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Zum 100. Jahrestag des „Gesetzes gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie" 351 Reichs-Gesetzblatt. | APuZ 28/1978 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 28/1978 Artikel 1 Deutsche Turnbewegung und deutsche Geschichte. Friedrich Ludwig Jahn und die Folgen Jugendarbeitslosigkeit in der europäischen Gemeinschaft Zum 100. Jahrestag des „Gesetzes gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie" 351 Reichs-Gesetzblatt.

Zum 100. Jahrestag des „Gesetzes gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie" 351 Reichs-Gesetzblatt.

Willy Brandt

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Dokumentation

Reichs-Gesetzblatt. 351 . 6 34. (Rr. 1271.) Gcset gegeu die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie. om 21. Dftober 1878, Inhalt: Geset gegen die gemeingefährlicen Bestrebungen ber Sosiabemoktatie.

S. sn. § 1. Vereine, welche durc sozialdemofratische, sozialistische ober fommyunistische Bestrebungen den Umsturz ber bestehenden Staats, ober Geselschaftsordnung bezwecen, lind zu verbieten Dasselbe gilt von Vereinen, in welchen sozialdemokratische, sozialistische ober fommunistische auf ben Lmsturz ber bestehenden Staats, ober Geiellschafts, ordnung qerichtete Bestrebungen in einer ben öffentlichen Frieden, insbesondere bie Eintracht ber Bevölferungeflassen gefährdenden Weise zu Tage treten. Den Vereinen stehen gleic Berbinbungen jeder Ait. . Kußgegeben zu Berlin ben 22. Oftober 1878. s. 2. Auf eingetragene Genessenschaften findet im Falle des §. 1 Abs. 2 ber §. 35 des GSesetzes vom 4. Juli 1868, betreffend bie privatrechtliche Stellung bet Erwerbs, und Wirthschastegenossenschaften, (BBundes, Gesebl. S. 415 ff.) Anwendung Auf eingeschriebene Hülfskassen findet im gleichen Falle ber §. 29 des Gesetzes über bie eingeschriebenen Hülfsfassen vom 7. April 1876 (Reichs-Gesezbl. S. 125 ff) Anwndug. $3. Selbständige Kasfenvereine (nicht eingeschriebene), welche nac ihren Sta, tuten bie gegenseitige LInterstüung ihrer Mitglieder bezwecen, sind im Falle des Reids Gesetbt. 1878. C 7 Zir Wilhelm, DOH Gottes Gnaden Deutschet Kaiser, Sönig Don Preuszen K. verordnen im Rmen des Reichs, nac erfolgter Zustimmung des Bundesraths und des Vieicstags, was folgt:

Unter dem Kennwort „Dokumentation" sollen künftig von Zeit zu Zeit in „Aus Politik und Zeitgeschichte" Beiträge führender Repräsentanten der demokratischen Parteien veröffentlicht werden, die in ähnlicher Weise wie die hier abgedruckte Rede Willy Brandts Daten der Zeitgeschichte, grundsätzlich-programmatische Selbstdarstellung und daraus abzuleitende Konsequenzen für die Gegenwarts-und Zukunftsbewältigung miteinander verbinden. Die Wiedergabe solcher Fundamentalaussagen dient mit dem Angebot beachtenswerter, aus der Zusammenschau von Vergangenheit und Gegenwart gewonnener Orientierungselemente ebenso den Zielen der politischen Bildung, wie sie andererseits dem Titelanspruch der Zeitschrift in besonderer Weise gerecht wird. Der Herausgeber hofft zudem, mit diesem neuen Akzent im redaktionellen Programm der „Beilage" zum Abbau des verbreiteten Vorurteils vom schier unüberbrückbaren Gegensatz von „Geist" und „Tat" beitragen zu können.

Die Redaktion

I.

— 352 — § 5.

Wird durc bie Generalversammlung, turc ben Vorstand ober durc ein nnderes Icitendes Organ des Vereins ben von ber Kontrolbehrde innerhalb ihrer Befugnisse erlassenen Anordnungen zuwidergehandett ober treten in dem Vereine bie im §. 1 Abs. 2 bezeichneten Bestrebungen and) nad Einleitung ber Sontrole 31t Lage, so sann ber Verein verboten werden. $. 6.

Buständig für das Verbot und bie Anordnung ber Kontrole ist bie Qande€-polizeibehörde. Das Verbot ausländischer Vereine steht dem Reichkemzler 311.

Das Verbot ist in allen Fällen durc ben Reicheanzeiger, das von ber Eandepolizeibehörde erlassene Verbot überdies durch da 8 für amtliche Bekannt machungen ber Behörde bestimmte Blatt des Ortes ober des Vezirfes besannt zu machen.

Das Verbot ist für das ganze Bunkesgebiet wirffam und umfast ale Verzweigungen des Vereins, sowie jeden vorgeblic neuen Verein, welc-r sachlich als ber alte sic darstellt. s 4.

Die mit der Kontrole betraute Behörde ist beflißt:

1. allen Sitzumngen und Versammlungen des Vereint beizuwohnen;

2. Generalversammungen cinuberufen umd zu leiten;

3. bie Bücher, Schriften und Kassenbestände einzusehen, sowie Ausfunst über bie Verhältnisse des Vereins zu erfordern;

4. bie Ausführung von Beschlüssen, welche zur Förderung ber im § 1 Abs. 2 bezeichneten Bestrebungen geeignet sind, zu unteisagen;

5. mit ber W. hrnehmung ber Obliegenheiten des Borftanbc^ ober anderer leitender Organe des Vereins geeignete Personen zu betrauen;

G. bie Kassen in Vermahrung und Verwaltung 311 nehmen. §• 7.

Auf Grund bes Verbot? sinb bie VereinBfassc, sowie nllt für Zwece bc 8 Vereins bestimmte Gegenstände durc bie Behörde in Beschlag 311 nehuren. §. 1 20s. 2 zunäcs nicht zu verbicten, sondern unter eine auszerordentliche staat, liche Kontrole zu peilen.

Sind melyrere selbständige Vereine der votgedachtrn Art zu einem Ber bande vereinigt, so fmn, wen in eimm dersetben die im § 1 Abs. 2 belieb’ neten Vestrebungen zu Tage treten, die Auescheidung dieses Vereins aus beut Verbande und die kontrole über denselben angeordnet weiden.

In gleicher Weise ist/wenn die bezeichneien Bestrebungen in einem Bweig» vereine zu Lage treten, die Kontrole auf tiefen zu beschtänfen.

Wir erinnern uns heute eines der leider zahlreichen Daten unserer Geschichte, die weder freudige Gefühle wecken noch zu nationalem Stolz berechtigen.

Die hundertste Wiederkehr des Tages, an dem das Gesetz „gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie" eingebracht wurde, veranlaßt uns zum Nachdenken. Sie kann auch dazu beitragen, daß wir aus Vergangenem lernen — und dazu sollte die Beschäftigung mit der Geschichte ja eigentlich da sein.

Erinnern wir uns zunächst noch etwas genauer: Am 11. Juni 1878 , also heute genau vor hundert Jahren, ist es soweit: der Reichskanzler schreitet zur Tat. Nach zwei Attentaten auf den Kaiser scheint ihm der Boden endlich bereitet. In der — zutreffenden — Erwartung, daß ihm Neuwahlen eine gefügige Mehrheit bescheren und ihm freie Hand geben würden, löst er den Reichstag auf. Er will eine gründliche und nachhaltige Kurskorrektur der inneren Politik.

Wir wissen: Otto von Bismarck war die Einigung nach außen gelungen. Während seiner Kanzlerschaft blieb ihm bewußt, was die späte Reichsgründung im Herzen Europas bedeutete. Seine auswärtige Politik war durch Realismus und Augenmaß gekennzeichnet. Die Einigung nach innen hat Bismarck nicht vollbracht.

Im Gegenteil, er hat wesentlich dazu beigetragen, daß sie auf lange Zeit verschüttet wurde. Denn er handelte nach dem in seinen „Erinnerungen" niedergelegten Grundsatz, für die Sicherheit des Staates sei das Übergewicht derer erforderlich, die „den Besitz" vertreten. Sieben Jahre nach der im Glanz militärischer Siege vollzogenen Reichsgründung schien ihm dieses Übergewicht gefährdet. Das Gespenst von Liberalismus und Sozialdemokratie sollte nicht länger das kaiserliche Deutschland bedrohen. „Wähler in Stadt und Land! Gebt durch Euer Votum am morgigen Tag zu erkennen, daß die Nation in Treue um den Kaiser geschart bleiben will." So ließ sich vor der Wahl die „Norddeutsche Allgemeine" vernehmen, des Kanzlers Sprachrohr.

Die „Kreuz-Zeitung" wurde, wie so oft, noch etwas deutlicher. Sie spricht aus, worauf es dem Kanzler, Außenminister und preußischen Ministerpräsidenten ankam: „Jetzt gilt es, das monarchische Prinzip und die obrigkeitliche Autorität gegenüber den Herrschaftsgelüsten der Massen wie dor Parlamente zu schützen . .. Der Sozialismus ist die konsequente Fortbildung des Liberalismus ... Wer also den Sozialismus bekämpfen will, muß bei dem Liberalismus den Anfang machen." Tatsächlich hatte Bismarck im Wahlkampf die Nationalliberalen mit noch wüsteren Attacken überzogen als die junge Sozialdemokratie. Dies kam nicht von ungefähr. Denn die Nationalliberale Partei, auf die Bismarck für eine Mehrheitsbildung im Reichstag angewiesen war, hatte sich zwar 1866 — nach dem Sieg über Österreich — von der Fortschrittspartei abgespalten und mit dem „kleindeutschen" Einigungskurs arrangiert, die Zielvorstellungen der Liberalen — des „linken Flügels" in der Fortschrittspartei und des „rechten Flügels" in der Nationalliberalen Partei, waren jedoch insofern die gleichen geblieben, als sie eine Parlamentarisierung des Reiches erstrebten; Kanzler und Regierung sollten dem Reichstag verantwortlich sein.

Um nachvollziehen zu können, welche Sprengkraft in den liberalen Forderungen lag, muß man sich vor Augen halten: Das Deutsche. Reich war zwar kein Willkürstaat, aber was sah die Verfassung vor? Der Reichskanzler war einzig und allein dem Kaiser verantwortlich; er beherrschte die Reichsbehörden, an deren Spitze weisungsgebundene Staatssekretäre standen; und er beherrschte zugleich den Bundesrat, ohne dessen Zustimmung kein Gesetz in Kraft trat und in dem Preußen Vetorecht besaß. Kurzum: das Reich war ein monarchischer Obrigkeitsstaat, in dem die preußische Militäraristokratie das Sagen hatte. Wer an eine seiner Säulen rührte, der drohte das ganze Gebäude zum Einsturz zu bringen. 1878 nun wollte Bismarck die Gefahr endgültig bannen. Er wollte klare Verhältnisse.

Die Rechnung geht auf: Angesichts ihrer brökkelnden Mehrheit — sie verlieren mehr als ein Fünftel ihrer Sitze — und verängstigt durch eine schleichende Wirtschaftskrise, zeigen sich die Nationalliberalen willfährig. Sie schwören den alten Idealen ab, verzichten auf ihre ureigene Forderung nach Parlamentarisierung des Reiches und stimmen — am 19. Oktober 1978 — dem Sondergesetz gegen die Sozialdemokratie zu.

Mit der Bewilligung der Schutzzölle und dem Bekenntnis zur Kolonialpolitik vollendete sich ein Jahr später dann die sogenannte „innere Reichsgründung". Sie wurde zur Tragödie des deutschen Liberalismus.

Hier liegen auch die Wurzeln dafür — jedenfalls unter anderem —, daß Weimar scheiterte; das Bürgertum war überwiegend nicht auf konstruktive Mitträgerschaft der demokratischen Republik vorbereitet. Hieraus erklärt sich weiter, weshalb die deutsche Sozialdemokratie so lange im Abseits blieb und es auch als Massenpartei noch schwer hatte, ihre Isolierung zu überwinden. Gewiß, es gab die Weimarer Koalition. Im geschichtlichen Zusammenhang bedeutete sie eben kaum mehr als eine Episode.

Bei uns in der Bundesrepublik gibt es nun seit bald einem Jahrzehnt (im größten Bundesland schon im zwölften Jahr) eine Koalition von Sozialdemokraten und Freien Demokraten — das sozialliberale Regierungsbündnis, wenn ich mich an den Sprachgebrauch von 1969 halten darf. Die Erfahrung wird zeigen, wie weit es trägt und welche Spuren es hinterlassen wird. Seine Leistungen waren besser, als es sich dessen Träger zuweilen eingestanden haben (man könnte salopp hinzufügen: die Leistung der Truppe war durchweg besser als deren Stimmung.)

Jeder Rückblick, der noch etwas früher ansetzt als vor hundert Jahren, läßt uns immer wieder erkennen, wie schwer es das Deutschland der Aufklärung und des Humanismus gehabt hat. Und wie schwer es gewesen ist, freiheitliche Prinzipien in unserem staatlichen und gesellschaftlichen Leben zu verankern. Ich verkenne dabei nicht die demokratischen Reserven, die sich unter dem Eindruck der NS-Herrschaft und dann im Zusammenhang mit der europäischen Entwicklung auch im christlich-demokratischen und konservativen Lager ansammelten. Keiner darf so tun, als könnte er der Rechten pauschal den Stempel des Reaktionären aufdrücken. Aber ich meine, daß die Zukunft der deutschen Demokratie weiterhin in hohem Maße dadurch bestimmt sein wird, ob und wie die Kräfte des demokratischen Sozialismus mit denen eines modernen sozialen Liberalismus gebündelt werden können. Die Rückbesinnung auf die Konstellation und die Ereignisse des Jahres 1978 sollte uns jene historische Dimension der sozialliberalen Zusammenarbeit erkennen lassen, die über den Mühen und Querelen des Tages bisweilen verlorenzugehen droht.

Hier, durch die Paulskirche zu Frankfurt, war dreißig Jahre vor der Wende von 1878, jener revolutionäre Hauch gezogen, der einen kurzen Augenblick hatte hoffen lassen, die Einheit könne in Freiheit verwirklicht werden und der deutsche Nationalstaat werde auf der Souveränität des Volkes gegründet sein. Der Sieg der Reaktion nach 1848 hatte schreckliche Folgen. Das deutsche Bürgertum in seinen entscheidenden Gruppierungen kapitulierte vor Armee und Aristokratie und ließ sich den Verzicht auf politischen Einfluß durch Teilhabe an wirtschaftlicher Macht vergolden. Der konsequentere Flügel der Liberalen, der sich nicht blenden ließ und natürlich auch gegen Bismarcks Ausnahmegesetz stimmte, war viel zu schwach, als daß er den Obrigkeitsstaat ernsthaft hätte herausfordern können.

Deshalb war es unter den deutschen Bedingungen — mehr als anderswo — die Arbeiterbewegung, die an die guten liberalen Traditionen anknüpfte; sie war es, die das Erbe der Paulskirche nicht verkommen ließ. Wen immer man zu den Ahnherren der deutschen Sozialdemokratie zählt — Ferdinand Lassalle, Bebel und Liebknecht, Marx und Engels —, sie alle wußten, daß der Kampf der Arbeiter, der breiten Schichten um soziale Emanzipation nur im Verbund mit der Demokratie Erfolg haben und seine doppelte Erfüllung finden konnte.

Von Anbeginn lastete auf der Sozialdemokratie die doppelte Bürde, die sie nicht immer leicht getragen hat: sie mußte den Kampf um die sozialen Rechte mit dem um die demokratischen Freiheiten verbinden. Dieser Kampf ist noch immer nicht dauerhaft gewonnen. Die Sicherung sozialer Errungenschaften verbindet sich auch in unseren Tagen mit dem Einstehen für mitbürgerliche Liberalität und freiheitliche Rechtsstaatlichkeit. Für das Ringen um die Verwirklichung der sozialen Demokratie wird das auch in Zukunft gelten.

II.

354 § 12. Zuständig für das Berbot ist die Candespolizeibehrde, bei periodischen im Enlande ersteinenden Drucschriften die Landespolizeibehörde des Bezirks,, in welchem die rucscbrift erschcint. Das Verbot her ferneren Verbreitung einer im Aulande erfcheinenden periodischen Drucichrift steht dem Reichfansler zu. Das Verbot ist in der im §. 6 Abs. 2 vorgeschriebenen Weise besannt zu machen und ist für das ganze Bundegebiet wirkjamt. §• 14. uf Grund des Verbots find bie von demselben betroffenen Orucschriften da, wo sie sic zumn Bwecfe ber Berbreitung voifinden, in Beschlag zu nehmen. Die Beschlaanabme sann sic auf bie zur Wervielfältiguna dienrnden Platten umd Formen erstreben; bei Ducsbiften im engeren Sinne bat auf 2ntrag des Betheiligten statt Peschlagnabme des S. ies das Ablenen des lesicren zu gescheben. Die in Beschlag genommenen Drucschristen, Platten und gönnen sind, nachdem das Verbot endgiltig geworden ist, ubrauchbar zu machen. Die Beschwende findet nur an bie Aufsichtsbehörden statt. § 15. Die Polizcibebörde ist befugt, Drucschristen ber im 11 bezeichneten Art, sowie bie m ihrer Wevielfaltigung dienenden Platten und gönnen ichon vor Erlasz eines Verbots vorläufig in Beschlag zu nehmen. Die in Beschlg ge nommmene Drucschrift ist innerhalb vicrund, wanziq Stunden ber Landespolizeibebörde einzureichen. Vettere bat entweder bie Aiederaufbebung ber Besdhlage nähme sofort anzuordnen Ober innerhalb einer Woche das Verbot zu erlassen. Erfolgt das Verbot nicht innerhalb dicfer Frist, so erlischt bie Befchlagnahme und müssen bie einzelnen Stücke, atten und gönnen freigegeben werben. §. 13. Das von der Landesrolizcibehörde erlassene Verbot einer Drucschrift ist dem Verleger ober dem Herauageber, das Verbot einer nicht veriodijc erscheinenden Drucschrift aud dem auf denselben benannten Verfasser, sofern diese Personen im Inlande vorhanden sind, durc schristliche, mit GSründen versehene Verfugung besannt zu machen. Gegen bie Verfüqung siebt dem Verleger vderdem Herausgeber, sowie dem Verfasser bie Bescbwerde (§. 26) zu. Die Beschwende ist innerhalb einer Woche nac ber Zustellung ber Verfügung bei ber Behörde anzubrmngen, welche dieselbe erlassen hat. Die Veschwerde hat feine aufschiebende Wirfung. §. IG. Das Ginsammeln von Reiträgen zut Förderuna von sozialdemokratischen, sozialistisdhen ober kommnistischen auf den Lmstur 3 ber bestehenden Staate

Ich habe, wie man wohl gemerkt haben wird, hier nicht das Wort genommen, um den Blick nur zurückschweifen zu lassen. Ich bin auch nicht hierher gekommen, um nur über und für meine Partei zu sprechen — obwohl ich über die bürokratischen Spatzenhirne nur lachen kann, die immer gern wissen möchten, „in welcher Eigenschaft“ man etwas sagt — als ob ich auf dem Weg zu einem Rednerpult (oder zu ausländischen Gesprächspartnern) vergessen könnte oder vergessen machen möchte, daß ich Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands bin.

Dies bedeutet jetzt nicht, daß ich unsere Geschichte nur durch eine Parteibrille zu betrachten geneigt sei: Ich habe vor Jahr und Tag gesagt, und dabei bleibt es: Bebel und Bismarck gehören gleichermaßen zu unserem geschichtlichen Erbe — wie Ebert und Stresemann, Schumacher und Adenauer.

Nicht nur Sozialdemokraten wissen, daß wir uns mit einem unglücklichen Abschnitt deutscher Geschichte zu befassen haben, in dem von der Entmannung des Liberalismus und von der Unterdrückung der Sozialdemokratie die Rede ist.

Es handelt sich ja nicht allein darum, daß der Arbeiterbewegung ihr Platz am Tisch der Gesellschaft so lange verwehrt wurde. Es geht ja zugleich darum, daß sich der demokratische Durchbruch so sehr verzögerte. Und daß wir, als man Liberalismus und Sozialdemokratie knechtete, in Wirklichkeit von wichtigen europäischen Entwicklungen isoliert wurden — mit all den bedrückenden Konsequenzen, die wir erfahren haben und für die nachwachsenden Generationen hoffentlich aus dem Weg räumen konnten.

Aber es ist dies doch zugleich ein Zeitabschnitt, der nicht nur Niederdrückendes vermittelt, sondern von dem auch Inspirierendes ausgeht. Der Freiheitsfaden in der deutschen Geschichte — er konnte immer wieder aufgegriffen, an ihn konnte immer wieder angeknüpft werden; vom „roten Faden" will ich nicht sprechen, um niemanden zu provozieren und weil dies in der Tat mißverstanden werden könnte.

Keine Frage: In einem auch noch so unvollkommenen demokratischen System wären Arbeiterschaft und Sozialdemokratie nach und nach, jedenfalls früher, in die Gesellschaft integriert worden. Der preußisch-deutsche Klassenstaat aber wollte, so wie er nun einmal geworden war, der aufstrebenden Sozialdemokratie keinen Raum zur Entfaltung lassen. Zu einem Brückenschlag konnte es hier nicht kommen.

Hören wir August Bebel. In seiner Autobiographie schildert er seine Ausweisung aus Leipzig im Jahre 1880: „Daß man uns wie Vagabunden und Verbrecher ausgewiesen und ohne eine gerichtliche Prozedur von Weib und Kind gerissen hatte, empfand ich als eine tödliche Beleidigung, für die ich Vergeltung geübt, hätte ich die Macht gehabt. Kein Prozeß, keine Verurteilung hat bei mir ähnliche Gefühle des Hasses, der Er-und Verbitterung hervorgerufen..." Bebels Worte mögen uns nachfühlen lassen, welche Verzweiflung über unzählige Familien gebracht wurde. Sie mögen auch eine Ahnung von jener tiefen Kluft vermitteln, die sich zwischen dem kaiserlichen Deutschland und der Sozialdemokratie auftat. Jene Kluft beschreiben, heißt zugleich: die Frage stellen nach den Handlungsbedingungen der jungen SPD, den objektiven und den subjektiven; heißt: nach deren Strategie und Taktik zu fragen.

Irgendwelchen junkerlichen Zähnen, so berichtet Franz Mehring in seiner „Geschichte der deutschen Sozialdemokratie", sei damals das geflügelte Wort entflohen, man müsse den roten Lappen so lange schwingen, bis er in den Augen der geängstigten Philister wie der Schein brennender Städte aussehe. Bismarck verbarg denn auch nicht seinen Plan, die Sozialdemokratie bis aufs Blut zu reizen, damit sie losschlage und um so gründlicher ausgeschaltet werden könne.

Nun, diese Rechnung ging, wie wir wissen, nicht auf. Die Sozialdemokratische Partei wußte, daß es keine revoltierende Alternative gab; sie hat sich nicht aufs Glatteis führen lassen. Sie blieb während des zwölfjährigen Untergrunddaseins jener Losung treu, die der „VORWÄRTS“ noch vor Inkrafttreten des Gesetzes ausgegeben hatte: „Parteigenossen! Laßt Euch nicht provozieren! Man will schießen! Die Reaktion braucht Krawalle, ihr Spiel zu gewinnen!"

Die Partei fügte sich ins Unabänderliche — in der sicheren Erwartung, daß die Zeit für sie arbeiten und das Gesetz früher oder später fallen würde. In der Zwischenzeit galt es, den inneren Zusammenhalt zu wahren, ihn zu festigen und alles zu tun, um im richtigen Augenblick wieder „da“ zu sein.

Die Entwicklung schien ihr Recht zu geben. Allen Drangsalierungen zum Trotz wurden die Partei und die mit ihr verbundenen gewerkschaftlichen Organisationen stärker und selbstbewußter. Und die Herrschenden hatten — im Gegensatz zu unseren Peinigern im 20. Jahrhundert — noch jene Skrupel, die sie vor letzten Mitteln zurückschrecken ließen.

Aber für die deutschen, Sozialdemokraten sollte es dabei bleiben, daß sie immer viel zu verlieren hatten.

Bismarck hatte — dies ist wichtig festzustellen — das allgemeine Wahlrecht zum Reichs-

tag nicht angetastet. Und so konnten sich die Sozialdemokraten unter dem Ausnahmegesetz eh den Wahlen beteiligen — wenn auch ohne 'egale Organisation. Und sie konnten die Tribüne des Reichstags für die Agitation nutzen.

Das war ein unschätzbares Mittel. Dies macht verständlich und einsichtig, daß die Reichstagsfraktion, die damals zunächst aus ganzen neun Abgeordneten bestand und nun die Aufgaben der Parteiführung wahrnahm, in besonderem Maße auf die Wahrung der „Legalität" achtete. „An unserer Gesetzlichkeit müssen unsere Feinde zugrundegehen" — so hieß es beispielsweise im ersten Flugblatt, das illegal verbreitet wurde.

Die Partei hat dies nicht daran gehindert, auf ihrem ersten Auslands-Parteitag — im Oktober 1880 auf Schloß Wyden in der Schweiz — festzustellen, der Kampf sei „mit allen Mitteln" zu führen; der Zusatz „gesetzlich“ wurde gestrichen. Alle Vernunft sprach jedoch dafür, sich nicht vollends in den Untergrund drängen zu lassen, sich von anarchistischen Verirrungen klar abzugrenzen, auf die parlamentarischen und andere gesetzliche Möglichkeiten nicht zu verzichten.

Einige haben hier die Quelle eines Legalitätsdenkens gesucht, das die deutsche Sozialdemokratie in ihrer weiteren Entwicklung mehr als einmal zur Tatenlosigkeit verurteilt habe. Das ist so nicht richtig. Wichtig ist allerdings der Zusatz, daß es eine abstrakte, über den Wolken schwebende Legalität nicht gibt.

Wer das nicht erkennt — und leider gibt es dafür ganz aktuelle Beispiele —, der kommt zum Beispiel allen Ernstes zu dem erschrek-kenden Ergebnis, heute könne nicht Unrecht sein, was während der NS-Barbarei als rechtens galt.

Die SPD muß sich also fragen lassen, ob sie 1918 — beim Übergang zur Republik — konsequent genug einer neuen Gesetzlichkeit die Bahn gebrochen hat und ob sie den Bruch mit den alten Machtstrukturen und den antidemokratischen Kräften nicht viel energischer hätte vollziehen müssen.

Das Jahr 1920 bietet immerhin ein Beispiel entschlossenen Handelns: Da waren es die deutschen Gewerkschaften und die Sozialdemokratische Partei, die im Namen der demokratischen Legalität zum Generalstreik aufriefen und dafür sorgten, daß die junge Republik nicht schon am Kapp-Putsch scheiterte.

Der Juli 1932 bietet wieder ein anderes Beispiel. Als Reichskanzler Papen die Preußen-Regierung unter Braun und Severing absetzte, rechtfertigte der Parteivorstand das Stillhalten damit, die Arbeiterschaft habe nur zu „Widersetzlichkeiten" herausgefordert werden sollen. Einige der damals Agierenden haben hinterher auseinandergesetzt, daß die Opfer eines — mutmaßlich zum Scheitern verurteilten — Widerstandes moralisch nicht zu rechtfertigen gewesen wären. Ich habe das damals, als junger Sozialist, nicht überzeugend gefunden, und ich finde es auch aus heutiger Sicht nicht überzeugend. Schlimmer noch war es mit den legalistischen Illusionen, die noch nach der Amtserschleichung Hitlers herumgeisterten und unter anderem zu den makabren Begleiterscheinungen des 1. Mai 1933 führten.

Worauf ich hinaus will? Was einmal richtig war, muß nicht immer richtig sein. Entscheidend ist, daß eine freiheitliche Orientierung strategisch begründet ist und taktisch wirksam durchgesetzt wird.

Bebel hatte — und darauf kam es an — die Taktik genau durchdacht: er wußte, was man wie erreichen konnte. Als er einmal auf einer Wahlversammlung in Bremen sprach, sangen ihm junge Arbeiter der Weserwerft ein Lied, das sich um einen schönen Satz von ihm rankte: „Im Kampf für Freiheit suche stets dein Recht" — dieser Satz steht denn auch nicht ohne Grund als Motto über meiner Rede.

Franz Mehring verglich die Taktik der Partei unter dem Ausnahmegesetz mit dem Verfahren eines Festungskommandanten, der beim Heranrücken einer überwältigenden Feindes-macht die Vorstädte abbrennt, um sich desto sicherer hinter seinen Mauern und Wällen zu verschanzen.

Nach außen den schmalen Rahmen zu achten, der der Partei geblieben war, hinderte sie nicht — vorrangweise in Gesang-und Geselligkeitsvereinen — eine umfassende und weit gefächerte Tarnorganisation aufzubauen und das Informationsnetz so dicht wie möglich zu knüpfen. Der gute Ruf, den die sozialdemokratische Parteiorganisation über die Jahrzehnte hinweg innehatte — leider nicht immer noch voll gerechtfertigt —, hat hier seine Wurzeln. Von Zürich aus wurde das neue Zentralorgan, der „Sozialdemokrat", nach Deutschland hineingeschmuggelt, und die selbstlose Mithilfe schweizer Gesinnungsfreunde steht auf einem Ruhmesblatt der Solidarität.

Mit dem Zentralorgan hatte es nun freilich seine eigene Bewandtnis — nicht nur wegen der abenteuerlichen Wege, die das Blatt machte, um an den Leser zu kommen. Unter der Redaktion von Eduard Bernstein — der Anfang 1881 Georg von Vollmar nachfolgte — wurde der „Sozialdemokrat" nämlich zum Träger und Vermittler der marxistischen Theorie — richtiger muß man wohl sagen: was dafür gehalten wurde. Offensichtlich bedurfte es erst der Ausnahmesituation, damit Marx mit seinen Ideen in der SPD wirklich Fuß fassen konnte. Sicher, auch die Wirtschaftskrisen schienen Beweis für die Richtigkeit der im Londoner Exil ausgearbeiteten Analysen zu liefern. Aber war es nicht vor allem jener Obrigkeitsstaat, der seine Machtmittel ein-setzte, um dem Arbeiter alle Rechte abzusprechen, der der revolutionären Theorie den Boden bereitete?

Wie auch immer: Hin und wieder beschwerte sich zwar die Reichstagsfraktion über die radikalen Töne der Zeitung und sah sich in ihrem legalistischen Kurs gefährdet — zugleich war es der „Marxismus", der der geknebelten Partei jenes Prinzip Hoffnung ein-hauchte und jene Zukunftserwartungen weckte, ohne die die Drangsalierungen und Verfolgungen schwerlich hätten bestanden werden können. Auch diesen Aspekt gilt es vor Augen zu haben, wenn wir uns mit der eigenen Geschichte auseinandersetzen.

III.

— 355 — ober GeseTschaftsordnung qericteten Bestrebungen, sowie die öffentliche Auf forderun; zur Eeistung solcher Beiträge sind polizeilic zu verbieten. Das Ver• bot ist örjentlic besamn zu machen. Dit Beschwerde findet nur an die Aufsichtsbehörden statt. s 17. Wer an einem verbotenen Verene ($. 6) als Mitglicd sic betbeiligt, ober eine Tbätigfcit im Hnteresse eines solcben Wereins auübt, wird mit Geldstrafe bi« zu fünfhundert Mark ober mit Gefängnisz bis zu brei Monaten bestraft. Fine gleiche Strafe trifft denjenigen, welcher an ener verbotenen Versammlung (§. 9) sic betbeiligt, ober welcher nac polizeilicher Auflösung einer Veramm lung (§. 9) sic nicht sofort entfernt. egen dicjenigen, welche sic an dem Vereine ober an ber Versammlung als Vorsteher, eiter, Drdner, Agenten, Redner ober Cassirer betbeiligen ober welche z ber Versammluna auffordern, ist auf GSefängnis von Ginem Monat bis zu hinein Jahre zu erkennen. §• 18. Wer für einen verbotenen Verein ober für eine verbotene Versammung Räumlichfeiten hergiebt. Wirb mit Gefängnis von hinein Monat bis zu Ginem Jahre bestraft. §• 19. Wer eine verbotene Drucschrift (S§. 11, 12), ober wer eine von ber vor« läufigen Beschlagnabme-betroffene Drudschrift (§. 15) verbreitet, fortsetzt ober wicber abdrudt, wirb mit Geldstrafe bis zu eintausend Mark ober mit Gefängnis bis zu secs Monaten bestraft. §. 20. Wer einem nac §. 16 erlassenen Verbote zuwiderhandelt, wirb mit Geld strafe bis zu finfhundeit Mar ober mit Gefängnis bis zu brei Monaten bc« straft Aluszerdem ist big zufolge ber verbotenen Sumlung ober Aufforderung Gmpfanßene ober ber Werth desselben ber Armentasse des Örts ber Sammlung für verfallen zu ertlären. §. 21. Wer ohne Kenntnis, jedoc nach erfolgter Vefanntmachung bes Verbots durc ben Reichsanzeiger (§ 9. 6, 12) eine bet in den 17, 18, 19 verbotenen Handlungen begeht, ist mit Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark ober mit Haft zu bestrafen. Gleiche Strafe trifft ben, welcher nac erfolgter Veanntmachung des % er» bots einem nac §. 16 erlassenen Verbote zuwiderhandelt. Die Schluszbestimmumng des §. 20 findet Annendung.

Am 25. Januar 1890 ist es soweit. Eine verschärfte Fassung des Gesetzes — der konservativen Fraktion geht sie noch nicht weit genug — wird von der Mehrheit des Reichstags abgelehnt, überall im Land versammeln sich die Mitglieder der SPD zu spontanen Freuden-feiern. Sie warten gar nicht mehr ab, bis das alte Gesetz im Oktober ausgelaufen ist.

Dem Fall des Gesetzes folgt ein grandioser Wahlerfolg und diesem — wenn auch zusätzlich durch andere Faktoren bedingt — die Entlassung Bismarcks durch Wilhelm II. Der ist seit zwei Jahren am Rüder und gibt sich erst „sozial-reformerisch", um dann mit den reaktionären Wölfen zu heulen.

Ich habe deutlich in Erinnerung, wie mir unser Wilhelm Deffner aus Augsburg vor ein paar Jahren, an seinem 105. Geburtstag, von dem Wahlabend nach dem Fall des Sozialisten-gesetzes erzählte. Er kam als junger Mann, der von da ab unser Mitglied war, in eine der Gastwirtschaften, in denen sich die Genossen trafen: „Harte Männer schlossen sich in die Arme und alle weinten."

Die Partei zog noch während des Wahlkampfes Bilanz — wohl wissend, daß eine genaue Statistik aller Verbote, Haussuchungen, Verhaftungen, Ausweisungen gar nicht zu fertigen war. Das, wie Mehring formulierte, „künstlich gezüchtete Denunziationsund Lockspit-zelwesen" konnte schon gar nicht präzis beschrieben werden.

Was man zusammentrug, gibt dennoch Aufschluß genug: 1 300 Druckschriften verboten; 322 Organisationen aufgelöst; 900 Ausweisungen — darunter von 500 Familienvätern — aus Gebieten, über die der Belagerungszustand verfügt wurde; durch gerichtlich verhängte Freiheitsstrafen — zumeist freilich von kurzer Dauer — waren 1 500 Personen betroffen.

Die Zahlen spiegeln die Wirklichkeit nur annähernd wider. Von der Demütigung und Zerstörung zahlreicher menschlicher Existenzen geben sie nicht mehr als eine Ahnung. Unabhängig von Ziffern bedeutete das Anti-Sozialistengesetz: Nicht nur Auflösung der Parteiorganisation, nicht nur Verbot ihrer Zeitungen, sondern potentieller Ausnahmezustand für alle, die sich zur Sozialdemokratie bekannten. Jederzeit konnte man aus seinem Heimatort verbannt werden. Dies hatte katastrophale Folgen für viele der Familien, deren Versorger um Lohn und Brot gebracht wurden. Nicht gering war die Zahl derer, die außer Landes gehen mußten. Die Auswanderung nach Amerika bedeutete — nicht erst damals — für Deutschlands demokratische Zukunft einen Aderlaß, der selten voll gewürdigt worden ist.

Dies gesagt, muß allerdings gleich hinzugefügt werden: Eine Gleichstellung mit dem systematisch-teuflischen, vernichtenden Terror während der anderen zwölf Jahre — denen von 1933 bis 1945 — wäre abwegig; es handelt sich nicht um einen graduellen, sondern um einen prinzipiellen Unterschied.

Ein anderes ist wichtig und bleibt hinzuzufügen: Unter den verbotenen Arbeiterorganisationen waren die mit der Partei verbundenen Gewerkschaften. Auch sie fanden sich im Untergrund oder in der Halblegalität wieder — getarnt häufig als Krankenvereine. Zahlreiche Streiks, zu denen es während des Ausnahmegesetzes kam, und die Erfahrungen, die dabei gemacht wurden, haben wesentlich dazu beigetragen, das Bewußtsein der Arbeiter zu schärfen und den gewerkschaftlichen Zusammenschluß entscheidend zu fördern.

Das Verbot der gewerkschaftlichen Organisa-tionen konnte an vielen Orten und in manchen Berufszweigen mit Erfolg überspielt werden, so daß neue legale Vereinigungen entfanden. Als das Gesetz fiel, galten immerhin schon 300 000 Arbeiter als gewerkschaftlich organisiert. Und es war nun nicht einmal mehr eine Frage der Zeit, bis sich — im November 1890 — unter Vorsitz von Carl Legien die Generalkommission der Gewerkschaften bildete. Dies war der erste Zusammenschluß der, wie man dann später sagte, freien Gewerkschaften, Trotz aller bitteren Erfahrungen herrschte das Gefühl vor, man habe nicht umsonst gelitten. Daß die Zahl der Anhänger ständig wuchs, war mehr als eine Ermutigung. Unmittelbar vor Inkrafttreten des Gesetzes hatte es die SPD auf 7, 6 Prozent der Stimmen gebracht; seitdem war der Stimmenanteil fast stetig angewachsen, und das, obwohl jede offene Agitation verboten war.

Die Wahlen vom 20. Februar 1890 nun übertrafen selbst die kühnsten Erwartungen; anderthalb Millionen, fast 20 Prozent der abgegegebenen Stimmen, fielen auf die sozialdemokratischen Kandidaten. Das bedeutete: 35 Reichstagssitze.

Stehvermögen und Einfallsreichtum, Mut und Selbstlosigkeit hatten sich ausgezahlt. Dem Bündnis von Thron und Altar, von Rittergut und Hochofen, Offiziersadel und beschränktem Bildungsbürgertum hatte man erfolgreich getrotzt.

Die Sozialdemokratische Partei hatte standgehalten; sie hatte sich nicht einschüchtern lassen und nun den politischen Lohn erhalten. Sie hatte nichts zurückgenommen von dem, was sie erkannt hatte: „Im Kampf für Freiheit suche stets dein Recht."

Dieser Tage las ich eine bemerkenswerte Rede nach, die Max Güde — der frühere CDU-Kollege aus dem Bundestag und spätere General-bundesanwalt — Anfang des Jahres gehalten hat. Zum Sozialistengesetz sagte er — und ich widerspreche dem nicht —, daß es vom damaligen Staat „nur halbherzig durchgefochten" wurde. Dann fährt er fort, die Abwehr des Sozialismus „in teilweise schikanösen Formen" habe sich bis zur Revolution von 1918 hingezogen. Und ein dauerndes Erbe des Gesetzes, von dem hier heute die Rede ist, sei „die von da an fast unheilbar scheinende Linksfürchtigkeit des deutschen Staates"; diese habe die Weimarer Republik überschattet, und mit deren Erbschaft hätten wir uns jetzt noch, zum Beispiel in der Justiz, auseinanderzusetzen. Im „Vorteil der Linksfürchtigkeit", so Güde weiter, stecke „das Contra gegen rund drei Jahrhunderte europäischer Geschichte".

Ob man das nun so oder etwas anders formuliert: Wir sind immer noch und immer wieder auch durch die Gefahr einer Spaltung der Nation bedroht — zusätzlich zu der, die uns das Dritte Reich hinterließ und die die Siegermächte festgeschrieben haben. Und weiter: Man darf sich nicht damit zufriedengeben, daß wir über Weimar weit hinausgelangt sind und der demokratischen Rechtsstaatlichkeit in der Bundesrepublik eine solide Chance gegeben haben.

Gewiß: die Sozialdemokraten sind nicht mehr isoliert. Aber ich füge hinzu, auf die Gefahr, ein erneutes Stirnrunzeln derer hervorzurufen, die Folgerungen allenfalls am Schluß einer Rede für zulässig halten —, daß es ohne eine starke Sozialdemokratie heute keine annähernd solide deutsche Demokratie geben würde. Das wird morgen nicht anders sein.

Die deutschen Sozialdemokraten meinen nicht, die Geschichte und das gegenwärtige Erscheinungsbild ihrer Partei seien frei von Irrtümern und Fehlern. Wir bilden uns nicht ein, über den Stein der Weisen zu verfügen. Aber wir sind stolz auf unsere Geschichte und auf den Dienst an unserem Volk:

Dies ist der Weg, der von der kleinen belächelten Minderheit zur großen fortschrittlichen Volkspartei führte.

Vom rechtlosen Proletarier zum gleichberechtigten Staatsbürger.

Vom begrenzten Männerwahlrecht Zum Wahlrecht für alle.

Vom Obrigkeitsstaat zum Bürgerrecht auf Mitwirkung, auch auf Mitbestimmung.

Den Weg zur Bürgerdemokratie freigeschaufelt und mitgestaltet zu haben, das rechtfertigt, gewiß nicht im Zorn, sondern mit gesundem Selbstbewußtsein zurückzublicken.

IV.

356 §. 22. (Segen Personen, we’cbe sic dic Agitation für die im §. 1 As. 2 beseicneten Bejtrebungen zum (»ejcbäfte machen, fann im Falle eiver Berurtbeilun wegen Ziriderbandlmgen qegen die §§. 17 bi? 2d neben der Freibeitstrafe auf die Rulasligfeit ter Einichränfung ibres Aufenthaltes ersannt werten. Aluf(rund tiefe? Erfenntn sses fan dem Verurtbeilten der Aufentbalt in bestmmten Bezirfen ober Dtschasten durc die Lancespoliseibehörde versaßt werten, jedec in feinem Aobnnte nur bann, wenn er denselben nicht bereits feit secs Monaten inne bat. tusländer sönnen von der Landespolizeibehörde au? dem Bundesgebicte ausgewiesen werben. Die Beschwerde findet nur an bie Aufsicbtsbebörden stitt. Ruwiderbandlumgen wrden mit Gefängnis von Cinem Monat bi 3 zu (Sinern Jahre bestraft. — 356 — §. 24. ersonen, welche es sieb zum Geschäft machen, bie im §. 1 ADs. 2 be zcicm ten Vestrebungen zu fördern, ober welche auf Grund einer Bejtimmung eicses Gesees rechtefräftg zu einer Strafe verurthheilt worben sind, taun von der Landerpolizeibehörde die Befgnis zur qewerbemäszigen ober nict gewerbs, mäigen öffentlchhen Werbreitung von Drckschriften, sowie die Vefugnis zum H. ndel mit Drucschriften im Umberziehen entzogen werben. Die Beschwverde findet nur an bie Alufsichtsbehörden slatt. s. 25. Wer einem aus Grund des §. 23 crgangenen Urtheil ober einer aus Grund des §. 24 erlassenen Verfügung zuwiderhandelt, wirb mit Geldstrafe bis zu eintausend Marf ober mit Haft ober mit Gefängnis bi 8 zu secs Monaten bestraft. §• 26. Sur Entscheidung ber in den fällen der §§. 8, 13 erhobenen beschwerten wirb eine Kommission gebildet. Der Bundesrath wählt vier Mitglieder aus seiner Mitte und fünf aus den Mitglicdern ber höchsten Gerichte des Reics ober ber einzelnen Bundesjtaaten. Die Aabl dieser fünf Mitlieder erfolgt für bie Zeit ber Dauer dieses Gesees und für bie Dauer ibres Verbleibens in richterlichem Ainte. Der Kaiser ernennt den Vorsitsenden und au? ber Zahl dr Mitglicder ber Kommission dessen Gtellvertieter. §• 23. Unter den im § 22 As. 1 bezcichneten Vorausjetzungen fann qegen Gastwirtbe, Scbanfwirthe, mit Brantvein ober Spiritus Kleinhandel treibende erjonen, Buddrucker, Bucbändler, Veibbibliotbekare ud Inhaber von Vefc« fabi cten neben der Sreihcitstrase auf Unterjagung ihres (Gewerbebetriebes ersannt werben.

„Es ist schlimm, wenn die ganze Misere der Zeit und des Vaterlandes auf einem liegt, ohne daß man die Kräfte hat, sie zu gestalten." Der dies schrieb, hieß Thomas Mann. Der Adressat — sein Bruder Heinrich, der mit seiner „Geschichte der öffentlichen Seele unter Wilhelm II.“, betitelt: „Der Untertan", jener tieferen Wahrheit des wilhelminischen Deutschland nachgespürt hatte, die kein Geschichtsbuch wiederzugeben imstande ist.

Der Satz des Dichters könnte auch als Motto über einem wichtigen Abschnitt der SPD stehen — jener Partei, die sich nach dem Fall des Ausnahmegesetzes anschickte, ihre wiedererlangte Freiheit zu nutzen.

Das Deutschland Wilhelms II. war ein schillerndes Gebilde. Es war geprägt durch die Kluft zwischen wirtschaftlicher Modernität und politischer Rückständigkeit. Die Kluft wurde schließlich so groß, daß das Kaiserreich an seinen inneren Widersprüchen hätte ersticken können, wenn es nicht zum Krieg gekommen wäre; zu jenem Weltkrieg, den es nicht mehr überdauern konnte.

Wirtschaftliche Modernität bedeutet nun allerdings auch einen — wenngleich langsam — ansteigenden Lebensstandard für die breiten arbeitenden Schichten. Mehr noch als der Partei mußte jetzt den noch im Aufbau befindlichen Gewerkschaften daran gelegen sein, nichts unnötig aufs Spiel zu setzen. Etwa, um politische Forderungen mit Hilfe von Massen-streiks durchzusetzen. So hatten es die herrschenden Mächte nicht'schwer, das preußische Dreiklassen-Wahlrecht aufrechtzuerhalten. Auch im Reich wurde die eigentliche Parlamentarisierung auf die lange Bank geschoben. Nach dem Fall des Ausnahmegesetzes nutzte die Sozialdemokratie verstärkt die begrenzten Möglichkeiten im Reichstag. Im Südwesten Deutschlands boten sich bessere Chancen, die freilich ihre historische Verlängerung nicht — noch nicht — gefunden haben. Sozialdemokratische Mandatsträger erschienen mancherorts auch schon in den kommunalen Vertretungen. Das war alles nicht wenig, aber an der Stellung in Staat und Gesellschaft hatte sich nicht viel geändert.

Das Damoklesschwert des Staatsstreichs hing nicht nur 1890 über der SPD, als der abdankende alte Kanzler dem jungen Kaiser „Humanitätsduselei" vorwarf, sondern auch in den Jahren, die folgten. Das aber hätte geheißen: Abschaffung des für die Entfaltung der Volks-kräfte so wichtigen allgemeinen Wahlrechts zum Reichstag.

Die Ächtung blieb; 1895 nannte der Kaiser die Sozialdemokraten „eine Rotte von Menschen, die nicht wert, den Namen Deutscher zu tragen". Das war derselbe Monarch, der 1914 glauben machen wollte, er kenne keine Parteien mehr, sondern nur noch Deutsche. Unmittelbar nach dem Fall des Ausnahmegesetzes gab sich die SPD eine programmatische Grundlage. Dieses Erfurter Programm ist vor dem von Godesberg das berühmteste in der Geschichte der Partei.

Heute spricht man vom Erfurter Programm gelegentlich mit einem spöttischen Unterton. Man wundert sich über das seltsame Auseinanderfallen in einen theoretischen und einen praktischen, einen grundsätzlichen und einen pragmatisch-reformerischen Teil. Gerade dies aber war eines der Ergebnisse jenes unseligen Sondergesetzes. Was das Erfurter Programm widerspiegelt, ist die Zwitterstellung der Sozialdemokratie im kaiserlichen Deutschland — und die Unmöglichkeit, eine schlüssige Antwort zu finden.

„Euch fehlen zwei wesentliche Dinge", so rief auf dem Amsterdamer Kongreß der internationale 1904 der französische Sozialistenführer Jean Jaures den deutschen Delegierten zu: „Euch fehlen revolutionäres Handeln und parlamentarisches Handeln."

Nun, revolutionäres Handeln in einer Gesellschaft zu erwarten, der die Tradition einer bürgerlichen Revolution fehlte, hieß wohl ebenso Unmögliches verlangen wie parlamentarisches Handeln in einem Staat, der die parlamentarischen Rechte auf ein Minimum beschränkte und zu politischen Reformen weder willens noch fähig war.

Hier scheint mir übrigens auch ein Irrtum derer zu liegen, die meinen, alles hätte anders laufen können, wenn die SPD nur rechtzeitig dem Rat Eduard Bernsteins gefolgt wäre. Mit seiner Revision Marxscher Theorien, die er nicht zufällig nach dem Fall des Ausnahme-gesetzes einleitete, hat Bernstein in mancher Hinsicht den Weg zur Reform-und Volkspartei vorgezeichnet, den die Sozialdemokraten gegangen sind. Die Zeit aber war dafür nicht reif. Und mit seiner Absage an das „Endziel" war Bernstein in der Gefahr, der Partei jene Zukunftsvision zu nehmen, die sie die anhaltende Ächtung leichter tragen ließ.

Der Revisionismus-Streit hätte die deutsche Sozialdemokratie kaum so sehr beschäftigt, er hätte jedenfalls die Gefühle nicht so in Wallung gebracht, wenn die Stellung der Partei in der Gesellschaft weniger ambivalent gewesen wäre. Man sollte deshalb vorsichtig sein mit einer Übertragung historisch bedingter Modelle auf unsere Zeit.

Handlungsanweisungen und ihre Begründung müssen aus der jeweiligen gesellschaftlichen Situation geboren sein. Umgekehrt würde es je erst recht keinen Sinn machen, unsere heutigen Maßstäbe an die Partei Bebels anzulegen. Die Sozialdemokratie also blieb weithin in hem Ghetto gefangen, das im Ausnahmegesetz seine zugespitzte Ausformung gefunden hatte.

Sie wurde zum Staat im Staat und entwickelte ihre „Subkultur“. Diejenigen unter uns, die während der Weimarer Republik aufwuchsen, könnten Zeugnis davon ablegen, wie sehr die durchgängigen und verästelten Strukturen den Übergang vom Kaiserreich bis zur braunen Gewaltherrschaft überlebten.

Kein Wunder: da die Arbeiter und ihre Familien vom offiziellen Deutschland ausgeschlossen waren und ihnen gesellschaftlicher Aufstieg durchweg verwehrt war, schufen sie sich ihr Ersatzvaterland. Vom sozialdemokratischen Kindersportverein bis zur sozialdemokratischen Beerdigungskasse. Und August Bebel wurde zu einer Art von Ersatzkaiser. Daß auch dies weitreichende Folgen hatte und sich die Partei noch einigelte, als die Zeiten sich längst gewandelt hatten, habe ich eben anklingen lassen.

Der Widerspruch zwischen Revolutionserwartung und Reformpraxis, zwischen Verweigerung und Anpassung schien nicht auflösbar. Man wartete auf den großen Zusammenbruch, von dem man meinte, daß er unweigerlich kommen müßte. Bis es soweit war, konnte man ja die Möglichkeiten nutzen, die das System immerhin ließ.

So blieben noch in ihrer Außenseiterstellung die sozialdemokratischen Parteigänger auf den Staat bezogen. In ihrer Bildungsbeflissenheit und in der Übernahme vorgeprägter Wertvorstellungen spiegelten sich ein Aufstiegsstreben, auch ein Bedürfnis nach gesellschaftlicher Anerkennung.

Symbolischer Ausdruck dieser Zwitterstellung: in vielen Arbeiterfamilien hingen Kaiser Wilhelm und der „Ersatzkaiser" Bebel nebeneinander über dem Sofa.

Das Anerkennungsbedürfnis spielt wohl mit hinein, wenn man nach den Gründen fragt für die auf den ersten Blick überraschende Haltung der SPD beim Kriegsausbruch 1914. Der entscheidende Grund lag freilich in der Illusion, sozialistischer Internationalismus hätte bereits über die ringsum sich austobenden Nationalismen triumphieren können.

Aber richtig bleibt: Wem Anerkennung keine Selbstverständlichkeit ist, der läßt sich allzu leicht das Gesetz des Handelns diktieren. Dies gilt über den Wandel der Zeiten hinweg.

Jean Jaures hatte so unrecht nicht, als er auf dem erwähnten Amsterdamer Kongreß von der politischen Ohnmacht der deutschen Sozialdemokratie sprach, die er in einem beängstigenden Gegensatz zu Größe und Glanz der Partei stehen sah.

V.

357 — §. 27. De Kommis ion enticheidet in der Befetung von fünf Mitglicdern, von denen mindestens dret zu den rchterlichen Mitgliedern gehören müssen. Bor bet Gutscheidung über die Bejchwerde ist den Biheiligten GSelegenheit zur münd, lieben ober ichreftlichen Beqründumng ihrer Anträne u geben. Pic Somusion ist befugt. Beweis in vollem llmfange, inberondere durc e dliche Bernebmung von Rcuge und Sadverständigen, ui erbeben ober mittelst fisucens einer Behörde des Veics ober eines undesstaates erheben Ui Listen. Hinsichtlid der Verrflichtung, sic als Zeucoder Sachveriändiger Vernehmen zu lasten, sowie binsictlic der im Fatle des Lngehersamns zu verbäneniden (Strafen fommen die Bestimmunaen der am Sitze der Somission beziebungsweise ber ersuchten Vehörde qeitenden bürgerlichen rozesgsete ur Amvendung. Die Entscheie dungen erfolgen nac freiem Ermessen und sind endgistig. Im übrigen wird ber Geschäftsgana bei ber Kommisiion durc ein von derse’ben zu entwerfendes Negulativ geordnet, welces ber Bestätigung des Bundesraths unterliegt. s. 28. Für Bezirke ober Dtfchaften, welche durc die im §. 1 Abs. 2 bezeichneten Bestrebungen mit Gefahr für die öffentlide Sicherveit bedrobt sind, sönnen von ben 3entr»ii bewerben ber Bundesitaaten bie folgenden Alnordnungen, soweit sie nicht bereits landesgeietzlic zulassig sind, mit (. Genehmigung des Bundeßraths für bie (Dauer von längstens Einemt Jahre getrosten werben: 1. das Versammlungen nur mit vorgängiger Genehmigung ber Poljzi bebörde stttsinden dürfen; auf Versammtungen zum Bwe einer au? » geschricbenen Wabl zum Neichstag ober jur Xandesvertretung erstrrt sic biefe Beschtänkung nicht; 2. dasß bie Verbreitung von Drucjchriften auf öffentlichen Wegen, Straszen, Päzen ober an anderen öffentlichen Orten nicht stattfinden bars; 3. das Personen, von benen eine Gefährdunq ber öffentlichen Sicher heit ober Drdnung zu besorgen ist, ber Aufenthalt in ben Bezirfen ober Ortschaften versagt werben fann; 4 das ber Besit, das Tragen, bie Einfübrmg und ber Versauf von Waffen verboten, beschränft ober an bestimmte Boraussezungen ge fnüpft wirb. Ueber jebe ans Grund ber vonstebenden Bestimmungen getroffene Anordnung mus dem Neichstag sofort bezehungsweise bei feinem nächsten Zusama mentnten Rechenschaft gegeben werben Die getroffenen Anordnungen sind durc ben Reichsanzeiger unb auf bie für landempolizeiliche Beifügungen vergeschriebene Weise besannt zu machen. Wer diesen . Anordnungen ober ben auf Gund derselben erlassenen Bet» fügungen mit Kenntnis ober nac erfolgter öffentlicher Bekanntmachung zuwider-

Ich muß der Versuchung widerstehen, die ferneren Auswirkungen des Gesetzes gegen die Sozialdemokratie zu untersuchen und Kreuz-wege der sozialdemokratischen und der deutschen Geschichte nachzuzeichnen. 1914, 1918, 1930, 1933 — was auch immer zu den einzelnen Daten zu sagen ist, soviel ist gewiß: Wir stellen zahlreiche Fehlentwicklungen fest, und doch können wir dabei stolz sein auf unsere ungebrochene freiheitliche Tradition:

Niemals hat sich die SPD hergegeben für Unterdrückung und Unterjochung.

Niemals hat sie Krieg und Knechtschaft über das deutsche Volk gebracht.

Freiheit und Gleichheit und friedlicher Ausgleich mit den Nachbarn standen auf ihren Fahnen, als andere Hitler den Steigbügel hielten und wissen mußten, daß dies den Weg in den Krieg bedeuten würde.

Die SPD ist sich in ihrem Kern treu geblieben, selbst in den dunkelsten Augenblicken der Geschichte.

Darin liegt auch heute die moralische Begründung für unseren Anspruch, innere Freiheit und äußeren Frieden für unser Volk sichern und ausbauen zu können — besser, wie wir meinen, als andere, die zuviel vom Ballast einer unguten Vergangenheit mit sich schleppen.

Und zugleich: Eine Partei vom Zuschnitt der SPD muß sich immer auch als Kampfgemeinschaft begreifen. So können und dürfen wir also der Frage nach dem Handlungsspielraum und wie wir ihn nutzen, nicht ausweichen. Was wäre, so sollten wir uns zwischendurch immer mal wieder selbstkritisch fragen, was wäre Deutschland und der Welt erspart geblieben, wenn die Sozialdemokraten stärker, einflußreicher und schlagkräftiger gewesen wären!

Das Erfurter Programm hatte der Außenseiter-stellung in der Gesellschaft Rechnung getragen und der Erwartung Ausdruck verliehen, irgendwann würden sich die Verhältnisse schon ändern. Eine Als-ob-Haltung — als ob der Erfolg nicht ausbleiben könne und als ob die Zeit naturnotwendigerweise für Demokratie und Sozialismus arbeite — half über die tatsächliche Machtlosigkeit hinweg und leistete einer Tendenz zur Unbeweglichkeit Vorschub.

Wir sehen, die Schatten, die die Bismarck-Zeit geworfen hat, waren lang, sie waren so lang, daß die SPD ihr gesellschaftliches Umfeld und iffren politischen Gegner häufig nicht klar genug erkannte.

Der Aufstieg des Faschismus in Deutschland, wenn ich noch einmal einen solchen Sprung machen darf, wäre gewiß weniger glatt verlaufen, wenn sein Charakter hätte klarer erkannt werden können.

Und auch nach dem schrecklichen Einschnitt, den Nazismus und Krieg bedeuteten, war die SPD nur bedingt auf der Höhe der Zeit; sie hatte allerdings auch schrecklich personelle Opfer bringen müssen. Aber hat man nicht zunächst die neu-alten konservativen Kräfte weit unterschätzt und die Bedingungen ihres Erfolges verkannt? Es führt nichts daran vorbei: Wer politisch handeln will, muß sich immer wieder über die Bedingungen des Handelns Rechenschaft ablegen.

Die meisten wissen, welchen Wendepunkt das Godesberger Programm von 1959 symbolisiert. Ich sage bewußt: symbolisiert. Denn natürlich ist gerade ein Parteiprogramm nichts, was vom Himmel fällt, sondern es ist Ergebnis eines Prozesses von Erfahrungen und Überlegungen.

Die Entwicklung zur Volkspartei und die wachsende Integration in die Gesellschaft waren Godesberg voraufgegangen. Daß bei uns in Westdeutschland nicht eine Diktatur durch die andere ersetzt wurde und daß die Demokratie bei uns in der Bundesrepublik relativ rasch und fest Fuß fassen konnte, daran hatte die SPD einen herausragenden Anteil.

Mit dem Programm von Godesberg nun wurde diese Entwicklung zugleich anerkannt und beschleunigt. Die Partei hatte — weit mehr als zuvor in ihrer Geschichte — Theorie und Praxis in Einklang gebracht. Tatsächlich haben wir im Programm von 1959 die Lehren aus der eigenen und aus der deutschen Geschichte festgehalten.

Und ich stehe nicht an zu sagen: Godesberg gehört zusammen mit dem tiefsten Wandlungsprozeß, den die SPD je durchgemacht hat. Wobei ich wohl weiß, daß die stärkste generationsmäßige und soziologische Umkrempelung erst ein Jahrzehnt später einsetzte.

Wir wollten Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität nicht mehr nur beschwören, sondern schrittweise und — nicht mehr als Außenseiter — um ihre Verwirklichung ringen. Nun konnte sich die SPD der Gesellschaft gegenüber unbefangen öffnen und Volkspartei wer-den, ohne ihren aus der Arbeiterbewegung stammenden Auftrag zu vernachlässigen. Jetzt war sie besser in der Lage, gesellschaftlichen Wandel aufzunehmen und konstruktiv zu beeinflussen.

So brauchen wir den Eigenheiten und Eigenschaften, die seinerzeit die Partei auszeichneten, nicht nachzutrauern, aber wir sollten sie als Teil unseres Erbes auch nicht missen wollen. Wenn Bebel schildert, wie er seinen Spitzeln Schnippchen schlug, wenn wir lesen, mit wieviel Mut und Phantasie neue Orts-vereine gegründet wurden und wie man füreinander einstand und sorgte, dann erfüllt uns das noch heute mit Bewunderung.

Im selben Maße, wie sich die SPD öffnete und schließlich — in jüngster Zeit — nahezu ein Spiegelbild der Gesellschft wurde, im selben Maße, wie die Mitglieder und Anhänger der Sozialdemokratischen Partei die Verhaltensnormen der Gesamtgesellschaft zu teilen begannen, mußten ihr die Eigenschaften einer zunächst unterdrückten und dann isolierten Partei zwangsläufig abhanden kommen. Aber es wäre ein Jammer, wenn nicht doch etwas vom Geist der ursprünglichen Gesinnungs-und Kampfbereitschaft wachgehalten würde und lebendig bliebe.

Im übrigen wissen wir: Auch nach der Verabschiedung des Godesberger Programms hat die SPD noch ein Jahrzehnt und drei außergewöhnliche Wahlkämpfe gebraucht, um in die führende Regierungsverantwortung vorzurücken. Was es heißt, diese so mühsam errungene Regierungsverantwortung nicht nur zu erhalten, sondern auch zu rechtfertigen, erfahren wir täglich aufs Neue. Was es hieße, sie leichtfertig aufs Spiel zu setzen, das kann einem vermutlich nur klar werden, wenn man in historischen Zusammenhängen denkt.

Dann wird auch klar, wie abwegig es wäre, wenn das Wort von der Krisenbewältigung im sozialdemokratischen Sprachgebrauch einen negativen Beigeschmack erhielte.

In der Vergangenheit haben uns Krisen, Zeiten des Umbruchs manchmal allzu leicht dazu verleiten können, der vollen Verantwortung zu entsagen. Uber die Folgen brauche ich jetzt nichts mehr hinzuzufügen. Inzwischen muß die Partei auch hieraus gelernt haben.

Bei dieser Gelegenheit will ich hinzufügen: Das Godesberger Programm gilt.

Es bleibt die Grundlage unserer Vertrauensarbeit und unserer Regierungsfähigkeit.

Es verleiht der Verankerung in der Gesellschaft der Bundesrepublik ebenso Ausdruck wie dem Willen, in dieser Gesellschaft mehr Freiheit und mehr Gleichheit zu verwirklichen; kurzum: nicht nur an der Spitze der Regierung stehen, sondern diesem Staat als führende politische Kraft zu dienen.

Seit 1959 hat sich gewiß schon wieder viel verändert, zumal in der uns umgebenden Welt, durch die Wissenschaften, durch die technologische Revolution, und wir sind hoffentlich auch nicht dümmer geworden. Trotzdem meine ich: Die SPD braucht für einen jetzt überschaubaren Zeitraum kein neues Grundsatzprogramm. Anders steht es, um dies bei gleicher Gelegenheit zu sagen, um die weltweite Gemeinschaft von Parteien des demokratischen Sozialismus, die wir Sozialistische Internationale nennen. Sie wird in den vor uns liegenden Jahren zum erstenmal in ihrer bewegten und nicht immer glorreichen Geschichte das Wagnis eines Programms eingehen:

Eine Programms, um dies ganz deutlich zu machen, in dem zum erstenmal überhaupt der kühne Versuch unternommen wird, demokratischen Sozialismus — in meinem Verständnis gleich soziale Demokratie — nicht mehr euro-zentrisch, sondern weltweit zu begreifen.

Ich will hinzufügen, daß ich auf die Arbeit daran gespannt bin — und daß mich die zu erwartende Diskussion schon jetzt fast mehr interessiert, als was hinterher aufgeschrieben werden mag.

IV.

— 359 — handelt, wirb mit Geldfrafe bis zu eintausend Mark ober mit Haft ober mit Sefänguis bis zu secs Monaten bestraft.

§• 29.

Welchje Pehörden in jcdem Bumdesstat unter ber Bezeichnung Candeß, polizeibebörde, Poli eibebörde verstehen sind, wirb von Der Zentralbehorde des Bundeestates bekannt geinacht.

§ 30.

Diefes Geset tritt mit dem Tage ber Verfündigung in Sraft und gilt bis -zum 31. März 1881.

Urkundlic unter Lnseier Höchsteigenhändigen Untenschrist und beigedrudtem Kaiserlichen Insiegel.

Gegcben Potsdam, den 21. Ofteber 1878.

3m AIerhöchsten Austrage Seiner Majestät des Saisers:

(L. S.) Fricdric Wilhelm, Kronprinz.

Fürst v. Vismarc. eransgeqcben im ReichetanslerAmt.

Pelin, gebrut in ber vermaligen Gehzeimen CberSefbudbruetei (unter Reichevenvaltung).

«Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie" — das war der Titel für jenes Unternehmen, dessen wir uns hier erinnern.

Mit historischen Parallelen sollten wir gewiß nicht nur für uns selbst sorgsam umgehen, sondern auch, wenn wir fragen: Was ist aus den damaligen Unterdrückern geworden? Was hat sich dauerhaft gewandelt? Was ist immer noch geblieben? Hat „Gemeingefährlichkeit" vielleicht nur einen anderen Namen erhalten? Politische Kräfte, die im Gestern befangen sind, lassen auch jetzt kaum eine Gelegenheit aus, um die Sozialdemokratie mit dem Vorwurf der Verfassungswidrigkeit zu überziehen. Dadurch sollten wir uns nicht schrecken lassen. Aber wir dürfen und müssen fragen, ob solche Aggressivität nicht auf den Versuch hinausläuft, sich selbst jenem Grundkonsens zu entziehen, der diese Gesellschaft und diese staatliche Ordnung tragen sollte.

Ich habe von den Partei-Liberalen gesprochen und zumindest anklingen lassen, welche Fehlentwicklungen vermutlich hätten vermieden werden können, wenn Männer wie August Bebel und Friedrich Naumann miteinander ins Gespräch gekommen wären.

Ich habe noch nicht von der Zentrumspartei gesprochen — sozial sehr heterogen zusammengesetzt, aber eben doch auch die Partei eines überwiegenden Teils der katholischen Arbeiter, die 1878 gegen das Ausnahmegesetz stimmte; in mehr oder weniger großer Geschlossenheit auch gegen die jeweiligen Verlängerungen. Sicher, das Zentrum war ein gebranntes Kind, es hatte den „Kulturkampf" noch kaum überwunden. Daß es so kurze Zeit danach nicht neuerlicher Willkür den Weg ebnen konnte, mindert nicht die Bedeutung seines solidarischen Verhaltens mit den bedrängten Sozialdemokraten.

Daß hieraus — trotz mancher gegenseitiger Hilfe bei Stichwahlen — keine dauerhafte, Weggenossenschaft erwuchs, daß das Zentrum in der Folgezeit einen kräftigen Rechtsruck durchmachte — während die SPD wegen ihrer Außenseiterstellung noch nicht voll bündnis-fähig war — gehört zu den verpaßten Gelegenheiten einer demokratischen Entwicklung in Deutschland.

Die Unionsparteien jedenfalls täten gut daran, sich über ihr Erbe Rechenschaft abzulegen und darzutun, welcher Traditionskette sie sich eigentlich verpflichtet fühlen: Den reaktionären Preußen, die alle Demokraten knechten wollten, oder dem Zentrum, das sich gegen Unterdrückung zur Wehr setzte.

Hier ist nicht der Ort, die Spannweite darzustellen, die unser Grundgesetz für die Ausgestaltung des gesellschaftlichen Lebens läßt. Es ist hier aber wohl der Ort, auf eine offenbar ungebrochene Tradition des verstockten Teils der deutschen Rechten hinzuweisen: Eine Tradition, die darin besteht, die eigenen Interessen mit dem Wohl des Ganzen gleichzusetzen und jene Kräfte aus der Gemeinschaft verbannen zu wollen, die auf Veränderung setzen.

Auch die anhaltenden Versuche, gesellschaftsverändernde Politik und terroristische Zerstörung ursächlich in Zusammenhang zu bringen, gehören in diese unselige Traditionskette, von der man schon geglaubt hatte, sie sei abgerissen.

Bismarck hatte die Attentate auf den Kaiser den Sozialdemokraten zugeschrieben und zum Anlaß für sein Ausnahmegesetz genommen.

Heute sind denen, die sich noch immer nicht mit dem Einfluß des demokratischen Sozialismus abfinden mögen, Grenzen gezogen; ob aus eigener Einsicht, sei dahingestellt.

Jedenfalls liegt die sicherste Garantie gegen Versuche, daß Rad zurückzudrehen, in der eigenen Abwehrbereitschaft, bisweilen wohl auch der eigenen Angriffslust. Ob die fortschrittlichen oder die reaktionären Kräfte die Bundesrepublik Deutschland in die achtziger Jahre führen, wird übrigens auch von unserer Fähigkeit abhängen, der Manipulation der öffentlichen Meinung Einhalt zu gebieten.

Gerade weil das Godesberger Programm einer grundlegend gewandelten Stellung der SPD in Staat und Gesellschaft Ausdruck verleiht, verpflichtet es zu großer Wachsamkeit. Nichts auf dieser Welt ist so sicher, als daß es nicht wieder gefährdet werden könnte.

Also bedarf es immer neuer Anstrengungen.

Es gilt, Freiheit und Gerechtigkeit und Solidarität in dieser Gesellschaft zu verankern, daß für reaktionäre Gegenkräfte keine ernsthafte Chance mehr besteht, ihre Vorstellungen von einem Oben und Unten in der Gesellschaft wieder in die Wirklichkeit umzusetzen. Unter den deutschen Bedingungen besteht eine latente Gefahr, daß das Pendel zu weit zurück-schlägt. Bismarck hatte versucht, durch erste sozialpolitische Gesetze den Sozialdemokraten gleichsam den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Zuckerbrot und Peitsche, wenn man, so will.

Die Arbeiter und ihre Familien blieben mißtrauisch. Die Herrschenden hatten verkannt, wie viele Konservative es bis auf den heutigen Tag verkennen, daß eine Absicherung der materiellen Existenz ohne Sicherung der Freiheitsrechte nichts wert ist.

Eine wohldurchdachte Sozialpolitik ist unerläßlich für die materielle Sicherheit der vielen und für den inneren friedlichen Ausgleich. Doch auch eine noch so gute Sozialpolitik bleibt diesseits der sozialen Emanzipation. Darauf muß es uns aber ankommen — und das bleiben dann die geschichtliche Lehre und der Auftrag des Godesberger Programms: die Demokratie dadurch zu sichern, daß wir ihr die eigentlich soziale Dimension verleihen.

Man möge es mir nachsehen, wenn ich noch einmal an die zwanziger Jahre erinnere und an den Untergang der Weimarer Republik. Aber: Deutschland wäre für den Faschismus nicht, jedenfalls nicht in dem gekannten Maße, anfällig gewesen, wenn demokratische Ziel-orientierung in Staat und Gesellschaft verankert gewesen wäre.

Demokratie sichern heißt, sie in allen relevanten Lebensbereichen verwirklichen. Demokratie sichern heißt im Übergang zu den achtziger Jahren: ihren Grundgedanken auch über den nationalen Rahmen hinweg zum Durchbruch verhelfen.

Ein Jahr, bevor das Gesetz gegen die Sozialdemokratie fiel, 1889 also, wurde in Paris am hundertsten Jahrestag des Sturms auf die Bastille die II. Internationale gegründet. Nach Schluß des Kongresses zogen die Delegierten zum Massengrab der Kommunekämpfer von 1871, die deutschen Vertreter auch zum Grab von Heinrich Heine und Ludwig Börne — der „Märtyrer der Freiheit und des Kosmopolitismus", wie Liebknecht sagte.

Tatsächlich gehört jener Kongreß wohl zu den eindrucksvollsten in der Geschichte der Arbeiterbewegung. Wir wissen, daß es noch einige ermutigende Kongresse gab, denen die Ernüchterung bald auf dem Fuß folgte. Warum? Wäre nicht manches anders gekommen, wenn die sozialdemokratischen Parteien weniger in großen Worten geschwelgt und sich mehr um die konkreten Möglichkeiten ihres gemeinsamen Handelns gekümmert hätten?

Die Internationale krankte nicht zuletzt daran, daß den unterschiedlichen Bedingungen in den einzelnen Ländern nicht hinreichend Rechnung getragen wurde; so mußten die Erwartungen über gemeinsame Aktionen unrealistisch sein.

Schon die Auseinandersetzung um die Gestaltung des 1. Mai 1890 waren symptomatisch: Die Deutschen wollten die Obrigkeit nicht provozieren und ihre gerade wiedererlangte Legalität nicht gefährden, während die französischen Sozialisten sich zutrauten, ohne größeres Risiko auf die Straße zu gehen.

Der spätere Zusammenstoß zwischen Jaures und Bebel, von denen eben jeder auf seine Weise recht hatte, war dann auch weniger «in Streit um Strategie und Taktik als Ausfluß der unterschiedlichen Verhältnisse in den beiden Ländern. Dies zu wissen, sollte kein Hinderungsgrund sein, auch hier nach dem •Was-wäre-wenn" zu fragen. Was wäre also gewesen, wenn die sozialdemokratischen Parteien schon damals fähig gewesen wären, mehr als gemeinsame Resolutionen zu verabschieden? Vermutlich fragen wir besser noch danach, was wir heute — zumal in Europa, aber auch weltweit — bewegen können und — um der Sicherung des Friedens willen — bewegen müssen.

Die großen Industrienationen sind heute — sogar ohne anerkannte ideologische Koexistenz — auf eine Weise zusammengerückt, wie es sich Bebel und Jaures noch niclit vorstellen konnten.

Für die sozialdemokratischen Parteien, die den gleichen Idealen huldigen, ergeben sich daraus neue Voraussetzungen, aber auch neue Verpflichtungen. Wenn es ein Wesensmerkmal des Godesber-ger Programms ist, für gesellschaftlichen Wandel offen zu sein, dann heißt dies heute auch: Die SPD muß alles daran setzen, um die sozialdemokratischen Parteien enger aneinander heranführen zu helfen.

Die eigene Geschichte hat uns gelehrt, daß wir in unserem politischen Handeln von den gesellschaftlichen Verhältnissen ausgehen müssen. Für Europa und die Internationale heißt das, und damit komme ich noch einmal auf den Sinn eines internationalen Programms: Wir sind aufgerufen, europäisch und weltweit mit allen Kräften zusammenzuwirken, die sich wie wir von den Grundwerten der Freiheit, der Gerechtigkeit und der Solidarität leiten lassen.

Wir sollten jedoch gewarnt sein, Modelle aus der Bundesrepublik oder aus dem Bestand der westeuropäischen Sozialdemokratie als Exportartikel zu verstehen.

Dies eben ist nicht gemeint, wenn ich von der weltweiten Verantwortung der demokratischen Sozialisten spreche.

Die deutsche Geschichte muß nicht noch einmal eine verhängnisvolle Wende nehmen. Aber von nichts kommt nichts:

Wir müssen uns denen entgegenstellen, die geistigen Bürgerkrieg schüren.

Wir müssen uns nationalistischer Verirrung und Großmannssucht entgegenstemmen.

Wir müssen unserem Volk sagen, daß es sich durch ein Amalgam aus Pessimismus und Wertverlust weder blenden noch in die Irre führen lassen darf.

Grundsatztreue, Ausdauer, Zähigkeit, Einfallsreichtum werden uns weiterhin in hohem Maße abverlangt.

Und dabei wollen wir dann bitte immer noch einmal an den Satz denken, den uns August Bebel ins Stammbuch schrieb: „Im Kampf für Freiheit suche stets Dein Recht!"

Wir verstehen uns auch als die große deutsche Freiheitspartei, und so soll es bleiben. No 34.

Inhalt: Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie.

Nr. 1271.) Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie. Vom 21. Oktober 1878,

Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen x. verordnen im Ramen des Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesraths und des Reichstags, was folgt:

§ 1. Vereine, welche durch sozialdemokratische, sozialistische oder kommunistische Bestrebungen den Umsturz der bestehenden Staats- oder Gesellschaftsordnung bezwecken, sind zu verbieten Dasselbe gilt von Vereinen, in welchen sozialdemokratische, sozialistische oder kommunistische auf den Umsturz der bestehenden Staats, oder Gesellschaftsordnung qerichtete Bestrebungen in einer den öffentlichen Frieden, insbesondere die Eintracht der Bevölkerungeflassen gefährdenden Weise zu Tage treten. Den Vereinen stehen gleich Verbindungen jeder Art. .

§ 2. Auf eingetragene Genossenschaften findet im Falle des §. 1 Abs. 2 der §. 35 des GSesetzes vom 4. Juli 1868, betreffend bie privatrechtliche Stellung bet Erwerbs, und Wirthschastegenossenschaften, (BBundes, Gesebl. S. 415 ff.) Anwendung Auf eingeschriebene Hülfskassen findet im gleichen Falle ber §. 29 des Gesetzes über bie eingeschriebenen Hülfsfassen vom 7. April 1876 (Reichs-Gesezbl. S. 125 ff) Anwndug.

$3. Selbständige Kasfenvereine (nicht eingeschriebene), welche nac ihren Sta, tuten bie gegenseitige LInterstüung ihrer Mitglieder bezwecen, sind im Falle des Reids Gesetbt. 1878. C 7

Kußgegeben zu Berlin ben 22. Oftober 1878

Fussnoten

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