I.
Zu den historischen Weichenstellungen unserer jüngsten Geschichte gehört das Ergebnis des berühmt gewordenen Treffens von Unionspolitikern im Hause Adenauers in Rhöndorf am 21. August 1949. Dabei wurde von einem zwar formal nicht „zuständigen", aber infolge seiner Zusammensetzung politisch gewichtigen Gremium eine bis dahin offene und strittige Frage entschieden: die erste Bundesregierung auf der Grundlage einer Koalition ohne Beteiligung der Sozialdemokratie zu bilden. Der Ausgang der Bundestagswahl vom 14. August 1949 hatte der CDU/CSU einen Stimmenvorsprung (31, 0 v. H.der abgegebenen gültigen Stimmen, 139 Mandate) vor der SPD (29, 2 v. H., 131 Mandate) erbracht und damit der Union den Führungsanspruch für die Regierungsbildung verschafft.
Angesichts des Wählerentscheids war es der CDU/CSU möglich, eine bereits vor dem 14. August vielfach prognostizierte Parlamentsmehrheit unter Einschluß der FDP (11, 9 v. H. Stimmen, 52 Mandate) und der Deutschen Partei (4, 0 v. H., 17 Mandate) zu bilden. Eine solche Koalition, die im Frankfurter Wirtschaftsrat seit 1947 bestand, konnte sich auf 208 der insgesamt 402 Abgeordneten des Bundestags stützen; sie wurde jedoch innerhalb der CDU keineswegs einhellig angestrebt.
Um eine Weichenstellung in seinem Sinne — zugunsten einer Koalitionsbildung ohne die Sozialdemokratie — herbeizuführen, lud Adenauer als Vorsitzender der CDU der britischen Zone 25 führende Politiker der CDU und CSU für den 21. August 1949 nach Rhöndorf ein. Das Ergebnis ihrer Beratungen war der Beschluß, eine Koalition mit FDP und DP zu bilden und Kandidaten für die v. H., 131 Mandate) erbracht und damit der Union den Führungsanspruch für die Regierungsbildung verschafft.
Angesichts des Wählerentscheids war es der CDU/CSU möglich, eine bereits vor dem 14. August vielfach prognostizierte Parlamentsmehrheit unter Einschluß der FDP (11, 9 v. H. Stimmen, 52 Mandate) und der Deutschen Partei (4, 0 v. H., 17 Mandate) zu bilden. Eine solche Koalition, die im Frankfurter Wirtschaftsrat seit 1947 bestand, konnte sich auf 208 der insgesamt 402 Abgeordneten des Bundestags stützen; sie wurde jedoch innerhalb der CDU keineswegs einhellig angestrebt.
Um eine Weichenstellung in seinem Sinne — zugunsten einer Koalitionsbildung ohne die Sozialdemokratie — herbeizuführen, lud Adenauer als Vorsitzender der CDU der britischen Zone 25 führende Politiker der CDU und CSU für den 21. August 1949 nach Rhöndorf ein. Das Ergebnis ihrer Beratungen war der Beschluß, eine Koalition mit FDP und DP zu bilden und Kandidaten für die wichtigsten Staats-und Regierungsämter zu benennen 1). Die CDU-Fraktion des Landtags von Nordrhein-Westfalen, deren Vorsitzender Adenauer war, bestätigte dieses Ergebnis am folgenden Tage 2), die CDU/CSU-Mitglieder des Überleitungsausschusses — gebildet aus Vertretern des inzwischen aufgelösten Parlamentarischen Rats und der Ministerpräsidenten-konferenz — in einer Sitzung am 26. August in Koblenz Im gleichen Sinne entschieden dann die CDU-und CSU-Abgeordneten des ersten Bundestags, die sich am 1. September 1949 in Bonn in einer Fraktion zusammen-schlossen. Damit begann die „Ära Adenauer".
II.
Die Bedeutung des sonntäglichen „Rhöndorfer Kaffeekränzchens" ist in der Literatur oft erwähnt und in der Forschung unstrittig. Zuletzt hat sie Klaus Gotto in folgendem Urteil zusammengefaßt: „Die Frage nach der richtigen Koalition für die zu bildende Bundesregierung ist so alt wie die Bundesrepublik selber. 1949 wurde darüber heftig gestritten; die Entscheidung fiel auf der berühmten Rhöndorfer Konferenz vom 21. August 1949." Deren Beurteilung erfolgte jahrelang mehr oder weniger ausschließlich auf Grund von Hinweisen eines einzigen Teilnehmers, des Kölner Bankiers Robert Pferdmenges Auch Adenauer stützte sich bei der Niederschrift seiner Erinnerungen, in denen er dem Ausgang des Rhöndorfer Treffens einen hohen politischen Stellenwert zuwies, fast ausschließlich auf die Version von Pferdmenges da seine eigenen Unterlagen offensichtlich keine Aufzeichnungen über die Beratungen enthielten Erst später sind von anderen Teilnehmern des Rhöndorfer Treffens ergänzende, teilweise er-heblich korrigierende Hinweise über den Verlauf der Gespräche bekanntgeworden
Es wäre reizvoll, Vorgeschichte und Ablauf der sonntäglichen Zusammenkunft von Rhöndorf weiter aufzuhellen, zumal bisher nicht einmal genau bekannt ist, wer daran teilgenommen. hat geschweige denn, wie die einzelnen Unionspolitiker argumentiert haben. Das gilt auch für deren nachträgliche Reaktionen. So waren z. B.der hessische CDU-Vorsitzende Werner Hilpert und.der Staatspräsident von Württemberg-Hohenzollern Geb-hard Müller verärgert über die Art und Weise, in der Adenauer das Ergebnis der vertraulichen Beratungen in einer Pressekonferenz am 23. August verwertet hatte
Eine entsprechende Detailuntersuchung soll jedoch an dieser Stelle nicht erfolgen, allerdings eine Reihe punktueller Ergänzungen vorgenommen werden. Dazu gehört die Korrektur der Pferdmenges-Adenauer-Version über das Verhalten des rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten und CDU-Landesvorsitzenden Peter Altmeier der keineswegs als hartnäckigster Vorkämpfer für eine Große Koalition aufgetreten ist Noch zu klären bleibt auch, wie lange die Beratungen, deren Beginn auf 13. 00 Uhr angesetzt war, gedauert haben *
Mir geht es um den Nachweis, daß Adenauer die Rhöndorfer Weichenstellung schon vor der Zusammenkunft in seinem Hause — auf die die Presse erstmals am 17. August hinwies — so vorbereitet hatte, daß das Zustandekommen des von ihm erstrebten Ergebnisses nicht mehr ernsthaft gefährdet war. Das galt sowohl für die Einigung zugunsten einer Koalitionsbildung ohne die SPD wie für die Nominierung von Kandidaten zur Besetzung der wichtigsten Staats-und Regierungsämter: Theodor Heuss (FDP) als Bundespräsident, Adenauer (CDU) als Bundeskanzler, Ludwig Erhard (parteilos) als Bundeswirtschaftsminister
Diese Konstellation — ergänzt um weitere Namen, darunter den des hessischen CDU-Politi- kers Erich Köhler (Präsident des Wirtschaftsrats in Frankfurt) als Kandidat für das Amt des Bundestagspräsidenten — war in der Presse bereits vor dem Wahltag erörtert worden; sie wurde seit dem 15. August verstärkt als wahrscheinlichste Lösung der Besetzung der Spitzenpositionen genannt. Insofern bildete der Ausgang der Rhöndorfer Beratungen für die Zeitgenossen keinerlei Sensation. Adenauer und Heuss waren zudem bereits während der Beratungen des Parlamentarischen Rates wiederholt als Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten genannt worden.
Die Vorentscheidung Adenauers bezog sich auf die Zustimmung der CSU-Führung zu der ihm vorschwebenden Koalitionsbildung und Ämterbesetzung. Sie erfolgte am 20. August 1949 bei einem Treffen mit dem Vorsitzenden der CSU, dem bayerischen Ministerpräsidenten Hans Ehard, in Frankfurt. Darüber haben zwar einige Zeitungen zwei Tage später kurz und inhaltslos berichtet — teilweise auch die Namen weiterer Gesprächsteilnehmer genannt —, das Ergebnis dieses Treffens jedoch nicht mit dem der Rhöndorfer Beratungen verknüpft. In der Literatur ist Adenauers Reise nach Frankfurt bisher, wenn überhaupt, nur beiläufig registriert aber ebenfalls in seiner Bedeutung nicht erkannt worden
III.
An dem Gespräch in Frankfurt, im Hause der bayerischen Vertretung beim Länderrat des Vereinigten Wirtschaftsgebiets, haben auf seifen Ehards weitere bayerische Politiker teilge. nommen: der Leiter der Bayerischen Staats-kanzlei, Staatsminister Anton Pfeiffer und dessen Vertreter Karl Schwend sowie zeitweise der Direktor der Verwaltung für Wirtschaft des Vereinigten Wirtschaftsgebiets, Ludwig Erhard, und der stellvertretende Direktor der Verwaltung für Landwirtschaft, Ernährung und Forsten, der frühere bayerische Staatsrat Wilhelm Niklas. Anwesend war ferner der bayerische Ministerialrat in der Direktorialkanzlei der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebiets, Johannes von Elmenau.
Es hat den Anschein, als ob alle Teilnehmer dieses Frankfurter Gesprächs entweder dessen Bedeutung vergessen haben oder aber verschwiegen wissen wollten. Auch Adenauer ist weder in seinen „Erinnerungen" noch, soweit bisher bekannt, bei einer anderen Gelegenheit auf seine Vereinbarungen vom 20. August 1949 mit dem Vorsitzenden der CSU eingegangen. Dabei war die Initiative zu diesem Treffen von ihm ausgegangen, nachdem Erhard die (offensichtlich telefonisch ausgesprochene) Einladung des CDU-Vorsitzenden zur Teilnahme an den Beratungen am 21. August in Rhöndorf wegen einer für das gleiche Wochenende geplanten Zusammenkunft des „Ellwanger Kreises" abgesagt hatte Angesichts unterschiedlicher Ansichten über die Art der Koalitionsbildung innerhalb der CDU, aber auch der stark zerstrittenen CSU — in der Josef Müller als Verfechter einer Zusammenarbeit mit der SPD galt — lag Adenauer daran, die Zustimmung der CSU-Spitze zur Weiterführung der Fraktionsgemeinschaft des Wirtschaftsrats zu erhalten. Auf Grund der ihn vollauf zufriedenstellenden Abspra-chen von Frankfurt konnte der CDU-Politiker mit Zuversicht der Rhöndorfer Zusammenkunft am folgenden Tage entgegensehen; er kannte bereits die Vorstellungen der CSU-Spitze über die personelle Besetzung der wichtigsten Staats-und Regierungsämter.
IV.
In der ihm eigenen realistischen Einschätzung der Kräfte hatte Adenauer mit einem Sieg der Unionsparteien gerechnet und am 13. August 1949, einen Tag vor der ersten Bundestagswahl, in einem als persönlich und vertraulich gekennzeichneten Schreiben an Ehard seiner Freude darüber Ausdruck gegeben, daß „wir am Samstag, dem 20. (August] Gelegenheit haben, uns über die schwebenden Fragen auszutauschen". Adenauer hatte hinzugefügt, daß „natürlich" alle Entschlüsse vom Ausgang der Wahl abhängen würden: „Aber es spricht eine große Wahrscheinlichkeit dafür — wenigstens von hier aus betrachtet —, daß die CDU/CSU die Führung der deutschen Politik übernehmen muß."
In diesem Schreiben Adenauers war ferner darauf verwiesen, daß „schon jetzt Verhandlungsfühler anderer Parteien" an ihn gelangten und er sich solchen Fühlungnahmen gegenüber auf die Dauer nicht „so völlig ablehnend" verhalten könne wie bisher Adenauer hatte jedoch versichert, daß er sich in ein „Gespräch irgendwelcher Art" nicht einlassen werde, „bevor mit den führenden Leuten der CDU/CSU aus allen drei Zonen die Sachlage besprochen" worden sei, und den bayerischen Ministerpräsidenten daran erinnert, daß eine solche Besprechung („wie Sie wissen") am 21. August stattfinden solle; er habe diesen „äußersten Termin" eigens deswegen in Aussicht genommen, weil sich Ehard nicht vor dem 20. August mit ihm treffen könne. Damit steht fest, daß Termin und Ort der Zusammenkunft führender Unionspolitiker zur Diskussion des Wahlergebnisses bereits vor dem Wahltag mit Ehard vereinbart worden sind — vermutlich auch mit anderen Teilnehmern. (Einige sind allerdings erst am 17., einer ist noch am 19. August eingeladen worden.)
Das Gespräch mit Ehard hielt der CDU-Politiker für so wichtig, daß er den bayerischen Ministerpräsidenten am 13. August gebeten hatte, das für den 20. und 21. August vorgesehene Treffen des „Ellwanger Kreises" um einige Tage zu verschieben: „Ich meine, die besonderen Angelegenheiten der süddeutschen Länder, die Sie in Ellwangen besprechen wollen, vertragen vielleicht doch noch einen kurzen Aufschub." (Die Tagung, an der Ehard teilnahm, fand am 19. /20. August statt.)
In den ersten drei Tagen nach der Bundestagswahl kommentierte Adenauer deren Ausgang als eindeutigen Sieg der von den Unionsparteien getragenen Wirtschaftspolitik und zog daraus die Folgerung, daß diese — mit dem Namen von Ludwig Erhard verknüpfte und gegen die erbitterte Opposition der SPD im Frankfurter Wirtschaftsrat durchgesetzte — Politik von der ersten Bundesregierung weitergeführt werden müsse Adenauer vermied es jedoch sorgfältig, über diese allgemein gehaltene und nicht auf eine bestimmte Koalition bezogene Aussage hinauszugehen. Allerdings erreichte er mit seiner Forderung auf Besetzung des Wirtschaftsministeriums durch einen Unionspolitiker die von ihm damit angestrebte Distanzierung von der SPD.
Dennoch wurden CDU-Politiker, die mit Kommentaren gegen die Bildung einer Großen Koalition vorpreschten, von ihm entweder telefonisch. getadelt oder aber mußten sich — wie L. Erhard, mit dem Adenauer am 19. Au-26 gust zu zwei Gesprächen in Bonn zusammentraf — vor der Presse sogar korrigieren
Aus dieser taktischen Zurückhaltung erklärt sich auch Adenauers Verhalten nach zwei Gesprächen mit dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Karl Arnold, einem Verfechter der Großen Koalition, am 18. August. So bestätigte der CDU-Vorsitzende ausdrücklich ein Kommunique über dieses Treffen, wonach in der Beurteilung über die gesamte innen-und außenpolitische Lage „volle Übereinstimmung" geherrscht habe Die Tatsache, daß sich die FDP-Führung zu diesem Zeitpunkt bereits eindeutig gegen eine Koalition mit der SPD ausgesprochen hatte konnte Adenauer ebenso recht sein wie Pressespekulationen über die bevorstehende Rhöndorfer Konferenz
Zu diesem Zeitpunkt waren die Einladungen zu einer „Aussprache führender Persönlichkeiten der CDU/CSU" am 21. August von Adenauer teilweise bereits hinausgegangen und von den Adressaten bestätigt worden teilweise gingen sie noch telegrafisch — die letzte am 19. August an Finanzminister Kaufmann in Stuttgart — mit der Bitte um telegrafische Antwort hinaus. Die Absendefolge läßt erkennen, in welcher Weise der Kreis der Teilnehmer erweitert worden ist, nachdem einige der zunächst Eingeladenen abgesagt bzw. (wie Ehard) einen Vertreter benannt hatten.
Zu den eingeladenen Unionspolitikern gehörten — was bisher nicht genügend beachtet worden ist — sämtliche Landesvorsitzenden der CDU in den drei westlichen Besatzungszonen und in Berlin: Peter Altmeier (Rheinland-Pfalz; zugleich Ministerpräsident), Günter Gereke (Ernährungsminister und stellvertretender Ministerpräsident in Niedersachsen), Anton Dichtei (Südbaden), Johannes Gronowski (Westfalen-Lippe), Fridolin Heurich (Nordbaden), Werner Hilpert (Hessen, dort Finanzminister, MdB), Jakob Kaiser (Vertreter der CDU der Ostzone, MdB), Gebhard Müller (Süd-Württemberg, zugleich Staatspräsident), Hugo Schamberg (Hamburg, MdB), Walther Schreiber (Berlin), Carl Schröter (Schleswig-Holstein) und Wilhelm Simpfendörfer (Nord-Württemberg, MdB).
Hinzu kamen prominente Mitglieder der Frankfurter Zweizonenverwaltung und der CDU-Fraktion des Wirtschaftsrats, die in den Bundestag gewählt worden waren: Ludwig Erhard (Direktor der Verwaltung für Wirtschaft), Friedrich Holzapfel (Vorsitzender der Unionsfraktion, gleichzeitig Adenauers Stellvertreter im Vorsitz der CDU der britischen Zone), Erich Köhler (Präsident des Wirtschaftsrats und Mitglied des Vorstands der hessischen CDU) und Hermann Pünder (Oberdirektor der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebiets). Diesen Adressatenkreis — aus dessen Reihen Ehard, Heurich und Holzapfel eine Absage nach Rhöndorf übermittelten während Schreiber offensichtlich zunächst zugesagt hatte, dann jedoch nicht teilnehmen konnte — ergänzte Adenauer um weitere CDU-Politiker aus den drei Zonen, deren Funktion nicht vergleichbar klar erkennbar ist, zumal nur einige von ihnen in den Bundestag gewählt worden waren: Adolf Cillien (Hannover, MdB, Vorsitzender der CDU-Fraktion im niedersächsi-schen Landtag), Willi Koch (Kiel), Albert Finck (Neustadt/Weinstraße), Edmund Kaufmann (Finanzminister in Stuttgart), Theodor Blank (MdB, Dortmund; auch Mitglied des Wirtschaftsrats) und den Kölner Bankier Robert Pferdmenges (ebenfalls Mitglied des Wirtschaftsrats)
Von Politikern der CSU waren eingeladen bzw. anwesend der bayerische Staatsminister Anton Pfeiffer (als Vertreter von Ehard) Generalsekretär Franz Josef Strauß (Mitglied des Frankfurter Wirtschaftsrats, MdB) und der stellvertretende Landesvorsitzende und Präsident des Bayerischen Landtags, Michael Hor-lacher (MdB, dieser kam allerdings mit Verspätung, so daß er Verlauf wie Ergebnis der Diskussionen nicht mehr beeinflußte).
Schließlich nahmen an dem Treffen noch drei Vertrauensleute Adenauers aus der Spitze der CDU-Organisation teil: Alois Zimmer, Regierungspräsident von Montabaur und MdL von Rheinland-Pfalz, der als Wahlkampfleiter fungiert hatte, der Generalsekretär der CDU in der britischen Zone, Josef Löns, und dessen Vorgänger (bis Herbst 1948) Herbert Blanken-horn, Referent Adenauers im Parlamentarischen Rat und sein wichtigster Mitarbeiter auch in den folgenden Monaten. Ob weitere Politiker — wie in Presseberichten erwähnt — anwesend waren, läßt sich bisher noch nicht klären Auch ist keine protokollähnliche Aufzeichnung von einem der Teilnehmer bekannt.
V.
Am 19. und 20. August beriet der „Ellwanger Kreis“ die politische Lage, ohne jedoch Beschlüsse zu fassen. Die Entscheidung über eine Koalitionsbildung sollte der Unionsfraktion des Bundestags überlassen bleiben. Diese Art politischer Enthaltsamkeit kam den Intentionen Adenauers entgegen und erleichterte es ihm, sich mit dem CSU-Vorsitzenden Ehard am 20. August zu verständigen;
über Verlauf und Ergebnis des in der Presse angekündigten Gesprächs am Samstagnachmittag im Hause der bayerischen Landesvertretung in Frankfurt besitzen wir einen ausführlichen, bisher unbekannten Bericht, der vom folgenden Tage datiert ist. Dessen Verfasser, Johannes von Elmenau, war in doppelter Funktion in Frankfurt tätig: einmal als Ministerialrat (und Vertreter des Leiters) in der Direktorialkanzlei der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebiets, gleichzeitig aber auch als kommissarischer Bevollmächtigter Bayerns beim Länderrat des Vereinigten Wirtschaftsgebiets, nachdem der Leiter der bayerischen Vertretung, Gebhard Seelos, zur Bayernpartei übergewechselt und in den Bundestag gewählt worden war. Elmenau oblag zudem die Bewirtschaftung des Gebäudes der bayerischen Vertretung
Sein „streng vertraulicher" Bericht vom 21. August 1949 an die Bayerische Staatskanzlei, z. Hd. von Ministerialrat Fritz Baer wird seiner Bedeutung wegen im Wortlaut abgedruckt Einen Durchschlag übermittelte von Elmenau am gleichen Tage seinem Dienstvorgesetzten Ministerialdirektor Carl Krautwig Dieses Exemplar ist von Krautwig und von Oberdirektor Hermann Pünder am 24. August abgezeichnet worden. Pünder war zum Wochenende zu seiner Familie nach Köln gefahren (offensichtlich auch Krautwig) und hatte an der Rhöndorfer Konferenz am 21. August teilgenommen. Auch wenn ihm der Bericht über den Verlauf des Gesprächs zwischen Adenauer undEhard erst nachträglich bekannt-geworden ist, so entsprach dessen Ergebnis in den Kernpunkten seinen eigenen Überlegungen
Der Bericht von Elmenaus vom Sonntag, dem 21. August 1949, aus Frankfurt lautet folgendermaßen: „Betr.: Regierungsbildung und Personalfragen. In der gestrigen Besprechung zwischen dem Herrn Bayerischen Ministerpräsidenten Ehard und Präsident Dr. Adenauer (unter Anwesenheit von Minister Pfeiffer und Min. Rat Schwend sowie zeitweise von Prof. Erhard und Staatsrat Niklas) wurde über folgendes Einverständnis erzielt:
Eine Koalition mit der SPD wird nicht ernstlich in Erwägung gezogen Es wird versucht werden, eine Koalition nur mit der FDP einzugehen. Bundeskanzler soll Dr. Adenauer werden, der an sich Herrn Ministerpräsident Ehard als den geeignetsten Kanzler bezeichnete, jedoch Bedenken gegen dessen Wahl zum Ausdruck brachte, da Ministerpräsident Ehard gegen das Grundgesetz gestimmt hat Von bayerischer Seite wurde diesem Bedenken nicht widersprochen.
Als Bundespräsident wurde Dr. Heuss in Aussicht genommen, als Präsident des Bundestages Dr. Köhler
Uber die Besetzung des Bundeswirtschaftsministeriums mit Prof. Dr. Erhard bestand Einverständnis. Von bayerischer Seite wurde Anspruch auf das Bundesfinanzministerium erhoben und hierfür Dr. Ringelmann vorgeschlagen. Eine Kandidatur Minister Blüchers für das Bundesfinanzministerium wurde von bayerischer Seite als nicht tragbar bezeichnet. Die Kandida-tur Höpker-Aschoffs für das Bundesfinanzministerium erscheint von Seiten der FDP nicht mehr vertreten zu werden
Im Laufe der Besprechungen ergab sich Folgendes: Für den Fall, daß ein süddeutscher Bundesfinanzminister aus Kreisen der CDU/CSU — als welcher neben Dr. Ringelmann auch Dir. Hartmann und Dr. Hilpert genannt wurden_ gegen die FDP nicht durchzusetzen sein sollte, würde von süddeutscher Seite erwogen werden, eine Kandidatur Dr. Wellhausens für das Bundesfinanzministerium hinzunehmen. Die FDP scheint Dr. Wellhausen unter allen Umständen als Minister präsentieren zu wollen. Sollte er als Finanzminister nicht in Frage kommen, würde die FDP ihn wohl als Verkehrsminister präsentieren. Mit letzterer Lösung wäre man von bayerischer Seite einverstanden unter der Voraussetzung, daß als Staatssekretär Ministerialdirigent Brunner fungieren würde.
Für das Landwirtschaftsministerium wurde von bayerischer Seite Dr. Niklas genannt. Der Vorschlag fand grundsätzlich das Interesse Dr. Adenauers. Von bayerischer Seite wurde jedoch betont, daß Dr. Niklas als Fachminister gewertet würde, nicht als Vertreter der CSU im Bundeskabinett. Daneben scheint die Kandidatur Dr. Schlanges noch immer erwogen zu werden. Eine Kandidatur Minister Lübkes als Bundeslandwirtschaftsminister wurde von bayerischer Seite unbedingt abgelehnt. Dr. Adenauer scheint dieser Stellungnahme beizupflichten.
Im Falle einer Besetzung des Innenministeriums durch Dr. Lehr oder ein anderes Mitglied der norddeutschen CDU wurde von bayerischer Seite die Besetzung des Staatssekretär-oder Ministerialdirektor-Postens durch Ritter von Lex gefordert.
Für das Bundesarbeitsministerium benannte Dr. Adenauer zuerst Herrn Storch gegen den erhebliche Bedenken vorgebracht wurden. Sodann wurde die Kandidatur Herrn Blanks (Abgeordneter des Wirtschaftsrats, Christlicher Gewerkschaftler) in unverbindliche Aussicht genommen. Ich versuchte geltend zu machen, daß im Bundesarbeitsministerium unbedingt ein Vertreter der klassischen Schule der Sozialversicherung nach Art von Dr. Grieser Dr. Eckert oder Min. Rat Sauerborn an maßgeblicher Stelle eingesetzt werden müsse.
Es soll versucht werden, Minister Blücher die Vizekanzlerschaft anzubieten und ihm das Ministerium für Wiederaufbaufragen zu übertragen. Jakob Kaiser soll Minister für die Ostgebiete und für Flüchtlingsfragen werden. Zu meiner Überraschung sprach sich Herr Dr. Adenauer gegen ein Bundesministerium für zwischenstaatliche Angelegenheiten aus und befürwortete die Errichtung eines Staatssekretariats für diesen Aufgabenbereich unter dem Bundeskanzler. Als Staatssekretär hierfür wurde Herr Oberdirektor Dr. Pünder vorgeschlagen
Ein weiterer Staatssekretär soll in der Bundes-kanzlei vorgesehen werden. Seine Besetzung mit einem Angehörigen der FDP scheint von Dr. Adenauer ursprünglich beabsichtigt gewesen zu sein; von bayerischer Seite wurden hiergegen Bedenken erhoben unter Hinweis auf die ungünstigen Erfahrungen mit politisch anders orientierten Staatssekretären gelegentlich der früheren bayerischen Koalition Dr. Adenauer schien sich diesen Bedenken anzuschließen.
Von bayerischer Seite wurde zum Ausdrude gebracht, daß Ministerpräsident Ehard Mitglied des Bundesrates werden würde, ebenso Minister Pfeiffer und drei weitere bayerische Ressortminister. Von bayerischer Seite würde in diesem Falle Wert darauf gelegt werden, daß Ministerpräsident Ehard den Posten des Präsidenten des Bundesrates übernimmt Dr. Adenauer war damit einverstanden.
Es bestand Einverständnis darüber, daß die Entscheidung über die vorgenannten Vorschläge von den Fraktionen der CDU/CSU in Bonn zu treffen ist. An den heutigen Besprechungen bei Dr. Adenauer in Rhöndorf nehmen u. a. Prof. Erhard, Minister Pfeiffer und Präsident Horlacher teil. Um den 31. ds Mts. soll die erste Sitzung der neugewählten CDU-Fraktion des Bundestages in Godesberg stattfinden."
V.
Allem Anschein nach haben bei den Rhöndorfer Beratungen am folgenden Tage weder Adenauer noch Erhard noch Pfeiffer mit dem Ergebnis des Frankfurter Treffens argumentiert, bei dem sich Adenauer und Hans Ehard „gut verstanden" hatten Ob der Hausherr und Versammlungsleiter seinerseits vom posi. tiven Ausgang des voraufgegangenen „Spitzengesprächs" einige Unionspolitiker vertraulich unterrichtet hat, ist nicht nachweisbar CSU-Generalsekretär Strauß jedenfalls ge. hörte seiner eigenen Auskunft nach nicht dazu. Allerdings kannte er die Intentionen Ehards in bezug auf eine Koalitionsbildung ohne SPD, die er dezidiert vertreten hat Strauß’ Kommentar über die Rhöndorfer Besprechungen, die CSU sei mit Adenauer „unter betonter Wahrung der bayerischen Interessen" einig geworden schließt indirekt die voraufgegangene Verständigung des Hausherrn mit Ehard ein. In Rhöndorf hat Adenauer die Argumentation des jungen CSU. Generalsekretärs — von der er seit dem Vortag wußte, daß sie der Linie Ehards und Pfeiffers entsprach — geschickt aufgegriffen und durch Hinweis auf die andernfalls drohende Gefahr einer Spaltung der Union entsprechend verstärkt.
In Kenntnis der Frankfurter Vorabverständigung lassen sich drei neue Teilergebnisse zur Vorgeschichte der ersten Regierungsbildung von 1949 formulieren:
1. Spätere Äußerungen Adenauers, aber auch Strauß', soweit sie dem Einsatz des CSU-Sprechers ausschlaggebende Bedeutung für den Ausgang der Rhöndorfer Beratungen im Sinne einer Koalitionsbildung ohne die Sozialdemokratie zugemessen haben, müssen modifiziert werden
— 2 Adenauer hat mit der CSU-Spitze bereits vor dem Treffen vom 21. August 1949 nicht nur die personelle Besetzung der Schlüsselstellungen — Bundespräsident, Bundestags-präsident, Bundeskanzler und Bundeswirtschaftsminister — abgesprochen, sondern auch eine Reihe weiterer Ämterbesetzungen.
3 Der designierte Bundeskanzler war von vornherein bereit, für das Zustandekommen einer von den Unionsparteien getragenen Regierungskoalition (und als deren Voraussetzung die Bildung einer CDU/CSU-Bundestagsfraktion) weitgehende personelle Zugeständnisse zugunsten des kleineren Partners zu machen. Dazu gehörte auch seine Bereitschaft, einzelne Politiker der CDU wie der FDP nicht in die Bundesregierung aufzunehmen (wobei offenbleiben kann, ob Adenauer ein Verzicht auf die entsprechenden Persönlichkeiten schwergefallen ist).
Am 30. August 1949 erklärte Ministerpräsident Ehard in München, Bayern müsse die Möglichkeit zur Mitarbeit im Bund erhalten und habe deswegen einen Bundesminister und Stellen in anderen Ministerien gefordert, die für eine föderalistische Linienführung der Bundespolitik von Bedeutung seien Bereits einige Tage vorher hatte Strauß „leitende Stellungen" im Bundesfinanzministerium für Ringelmann und Niklas und im Bundesinnenministerium für Ritter v. Lex gefordert
Adenauer konnte seine personalpolitischen Vorstellungen, wie er sie am 20. August 1949 gegenüber Ehard entwickelt bzw. soweit er sich mit dessen Vorschlägen einverstanden erklärt hatte, nach seiner Wahl zum Bundeskanzler am 15. September jedoch keineswegs alle realisieren. Er sah sich gezwungen, innerparteilichen und koalitionspolitischen, eingeschlossen konfessionellen Proporzforderungen nachzugeben. Vor allem mußte er der CSU weiter entgegenkommen, als bei dem Frankfurter Treffen mit Ehard in Aussicht genommen.
Entsprechende Konzessionen waren die Folge eines personalpolitischen Schachzugs, mit dem der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Arnold die Absicht Adenauers und Ehards durchkreuzte, den bayerischen Ministerpräsidenten zum ersten Präsidenten des Bundesrats wählen zu lassen. Arnold setzte mit Hilfe der SPD-regierten Länder durch, daß er selbst am 7. September 1949 vom Bundesrat (auf Vor-schlag Altmeiers) anstelle seines bayerischen Kollegen — für dessen Wahl sich Adenauer noch am Vortag in der CDU/CSU-Fraktion eingesetzt hatte — zum Präsidenten gewählt wurde Diese „Nacht-und-Nebel-Aktion“ Arnolds brachte das Konzept des designierten Bundeskanzlers erheblich durcheinander und komplizierte erneut die Koalitionsverhandlungen Deren erfolgreicher Abschluß gelang schließlich durch erhebliche Vergrößerung des Kabinetts (der Organisationsausschuß der Ministerpräsidentenkonferenz hatte acht Bundesminister vorgeschlagen).
Die Besetzung der wichtigsten Ressorts erfolgte im Sinne der Frankfurter Absprache. Das galt für Blücher (Vizekanzler), Erhard, Kaiser und Niklas sowie für die Staatssekretäre Ritter von Lex (Bundesinnenministerium), Hart-mann (Bundesfinanzministerium) und Sauerborn (Bundesarbeitsministerium); Eckert trat als Abteilungsleiter in das Bundesarbeitsministerium ein.
Demgegenüber hat sich Adenauer in einem Falle (Bundesarbeitsminister) über bayerische Bedenken hinweggesetzt (Storch), während er den ebenfalls von der CSU vorgeschlagenen bzw. akzeptierten CDU-Abgeordneten Pünder nicht in das Kabinett berief. Dafür sah sich der Bundeskanzler jedoch gezwungen, neben Niklas zwei weitere CSU-Vertreter zu Ressortchefs zu ernennen: Fritz Schäffer (Bundesfi-nanzminister) und Hans Schuberth (Bundesminister für Post-und Fernmeldewesen) Damit besetzte die CSU mit ihrem 11-v. H. -Mandatsanteil an der Regierungskoalition drei der schließlich auf insgesamt 13 Ressorts ausgeweiteten Ministerien der Bundesregierung.
Auf diese Weise gewann die kleinere Unionspartei erheblichen Einfluß in der ersten Bundesregierung (und vermochte ihn noch lange darüber hinaus zu behalten); er ging weit über das — mehr symbolische — Gewicht hinaus, das Bayern mit der Übernahme der ersten Präsidentschaft des Bundesrats hätte erreichen können. Audi in dieser Hinsicht war das Ergebnis des Frankfurter Spitzengesprächs vom 20. August 1949 folgenreicher, als auf den ersten Blick erkennbar. Es hat gleichzeitig dazu beigetragen, das auch weiterhin keines-wegs spannungslose, aber insgesamt gute Ver. hältnis zwischen den beiden führenden Unionspolitikern zu festigen und leistete damit einen wesentlichen Beitrag zur „Normali, sierung" des Verhältnisses zwischen Bayern und dem Bund.