitskräfte nachgefragt werden, während die Entfaltung der privaten Nachfrage durch Unterstützungen wegen der Möglichkeit, daß Teile davon gespart werden können, zu leicht durch Lagerbestände aufgefangen werden könnte Andererseits wird davor gewarnt, unkritisch für eine Erhöhung der Staatsausgaben für Güter und Dienstleistungen zum Zwek-ke der Wachstumssteigerung zu plädieren wobei diese Ausgabensteigerung mit einem Budgetdefizit einhergeht. Die Möglichkeit, daß es durch permanent expansive Staatstätigkeit zu einer nicht optimalen Allokation der Ressourcen kommt, tritt z. B. dann ein, wenn von ihnen zu viel in den staatlichen, weniger produktiven Sektor und zu wenig in den privaten, produktiveren Bereich geleitet wird. Dann wächst zwar das Sozialprodukt stärker im Vergleich zu der Situation ohne Erhöhung der investiven Staatsausgaben, aber schwächer als bei entsprechender Förderung der privaten Nachfrage. 2. Einnahmedefizite Der Staat kann anstelle eines unmittelbaren Auftretens als Nachfrager seiner antizyklischen Pflicht auch dadurch nachkommen, daß er über einen geplanten Einnahmenverzicht zur Über-windung der rezessiven Tendenzen beiträgt. Steuersenkungen bzw. gegen zu zahlende Steuern aufrechenbare Prämien wirken unmittelbar auf die privaten Einkommen im Sinne einer Erhöhung. Sofern die Konjunkturschwäche nicht unmittelbar in mangelnder Investi-tionsoder Konsumbereitschaft begründet ist, besteht via Steuersenkung ein Anreiz zu privater Mehrnachfrage, die vor allem dann günstig erscheint, wenn — wie in der gegenwärtigen Situation beklagt wird — ein hohes Investitionsvolumen, sei es wegen bürokratischer, administrativer oder gesellschaftspolitischer Hemmnisse, „eingefroren" ist. Erläuternde Stichworte hierzu sind beispielsweise Stra-ßenbau und die Errichtung von Kraftwerken sowie die dazugehörenden Baugenehmigungsverfahren einerseits und Aufschub erwirkende Bürgerinitiativen andererseits. Öffentliche Ausgabenprogramme müßten in einer solchen Lage Gefahr laufen, nur mit großer Verzöge-rung realisiert werden zu können.
Die Forderung nach Steuerentlastungen zur Konjunkturbelebung resultiert auch aus der Ansicht, daß sich im Steuerrecht in den letzten Jahren eine Reihe leistungshemmender und wachstumsfeindlicher Regelungen eingeschlichen hätten. Verwiesen wird dabei zum einen auf im internationalen Vergleich mittelmäßige Abschreibungsmöglichkeiten, auf ertragsunabhängige Steuern sowie auf den Sprung zwischen proportionaler und progressiver Einkommensbesteuerung bei bestimmten Einkommenshöhen. Forderungen nach planvollem Einnahmeverzicht der öffentlichen Hände werden aber auch aus anderen Gründen erhoben. In diesem Zusammenhang ist die Beteiligung der öffentlichen Hand am privaten Investitionsrisiko, speziell bei mittelständischen Unternehmen, zu nennen durch die ein Beitrag zur Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen erbracht werden soll. Weiterhin wird auch argumentiert, die Staatsquote in der Bundesrepublik sei mit derzeit 47, 5 Prozent einfach zu hoch. Die öffentliche Hand müsse aufhören, sich in private Betätigungsbereiche zu drängen. Neben der Privatisierung geeigneter öffentlicher Unternehmen sei das Zurückdrängen der Staatseinnahmen und damit einhergehend der steuerlichen Belastungsquote ein vordringliches Ziel. 3. Kombinierte Strategien Die Maßnahmen zur Bewältigung der Rezession von 1974/75 sind ein Beispiel dafür, wie mit Hilfe einer kombinierten Strategie, die sowohl Ausgabenerhöhungen als auch Einnahmenverzichte beinhaltete, die Wachstumsschwäche in der deutschen Wirtschaft bekämpft wurde. Zwischen Februar 1974 und August 1978 wurden zehn Ausgabenprogramme und vier Steuerentlastungsprogramme beschlossen, allerdings auch Steuererhöhungen — die Branntwein-und Tabaksteuer zum 1. 1. 1976 und die Mehrwertsteuer zum 1. 1. 1978 — durchgeführt. Der Effekt der Steuerentlastungen — der Steuerreform zum 1. 1. 1975 und der Steuer-entlastungen im Herbst 1977 bzw. zum 1. 1. 1978 — beläuft sich auf insgesamt 25 Mrd. DM. Das Steuerentlastungsprogramm von Ende Juli 1978 soll 1979 unter Berücksichtigung der geplanten Mehrwertsteuererhöhung zum 1. 7. 1979 12, 3 Mrd. DM der Privatwirtschaft zuführen. Die Ausgabenprogramme hatten ein Volumen von 41, 4 Mrd. DM. Wenn dennoch aus heutiger Sicht die „Wachstumserfolge" der Jahre 1976/77 und voraussichtlich auch 1978 eher mager 'zu nennen sind, sollte der Zeit-aspekt nicht übersehen werden. Auf ähnliche Verzögerungsprobleme, die während des New Deal in den USA auftauchten, hinweisend, schreibt Steiger hierzu treffend: „Der Aufschwung in den USA wäre viel schneller gekommen, wenn die in vier Jahren verausgabten Beträge in zwei oder gar in einem Jahr ausgegeben worden wären." Damit wird ein Grundsatz deutlich, der mit der Formulierung „nicht kleckern, sondern klotzen“ umschrieben werden kann.
IV. Internationale Staatsverschuldung im historischen Vergleich
Abbildung 4
Internationaler Bundesrepublik Deutschland Belgien .................................. Dänemark.............................. Frankreich ............................ Großbritannien .................... Italien .................................... Japan .................................... Luxemburg .......................... Niederlande.......................... Norwegen ............................ Schweden .............................. Schweiz.................................. USA.........................銨ٖ?
Internationaler Bundesrepublik Deutschland Belgien .................................. Dänemark.............................. Frankreich ............................ Großbritannien .................... Italien .................................... Japan .................................... Luxemburg .......................... Niederlande.......................... Norwegen ............................ Schweden .............................. Schweiz.................................. USA.........................銨ٖ?
1. Internationaler Vergleich zwischen den wichtigsten westlichen Volkswirtschaften Ein langfristiger Rückblick bis in das 18. Jahrhundert zurück läßt für die Entwicklung der Staatsverschuldung in den wichtigsten westlichen Volkswirtschaften folgende generellen Aussagen zu: — Durch Kriege wurde die öffentliche Verschuldung jeweils explosionsartig nach oben getrieben: in den . USA durch den Sezessionskrieg; in Frankreich und Großbritannien durch die napoleonischen Kriege; in Frankreich zusätzlich durch den deutsch-französischen Krieg und in allen diesen Landern durch die beiden Weltkriege. — Tilgungen der Staatsschulden, d. h. ein absoluter Rückgang des Bestandes öffentlicher Schulden, sind in den USA zwischen 1820 und 1840, nach dem Sezessionskrieg und nach dem Ersten Weltkrieg sowie in Großbritannien zwischen 1815 und 1825 sowie ebenfalls nach dem Ersten Weltkrieg zu beobachten. In der Schweiz wurde der Schuldenstand zwischen 1950 und 1960 reduziert. — Höhere Wachstumsraten bei der öffentlichen Verschuldung stellen sich in neuester Zeit erst seit 1973/74 ein. Grund sind offenbar die Ölkrise und die schleppende Weltkonjunktur. 2. Historische Besonderheit in Deutschland Die deutsche Staatsverschuldung weist gegenüber der Entwicklung in den anderen Ländern eine bemerkenswerte Besonderheit auf. Da das Deutsche Reich Verlierer des Ersten wie auch des Zweiten Weltkrieges war, kam es nach diesen beiden Kriegen zu dem Umstand, daß die Staatsverschuldung durch Dekret (1923 24) bzw. durch Währungsreform (1948) praktisch auf Null herabgesetzt wurde. Dies mag die in Deutschland weit verbreiteten Vorbehalte gegen öffentliche Schuldtitel und gegen Geldentwertung erklären, denn inländische Gläubiger gegen das Deutsche Reich, die Anleihen oder Reichsmark besaßen, wurden zweimal hart von den finanziellen Folgen der verlorenen Weltkriege getroffen. Die Aufwertungsgesetzgebung nach 1923 und die Ausgleichsforderungen, die die Gläubiger nach 1948 erhielten, machten den „Schaden" nur um Bruchteile geringer. Infolge dieses zweimaligen dekretierten Schuldenabbaus steht heute die Bundesrepublik Deutschland im internationalen Vergleich mit einer relativ geringen Pro-Kopf-Verschuldung da, und auch der Anteil der Staatsverschuldung am Sozialprodukt liegt international am unteren Ende der Skala.
V. Entwicklung des Schuldenstands und der Schuldenbelastung
Abbildung 5
Öffentliche Verschuldung E 10
Öffentliche Verschuldung E 10
Wie im vorherigen Abschnitt gezeigt, konnte die Schuldenpolitik der öffentlichen Hände in der Bundesrepublik Deutschland von einer vergleichsweise günstigen Ausgangslage ausgehen. Schuldenstand und Schuldendienst lagen vor 1975 relativ niedrig.
Die durch die Ölkrise verschärfte Rezession 1974/75 führte bei nahezu stagnierenden Steuereinnahmen und gleichzeitig hohen öffentlichen Ausgaben zu einem rapiden Anstieg des Haushaltsdefizits. Wegen dieser gesamtwirtschaftlich unbefriedigenden Entwicklung war es in den Jahren 1974 und 1975 notwendig, daß die öffentlichen Haushalte — neben einer expansiven Ausgabengestaltung — eine verstärkte Kreditfinanzierung der öffentlichen Ausgaben vornahmen, was gleichzeitig natürlich zu einer sprunghaften Zunahme der Verschuldung führen mußte. Die Schulden von Bund, Ländern und Gemeinden beliefen sich Ende 1977 auf insgesamt rund 322 Mrd. DM, von denen rund 150 Mrd. DM oder gut 46 v. H. Bundesschulden waren. 1976 beliefen sich die gesamten öffentlichen Schulden auf insgesamt 292 Mrd. DM, von denen 125, 5 Mrd. DM oder knapp 43 v. H. Bundesschulden waren. Gemessen an den Ausgaben sind dies 77, 5 bzw. 76, 2 v. H., in Relation zum Bruttosozialprodukt errechnen sich v. H. -Sätze von 26, 0 bzw. 11, 1 v. H.
Aufschlußreich ist auch ein Vergleich über längere Zeiträume:
— Die Schulden des Bundes haben sich von 1962 bis Ende 1976 — bedingt durch die insbesondere vom Bund finanzierten konjunkturpolitischen Maßnahmen seit 1974 — im Jahresdurchschnitt (+ 11, 8 v. H.) stärker erhöht als die Ausgaben (+ 8, 9 v. H.)
und das Sozialprodukt (+ 8, 5 v. H.). Dies gilt sowohl für den Zeitraum 1962— 1969 als auch — in noch stärkerem Ausmaß — für 1969— 1976.
— Bei den Ländern sind die Schulden von 1962— 1976 prozentual rascher gewachsen als beim Bund, so daß der Anteil der Schulden des Bundes an den gesamten Schulden der öffentlichen Hand in diesem Zeitraum von knapp 45 v. H. auf rund 43 v. H. zurückging, während sich der Anteil der Länder von knapp 23 v. H. auf 28 V. H.
erhöhte. Ab 1975 hat sich der Anstieg der Bundesschulden jedoch konjunkturbedingt beschleunigt. Auch die Länder erhöhten in dem betrachteten Zeitraum ihre Schulden stärker als ihre Ausgaben.
— Für den Gesamtzeitraum 1962— 1976 nehmen die Schulden der Gemeinden stärker zu als die des Bundes. Die Zunahme der Gemeindeschulden lag ebenfalls im Betrachtungszeitraum über dem Zuwachs der Gemeindeausgaben. — Die Schulden des öffentlichen Gesamthaushaltes sind von 1962— 1976 (ebenso in den unterteilten Zeiträumen) stärker gestiegen (+ 12, 1 v. H.) als die Ausgaben (+ 9, 4 v. H.)
und als das Sozialprodukt (+ 8, 5 v. H.).
Bei einem Vergleich der mit dem Schulden-stand zusammenhängenden finanzwirtschaftlichen Belastungen werden als Maßstäbe die Zinsquote bzw. die Schuldendienstquote errechnet. Dabei handelt es sich um den Anteil der Zinsausgaben bzw.der Zins-und Tilgungsausgaben (Schuldendienst) bezogen auf die Ausgaben bzw. die Steuereinnahmen. Für 1975 bzw. 1976 und die Vergleichslage 1969 bzw. 1962 ergibt sich folgendes:
— Die Zinsquote des Bundes liegt Ende 1976 bezogen auf die Ausgaben bei 4, 2 vH brutto; auf die Steuern bezogen beträgt sie 3, 5 vH. Gegenüber 1962 (1, 8 bzw. 2, 0 vH)
sind diese Quoten zwar stark angestiegen, eine nennenswerte Einschränkung des Gestaltungsspielraums des Bundeshaushalts dürfte damit jedoch noch nicht verbunden sein.
— Im öffentlichen Gesamthaushalt liegen die Zinsquoten durchweg höher als beim Bund, was durch die starke Verschuldung im kommunalen Bereich hervorgerufen wird, die hier jedoch mit dem größeren Volumen sog. rentierlicher Ausgaben zusammenhängt. Auch sie halten sich Ende 1976 in Grenzen und betragen auf die Ausgaben bezogen 4, 8 vH und im Verhältnis zu den Steuereinnahmen 6, 7 vH.
— Hinsichtlich der Zinsquote bezogen auf die Ausgaben und bezogen auf die Steuern liegt der Bund im internationalen Vergleich in der unteren Gruppe der westlichen Industriestaaten: beispielsweise ergeben sich bei den USA und Großbritannien Quoten von 9, 0 bzw. 9, 4 vH.
— Die öffentliche Schuldenlast je Einwohner hat sich zwar im Zeitraum 1974— 1976 von 3 043 DM auf 4 754 DM deutlich erhöht;
jedoch bewegt sich ihre absolute Höhe im internationalen Vergleich auf niedrigem Niveau: beispielsweise — umgerechnet in DM — USA 10 578, Belgien 8 675, Schweden 8 115, Norwegen 7 768, Schweiz 7 576 etc. Wird der Schuldenstand gemessen an den Ausgaben bzw.dem Bruttosozialprodukt, so liegt die Bundesrepublik ebenfalls in der unteren Gruppe der westlichen Industriestaaten. Während der Anteil der Schulden des öffentlichen Gesamthaushaltes 1976 an den Ausgaben rund 78 vH und gemessen am Sozialprodukt 26 vH ausmacht, lauten die entsprechenden Anteilssätze beispielsweise für die „Spitzenreiter" Großbritannien 164 vH und 65 vH und die USA 157 vH und 53 vH.
VI. Notwendigkeiten und Grenzen öffentlicher Verschuldung
Abbildung 6
Schuldenentwicklung (Vergleich mit Ausgaben und Bruttosozialprodukt) Schuldenzunahme Bund ..............................................
Länder ................................................
Es ist sicherlich unangebracht, die jüngste Entwicklung der Staatsverschuldung mit jener extremen Überschreitung aller Grenzen einer vertretbaren Staatsschuld zu vergleichen, wie sie die Deutschen nach zwei verlorenen Kriegen, die beide Male mit einem fast völligen Bankrott des Staates und der Entwertung aller Staatsanleihen endeten, in schmerzlicher Weise erfahren mußten Und doch hörte und hört man aus vielen Diskussionen und Beiträgen zum Thema „Staatsverschuldung" die Befürchtung, eine zunehmende Staatsverschuldung werde vielleicht doch wieder zu wirtschaftlich katastrophalen Zuständen, zum Staatsbankrott führen. Die weitverbreitete Unsicherheit im Umgang mit dem Problem der Staatsverschuldung signalisiert mehr und mehr einen Bedarf nach Kriterien, die zu erkennen erlauben, ob sich die öffentliche Verschuldung kredit-und gesamtwirtschaftlich in vertretbarem Rahmen hält.
Nachfolgend sollen daher zum besseren Verständnis der Bedeutung der öffentlichen Verschuldung sowohl die grundsätzliche Notwendigkeit der Kreditfinanzierung der öffentlichen Haushalte als auch ihre konjunkturpolitisch gebotene Ausgleichsfunktion deutlich gemacht werden. Darüber hinaus wird eine Analyse der Schuldenpolitik vorgenommen, die finanzwirtschaftliche und gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge berücksichtigt. Vorweg ist festzustellen, daß die Ansprüche der modernen Gesellschaft an die öffentliche Leistungserstellung in allen Industriestaaten ein solches Ausmaß angenommen haben, daß hinsichtlich ihrer Finanzierung die Frage heute nur noch lauten kann: In welchem Umfang sind öffentliche Kreditaufnahmen finanzwirtschaftlich und gesamtwirtschaftlich notwendig, um bei vertretbarer steuerlicher Anspannung die gewünschten öffentlichen Leistungen bereitstellen zu können? Ausgangspunkte jeder rationalen Diskussion über Probleme der Staatsverschuldung sollten heute folgende Grundsätze sein:
1. Nach wie vor erfolgt zwar die Kreditaufnahme durch die öffentliche Hand primär unter dem Gesichtspunkt der Deckung des Finanzbedarfs und wird deshalb oft einseitig finanzwirtschaftlich beurteilt, jedoch müssen Umfang und Art der öffentlichen Kreditfinanzierung vor allem von gesamtwirtschaftlichen Aspekten und von kapital-marktpolitischen Überlegungen bestimmt werden.
2. Es darf nicht übersehen werden, daß gesamtwirtschaftlich die Finanzierung der Staatshaushalte ebenso wie die des privaten Sektors in einen in sich geschlossenen Kreislauf eingebettet ist: Angebot von und Nachfrage nach Geldkapital müssen sich entsprechen. Zu diesem Ausgleich kann und muß der Staat durch seine Schuldenpolitik wesentlich beitragen. Das volkswirtschaftliche Kreditangebot muß auch durch öffentliche Schuldenaufnahme ausgeschöpft werden, wenn „deflatorische Lücken“ durch brachliegendes Sparkapital vermieden werden sollen.
3. Auch Staatsleistungen sind großenteils gesamtwirtschaftlich „produktiv" (dies gilt nicht nur für die investiven Ausgaben in ihrer definitorisch engen Abgrenzung). Damit ist für diese Ausgaben, wenn man dieselben Maßstäbe anlegt wie im Unternehmensbereich, die öffentliche Verschuldung ebenso erlaubt und zweckmäßig. \ 4. Die konjunkturpolitische Notwendigkeit einer antizyklischen Variation der öffentlichen Kreditaufnahme ist heute unumstritten und wird von allen Seiten gefordert.
Im Stabilitätsund Wachstumsgesetz ist die gesamtwirtschaftliche Aufgabenstellung der öffentlichen Haushalte sogar festgelegt.
Hiernach müssen die wirtschafts-und finanzpolitischen Maßnahmen des Staates so getroffen werden, daß sie „gleichzeitig zur Stabilität des Preisniveaus, zu einem hohen Beschäftigungsstand und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht bei stetigem und angemessenem Wirtschaftswachstum beitragen" Im Rahmen einer solchen konjunkturpolitischen Funktion der öffentlichen Haushalte gewinnt die Kreditfinanzierung staatlicher Ausgaben besondere Bedeutung.
Sie ist — neben der Bildung und Auflösung von Konjunkturrücklagen — eines der wichtigsten Instrumente, die es dem öffentlichen Haushalt ermöglichen, im Rahmen einer an den Zielen des Stabilitätsund Wachstumsgesetzes ausgerichteten Politik den erforderlichen Beitrag zu leisten. Eine ausgabensteigernde, konjunkturstützende Finanzpolitik beispielsweise darf nicht auf Steuererhöhung basieren, die Kaufkraftabschöpfung bedeutet, sondern muß im Wege zusätzlicher Kreditfinanzierung die Wirtschaftstätigkeit beleben, Einkommen und Umsätze steigern.
5. Die gesetzlichen Vorschriften für eine solche Staatsverschuldung sind in der Bundesrepublik Deutschland vorhanden, insbesondere in der Ausnahmevorschrift des Artikels 115 Grundgesetz, nach der zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts die Krediteinnahmen des Bundes höher sein dürfen als die im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen (auch für die Länder gelten ähnliche Vorschriften). Beim Bund war dies in den Jahren 1975— 1977 der Fall.
Ferner ist die Kreditermächtigung nach § 6 Abs. 3 Stabilitäts-und Wachstumsgesetz zu nennen, die der schnellen Kreditfinanzierung zusätzlicher Investitionsausgaben dient. Auch von dieser Vorschrift ist in den letzten Jahren Gebrauch gemacht worden.
Bei einer „Abschwächung der allgemeinen Wirtschaftstätigkeit" ist der Bundesfinanzminister nach diesem § 6 ermächtigt, über die im Haushaltsgesetz erteilten Kredit-ermächtigungen und über die Auflösung der Konjunkturausgleichsrücklage hinaus Kredite in Höhe von 5 Mrd. DM bei der Bundesbank aufzunehmen.
6. Hinter den übergeordneten gesamtwirtschaftlichen Gesichtspunkten muß die rein fiskalische Betrachtungsweise der Kreditaufnahme, die mit gewissen Haushaltsbelastungen verbunden ist, zurücktreten. Der gesamtwirtschaftliche Vorteil aktiv wirtschaftssteuernder Finanzpolitik rechtfertigt die finanziellen Mehrbelastungen der öffentlichen Haushalte durch Zinsausgaben.
Im übrigen kommen diese öffentlichen Zinsausgaben wiederum den Einkommensbeziehern zugute und werden überdies der Besteuerung unterworfen.
Zwar wird man sich heute rasch über die Notwendigkeit der Staatsverschuldung einig werden können, doch schwieriger — und gerade dies steht heute im Mittelpunkt der aktuellen politischen Auseinandersetzung — ist die Antwort auf die Frage nach den gesamtwirtschaftlichen und finanzwirtschaftlichen Grenzen der Staatsverschuldung. Hierzu einige grundsätzliche Gesichtspunkte: 1. Es ist unstrittig, daß in einer unterbeschäftigten Wirtschaft die Kreditfinanzierung von Staatsausgaben notwendig und stabilitätspolitisch unbedenklich ist. Die Obergrenze liegt in der Lücke zwischen der Gesamtnachfrage und dem Gesamtangebot.
Bei voller Auslastung des Produktionspotentials ist eine Ausweitung des staatlichen Sektors nur dann stabilitätspolitisch akzeptabel, wenn gleichzeitig die private Nachfrage durch Steuererhöhung u. ä. zurückgedrängt wird. Eine Zunahme der Staatsverschuldung bei Vollbeschäftigung würde ohne eine solche Kompensation — also die erwähnte Zurückdrängung der privaten Nachfrage — zwangsweise mit privaten Investitionen konkurrieren und so eine inflatorische Entwicklung auslösen. 2. Die mit der Kreditaufnahme verbundenen Wirkungen auf die Einkommensverteilung dürfen nicht zu unerwünschten Belastungen sozial schwächerer Einkommensbezieher führen. Sie könnten dadurch entstehen, daß die öffentlichen Kredite im wesentlichen bei einkommensstärkeren Schichten aufgenommen werden und diesen die Zinsen zufließen, während die Zinsausgaben der öffentlichen Haushalte aus dem allgemeinen Steueraufkommen und damit auch von mittleren und vor allen Dingen schwächeren Einkommensbeziehern getragen werden. Hierbei sind die Form und die Bedingungen der öffenlichen Kreditaufnahme wesentlich. Einbezogen werden muß bei dieser Betrachtung allerdings auch, welchen Einkommensbeziehern die aus den Krediten finanzierten Ausgaben schwergewichtsmäßig zugute kommen. Wenn hier auch wegen der bei Verteilungsfragen immer auftretenden Wertvorstellungen keine Grenze auszumachen ist, wird man doch zweifellos die verteilungspolitischen Konsequenzen einer zunehmenden Staatsverschuldung beachten müssen. 3. Die aus der Kreditfinanzierung resultierenden Zinsbelastungen und Kreditbeschaffungskosten lassen sich vom Haushalt um so leichter tragen, je stärker die wirtschaftliche Anstoßwirkung der Kreditfinanzierung ist. 4. Verschuldungsgrenzen der öffentlichen Hand lassen sich aus Vergleichen mit privatwirtschaftlichen Verhältnissen nicht ableiten. Dies gilt ebenso für den Begriff des öffentlichen Vermögens als „Schuldendeckung“ wie für den der sogenannten Rentabilität der Ausgaben. Das öffentliche Vermögen kann für die zulässige Verschuldung keinen Richtwert liefern, da dieses im Gegensatz zum Privatvermögen entweder keine (bzw. keine berechenbaren) Erträge abwirft oder die Erhaltung des Vermögens sogar noch Kosten verursacht. Beispiele hierfür sind Verkehrswege, Schulgebäude, Krankenhäuser, Parkanlagen etc. Auch die Überlegung, die Kosten der Kreditfinanzierung dem Ertrag, der Rendite der mit diesen Mitteln finanzierten öffentlichen Investitionen gegenüberzustellen und daraus ein Kriterium für die „Zulässigkeit" von Staatsschulden abzuleiten, ist nur in Ausnahmefällen sinnvoll möglich. Im allgemeinen schlägt sich die Rendite öffentlicher Investitionen nicht in einem pekuniären Gewinn nieder, sondern zeigt sich in einer Verbesserung der wirtschaftlichen Infrastruktur, z. B.des Bildungs-oder Gesundheitswesens oder der Verkehrs-, Ver-sorgungs-und Sozialeinrichtungen. Die „Rentabilität“ von staatlichen Ausgaben läßt sich also exakt nicht nachweisen; solche Ausgaben sind aber großenteils die Voraussetzung für die privatwirtschaftliche Tätigkeit und tragen damit indirekt zur Leistungssteigerung von Wirtschaft und Gesellschaft bei. 5. Da die absolute Höhe der Staatsverschuldung keine Rückschlüsse auf Grenzen der Staatsverschuldung zuläßt, finden in der Praxis — vor allem im internationalen Vergleich — Verhältnisziffern Verwendung, die die volkswirtschaftliche oder die fiskalisch-budgetäre Belastung durch die Staatsverschuldung zum Ausdruck bringen sollen.
So wird z. B. das Schuldenvolumen in Beziehung gesetzt zu anderen finanzwirtschaftlichen und volkswirtschaftlichen Entwicklungsgrößen, um anhand dieser Relationen einen Beurteilungsmaßstab zu bekommen. Solche Größen sind etwa die Schulden in v. H.der Ausgaben oder in v. H.des Sozialprodukts oder pro Kopf der Bevölkerung. Aber diese Verhältniszahlen sind, vor allem im internationalen Vergleich, nur von begrenzter Aussagekraft. Das Bruttosozialprodukt erscheint zunächst als das aussagefähigste Bezugskriterium, da auch das Steueraufkommen, aus dem der laufende Schuldendienst geleistet werden muß, unmittelbar vom Sozialprodukt abhängt. Es ist jedoch denkbar, „daß ein Land, das eine wesentlich höhere Schuldenquote aufweist als ein an-B deres, in bezug auf seine Wirtschafts-und Finanzkraft nicht ungünstiger zu beurteilen ist, namentlich auch keine besonderen Probleme als Folge der höheren relativen Verschuldung zu bewältigen hat. Das stärker verschuldete Land kann etwa mehr öffentliche Ausgaben vorgenommen haben, die direkt (rentable Anlagen) oder indirekt (über bewirkte Produktivitätssteigerungen) so viele Einnahmen erbringen, daß die Verzinsung der höheren Schuld ohne zusätzliche steuerliche Maßnahmen möglich ist. Auch Unterschiede in der durchschnittlichen Effektivverzinsung der öffentlichen Schuld können bewirken, daß unterschiedliche Schuldenquoten . belastungsmäßig’ gleich zu beurteilen sind"
Auch aus der Tabelle „Internationaler Vergleich der öffentlichen Verschuldung 1976 und des Zinsendienstes 1975" ergibt sich, daß — angesichts der ausgewiesenen großen Unterschiede — eine quantitative Grenze der Staatsverschuldung nicht fixiert werden kann.
Mehr Bedeutung für die Beurteilung der fiskalisch-budgetären Belastung durch die Staats-Verschuldung wird in der wissenschaftlichen und politischen Diskussion deshalb der Zins-Steuer-Quote beigemessen. „Je höher der Anteil der Zinsausgaben am Gesamtsteueraufkommen (Zinslast/Steueraufkommen-Quote, hier Zins/Steuer-Quote genannt) ist, desto geringer ist für den Staat bei gegebenen Steuer-sätzen der Spielraum für sonstige Ausgaben. Dieser Spielraum kann zwar bei einer gegebenen Zinslast durch eine Steigerung der steuerlichen Belastung wieder ausgeweitet werden; das wird jedoch nur der Fall sein, wenn die als angemessen und erträglich betrachtete volkswirtschaftliche Steuerquote (Anteil des Gesamtsteueraufkommens am Sozialprodukt) nicht überschritten ist. Eine hohe Zins/Steuer-Quote wird daher nicht nur den fiskalischen Aktionsspielraum der öffentlichen Hand ein-engen, sondern, falls die als noch erträglich betrachtete volkswirtschaftliche Steuerquote erreicht ist, überdies eine Grenze für die öffentliche Verschuldung anzeigen. Die Gültigkeit dieses Sachverhalts wird auch dadurch nicht beeinträchtigt, daß bei inländischen öffentlichen Schulden die vom Staat gezahlten Zinsen wieder an Steuerzahler zurückfließen.“
Leider läßt sich auch aus diesen so einleuchtenden Ausführungen keine exakte Meßziffer für die zulässige, noch tragbare Belastung und damit für die Grenze der Staatsverschuldung ableiten. Bei einer Schuldendienstbelastung der öffentlichen Haushalte in der Größenordnung von gut 4 v. H. (1976) dürfte jedoch eindeutig feststehen, daß das Kriterium einer fühlbaren Einengung des haushaltswirtschaftlichen Manövrierspielraums nicht gegeben ist. Nicht so problemlos erscheint dagegen die Perspektive bei weiter zunehmender Staatsverschuldung, wie sie sich zur Zeit abzeichnet. Dies kann man deutlich auch an der vorliegenden mittelfristigen Finanzplanung ablesen, nach der 1978 die Zinsausgaben für aufgenommene Kredite etwa 5, 2 v. H.des Haushaltsvolumens des Bundes erreichen werden, 1980 schon 6 v. H. und 1982 gar 8 v. H. Sicherlich ist dann der Punkt nicht mehr sehr fern, wo der haushaltspolitische Verfügungsspielraum ernstlich eingeengt wird.
Als Ergebnis läßt sich festhalten, daß es Situationen gibt, in denen eine Staatsverschuldung als „Tugend“, und andere Situationen, in «jenen eine zusätzliche Staatsverschuldung als „Laster" anzusehen ist. Eine klare Antwort auf die Frage „Wieviel Schulden darf der Staat machen?“ muß man allerdings schuldig bleiben, da es eine objektiv feststellbare Grenze der Staatsverschuldung nicht gibt. Die Höhe der Staatsverschuldung ist vielmehr letztlich eine politische Größe, bei deren Bestimmung man allerdings auf die Beachtung wichtiger Aspekte, wie sie in dieser Arbeit angesprochen wurden, angewiesen ist.
Manfred Piel, Dipl. -Volkswirt, geb. 1945; Studium der Wirtschaftswissenschaften in Saarbrücken und Freiburg i. Br.; Mitarbeiter im Deutschen Sparkassen- und Giroverband. Veröffentlichungen zu konjunktur-, Wachstums-und finanzpolitischen Themen. Diethard B. Simmert, Dr. rer. pol., geb. 1944; Studium der Wirtschaftswissenschaften in Münster; Mitarbeiter im Deutschen Sparkassen-und Giroverband. Veröffentlichungen zu geldtheoretischen, stabilisierungspolitischen und währungspolitischen Themen; Herausgeber der Lehrbuchreihe „Problemorientierte Einführungen".
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