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Die Diskussion über den Terrorismus | APuZ 25/1978 | bpb.de

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APuZ 25/1978 Artikel 1 Die Diskussion über den Terrorismus

Die Diskussion über den Terrorismus

Hermann Glaser

/ 122 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die Terroranschläge des Jahres 1977 bewirkten tiefe Betroffenheit in der Bundesrepublik und setzten eine schier nicht mehr überschaubare publizistische Diskussion in Gang. Das „Dossier" informiert über diese Diskussion — stellt sie in einer größeren Zahl von Kern-stellen vor. Ein „Dossier" erfordert Zurückhaltung im Kommentar: das Material soll für sich selbst sprechen, doch wird vom Autor auf eine gewisse „Merker" -Rolle nicht völlig verzichtet. Die hier vorgelegten, häufig kontroversen Materialien dienen dem rationalen Diskurs, der Fehlentwicklungen in Richtung Zukunft — vor allem vorschnelle Urteile — zu verhindern sucht. Das Material des „Dossiers" ist in achtundzwanzig Unterkapitel gegliedert: Ausgehend von dem Unterschied zwischen nationalem und internationalem Terrorismus wird die Terroristengeneration als eine „Generation der Vaterlosen“ beschrieben; die tragende Rolle der Frauen dabei dürfte vielfach als Reaktion auf die gesellschaftlich immer noch weit verbreitete Gewalt gegen Frauen zu verstehen sein. Exkurse über die rechten und linken Voyeure, über Feminismus und Marxismus leiten über zu der zentralen Frage, ob es sich beim Terrorismus um eine Spätfolge des Nationalsozialismus bzw. Faschismus handle oder ob er aus einem politischen Glaubensschwund herrühre. Sponti-Ideologie und die „klammheimliche Freude" der Mescaleros signalisieren Verhaltensweisen, wie sie aus dem Gefühl der Jugend, „überflüssig" zu sein, entstehen. Die Isolierung der Hochschulen fördert den Narzißmus, der zunehmend die Sozialisation lähmt. Was bedeutet kritische Sympathie zum Staat? Wie weit kann man zu weit gehen? An Einzelfällen werden Fragen der äußeren und inneren Zensur aufgeworfen. Die Problematik des Extremistenbeschlusses wird ebenso beleuchtet wie das Verhältnis von Intelligenz und Politik. Der Streit um die Emanzipationspädagogik und das „Sympathisantentum" dokumentiert vielfach die böse Gewalt der Worte. Was ist heute links? Ob rechts oder links — der stete Diskurs, über die Fronten hinweg, ist notwendiger denn je. Das Dossier kommt zu dem Ergebnis, daß die Bereitschaft zur Differenzierung gewachsen ist; noch hat sie jedoch einen schweren Stand gegenüber ideologischen Halb-und Unwahrheiten.

Ein Dossier

INHALT Nationaler und internationaler Terrorismus Die Generation der Vaterlosen Gewalt gegen Frauen und Gewalt von Frauen Die rechten und die linken Voyeure Feminismus und Marxismus Hitler’s children?

Vom politischen Glaubensschwund Die Generation der überflüssigen Der verlorene und der daheimgebliebene Sohn Sponti-Ideologie Die „klammheimliche Freude" der Mescaleros Isolierung und Selbstisolierung der Hochschulen Narziß — ein neuer Sozialisationstypus Laborschule im Praxistest Kritische Sympathie Wie wﬠA

Die Terroranschläge des Jahres 1977 (vor allem die Ermordung von Generalbundesanwalt Buback, des Vorstandsvorsitzenden der Dresdner Bank Jürgen Ponto und des Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer) lösten tiefe Betroffenheit in der Bundesrepublik aus und setzten eine fast nicht mehr überschaubare publizistische Diskussion in Gang Der politische oder zumindest politisch begründete Mord bedeutet ein neues Phänomen für diesen Staat, der trotz aller Risiken und Probleme innen-wie außenpolitisch lange Jahre hindurch ein friedliches und gewaltfreies Bild geboten hatte. — Nachfolgend soll über diese Diskussion berichtet bzw. sie durch Auswahl von Zitaten aus Veröffentlichungen in der wissenschaftlichen Literatur und Publizistik dokumentiert werden. Ein „Dossier" erfordert Zurückhaltung im Kommentar; das Material soll für sich selbst sprechen, doch wird vom Autor auf eine gewisse „Merker" -Funktion nicht völlig verzichtet. Gerade weil es notwendig ist, daß die Auseinandersetzung über den Terrorismus umfassend und vielseitig geführt wird, um vorschnelle Urteile zu verhindern, dürften die vorgelegten, häufig kontroversen Hinweise und Zitate dem . rationalen Diskurs, der Fehlentwicklungen mit Blick auf die Zukunft zu verhindern sucht, dienlich sein.

Nationaler und internationaler Terrorismus

Trotz der Häufung der Vorkommnisse im Jahre 1977 nimmt die Bundesrepublik in der „grausigen Bilanz des politischen Terrorismus" (die FAZ brachte am 17. 9. 1977 unter diesem Titel eine Chronik der Anschläge, Erpressungen, Geiselnahmen und Morde in den verschiedenen Ländern von 1970 bis heute) nur einen „unteren Platz" ein. Doch geben die besonderen Umstände der Morde, etwa die kaltblütige „Hinrichtung" von Hanns-Martin Schleyer nach langer Gefangenschaft, Einblick in Bewußtseinsstrukturen, die man mit dem Ende des Nationalsozialismus als einigermaßen gezähmt oder überwunden betrachtet hatte. Im besonderen Maße beschäftigt die Öffentlichkeit die Frage, ob denn diese Gewaltakte extreme Sonderfälle seien und blieben, oder aber nur die Spitze eines Eisberges signalisierten, der sich als „unheimliche" kollektive Staatsverdrossenheit formiert habe — was bedeuten würde, daß das kriminelle Verhalten potentiell umfangreich vorhanden wäre und somit immer wieder zum Ausbruch kommen könnte (eine Hydra, der die Köpfe ständig nachwüchsen). Hat vor allem die jüngere Generation die Identität mit dem Staat, der bei allen Mängeln doch die beste Demokratie darstellt, die in Deutschland je entstanden ist, verloren, wandert sie ab in die Bereiche der Gleichgültigkeit und von dort in die der Staats-und Gesellschaftsverneinung? Auch wenn man von einer Internationalisierung des Terrors sprechen kann, so bedürfen die deutschen Verhältnisse einer ganz besonderen Betrachtung, da hier die Motivation des politischen Verbrechens eine andere Gestalt zeigt. Walter Laqueur hat in seinem 1977 erschienenen Buch „Terrorismus“ eine Geschichte des Terrorismus wie seiner Philosophie und Soziologie versucht. In der Gegenwart unterscheidet er zwischen dem Terrorismus in Lateinamerika, dem nationalistischen und separatistischen Terrorismus, dem von Kommunismus und Trotzkismus inspirierten Terror und dem „Terror der neuen Linken" Laqueur spricht von der Erfolglosigkeit terroristischer Aktionen, kalkuliert dabei aber zu wenig ein, daß diese, vor allem auch angesichts geringer Fahndungserfolge, ein allgemeines Gefühl der Unsicherheit hervorrufen können, das sich bis zur kollektiven Panik zu steigern vermag. Auf einen solchen Erfolg zielt die „Kampfanweisung“ der RAF: „Erst beruhigen, dann angreifen". In diesem Sinne hat Horst Mahler, der von den terroristischen Praktiken inzwischen abgerückte, der frühere führende Kopf der „Roten Armee Fraktion", davon gesprochen, daß die „Bürgerkriegsgenerale" (er meinte damit die staatlichen Fahndungsorgane) „einen Elefanten durch die Straßen treiben würden, um eine Mücke zu jagen". In einem im April 1975 bei dem in Stockholm verhafteten deutschen Terroristen Norbert Kröcher gefundenen Dokument heißt es zur terroristischen Strategie unter anderem: „Wenn die Bullen uns an einem Ort vermuten, erscheinen wir an einem anderen. We are everywhere.

Wenn sie uns weit entfernt glauben, sind wir in der Nähe. Glauben sie uns nah, sind wir ferti.

Wenn wir freie Bahn haben, gehen wir vorwärts. Stoßen wir auf ein Hindernis, umgehen wir es. Ist das Hindernis unüberwindlich, weichen wir zurück.

Wenn der Feind unvorbereitet ist, überraschen wir ihn. Ist er wachsam, lassen wir ihn in Ruhe.

Ist der Feind wütend, halten wir still. Hat er sich ausgetobt, greifen wir an.

Wir dürfen nie unbedacht aus dem Wunsch nach Rache handeln. Erst wenn wir uns beruhigt haben und unseren Schmerz und unsere Trauer nachlassen, greifen wir wieder an.

Wir dürfen nie unter Zeitdruck handeln."

Horst Herold, der Leiter des Bundeskriminalamtes, hatte seit Jahren davor gewarnt, auch in Zeiten „tiefster Ruhe" die Gefahren des Terrorismus zu unterschätzen. Gerhard Boeden, Leiter der Bonner Abteilung Terrorismus des Bundeskriminalamtes, verweist darauf, daß die Brutalität terroristischer Aktionen zunehmen werde, da die schon immer niedrige, aber immerhin noch vorhandene Hemmschwelle vor dem unmittelbaren Töten nun offensichtlich endgültig überwunden" sei

Was die internationalen Verbindungen des Terrorismus betrifft, so wird in der Publizistik vor allem die Rolle palästinensischer Partisanen herausgestellt. Seit 1975 habe freilich keine der größeren palästinensischen Partisanen-organisationen mehr auf eigene Faust Terroranschläge in Westeuropa verübt. Die hochkonspirative Ausbildung der Terroristengruppen, die sich einer ausgefeilten, kaum verwundbaren und leicht regenerierbaren Logistik bedienten, die ihrerseits in einer wechselnden Sympathisantenszene verankert sei, mache deutlich, daß sich gegenüber früheren militanten Linksgruppen die Strukturen wesentlich verändert hätten — so Georg Sieber, Polizeipsychologe in München; er fährt fort:

„Die Verankerung der Schreckenstäter in ihrem Umfeld dürfte in der Bundesrepublik einmalig sein. Die BM-Mitglieder lebten und agierten noch in ungebrochener Identität, gaben sich Freunden zu erkennen und warben um Freundschaft. Dies aber ist den Schrek-kenstätern der zweiten und der dritten Generation fremd. Ganz offensichtlich leben die Mittäter untereinander und vor ihren Nachbarn inkognito. Nicht mehr solidarische Bewegung, sondern individuelles Schicksal bindet sie an die Tat. Die ihnen helfen, helfen nicht mehr um ihrer Ziele, sondern um der Person willen, die für sich genommen Mitleid (griechisch: sympatheia, Sympathie) wecken und erwarten darf.

Dieser Staat, der diese Desperados zur Erhaltung der notwendigen Ordnung und ganz und gar rechtmäßig irgendwann einmal so hart faßte, daß ihre zu dünne staatsbürgerliche Schale zerbrach, dieser Staat muß ein einzigartiges Terrorproblem bewältigen: das Problem des Intelligenz-Terrors, der sich politisch artikuliert und von Menschen vollzogen wird, auf die unsere Gesellschaft unter anderen Umständen stolz sein könnte."

Die Generation der Vaterlosen

Als Grundzug des terroristischen Psychogramms erweist sich im zunehmenden Maße der Destruktionstrieb, der Haß auf den Staat und auf die Gesellschaft, wobei das bereits aus den früheren Tagen der Protestbewegung bekannte Motto „Macht kaputt, was euch kaputt macht!" eine ungeahnte Anwendung ge-funden hat. Bei der „gespenstischen Beisetzung" von Baader, Ensslin und Raspe nach deren Selbstmord habe sich, schreibt die „Süddeutsche Zeitung" am 28. 10. 1977, kaum Trauer, wohl aber Wut auf Staat und Gesellschaft in makabren Szenen gezeigt: „Die meisten Teilnehmer der Trauerversammlung — sie waren aus Frankreich, Holland, England, der Schweiz, Österreich und dem ganzen Bundesgebiet gekommen — gaben kaum Leid und Betroffenheit zu erkennen wie die Angehörigen und einige nahe Bekannte der Verstorbenen. Erfüllt von Haß und Wut riefen sie vielmehr zum Kampf auf. . Solidarität mit den Kämpfern aus der Guerilla, Gudrun, Andreas, Jan — in Stammheim gefoltert und ermordet', verkündete eines der Transparente, die während der Beisetzung vom Wall am Rande des Friedhofs aus die Menge überragten. Ihre Träger hatten ihre Gesichter mit Schals und Umhängetüchern verhüllt, um nicht erkannt zu werden. Gut die Hälfte der etwa 500 Teilnehmer hatten sich auf diese Weise vermummt und gab der Zusammenkunft an den Gräbern den Charakter einer Verschwörung."

Solche Oberflächeneindrücke bedürfen, damit die biographischen Deformationen im einzelnen aufgespürt werden können, genauer psychologischer und sozialpsychologischer Analysen. Dafür gibt vor allem das postum erschienene Buch von Bernward Vesper (Die Reise) „Seelenmaterial“ an die Hand. In der Verlagsankündigung (Buchversand 2001) wird der Verfasser wie folgt vorgestellt: „Bernward Vesper wurde am 1. März 1938 geboren. Er beging am 15. Mai 1971 Selbstmord in der Psychiatrischen Klinik in Hamburg-Eppendorf. Bernward Vesper wuchs auf dem Gut Triangel am Südrand der Lüneburger Heide auf. Vater ist der Dichter Will Vesper, Gauobmann des NS-Reichsverbandes deutscher Schriftsteller. Studium der Geschichte, der Germanistik, der Soziologie. Veröffentlicht 1964, . Gegen den Tod. Stimmen deutscher Schriftsteller gegen die Atombombe'. Mitglied im Wahlkontor deutscher Schriftsteller (SPD), aus dem er aus Protest gegen die Notstandsgesetze austritt. Gründer der . Voltaire Flugschriften'(1966), , dem bedeutendsten publizistischen Forum der Apo'(Der Spiegel). Lebt mit Gudrun Ensslin, hat mit ihr einen Sohn: Felix. Widmet ihm seinen Roman, Die Reise. Das Werk ist autobiographisch, der Roman bleibt ein Fragment."

Uwe Schweikert stellt in einer Besprechung der „Frankfurter Rundschau" fest, daß Vesper das, was er erlitt — nämlich die eiskalte Gewalt der Erziehung, die emotional-seelische Verkrüppelung durch autoritäre Triebunterdrückung —, zugleich als Krebs der Gesellschaft diagnostiziert habe; die ausbeuterische Praxis des Kapitalismus, das tödliche Anhäufen von Waren und Kapital, die den Menschen die eigentlichen Wünsche, den „Wärmestrom" ersetzen müßten, die unterstellte Brutalität des Staates im Umgang mit seinen Bürgern — all das verdichte sich für Vesper zur objektiven Realität

Eine derartige Interpretation dieser tragischen Biographie vermittelt sicherlich wichtige Gesichtspunkte; man sollte freilich den „objektiven Faktor Subjektivität" nicht über-strapazieren. Vieles von dem, was als gesellschaftsrelevant empfunden wird, dürfte sich, bei genauerem Hinsehen, als individualoder familienpsychologische Rationalisierung erweisen. Somit würde durch Vesper nicht der Zustand der Gesellschaft vorgeführt, sondern „lediglich" ein persönliches oder familiäres Scheitern beschrieben. Da freilich solches Scheitern dann doch wiederum mehr ist als nur ein vereinzeltes Phänomen, nämlich ge-häuft antreffbar bei einer bestimmten bürgerlichen bzw. bourgeoisen Erziehung, müßte „Grauen" über die Mittelschichten hereinbrechen, wenn sie wahrnehmen, daß solches Bewußtsein in ihren Kinderzimmern gewachsen ist. „Totgeboren ins deutsche Vater-Land" betitelte Peter von Becker in der „Zeit" seine Besprechung von „Die Reise". Einer von „Hitlers children" sei Bernward Vesper exemplarisch gewesen, wenn auch nicht im „historischen Blödsinn der Formel vom neuen Links-faschismus". Vielmehr decke Vespers Lebens-und Sterbensbericht wieder auf, welche psychischen Defekte die ökonomiedumpfe Restauration der Adenauerzeit gerade bei den scheinbar wohlbehüteten, bei den empfindlicheren Bürgerkindern angerichtet hätte. Selbstmord, Mord, Wahnsinn, das alles erscheine zwar nicht legitimer, aber doch im letzten verständlicher nach einer Biographie wie der von Vesper.

Zu solchen Beobachtungen gibt fast jede Seite des Buches Anlaß. Die Abrechnung mit der Familie, wobei dem Vater immerhin noch gewisse, freilich entfremdete Sympathien entgegengebracht werden, macht etwa nachfolgende Stelle deutlich: „Diese Tage im Sterbezimmer — Schlaganfall, dann acht Tage im Halbdämmern, bis dies gräßliche Röcheln der Speichelreste in der Luftröhre aufhörte, ich war gerade nicht im Zimmer, sondern meine Schwester Heinrike. Die Erinnerung an sie brachte mich down. (Warum?) Der Raum war verhängt, Kerzen brannten. Meine Mutter blieb eiskalt. Ich merkte das und regte mich furchtbar darüber auf. Heute sehe ich es umgekehrt: sie, die Proletarierin, hat es weitaus besser verstanden, ihre Rolle zu spielen als mein Vater, der klassenmäßig gesehn ein Trottel war, der der Bourgeoisie, besser noch: dem feudalistischen Abglanz in der Großbourgeoisie auf den Leim kroch, während sie (das alles) sehr geschickt auszunutzen verstand. In ihr Herz hat niemand geschaut! Sie übertraf alle! Mein Vater, dem man die Schlafanzughose ausgezogen hatte, um die Bettflasche richtig unter seinen Schwanz stellen zu können, sprang immer wieder aus dem Bett und strebte mit entgeisterten Augen auf sein Arbeitszimmer zu, weil das vermutlich wirklich sein stärkster Impuls war. Das ist der Terror, dem er sich aus Schuldgefühl unterwarf (und deshalb versuchte er, mich ebenfalls zu unterwerfen, und ich weiß nicht, wie weit es möglich ist, seine Siege rückgängig zu machen! Genau das ist doch das politische Problem, das die Bewegung, der SDS usw. überhaupt nicht berücksichtigt). Ich saß ganz in Schwarz, wie immer damals, und mit einer . Wolldecke wie einen Schutz'um die Schultern gezogen, von denen man gerade im Begriff war, das autoritäre Dach abzutragen. Ich komme gewiß darauf noch zurück."

Vesper hat mit dieser Niederschrift seelische Zerstörung nicht aufhalten können; die Sublimierung blieb ihm versagt — was auch die chaotische Form des Buches widerspiegelt.

Anders die Abrechnung, die Monika Plessen in „Mitteilung an den Adel" mit ihrer Familie, besonders mit ihrem Vater als „überleb", vollzieht. Bei ihr haben sich die Erfahrungen einer vaterlosen Generation zum ästhe-tisch-komponierten Kunstwerk verdichtet. „Das Trauma des Eingeschlossenseins, wie sie es im väterlichen Schloß und dann im Mädchenpensionat erfahren hat, wirkt immer noch. Sonntags, wenn alle in die Kirche mußten und die Erzieherinnen die Zimmer kontrollierten, verzog sie sich auf den Dachboden, wo sie las und die ersten Gedichte schrieb. Durch eine Fensterluke sah sie, wenn die Messe zu Ende war. Dann konnte sie sich unbemerkt wieder einreihen. Noch heute liebt sie es, von Zeit zu Zeit unauffindbar zu sein. Auch das gehört zu der Freiheit, die sie sich erkämpft hat. Es war ein langer Weg, ohne Abkürzungen und folglich keiner, der zu Ende sein könnte. In ihrem Roman, der im vergangenen Herbst erschien und bei Kritikern und Lesern eine zum Teil enthusiastische Zustimmung fand, ist von einem Freund Augustas (der Hauptfigur) die Rede: , Was immer ich gemacht habe, sagte er, habe ich gemacht, um mich von meinem Vater abzusetzen. Was im-mer ich machen werde, mache ich, um mich von ihm abzusetzen.

Die publizistischen Beiträge zum Phänomen des Terrorismus unternehmen immer wieder den Versuch, den Biographien der einzelnen Terroristen nachzuspüren, um von dort aus Aufschlüsse über ihre Motivation zu erhalten. Im Rahmen der Tages-bzw. Wochenbericht-erstattung handelt es sich dabei vornehmlich um phänomenologische Betrachtungen, weniger um tiefenpsychologische Analysen. Es werden keine schlüssigen Erkenntnisse, wohl aber Materialien vorgelegt, aus denen man gewisse Schlüsse wird ziehen können.

Ein „Phänomen der Verzweiflung" nannte der „Spiegel" -Reporter Gerhard Mauz Susanne Albrecht und andere Terroristen.

„Warum Susanne nicht ihn, ihren Vater, erschossen hat, fragt sich der Hamburger Rechtsanwalt Dr. Hans-Christian Albrecht. Die Antwort, aber auch nur diese eine Antwort auf zahllose Fragen, ist leicht Fürchterlicher als dadurch, daß sie an einem Attentat auf seinen Freund mitwirkte, hat Susanne Albrecht ihren Vater nicht treffen können.

Kinder, die ihre Eltern angreifen, wollen fast immer den Tod der Eltern nicht. Denn ein getöteter Vater oder eine getötete Mutter erleben ja nicht mehr, was man ihnen demonstrieren wollte. Fallen Eltern dem Angriff des Kindes zum Opfer, so ist dem Kind fast immer die Demonstration entglitten, ist mehr geschehen, als geschehen sollte.

So gehen denn auch die Kinder, die in besonderem Maße demonstrieren wollen, nicht den Weg des direkten Angriffs auf die Eltern. Sie fügen ihnen vielmehr etwas zu, was die Eltern unausweichlich erleben und erleiden müssen.

Die jungen Menschen, die Veränderung mit Gewalt betreiben, wehren sich erbittert gegen jeden Versuch, ihre seelische Verfassung, ihre Biographie zu deuten. Sie bestehen darauf, nur eine politische und keine andere Motivation zu haben. Wer auch nur von der Möglichkeit einer anderen Motivation spricht, versucht . wegzuerklären', . unterstellt’ und betreibt als ein Klassenfeind das Geschäft des Klassenfeindes. Doch die Gewalt ist nur zu oft nichts anderes als unerledigte, unbewältigte eigene Kindheit und Jugend. Sie ist nichts als die nicht abgeschlossene, fortdauernde Auseinandersetzung mit den Verhältnissen, in denen man aufwuchs, mit den Eltern und den Geschwistern."

Ein Ausspruch der 19jährigen Susanne Albrecht ihren Eltern gegenüber: „Ich habe die Kaviarfresserei satt!" verdeutlicht ein im Psychogramm der Terroristen immer wieder anzutreffendes Merkmal: nämlich den Ekel an der Wohlstandsgesellschaft, die nur an sich selbst denke und darüber die Not der anderen vergäße. Daß dabei die „Töchter und Söhne aus gutem Hause“, die aufgrund der ihnen anerzogenen Sensibilität solches bemerkten und dagegen protestierten, selbst nicht in der Lage waren, narzißhaftes Verhalten zu überwinden, zeigt gerade der Terrorismus — als eine in die Aggressivität umgeschlagene Frustration. Man vermag die Vereitelung humaner Lebensziele nicht selbstkritisch in soziales Handeln umzusetzen, sondern flüchtet, in die Abreaktion durch Gewalt.

Der nachgewachsenen, zweiten Terroristengeneration — so Karl-Heinz Janßen — seien die seelischen Belastungen der Nachkriegsgeneration erspart geblieben. Diese entlaufenen Kinder unserer Wohlstandsgesellschaft seien entweder angeekelt vom Materialismus ihrer groß-und kleinbürgerlichen Familien oder (als Aufsteiger aus minderbemittelten Schichten) enttäuscht in ihren Zukunftserwartungen, die von der Rezession beschnitten wurden. Werner Maihofer, der liberale Theoretiker, als Innenminister für die Bekämpfung des Terrorismus zuständig, habe eine plausible Begründung für das Verhalten dieser Jugendlichen: sie strebten nach einer besseren Welt, doch hätten sich ihre revolutionären Impulse nicht mehr rechtzeitig in ein reformerisches Engagement umsetzen lassen, weil ihnen die reale Politik zu schwerfällig erscheine. So endeten sie denn in einer Sackgasse von Mord, Totschlag und gemeinem Bankraub

Anläßlich der Selbstmorde von Baader, Ensslin und Raspe wurden die Unterschiede zwischen den beiden Terröristengenerationen immer wieder herausgearbeitet. „Verbrecher aus Weltverbesserungsdrang" nennt Dieter E. Zimmer Gudrun Ensslin und Adreas Baader. Beide zeigten in ihren Charakteren jedoch erhebliche Unterschiede. Andreas Baader hatte nie einen Beruf; er böte das Bild eines Halb-intellektuellen, Bohemiens, der gerne trank, las, klassische Musik hörte, sich in Schlägereien verwickelte, mit Talent liebte, gelegentlich mit der Polizei in Konflikt geriet (immer in Verkehrssachen) und mit Vorliebe den starken Mann und Anführer markierte. Für Ensslin gelte die Standardbiographie, die für viele Akteure der Protestbewegung der 60er Jahre zutreffe. Aufgewachsen in relativ gebildeten und nicht gerade notleitenden Elternhäusern, seien sie irgendwann in den plastischen Jahren vor dem Erwachsenwerden ruckartig auf die Tatsache gestoßen, daß die Welt nicht mehr in Ordnung ist; sie hätten sich auf die einzig allumfassende Erklärung solcher Unordnung gestützt, die es gäbe, nämlich den Marxismus, und seien dann verschieden weit in die Strudel des Aktionismus geraten. Der Protest erwies sich als Vorstufe einer verzweifelten Perversion ins Inhumane.

Immer wieder zeigt sich, daß die Permissiveness dieser Gesellschaft auf ihre „Vaterlosigkeit" zurückzuführen ist. Vorhanden waren zunächst nur die autoritären Führungsstrukturen einer patriarchalischen Gesellschaft; dann kam — im Gegenschlag — die Orientierungslosigkeit der antiautoritären Bewegung. Die helfende, erziehende Hand kompetenter Pädagogik fehlte. Die „Trümmerkinder", die inmitten einer feindlichen Umwelt Selbstän-digkeit des Denkens und Handelns entwickelt hatten, wurden abgelöst durch eine Jugend, die nicht eine skeptische, wohl aber eine gleichermaßen vernachlässigte wie unzugängliche Generation war. Der Sprung in die Freiheit gelang den Söhnen und Töchter von Coca-Cola und Karl Marx nicht. Der Abschied vom Sozialismus (was immer man darunter verstand) vollzog sich als aggressives Aufbäumen; Gewalt wurde zur schrecklichen „Ventilsitte". Während die meisten APO-Führer der ersten Generation mit ihren Visionen angesichts der Wirklichkeit hilflos resignierten, im „Rückzug" jedoch ihre eigene Identität stabilisierten, begaben sich andere auf eine ziellose Flucht.

Rainer Langhans, Mitbegründer der Kommune I, hat diesen Zustand wie folgt beschrieben:

„Wir wollten wirklich herausfinden, was Leben ist. Die Bewegung ist nicht zusammengebrochen als utopische, sondern als sozialistische. Der Sozialismus, immer verfolgt, stellte für uns nur die Bilder bereit. Was wir wollten, war mehr. Wir haben das gedemütigte Subjekt immer draußen gesucht und hätten lernen müssen: Das gedemütigte Subjekt sind wir selber. Alles, alle Fehler haben mir weitergeholfen. Heute fühle ich mich viel radikaler als die anderen, die zu feige waren, bis zu sich selbst zu kommen. Halten Sie das für Flucht? Einfach ist es nicht. Was Fritz Teufel und Baader und Meinhof gemacht haben, ist viel eher Flucht.“

Gewalt gegen Frauen und Gewalt von Frauen

Warum spielen Frauen eine so große Rolle innerhalb des Terrorismus? Mehr als 50 % aller Straftaten auf dem Gebiet des Terrorismus gehen auf ihr Konto. Fast alle stammen, wie der bayerische Ministerpräsident Alfons Goppel verwundert feststellte, „aus gutem Hause". Aufgrund der Analyse von Lebensläufen Dutzender von Anarchistinnen kommt Gustav Naß zu dem Ergebnis, daß der junge Mensch, der noch nicht zwischen Ideal und Wirklichkeit, Wunschbild und Machbarem zu unterscheiden gelernt habe, den Zwiespalt zwischen der Welt der Ideen bzw. Ideologien und der realen Welt der etablierten Gesellschaft, ihren Herrschaftsstrukturen und ihrer Unvollkommenheit als Schock erlebe. Die Reaktion darauf sei bei einigen die Flucht in die Anarchie. Zwar bleibe stets die Entscheidungsfreiheit, die Möglichkeit, auch anders zu reagieren. Die Überwindung von Gewissen, Gesetz, Tatfolgen, familiären und gesellschaftlichen Verbindungen falle einem gefühlsmäßigen Verhalten leichter; deshalb seien Frauen als Führer der Anarcho-Szene besonders geeignet. Emanzipierte Frauen wollten den Männern an Brutalität und Kaltblütigkeit nicht nachstehen, sie eher übertreffen und damit ihr Emanzipationsdefizit in einem extremen Maße kompensieren

Nach Margarete Mitscherlich-Nielsen beweist eine solche Deutung lediglich, daß sie selbst dem gängigen Frauenbild folge — dem Vorurteil nämlich, Frauen seien emotionaler als Männer, ihre rationale Denkfähigkeit sei dementsprechend eingeschränkt. Die Folgerung, daß sie sich deshalb vernünftigen Argumenten als weniger zugänglich erwiesen, fanatisch an ihren Gefühlen und ihrer Überzeugung festhielten und brutaler und kaltblütiger als Männer sich gebärdeten, reproduziere Teile des patriarchalischen Ressentiments. Mitscherlich-Nielsen stellt demgegenüber fest, daß die Frauen unter den Terroristen mit ihrem Haß offensichtlich ihre Abhängigkeitsbedürfnisse von der Mutter im besonderen Maße abwehren müßten (ein Phänomen, das freilich auch für die Männer zuträfe). Das Spiel mit Mord und Selbstmord könne deswegen psychisch sehr wohl Ausdruck einer zutiefst ungelösten Beziehung zur Mutter sein.

„Die Familien, aus denen diese jungen Frauen stammen, sind meist dadurch geprägt, daß der Vater als Vertreter der Gesellschaft der Bestimmende ist, nach dessen Wertvorstellungen man sich richtet. Innerhalb der Familie ist er aber nicht selten ein von der Mutter verwöhntes Kind. Diese tyrannisch-infantile Seite des Vaters wird aber gleichzeitig von der Mutter verachtet. Eine solche Mutter, die einerseits alles Männliche idealisiert, andererseits innerhalb der Familie die Starke ist und den Vater infantilisiert und untergründig verachtet, stellt für das heranwachsende Mädchen ein verwirrendes Vorbild dar. Viele der Haltungen und Funktionen ihrer Mutter hat sie im Laufe der Kindheit verinnerlicht: so übernimmt sie dann auch mit der Verachtung oder doch dem Gefühl der Zweitrangig-keit der eigenen Weiblichkeit die doppelgleisige Einstellung der Mutter zum Vater, zur Welt der Männer überhaupt. Das Gefühl eines eigenen Zerstörtseins kann sich in solcher Situation leicht entwickeln und läßt eine, junge Frau begierig nach Bestätigung von außen greifen oder nach Sicherung durch eine Gruppe, die ihr Identität und neue Wertvorstellungen vermitteln kann."

Für Ilse Korte-Pucklitsch ist in keiner Schicht die Frauenverachtung so groß wie in der Oberschicht. Das dort herrschende Prinzip hochentwickelter „Sachlichkeit" bewirke, daß die Männer auch ihre Frauen wie Sachen sich zulegten und wie Sachen behandelten. Als Mann in Führungspositionen brauche man Frauen, die sich um den täglichen Kleinkram kümmerten, und man brauche Erben, um weitergeben zu können, was man erwirtschaftet hat. Außerdem möchte man in den Söhnen das eigene Werk fortgesetzt wissen. Frauen seien die Kinderproduzenten, sie gehörten zur Ausstaffierung, zu den notwendigen Accessoires. Der Dienst am Mann werde materiell entlohnt — und zwar reichlich mit Geld, Schmuck, teuren Kleidern, Pelzen, Reisen —, alles Dinge, die für die man gerne bezahle, da sie ihren Glanz noch auf den Spender würfen. Frauen hätten also — neben den häuslichen, sexuellen und reproduktiven — vor allem Prestige-Funktionen, gar nicht viel anders als die Wohnungen, die Autos, die Pferde. Nicht zu vergessen die Geliebten, die in dieser Schicht in dem Maße jünger würden wie ihre Liebhaber älter: sie hätten Virilität auszuweisen wie die Ehefrauen Solidität und Reichtum. „Das Abgleiten der großbürgerlichen Tochter in den Untergrund kann daher durch den Wunsch motiviert sein, aus ihrer Isolation — auch in ihrer eigenen Schicht, die ihr nach den universitären Erfahrungen höchst oberflächlich erscheinen muß — herauszukommen und Anschluß an eine Gruppe zu gewinnen, in der sie als Gleiche unter Gleichen akzeptiert, anerkannt, ja geliebt wird. Die terroristische Tat kann da ihre . Feuerprobe'der Bewährung sein, der Ausweis ihrer Solidarität mit den anderen. Sie kann ihr außerdem die Illusion von Lebenssinn vermitteln: sich opfern für andere."

Daß Emanzipation Angst mache, die ihrerseits in Aggressivität (Männerfeindlichkeit) umschlage, ist der Tenor eines Aufsatzes von Marina Moeller-Gambaroff:

„Das wirft nun die Frage danach auf, welche Ängste das Symptom Männerfeindlichkeit mildert und wofür es symbolischer Ersatz ist. Meiner Meinung nach handelt es sich hier um auf den Mann verschobene Ängste aus der frühen Mutter-Kind-Beziehung. Um diesen mit der Mutter zusammenhängenden, sehr bedrohlichen Ängsten zu entgehen, hat eine Verschiebung eines großen Gefühlskomplexes von der Mutter auf den Mann stattgefunden. Die im Verhältnis zum Mann erlebte Feindseligkeit und Unterdrückung ist offenbar wesentlich leichter zu ertragen als die direkte Konfrontation mit der frühen (symbiotischen, omnipotenten) Mutter. Der unbewußte Kompromiß besteht also darin, daß Feindseligkeit (bereits eine sekundäre Bildung) und Angst erhalten bleiben, aber eine andere Figur (Mann) bekämpft wird, während das wahre Zielobjekt (Mutter) unerkannt bleibt."

Die Frau, die in der bürgerlichen Welt als „schönes Eigentum" empfunden und dementsprechend behandelt wird, erfährt in der Konsum-und Plakatwelt eine warenästhetische Vermarktung, die es ihr gleichermaßen schwer macht, ein eigenes Selbst zu entwikkeln. Der emanzipatorische Versuch, sich der Entfremdung zu entziehen, fand zwar in der linken Bewegung eine wortreiche ideologische Abstützung; doch haben gerade die „Verkehrsformen" innerhalb der Protestgeneration gezeigt, daß auch dort die Ebenbürtigkeit der Frau keineswegs akzeptiert wurde. Anpassung war nach wie vor die Parole! Mindert doch die wirklich emanzipierte Frau das Selbstgefühl des Mannes, der in der partnerschaftlichen Beziehung seine erotische wie sexuelle Vorherrschaft verliert. „Geduld, so hat man uns gelehrt, sei eine der hervorstechendsten Eigenschaften der Frau. Wir sind nicht auf Erfolg programmiert. Das Achselzucken für unser Bemühen um selbständiges Handeln, das Lächeln aus Unverständnis, die unqualifizierten Angriffe, wenn es darum geht, verlogenes männliches Selbstbewußtsein zu erhalten, die kleinen subtilen Bestrafungsaktionen durch Unzuverlässigkeit und Kälte, selbst das erpresserische Androhen des Freundes, verlassen oder eingetauscht zu werden gegen eine andere — das alles darf uns nicht mehr schrecken. Und auch auf die sanften Liberalen, die so tun, als stünden sie auf unserer Seite, fallen wir nicht mehr herein. Die Konsequenz für uns kann nur sein: . Männliche'Vorstellungen mißachten und unseren eigenen Weg gehen. Auch den in die Kneipen."

Vielfach wendet sich die feministische Bewegung gegen das gesellschaftlich oktroyierte Bild von der Frau als ein auf unterwerfende Liebe und dienende Mütterlichkeit abgerichtetes Wesen. Im Gegensatz zur „Männerspra-ehe" ist die „Frauensprache" (was sich zum Beispiel sehr gut an den Trivialmythen des Films aufzeigen läßt) auf die Daseinsverschönerung des Mannes gerichtet. Diese ist aktiv, erobernd, gestaltend, gibt den Ton an, ist mit einem Worte „männlich"; jene wird zur kosmetischen Künstlichkeit hochstilisiert. Die Frau, die sich nicht mehr domestizieren lassen will, dreht den Spieß um: „Frauen sind da authentisch, wo sie zerstören" (Helke Sanders)

Die im Phänomen der „Angstlust" zutage tretende Mischung von Sadismus, Masochismus, Frustration und Frustrationsaggressivität verweist auf eine Stimmungslage, die grundsätzlich bei unterdrückten Persönlichkeitsstrukturen anzutreffen ist. Wenn Frauen Minderwertigkeitsgefühle zu kompensieren versuchen, dann kann dies heißen, daß sie dies mit der Waffe, dem klassischen Symbol der Männlichkeit, tun. Sie produzieren sich dann, meint der Soziologe Scheuch, als weibliche Supermänner. „Die Knarre im Kosmetikkoffer — derlei markiere mithin den endgültigen . Bruch mit der abgelehnten Weiblichkeit'(Scheuch). Tatsächlich war etwa für die RAF-Ideologin Ulrike Meinhof eines der bekämpfenswerten Prinzipien in der westlichen Gesellschaft die . Spaltung des Volkes in Männer und Frauen'. Und romantisches Amazonen-Verständnis von der Waffengleichheit der Geschlechter im Untergrund bezeugt auch Beate Sturm, das einstige BM-Mädchen: . Eines fand ich damals Klasse — daß man als Frau wirklich emanzipiert war, daß man manche Sache einfach besser konnte als die Männer. Wir haben uns einfach stärker gefühlt.'

Welche Frauen (aber auch Männer) besonders häufig in den Anziehungsbereich der Anar-chos geraten, haben Wissenschaftler präzise ermittelt: Neun von zehn Guerilla-Führern, fand der US-Politologe Richard Clutterbuck heraus, haben eine überdurchschnittliche Ausbildung absolvieren dürfen; sie stammen aus Familien, die zumindest über Mittelklasse-Einkommen verfügen. Viele empfanden, so Clutterbuck, Schuldgefühle wegen ihres Wohlstands und ihrer Privilegien, die sie ohne eigenes Zutun erworben hatten.

Die Lebensläufe der meisten westdeutschen Terroristinnen stützen die Clutterbucksche Aussage: überrepräsentiert sind Frauen, deren Väter Manager sind (etwa Ingrid Schubert), Rechtsanwalt (Susanne Albrecht), Offizier (Margrit Schiller), Architekt (Astrid Proll) oder Kaufmann (Hanna Krabbe).

Viele dieser Frauen nahmen während ihrer Studienzeit Kontakt zur Szene auf. , Wenn man', sinniert Beate Sturm, , mit 14 Jahren schon in der Fabrik steht und selber genug damit beschäftigt ist, sich seiner Haut zu wehren, dann ist es gar nicht so leicht, noch für andere einzutreten.'Als Studentin indes rutsche man leichter , in so etwas hinein'.“

Die rechten und die linken Voyeure

So wie es eine rechte und eine linke Schickeria gibt, gibt es auch einen rechten und linken Voyeurismus. Auf der einen Seite (etwa im „Bayernkurier") muß das Problem der gewalttätigen Frau dazu herhalten, Emanzipation schlechthin zu denunzieren. Die Tatsache, daß diejenigen, die aus dem patriarchalischen Milieu auszubrechen suchen, nicht werden wollen wie ihre Mütter, wird als moralische Deformation hingestellt; es wird so getan, als ob die Welt in Ordnung sei bzw. in Ordnung gebracht werde, wenn man zu den konservativen Leitbildern von Familie und Gesellschaft zurückkehre. Daß die bürgerliche Moral nur deshalb funktionieren konnte, weil Sie stets die Doppelmoral (die Prostitution, den Seitensprung, das Verhältnis) bzw. die . Ventilsitte'(etwa die Pornographie) zuließ, wird verdrängt; dies ist nicht verwunderlich, denn die Verschweigungstaktik, welche die Sekundärtugenden als die eigentlichen Werte ausgibt, gehört zum Kern des affirmativen Moralsystems. So kann man sich mit Aggressivität an der Verurteilung der gerade auch im sexuellen Bereich sich vollziehenden Emanzipation aufgeilen und zugleich seine Voyeur-interessen dabei befriedigen.

Auf der linken Seite hat sich gleichermaßen ein ausgeprägter Voyeurismus entwickelt. Ein Teil der linken Zeitungen und Zeitschriften (exemplarisch dafür „Das da"!) spekuliert auf die Mischung von Politik und Sexualität. Das Mißlingen oder Gelingen des Orgasmus wird in einen politischen Begründungszusammenhang gestellt, was grundsätzlich zwar nicht falsch ist (denn eine Gesellschaft, die repressive Tabus und Normen über das Erziehungssystem zu oktroyieren sucht, will die „natürliche" Entfaltung des Menschen verhindern), aber hier auf vordergründigen sexuellen Reiz ausgerichtet ist. So wie um die Jahrhundertwende hysterische Bürgertöchter ihre Obsessionen auf der Couch des Psychoanalytikers offenbarten, versammeln heute vielfach die linken Redaktionen „wahre Geschichten" über Emanzipationsneurosen in ihren Spalten. Die voyeuristische Ausbeutung des individuellen Seelenlebens gelingt deshalb so gut, weil das kollektive Psychogramm der gegenwärtigen Jugend durch ein besonderes Maß an Ich-Schwäche charakterisiert ist. Da diese Jugend, und dies trifft für den männlichen wie für den weiblichen Teil zu, in ihrem weitaus überwiegenden Teil keine Erfahrungen von objektiver Not und Entbehrung bzw. Gefährdung hat machen müssen, hat sie eine besondere Sensibilität dem eigenen Ich gegenüber ausbilden können. Abgesehen davon, daß der Narzißmus, anthropologisch gesprochen, grundsätzlich zur jugendlichen Durchgangsphase gehört, also vor allem die Pubertät kennzeichnet, wird dieser pubertäre Zustand durch pseudolinke Ideologie derart „stabilisiert" und verlängert, daß er ins Patheologische umkippt. Während das waren-ästhetische „Frischwärts“ Jugend als gesellschaftliches Daueridyll zu etablieren versucht, wobei die Auflehnung gegen die Konsumwelt von der Jugend häufig nur verbal vorgenommen wird (Kassandrarufe aus der linken Boutique!), gründet die Angst vor dem Erwachsensein oder -werden in der Schwierigkeit, sich in einer vielfach undurchschaubaren komplexen wie komplizierten Welt zurechtfinden zu müssen. Die jugendliche „in-group" wird zum Nest, in das man sich verkriecht mit der Illusion, einen solchen „Ort" der Unverbindlichkeit auf ungewisse Zeit hinaus „besetzen" zu können. Welche Gründe auch im einzelnen maßgebend sind: die jugendliche Seelenkultur — als Subkultur sich manifestierend — fördert jene erwähnte Sensibilität sich selbst gegenüber, wobei denn das Narzißhafte ins Egozentrische und Egoistische umschlägt. Zur Kaschierung umgibt sich das „entblößte“ Ich gerne mit einem Streukranz von gesellschaftskritischen Ideolo-gemen, die ein Alibi für das konkrete soziale Versagen abgeben sollen. Jedes Schwärmer-tum, vor allem auch das der neuen Radikalität, ist mit einer extremen Empfindsamkeit und Empfindlichkeit verknüpft. Wenn verletzte Seelen in introspektiver Abkapselung ihre Verletzung zu ernst nehmen und das Bedürfnis haben, ständig von diesem ihrem verletzlichen oder verletzten Ich zu reden, entwickelt sich ein säkularisierter Neopietismus: larmoyant und — der Realität gegenüber — ahnungslos. Schon auf dem Höhepunkt des Pro-tests wurde vielfach die Not in Vietnam nicht so wichtig genommen wie das Problem der eigenen Liebesbeziehungen (nach dem Motto: „Was geht mich Vietnam an, wenn ich frigide bin"). Immer mehr wird linke Obszönität — wobei unter Obszönität die offene und damit wirklich befreiende Ansprache der triebdynamischen Natur des Menschen verstanden sei — ersetzt durch linke Pornographie, die sich auch in ihrer Sprache als nicht mehr wirklich emanzipatorisch erweist, das heißt das Tabuisierte nicht mehr offenlegt, sondern auf „Schlüpfrigkeit" zielt. Die bourgeoise „Ventilsitte" wird damit lediglich als linke „love-story" verkleidet

Feminismus und Marxismus

„Es gibt", schreibt Carla Lonzi („Die Lust, Frau zu sein") „eine Einheitsfront der linken und rechten Phallokraten gegen das Weib und die Jugend. Deshalb müssen auch wir eine Einheitsfront schmieden, um beide aus den Angeln zu heben." In Abwehr des gleichermaßen patriarchalisch fundierten Marxismus versucht eine Teilströmung des Feminismus aus einseitig „linker" Verflechtung sich zu lösen und zu einer eigenen Kraft zu werden. Günter Bartsch spricht in seinem Beitrag „Feminismus kontra Marxismus" — bei aller Würdigung der Tatsache, daß die Linke eine teilweise feministische Tradition habe — von* der tiefen Kluft zwischen Feminismus und Marxismus. So sei für den Marxismus das Privateigentum an Produktionsmitteln die tiefste Wurzel der Ausbeutung und Unterdrückung, für den Feminismus jedoch die Hierarchie und Arbeitsteilung der Geschlechter, wie sie schon vor Jahrtausenden eingeführt wurde. Der Marxismus sei eine kollektivistische Ideologie,'welche vom Primat der gesellschaftlichen Interessen über das Individuum ausgehe und dessen persönliche Bedürfnisse meist als egoistisch betrachte. Demgegenüber habe der Feminismus einen personalistischen Grundzug; er wünsche zunächst die Identitätsfindung der Frau und des weiblichen Geschlechts. So folge er dem heutigen Menschheitsgesetz der Individuation, das die Massen der kollektivistischen Systeme zerrei-ße. Marxismus und Feminismus gehörten zwei verschiedenen Epochen an, die in der Gegenwart miteinander in Konflikt geraten seien. „Die kulturelle Bedeutung des Feminismus bestehe darin, daß er neuen gesellschaftlichen Nährboden zu schaffen sucht und die weiblichen Fähigkeiten sowohl auf die Waagschale der Zeitgeschichte als auch der menschlichen Evolution legt. Diese Aufgaben kann der neue Feminismus eigentlich nur lösen, wenn er eine eigenständige Bewegung bleibt, statt wie die frühere Frauenbewegung in sozialistischen Parteien oder pazifistischen Organisationen aufzugehen, die geschlechtsgemischt waren.

Meines Erachtens wird er schon jetzt eher von seinen kulturellen Motivationen als von seinen politischen Ursprüngen und linken Impulsen bestimmt. Der Feminismus artikuliert das wachsende Selbstbewußtsein eines ganzen Geschlechts. Er bereitet aber auch eine Partnerschaft vor, die allerdings erst dann möglich sein wird, wenn sich Frauen und Männer jenseits aller patriarchalischen Schöpfungslegenden als gleichwertig anerkennen. Vom zeithistorischen Standpunkt aus betrachtet gehört der neue Feminismus zum Nach-marxismus, einer Phase, wo die marxistisch orientierten Systeme von der Geschichte überrollt werden, weil ihre kollektivistische Struktur dem menschlichen und nun vor allem weiblichen Bedürfnis nach Individuation widerspricht. Seine radikale Subjektivität ist jedoch auch Ausdruck einer Achsenverlagerung vom Männlichen zum Weiblichen, die sich auf allen Gebieten ankündigt. Das spricht für seine Einbettung in Zusammenhänge, die ihm — gerade gegenüber dem Marxismus — eine unwiderstehliche Kraft geben könnten, selbst wenn seine jetzigen Formen manchmal abschreckend wirken.

Die feministische Bewegung ist nur ein Akzent der großen Achsenverlagerung, die sich in allen politischen Ordnungen und in jedem einzelnen Menschen vollzieht."

Hitler’s children?

Die neue Linke in Italien verglich die Parteiführung der KPI mit den Faschisten; in einem Augenblick, in dem die KP aufgrund ihres disziplinierten Sozialismus auf dem höchsten Punkt ihrer ganzen Geschichte angekommen und zur Mitverantwortung in der Führung des Landes bereitstehe, versuche ein egozentrischer Anarchismus, dessen „rote Brigaden" der nationalen Rechten in die Hand arbeiteten, das demokratische Staatswesen zu zerstören. Von einem ähnlichen Denkansatz her verglich Jillian Becker die deutschen Terroristen mit den Nationalsozialisten: sie seien „Hitler's children". Die kriminell gewordenen westdeutschen Anarcho-Versprengten würden mit dem gleichen Verdacht belegt, unter den diese die westdeutsche Gesellschaft zu stellen suchten: nämlich faschistisch zu sein. „Zwei im Buche pointiert wiedergegebene Szenen erläutern dies: als eine der jüdischen Geiseln des Entebbe-Unternehmens von einem der deutschen Terroristen in deutscher Sprache . schnell'angefahren wurde, ein Wort, das angelsächsischen Lesern aus jedem angloamerikanischen Nazi-Film bekannt ist, da zeigte ihm der Bedrängte seine KZ-Brand-nummer am Arm. Der deutsche Terrorist, es war Böse, erklärte seinem jüdischen Gefangenen daraufhin, er sei ein Mitglied der Baader-Meinhof-Gruppe, die nichts mit den Nazis zu tun habe, sondern im Gegenteil die marxistische Weltrevolution wolle.

Als Gudrun Ensslin bei einer Kundgebung des Berliner SDS nach der Erschießung von Benno Ohnesorg ihre damaligen Genossen zu direkten, nicht näher erklärten Aktionen überreden wollte, schrie sie: , Das ist die Generation von Auschwitz, die wir gegen uns haben. Ihr könnt nicht mit Leuten reden, die Auschwitz gemacht haben.'

Verkürzt ausgedrückt, sollen diese beiden im Buche wiedergegebenen Szenen folgendes erläutern: Die emotionelle Reaktion gegen Auschwitz führt, wird sie neurotisch — und das ist sie offenbar bei Kindern der . Auschwitz-Generation'—, zum gleichen Ende.

Abgesehen von verschiedenen Analogien, die hier zwischen der kriminellen Energie der Baader-Meinhof-Leute und der Nazi-Ideologie gezogen werden, wird zum wichtigsten Argument des Buches der geistig-kulturelle Hintergrund, der Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin geprägt hat. In einem Gespräch hat Jürgen Krahl, der neben Rudi Dutschke einflußreichste SDS-Redner der späten sechziger Jahre, kurz vor seinem tödlichen Unfall einmal geäußert, daß eine Reihe von Leuten der Neuen Linken aus reaktionären, dumpf irrationalen oder nationalsozialistischen Elternhäusern stammten. Erst dieser Hintergrund habe ihnen die Augen geöffnet für die verkappt noch immer wirkenden faschistischen Elemente dieser Gesellschaft."

Von den sechs Denkfehlern des Terrorismus in der Bundesrepublik spricht Iring Fetscher in einem Aufsatz, der in der „Frankfurter Rundschau" erschien und dann erweitert zum Kernstück eines Buches („Terrorismus und Reaktion") wurde.

Da sind:

1. Der Irrtum, durch Terror werde die Bevölkerung für eine gewaltsame Revolution gewonnen; 2.der Irrtum, man könne ein „System" durch die Tötung von Menschen vermenschlichen; 3.der Irrtum, der Terrorismus in der Bundesrepublik könne den Befreiungskampf der kolonialen Völker unterstützen; er habe etwas mit „antifaschistischem Widerstand" zu tun;

4. die Mißachtung der Lehren der Geschichte der Arbeiterbewegung;

5. das Mißverständnis der eigenen theoretischen Haltung; abstrakter Idealismus und un-dialektischer Materialismus der Terroristen; 6. die Verletzung der für jeden politisch Handelnden geltenden Regeln der Verantwortungsethik und die irrelevante Berufung auf die „reine Gesinnung" oder die „beste Absicht". In diesen Thesen ist auf eine besonders präzise Weise auch zusammengefaßt, was an sozialpathologischen Einzelerkenntnissen zum Phänomen des Terrorismus vorliegt. Fetscher stellt fest, daß die Terroristen in ihrer moralischen Selbstgerechtigkeit vielfach den sentimentalen Kleinbürgern, den sie doch einen erbitterten Kampf angesagt hätten, ähnelten. Den Psychoanalytiker würde es nicht wundern, wenn in diesem Haß auf den Spießer ein total nach außen projizierter Selbsthaß steckte. In seiner Auseinandersetzung mit Max Stirner hat Karl Marx eine ähnliche, wenn auch nur zur verbalen Abreaktion neigende Haltung treffend charakterisiert: „Die Einheit von Sentimentalität und Renommage", schreibt er in der „Deutschen Ideologie", „ist die Empörung. In ihrer Richtung nach Außen, gegen Andere, ist sie Renommage; in ihrer Richtung nach Innen, als Knurren-in-sich, ist sie Sentimentalität. Sie ist der spezifische Ausdruck des ohnmächtigen Widerwillens des Philisters."

„Schon Max Weber wies auf die Nähe der gesinnungsethischen Revolutionäre seiner Zeit zu religiösen Sektierern und Fanatikern hin. Wie jene berufen sich auch die bundesdeut25) sehen Terroristen auf eine Sendung, die sie nicht demokratisch legitimieren können, sondern die man . glauben'muß. Zwar sprechen sie nicht von einem . Auftrag Gottes'oder von Befehlen, , die ihnen Gott gegeben hätte', aber , das Volk'oder , die Arbeiterklasse', auf die sie sich berufen, sind ebenso unsichtbar wie Gott und haben mit den realen arbeitenden Menschen in unserer Gesellschaft nur wenig zu tun. Vielleicht sollte man daher korrekterweise von einer (nur von ihnen richtig erkannten und gedeuteten) . Volksseele'oder . Seele der Arbeiterklasse'reden. Damit wären wir denn im Reich der politischen Romantik gelandet, das hier allerdings kaum als idyllisch bezeichnet werden kann."

Was die Reaktionen der bundesdeutschen Öffentlichkeit auf den Terrorismus beträfe, so könne von einer realen Gefährdung oder Erschütterung der Fundamente der Bundesrepublik keine Rede sein. Nicht nur im Vergleich mit der Lage während der Endphase der Weimarer Republik sei dieser Staat ganz erstaunlich stabil. Es gebe keine antidemokratischen Massenparteien und — trotz Arbeitslosigkeit — kein Massenelend. Die einzige reale Gefahr liege in der hysterischen Reaktion und in der heimlichen Absicht einiger reaktionärer Politiker, den Terrorismus als Mittel zur Generalabrechnung mit dem sozialdemokratischen und liberalen Reformkurs zu nützen und einen autoritären Staat heraufzuführen. Unsere Gesellschaft sei reformbedürftig und einstweilen auch noch einigermaßen reform-fähig. Neue große Probleme kämen auf sie zu: der Übergang in eine Epoche langsameren Wirtschaftswachstums; die Überwindung von struktureller Arbeitslosigkeit; die Lösung des Energieproblems unter Berücksichtigung sowohl der gegenwärtigen als auch der Interessen künftiger Generationen; der effektive Abbau der ungeheueren Diskrepanz in den Verhältnissen zwischen den Metropolen und den Ländern der Dritten Welt. „All diese Probleme können nur von einer energisch zupackenden Reformpolitik mit einigem Erfolg angegangen werden. Die Rückkehr zum Staat der Adenauer-Ära ist eine faktische Unmöglichkeit, Nostalgie nach der . guten alten Zeit'ein tödliches Rezept. Der Vorschlag, durch Unterdrückung von Sozial-kritik die Probleme der Gesellschaft aus der Welt zu schaffen, unterstellt, daß jene ohne ihre Diagnose nicht existieren. Terroristische Utopisten und reaktionäre Anwälte der idealisierten Vergangenheit arbeiten, ohne es zu wollen, Hand in Hand. Beide verhindern die offene, kritische Analyse und die realistische Inangriffnahme von Reformen. Die einen, weil sie deren Notwendigkeit leugnen, die anderen, weil sie glauben, daß nur , das ganz andere', die . totale Revolution'helfen kann. Die einen wollen alle Konflikte in unserer Gesellschaft zugedeckt haben und meinen, dann würden sie von alleine verschwinden, die anderen halten die Gesellschaft für unreformierbar und lehnen Reformen prinzipiell als . reformistisch" ab. „Je schlimmer desto besser", scheint ihre Parole zu sein. Sie setzen daher auch ihre Hoffnung auf die entschlossenen Reaktionäre. . Jedesmal, wenn man — in der Bundesrepublik — von einer vermeintlichen Kriegslage (oder vom . Bürgerkrieg") spricht, verwirklichen sich die Ziele von Andreas Baader, jedenfalls zum Teil" (Alfred Grosser). Die reaktionäre Losung, , wir sind im Kriegszustand", soll offenbar die Erneuerung der Volksgemeinschaftsideologie ermöglichen, durch sie könnte der gesamten Bevölkerung die Pflicht zum Verzicht auf Interessenkämpfe abgefordert werden; ein Verzicht, von dem freilich nur die eine Seite profitieren, während die andere darunter leiden würde. Die Aussonderung von Sündenböcken und die Hexenjagd auf Sympathisanten ist ein weiteres probates Mittel, um diesen Zweck zu erreichen."

Aus welchen Bedingungen entsteht Terrorismus? Für Gerhard Schmidtchen sind drei Bereiche der „Desorganisation" besonders auffällig. Zunächst die Verwilderung im religiösen Bereich. Mit dem Machtverlust der Kirchen sei ein Moment der Rationalität in der Behandlung des Religiösen verschwunden. Ein wesentlicher Aspekt dieser Rationalität des Religiösen bestünde in der Abwehr menschenfeindlicher Entwicklungen. Die große Zeit der destruktiven Sekten bräche an, die zum Schrecken der Eltern Heranwachsender werden.

Der zweite Bereich sei charakterisiert durch den Zerfall der gesellschaftlichen Moral. Man verzeichne nicht nur eine steigende Rate der Kriminalität, sondern auch eine Desorganisation der Alltagsmoral. Jemanden übers Ohr zu hauen sei schick; Moralität werde mehr und mehr als eine Form von Dummheit empfunden. Viele Menschen seien aggressiv bereit, anderen wegen kleiner Vorteile große Nachteile zuzufügen. Moralische Handlungskriterien würden weitgehend durch Effektivitätskriterien ersetzt. Die Verstärkungssysteme für ethisch wertvolles Verhalten schwächten sich ab. Unsere Erziehungssysteme scheinen unfähig, die Internalisierung von moralischen Normen zu erreichen.

Der dritte Bereich beträfe die Desorganisation der Persönlichkeitssysteme: „Zur handlungsfähigen und gesunden Persönlichkeit gehört ein ausreichendes Niveau von realistischer Selbstachtung. Kriterien für die Selbstbewertung dürfen nicht nur in der Gruppe gesucht werden, sondern darüber hinaus in den übergeordneten gesellschaftlichen Systemen. So ist es leichter, zu bestehen und das Gleichgewicht aufrechtzuerhalten, wenn man in einem Lebensbereich einmal negative Erfahrungen macht. Das gesamte Selbstbewertungsprofil kann dann trotzdem positiv bleiben.

Millionen Menschen ist es verwehrt, ein positives Selbstwertgefühl aufrechtzuerhalten. Depressive Störungen beziffern Psychiater auf ungefähr ein Drittel der Bevölkerung und auf 50 Prozent der jungen Leute an den Hochschulen. Mängel in der Selbstrealisierung manifestieren sich in Alkoholismus, Medikamentenmißbrauch, Tabakwarenkonsum, Gebrauch psychoaktiver Substanzen, in unsinniger Nahrungsmittelaufnahme. Erregend hoch sind die Zahlen für Alkoholismus und Drogenabhängigkeit unter Jugendlichen. Die Armut an Optionen des Engagements ist der entscheidende Faktor."

Für Ernst Topitsch haben die jüngsten terroristischen Ereignisse bestätigt, was Bertrand de Jouvenel breits seinerzeit feststellte:

„, Der Trick, die Verhaltensweisen des Gangsters mit den sittlichen Vorteilen des Märtyrers zu verbinden, ist das ganze 20. Jahrhundert hindurch entwickelt worden." Ihren makabren, nicht einmal von Jouvenel vorhergesehenen Höhepunkt hat diese Strategie darin erreicht, daß die Gangster ihren eigenen Selbstmord als ein von der Hand . faschistischer Schergen" erlittenes Martyrium zu dramatisieren versuchten. War hier selbst noch der Tod zur bewußten Propagandalüge geworden oder waren diese Leute so in ihre Hirngespinste verrannt, daß sie ihr Verhalten irgendwie als gerechtfertigt empfanden?

Dies hat nochmals gezeigt, wie hoffnungslos jeder Versuch ist, Terroristen durch rationale Diskussion zu beeindrucken oder gar zu überzeugen. Die so viel beredete . politische Auseinandersetzung" ist hier einfach sinnlos. Um so wichtiger ist eine solche Auseinandersetzung mit jenen Kräften, die gewissermaßen den anderen Arm der Zange bilden, nämlich den intellektuellen oder pseudointellektuellen Gruppen, welche durch ihre publizistische Tätigkeit den Gangstern die Gloriole von Märtyrern verschaffen. Gewiß sind diese Leute angesichts der Erbitterung der Öffentlichkeit im Augenblick ein wenig kleinlaut geworden und distanzieren sich geflissentlich von den Verbrechen, doch bleibt offen, ob es sich um einen echten Gesinnungswandel oder bloß um ein taktisches Manöver handelt."

Vom politischen Glaubensschwund

In der Diskussion über dem Terrorismus wird immer wieder die Frage gestellt, ob der demokratische Staat, wie er sich seit der „Stunde Null" in den letzten dreißig Jahren entwickelt hat, derart regenerierungsfähig sei, daß er die anarchistische Gefährdung „aufzufangen" vermöge. Die Stimmen aus dem konservativen Lager verneinen dies vielfach, wobei hinter ihrer Demokratie-Kritik das Leitbild einer regressiven Staatsphilosophie steht, die auf Reformabstinenz oder Reformablehnung eingeschworen ist. „Keine Experimente!" überwölbt als Motto die konservative Ideologie, die völlig verkennt, daß in einer Industriegesellschaft gerade das Experiment einen stabilisierenden Faktor darstellt, weil es immer ein Stück Zukunft konkret aufklärt und dadurch die Angst vor künftigen Entwicklungen mildert bzw. bewältigen hilft. Woher stammt denn die Feindschaft und der Haß gegen die „offene Gesellschaft"? Warum ist diese so schwer zu verwirklichen? Für Christian Graf von Krockow zeigen nicht nur die Terroristen, daß es immer neue Feinde der offenen Gesellschaft gibt; auch der Haß, der sie zerstören möchte, sei Ausdruck solcher Unmündigkeit. Die offene Gesellschaft weise jeden natürlichen Herrschaftsanspruch einer Elite ab; sie wirke im materiellen wie ideellen Bereich monopolzersetzend. Am stärksten würden Feindschaft und Haß gegen die offene Gesellschaft durch die Angst, Privilegien einzubüßen, hervorgerufen. Als Beispiel: Das Bemühen, Chancengleichheit im Bildungswesen durch die Einführung der Gesamtschule herzustellen (in anderen, auch in westlichen Ländern längst eine Selbstverständlichkeit), führte bei uns zu gerade hysterischen Reaktionen.

Für Helmut Schelsky ist die Bundesrepublik ein Staat geworden, „an den niemand glaubt". Er sieht die Grundsatzschwächen der Bundesrepublik in vier zusammenhängenden Erscheinungen: — im Fehlen des politischen Glaubens an das Gemeinwesen, insbesondere in der jüngeren Generation;

— im Verfall der öffentlich bedeutsamen Moral;

— in der Unklarheit des Zielbildes einer menschlichen Existenzform für alle;

— in der daraus stammenden Unfähigkeit der Regierungsform, ordnungspolitisch Mechanismen und Institutionen der sozialen Selbstre-gulierung zu schaffen oder aufrechtzuhalten

Das Fundament eines organisierten Gemeinwesens sei der Glaube an ein Leitbild, eine Leitidee an Ideale der menschlichen und sozialen Existenz. Diesen könne man mit Vernunft allein nicht schaffen. Die Rationalität, also etwa das Verhältnis der Mittel zum Zweck, erhalte erst durch die Gläubigkeit ihre Argumentationsebene. Die offizielle Politik der Bundesrepublik habe jedoch in allen ihren Institutionen das Primat der Glaubens-grundlage eines Gemeinwesens längst aufgegeben. „Glaubt man wirklich, daß nach dieser ideellen Demontage der Bundesrepublik in einer ernsthaften Krise des politischen Glaubenskampfes in der Welt, in einer bedrohlichen außen-oder innenpolitischen Sicherheitskrise die dafür entscheidenden Jahrgänge unserer Staatsbürger noch zu gewichtigen staatsbürgerlichen Opfern oder gar zum Einsatz ihres Lebens bereit wären? Die Erwartung, für die täglich dokumentierte Halbdenkerschaft unserer Parlamentarier, für die soziale Marktwirtschaft oder für die prozessualen Verfahren des Rechtsstaates zu sterben, wäre ähnlich absurd, wie es einmal das französische , mou-rir pour Danzig'war.

Mit diesem politischen Glaubensschwund hängt es zusammen, daß die Menschen-und Freiheitsrechte bei uns immer mehr den Charakter der Forderung an andere annehmen und den einer Forderung an sich selbst verlieren."

Schelsky spricht von einer „programmierten Anarchie"; man wage den Jüngeren erst gar nicht mehr zu sagen, daß, wer für den Schutz der Menschenwürde eintrete, sie erst selbst einmal erwerben und bewahren müsse; heute beschimpften politische und literarische Sprecher der Linken ganze Berufsgruppen, wie die Unternehmer, als Raubtiere und Wölfe; da solle man sich dann nicht wundern, wenn junge Radikale diese verbalen Unmenschlichkeiten bis zur Liquidierung ernst nähmen. Politische Grundwerte ohne Selbstverpflichtung seien eine Utopie; die Politiker täten ihr ihriges, die politische Mo-rallosigkeit zu fördern. Es dominiere die Wahllüge, die persönliche Korruption im Interesse der Partei. Man könne generell von einer entarteten Moral in der Bundesrepublik sprechen, überall dort, wo an die Stelle der Eigenverantwortung konkreter Personen* institutionell die Herrschaft anonymer, oft von Minderheiten beherrschter Meinungsgebender trete, verfalle auch die Berufs-moral. Die ganze Bewegung der Demokratisierung sei, soweit sie diese Folgen gewollt oder als Nebenfolgen nicht gesehen habe, eine tief antimoralische Bewegung, schreibt Schelsky.

Die von Schelsky vorgetragene Kritik an der Demokratie wird von einem idealtypischen Standpunkt aus vorgetragen; sie hinterläßt freilich den Eindruck, daß sie sich nicht nur gegen die Schwächen der Demokratie, sondern gegen diese selbst richtet. Angesichts der Entwicklung, welche die deutsche Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert genommen hat, im besonderen, wenn man die Weimarer Republik mit der Bundesrepublik vergleicht, ist jedoch Optimismus durchaus angebracht. Allein die Tatsache, daß es gelungen ist, die moralische und geistige Korruption des Nationalsozialismus weitgehend zu überwinden und die demokratische wie humane Substanz zu festigen, steht dem von Schelsky artikulierten Kulturpessimismus entgegen. Da jedoch die jüngere Generation den Aufbau der Bundesrepublik nicht mit erfahren hat und die politische Bildung offensichtlich wenig erfolgreich war, die „Aneignung“ von Demokratie durch Tun zu ermöglichen, ist die heute in zunehmendem Maße anzutreffende Staatsverdrossenheit besorgniserregend. Ludwig Kaiser nannte sie in seiner Rede zum Jubiläum der Evangelischen Akademie Loccum das am meisten beunruhigende Problem unserer Demokratie heute: „Es ist die Erfahrung, daß dieser, unser Staat und die ihn tragenden Prinzipien und Institutionen von vielen, vor allem jungen Menschen nicht nur kritisiert, sondern in Bausch und Bogen abgelehnt werden. Es handelt sich offenbar um einen Vorgang der Entfremdung, dessen Verständnis und Bewertung daran hängt, daß man verschiedene Stufen der Intensität klar unterscheidet. Der Unmut, der sich in Bürgerinitiativen äußert, betrifft ein- Sachfragen und reibt sich am organisatorischen Gefüge der Demokratie, stellt aber den Konsens über die Grundwerte, der ihre Grundlage bildet, nicht in Frage. Dieser Konsens verträgt sich auch noch mit einem tiefer-gehenden Dissens über Erhaltung oder Reform der bestehenden Wirtschafts-und Gesellschaftsordnung. Ich erinnere dazu noch einmal an die Antinomien im Normenbestand unseres Grundgesetzes und den hiernach gegebenen Spielraum für politische Entscheidungen. Kritik an der geltenden Ordnung, auch radikale sozialistische Kritik, braucht also den Konsens nicht zu sprengen, vorausgesetzt, daß sie ohne den Anspruch auftritt, im Besitz der absoluten Wahrheit zu sein, sich also nach den Spielregeln der Demokratie einer offenen Auseinandersetzung stellt, damit auch zur Kenntnis nimmt, was Staat und Wirtschaft heute an sozialen Leistungen erbringen und was die wirtschaftlichen Grundlagen unseres Wohlstandes sind, und vorausgesetzt schließlich, daß sie auf einen freiheitlichen Sozialismus zielt, den zu verwirklichen bisher noch nirgends gelungen ist.

Anders steht es dagegen da, wo die Kritik in eine Haltung des Protestes und der Verweigerung übergeht, wo marxistische Doktrin zum unbezweifelbaren Dogma erhoben und die aggressiven Parolen des Klassenkampfes und der revolutionären Systemveränderung verkündet werden. Hier ist der Konsens über die Grundwerte aufgekündigt, die freiheitliche Demokratie in ihrem Fundament in Frage gestellt und der Rechtsstaat nur als Waffe gegen die Verteidiger der Demokratie mißbraucht. Seit den 60er Jahren ist deutlich geworden, daß sich ein beträchtlicher Teil der jungen Intellektuellen bürgerlicher Herkunft auf diesen Weg der grundsätzlichen Ablehnung hat verlocken lassen. Im Vordergrund unserer Sorge steht heute die Haltung der zahlenmäßig kleinen Gruppe junger Menschen, die den Verzweiflungsschritt von der Ablehnung zum brutalen, verbrecherischen Terrorismus vollzogen haben oder zu vollziehen bereit sind, einen Schritt, der nur in Selbstzerstörung und politischer Anarchie enden kann."

Die Generation der überflüssigen

Das Verhalten des jungen Menschen in der Gesellschaft wird zentral von der Frage bestimmt: Was wird aus mir? Was sind meine Chancen? Das immer mehr das eigene Risiko meidende, im Staat eine Zuteilungsinstitution für Sozialchancen sehende Sekuritätsdenken der Erwachsenen übt selbstverständlich einen maßgebenden Einfluß auf die Jugend aus, die an sich, von ihrem anthropologischen Zustand her betrachtet, viel mehr zu „sorgloser Gezelne genwärtigkeit" neigt. Die engmaschigen Informations-und Kommunikationssysteme machen es zudem schwierig, gelöst von der „veröffentlichten Meinung" einen anderen Standpunkt zu beziehen; es dominiert der außengeleitete Typ, der jeweils das reproduziert, was als augenblickliche Wahrheit ver33) kündet wird. Die neueste Meinungsmode oktroyiert als „gegebene“ Bewußtseinslage Angst (Angst vor der Leistung, der Repression, der Zukunft etc.). So berechtigt Sorge und Fürsorge sind, so gefährlich ist auch der allenthalben vermarktete Pessimismus, die tägliche Lamentatio vieler Intellektueller, die auf diese Weise die an sich schon schwierige Situation der Jugend zusätzlich eindunkeln.

Fest steht freilich, daß der Optimismus der 60er Jahre, da die junge Generation ihre Lebensdisposition souverän treffen konnte, ohne den Widerspruch zwischen Erwartung und Verwirklichung erleiden zu müssen, nicht mehr berechtigt ist. Das Phänomen jugendlicher Arbeitslosigkeit verbreitet ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit, wobei die qualititative Seite oft gar nicht durch die quantitativen Daten gerechtfertigt wird (etwa Lehrlingsstellen insgesamt genügend vorhanden sind, aber nicht in Berufszweigen, in die man drängt).

„Jochen, 16 Jahre alt, Schüler der gewerblichen Berufsschule für Raum-und Farbgestaltung in Köln: Ich finde das eigentlich ziemlich verfehlt, in dieser ganzen Art zu leben, weil ich da keinen Sinn drin sehe. Ich sehe im Leben irgendwie keinen Sinn mehr, ich habe nichts mehr richtig, an das ich glauben kann, und ich möchte eigentlich nicht in 'nen Beruf und da dann verenden. Ich habe die Lehre angefangen, ohne eine richtige Initiative von mir aus, ohne Wollen — eben weil ich mußte. Und ich weiß nicht: der ganze Staat, die ganze Bundesrepublik, die gefällt mir insofern auch nicht, weil eben nur die Leistung ausschlaggebend ist und nichts anderes. Es wird nicht der Mensch persönlich gewertet, es wird nur das gewertet, was er bringt: eben das Zeugnis, und ohne Zeugnis ist man aufgeschmissen."

Im Gegensatz zu den Trümmerjahren mit der allgemeinen Armut und Not ist heute die Kluft zwischen demjenigen, der in seinem Beruf einen hohen Sozialstatus erreicht, und demjenigen, dem dies versagt ist, besonders groß. Andere, nicht-materielle Formen der Sinnerfüllung und Identitätsbildung sind unterentwickelt; der Staat hat zu sehr auf die „stoffliche" Expansion und zu wenig auf die Möglichkeiten innerer Bereicherung geachtet. Die Kulturpolitik müßte dafür sorgen, daß in einem viel stärkeren Maße ideelle „Stützsysteme" angeboten werden, die auch in Zeiten einer relativen Not sinnvolles Dasein ermöglichen. Ein „New Deal" solcher Art hätte vor allem den jungen Menschen in die Lage zu versetzen, daß er die Übergangsphase (bis er Anschluß zur beruflichen Existenz gewinnt) so zu gestalten vermag, daß Frustation und Frustrationsaggressivität vermieden werden. Gerade weil der jugendliche Mensch sich durch ein großes idealistisches Potential auszeichnet, das es zu fördern und zur Entfaltung zu bringen gilt, wären die Chancen für eine um Sublimierung bemühte Jugend-und Kulturpolitik groß. Die Jugendbewegung hat, wenn auch vielfach in einer ideologisch überschatteten, gesamtgesellschaftlich wenig integrierten Form, gezeigt, wie sehr Jugend äußere Defizite aus eigener Kraft zu kompensieren und, trotz aller materiellen Beschränkung, ein erfülltes Leben zu leben vermag.

Der Numerus clausus bedeutet das akademische Pendant zur Jugendarbeitslosigkeit. Der damit verknüpfte Notenmechanismus zerstört nicht nur die „Spielraummöglichkeiten" der Schule, die immer mehr in den düsteren Bannkreis strikter Leistungskriterien gerät, sondern verstellt Zukunftsplanung für all diejenigen, die oft nur wegen einer Dezimaldifferenz in ihrem Notendurchschnitt auf längere oder lange Zeit von ihren Studienzielen „abgeschnitten" werden und in der Übergangszeit keine Alternativangebote erhalten. Nie habe eine Jugend mehr Rechte als die heutige gehabt; nie habe sie aber auch eine schlechtere Perspektive gehabt, meint Karl Haußmann in einem Beitrag der „Deutschen Zeitung". Die Jugend empfinde sich als eine Ge-neration der überflüssigen. Kinder von heute seien unter einen Leistungsdruck geraten, der ihnen das Kindsein vergälle, die schon ihre Schulzeit zum Konkurrenzkampf mache, der ihnen die künftige Berufswahl als fieses Lotteriespiel erscheinen lasse. Als Lehrling dürften sie sich heute zwar „Auszubildende" nennen, sie dürften die Autorität des Lehrherrn täglich in Frage stellen, aber es werde ihnen in Jugendpresse und Jugendsendungen gebets-mühlenhaft gesagt, daß sie Lohnabhängige seien, die Ausgebeuteten des Systems. Wie sollten sie sich da mit ihrer Situation abfinden? Gleichzeitig sähen sie jeden Tag, daß sie ohne Leistung zurückfallen. Leistung aber, hören sie auf allen Wellen, sei ein eher negativer Wert. Kurz: Die Jugendlichen zwischen zehn und zwanzig Jahren würden mit härtesten Anforderungen konfrontiert, über die ihnen gesagt werde, daß sie lediglich systembedingt seien, vermeidbar also und daher im Grunde unmoralisch. In einer derart schizophrenen Situation bedeuteten die ständig neuen Experimente der Bildungsreform nicht nur keine konkrete Hilfe; sie stifteten noch zusätzlich Verwirrung

Der verlorene und der daheimgebliebene Sohn

Daß man es mit einer „kritischen Jugend" zu tun habe, bezweifelt Hermann Lübbe. Im Gegenteil: Die schon längst vor der Protestphase eingeleitete Reform der Gesellschaft sei durch die Jugendrevolte gestört worden. Vielfach hätten die Väter in ihre Kinder das hineinprojiziert, was ihre eigene Ungeduld ausmachte. „Väter müssen unzufrieden sein, damit sie später einmal als Großväter zufrieden sein können." Das neototalitäre Element, das durch die Jugendrevolte in die Politik eingebracht worden sei, dürfe nicht zu „kritischem Engagement" verklärt werden. Es lähme die Fähigkeit zum begründeten Widerspruch und zum Widerstand, den wir der utopiebereiten Jugend als Gelegenheit, ihre neototalitäre Heilsgewißheit abzuarbeiten, schuldig gewesen wären. Außerdem müsse man sich viel mehr derjenigen Jugendlichen annehmen, die in bescheidener Konkretheit lebten und arbeiteten. Diese Mehrheit der Jugendlichen bliebe ohne öffentlichen Zuspruch.

„Der daheimgebliebene Sohn muß es hinnehmen, gewiß, daß sich, wenn der verlorene Sohn heimkehrt, alles um diesen dreht. Im Unterschied zu diesem biblischen Fall handelt es sich bei uns aber darum, daß wir den Protestlern, die bis heute die Rückkehr in unsere Ordnung unter Schmähungen verweigern, bußfertig Versäumnisse in der Pflicht, es ihnen angenehm zu machen, bekennen. Es wäre lebensfremd anzunehmen, daß die Moral der Daheimgebliebenen dergleichen auf Dauer aushalten könnte."

Was hier aus dem konservativen Blickwinkel heraus festgestellt wird, kann trotz Übersteigerung (als sei etwa die Protestbewegung lediglich eine irrationale Abreaktion und nicht auch konstruktive Aktion gewesen!) nicht als irrelevanter Deutungsversuch abgetan werden. Unverkennbar ist, daß zumindest die zweite Generation der Protestphase vieles von dem, was die erste auszeichnete, verloren hat. Weder ist die Bereitschaft vorhanden, Probleme vertieft und in wissenschaftlicher Solidarität durchzudenken, noch werden konkrete Opfer bei dem langen Marsch durch die Institutionen in Kauf genommen. Hatte der Neomarxismus in den 60er Jahren wichtige Bereiche des philosophisch-ökonomischen Denkens aufgearbeitet und damit geistige Dialektik inspiriert, . die affirmative Kultur aufgelockert und die Berührungsangst gegenüber unangenehmen Wahrheiten reduziert, so erweist sich der Marxismus der heutigen „Linken" häufig als ein denkerisch ausge36) laugtes, nur noch mit wenigen Versatzstük-ken arbeitendes System der Indoktrination, mit dessen Hilfe jeder, der sich ihm nicht bedingungslos unterwirft, als kapitalistisch oder faschistisch (oder beides) denunziert wird. Die Intoleranz, mit der neomarxistisch orientierte, meist sektiererisch aufgespaltene Gruppen alles das behandeln, was außerhalb ihres Denk-und Handlungshorizontes liegt, führt zu einem Auflösungsprozeß republikanischer Solidarität. „Blutsgruppendenken" stellt sich gegen Konsensbildung; „Dialektik" wird nur dann akzeptiert, wenn sie fürs eigene Lager „in Dienst" genommen werden kann. Eine „revisionistische", ihre Reformziele im allgemeinen Realitätszusammenhang fundierende links-liberale Sammlungsbewegung wäre somit notwendig, unter rigoroser Abtrennung von denjenigen, die — aufgrund ihres elitären Anspruchs auf die „reine Lehre" — die Veränderung von Wirklichkeit mißachten und, was noch viel schlimmer ist, einem Freund-Feind-Denken verfallen sind, das denjenigen, der sich außerhalb der ideologisch gesetzten Duftmarken bewegt, verketzert. In diesem Zusammenhang ist, im besonderen auch durch Helga Grebings Buch „Der Revisionismus" inspiriert die wissenschaftliche Marxismuskritik von Bedeutung, die zum Signal einer sich neu formierenden linken Bewegung werden könnte

Unverkennbar ist auch, daß weite Teile der Jugend der geradezu manisch bzw. neurotisch wirkenden Verneinungsstrategie bestimmter Gruppen überdrüssig geworden sind und, wenn vielfach auch erst vage, gewisse „Aktivbindungen“ wieder einzugehen beabsichtigen. Man mag die pathetisch klingende Formulierung von einer „Läuterung zum Engagement" hin ablehnen — Tendenzen dieser Art sind jedoch unverkennbar. Gegen welche Kräfte man sich dabei durchsetzen muß, macht zum Beispiel ein Kurzbericht des DGB-Vorstandsmitglieds Karl Schwab über den Verlauf der DGB-Bundesjugendkonferenz in Frankfurt 1977 deutlich:

„Ich bin — ich sage es noch einmal — erschrocken über die Unversöhnlichkeit, mit der zum Teil die Meinung des anderen als abwegig, als dem Auftrag der Mitgliedschaft nicht entsprechend, als einer wirklichen Interessenvertretung der jungen Menschen entgegenstehend abqualifiziert wurde, und ich* war auch enttäuscht darüber, daß gerade diejenigen, die in ihrer Kritik an der Arbeit anderer sehr vernichtende Urteile fällten, meist selbst nichts anderes, nichts Besseres anzubieten hatten, und wenn ich mir so in die Erinnerung zurückrufe, was da von dem einen oder anderen als Ausweg aufgezeigt wurde, dann komme ich in meiner Wertung dazu, daß gewerkschaftspolitische Auseinandersetzung in den Organisationen durch Aktionismus, durch Veranstaltungen, Demonstrationen und Kundgebungen ersetzt werden soll. Das ist nicht der Weg. Ebensowenig wie die Art, in der mancher Diskussionsbeitrag geleistet wurde.

Insbesondere bei einem Kollegen hatte ich den Eindruck, daß da nicht ein junger Mensch spricht, der zwar einen eigenen politischen Standpunkt hat, sich um Verständigung bemüht, Kritik ausspricht und den anderen überzeugen will, sondern daß hier im Jargon eines Politkommissars andere Meinungen verdammt und, weil im Gegensatz zur eigenen stehend, gar nicht zugelassen wurden.“

Widerstand gegen diejenigen zu leisten, die mit dem Anspruch kritischen Bewußtseins ge-genkritische Haltung auszuschalten versuchen und die Forderung auf Demokratisierung dahin gehend mißbrauchen, daß sie gegenüber anderen Meinungen jedes Verständnis vermissen lassen, wird eine Jugend wieder lernen müssen, die sich zu sehr von kapitalistischen Verschwörungstheorien, welche die sozialstaatlichen Errungenschaften der Bundesrepublik negieren, vereinnahmen ließ. Der Unfug, der in diesem Zusammenhang vor allem mit dem Begriff des „Faschismus" getrieben wurde und wird (jeder „Progressive“ will schließlich antifaschistisch sein!), kann nur dadurch beseitigt werden, daß das Bemühen um rationale Trennschärfe stärker um sich greift. „Die Ersetzung oder Verdrängung des antitotalitären durch das antifaschistische Verständnis der Demokratie ermöglichte es auch liberalen Meinungsträgern, auf marxistisch-kommunistische Denkformen einzuschwenken. Faschismustheorien wurden die große Mode, die Sowjetformel vom , deut-sehen Faschismus'wurde weithin nachgeredet, und die Generalisierung des Faschismusbegriffs erfolgte auf Kosten der Unterscheidung zwischen totalitärer und demokratischer Politik. Die geistigen Folgen sind unübersehbar. Denn hier geschah zugleich ein allmählicher Abbau jener Hemmungen und Schutzvorkehrungen der , wehrhaften Demokratie', die Staat und Gesellschaft vor neuen Polarisierungen und extremen Ideologisierungen bewahren und verhindern sollten, daß die pluralistische Demokratie wieder in den Bann jener undemokratischen Alternative geriet, von der sie einst betört und zerstört wurde: jener vorgeblich einzigen Alternative . Kommunismus oder Faschismus', also links-oder rechtsradikale Lösung, auf die so viele Zeitgenossen der dreißiger Jahre hereinfielen."

Sponti-Ideologie

Eine Grundfrage der gesellschaftlichen Zukunft der Bundesrepublik wird es sein, ob es gelingt, die in der Jugend noch weitverbreiteten, in manchem sogar noch zunehmenden Drop-out-Tendenzen einzudämmen und die „Abgewanderten" wieder zu integrieren. Der „frühe Griff zur Droge" (man vergleiche hierzu etwa die Ergebnisse der 76. Sitzung des 8. Deutschen Bundestages zum Thema des „Alkohol-und Rauschmittelmißbrauchs bei Kindern und Heranwachsenden") ist ein zutiefst beunruhigendes Phänomen, das auf eine Sinnkrise bei der Jugend verweist. Vierzig Prozent der Gefährdeten, so führte Antje Huber, Bundesministerin für Jugend, Familie und Gesundheit, aus, griffen nach dem Alkohol aufgrund bestimmter psychischer Störungen und Belastungen, weil sie glaubten, so ihre Probleme lösen zu können. Die Hauptgruppe bildeten jedoch diejenigen, die Alkohol als zum heutigen Lebensstil gehörend ansähen und aus diesem Grunde unkontrolliert, im Über-maß konsumieren. Der prophylaktischen Arbeit, vor allem einer aktiven Jugendpolitik, werde besonderes Augenmerk zuzuwenden sein.

„Leistung" ist notwendig und bedeutet, wenn sie zu Erfolgserlebnissen führt, Selbstbestätigung und Ich-Stärkung. Dies ist aber nur zu erreichen, wenn der Leistungsdruck in Form von Sanktionen genommen und an seine Stelle „Gratifikationen" gesetzt werden, also das, was Herbert Marcuse „libidinöse Kultur“ nennt, zumindest in Annäherung verwirklicht wird. Dafür müssen unter Umständen, etwa was das Konsumniveau betrifft, Opfer gebracht werden. Wertvorstellungen sollten mehr durch Vorbild, Orientierungshilfen über die Förderung von Interessen vermittelt wer-den. Langeweile und Angst sind ein guter Nährboden für Surrogate.

Was die ideologisch bestimmten Droup-out-Strömungen betrifft, so sind diese im besonderen Maße in der Studentenschaft verbreitet, über den Umfang dieser „Entzugstendenzen''kann man nur spekulieren; Wolf-Dieter Narr spricht in seinem Beitrag „Die Generation der Ausgeschlossenen" davon, daß z. B.den „Mes-caleros" — als einer besonders typischen ideologischen Drop-out-Bewegung — 10 bis 15 Prozent def Studenten angehörten. In allen größeren Städten der Bundesrepublik und in West-Berlin, so schildern Tilman Fichter und Sigward Lönnendonker die Situation der „Ausgeflippten", lebten Tausende „anpolitisierter Jugendlicher" in einem freiwilligen Getto: „Der Durchschnitts-Stadtteilindianer wacht in der Wohngemeinschaft auf, kauft sich die Brötchen in der Stadtteilbäckerei um die Ecke, dazu sein Müsli aus dem makrobioti-schen Tante-Emma-Laden, liest zum Frühstück Pilasterstrand, Inio-BUG, zitty, geht — falls er nicht Zero-work-Anhänger ist — zur Arbeit in einen selbstorganisierten Kleinbetrieb oder in ein . Alternativprojekt', alle fünf Tage hat er Aufsicht in einem Kinderladen, seine Ente läßt er in einer linken Autoreparaturwerkstatt zusammenflicken, abends sieht er sich . Casablanca'im off-Kino an, danach ist er in der Teestube, einer linken Kneipe oder im Musikschuppen zu finden, seine Bettlektüre stammt aus dem Buchladenkollektiv. Ärzteund Rechtsanwaltskollektive, Beratungsstellen für Frauen, Frauen-und Männer-gruppen gibt es im Getto. Der gesamte Lebensbereich ist weitgehend abgedeckt ... Dabei ist die Kommunikation intensiv, verglichen mit der, die durchschnittliche Bundesbürger untereinander pflegen. Mit diesem unterhalten sich die Stadtteilindianer, antiautoritäre Studenten und Spontis nur, wenn sie müssen, bei einer Razzia z. B. mit Polizisten. In West-Berlin und in Frankfurt gibt es Angehörige der Szene, die stolz darauf sind, seit zweieinhalb Jahren kein Wort mehr mit einem von denen, die draußen sind, gewechselt zu haben."

Narr meint in seinem Kommentar zu diesem Zitat, daß die Perspektive der Skizze wohl verzerrt sei; die Schilderung treffe allenfalls auf eine verschwindene Minderheit zu. Richtig sei jedoch, daß sich da zwei Welten aufgetan hätten: die eine, die etablierte, in der man sich anpaßt, kuscht und schmalbrüstig Karriere macht, wenn’s hochkommt; die andere, in der man zunächst dieser etablierten Welt absagt; man begehe zwar keinen „Va-termord" mehr, um die bestehende Gesellschaft zu reformieren, zu revolutionieren und umzukrempeln; man knüpfe aber an diese bestehende Gesellschaft gar nicht mehr an, tauche weg, sage sich los. Von der gesellschaftlichen Indifferenz zum Haß auf diese Gesellschaft ist dabei oft nur ein kleiner Schritt.

Für Wolfgang Rahm stellt die in West-Berlin und an verschiedenen westdeutschen Universitäten mehr naturwüchsig als bewußt und systematisch sich bildende Sponti-Ideologie ein Konglomerat von Vorstellungen dar; allen Bestandteilen dieser Ideologie sei gemein, daß sie die affektive Nähe von Politik und Person betonten und sich den herkömmlichen politischen Begriffen mehr oder weniger entzögen. Diese affektive Nähe von Politik und Person bedeute nicht im traditionellen Sinne Engagement, sondern eher Identifikation, also Politik „aus dem Bauch heraus“, oder, noch gröber: Politik zum Aufessen. Das Postulat der Sponti-Ideologie lautet, daß ihr Selbstverständnis aus Betroffenheit sich entwickeln müsse. Es soll also nicht an bestimmten, als abstrakt gescholteten Oberbegriffen wie „gewerkschaftliche Orientierung", „Bündnis mit der Arbeiterklasse" oder antiimperialistischen Kampf" gebunden sein. Aus dem Prinzip der Betroffenheit folge eine gewisse Borniertheit des Horizonts und eine mangelnde Voraus-schau bei größeren Aktionen. „Ein anderer Aspekt der Sponti-Fraktion in der . neuen Studentenbewegung'ist ihre offene Theoriefeindlichkeit, oft gesteigert zu einer generellen Wissenschaftsfeindlichkeit, die die Kehrseite eines kaum verhohlenen Subjektivismus ist. So hieß es beispielsweise auf einer Versammlung der . Initiative'am Otto-Suhr-Institut der FU, Fachbereich für Politikwissenschaft(I), nachdem ein fachbereichsfremder Kommilitone von einem . dialektischen Zusammenhang'zwischen sachbezogener Kooperation und zwischenmenschlichen Beziehungen gesprochen hatte: . Wer . dialektisch'sagt, verläßt den Boden der Solidarität.'Und in einer selbstgefertigten Broschüre zur Berufsperspektive unter dem Titel . Kein Grund zur Panik'steht am Schluß eines sehr bezeichnenden Artikels: . Muß diese Wissenschaft überhaupt sein, die Trennung zwischen . Theorie und Praxis', zwischen Denken und Empfinden? Wer mir jetzt mit Bloch, Marx oder Freud kommt, dem schlage ich den Schädel ein.'Durch diese Wissenschaftsfeindlichkeit unterscheidet sich die heutige . Studenten-bewegung'grundlegend von der 68er Generation."

Die „klammheimliche Freude" der Mescaleros

Der „Mescalero" -Artikel zum Buback-Mord führte zu einer höchst ausführlichen Diskussion darüber, ob die „große Verweigerung" zugleich auch den Boden abgebe für ein Klima, das den Terrorismus direkt oder indirekt begünstige. Man müsse, meint Narr, angesichts der vielen Mescaleros von einem gefährlichen unpolitischen Autismus sprechen. Die Empfindlichkeit eigenen Leiden gegenüber korrespondiere nicht mit einer Empfindlichkeit für das Leid anderer; hinter den kapitalistischen „Charaktermasken" werden keine menschlichen Gesichter mehr gesehen, obwohl man den Mord selbst durchaus eindeutig ablehne. Der innere Kompaß fehle, deshalb verbleibe man passiv, verhalte sich regressiv und sei, werde man mobilisiert, äußeren Einflüssen fast hilflos ausgesetzt. Die politische Reflexion, wenn sie überhaupt angestellt wird, beziehe sich auf Abstrakta, auf andere, auf Traumwelten.

„Klammheimlich Freude" empfand ein Göttinger Student mit dem Decknamen „Mescale-ro", als er vom Mord an Gerneralbundesanwalt Buback hörte. Kein Satz wird in der bundesweiten Diskussion um die Sympathisanten des Terrors und der Gewalt so oft zitiert wie dieser, seit ihn der unbekannte Anhänger der anarchistischen „Bewegung un-dogmatischer Frühling" Ende April 1977 in einem „Nachruf" auf Buback in den „Göttinger Nachrichten" des Allgemeinen Studentenausschusses veröffentlichte. Dem Text wurde und wird gerade auch deshalb so große Bedeutung zugemessen, da er das Denkund Empfindungsmuster weiter Teile der Studentenschaft zu artikulieren scheint. Jedenfalls äußerte der Berliner Wissenschaftssenator Peter Glotz in einem „Spiegel" -Gespräch unter anderem folgendes: „GLOTZ: Es ist eine gar nicht kleine Minderheit, die diese Gefühle und Gedanken hat und die auch diese Sprache spricht. Sie läßt sich schwer beziffern, wenn auch die Ergebnisse der Wahlen an den Universitäten einige Anhaltspunkte liefern. Ich fürchte, daß 15 bis 20 Prozent der Studenten etwa so denken und fühlen wie „Mescalero’, zumindest aber von solchem Denken und Fühlen angezogen werden. SPIEGEL: Das wäre etwa jeder sechste oder sogar jeder fünfte Student, insgesamt wären es 140 000 bis 170 000. In der Tat eine beachtliche Minderheit. Und sie ist nicht an einigen Universitäten, etwa Berlin, Bremen und Marburg, konzentriert?

GLOTZ: Nein. Es gibt natürlich Unterschiede zwischen den Universitäten, in Göttingen zum Beispiel ist diese Tendenz besonders stark. Aber die Unterschiede sollten nicht überschätzt werden."

Glotz erklärt in dem gleichen Gespräch, daß eine öffentliche Auseinandersetzung not tue, da man nur auf diese Weise inhumanes Denken abbauen könne. Man habe allen Grund, sich mit der Geisteshaltung der „Mescaleros" kritisch auseinanderzusetzen, um zu verhindern, daß sie sich unter den Studenten weiter ausbreite. Der Artikel zeige „schlampiges Denken", er sei in einer unmenschlichen Sprache verfaßt und von Haß erfüllt. Die Würde des Menschen werde „marginalisiert“, verkleinert; doch zeuge der Artikel auch von einem „Besinnungsprozeß"; am Ende schreibe der Verfasser eindeutig: Mord nein, individueller Terror, nein. So klar, meinte der „Spiegel" darauf, lese es sich bei „Mescalero" leider nicht; er sage zwar, daß der Weg zum Sozialismus nicht mit Leichen gepflastert werden dürfe und daß die Gewalt des Sozialismus nicht die Gewalt Al Capones sei. Aber auch am Ende des Artikels sei noch von den „Killervisagen" der Repräsentanten des Staates die Rede: Der Autor bekenne sich in den letzten Absätzen ausdrücklich zur Gewalt, wenn auch zu „Gewalt/Militanz, die fröhlich sind und den Segen der beteiligten Massen haben". Die Diskussion über diesen Artikel litt zunächst daran, daß er immer nur auszugsweise zitiert wurde. Aus diesem Grund veröffentlichten 43 Professoren aus Bremen, Berlin, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen zusammen mit vier Rechtsanwälten und einem akademischen Rat Anfang Juli 1977 in einer Dokumentation den „Nachruf" auf Generalbundesanwalt Siegfried Buback, um ihn auf diese Weise der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die Auseinandersetzung ging daraufhin nicht nur um den Text als solchen, sondern auch um die Frage, wie weit Gedankenfreiheit gehen dürfe, ob nicht Hochschullehrer, die einen solchen Text fast ohne Kommentar verbreiteten (inzwischen lagen weitere Nachdrucke vor), dem Terrorismus einen geistigen Schlupfwinkel anböten. Diese Frage behandelte auch ein „Spiegel" -Gespräch mit einigen an der Publikation beteiligten Bremer Hochschullehrern.

p „SPIEGEL: Wenn wir dem wirren Mescalero'-Text schon die Ehre antun und ihn sezieren wie Exegeten einen Bibeltext: Da bleibt aber noch viel Sympathie für Gewalt, ja für Mord. Sie können doch nicht einfach all das wegwischen, was überall zitiert wird.

Das steht auch alles da: Klammheimliche Freude über den Abschuß, Verbrecheralbum nach der Revolution, Killervisagen und so weiter.

KNIEPER: Sie müssen den Artikel als Ganzes sehen. Er hat doch eine Entwicklung, die man nicht leugnen kann.

SPIEGEL: Welche?

KNIEPER: Er schreibt all das, was Sie zitieren, von der klammheimlichen Freude und so weiter. Aber das ist nur das erste Gefühl, das er wiedergibt. Er berichtet, wie er diese Emotion verarbeitet und zu dem Ergebnis kommt: Das ist ein falsches, kein wirklich verarbeitetes Gefühl, keine politische Haltung, die man vertreten kann.

SPIEGEL: Wollen Sie wirklich behaupten, daß es sich bei diesem Text um eine Art pädagogischen Beitrag handelt?

KNIEPER: Auch wenn Sie es ironisieren, genau so sehen wir es.

SPIEGEL: Da widerlegt Sie der Text selbst, denn von . Killervisagen'ist zum Schluß die Rede, obwohl . Mescalero’ da doch zur Gewaltlosigkeit konvertiert sein müßte, wenn Ihre Auslegung stimmte.

Und er bekennt sich gegen Ende sogar ausdrücklich zur Gewalt, wenn auch zu , Ge-walt/Militanz, die fröhlich sind und den Segen der beteiligten Massen haben'. Das erklärt er zur Tagesaufgabe."

Wichtige Teile des Textes veröffentlichte der „Spiegel" in der gleichen Nummer, unter anderem die für die Diskussion zentrale Stelle: „Meine unmittelbare Reaktion, meine . Betroffenheit'nach dem Abschuß von Buback ist schnell geschildert: Ich konnte und wollte (und will) eine klammheimliche Freude nicht verhehlen."

Reglementierungsmaßnahmen, unter anderem gegen die an der Herausgabe beteiligten Hochschullehrer, ließen bei vielen Linksintellektuellen den Eindruck entstehen, daß für den großen „administrativen Hammer" die Publikation vor allem als Vorwand genommen werde, um den aufmüpfigen Gruppen an den Hochschulen das Handwerk zu legen. Das Bemühen um Analyse studentischer Reaktionen dürfe nicht gleichgesetzt werden mit einer Identifikation. So schrieb der Berliner Theologe Helmut Gollwitzer in einem offenen Brief an den niedersächsischen Wissenschaftsminister Eduard Pestel, der freiheitliche demokratische Rechtsstaat sei kein Re-genwurm: was ihm einmal abgeschnitten sei, wachse nicht mehr nach, sondern bleibe, aller Wahrscheinlichkeit nach, für immer verloren. Deshalb könne man nicht früh und scharf genug aufpassen, was in erregten Wochen wie diesen gesetzgeberisch und disziplinarrechtlich geschehe. Der freiheitliche demokratische Rechtsstaat lasse es nicht zu, daß obrigkeitliche Entrüstung verordnet werde, daß beim Zurückbleiben hinter dem Maß der geforderten Entrüstung disziplinar-rechtliche Maßnahmen angedroht und diejenigen, die den überall genannten Text endlich durch Nachdruck zur Kenntnis brächten, damit eine unterlassene Informationspflicht der Presse nachholten und jeden Bürger die eigene Urteilsbildung ermöglichten, mit den schärfsten Repressalien bedacht würden

Demgegenüber schrieb Kurt Sontheimer in einem Kommentar der „Deutschen Zeitung", daß diejenigen, die den berüchtigten Nachruf auf Buback auf eine dilettantische und ihren Standpunkt nicht klarmachende Weise veröffentlicht hätten, die Zerrüttung des akademischen Geistes signalisierten:

„Die zuständigen Dienstherren der Professoren sollten also noch nicht lockerlassen. Auch für Intellektuelle gilt das Gebot der Verantwortung für das, was sie tun oder unterlassen."

Die Diskussion um den Buback-Nachruf war noch nicht beendet, als in Göttingen neue Flugblätter, offenkundig vom gleichen „Mes-calero" oder der gleichen Gruppe der „Mes-caleros" stammend, erschienen. Sie kommentierten nun auf zynische Weise die Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Schleyer. In diesen Flugblättern hieß es unter anderem:

„... Dieses Mal also kein Wort über unsere unmittelbaren Reaktionen — nur soviel: wir haben die Tatmeldung in einer Gastwirtschaft empfangen und wir haben nach Empfang der Meldung keinen Anlaß gesehen, aufzustehen und unsere Positionen zu verändern; dem Buback-Nachruf ist also in seinen wesentlichen Aussagen nichts hinzuzufügen. Aus einem ähnlichen Grund verzichten wir auch auf die unter Linken üblichen Litaneien, Distanzierungen, Kritiken, die jetzt wieder wie eine Flut über uns hereinbrechen; auch dort Wiederholungen: das alles dient — wie immer — nur zum Vorwand, die Repression zu ver-schärfen, das alles sind — wie immer — wild-gewordene Kleinbürger und dienen der Rechten. Wir verzichten auf derartige Erklärungen, die nun schon bald hundert Jahre alt sind und immer so geschrieben scheinen, als würden sie von dem jeweiligen Ereignis, auf das sie sich beziehen wollen, nicht berührt ..."

Zu diesen Artikulationen „fröhlicher Gewalt", die sich dabei am „Vorbild" Italien orientierten („pardon" berichtete über die Mauerkunst der dort vor sich gehenden „gewaltigen Anarcho-und Happening-Revolte" schrieb Werner Roß in der „Deutschen Zeitung": „Der neue Revolutionär beherrscht vom Playboy bis zum Westernheld alle Register, frisch, frech, fröhlich frei, er kann von Hause aus ein Student sein, ein Automechaniker, das macht in dieser neuen sich verbrüdernden Masse keinen Unterschied mehr.

Er ist weder Hitlers Kind noch der Enkel von Karl Marx, wenn er auch von dessen Ideen lebt. Gezüchtet hat ihn eine mit materiellen Gütern vollgestopfte, von Wertvorstellungen entleerte Gesellschaft, in der sich die jungen Gangster gegen die alten zusammentun, um ihnen die Beute abzujagen. Die fröhlichen Barbaren wissen, daß das nicht nur mit Spaß und Lächerlichmachen, auch nicht bloß mit Zündeln und Zerstören zu bewerkstelligen ist. Sie glauben nur nicht an Baader-Meinhofs Patentrezept, daß der Staat durch einzelne Gewaltakte und durch Gewaltakte einzelner aus den Angeln zu heben sei. Eine unter den italienischen Gruppierungen tritt deshalb für die , critica delle armi', für die Kritik mit Waffengewalt, ein. Ihre Anhänger werden „pitrentott-risti'genannt, ein Wort, das ich erst entziffern konnte, als ich darin die . Pistole 38', die , Pi trentotto', wiederentdeckte, die Lieblingswaffe der Neuen Linken. Fröhliche Militanz gibt es auch, wenn es knallt."

Isolierung und Selbstisolierung der Hochschulen

Daß die „Mescalero“ -Gesinnung, wie sie die zweite Welle der Proteste an den Hochschulen in zunehmendem Maße bestimmt, eine sehr ernste Bedrohung darstellt, ist auch die Meinung liberaler Beurteiler. Ausgehend von gesprengten Diskussionsveranstaltungen in Frankfurt, Berlin, Bremen, Osnabrück und anderen Städten, schrieb die „Süddeutsche Zeitung" in einem Kommentar über das radikale Abseits, in das sich die neue studentische Protestbewegung hineinmanöveriere.

„Hätte es 1931/32 schon ein Fernsehen gegeben, man könnte die Ähnlichkeit der Szenen an den Hochschulen damals und heute überaus eindrucksstark studieren. Das Nieder-schreien von Professoren, Nicht-hören-Wollen von Argumenten, Hinausprügeln von demokratischen Politikern, schließlich die brutale Gewalttat, das hat in Deutschlands Universitäten leider Tradition. Der politische Irrationalismus hatte hier'seinen Tummelplatz. Neu ist nur, daß er sich im Unterschied zu früher seit etwa zehn Jahren extrem linker Ideologien und Heilserwartungen bedient."

Man dürfe die Hochschulen nicht abschreiben; wer Konflikte beseitigen wolle, müsse zuerst versuchen, sie zu verstehen, fordert Peter Glotz. Die Unruhe der heutigen Studenten-40) schäft habe doch den tieferen Grund in einer Bildungspolitik, die Angst und — im Umschlag dazu — Aggressionen produziere. Immer mehr Studenten, die künftige Funktionselite unseres Volkes, „stiegen aus"; sie wanderten ab ins Getto einer aggressiven Distanz zur bundesrepublikanischen Gesellschaft. Ein Prozeß der Isolierung und Selbstisolierung der deutschen Hochschulen sei (seit Jahren schon) in Gang gekommen. Die Frage laute, ob sich diese aggressiv-wortlose Gleichgültigkeit hüben und drüben weiter fortsetze. Die Hochschulen seien nur die greifbarsten Objekte einer Aggression, die in der Verweigerung einer befriedigenden Sinn-Kommunikation ihren Ursprung habe. Nicht nur die Universitäten seien „ausgefallen", sondern vielfach auch die Kirchen, die Parteien und die Pamilie

Die „Frankfurter Rundschau" kommentierte eine Diskussionsveranstaltung von 2 500 Studenten in West-Berlin, bei der Glotz statt mit Argumenten mit einer Fülle aggressiver Beschimpfungen überschüttet wurde, mit der Bemerkung, daß der Willensbildungsprozeß an den Universitäten eben nicht nur „knirsche", ansonsten aber (wie Glotz meinte) rational ablaufe, sondern teilweise höchst irrational vor sich gehe. Ob die Studenten nun für zwei Wochen auf „ferne schöne Inseln" (Dutschke) ausflippten, was unter Umständen billiger sei, oder unter dem Motto „Ich kriege ja später doch keinen Job" aus dem Vorlesungsboykott schlicht eine Gaudi machten — es herrsche eine ambivalente studentische Irritation, aus der im besonderen die Anarchos, deren Nährboden die Resignation sei, Nutzen zu ziehen suchten.

Angesichts der Isolierung der Studentenschaft und der Tatsache, daß in den Medien ja nur die protestierenden Minderheiten Aufmerksamkeit erregen, werden die Hochschulen in der allgemeinen Öffentlichkeit immer mehr als „sündhaft teuere Quatschbuden" abgewertet. In einer Diskussion mit Walther Leisler Kiep an der Universität Osnabrück meldete sich ein Arbeitnehmer, Schmelzer vom Beruf, IG-Metall-Mitglied, zu Wort; er sei zum ersten Mal in einer Universität; er müsse feststellen: „Was ihr heute abend gemacht habt hier, ist unter aller Würde, unter aller Sau. Ihr seid nicht einmal fähig, zuzuhören, und das muß euch ein Arbeitnehmer sagen. Ich bin enttäuscht von euch Studenten, wenn ihr mal später Posten übernehmen solltet in diesem Staat — dann gute Nacht."

Die Situation der Universitäten bedürfe der Hilfe der Politiker. Die Universitäten könnten sich nicht noch einmal am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen — ist das Resümee einer Betrachtung von Bruno Dechamps. Aber es gehe auf diesem Kampfplatz nicht um Lorbeer-oder Dornenkronen für die Parteipolitiker; die Hochschulpolitik dürfe nicht für parteipolitische Zwecke ausgebeutet werden; vielmehr müsse sie vor allem der Integration der jungen Generation ins Gemeinwesen dienen. Gerade weil die Universitäten vielfach allein gelassen würden, rutschten sie immer mehr in die Isolierung ab. Dabei handle es sich meist nur um eine Minderheit radikaler Linker. Aber es sei skandalös, daß die Mehrheit, von Zaungästen zur Gegenwehr angefeuert, im übrigen allein gelassen werde. Diese bestehe weithin aus einzelnen, auch aus Grüppchen und Untergrüppchen, sogar ein paar größeren Gruppen, die aber unsicher seien und von allen Seiten verunsichert würden

Wie sehr diese schweigende Mehrheit sich allein gelassen fühlt, offenbart der Bericht eines Studenten (Allard Stupperich: „Die Mehrheit hält sich raus"), in dem es unter anderem heißt:

„Der Student muß endlich zu spüren bekommen, daß die Bürger hinter ihm stehen und die Radikalen abgelehnt werden.

Wer die Universitäten als . Schule des Terrorismus'oder als , Sympathisanten-Sumpf bezeichnet und alle Studenten für angehende Revolutionäre hält, wirft 80 bis 90 Prozent von ihnen in einen Topf, in den sie nicht gehören. Wir brauchen eine Öffentlichkeit, die Verständnis für die maßvollen Studenten aufbringt und sie nicht noch tiefer in die Resignation stößt. Die Studenten aber müssen begreifen, daß es jetzt überall nur auf eines ankommt: an den Wahlen teilzunehmen."

Narziß — ein neuer Sozialisationstypus?

Das Mentalitätsmuster des letztlich unpolitischen, allein auf sich selbst bezogenen jungen Menschen, der aggressiv rundumschlägt, ohne eine wirkliche politische oder ideologische Heimat zu haben, rückte das linksorientierte „Magazin für Erziehung, Wissenschaft und Politik" „päd. extra" in den Mittelpunkt seines Januarheftes 1978. „Narziß: Oder ein neuer Sozialisationstypus?" (ein Thema, das ganz sicherlich „ein Stück von dem roten Faden" darstelle, der sich durch viele Diskussionen des Jahres 1978 ziehen werde). „Vom autoritären Scheißer zum oralen Flipper — läßt sich mit dieser plakativen Formel eine tiefgreifende Veränderung im Aufwachsen der neuen Generation unserer Gesellschaft umschreiben?

Sind wir durch die Fülle der beobachtbaren Verhaltensweisen gezwungen, unsere gängige Vorstellung von der Sozialisation autoritärer Charakterstrukturen zu korrigieren?

Sind wir dem Irrglauben verfallen, anzunehmen, die autoritäre Dressur, denen die Heranwachsenden in Deutschland seit Jahrzehnten unterworfen waren und die Wilhelm Reich und Theodor W. Adorno vor mehr als 40 Jahren als erste gründlich analysierten, sei gleichsam die umwandelbare Grundfolie, auf der die Kinder des Kapitalismus aufzuwachsen hätten?"

Nicht mehr die Verbindung von „Ruhe", „Ordnung", „Sauberkeit“, die zusammen mit „Befehl" und „Gehorsamsstrukturen" den autoritären Charakter prägten, stünden heute im Vordergrund, sondern ein Verhalten, das durch ein permanentes „In-sich-Hineinstopfen und Herausblubbern" gekennzeichnet sei. Man müsse sich fragen, ob der neue Sozialisationstyp eine bestimmte klassenmäßige Ausprägung habe; welchen spezifischen Einfluß auf die geänderte Sozialisation die antiautoritäre Bewegung und ihre Alternativ-projekte gehabt hätten; welche Einstellungs-und Verhaltensänderung bei den Heranwachsenden im Hinblick auf den Umgang mit Aggression, Sexualität, Kommunikation, Musik, Bewegung, Verkehrsformen, mit ihrem Körper, ihren Phantasien, ihren Emotionen und ihrer Sprache festzustellen seien; in welchem Verhältnis die immer noch vorhandenen autoritären Strukturen zu den narzißtisch-oralen stünden und welche spezifische Chancen zur Befreiung und zur Veränderung in dieser Kombination lägen. „Angesichts von Motivationsverlust und Identitätszerstörung, von Organisationsfetischismus und Organisationsfeindschaft, einer Sehnsucht nach totaler, fast kosmischer Verschmelzung und einer ebenso totalen und brutalen Abgrenzung benötigen wir die dialektische Vermittlung eines Begriffs und einer Praxis, in der alte Erkenntnis , aufgehoben’, d. h. zugleich auf eine neue Stufe transformiert wird, einer Stufe, auf der nicht länger das anal-orale Blubberwort . Scheiße’ den Ton angibt.“

„Päd. extra" illustrierte den „neuen Sozialisationstyp“ anhand von drei typologischen Beispielen: — der veränderten Mentalität der Kinder, — des Verhaltensmusters der Spontis, — der Reaktionsweisen von Lehrlingen, und zwar in Form von Zitaten aus Hentigs Buch „Was ist eine humane Schule?", einem Artikel der „Frankfurter Rundschau" und einem Beitrag aus „Ästhetik und Kommunikation". Hartmut von Hentig schreibt u. a.:

„Die heutigen Kinder sind ganz offensichtlich die Kinder ihrer Zeit und ihrer Umwelt, sie sind ihr entlarvendster Spiegel. Sie sind nicht nur nervös, ungeordnet (. disorganized'nennt sie einer ihrer besten Kenner, Urie Bronfenbrenner), vital, . gestört'— sie terrorisieren einander, sie streiten sich ununterbrochen (um Gegenstände, als lebten sie in tiefer Armut; um Rangplätze, als lebten wir vor Leviathan; um die Zuwendung der Erwachsenen, als lebten sie in einer besonders lieblosen Welt); sie vandalisieren das Gemeingut, sie sind weitgehend unfähig, anderen und sich selbst Freude zu bereiten, sie scheinen unfähig, tiefere und anhaltende Beziehungen zu Menschen oder Sachen einzugehen, ihre Sprache ist arm und im doppelten Sinn des Wortes . barbarisch’ — und sie müssen ununterbrochen schreien.“

In dem Artikel der „Frankfurter Rundschau" heißt es:

„In der Ausdrucksweise der Spontis und überhaupt vieler Studenten vermischt sich eine bewußt einfache, volkstümliche Sprache, manchmal gesteigert zur berlinernden Volkstümelei, mit Fragmenten wissenschaftlicher Diktion. Vor allem der beschwörende Drang nach dem, was angeblich . konkret’ und . echt’ ist, spricht aus ihren Formeln, in jedem zweiten Satz verbunden mit einem unsicheren . irgendwie’ oder . irgendwo'. Gelegentlich konzentriert sich diese Artikulationsunfähigkeit in Sätzen wie: . Wir müssen jetzt mal irgendwie echt konkret werden.'..."

Der Beitrag aus „Ästhetik und Kommunikation" berichtet von den Erfahrungen eines emanzipatorischen politischen Unterrichts in den Lehrlingsausbildungsstätten (LAW) der Stadt Frankfurt:

„Thema: Sexualität, Schwierigkeiten mit Mädchen, die Zwänge und Ängste.

Gelesen wurden gemeinsam der Amendt und der Claesson — zwei Unterrichtseinheiten waren möglich, man diskutierte über eine Reihe der in den Büchern angesprochenen Punkte — über Onanie, Homosexualität, gegenseitige Ausbeutung in sexuellen Beziehungen, Zwänge usw. Doch dann war das Thema . erschöpft'— warum? Wußten die LAWler jetzt alles, was sie wissen wollten? Hat es sie nicht länger interessiert, weil sie keine Ausdauer haben oder ihnen anständige Lernmotivationen fehlen? Die LAWler gaben selbst die Antwort, und die Lehrer hätten diese ein bißchen ernster nehmen sollen: , Was soll das ganze Gelabere, schon wieder das Sex-Zeugs, das hängt uns allmählich zum Hals raus. Bumsen können wir eh nicht, und ’ne. Frau könnt ihr uns nicht besorgen ..

Bei der Interpretation solcher Phänomene kommt „päd. extra" zu dem Ergebnis, daß eine umfassende Motivationskrise auf allen Ebenen institutionalisierter Lernund Bildungsprozesse Lehrer und Erzieher verunsichere. Was seien die Gründe dafür, daß es nicht mehr so gehe, wie es vor Jahren noch zu gehen schien? — Dem Abbau an Objektbeziehungen entspräche ein Mangel an Erfahr25 barkeit von Welt; nicht die Kinder seien anders, sondern die Kindheit. Kindheit, das bedeute: Fernsehkindheit, Schulkindheit, Stadt-kindheit, Kinderkindheit, noch nicht einmal mehr Kleinfamilienkindheit, vor allem aber: pädagogische Kindheit. Den Kindern habe man die Kindheit verleidet; diese sei im Wortsinne un-wirklich geworden, in dem Maß, in dem man sie pädagogisch kindgemäß und pädagogisch gemacht habe. Nichts verlocke mehr, erwachsen zu werden; der soziale Uterus sei die „peer group"; alles was jenseits der Kleinst-Gruppe geschehe, werde als abstrakt und feindlich empfunden. Die gesellschaftliche Außenseite der narzißtischen Innenstruktur sei ganz und gar klassenunspezifisch — eine Welt, die als technische Konstruktion erscheine; in der Konflikt technische Pannen seien; in der Pädagogik dem rationalisierten Produktionsprozeß sich angleiche. Realitätsentzug und Apathie auf der einen Seite, auf der anderen Ausbruchs-und Fluchterscheinungen spiegelten die symptomatisch neurotische Seelensituation wider. Die emotionale Kälte im frühkindlichen Sozialisationsprozeß erlange heute die Bedeutung, die vormals der autoritären Triebunterdrückung zukam. Es konstituiere sich eine neue Form größter Ich-Schwäche, die nicht mehr wie in der autoritären sado-masochistisehen Psyche ein eingeklemmtes, bedrohtes Ich meint, sondern ein zerfließendes, diffuses, grenzenloses Ich, das eben darum nur noch die eigenen Interessen im Auge behalten kann, wobei das egoistische Interesse mit dem der Konsumgesellschaft identisch sei. Die bei jeder kleinsten Versagung während der primär-narzißtischen Phase auftauchende panikartige Angst vor Lustentzug verwandle sich in präobjektale Aggression. Gerade auch an den Verfallsformen der Studentenbewegung lasse sich ablesen, in welchem Maße narzißtische Reaktionen nicht nur präödipales, sondern auch gesellschaftliches Schicksal seien. Versteinerte Verhältnisse, die anscheinend nicht mehr zum Tanzen zu bewegen sind, verlockten auch nicht mehr zu libidinö-ser Besetzung — ein Dilemma, das sich in der Klage über die „kalten Wände der Uni" spiegle.

Einer solchen Analyse fehlt freilich die notwendige Selbstreflexion. Die „linke Pädagogik“ sollte sich bei einer Gesamtaufarbeitung mit auf die Couch legen: dann würde sich herausstellen, daß der neue Sozialisationstypus „Narziß" keineswegs nur ein Produkt spätkapitalistischer Konsumgesellschaft ist, deren Anpassungsmechanismen in der Tat klassenspezifisch nicht zu erfassen sind, sondern daß die emanzipatorische pädagogische Reformbewegung aufgrund großer anthropologischer Mißverständnisse bzw. anthropologischer Unkenntnis den Typus „Narziß" mit geschaffen hat; sie trieb im Rahmen ihres antiautoritären „Wahns“, den sie als Erkenntnis rationalisierte, den jungen Menschen in ein Sozialisationsdefizit, indem sie ihm absolut freie Entfaltung versprach.

Erziehung sollte ohne „Autorität", sie kann jedoch nicht ohne „Kompetenz" auskommen. Der Unterschied zwischen Autorität und Kompetenz besteht darin, daß Autorität fraglos handelt, auf ein irrationales Charisma sich beruft, sich nicht befragen läßt und somit auch nichts begründet. Kompetenz jedoch bleibt stets frag-würdig, sie läßt sich befragen, sie muß sich dementsprechend rechtfertigen, legitimieren. Gerade der junge Mensch will das Recht des Fragens und Infragestellens haben; über „Befragung" gewinnt er Verbindung mit und Bezug zu dem, was ihn bestimmt. Er braucht auf der anderen Seite jedoch auch „verbindliche“ Angebote, nach denen er sich richten, auf die hin er sich orientieren kann. Pestalozzi hat schon zu seiner Zeit kritisiert, daß „pädagogische Männlein zum Kindlein“ sich herabbeugten, statt daß „starke Erzieher" dem Kind die Hand hin-streckten, damit es wachsen und sich strekken könne. Die linke Pädagogik hat mit ihrer Fixierung auf „Kritik" und ihrer Unfähigkeit, „positive" Begeisterung für humane Ziele zu motivieren bzw. zu fördern, die weitverbreitete egozentrische Weinerlichkeit, mit der jede Schwierigkeit voller Selbstmitleid registriert und aggressiv hinwegprojiziert wird, teilweise selbst verursacht. Die narzißtische Selbstbespiegelung, die alles am eigenen Ich und an dessen Erfahrungen mißt, bzw.der Autismus als Flucht in Wahnvorstellungen und in die „Selbststaussperrung" von Wirklichkeit ist das Ergebnis einer Emanzipationsideologie, deren Vertreter, häufig selbst eingefangen in private Neurosen (die sie als vergesellschaftete Probleme zu legitimieren suchen), „Daseinsbewältigung" nicht vorzuleben vermögen.

Laborschule im Praxistest

Einen aufschlußreichen, wenn auch nur sektoralen Einblick in das Verlustkonto emanzipatierter Pädagogik (ihren Selbstruin bzw. ihre Regression in die Ideologie) vermittelt das Buch einer linken Gruppe an der Laborschule Bielefeld, dessen Publikation den Leiter der Schule, Hartmut von Hentig, beinahe zum resignativen Ausscheiden veranlaßte. Unter anderem wird von dieser Lehrergruppe festgestellt, daß die reformbezogene, emanzipatorische Arbeit deshalb gescheitert sei, weil Technokratie, Isolation, Kommunikationszerstörung sowie Fraktionierung die Solidarität vernichtet hätten. Eine derartige, durchaus richtige Analyse verschweigt jedoch, daß eben gerade die ideologischen Ausschließlichkeitsansprüche der eigenen Gruppe mit daran schuld waren, daß das plural-orientierte Konsensmodell der Schule sich nicht durchsetzte. Nach Hartmut von Hentig muß um der Aufgabe willen darauf geachtet werden, daß in einer Schule all die unterschiedlichen und gegensätzlichen Positionen vertreten sind, die für die umfassende Bestimmung der Sache wichtig sind. (Wissenschaftliche Arbeitsgruppen ohne Marxisten, Liberalisten, ohne Humanisten und Positivisten wären heute unsachgemäß zusammengestellt.) Wer eine solche Konsenstheorie, welche die Probleme, die in gemischter Kooperation auftreten, durch ein Verfahren zu lösen sucht, das die Autonomie der Beteiligten so nachhaltig schützt wie nur möglich, als „liberalistisch" disqualifiziert und dafür „Klarheit" (worunter ideologische Einseitigkeit zu verstehen ist) fordert, wer dergestalt der Dialektik des Pluralismus sich entzieht, sollte auch nicht den Solidaritätsverlust kritisieren. Die „Abläufe" des Konsensmodells (Dissens äußern, überzeugen, Konsens, daraus folgend funktionales Handeln) werden denunziert als „Angst vor Dissens", als „Unterdrückung von Gegenmeinung und Konflikt", als Scheinkonsens, disfunktionales Handeln (die „mehrheitliche Meinung" ist eben jeweils dann „falsches Bewußtsein", wenn sie der eigenen nicht entspricht). „Das Konsensmodell bzw.der potentiell emanzipative Teil des Modells ist an der Konfliktunfähigkeit, der Konfliktangst der Arbeits-Gruppe gescheitert. Die Konsenstheorie geriet so unversehens zu einer Herrschaftsideologie.'mit steigendem Angstpegel wurde es zunehmend bedrohlicher, sich dem Vor-Konsens der Mächtigen in der AK-Gruppe, aber auch den jeweiligen Autoritäten in der Fraktion kritisch zu stellen. Die häufig gestellte Frage: . Hierin besteht doch Konsens?'wurde zu einer rhetorischen.

In diesem Verstärkerkreis — Pluralismus, der sich auf Grund von Außen-und Innendruck nicht artikulieren darf, weil die Gruppe keine Konflikte riskieren kann, wird scheinbar verringert durch die Konsenstheorie oder den Appell daran, führt zu Scheinkonsens, was wiederum die unterschwelligen Konflikte verstärkt — entwickelte sich der Zentralkonflikt der Gruppe und führte zu Dysfunktionalitäten, zum Gegenteil dessen, was die Projekt-gruppe sich als Ziel gesetzt hatte: zu Angst, Unmündigkeit, Autoritätsfixierung, Konkurrenz, pädagogischen Irrationalismen und Technokratie."

Mit dem Konflikt in der Laborschule Bielefeld ist die Situation der Gesamtschulversuche in der Bundesrepublik insgesamt angesprochen: Die Lehrerkollegien sind vielfach gespalten oder usurpiert von Gruppen, die das dialektische Prinzip des „Aufhebens" längst für sich und ihre eigene Theorie wie Praxis aufgegeben haben. Solange sie sich in der Minderheit befinden, betreiben sie Kooperation lediglich aus taktischen Gründen — mit dem alleinigen Ziel, pädagogischen Pluralismus in ideologischen Autoritarismus umzuwandeln. Da dies jedoch den realen Verhältnissen widerspricht und in der gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation auch nicht durchsetzbar ist, bewirkt ein solches Defizit an Realitätsbewußtsein eine zunehmende Neurotisierung dieser Gruppen — was sich zum Beispiel als Solidaritätsentzug, Berührungsangst vor der Realität und Aufbau von Feindbildern manifestiert. Die ständigen Querelen innerhalb der Gewerkschaft „Erziehung und Wissenschaft" sind Symptome dieses Syndroms.

Kritische Sympathie

In seiner Ansprache zur 500-Jahrfeier der Universität Tübingen im Oktober 1977 forderte Bundespräsident Walter Scheel die Bürger der Bundesrepublik auf, „kritische Sympathie" ihrem Staat gegenüber zu zeigen. „Ich behaupte nicht, daß alles an diesem Staat in Ordnung sei. Das kann ein Demokrat gar nicht behaupten. Eine Demokratie ist immer auf dem Weg zu sich selbst ... Das richtige Verhältnis eines demokratischen Bürgers zu seinem Staat würde ich mit den Worten . kritische Sympathie'beschreiben."

Scheel fragt: Haben wir diese kritische Sympathie unseren Kindern auch wirklich vorgelebt? Und er antwortet:

„Wir dürfen uns diese Diskussion nicht so einfach machen. Wir müssen uns vielmehr alle fragen: Was haben wir getan, was haben wir versäumt, daß junge Mitbürger auf so furchtbare Abwege geraten konnten? Wir sollten uns bei dieser Diskussion vor Selbst-gerechtigkeit hüten. Und wir sollten auch unangenehmen Fragen nicht ausweichen, wie zum Beispiel: Was haben wir zu Beginn der Studentenunruhe am Ende der 60er Jahre, die auch moralische Antriebe hatte, den Studenten geantwortet? Waren unsere Antworten angemessen und ausreichend? Haben wir ihre Fragen überhaupt richtig verstanden? Wie kam es überhaupt zu der Unruhe der Studenten? Haben die staatlichen Stellen auf die Forderungen der Studenten nicht erst reagiert, als sie Gewalt angewendet hatten? Haben wir die politischen Dimensionen des Kernenergieproblems nicht erst erkannt, als in Wyhl und Brokdorf Gewalt angewendet wurde? Ich schließe mich aus dem Kreis derer, die sich solche Fragen stellen müssen, nicht aus.

Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland hat den mutigen Satz gesprochen: , Das Aufkommen des Terrorismus in unserem Land weist auf Versäumnisse und Fehlentwicklungen hin, an denen alle Gruppen unserer Gesellschaft beteiligt sind. Auch die evangelische Kirche bekennt ihre Mithaftung an dem Geschehen dieser Wochen.'Ich glaube, die Haltung, die in diesen Sätzen zum Ausdruck kommt, kann als Vorbild für alle dienen. Jeder einzelne und jede gesellschaftliche und politische Gruppe sollte sich zunächst selbst fragen, was sie versäumt oder falsch gemacht hat. Ich bin sicher, jede Gruppe wird da etwas finden. Solange eine solche Selbstbesinnung nicht stattgefunden hat, wirken die Hände, die auf den politischen oder weltanschaulichen Gegner zeigen, unglaubwürdig. Mein Vorgänger im Amt, Gustav Heinemann, hat darauf aufmerksam gemacht, daß bei einem ausgestreckten Zeigefinger immer drei Finger auf einen selbst zurückweisen;"

Was bedeutet „kritische Sympathie“ genauer? Wer beurteilt jeweils, ob bei aller Kritik die Sympathie noch vorhanden ist oder ob das Ausmaß der Kritik bereits auf Sympathieverlust schließen läßt? Man muß zu weit gehen, um zu erkennen, wie weit man gehen kann, meinte vor einiger Zeit einmal Heinrich Böll (in Übernahme eines Wortes von Giraudoux). Wie weit aber kann man zu weit gehen? Anhand einer Reihe von „Fällen" ist in den letzten Monaten und Wochen die Frage der Mei-nungs-und Gedankenfreiheit besonders intensiv diskutiert worden.

Alfred Andersch veröffentlichte 1976 ein Gedicht „Artikel 3, 3", dessen Verbreitung im Rahmen einer Rundfunksendung von dem zuständigen Programmdirektor untersagt wurde. In diesem Gedicht heißt es u. a.

„das neue kz ist schon errichtet die radikalen sind ausgeschlossen vom öffentlichen dienst also eingeschlossen ins lager das errichtet wird für den gedanken an die Veränderung öffentlichen dienstes die gesellschaft ist wieder geteilt in Wächter und bewachte wie gehabt ein geruch breitet sich aus der geruch einer maschine die gas erzeugt"

In einem Kommentar hierzu von Günter Rühle in der FAZ heißt es: „Mit dem Ablauf seines Gedichts will Andersch die Entwicklung in der Bundesrepublik nachvollziehen. Er geht aus vom Grundgesetz und endet mit dem Zitat der Gaskammern und beim KZ. Er beschreibt, und das ist seine poetische Intention, sozusagen den Weg dieser zweiten Republik mit der Geschichte der ersten. Das ist ein schon gängiges Klischee. In diesem Fall besonders untauglich, als es eine Maßnahme angreift, die sich auch mit einigen Gründen auf die Verhinderung eben dieser Wiederholung berufen kann. Weil er mit dem Klischee nichts Reales trifft, schlägt er uns mit Vokabeln. Er horrifiziert, um den, der gegen ihn argumentieren möchte, mundtot zu machen.

Es verwundert nicht, daß Andersch selbst zu Aktionen aufruft, die für jene Zeit typisch waren, der er sein Vokabular entnimmt. Wie die Nazis einst das Wort . Jude'an die jüdischen Geschäfte schrieben, will er die Hakenkreuze an die Türen derer malen, die er als Nazis verdächtigt. Er sagt: . Bildet ihre Visage ab.'So wie früher der . Stürmer'die , Ju-den-Visage'abbildete?

Was veranlaßt einen Autor, dem man Umsicht, Vernunft und die Leidenschaft zur Hu65) manisierung immer konzedierte, selbst zu sprechen, wie einst der . Stürmer'sprach? — Die Sprache des . Stürmers'war eine, die aus einem Wahnbild entstand. Was für ein Bild hat Andersch von der Bundesrepublik? Wo ist eine Lehrerin gefoltert, wie einst die Gestapo folterte? In dieser Republik wird in den siebziger Jahren das Wort noch freier geführt als in der zweiten Hälfte der fünfziger.

Allenfalls: Der Dialog ist härter geworden, er enthält mehr an Konfrontation. Auch das politische Gedicht soll ein Mittel solcher Auseinandersetzung sein. Es trifft aber nur, wenn es in seiner Metaphorik Sachverhalte nicht verklebt, sondern bewußtmacht. Andersch klebt alle Metaphern über neue politische Fragen. Damit kann man nicht diskutieren. — Er klagt an, daß es wieder Wächter und Bewachte gäbe. Aber welche Rolle sucht Andersch? Er sucht selbst die eines Wächters. Aber welches Bild gibt dieses Gedicht vom Wächter Andersch?"

Es wäre der Zeitpunkt gekommen, meinte der Bundestagsabgeordnete Dr. Christian Schwarz-Schilling, medienpolitischer Sprecher der CDU, in einem Brief an den Indentanten des Hessischen Rundfunks vom 4. 10. 1977 (in dem er sich über einen Kommentar des Hessischen Rundfunks beschwerte), da auch die öffentlich-rechtlichen Medien engagiert und entschieden Flagge zeigen sollten für diesen Staat und seine Gesellschaft — was sich zum Beispiel zu bekunden hätte in einem konsequenten Eintreten für alle gesetzgeberischen Maßnahmen, die uns im Rahmen des Grundgesetzes zur Verfügung stünden, um die Feinde der Freiheit und die Feinde unseres Rechtsstaates in die Schranken zu weisen. Wir kämen sonst in die Situation, daß sich diese Feinde ihre Opfer aussuchten und ihre Gewaltmethoden anwenden könnten wie sie wollten, aber diejenigen, die sie sich als Opfer ausgesucht hätten, der nackten Gewalt schutzlos gegenüberstünden. Wer in dieser Situation davon rede, daß die Gefahr von der Republik, von der Gesetzgebung ausgehe, habe die „Zeichen der Zeit" wirklich nicht verstanden. Werner Hess, der Indentant des Hessischen Rundfunks, reagierte darauf „mit Bestürzung". In einem persönlichen Kommentar müsse es doch erlaubt sein, die Meinung zu vertreten, die man für richtig halte; die Diskussion von verschiedenen Standpunkten aus sei ein wesentliches Element der Demokratie

Eine umfangreiche juristische wie publizistische Auseinandersetzung gab es um die Veröffentlichung des Buches „Wie alles anfing" von Micheal (Bommi) Baumann, einem früheren Angehörigen der Terrorszene, der darin seine Erfahrungen und Erlebnisse berichtet. Unter anderem schrieb er: „Ich stehe immer noch hinter allen Sachen, die ich gemacht habe; ich habe es gemacht und es war in Ordnung." Die Lorenz-Entführung nennt er „großartig". Diese Entführung sei ein wirkliches Meisterstück der europäischen Stadt-Guerilla gewesen. — Zwar sah das Gericht, das sich mit dieser Frage beschäftigte, darin eine Billigung des Verbrechens, ebenso wie bei der Brandstiftung im Berliner Kammergericht, die auf das Konto von Hella, einer Freundin Michael Baumanns, ging und deren Mut Baumann rühmt. Die Münchner Richter wollten diese Texte aber nicht isoliert sehen, sondern im Gesamtzusammenhang des Buches, vor allem aber vor dem Hintergrund der Aufforderung, „die Knarre wegzuschmeißen", sich einem „konstruktiven Konzept" zuzuwenden, sich zu öffnen für neue Erkenntnisse und Experimente und zu versuchen, Leben zu erhalten, „damit wir nicht von den Trümmern des zusammenbrechenden Systems begraben werden". In einem Kommentar zum Gesamtvorgang schrieb Rudolf Gerhardt in „Buch und Bibliothek":

„Die von allen politischen Parteien geforderte geistige Auseinandersetzung mit dem Terrorismus setzt zuerst einmal die Kenntnis von dieser Ideologie voraus — nicht der Ideologie, die da gelegentlich in verquollenen Sätzen in Gerichtssälen ins Schaufenster gelegt wird, sondern die Kenntnis des Nährbodens für Aggressionen, aus dem schließlich Terrorakte gedeihen — vielleicht des . Alltags zwischen Lieben und Bomben’, von dem Bau-mann spricht."

Wenn man im Rahmen des Grundsatzes: „Eine Zensur findet nicht statt" nicht bereit ist, erhebliche Risiken einzugehen, d. h. Gedankenfreiheit und Meinungsfreiheit so zu begreifen, daß sie auch Spielraum für die Artikulation von Ungeist geben, besteht die Gefahr, daß die Trennungslinie zwischen dem, was zulässig und dem, was unzulässig ist, je nach den Machtverhältnissen verschoben und damit die Freiheit insgesamt beschnitten wird. Verantwortungsgefühl kann man nicht durch repressive Maßnahmen bewirken; es müßte gerade beim Intellektuellen verinnerlicht sein, eben aus dem hervorgehen, was Scheel „kritische Sympathie" zu einem Staat nennt, der die beste Demokratie darstellt, die Deutschland bislang verwirklichen konnte. Eine solche kritische Sympathie schließt selbstverständlich größte Wachsamkeit gegenüber demokratiefeindlichen Tendenzen ein. Die „Merkerrolle" sollte jeder einzelne Staatsbürger ausüben können; ihre Ausübung muß nicht nur garantiert, sondern gefördert werden. Ehrlichkeit und Offenheit sind Voraussetzungen kritischer Haltung; die Intellektuellen der Bundesrepublik, deren Lamentationen — nach einem Wort von Willy Brandt — oft eine Mischung aus Weinerlichkeit und Ahnungslosigkeit darstellten, müßten freilich selbstkritisch prüfen, ob ihre „Zentnerworte" jeweils berechtigt sind oder nicht.

Das „Russell-Tribunal", das darauf angelegt ist, die Weltöffentlichkeit von der in der Bundesrepublik herrschenden Unterdrückung zu überzeugen, nannte Brandt „ein beleidigendes Unternehmen". Martin Kriele schrieb in „Die Zeit", daß hier mit linker Elle gemessen und Anklagen vorgebracht würden, die einer sophistischen Aggression gleichkämen. Die Anklagen gegen die Bundesrepublik setzten sich im wesentlichen aus Erfindungen zusammen. Davon könne sich jeder durch eigene Beobachtung überzeugen. Wenn im Milieu der Tribunalanhänger Berichte über skandalöse Vorkommnisse verbreitet würden, so bräuch-te man nur die Absicht zu erklären, diesen Vorkommnissen entgegenzutreten und hinreichend detaillierte Informationen erbitten — und die Anhänger zögen sich dann sofort zurück. Man könne bei unwahrscheinlichen Berichten auch risikolos die Wette anbieten, die Behauptungen seien nicht wahr. Man werde die Erfahrung machen, daß die Ankläger an ihre Behauptungen selbst nicht glaubten. In solchen Situationen gewänne man das Bewußtsein, daß zwei Welten aufeinanderprallten: Für uns komme es darauf an, ob eine Anklage wahr und gerecht ist, für die anderen nur darauf, ob sie — wie es heißt — „bewußtseinsbildend" und revolutionsfördernd wirke

In der Tat hat sich gerade im Umfeld des Russell-Tribunals die Unsitte verfestigt, daß linke Intellektuelle sich offensichtlich vor allem dadurch zu legitimieren suchen, daß sie „Unterschriften" leisten. Alfred Grosser hat demgegenüber mit Recht betont, daß ein Links-intellektueller weniger seinen Namen „hergeben", als vielmehr seinen Verstand einsetzen solle, um zu einem objektiven Urteil zu gelangen. —

Das Russell-Tribunal erzeugt statt dessen einen Zustand aggressiver Hetze und nähert sich damit zumindest tendenziell dem, was aus totalitären Staaten bei „Volksgerichtshöfen" an Rechtsbeugung bekannt ist.

Die innere Zensur

An diese Notwendigkeit, unabhängig zu bleiben und begriffliche Trennschärfe nicht zugunsten von ideologischen Duftmarken zu suspendieren, dachte wohl Hans Magnus Enzensberger, als er beim Römerberggespräch 1976 vor der Gefährdung durch Selbstzensur warnte. „Von der Zensur hat nichts begriffen, wer sie einzig und allein für eine Sache der Bullen hält. Nie könnte sie funktionieren ohne ihre nimmermüde Zwillingsschwester. Die Selbstzensur, das behaupte ich zunächst einfach, ist allgegenwärtig.

Selbst vom teuersten, perfektesten, gründlichsten Verfassungsschutz, also vom deutschen, kann man das nicht behaupten. An Eleganz und Schlauheit übertrifft die Selbstzensur alles, was ein Innenminister sich träumen läßt. Vom bloßen Schreib-und Publikationsverbot wird sie nicht satt, sie will höher hinaus. Worauf sie es abgesehen hat und was sie tatsächlich oft genug erreicht, das ist das Denkverbot. Die Selbstzensur schläft überhaupt nie, und sie läßt sich nicht einwiegen von liberalen Abendliedern wie dem, das da behauptet, Gedanken seien zollfrei...

Wäre die Selbstzensur freilich nur das, was wir meist in ihr vermuten, der kleine Polizist im eigenen Kopf; wäre sie weiter nichts als der Statthalter der nackten Gewalt, des nackten Vorteils, der nackten Angst — sie ließe sich vielleicht schwer überwältigen, aber mühelos dingfest machen. Aber so dumm ist sie nicht, die Selbstzensur. Sie spricht mit den Engelszungen der Rücksicht, der Vernunft und der Loyalität. Sie tritt als Moralistin auf, sie rechnet sich zu den klugen Jungfrauen, und sie verteidigt am liebsten das, was uns am liebsten ist."

Dem „inneren Zensor" („Neue und alte Tabus in unserer Gesellschaft") ist der Band 22 der Herderbücherei-Initiative gewidmet. Vom konservativen Standpunkt aus stellt der Herausgeber Gerd Klaus Kaltenbrunner fest, daß derjenige, der sich von gängigen Phrasen nicht mehr berauschen lasse und nicht nach politisch-pädagogischen Moden sich orientiere, unschwer bemerken könne, daß unter der Flagge emanzipatorischer und kritisch-rationaler Aufklärung neue Tabus entstünden, die kaum weniger repressiv seien als die früheren. Der alte Zensor sei passe, eine staatliche Zensur finde nicht mehr statt, auch der Einfluß der Kirchen sei rapide zurückgegangen. Das Amt des Zensors werde jedoch inzwischen von jenen wahrgenommen, die sich pathetisch als Anwälte aufklärerischer liberaler und emanzipatorischer Mündigkeit anpriesen. „Niemand riskiert etwas, wenn er den Papst verhöhnt oder, wie Heinrich Böll, honorige Mitbürger als , frei herumlaufende Raubtiere'bezeichnet. Auch Polizisten und Ärzte sind nicht mehr tabu. Wie aber steht es zum Beispiel mit den Gewerkschaften, überhaupt mit dem . Sozialen'? Wer wagt es, sich ohne Um-schweife zum Kapitalismus zu bekennen? Ein solches Bekenntnis würde heute sogar Unternehmer schockieren. Wer wagt es, um noch einige Tabus zu erwähnen, den staatlichen Schulzwang grundsätzlich in Frage zu stellen? Kann jemand Karriere machen, der vor der Demokratie keinen Kotau macht? Intellektuelle dürfen Politiker beschimpfen; doch kann es sich ein Politiker leisten, einen politisierenden Schriftsteller öffentlich abzukanzeln? Immer wieder ist davon die Rede, daß es darauf ankomme, den . primitiven Antikommunismus'zu überwinden; Antikommunist zu sein gilt geradezu als gleichbedeutend mit Reaktionär, Faschist und dergleichen. Hingegen hat man bislang noch keine Warnung vor einem primitiven Antikapitalismus oder Antifaschismus gehört. Es ist heute risikolos, über die Sowjetunion, China oder Libyen gut zu sprechen, zumindest Verständnis für deren Regime an den Tag zu legen; eine ähnliche Haltung gegenüber Rhodesien oder Chile hingegen ist tabu. Das Jugoslawien Titos gilt geradezu als liberaler Staat; Spanien hingegen wurde bis vor kurzem als faschistische Diktatur geächtet, obwohl es bereits in den letzten Jahren vor Francos Tod erheblich freiere Verhältnisse aufwies als das kommunistische Balkanland."

Es sei (so Georg Hensel in einem Kommentar „Zensur und Selbstzensur") genau zu unterscheiden zwischen Zensur und Zensurversuchen. In jedem Staat, in jeder Gesellschaft werde immer wieder der Versuch der Einflußnahme unternommen. Das Theater zum Beispiel, das sich als politische Institution verstehe, sollte sich nicht wundern, wenn es in politische Kämpfe gerate. Wenn Staat oder Stadt den Vertrag eines Indentanten nicht verlängerten, so griffen sie massiv in die künstlerische und politische Entwicklung eines Theaters ein. Wer dies Zensur nenne, der möge es tun; der Eingriff sei jedoch legitimiert durch die Wählerschaft, den „Souverän“. Wenn dieser „Souverän“ neue Mehrheitsverhältnisse schaffe, so wolle er eine Änderung der Politik, auch der Kultur-politik. Theatet könnten nicht zugleich politisch sein, wenn sie angreifen, und unpolitischer Freiraum, wenn sie sich angegriffen fühlten. Zum Risiko der Freiheit gehöre auch die Freiheit des Gegners

In der Tat wird der Begriff der Zensur immer häufiger „beliebig" gebraucht. Dies geht sogar so weit, daß diejenigen, die links stehen oder sich links fühlen, dann, wenn sie keinen Erfolg haben (zum Beispiel ein Manuskript nicht veröffentlichen konnten) von Unterdrückung sprechen. Im Umfeld der sogenannten Berufsverbote bzw.des Extremistenbeschlusses werden entsprechend Ansprüche erhoben, die nicht durch Qualität legitimiert, sondern darauf angelegt sind, Solidaritätsmechanismen zum Einschnappen zu bringen. Wer durch den Extremistenbeschluß stigmatisiert ist, ist aber deshalb noch nicht automatisch qualifiziert. Die Zugehörigkeit zur „Linken" bzw.der entsprechende Anspruch sollte nicht vom Kompetenznachweis entbinden. Statt dessen wird die Auseinandersetzung um den Extremistenbeschluß von denjenigen, die ihn aufgehoben wissen wollen, häufig so geführt, daß man geradezu von einer Berührungsangst gegenüber Beurteilungskriterien sprechen kann. Diejenigen, die sich ständig gegen Diffamierung aussprechen, greifen häufig, um sich der Objektivität dem eigenen Lager gegenüber entziehen zu können, ebenfalls zur Diffamierung. Die Selbstzensur funktioniert; wer sie zu stören versucht, wird mit Unterstellungen ein-gedeckt.

Der Extremistenbeschluß

Was diesen Extremistenbeschluß selbst betrifft, so stellt er in der Tat eine unheilvolle Entscheidung dar. Reichlich wahllos werden Dossiers von den Verfassungsschutzbehörden zusammengestellt; Verdächtigungen grassieren. Es wird ein Klima der Angst produziert. Die im Rahmen von Einstellungsverfahren geführten Gesprächen machen oft nur deutlich, daß solche Gespräche untauglich sind, ein einigermaßen objektives Bild von der zu erwartenden Loyalität des Bewerbers gewinnen zu können (soweit es sich um ideologische bzw. weltanschauliche Fragen und nicht um kriminell-verdächtige Verhaltensweisen handelt). Die Antworten, die bei solchen Gesprächen gegeben werden, ermöglichen keine Er-gründung des Charakters bzw.der Staatsmoral des Bewerters. Sie lassen bestenfalls auf dessen taktisches Verhalten schließen. Das einzig richtige Verfahren wäre die Einstellung oder die Nichteinstellung aufgrund vorliegender Prüfungen, Beurteilungen und Referenzen (also Leistungen) bzw. die generelle Einführung einer Probezeit, die es jedem einzelnen ermöglicht, die Fähigkeiten zu zeigen, die man mit Recht von ihm am jeweiligen Arbeitsplatz erwartet. Der politische „Intimbereich" wäre genauso zu respektieren wie z. B. die jeweiligen Wahlentscheidungen, die ja auch nicht bei Einzustellenden oder bereits Eingestellten zur Beurteilung herangezogen werden. Wenn neuerdings sogar Gerichtsurteile vorliegen, die Bewerber für den öffentlichen Dienst deshalb ablehnen, nicht weil sie die freiheitliche demokratische Grundordnung aktiv bekämpften, sondern ihr „gleichgültig“ gegenüberstünden, so bedeutet dies, daß der Gesinnungsschnüffelei Tür und Tor geöffnet wird. In einem Beitrag von Ulrich Greiner „über die Schwierigkeiten, eine Verfassung zu schützen" („Der Radikalenbeschluß und seine Folgen") heißt es unter anderem:

„Es geht um die Tausende von . Erkenntnissen'und um die wachsende Zahl von überwachten. In ihnen wird ein permanentes Gefühl des Kontrolliertwerdens erzeugt. Wo aber in einem ansonsten relativ freien Land plötzlich Druck von oben entsteht, gibt es nur zwei mögliche Reaktionsweisen: eine offenbar erwünschte, die sich von dem euphemistischen Begriff der Staatsloyalität bis hin zu Anpasserei und Duckmäusertum abschattiert; — und eine zweifellos unerwünschte, die mit Zweifeln an der Gerechtigkeit und Richtigkeit unserer Gesellschaftsordnung beginnt und mit Radikalismus endet. Der Schriftsteller Peter Schneider hat dies auf die Formel gebracht: , Wer zum Verfassungsfeind erklärt wird, kann eigentlich nur noch einer werden. ’ Der Radikalenbeschluß der Ministerpräsidenten vom Januar 1972 ist, um ein Wort Fontanes zu aktualisieren, zum . Angstapparat aus Kalkül'geworden. Das Resultat: die tatsächlichen Verfassungsfeinde, ob sie nun Guillaume oder Faltermeier heißen, tarnen sich besser denn je, ansonsten aber breitet sich schleichend die Furcht aus. Berliner Linke rufen sich nur noch von öffentlichen Telefonzellen aus an; seinen Namen zu nennen gilt als sträflich. Postkarten schreibt man nicht, selbst in geschlossenen Briefen teilt man sich nur das Notwendigste mit. Keiner traut mehr dem Postgeheimnis; daß sein Telefon zumindest teilweise abgehört wird, nimmt fast jeder an.

Ist all dies bloße Hysterie? In Berlin kursiert die Geschichte einer jungen Frau, die sich von ihrem linken Freund trennte und in einen anderen Stadtteil zog, der für lange Wartezeiten auf Fernmeldeanschlüsse bekannt war. Zwei Tage, nachdem sie die Einrichtung eines Telefons beantragt hatte, kam der Monteur. Auf ihre verwunderte Frage entgegnete der Mann, er sei höheren Orts angewiesen worden, die Installation unverzüglich auszuführen. Nicht lange danach wurde ihr ehemaliger Freund wegen vermuteter Zugehörigkeit zur . Bewegung des 2. Juni'verhaftet.

Der Vorfall ist glaubwürdig, aber unabhängig davon, ob er zutrifft oder nicht: er gehört in jenen wildwuchernden Wald aus Phantasie und Tatsachen, den der Radikalenbeschluß hat sprießen lassen. Keineswegs ist alles nur Einbildung, keineswegs sind nur hartgesottene Spartakisten und DKP-Leute betroffen, sondern in der Mehrheit jugendbewegte Politisierer oder engagierte Demokraten, die allenfalls mit dem vagen Begriff . links'zu kennzeichnen wären — und dies zu sein ist zwar de jure nicht verboten, de facto aber wächst es sich zum Existenzrisiko aus." Bürokraten neigten immer dazu — und vor allem dann, wenn sie im Unrecht seien —, Geheimpolitik zu betreiben, um sich so der öffentlichen Kontrolle zu entziehen. Dies erzeuge einen Dunstkreis, in dessen Bereich Verfassungswirklichkeit und Verfassungsanspruch als identisch gesetzt würden. Während das Grundgesetz seinem Willen nach die Idee einer freien und gerechten Gesellschaft postuliere, die erst noch zu verwirklichen sei, werde es hier zur bloßen Apologie des Status quo mißbraucht.

Die Regelungen des Extremistenbeschlusses — stellen Friederike Fuchs und Eckhard Jesse demgegenüber fest — würden die Liberalität des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschlands keineswegs gefährden. Eine „streitbare Demokratie“ müsse sich wehren:

„Die Auseinandersetzung um die Beschäftigung von Extremisten im öffentlichen Dienst ist nicht ohne die historischen Hintergründe und die Demokratiekonzeption des Grundgesetzes hinreichend zu verstehen. Im Gegensatz zur Weimarer Republik besitzt die Bundesrepublik Deutschland eine Verfassung, die sich zu unantastbaren Werten bekennt und Vorkehrungen zu ihrem Schutz trifft. Die Wertgebundenheit (Art. 79, 3 GG) steht dabei in einem engen und konsequenten Zusammenhang zur Wehrhaftigkeit. Wer bestimmte Grundrechte zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht, verwirkt nach Art. 18 GG diese Grundrechte, und Parteien, die die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen suchen, können gemäß Art. 21, 2 GG verboten werden. Da Schutzgut dabei jeweils die .freiheitliche demokratische Grundordnung'ist, steht diese vielfach im Mittelpunkt der Kontroversen. Zementiert sie eine bestimmte Gesellschaftsordnung? Leistet der Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung autoritärem Verfassungsverständnis Vorschub? Ist sie eine beliebig einzusetzende Worthülse, die es erlaubt, politisch Unliebsame und Unbequeme ins Abseits zu drängen? Die Ausführungen sollen belegen, daß der geschützte Verfassungskern grundlegende Reformen keineswegs verhindert, sondern gerade erst legitimiert. Das Prinzip der „streitbaren Demokratie" trägt vielmehr der Pluralismustheorie Rechnung, die Konflikte und Konsens untrennbar miteinander verknüpft."

Abgesehen von den direkten, von Fuchs und Jesse wohl bagatellisierten negativen Auswirkungen des Extremistenbeschlusses, muß freilich auch festgestellt werden, daß vielfach schon die Furcht vor möglichen Reaktionen oder Repressionen dazu führt, daß der gegebene Spielraum nicht genutzt wird. Dieser Mangel an Courage und an der Bereitschaft, (oft auch nur kleine) Risiken auf sich zu nehmen — wenn etwa fest verbeamtete Lehrkräfte dem Direktor gegenüber ihre Meinung verschweigen, weil sie befürchten, dann eventuell einen schlechten Stundenplan „verpaßt" zu erhalten —, führt zu Alibi-Verhaltensweisen. Weil man Widerspruch bzw. Widerstand nicht wagt, jeden Einsatz scheut, also ich-schwach sich verhält, versucht man, dies zu „rationalisieren": die erwartete oder befürchtete Repression und die Angst davor wird ins Maßlose hinein übertrieben, um auf diese Weise vor sich und den anderen das eigene Verhalten (Versagen) plausibel machen zu können. Gratisangst verhilft dazu, Gratis-mut nicht zeigen zu müssen.

Glanz und Elend der Intellektuellen

Die Auseinandersetzung um Bedeutung, Einfluß, Funktion und Verhaltensweisen des Intellektuellen wird zur Zeit in der Bundesrepublik mit besonderer Intensität geführt. Beklagt wird, daß der Intellektuelle vielfach zu wenig konstruktiv, zu wenig „positiv" dem Staat gegenüber eingestellt sei. Wer jedoch an der Demokratisierung der Gesellschaft interessiert sei, müsse das Ohr und den Sinn dafür schärfen, daß auch und gerade der Nein-Sager ein Wahr-Sager ist, da er dem Handeln, das ohne eine gewisse Besinnungslosigkeit nicht auskommen kann, zur rationalen Zügelung verhilft. Die kritische theoretische Vernunft stellt das Gegengewicht zum notwendigerweise optimistischen Willen dar. Das bekannte Lessingsche Diktum aus der „Emilia Galotti", daß, wer über bestimmte Dinge nicht den Verstand verliere, keinen habe, muß in diesem Zusammenhang so verstanden werden, daß vielfach die Menschen deshalb nicht ihrem Verstände folgen, weil sie fürchten, dann ihrer Handlungsmotivation beraubt zu werden. Natürlich kann man auch intuitiv die Dinge „durchschauen" und — wie etwa Antigone — „nein" sagen. Das Gewissen macht nicht feige; im Gegenteil; die Erziehungsarbeit muß aber vor allem die Hindernisse wegräumen, die den Verstand auf seinem Weg zur Selbst-und Fremdverantwortung zu behindern suchen, und dabei die Pflicht und das Recht auf Kritik, wie sie der politische Schriftsteller paradigmatisch in Anspruch nimmt, insgesamt stärken wollen. In diesem Sinne schreiben etwa Freimut Duve, Heinrich Böll und Klaus Staeck als Herausgeber der Anthologie „Briefe zur Verteidigung der Republik" in ihrer „Vorbemerkung":

„Die Texte sind getragen von der Hoffnung und von der Verteidigungsbereitschaft engagierter Demokraten. Trotz der zunehmenden Intellektuellenbeschimpfung wollen die Briefe weder anklagen noch zurückschlagen. Sie wollen mobilisieren, was verschüttet zu werden droht: Zivilcourage und politische Phantasie. Terroristen und ihre vielen politischen Nutznießer scheint eine Grundüberzeugung zu einen: Diese Gesellschaft sei weder reformbedürftig noch reformfähig. Bei allen unterschiedlichen Standorten der hier versammelten Briefschreiber — eines eint sie gegen diese Position: Nur die Anerkennung der Reformbedürftigkeit und der Reformfähigkeit eines demokratischen Gemeinwesens kann langfristig dem Terrorrismus (und seiner biedermännischen Nutznießerei) den Garaus machen."

Zu prüfen ist freilich stets, ob der politische Schriftsteller diese seine Aufgabe auch wirklich wahrnimmt, ob er, wenn schon NeinSager, ein solcher auch wirklich ist, und nicht der eigenen Gruppe und dem eigenen Lager gegenüber als verkappter Ja-Sager auftritt. Die keineswegs selten anzutreffende Doppelmoral des Intellektuellen und seine opportunistischen Züge hat Manes Sperber in seinen „Erwägungen eines aufmerksamen Zeitgenossen" („Vom Mißgeschick deutscher Intellektueller in der Politik") im Auge

Die Linken, stellt Hagen Rudolph in einem „Pardon" -Kommentar fest, machten es sich zu leicht, wenn sie immer nur nach rechtsaußen zeigten:

„Mich empört, daß jeder heute erst ein feierliches Bekenntnis für Freiheit, Demokratie, Grundgesetz und Gewaltlosigkeit ablegen muß, will er halbwegs unbehelligt von Verleumdungen kritisch über gesellschaftliche Zustände in der Bundesrepublik nachdenken. Und selbst dann ist er noch nicht sicher vor der Perfidie, die . Bild', . Weit', viele CSU-Politiker und Geistesverwandte mittlerweile entwickelt haben, wenn sie Terrori-sten-Sympathisanten dingfest machen wollen. Die , Bild’-Zeitung Anfang Oktober in einem Artikel über Günter Wallraff: , Ich verabscheue Gewalt und Terror — so beginnt Günter Wallraff im modischen Sympathisanten-stil ...'Da wird nun sogar das Bekenntnis zum Beweis für das Gegenteil.

Aber müssen wir uns wirklich darüber wundern? Wir haben uns aus guten Gründen angewöhnt, Gesprochenes und Geschriebenes abzuklopfen auf Absichten, Einstellungen und Konsequenzen. Aber wir haben, so will mir scheinen, dabei ein bißchen zu oft nur in eine Richtung geschaut. In einem Artikel in . konkret'über sich und seine angenommene Rolle beim Einschleichen in die , Bild-Redaktion schreibt Günter Wallraff: , Hans Esser. Das war ich. Und doch: Das bin ich nicht mehr, der mich da aus dem Spiegel anschaut. So eine Visage, auf Karriere getrimmt, wie ich sie bei Jungmanagern immer haßte. Geschniegelt, gestutzt, von Höhensonne erfolgsgebräunt. Polierte Fresse . . . ’ Kommt hier nicht das gleiche Vorurteilskaliber wie bei . Bild'zum Vorschein? . Visage . .. polierte Fresse .. . ich sie bei Jungmanagern immer haßte . . .'Das ist kaum die Sprache, die Menschlichkeit und Toleranz signalisiert."

„Er habe Drachenzähne gesät und Flöhe geerntet", meinte einmal Karl Marx. Man kann dieses Wort vor allem auch auf diejenigen anwenden, die als „Marxismus-Karrieristen" zu bezeichnen sind. Klaus Funken hat in einem Beitrag der „Frankfurter Rundschau" („Legendäres von der Neuen Linken") an Hand einiger Beispiele die marxistische Mode an den Hochschulen dekouvriert und darauf hingewiesen, daß die Bedeutung dieser Marxisten in ihrem falschen Schein bestehe. Sie desorganisieren, weil sie sich nur mit sich selbst verbunden fühlen: ihre Theorien seien Privatsachen ohne Anspruch; ihre Institute vergammelten, weil sich alles und jedes um ihre eigene Person drehe. Mit Politik habe das alles nur insofern zu tun, als zu diesem „linken" Clan nur Leute gehörten, die mit Politik nichts zu schaffen haben wollten. Es seien in der Regel Privatpersonen, umgänglich, intrigant, aufstiegsbewußt — durchschnittliche Zeitgenossen; daß sie sich Marxisten nennten, sei zeitbedingt, eben den Verhältnissen zu verdanken. Dem Amoklauf der studentischen Gruppen setzten sie ein mildes, zustimmendes Lächeln entgegen; sie nähmen keinen Anstoß und würden dadurch nicht angestoßen; sie würden in studentischen Vollversammlungen als links progressiv, radikal auftreten; sie vermittelten unter der Hand zur Mitte, drohten nach rechts, spalteten die Linke. Sie seien „in“; doch schon sähen sie sich nach neuen Sätteln um. Die Nachfrage nach Marx lasse nach, die verwaschenen Jeans würden wieder ausgezogen, die Lederjacken in den Schrank gehängt.

„Der Marxismus-Karrierismus ist die Phase, in der die politische Studentenbewegung sich überradikalisiert, so daß ein den marxistischen Zielen entgegengesetzes Resultat befürchtet werden muß. Der Marxismus-Karrierismus ist die Phase der Denunziation der Marxschen Theorie durch . Marxisten'selbst, der Marxismus-Karrierismus ist eine exotische Variante des kleinbürgerlichen Aufstiegsbewußtseins. Er verschafft gleichzeitig Studenten und anderen Hochschulangehörigen die Möglichkeit, in Ruhe Marx zu studieren. Der Marxismus-Karrierismus ist das letzte Stadium der Dekadenz der studentischen Revolte."

Wie ist in diesem Zusammenhang der Aufstand der „Neuen Philosophen" gegen die „dialektische Vernunft" in Frankreich zu bewerten? Handelt es sich dabei um ein Anpassungsphänomen, eben um Leute, die nun ihre geistigen „verwaschenen Jeans“ endgültig ausgezogen und in den Schrank gehängt haben, oder handelt es sich um eine aus dem Marxismus selbst hervorgehende, gleichermaßen fundierte wie fundamentale Marxismus-Kritik? Die sehr heterogene Gruppe dieser Intellektuellen (darunter Glucksmann, Levy, Benoist, Lardreau, Dolle, Jambet) ist bestimmt durch die „Trauer einer Abbruchs-und Abschiedsstimmung", die ausdrückt, daß die organisierten, kollektiven Hoffnungen auf Veränderung zerbrochen sind und nur noch der moralische Appell an den politischen Instinkt des Volkes und die „dionysische Feier des ästhetischen Subjekts“, das alle Brücken zur bestehenden Gesellschaft abgebrochen hat, bleiben. Oskar Negt weist darauf hin, daß das „neue Klima" mit dem Existentialismus der Nachkriegsperiode verglichen werden könne; aber sein Inhalt sei ein ganz anderer; damals lebte die Ressistance nach, die Exponiertheit des Individuums auf Leben und Tod, mit einer nach vorne gerichteten Entwurfsfreiheit. — Primärer Anlaß der zu einer pessimistischen Geschichtsphilosophie langgestreckten Stali-nismus-Kritik sei, was in Frankreich durchaus große Vorbilder habe, ein literarisches Grunderlebnis: Solschenizyns Gulag-Epos. „Ich bin das natürliche Kind eines teuflichen Paares, des Faschismus und des Stalinismus", so beginnt der 1948 gehörend Levy sein Buch mit dem für die Neuen Philosophen charakteristischen Titel: „Die Barbarei mit menschlichem Gesicht". Hitler sei nicht in Berlin gestorben; er habe den Krieg gewonnen. Stalin sei weder in Moskau noch auf dem 20. Parteikongreß gestorben; er lebe unter uns. — Oskar Negt schlägt dann die Brücke vom französischen Phänomen der „Neuen Philosophie" zur Situation der Intellektuellen in der Bundesrepublik: „Der Marxismus hat in der Linken der Bundesrepublik, aus Gründen, die in seiner späten, aber sehr schnellen Rezeption, auch in der geringen Resonanz bei der Arbeiterbewegung liegen, vielfach die Gestalt einer ausgetrockneten akademischen Ableitungslogik angenommen; wo er in Parteigruppen politisch wurde, diente er häufig der einfachen Legitimation von politischen Entscheidungen. In beiden Fällen ist etwas für die marxistische Dialektik Wesentliches auseinandergerissen worden: nämlich Parteilichkeit und Wahrheit. Wo diese Einheit zerstört ist, verliert das marxistische Denken seine lebendige Kraft für die Strukturierung von Emanzipationsprozessen. Es ist kein Zweifel, daß die Neuen Philosophen diesen wunden Punkt der gängigen Orthodoxie erkannt und getroffen haben."

Neue Sinnlichkeit

Die von Levy angesprochene „ausgetrocknete akademische Ableitungslogik", die sich noch vor ein paar Jahren u. a. widerspiegelte in der Abneigung der Linken gegenüber ästhetischen, intuitiven und emotionalen Erlebnis-weisen, im Fehlen eines — wie Bloch es nannte — „Wärmestroms", hat eine Gegenbewegung hervorgerufen, die mit Begriffen wie „Neue Sinnlichkeit" und „Neue Privatheit" beschrieben werden kann.

Im „Kursbuch“ 49 — mit dem Schwerpunkt-thema „Sinnlichkeit“, eingeleitet von Karl Markus Michel mit dem Aufsatz „Schön sinnlich" („über den Teufel und seinesgleichen, das Fummeln, Schnüffeln und anderen Kitzel") — bemerkt Michael Schneider, daß der Schock, den viele Intellektuelle um 1970 erlitten hätten, darin bestand, daß ihr kurzlebiger politischer Kraftakt von zwei, drei Jahren nicht ausgereicht habe, um die „versteinerten Verhältnisse" dieser Republik „zum Tanzen zu bringen“ (Marx). Bei vielen Oppositionellen sei der revolutionäre Zorn so schnell verraucht, wie er gekommen war, und oftmals schien ihr politischer Ehrgeiz schon befriedigt, wenn sie sich vermittels einer Dissertation über die Marxsche „Mehrwert-Theorie" oder die „Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung" eine akademische Planstelle ergattert hatten. Nur die wenigsten wären wirklich auf den langen Marsch durch die Institutionen eingestellt gewesen; aber als nach einigen Jahren deutlich wurde, daß sich das Trägheitsmoment der proletarischen Masse, zumal der westdeutschen, doch stärker erwies als die Kraft ihres kurzen politischen Hebelarms, seien viele der einstigen Revolu-tionäre enttäuscht von dannen gelaufen. Denn der Lieblingsgedanke, um dessentwillen sie die Selbstkasteiungen der politischen Arbeit auf sich genommen hätten, war nun dahin:

daß sie, kraft ihrer angeborenen Stellung als „Intelligenzler", als anerkannte „Primusse der Nation", dazu berufen wären, dem Proletariat das Licht der marxistisch-stalinistischen Erkenntnis zu bringen wie Prometheus den Erdenmenschen das Feuer. Aber das Proletariat, so schien es, wollte gar nicht so erleuchtet werden, jedenfalls nicht von denen, welche die Söhne und Töchter seiner Chefs und Direktoren waren. Was dieser intellektuellen Bewegung fehle bzw.früh schon wieder abhanden gekommen sei, sei eine radikale, mit politischem Inhalt gefüllte Bedürfnis-und Gefühlssprache, eben jene „Breite der Seele, die sich mit der Volksseele, wenn auch nur momentan, identifizierte, jene Genialität, die materielle Macht zur politischen Gewalt begeistert" (Karl Marx)

Die dreißigjährigen Akademiker, die trotz Marx, Lenin und Mao im Grunde bürgerliche Kritiker geblieben seien, frönten nun ihrem neuen kategorischen Imperativ: „Sei sinnlich!" Als ob man einen Asthmatiker durch das Kommando „Gut durchatmen!" heilen könne. Im ersten Augenblick habe es so ausgesehen, als ob die neue psychologische bzw. Sensibilitäts-Flutwelle die Deiche der versteinerten linken Verstandes-und Begriffskultur zum Einsturz bringen würde; es war zu hoffen, daß der politische Verstand wieder durchlässiger, flexibler und „sensibler" werden würde. Enttäuscht darüber, daß die „Blitzrevolution" nicht stattgefunden habe, jammerten die verlorenen Söhne jetzt dem verlorenen Paradies nach und spuckten die bitteren Früchte, die sie vom Baum der vulgär-marxistischen Erkenntnis gegessen hätten, angewidert aus. Am liebsten würden sie ihr mühsam erworbenes politisches Bildungsgut verramschen und in den Stand der politischen Unschuld zurückkehren. Nun schwärmten die halbwegs Begüterten unter ihnen aufs flache Land und kauften die letzten Bauernhäuser an der Elbe und im Harz auf und gründeten „therapeutische Landkommunen".

„In diesen .sensiblen'Ausgeburten einer dumpfen Natürlichkeit fühlen sich die der Politik überdrüssigen linken Intellektuellen neuerdings zu Hause. Nun üben sie sich wieder in der . Großen Verweigerung'gegen die Industriekultur und die von ihr geprägten Werte. Welch sentimentale Reprise eines falsch verstandenen Rousseauismus, welch trauriger Rückfall in einen agnostischen Existentialismus, dem selbst die Kraft des alten Existentialismus der fünfziger Jahre fehlt, die , aver-bale Kommunikation'erscheint der nostalgischen Linken nun als höchste Form der Kommunikation, und just in einer Zeit, da sie eine neue Sprache bräuchte, feiert sie Orgien der Sprachlosigkeit."

In seinem Buch „Linke Tabus" spricht Henryk M. Broder aufgrund der Analyse „linker Biographen" vom „Rolltreppeneffekt" („Von links untern nach rechts oben"). Die Stufen der „Entwicklung" seien unter anderem charakterisiert durch:

— Ballonmützen und Parkas, — Jugendstilvasen und Portugalreisen, — Feinschmeckerangebote und Landhäuser, — Trimm-dich-Geräte und Pillenbar.

Die Opportunisten, Trittbrettfahrer und Anpassungsakrobaten hätten die Zeit fröhlich überstanden und stürmten heute wieder vornweg — wenn auch in die entgegengesetzte Richtung. Aber was solle man auch anderes von den Kindern ihrer Eltern erwarten? Die Mittelstandsrevoluzzer ließen jetzt das Proletarierspielen und fänden zu sich selbst zurück; die Peter-Stuyvesant-Generation ginge ihren Um-Weg: progressiv, dynamisch und bedenkenlos. Die Fälle der Berufsverbote sorgten dann dabei für eine Art Kollektiv-entlastung

„Wo sind die lustigen Feuer?" fragt Peter Mosler in seinem Buch „Was wir wollten, was wir wurden". Und er antwortet:

„Vor zehn Jahren reisten wir in Jeans und Parka mit leichtem Gepäck, breiteten den Schlafsack in einer Wohngemeinschaft aus und drehten uns eine Zigarette, das rote Buch von Mao in der Tasche und Sartre, Camus im Kopf. Später, als die meisten von uns ihr Universitätsexamen hatten, viele einen Beruf, einige eine Frau, ein Kind und eine Lebensversicherung, wurden wenige unkenntlich, zerfressen von den Angeboten der Bestechung, die die Gesellschaft für sie bereithielt, jener Gesellschaft, die sie zuvor bekämpft hatten, und sie glichen den Arrivierten mit den rosigen Wangen in ihren schnellen Autos, die sie zuvor verspottet hatten. Die sich wollüstig ihrem Beruf hingaben, eignen sich den Opportunismus der Entwurzelten an.

Aus den Genossen des SDS sind von den hageren, asketischen, hektischen Robespierres der ersten Stunde der Revolte ruhige beleibte Dantons geworden. Doch eine Mischung von Kontinuität und Bruch ihres Lebensschicksals gibt es fast bei allen, noch heute. Es sind nur wenige, bei denen der Bruch mit ihrer aufsässigen, rebellischen Vergangenheit überwiegt, wie bei jenem, Mitglied der Kommunistischen Partei Deutschlands/Marxisten-Lenini-sten (KPD/ML), der ersten Parteisekte, von der Studentenbewegung am 31. Dezember 1968 hervorgebracht, heute für den westdeutschen Vertrieb von Krim-Sekt arbeitend, oder jenem, früher Mitglied des Kommunistischen Arbeiterbunds Deutschland (KABD), heute im Amerikahaus einer südwestdeutschen Großstadt angestellt. Solche Menschen sind Ausnahme, nicht Regel. Sie sind nur Ausdruck dessen, daß sich nach dem politischen Rausch der Revolte die schwärmerischen Mitläufer von den Linken getrennt haben."

Intelligenz und Politik

Immer ist der Intellektuelle in der Gefahr, sich in Abwehr von Denunziation in den Schutz magischer Wörter und schützender Ideologien zu begeben, also seine Selbständigkeit zumindest in einer Richtung aufzugeben. Das heißt: Wenn der Intellektuelle befürchtet herabzustürzen, vertraut er auf das Netz, das ihn aufzufangen vermag. Er sei, sagte Thomas Mann einmal, mehr zum Repräsentanten denn zum Märtyrer geboren. Der politische Schriftsteller bzw. Intellektuelle setzt dialektisches Sprechen gerne außer Kraft, wenn der eigene Bereich tangiert ist. Wortreiche Kritiker schweigen dann, oder — was noch schlimmer ist — sie verschweigen das, was auszusprechen ihre Funktion wäre. Die Verführbarkeit des Geistes ist groß — sei es angesichts der Faszination der Macht oder der Angst vor ihr; sei es angesichts der Kraft der Ideologie oder der Angst vor ideologischer Heimatlosigkeit. Wenn Max Frisch in seiner Rede auf dem SPD-Parteitag in Hamburg 1977 den Intellektuellen dadurch charakterisierte, daß dieser besessen sei von einem Verlangen nach Erkenntnis der Wahrheit, auch wenn die Wahrheit möglicherweise nicht schmeichelhaft und seinem Privatinteresse nicht dienlich sei, so handelt es sich bei einer solchen Definition eben um eine idealtypische Vorstellung, die der Wirklichkeit oft nicht standhält — wobei die dabei deutlich werdende Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität dann im besonderen Maße auf das Ansehen des Intellektuellen zurückschlägt.

In ihrem Aufsatz „Die Intellektuellen im Bann der Macht" hat Gertrud Höhler den Dunstkreis der Korruption, in der sich der Intellektuelle befinde, dahin gehend beschrieben, daß er auf der einen Seite die Gleichheit propagiere, sich aber im Widerspruch zu ihren ideologischen Bindungen und Lehren sehr wohl als eine Kaste mit exquisiten Rechten verstehe und daß er, trotz seines politischen Anspruchs, namentlich vom Recht des nach-83) weisfreien Entwurfs ausgiebig Gebrauch mache

In seinem Buch „Die Arbeit tun die anderen. Klassenkampf und Priesterherrschaft der Intellektuellen" spricht Helmut Schelsky davon, daß Wir es bei den Intellektuellen mit der Herausbildung einer neuen Klasse zu tun hätten, die mit den ihr spezifischen Mitteln der intellektuellen Kritik eine neue Herrschaft aufzurichten im Begriffe sei, eine die geistliche Herrschaft des Mittelalters im säkularen Gewand fortsetzende „Priesterherrschaft der Intellektuellen". Es entwickle sich ein neuartiger Klassenkampf zwischen der Klasse der „Sinnund Haltsvermittler" und der Klasse der „Produzenten von lebenswichtigen Gütern". Mit Hilfe der Theorie solle eine neue Herrschaft errichtet und auf autoritäre Weise den gläubigen Massen „Sinn“ vermittelt (oktroyiert) werden

Von einem anderen Denkansatz kommend, charakterisiert Kurt Sontheimer „Das Elend unserer Intellektuellen" (gemeint sind wie bei Schelsky die linken Intellektuellen!) vor allem dahin gehend, daß sie mit Hilfe der Theorie die Politik verachteten, weil diese auf die konkreten Interessen konkreter Menschen und Gruppen Rücksicht nehmen müsse und ein Programm nicht gegen den Willen und das Bewußtsein der Menschen durchführen könne:

„Linke Theorie verwirft das Medium freier Politik, weil sie — im Besitz des Schlüssels der Erkenntnis — ungeduldig ist mit der Wirklichkeit, mit den Menschen, mit der Freiheit. Die Politik hat zwei Feinde, sagt Professor Crick: der eine ist die Gleichgültigkeit gegenüber dem menschlichen Leid (sie ist der Ursprung der moralischen Kritik des Intellektuellen, und sie hindert freie Systeme immer wieder daran, den Raum ihrer Freiheit so weit als möglich zu erweitern). Der zweite Feind ist das leidenschaftliche Verlangen nach Gewißheit in Fragen, die ihrer Natur nach politisch, also nicht absolut . wahrheitsfähig'sind. Linke Theorie nährt sich von Gewißheiten, über die wir als Menschen gerade nicht sicher verfügen können. Darin liegt ihre Verführung und ihre Anmaßung, aber auch die an uns gerichtete Herausforderung zur Verteidigung der Politik gegen ihre Feinde, wie übrigens auch gegen ihre vermeintlichen Freunde."

In einem Interview mit Horst Mahler und Hans-Jürgen Bäcker, ehemaligen Mitgliedern der Roten Armee Fraktion, haben diese in Erinnerung an die eigene Vergangenheit gesagt, daß zu der Zeit, als sich innerhalb der Protestbewegung der Umschlag in die Gewaltaktionen vollzog, der einzelne vor der Entscheidung stand, bei militanten Aktionen mitzumachen oder Außenseiter zu sein: „Ich habe damals ein Gruppenmitglied sagen hören: , Ich mache nicht mehr mit, ich akzeptiere meine Angst.'Ich habe das damals verwunderlich gefunden, eher negativ belegt als daß ich dem Mann Beifall gab. Heute sehe ich das wirklich ein bißchen anders: Das war der richtige Schritt, wenn einer seine Angst akzeptiert, dann ist das okay, dann muß man das billigen."

Die Sache der Intelligenz des Volkes sei es, Widerstandsformen zu entwickeln, in denen es die militärische Gewalt des Staates unterlaufen und sich erfolgreich behaupten könne: „Und das wird der Weg sein, wo das Volk bemerkt, es ist möglich, eine andere Lebensweise aufzubauen. Mit der es sich identifiziert und die Angst vor der Revolution, vor der Umwälzung, verliert. Das hat dann eine Beispielwirkung. Während nur das Abstrakte, na ja, das Verbellen des Staates und das Fordern, daß man ihn abschafft und daß man ihn zerschlägt, niemanden mobilisiert. Im Gegenteil, das löst Angst aus. Denn: Staatzerschlagen ist gleichbedeutend mit der Vorstellung von Chaos. Denn was passiert, wenn es den Staat nicht mehr gibt! Mord und Totschlag. Das sind die Denkformen, die vorhanden sind. Und die deshalb vorhanden sind, weil man sich eine andere Weise zu leben, ohne diesen bürokratischen Staat, heute noch gar nicht vorstellen kann. Das ist die Schwäche der Alternative."

In einer Antwort auf drei Fragen des Schweizer Schriftstellers Max Frisch hat Willy Brandt davon gesprochen, daß die Freiheit des Geistes nicht begrenzt werden dürfe, nur weil einige ihn mißbrauchten; der Geist sei nicht schuldig, wenn Menschen schuldig würden. Das Verhältnis zwischen der Politik und dem Intellektuellen müsse eine Wechselbeziehung sein; auch wenn Intellektuelle leidenschaftliche Wahrheitssucher seien, so befänden sie sich deshalb noch nicht im Besitz der Wahrheit; eine ihrer vorzüglichsten Eigenschaften sollte es sein, gerade dies — daß das Ringen um Wahrheit nicht schon ihren Besitz ausmache — zu wissen. Die Spannung zwischen Intelligenz und Politik im allgemeinen, zwischen Intellektuellen und Sozialdemokraten im besonderen werde um so produktiver sein, je mehr man gegenseitig davon ausgehen könne, daß man in der Fähigkeit des Eingeständnisses, sich zu irren, in nichts einander nachstünde.

Sprachlicher Zweifel

Nach einem Wort von Karl Kraus gibt es keine stärkere Sicherung im Moralischen als den Zweifel, vor allem auch den sprachlichen Zweifel. Zur Zeit wird jedoch Sprachkorruption und Sprachzerstörung in allen Lagern immer deutlicher. Man denke etwa an den emotionalen Überdruck, der mit dem Wort „Sympathisant" auf der einen Seite und mit dem Wort „Zensur“ auf der anderen Seite verknüpft ist — und wie solcher emotionaler überdruck rationale Trennschärfe hinwegbläst! Ständig zu rekonstruieren wäre deshalb der Zweifel an den Worten und Begriffen. Sprachlicher Zweifel ist auch ein gutes Heilmittel dem Jargon gegenüber. Statt dessen ist eine Stär86) kung des „jargonisierten Sprechens" festzustellen — sowohl des „Jargons der Eigentlichkeit", des Sprachlichen Einschüchterungsinstruments der Konservativen, als auch des „Jargons der Dialektik", der sprachlichen Angriffsformation der Linken. In beiden Lagern erweist sich dann Sprache als Teil einer weitgespannten Diffamierungsstrategie. Dialektisches Sprechen dagegen ist „aufhebendes" Sprechen. Steter Diskurs als Ausdruck steter Verunsicherung entspringt nicht der Unsicherheit, sondern dem Wissen von der Ambivalenz des menschlichen Geistes — seiner Viel-Wertigkeit. Das Miteinander gründet auch auf einem „ We-agree-todisagree". Handeln und Sprechen stehen da-87) bei in enger Korrelation. Das den anderen und dessen Position achtende dialektische Sprechen bleibt „leer", wenn das jeweilige Tun dieser „Freude am anderen“ nicht entspricht; aber auch umgekehrt wird die Achtung und Würdigung des anderen nicht real bewirkt werden können, wenn das „passende" Sprechen fehlt. Die von Hegel herausgestellte dreifache Bedeutung des „Aufhebens" als Überwindung, Bewahrung und Erhöhung ist gewissermaßen auch die Trias, die über einer demokratischen Spracherziehung walten müßte. Wenn, um ein Wort von Ludwig Harig abzuwandeln, die durchaus notwendige Aufforderung, sich „treu und redlich“ zu verhalten („üb’ immer Treu und Redlichkeit!"), in Sprachhülsen sich flüchtet, der Handlungskern in Verbalisierung sich verflüchtigt („Red'immer Treu-und Üblichkeit!"), werden die Impulse für konkretes redliches Handeln, wird die Motivation für die Umsetzung des staatsbürgerlichen Tugendsystems in staatsbürgerliche Praxis verlorengehen. Die Geschichte der linken Bewegung der letzten Jahrzehnte hat gezeigt, wie groß auch dort die Gefahr ist, daß Sprache dazu verwendet wird, Handlungsdefizits abzudecken.

Wer mit moralischem Anspruch das Wort der Rosa Luxemburg zitiert, daß Freiheit immer auch die Freiheit des anderen bedeute, der sollte gleichermaßen wissen, daß Freiheit die Freiheit der eigenen Gruppe, Gruppierung oder Weltanschaung gegenüber einzuschließen hat. Geistige Freiheit darf dem Lernziel „Solidarität" nicht untergeordnet oder gar geopfert werden. Sinnvoller ist es, man sieht in „Solidarität“ von vorneherein „Entfremdung" enthalten. Soll nämlich Bindung über das Affektive hinaus vertieft und dauernd halten, muß sie der Distanzierung fähig sein, über die Entfremdung kommt man sich nahe (Nähe über Distanz!). Der Konsens ist ein solcher nur, wenn er in sich die Vielfalt und Widersprüchlichkeit geistiger Auseinandersetzung „aufhebt". Es ist eine schlechte Anthologie, die einen Begriff vom Menschen hat, der ihn auf einen Begriff festlegt. Anläßlich der Verleihung des Hermann-Hesse-Preises 1977 hat Peter Wapnewki u. a. folgendes ausgeführt: „Wenn Geschichte nicht verwechselt wird mit bloß Gewesenem; wenn Geschichte aktiviertes Gedächtnis ist, eingeholte Vergangenheit, wenn Geschichte betreiben heißt, eine Sache aus ihren Voraussetzungen verstehen und in ihren Folgen; wenn, mit einem Wort, Geschichte als Unterbau der jeweiligen Gegenwart verstanden wird; als Chance, aus Vergangenem das Gegenwärtige zu begreifen und das Künftige zu vermuten: Dann ist Geschichte die redlichste Schutzwehr gegen die Verführung durch plakative Illusionen und penetrante Ideologie, gegen die Suggestion der heillosen Heilsversprechung."

Das Zitat kann meines Erachtens auch sehr gut zur Charakterisierung des „zweifelnden Sprechens", des „Sprachlichen Zweifels" herangezogen werden. Man ersetze das Wort „Geschichte" durch das Wort „Sprache" (wobei unter „Sprache" dialektisches Sprechen gemeint ist) — und man wird, in nuce, einen Vorschlag dafür haben, in welchem Sinne politische Bildung der Spracherziehung sich „annehmen" sollte. — Man wird, und die Voraussetzungen dafür sind nicht schlecht, diesen Staat und diese Gesellschaft auf dem Niveau geistiger Auseinandersetzung nur dann halten bzw. dorthin zurückbefördern können, wenn jeder in seinem „Lager" bereit ist, rationale Schutzkräfte gegen die Verführung durch plakative Illusionen, penetrante Ideologien und die Suggestion der heillosen Heilsversprechung zu entwickeln bzw. die vorhandene „Schutzwehr" zu stärken.

Gefahr von rechts

Die Auseinandersetzung um Fragen der moralischen Integrität des Intellektuellen wird von den verschiedensten Lagern aus auf unterschiedlichem Niveau und mit unterschiedlicher Motivation sowie mit Hilfe eines sehr unterschiedlichen begrifflichen Instrumentariums geführt. Die nachfolgenden Beispiele markieren einige „Farbzonen" dieses Spektrums.

Der Neofaschismus, der zunehmend — wenn auch oft nur unterschwellig — Verstärkung erfährt, fördert die Angst vor den Intellektu-eilen nach „altbewährter" Art. Der „AsphaltLiterat" wird als Gegner des gesunden Menschenverstandes, der elementaren Lebenskraft sowie als Feind von Ordnung und Sicherheit denunziert. Die Parolen gegen die „Rotfront" finden Resonanz als „Aufschrei" gegen „marxistischen Terror". Auch wenn von einer eigentlichen „Hitlerwelle" nicht gesprochen werden kann, so sammeln sich doch im Windschatten einer zumindest sehr undifferenziert und unkritisch vorgehenden Vergangenheitsnostalgie all diejenigen, welche die Sehnsucht nach einer Führerpersönlichkeit, die mit starker Hand regiert und das „linksintellektuelle Geschwafel" ablehnt, verbindet. In einem Bericht über Aktive und Aktivitäten rechtsradikaler Organisationen stellt Josef Horchern fest:

„Diese neonazistischen Ideen und Parolen werden seit 1974 von einigen Wortführern zunehmend verschärft vertreten und verbreitet. Hinter ihnen steht keine überlegte Strategie, die halbwegs realistische politische Ziele ansteuert, sondern ein Fanatismus, der seine Steigerungen selbst erzeugt. Inzwischen haben sich in den etwa 15 neonazistischen Gruppen etwa 150 Aktivisten gesammelt, denen weitere etwa 450 Sympathisanten anhängen. Diese Gruppen sind keine festgefügten Kader, sondern zumeist nur informelle Zusammenschlüsse. Die Wortführer und Aktivisten stehen jedoch über alle Gruppen hinweg in Kontakt zu anderen."

Bei einer Umfrage äußerten 26 °/o die Meinung, daß der Nationalsozialismus im Grunde eine gute Idee gewesen sei, die nur schlecht ausgeführt worden wäre. Dazu kommt, daß die kritische Einstellung weiter Bevölkerungskreise gegenüber der Gefahr von rechts viel schwächer ist als gegenüber der wirklichen oder eingebildeten Gefahr von links. Im Gegensatz zum Neonazismus der alten Kämpfer von früher finden sich im Umfeld des neuen Radikalismus vor allem auch junge Menschen ein, deren politische und moralische Vorstellungen als ausgesprochen unausgegoren zu bezeichnen sind.

In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" berichtete Adelbert Weinstein über ehemalige junge Offiziere der Bundeswehr, die im Zusammenhang mit einer „symbolischen Juden-verbrennung" bei einer „Fete" entlassen wurden: „Einige Zwanzigjährige hatten völlig die Kontrolle über sich verloren, redeten dummes Zeug, grölten und machten nur schwer nachprüfbare Äußerungen. Danach pauschal auf Antisemitismus in den Streitkräften schließen zu wollen, verallgemeinernd von rechtsextremistischen Strömungen zu sprechen, scheint uns, schlicht gesagt, eine böswillige Unterstellung. Allerdings bleibt ein Unbehagen. Mehr politische Instinktlosigkeit ist kaum vorstellbar; diesen Leutnanten fehlt es nicht nur an Erziehung und Bildung. Von staatsbürgerlicher Reife keine Spur."

Angesichts solcher Szenen, die sich in solcher Kraßheit freilich hur selten ereignen, dennoch aber in manchem symptomatisch sind, da offensichtlich-das Bewußtsein von den ungeheuerlichen Verbrechen der Nationalsozialisten an den deutschen und europäischen Juden immer mehr abnimmt, kann man durchaus die Frage erheben, ob die politische Bildung versagt hat bzw. aus welchen Gründen sie nicht von größerem Einfluß geworden ist. In dem Buch „Was ich über Adolf Hitler gehört habe" hat Dieter Boßmann Auszüge aus 3 042 Aufsätzen zusammengestellt, die 1976 zehn-bis zweiundzwanzigjährige Schüler und Schülerinnen aller Schularten in 121 Klassen des gesamten Bundesgebiets geschrieben haben. Das Ergebnis signalisiert nicht nur eine bildungspolitische Katastrophe, sondern läßt ahnen, wie es um die Zukunft der freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik steht, wenn nicht die Kultusbehörden entschlossen eingreifen, „über Hitler und seine Schergen und das durch sie repräsentierte politische System des . Dritten Reiches'herrscht totale Konfusion in den Köpfen der jugendlichen Aufsatzautoren, die, sobald sie 18 Jahre alt sind, wählen dürfen. Was sie an historischem Wissen über unsere jüngste Vergangenheit präsent haben, ist bestenfalls als eine hanebüchene Ansammlung von vordergründigen Halbwahrheiten zu bezeichnen.“ Besonders erschreckend sei der Kenntnisstand der Haupt-und Berufsschüler, denen nach Abschluß der Schulzeit nie wieder zeitgeschichtliche Zusammenhänge institutionell vermittelt würden. Im Zusammenhang mit den terroristischen Gewaltaktionen, die den Ruf nach Recht, Ordnung und Todesstrafe provozierten, und der derzeitigen „Hitlerwelle", die direkt oder indirekt ein politisches System vorstelle, in dem es angeblich Ruhe, Sicherheit und Arbeitsplätze gegeben habe, sei es naheliegend zu fürchten, daß die Ungewißheit und die mangelnde demokratische Potenz der Jugend von interessierten Kräften politisch ausgenützt werde.

Der Streit um die Emanzipationspädagogik

Ein pauschaler Vorwurf gegen die Bemühungen der politischen Bildungsarbeit in der Schule ist selbstverständlich ungerechtfertigt. Dies zeigt auch die umfassende Darstellung dieses Bereichs durch Heinrich Schneider Mit Recht verweist Schneider auf die Tatsache, daß die außerwissenschaftlichen und außerpädagogischen Kräftekonstellationen und Prozesse von viel größerem Einfluß seien; man dürfe politischer Bildung nicht an-lasten, was insgesamt gesellschaftspolitisch vernachlässigt worden sei.

Dazu kommt, daß die für die politische Bildung so wichtige Beratungsfunktion der politischen Wissenschaften aufgrund der Krise, in der sich die Politologie als solche befindet, nicht mehr recht wirksam wird.

Die Frustrationen, welche die Politikwissenschaft heute heimsuchen, sind vor allem in Zusammenhang zu sehen mit dem Scheitern des Versuchs, durch Politikberatung Zugang zur Praxis zu finden. Während in den 60er Jahren eine gewisse Euphorie der Politologie als Demokratiewissenschaft erkennbar war, herrscht heute allgemeine Resignation — wobei allerdings die Erkenntnis, daß die Politologen Opfer ihrer eigenen überhöhten Erwartungen geworden sind, wieder die Zunahme eines realistischen Optimismus fördert. Die Hoffnung der Politologie wie der politischen Erziehung, mit Hilfe des alle Einzelüberlegungen und Maßnahmen überwölbenden Begriffs der „Emanzipation" das Demokratie-Bewußtsein verstärken und zur demokratischen Mitwirkung ermuntern bzw. motivieren zu können, hat sich als eine Fiktion erwiesen. Die Gründe dafür sind wohl in beiden Lagern zu suchen. Vielfach haben diejenigen, die sich der Emanzipationspädagogik verschrieben haben, nur das praktiziert oder erlitten, was Adorno/Horkheimer die „Dialektik der Aufklärung" nannten: nämlich den Umschlag des rationalen Bewußtseins in einen neuen Irrationalismus — ein Phänomen, das im Zusammenhang mit der Diskussion um die Rolle des Links-Intellektuellen bereits ausführlich beschrieben wurde.

Nicht „Emanzipation" solle der erzieherische Zielwert sein, meint Jakob Schissler, sondern Heranbildung eines Selbstwertgefühls, das utopische und pragmatische Elemente vereine und das dem jungen Menschen helfe, einen Platz in einer sich wandelnden Gesellschaft zu finden, in der Macht und Herrschaft nicht immer nur als repressiv denunziert werden dürften. Im Gegensatz zu Wolf-Dieter Narr, der gemeint hatte, das Brandt-Wort von 1969: „Mehr Demokratie wagen“ sei erneut zum Leitmotiv politischen Handeln zu machen, stellt Schissler fest, daß dieser „Klepper" nach einer Strecke von hundert Metern im Rennen um die Lösung der gegenwärtigen Probleme tot zusammenbrechen würde

Zum anderen aber wurde die Emanzipationspädagogik im besonderen Maße Opfer einer umfassend angelegten und sich des Beifalls breiter Kreise erfreuenden Diffamierungsstrategie, wie sie vom konservativen Lager aus systematisch betrieben wurde und wird. Unter dem Motto, daß man sich von linken Ideologen nicht die zynische Legende aufschwätzen lassen solle, wonach aus dem Rechtsstaat ein Polizeistaat werden könne, wenn es darum gehe, den Terror entschlossen zu bekämpfen (so die Erklärung zum Jahreswechsel des CDU-Vofsitzenden Helmut Kohl), wird diese an sich richtige Feststellung im Rahmen konservativer Ideologie als Hebel verwendet, um grundsätzlich kritisches Denken und Handeln aus den Angeln zu heben. Natürlich bedeutet „Freiheit nicht Ungebundenheit und Disziplinlosigkeit" ; es wurde jedoch mit Recht kritisch vermerkt, daß eine solche Feststellung oder die, daß ein Staat die Aufgabe habe, die Freiheit im Innern als eine Freiheit der Ordnung gegenüber den Kräften des Chaos und der Anarchie herzustellen — daß solche Feststellungen des CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß demonstrativ gerade in Chile getroffen wurden. Vermerkt wurde, daß es eines besonderen Maßes an Zynismus oder demokratischer Ignoranz bedürfe, um Derartiges in einem Land rechtlicher Unsicherheit und polizeistaatlichen Terrors zu äußern

Solche Beispiele sind vor allem deshalb signifikant, weil sie die Frage mit Nachdruck stellen lassen, ob denn ein einigermaßen brauchbarer Konsens zwischen dem konservativen und dem (recht verstandenen) „emanzipatorischen" Lager noch herstellbar sei. In einem Portrait von Franz Josef Strauß („Der Welt-geist geht im Trachtenanzug") hat Rolf Zundel darauf verwiesen, daß im politischen Weltbild des bayerischen Politikers „Carl Schmitt grüßen lasse"

Der „trivialisierte Carl Schmitt" — auf eine Weise dargeboten, daß „auch der letzte Einödbauer im bayerischen Wald es versteht" — „läßt grüßen", wenn „Schule und wir", die Hauszeitschrift des Bayerischen Kultusministeriums, mit emanzipatorischer Erziehung sich auseinandersetzt. Im Dezember 1977, „am Ende eines Jahres, das im Zeichen des Terrors stand“, beschäftigte sich die Zeitschrift mit dem „jugendfrohen Anfang der Tyrannis". Der Betrachtung war ein Zitat von Platon vorausgestellt:

„Wenn Väter ihre Kinder einfach gewähren und laufen lassen, wie sie wollen ...

wenn Söhne ihre Eltern weder scheuen noch sich um ihre Worte kümmern ...

wenn Lehrer vor ihren Schülern zittern, statt sie sicher einen geraden Weg zu führen ...

wenn es so weit ist, daß sich die Alternden unter die Jungen stellen und ihre Albernheiten und Ungehörigkeiten übersehen oder gar daran teilnehmen, damit sie ja nicht den Anschein erwecken, als seien sie auf Autorität versessen...

wenn auf diese Weise die Seele und die Widerstandskraft der Jungen allmählich mürbe werden ...

wenn sie aufsässig werden und nicht mehr ertragen, daß man ein klein wenig Unterordnung von ihnen verlangt...

wenn sie am Ende dann auch die Gesetze verachten ...

dann ist das der schöne und jugendfrohe Anfang der Tyrannis."

Ausgehend von der Feststellung, daß unseren Kindern immer mehr Chancen geboten und ihnen die Wege geebnet würden, das Beste aus ihrem Leben zu machen, äußerte der Autor die Frage, warum sich denn Zweifel in die Zufriedenheit mischten. Man würde mit Dingen konfrontiert, „die nicht in unseren Kopf wollten". Roheitsdelikte, kriminelles Verhalten, Raufhändel, Rivalitätenstreit und kindliche Verschwörerbanden hätte es zwar zu allen Zeiten gegeben; doch habe sich die Szene entscheidend geändert. Ein Schlagabtausch mit harten Bandagen löse die Lausbubengeschichten vergangener Tage ab. „Mitgehen lassen, klauen, klemmen, organisieren" — so nenne sich salopp, was in Wirklichkeit ein höchst besorgniserregender Vorgang sei: der explosionsartige „Aufschwung" von Eigentumsdelikten, insbesondere von Kaufhaus-diebstählen. Zwischen der Erwachsenenwelt hier und Parzellen der Jugendwelt dort entwickle sich das Leben bereits so grundverschieden wie auf getrennten Planeten. Der Transfer der Lebenserfahrung von den Älteren zu den Jüngeren sei empfindlich gestört.

Die erschreckende Bilanz, daß jeder dritte junge Mann gerichtlich verurteilt sei, immer mehr Ehen kaputtgingen, die Freude an der Arbeit und die Lust am Lernen geringer werde, die Vorschriften der Erwachsenen immer weniger gelten würden, die Autorität der Eltern schwinde, wird vom Verfasser in „schrecklicher Vereinfachung" der emanzipatorischen Erziehung in die Schuhe geschoben:

„Nach einem Jahrzehnt sehen wir klar, wohin die Pädagogik des Laufenlassens mitsamt dem aggressiven Feindbild von der Familie, das sie der Jugend einspiegelte, geführt hat. Die zur Disposition gestellte Disziplin, das Vermiesen positiver Vorbilder, das Verketzern von Kirche und Staat, die Verspottung von Ehe, Treue und Keuschheit als . fossile Lebensformen’, das statt dessen zum Fortschritt gestempelte schrankenlose Ausleben der Triebe bis hin zur erlaubten . Gewalt gegen Sachen'— dieses ganze Blendwerk der antiautoritären Erziehungspropaganda — was haben wir damit letztlich gewonnen?

Der versprochene . neue Mensch'wurde nicht hervorgebracht. Im Gegenteil: die ganze Bewegung hat sich als ein einziges Verlustgeschäft herausgestellt. Nicht mehr Glück entstand, sondern weniger. Die Demontage der vertrauten Ordnung und der Abbau der bewährten Lebensstützen schuf eben nicht automatisch mehr Schönheit, mehr Freude im Leben der Jugend. Was zunahm, war Labilität, Leere, Unsicherheit, Unlust, Unzufriedenheit und neuerdings immer besorgniserregender: die kriminelle Anfälligkeit." Erhebliches öffentliches Echo löste, um ein anderes Beispiel zu geben, der baden-württembergische Ministerpräsident Hans Filbinger (CDU) aus, als er auf einer Festrede in Tübingen Theodor Adorno, Jürgen Habermas und die kritische Theorie der Frankfurter Schule in den Zusammenhang mit dem bundesdeutschen Terrorismus rückte. In einem offenen Brief setzte sich der Konstanzer Hochschullehrer und Adorno-Schüler Albrecht Wellmer mit Filbingers Äußerungen kritisch auseinander. Filbinger antwortete seinerseits mit einem offenen Brief, in dem er unter anderem an die „systematische, ideologiekritisch betriebene Auflösung des Vertrauens in die unverzichtbare Bedeutung des Rechtsstaates für die Aufrechterhaltung des öffentlichen Friedens und der inneren Sicherheit", an der sich alle Vertreter der Frankfurter Schule mit unterschiedlichen Akzenten beteiligt hätten, erinnerte. Filbinger brachte dann das nachfolgende Zitat aus der „Negativen Dialektik" von Adorno und kommentierte es mit den Worten, daß dies die gleiche Argumentation sei, die bei den Terroristen wiederkehrte, wenn sie den freiheitlichen Rechtsstaat der Bundesrepublik als faschistisch diffamierten (sic!). „Während die Gesellschaft ohne Recht, wie im Dritten Reich, Beute purer Willkür wurde, konserviert das Recht in der Gesellschaft den Schrecken, jederzeit bereit, auf ihn zu rekurrieren mit Hilfe der anführbaren Satzung'... Das juristische Gesamtbereich ist eines von Definitionen. Seine Systematik gebietet, daß nichts in es eingehe, was deren geschlossenem Umkreis sich entziehe, quod non est in actis. Dies Gehege, ideologisch an sich selbst, übt durch die Sanktion des Rechts als gesellschaftlicher Kontrollinstanz, vollends in der verwalteten Welt, reale Gewalt aus.

Ausgehend von solchen und ähnlichen Erfahrungen und Beobachtungen stellt Urs Jaeggi zu der Frage: Gefahr von links oder rechts? fest: „Vertreten die Konservativ-Radikalen heute eine neue Politik, eine theoretisch-praktische Strategie, die jedes Aufbegehren, jedes kritische Distanzieren, jedes Infragestellen mit Terror in einem Eintopf verkocht? Es gibt dafür deutliche Zeichen. Ganz offensichtlich ungeheuerliche Argumente werden benutzt, klare Denkverbote, übertroffen nur noch durch F. J. Strauß'Aussage auf dem letzten CSU-Parteitag, man sollte mal die, die angeblich für die Freiheit des Volkes kämpfen, dem Volk überlassen; dann brauche man Polizei und Justiz nicht mehr zu bemühen! ...

Handelt es sich hier um eine Reaktion, oder sind es Zeichen, Ausprägungen eines neuen, gefährlichen Konservatismus? Das hier nur im groben, im gröbsten Skizzierte hat jedenfalls Methode: Das sorgfältig aufgebaute, überdeutliche Feindbild wird stilisiert, mystifiziert. Die Grenze zwischen dem, was an Kritik zugelassen wird, und dem, was verboten, sanktioniert wird, bis hin zur Kriminalisierung, beruht nicht auf sachlicher Einsicht, sondern auf Diffamierung, die nicht nur eine zwar diffuse, aber dezidierte . Volksmeinung'im Hintergrund zu haben glaubt; es entspricht auch dem konservativen Gedankengut der re-gierenden und opponierenden Großparteien."

Für Thilo Castner ist emanzipatorische Erziehung als Aufgabe, den Zustand der Abhängigkeit und Hilflosigkeit zu verhindern, notwendiger denn je. Auch wenn der Begriff „emanzipatorische Erziehung" zum Reiz-und Modewort geworden sei, müßte Erziehung der „Herausführung aus Unmündigkeit und Schwäche" besonders sich verpflichtet fühlen.

„So versteht Klaus Mollenhauer unter Emanzipation in der Erziehung die . Befreiung der Subjekte ... aus Bedingungen, die ihre Rationalität und das mit ihr verbundene gesellschaftliche Handeln beschränken'. Ähnlich argumentiert Antonius Holtmann, wenn er schreibt: , Der Mensch realisiert Emanzipation in der Freiheit einer um Gleichheit bemühten Gesellschaft, die sich der Brüderlichkeit (Solidarität) verpflichtet weiß, in einer Gesellschaft, in der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit den Prinzipien der Rationalität, Sensibilität und Geschichtlichkeit ausgeliefert werden.'

Diese beiden Definitionen belegen, daß es den Emanzipationspädagogen nicht allein um individuelle Emanzipation geht, sondern ebenso um die gesamtgesellschaftliche. Sie reflektieren die politischen Bedingungen des Zusammenlebens und setzen der Erziehung die Aufgabe, zur Aufhebung von Klassengegensätzen, Unterprivilegierung und Chancenungleichheit beizutragen. Gamm hat auf diesen Zusammenhang besonders eindringlich hingewiesen und faßt unter emanzipatorischer Erziehung , die politische und soziale Selbstbefreiung des lernenden Menschen, um diesen zu befähigen, sich von den bürgerlichen Lebens- und Herrschaftsformen kühn und endgültig zu distanzieren und neue, seinen Bedürfnissen entsprechende gesellschaftliche Muster zu erproben'.

Die emanzipatorische Erziehung nimmt durch ihre Verfechter in Anspruch, die legitime Repräsentantin von Pädagogik in einer demokratischen Gesellschaft zu sein, wobei Demokratie verstanden wird als fortschreitender Prozeß, , der immer größeren Bevölkerungsgruppen auf gesellschaftliche Entscheidungen Einfluß einräumt, und zwar nicht nur insoweit, als er diesen Gruppen erlaubt, alle paar Jahre einmal die Arbeit einer Oligarchie kritisch zu beurteilen'. Mit anderen Worten: die emanzipatorische Erziehung erstrebt neben der Emanzipation des einzelnen auch die Befreiung sozialer Gruppen, soweit sie an gesellschaftlichen Chancen und Mitbestimmungsvorgängen nicht voll beteiligt sind."

Die böse Gewalt der Worte

Auf der linksradikalen Seite des Intellektuellen-Spektrums besteht zwar auch die Meinung, daß die terroristischen Aktionen progressives Bewußtsein in die „Steinzeit" zu-rückbomben würden; es grassieren jedoch weiterhin — wie etwa in einem anonymen Flugblatt der Frankfurter Szene — die stereotypen Vorurteile: „Die Sprache der Gewalt triumphiert endgültig auf der Straße. Wieder braun und reaktionär geworden. Der verunsicherte Mann schlägt die aufbegehrende Frau. Der Rentner verstärkt den Riegel an seiner Haustür. Den Kindern wird wieder gesagt, sie sollen nicht so viel fragen.“ Anschließend heißt es:

„Wir gehören nicht zu den Reformisten des überlebens in diesem uns verhaßten Staat. Aber wir lassen uns nicht zur Solidarität mit der Guerilla des militanten Terrorismus erpressen. Auch nicht aus einer Angst vor dem Verlust einer Beziehung, aus Furcht vor dem Ausschluß aus der familiären Gemeinsamkeit der linksradikalen Szene und ihrer Gewißheiten."

Alfred Grosser hat kürzlich gesagt, daß wir in einer Zeit lebten, in der man bei der Wahl der Worte bereits zum Täter werden kann. — In einem Report über „Sympathisanten und sogenannte Sympathisanten" hat der „Spiegel" Fakten zu dieser Thematik zusammengetragen. In einem Bericht über die Situation an den Hochschulen heißt es unter anderem:

„Der unbekümmerte Umgang mit der Realität, eine schon atemberaubende Verwischung der Begriffe, das war bereits typisch für eine zweite Generation von Hochschullehrern samt studentischem Anhang, überwiegend angesiedelt in den Geisteswissenschaften, mit geographischen Schwerpunkten in Berlin und Bremen, im biederen Marburg oder auch im Provinznest Oldenburg. Dort saßen und sitzen Marxisten und Sozialisten aller Schattierungen auf den Lehrstühlen, denen die bundesdeutsche Demokratie nicht mehr akzeptabel, der bewaffnete Kampf von BM-Terroristen aber noch plausibel ist. Zwar: die meisten hüten sich, schlichtweg Sympathie zu bekunden für die Aktionen der RAF. Aber kaum einer versäumte, die BM-Gewalt gegen vermeintliche Staatsgewalt aufzurechnen oder zum besseren Verständnis die Armut in den Appalachen heranzuziehen. Darüber, daß dieser Staat des Teufels ist, blieben nie Zweifel."

Angesichts der verbalen Verantwortungslosigkeit linker Intellektueller forderte Kurt Sontheimer dazu auf, die „böse Gewalt der Worte" zu brechen. Maßlose Wendungen und Formulierungen seien eine wesentliche Ursache für die geistige und politische Verwirrung und Verirrung. „Heute ist es die wichtigste geistige Aufgabe der Intellektuellen, wieder die richtige Wahl der Worte zu treffen, die Worten innewohnende Gewalt unter ihre Kontrolle zu bringen. Viele, die an Schreibtischen sitzen, haben sich in den letzten Jahren dagegen versündigt. Doch es ist gewiß keine Intellektuellenjagd, wenn man diejenigen, die über die Gewalt des Wortes verfügen, mahnt, sich von neuem ihrer Verantwortung gegenüber der Vernunft und der Wahrheit bewußt zu sein. Der gewaltsame Umgang mit dem Wort ist eine der wesentlichen Ursachen für die Entstehung von Gewalt im Umgang mit Menschen."

„Sympathisanten" äußern sich

Kann man die Studentenbewegung, im besonderen ihre „Ausläufer" in die diffuse K-Gruppen-Szene „belangen"? Es sei unsinnig, meint Roland Eckert in einer Betrachtung über die Ausgangspunkte des Terrorismus, Terroristen zu meinen und Maoisten zu schlagen. Alle Hauptgruppen der neuen Linken hätten zwar zentrale Deutungsmuster gemeinsam; alle würden aber grundsätzlich andere Wege einschlagen. Es gäbe gute Gründe, gegen die Bürgerkriegsübungen der maoistischen K-Gruppen vorzugehen; es gäbe Gründe, an der Verfassungstreue der DKP zu zweifeln; man könne das politische Konzept antikapitalistischer Reformer ablehnen; doch müßten diese Gründe jeweils andere sein und nicht auf den pauschalen Nenner „Sympathisant" gebracht werden

In der „Zeit" schrieb Herbert Marcuse:

„Der Terror ist vielmehr ein Bruch mit dieser Bewegung. Die Apo war, mit allen Vorbehalten in bezug auf ihre Klassenbasis, eine Massenbewegung im internationalen Maßstab und. mit einer internationalen Strategie: Sie be100) deutet einen Wendepunkt in der Entwicklung der Klassenkämpfe im Spätkapitalismus: nämlich die Proklamation des Kampfes für die . konkrete Utopie', für den Sozialismus als qualitativ verschiedene, alle traditionellen Ziele übersteigende und doch reale Möglichkeit. Die Bewegung schreckte nicht zurück vor der offenen Konfrontation, aber in ihrer großen Majorität verwarf sie den konspiratorischen Terror. Dieser ist nicht ihr Erbe: Er bleibt der alten Gesellschaft verhaftet, die er doch stürzen will. Er arbeitet mit ihren Waffen, die doch nicht ihren Zweck erfüllen. Zugleich spaltet er die Linke noch einmal zu einer Zeit, wo die Zusammenfassung aller oppositionellen Kräfte geboten ist.

Gerade weil die Linke diesen Terror verwirft, hat sie es nicht nötig, in die bürgerliche Verfemung der radikalen Opposition einzustimmen. Sie spricht ihr autonomes Urteil im Namen des Kampfes für den Sozialismus. In diesem Namen spricht sie ihr . Nein — das wollen wir nicht'. Die Terroristen kompromittieren diesen Kampf, der doch auch ihr eigener ist. Ihre Methoden sind nicht die der Befreiung — nicht einmal die des überlebens in einer Gesellschaft, die für die Unterdrückung der Linken mobilisiert ist."

In der gleichen Nummer äußerte Rudi Dutschke die Meinung, daß die Kritik und Schärfe der Auseinandersetzung mit dem individuellen Terrorismus deutlicher als vorher werden müsse. Wenn der Rahmen der objektiven Möglichkeiten in der anstehenden Zeit nicht genutzt werde, so würde das grauenhafte Spiel, das in der Tat kein Spiel mehr sei und nie eins sein konnte, einen Fortgang auf erhöhter Stufenleiter finden. Gerade um der bürgerlichen Demokratie den letzten Boden wegzunehmen — ohne im geringsten eine revolutionäre Situation für die Linken und deren Sympathisanten zu schaffen.

„Im Gegenteil: Wir werden uns zum größten Teil entweder in neuen Lagern oder im Exil wiedertreffen. Soll dort erst der Desperado davon überzeugt werden, daß der individuelle Terror der Pervertierung des politischen Kampfes dient, er ein brauchbares Objekt der herrschenden Klasse war? Oder ist es schon lange kein sozialistisches Ziel mehr, was die Terroristen bewegt? Letzteres ist nicht auszuschließen. Denn in ihren Argumentationen und Diskussionen, soweit sie überhaupt von außen durchschaubar und erkennbar sind, gibt es die Frage der sozialen Emanzipation der Unterdrückten und Beleidigten schon lange nicht mehr. Der individuelle Terror ist der Terror, der später in die individuelle despotische Herrschaft führt, aber nicht in den Sozialismus. Das war nicht unser Ziel und wird es nie sein. Wir wissen nur zu gut, was die Despotie des Kapitals ist, wir wollen sie nicht ersetzen durch Terrordespostie."

In einem Kommentar „Zur Lage" haben die Mitarbeiter des „Pädex-Verlags" darauf hingewiesen, daß der Terrorismus die Ergebnisse der eigenen Arbeit und die mühsam vermittelten Erkenntnisse vom Zusammenhang zwischen der gegenwärtigen Krise der kapitalistischen Welt und ihrer Produktionsformen zerstöre. Der Terrorismus mache es den Herrschenden nicht nur leicht, von der Krise abzulenken, er böte sich selbst als Sündenbock an, dränge sich geradezu auf. Zu allen strukturellen Ängsten, Frustationen und Aggressionen, die aus der Krise resultierten, würden aktuelle Ängste hinzugefügt, die diese überlagerten; Morde und Entführungen schafften den emotionalen Grund in der Bevölkerung, die „preiswerten Rechtfertigungen" für die Mobilisierung faschistoider Tendenzen in der Gesellschaft, für den Ausbau des Polizeistaates, für die offene Diskussion der Todesstrafe. Indem die Terroristen sich als „Linke" bezeichnen und mit Versatzstücken aus sozialistischen Diskussionszusammenhängen argumentierten, spielten sie der Reaktion in die Hände bei deren Bemühen, alles, was fortschrittlich sei in diesem Lande, zu kriminalisieren. Gerade deshalb aber dürfe man sich, trotz aller Drohungen, kein Denkverbot aufzwingen lassen

In einem Leitartikel der „Zeit" schrieb Theo Sommer: „Dunstkreis, intellektuelles Vorfeld des Terrors, geistiger Sumpf — das sind ebenso schwabbelige Begriffe wie Sympathisant. Deswegen eignen sie sich vortrefflich als Instrumente der Gegenaufklärung und der gedankenpolizeilichen Fahndung. Im strengen Sinne kann als Sympathisant nur gelten, wer die Ziele oder die Methoden der Terroristen billigt. Heute wird des Sympathisantentums schon bezichtigt, wer menschliches Erbarmen, menschliches Mitgefühl bezeigt. Wer das System kritisiert, gilt vielen gleich auch schon als Gewaltbefürworter; wer noch rechtsstaatliche Skrupel empfindet, leistet in den Augen der schrecklichen Vereinfacher dem Terror Vorschub; wer den Staat bejaht, aber nicht aufhört, ihn kritisch zu befragen, wird als illoyal abgestempelt. In diesem Sinne wird dann frisch-fröhlich drauflos denunziert." In einem Gespräch mit der „Frankfurter Rundschau“ äußerte Günter Grass auf die Frage, ob man nach seiner Einschätzung „im Problemkreis Terrorismus" den Intellektuellen, die auf der „Kanzel“ geredet hätten, die mit dem Wort oder mit der Feder umgingen, überhaupt etwas vorzuwerfen hätte:

„Das ist schwierig zu sagen. Ich selbst habe, vielleicht, weil ich durch meine politische Arbeit in dauernder Auseinandersetzung mit Studenten stand, schon sehr früh den Eindruck gewonnen, daß bei einigen mit Argumenten nichts auszurichten sein wird. Daß es bei einzelnen auf Terrorismus hinauslaufen wird. Andere, auch Heinrich Böll, waren zunächst anderer Meinung. Und ich habe respektiert, daß Böll bis zum Schluß versucht hat, mit Argumenten zu wirken, eine Minderheit vom Terrorismus abzuhalten, ihr den Schaden deutlich zu machen — zu einem Zeitpunkt, als ich meinte, daß diese Minderheit ja diesen Schaden will. Dann hat es natürlich einige gegeben, die mit Vergleichen aus der Geschichte, aus dem Alten Testament und von wo überallher, vielleicht auch aus dem eigenen Unvermögen, das in der Anfangsphase als eine Art Befreiungsakt gesehen haben."

Was ist heute „links"?

Wie kann man aus dem „Teufelskreis" gegenseitiger Unterstellungen und Bezichtigungen herausfinden, die Diffamierung wie Neurotisierung des Intellektuellen verhindern, republikanisches Bewußtsein, das sich durch Gelassenheit und Nüchternheit auszuzeichnen hätte, stärken? Wie kann einerseits die Diskussion über die Ursachen des Terrors so geführt werden, daß nicht schon derjenige, der kritisch Staat und Gesellschaft gegenübersteht, in die Nähe der Terroristenszene gerückt wird? Wie kann andererseits die linke Idionsynkrasie, die den Faschismus-Vorwurf stets beliebig parat hat und mit ihrer Schwarz-weiß-Technik der demokratischen Wirklichkeit dieses Staates nicht gerecht wird, verhindert werden? Was ist heute eigentlich links? Als im Oktober 1977 drei Tage lang in Recklinghausen Intellektuelle diese Frage diskutierten, ergab sich der Eindruck von einer „konservativ“ gewordenen Linken, wie sie vor allem auch im Umkreis der Zeitschrift „L 76", herausgegeben von Heinrich Böll, Günter Grass und Carola Stern, anzutreffen ist. Mit dem Begriff des „ökologischen Sozialismus" erhebt sie die Forderung nach der Erhaltung der Grundwerte menschlicher Existenz. Die Veränderung des Bewußtseins müsse dahin gehen, daß man einen zunehmenden Sinn in der Bewahrung des Gleichgewichts sehe. Wachstum könne nur noch im Bereich der kulturellen Fähigkeiten des Men-sehen von Bedeutung sein. Gerade die Gewerkschaften hätten sich darum zu kümmern, daß ihre Klienten sich nicht nur für Arbeitsplätze und Mitbestimmung am Arbeitsplatz, sondern für den allgemeinen qualitativen Wohlstand interessierten.

Als „halblinken Kulturkonservativen" bezeichnete sich kürzlich in einem Interview Jean Amery:

„Halblinks deshalb, weil nun die Linke Wege gegangen ist, auf denen ich ihr nicht mehr folgen kann — dies gilt speziell für die deutschen Kommunisten, zum Teil auch für die französischen. Es gibt in Frankreich eine radikale Linke, Extremgruppen, die einen gewissen Einfluß haben, die auch recht intelligent sind, weil dort auch mit anarchistischen Anthropologien gearbeitet wird. Deshalb sage ich , halblinks', wenn ich meinen persönlichen Status beschreibe. Subjektiv für mich bin ich weiterhin ein Vollinker — die Geschichte wird entscheiden, wer recht hat.

Kulturkonservativ bin ich in dem Sinne, als ich glaube, daß nicht das Neue, nur weil es eben neu ist, blind angebetet werden muß, wozu man wiederum in Deutschland besonders neigt. Ich glaube zum Beispiel an den klassischen Roman, an den klassischen Realismus, der in einer erneuerten Form wieder-auferstehen wird. Auch in der bildenden Kunst und in der Musik werden sich, so meine ich, klassische Kunstformen wieder durchsetzen."

Die Notwendigkeit steten Diskurses

Präzises, rasches, phantasievolles, rechtmäßiges Handeln bei der Verteidigung der Freiheit gegen den Terrorismus forderte Carl Friedrich von Weizsäcker in seiner Rede bei der Verleihung des Theodor-Heuss-Preises 1978. Es sei wichtig, den Bürgern in unserem Lande verständlich zu machen, welche Gefahr sie laufen, wenn sie in die Falle treten, die ihnen der Terror stellt. Als Christ könne man die Freiheit nicht verteidigen, wenn man nicht im Stande sei, auch den Feind wie den Bruder zu lieben. Das Recht müsse vollzogen werden — in aller Strenge; doch entlaste das Recht vom Haß. Man verteidige die Freiheit am besten, wenn man sie gebrauche. Freiheit ermögliche Vernunft; die Vernunft fände viel zu tun in der heutigen Welt

Nichts wäre schlimmer als demokratischer Selbstmord aus Angst vor terroristischem Mord — so Bundesverfassungsrichter Helmut Simon:

„ 1. Das Grundgesetz hat demokratische, rechts-und sozialstaatliche Strukturen in einem historischen Kompromiß miteinander verschmolzen; die Bestandteile dieses Drei-klangs dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden, sondern sind in ihren konkreten Ausformungen so fortzuentwickeln, daß sie auch unter den veränderten Bedingungen des technischen Massenzeitalters funktionstüchtig bleiben.

2. Die rechtsstaatliche und soziale Demokratie zielt auf eine Ordnung des relativ Bessern; die stets vorhandene Kluft zwischen Verfas110) sungsangebot und Verfassungswirklichkeit darf nicht verschleiert, sondern kann nur durch nie endende, immer gefährdete . Anstrengungen einigermaßen überbrückt werden.

3. Es ist nach den Erfahrungen unserer Geschichte nicht nur politisch geboten, sondern geradezu Christenpflicht, die Wohltat der rechtsstaatlichen und sozialen Demokratie als die relativ beste aller unvollkommenen Menschenordnungen mit Zähnen und Klauen zu verteidigen; die streitbare Demokratie braucht aber vor allem streitbare Demokraten, während ein übermäßiger institutioneller Schutz das Schutzobjekt selbst erstickt."

Insgesamt kann ein Dossier für den Stand der Diskussion zum Phänomen „Terror" deutlich machen, daß die Bereitschaft zur Differenzierung gewachsen ist; die Zusammenschau der verschiedenen Strömungen, Meinungen, Analysen und Folgerungen macht deutlich, daß „steter Diskurs“ wohl als das beste Therapeutikum gegenüber ideologischen Halbwahrheiten und Unwahrheiten sich erweist.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. in diesem Zusammenhang auch M. Funke (Hrsg.), Terrorismus. Untersuchungen zur Strategie und Struktur revolutionärer Gewaltpolitik, Bd. 123 der Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1977. Terrorismus, Ursachen und Folgen — eine Herausforderung für die Politische Bildung, in: Materialien zur Politischen Bildung, Heft 1/1978.

  2. W. Laqueur, Terrorismus, Kronberg/Ts. 1977.

  3. Zit. nach E. Mörbitz, Das Vietnam im feinen Villenort, in: Frankfurter Rundschau, 7. 11. 1977.

  4. G. Boeden, Auf den blutigen Spuren des Terrors, in: Deutsche Zeitung, 2. 12. 1977.

  5. G. Sieber, Im Hintergrund lauern die Profis, in: Deutsche Zeitung, 23. 9. 1977.

  6. U. Schweikert, Logbuch eines Verzweifelten, in: Frankfurter Rundschau, 29. 10. 1977.

  7. P. v. Becker, Totgeboren ins deutsche VaterLand, in: Die Zeit, 11. 11. 1977.

  8. B. Vesper, Die Reise, Frankfurt am Main 1977, S. 29.

  9. U. Greiner, Der Brief an den Vater hat kein Ende. Porträt der Schriftstellerin Elisabeth Plessen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8. 9. 1977.

  10. G. Mauz, Ein Phänomen der Verzweiflung, in: Der Spiegel, Nr. 33/1977.

  11. K. H. Janßen, Die schrecklichen entlaufenen Wohlstandskinder, in: Die Zeit, 9. 9. 1977.

  12. D. E. Zimmer, Der lange Marsch durch die eigenen Wesenheiten, in: Die Zeit, 17. 6. 1977.

  13. Zit. nach D. E. Zimmer, a. a. O.

  14. Vgl. W. Guthermut, Warum Frauen jetzt die Terrorszene beherrschen, in: Abendzeitung, 5. 8. 1977.

  15. M. Mitscherlich-Nielsen, Gewalt gegen Frauen — Gewalt von Frauen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12. 11. 1977; vgl. auch S. v. Paczensky, Frauen und Terror, Reinbek bei Hamburg 1978.

  16. I. Korte-Pucklitsch, Warum werden Frauen zu Terroristen?, in: Merkur, Nr. 357/1978, S. 184 f.

  17. M. Moeller-Gambaroff, Emanzipation macht Angst, in: Kursbuch, Nr. 47/1977, S. 3 f.

  18. A. Petermann/Chr. Darmstadt, Frauen in Kneipen, in: Kursbuch, Nr. 47/1977, S. 69.

  19. Vgl. hierzu auch L. Baier, Angstlust, in: Kursbuch, Nr. 49.

  20. Frauen im Untergrund: „Etwas Irrationales“, in: Der Spiegel, Nr. 33/1977, S. 25 f.

  21. Vgl. etwa M. L. Radice/L. Ravera, Das Ende einer linken Love-Story, in: das da, Nr. 9/1977.

  22. C. Lonzi, Die Lust, Frau zu sein, Berlin 1975, S. 11.

  23. G. Bartsch, Feminismus kontra Marxismus, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 48/1977, S. 27.

  24. K. H. Bohrer, Die Kinder Hitlers?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6. 9. 1977.

  25. Zit. nach I. Fetscher, Terrorismus und Reak-tion, Köln-Frankfurt/M. 1977, S. 64.

  26. I. Fetscher, a. a. O., S. 67 f.

  27. I. Fetscher, a. a. O„ S. 101 ff.

  28. G. Schmidtchen, Der Weg in die Gewalt, in: Die Zeit, 9. 12. 1977.

  29. E. Topitsch, Menschheitsbeglückung als Tarnung für Machtgier, in: Frankfurter Rundschau, 10. 12. 1977.

  30. In: Vorwärts, 3. 11. 1977.

  31. H. Schelsky, Die soziale Bevormundung des Bürgers, in: Deutsche Zeitung, 6. 1. 1978.

  32. H. Schelsky, Ein Staat, an den niemand glaubt in: Deutsche Zeitung, 23. 12. 1977.

  33. L. Raiser, An Sicherheitsventile wurde zu wenig gedacht, in: Frankfurter Rundschau, 21. 11. 1977.

  34. P. Körfgen, Warum sie sich verweigern. Gesellschaftsverneinung unter der Jugend, Funkmanuskript Westdeutscher Rundfunk, 14. 2. 1978.

  35. C. Haußmann, Die Generation der überflüssigen, in: Deutsche Zeitung, 27. 5. 1977.

  36. H. Lübbe, Väter und Söhne — heutzutage, in: Deutsche Zeitung, 6. 1. 1978.

  37. H. Grebing, Der Revisionismus. Von Bernstein bis zum „Prager Frühling“, München 1977.

  38. Vgl. auch H. Heimann, Die Linke entdeckt den „Rechtsabweichler", in: Frankfurter Rundschau.

  39. K. Schwab, Erschrecken über den Jargon eines Politkommissars, in Frankfurter Rundschau, 28. 12. 1977.

  40. K. D. Bracher, Die mißbrauchte Demokratisierung, in: Die Zeit, 2. 12. 1977.

  41. Dazu ausführlich in: Das Parlament, 26. 11. 1977.

  42. Zit. nach W. D. Narr, Die Generation der Ausgeschlossenen, in: Die Zeit, 20. 1. 1978.

  43. W. Rahm, Basisgruppen zwischen Politik und Privatisierung, in: Frankfurter Rundschau, 16. 7. 1977.

  44. Jeder fünfte denkt etwa so wie Mescalero, in: Der Spiegel, Nr. 41/1977, S. 54.

  45. Nur Anstandsregeln verletzt? Bremer Professoren Preuß, Knieper, Heide Gerstenberger über ihre „Mescalero" -Aktion und die Gewalt, in: Der Spiegel, Nr. 34/1977, S. 29 f.

  46. Der Spiegel, Nr. 34/1977, S. 28.

  47. H. Gollwitzer, Der freiheitlich-demokratische Rechtsstaat ist kein Regenwurm, in: Frankfurter Rundschau, 23. 11. 1977.

  48. K. Sontheimer, Der zerrüttete Geist, in: Deutsche Zeitung, -Jg. 1977.

  49. Zit. nach Frankfurter Rundschau, Nr. 216/1977.

  50. H. Fritz, Mit Tomahawk und Sprühdose, in: Pardon, Nr. 1/1978.

  51. W. Ross, Die fröhliche Gewalt. Vorbild Italien: Der neue Stil der Mörder und der Mescaleros, in: Deutsche Zeitung, Jg. 1977.

  52. Im radikalen Abseits, in: Süddeutsche Zeitung, 20. 1. 1978.

  53. P. Glotz, Die Hochschulen nicht abschreiben, in: Die Zeit, 20. 1. 1978.

  54. W. Tersteegen, Was ein Arbeiter von johlenden Studenten hält, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18. 1. 1978.

  55. B. Dechamps, Die Politiker müssen in den Ring, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19. 11. 1977.

  56. A. Stupperich, Die Mehrheit hält sich raus, in: Die Zeit, 24. 2. 1978.

  57. H. Stubenrauch, Narziß: Oder ein neuer Sozialisationstypus?, in: päd. extra, Nr. 1/1978, S. 19.

  58. H. Stubenrauch, a. a. O., S. 20.

  59. Zit. nach päd. extra, a. a. O., S. 21.

  60. Zit. nach päd. extra, a. a. O., S. 22.

  61. Zit. nach päd. extra, a. a. O., S. 22.

  62. H. J. Döpp, Narziß: Oder ein neuer Sozialisationstypus?, in: päd. extra, a. a. O., S. 24 ff.

  63. Lehrergruppe Laborschule, Laborschule Bielefeld: Modell im Praxistest. Zehn Kollegen ziehen ihre Zwischenbilanz, Reinbek bei Hamburg 1977, S. 73.

  64. Zit. nach dem Text des Bundespräsidialamtes, 28. 10. 1977.

  65. Zit. nach der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, 29. 1. 1976.

  66. G. Rühle, Ein politisches Gedicht, der Radikalismus und die Grenzen poetischer Metaphorik, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29. 1. 1976.

  67. Herr Hess, wenn man Ihren Sender einschaltet ... Ein Briefwechsel zwischen dem CDU-Abgeordneten Schwarz-Schilling und dem Intendanten

  68. R. Gerhardt, in: Buch und Bibliothek, Nr. 10/1977.

  69. M. Kriele, Falscher Vorwurf: Ein Klima der Unterdrückung, in: Die Zeit, 24. 2. 1978.

  70. H. M. Enzensberger, Der Kleine Polizist im eigenen Kopf, in: Pardon, Nr. 11/1976.

  71. G. K. Kaltenbrunner, Der innere Zensor. Neue und alte Tabus in unserer Gesellschaft, Freiburg, Basel, Wien 1978, S. 9 f.

  72. G. Hensel, Zensur und Selbstzensur, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7. 11. 1972.

  73. U. Greiner, über die Schwierigkeiten, eine Verfassung zu schützen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12. 6. 1976.

  74. F. Fuchs/E. Jesse, Der Streit um die „streitbare Demokratie", in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B. 3/1978, S. 18.

  75. F. Duve/H. Böll/K. Staeck (Hrsg.), Briefe zur Verteidigung der Republik, Reinbek bei Hamburg 1977, S. 9.

  76. M. Sperber, Vom Mißgeschick deutscher Intellektueller in der Politik, in: Süddeutsche Zeitung, 31. 12. 1977/1. 1. 1978.

  77. H. Rudolph, Woher die Vertrauenskrise?, in: Pardon, Nr. 10/1977, S. 20.

  78. K. Funken, Die letzte Etappe: Marxismus-Karrieristen, in: Frankfurter Rundschau, 11. 5. 1974.

  79. O. Negt, Wotan und Gargantua. Der jüngste Aufstand gegen die dialektische Vernunft: Die „Neuen Philosophen“ Frankreichs, in: Frankfurter Rundschau, 11. 2. 1978.

  80. M. Schneider, Von der alten Radikalität zur neuen Sensibilität, in Kursbuch, Nr. 49/1977, S. 174 ff.

  81. M. Schneider, a. a. O., S. 184.

  82. Zit. nach Pardon, Nr. 12/1976, S. 48.

  83. P. Mosler, Was wir wollten, was wir wurden, Reinbek bei Hamburg 1977, 7 f.

  84. G. Höhler, Die Intellektuellen im Bann der Macht. Eintrübung der kritischen Vernunft: In der Knechtschaft von Theorie und Ideologie, in: Deutsche Zeitung, 6. 1. 1978.

  85. H. Schelsky, Die Arbeit tun die anderen. Klas-senkampf und Priesterherrschaft der Intellektuellen, Opladen 1975.

  86. K. Sontheimer, Das Elend unserer Intellektuellen. Linke Theorie in der Bundesrepublik Deutschland, Hamburg 1976, S. 282 f.

  87. Horst Mahlers Fernseh-Geständnisse. In einem Wald von Fragezeichen, in: Süddeutsche Zeitung, 17. 2. 1978.

  88. H. J. Horchern, Der eifernde Kampf der ewig Unbelehrbaren, in: Frankfurter Rundschau, 21. 1. 1978.

  89. A. Weinstein, Eine Orgie wie bei Rabelais, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11. 11. 1977.

  90. D. Boßmann, „Was ich über Adolf Hitler gehört habe...". Folgen eines Tabus: Auszüge aus Schüler-Aufsätzen von heute, Frankfurt am Main 1977, Umschlagtext.

  91. H. Schneider (Hrsg.), Politische Bildung in der Schule, 2 Bände, Darmstadt 1975.

  92. J. Schissler, Mehr Demokratie heißt mehr Frustration. Der Terrorismus und seine Ursachen, in: Die Zeit, 3. 3. 1978.

  93. Vgl. Was Strauß in Chile wirklich sagte. Der Wortlaut der umstrittenen Rede des CSU-Vorsitzenden, in: Frankfurter Rundschau, 1. 12. 1977.

  94. R. Zundel, Der Weltgeist geht im Trachtenanzug. Das Phänomen Strauß und die deutsche Politik, in: Die Zeit, 2. 12. 1977.

  95. ...der jugendfrohe Anfang der Tyrannis, in: Schule & wir, Heft 6/1977.

  96. Schule & Wir, a. a. O., S. 4.

  97. Es geht gar nicht um Intellektuellenhatz, Eine Antwort des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Filbinger an Professor Wellmer, in: Frankfurter Rundschau, 20. 11. 1977.

  98. U. Jaeggi, Konservativ ist gefährlich, in: Die Zeit, 23. 12. 1977.

  99. Th. Castner, Emanzipatorische Erziehung und Autorität, in: Berufs-und Wirtschaftspädagogik, Nr. 9/1977, S. 655 f.

  100. Mord beginnt beim bösen Wort, in: Der Spiegel, Nr. 43/1977, S. 214 f.

  101. K. Sontheimer, Die böse Gewalt der Worte, in: Deutsche Zeitung, 14. 10. 1977.

  102. Vgl. hierzu Anonymes Autorenkollektiv, Wir warn die stärkste der Partein .. . Erfahrungsberichte aus der Welt der K-Gruppen, Berlin 1977.

  103. In: Frankfurter Rundschau, 14. 12. 1977.

  104. H. Marcuse, Mord darf keine Waffe der Politik sein, in: Die Zeit, 16. 9. 1977.

  105. R. Dutschke, Kritik am Terror muß klarer werden, in: Die Zeit, 16. 9. 1977.

  106. Zur Lage. Die Mitarbeiter des pädex-Verlages: Wir werden uns kein Denkverbot aufzwingen lassen, in: päd. extra, 15. 10. 1972.

  107. Th. Sommer, Wenn die Sitten verludern. Wider die Intoleranz gegenüber Kritik, in: Die Zeit, 7. 10. 1977.

  108. G. Grass, Im Ausland geschätzt — im Inland gehaßt, in: Frankfurter Rundschau, 5. 10. 1977.

  109. Nicht-Meister gesucht!, in: Pardon, Nr. 12/1977, S. 19.

  110. Vgl. C. F. von Weizsäcker, Gegen wen wir die Freiheit verteidigen, in: Frankfurter Rundschau, 3. 2. 1978.

  111. H. Simon, Verteidigung der Demokratie als Christenpflicht, in: Frankfurter Rundschau, 14. 2. 1978.

Weitere Inhalte

Hermann Glaser, Dr. phil., geb. am 28. 8. 1928; Studium der Geschichte, Germanistik, Philosophie und Anglistik; Schulund Kulturdezernent der Stadt Nürnberg; Mitarbeiter von Zeitungen, Zeitschriften und beim Rundfunk. Veröffentlichungen u. a.: Spießer-Ideologie, 1964, Neuausgabe 1974; Eros in der Politik, 1967, als Taschenbuch: Sexualität und Aggression 1975; Der Gartenzwerg in der Boutique. Provinzialismus heute, 1973; Weshalb heißt das Bett nicht Bild? Soziolinguistische Paradigmata zur Sprache der Gegenwart, 1973; (zus. mit K. H. Stahl) Die Wiedergewinnung des Ästhetischen. Perspektiven und Modelle einer neuen Soziokultur, 1974; Sigmund Freuds Zwanzigstes Jahrhundert. Seelenbilder einer Epoche, 1976; Literatur des 20. Jahrhunderts in Motiven — Band I — 1870— 1918, 1978; Bundesrepublikanisches Lesebuch — Drei Jahrzehnte geistiger Auseinandersetzung, 1978.