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Privater Konsum als öffentliche Aufgabe. Das Theoriedefizit der Verbraucherpolitik und seine praktisch-politischen Folgen | APuZ 24/1978 | bpb.de

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APuZ 24/1978 Artikel 1 Zusammenhänge von Arbeit und Konsum als Problem einer aktiven Verbraucherpolitik Privater Konsum als öffentliche Aufgabe. Das Theoriedefizit der Verbraucherpolitik und seine praktisch-politischen Folgen Der Bundestag sollte einen Verbraucherbeauftragten haben

Privater Konsum als öffentliche Aufgabe. Das Theoriedefizit der Verbraucherpolitik und seine praktisch-politischen Folgen

Anke Martiny

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Zusammenfassung

Verbraucherforschung ist ein junges Fachgebiet, mit dem die etablierte Volkswirtschaftslehre sich kaum abgibt. In der üblicherweise gelehrten Wirtschaftstheorie steht der Anbieter im Mittelpunkt des Interesses. Der Konsum wird unter Absatz-und Marketing-aspekten gewertet. Kapital-und Unternehmensorientierung herrschen vor, gesamtwirtschaftliche Folgen aus der Art der privaten Einkommensverwendung werden selten untersucht. Auch die etablierte Gewerkschaftsmeinung ist arbeitsplatz-und Produktions-, aber nicht konsumorientiert. Da dies so ist, begreift sich die etablierte Verbraucherpolitik als „Reparaturwerkstatt": sie versucht, Schäden im Konsumbereich gutzumachen und verzerrte Kräfteverhältnisse, die durch Hersteller oder Händler eingetreten sind, zugunsten der Verbraucher zu verändern. Für die Politiker besteht aus einer Reihe von Gründen eine Notwendigkeit, sein Interesse an aktiver Verbraucherpolitik zu bekunden. 1. Die Gleichgewichtigkeit der Marktpartner liegt nur theoretisch vor; eine sich sozial nennende Marktwirtschaft muß den Anspruch auf eine stärkere Berücksichtigung des schwächeren Marktpartners verwirklichen. 2. Bürokratien werden mehr und mehr zu Instanzen, die über Art, Ausrichtung und Umfang des öffentlichen Güter-und Dienstleistungsangebotes entscheiden; die Nachfrager dieses Angebotes werden aber hinsichtlich seiner Struktur so gut wie nie gefragt, wodurch sich vielfältiger Unmut aufstaut. 3. Der Privatkonsum steuert mehr als alles andere die Wirtschaft. Er wirkt sich entscheidend aus auf die Verwendung der Ressourcen, auf den Kapitalmarkt und die Devisen-und Handelsbilanzen, aber auch auf die Beschäftigungslage. „Der Entwurf eines grundverschiedenen Konsummodells" (Gorz) liegt von daher für manchen Theoretiker nahe. 4. Durch wachsende Anforderungen an den Menschen als rational handelnden, informierten Wirtschaftsbürger, der der staatlich betriebenen Vorsorgepolitik zum Erfolg verhelfen soll, wächst die Erkenntnis von dessen Bedeutung. 5. Die vielfältigen Wechselbeziehungen zwischen Arbeit, Konsum und Freizeit sind sozialwissenschaftlich noch kaum erforscht. Zwar stellt sich der Anspruch an die Politiker aus den Folgen, die sich für jeden einzelnen aus der Verkürzung der Lebensarbeitszeit für die Bewertung von Konsum und Freizeit ergeben, die politisch richtigen Konsequenzen zu ziehen; doch vermag derzeit niemand anzugeben, wie diese aussehen müßten. 6. Weitet man diesen Ansatzpunkt aus, so ergibt sich eine weitere Begründung zum Betreiben aktiver Verbraucherpolitik: Die Menschen — insbesondere der Mittelschichten — erfahren sich in ihrem Leben intensiver als abhängig und spüren dies unbewußt, als dies früher der Fall war. Dies hat Folgen auf ihr Verhalten in der Gesellschaft und fordert neben anderem auch politisches Handeln. Eine Reihe konkreter Forderungen rechtlicher, wirtschaftspolitischer, organisatorischer Art ergeben sich aus dieser Analyse. Daneben gilt es, die bestehenden Forschungslücken zu schließen, um langfristig eine aktivere und damit effektive Mitbeteiligung der Bürger an der Marktwirtschaft zu erreichen. Eine wirkungsvolle Selbstorganisation der Verbrauchet ist notwendig, um die gegenwärtig „ex post" betriebene Verbraucherpolitik in eine engagierte Interessenvertretung „ex ante" zu verändern.

I. Der Ist-Zustand der Verbraucherpolitik

Auf das Thema „Verbraucherpolitik" kommen die wenigsten Menschen von allein. Zwar sind alle Erwachsenen als Verbraucher vom Geschehen des Marktes unmittelbar betroffen — und die meisten wissen dies auch —, aber aus diesem Betroffensein theoretische oder praktische Konsequenzen zu ziehen, erscheint nur wenigen erforderlich oder sinnvoll.

Diese Beobachtung allein ist bereits des Bemerkens wert; denn man fragt sich unwillkürlich: Woran liegt es eigentlich, daß Men die -schen als Konsumenten ihre Konsumentenrolle so wenig reflektieren? Welche Mechanismen der Sozialisation walten, zwar die die Stellung des Menschen am Arbeitsplatz oder die vermeintliche oder tatsächliche Unterlegenheit von Frauen in bestimmten Berufen in Frage stellen und daraus politisches Engagement erwachsen lassen, nicht aber die Position des Konsumenten in der Marktwirtschaft?

Solche Fragen sind insbesondere dann berechtigt, wenn man sich vergegenwärtigt, daß die sozialistische Bewegung, besonders in England und Deutschland, schon in der Frühzeit praktische Folgerungen aus ihnen gezogen hatte. Diese sind in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg mehr und mehr in Vergessenheit geraten und von der Entwicklung der Marktwirtschaft überrollt worden, ohne daß sie — wie etwa bei den Konsumgenossenschaften zu beobachten — theoretisch wie praktisch die Tradition der Arbeiterbewegung fortzusetzen vermocht hätten. In England und Skandinavien ist das noch anders.

Der Mangel an politischem Engagement auf diesem Feld mag vor allem daran liegen, daß die Mehrzahl der Menschen den Konsum als ihre Privatangelegenheit ansieht. Die meisten Menschen empfinden sich in drei Lebensbereichen als — gewissermaßen von Natur aus — kompetent und souverän: wie sie ihre Kinder erziehen, wie sie ihr Geld ausgeben und wie sie ihre freie Zeit verbringen. Nur ungern ist der einzelne in diesen drei Bereichen bereit, sein Verhalten zu ändern: Er ist fest davon überzeugt, daß er es auf seine Weise richtig macht. Nur wenige erwerben bereits durch ihre eigene Erziehung ein Problembewußtsein auf diesen Gebieten; die meisten sind erst dann einsichts-und lernfähig, wenn ihre Kinder in der Schule Schwierigkeiten haben, das Geld nicht reicht, wenn wenn sich der Kauf einer bestimmten Ware als „Reinfall" erwiesen hat, oder wenn die Freizeit weder bedeutet. Erholung noch Spaß

Das fehlende kritische Bewußtsein mag insbesondere daher rühren, daß das Verbraucher-und Freizeitverhalten in der Wissenschaft noch viel zu wenig Beachtung gefunden hat. Weder das Verbraucherverhalten generell, noch Spezialaspekte, wie etwa die Abhängigkeit der Verbraucher von den Markt-und Absatzstrategien der Hersteller und Anbieter, wurden eingehender Untersuchungen gewürdigt. Der weitgehende Mangel an theoretischer Vorarbeit bringt es mit sich, daß Konsum und Freizeit bei Lehrern, Journalisten, Politikern und anderen Multiplikatoren weitgehend unproblematisch erscheinen. Wovon soll man schließlich schreiben oder berichten, wenn man zwar kritische Beobachtungen macht, aber nur selten den Weg in eine „bessere Zukunft" angeben kann? 1. Das Erzeugerinteresse hat Vorrang Weil von der Seite der Betroffenen her so offenkundig der . Problemdruck'ausbleibt bzw. aus vielfältigen Gründen nicht stark genug ist und sich Mißbilligung mehr oder minder nur an Einzelbeispielen äußert — etwa den Kosten des Agrarmarktes, den Vertriebsmethoden der Versicherungswirtschaft oder den bieter sich zum Nutzen der Verbraucher durch günstigere Preise, bessere Qualität, größere Auswahl an verschiedenen Produkten oder auch durch besondere zusätzliche Dienstleistungen zu übertreffen suchen.

Demgegenüber sind die Anbieter daran interessiert, Konkurrenz möglichst auszuschalten oder sich durch Absprachen, Kartelle und 'Marktordnungen über bestimmte Märkte oder Marktanteile zu einigen. Eingeschränkter oder gar fehlender Wettbewerb ermöglicht ihnen sicheren Absatz und höhere Gewinne.

Auch bei Entscheidungen über Investition und Produktion besteht zwischen den Verbrauchern und den Produzenten ein Interessengegensatz: Die Verbraucher, deren Einflußmöglichkeiten sich darauf beschränken, die angebotenen Güter zu kaufen oder auf sie zu verzichten, sind an einer stärkeren Eint flußnahme und Mitbestimmung bei den Investitions-und Produktionsentscheidungen interessiert. Die Produzenten und der Handel haben aufgrund ihrer Verfügungsgewalt über > die Produktionsmittel und das eingesetzte Kapital die Freiheit des Planens und aktiven Handelns. Diese Entscheidungsfreiheit wird durch Konzentration, durch technische Entwicklung und vielfältige staatliche Förderung wie Steuervorteile, Kredite und Bürgschaften verstärkt und gesichert. Die Produzenten und Anbieter verteidigen diese Machtposition und geben den Verbraucherinteressen freiwillig nicht nach.

Die Interessen der Verbraucher können oft nur über staatliche Vorschriften und nur im Detail durchgesetzt werden, so z. B. wenn die Auto-Hersteller verpflichtet werden, in jedes Auto Sicherheitsgurte einzubauen. Eine direkte Mitwirkung der Verbraucher an den Produktionsentscheidungen generell, z. B. über verbrauchergerechte Qualitätsnormen, die das Auto sicher und wenig reparaturanfällig machen, ließ sich bisher, obwohl dringend notwendig, nicht verwirklichen.

Auch im öffentlichen Bereich sind die Interessen der Verbraucher auf stärkere Einflußnahme und Mitwirkung bei Investitionsund Produktionsentscheidungen gerichtet. Beim Bau von Fernstraßen durch Wohngebiete, bei der Planung von Trabantenstädten und bei der Genehmigung von Standorten für umweltbelastende Kraftwerke und andere Produktionsstätten stehen sich oft die unterschiedlichen Interessen der betroffenen Verbraucher, der Hersteller und Anbieter und des Bundes, der Länder und der Gemeinden gegenüber. Der Einfluß der Hersteller und Anbieter auf derartige Entscheidungen von Bund, Ländern und Gemeinden war bisher stärker als der Einfluß der betroffenen Verbraucher. Der Grund lag in der wirtschaftlichen Macht einzelner an den Projekten interessierter Unternehmen oder in der weitreichenden Einflußmöglichkeit ihrer Wirtschaftsverbände (Lobbyismus). Zum Interessenausgleich tragen die demokratisch gewählten Parlamente und kontrollierten Verwaltungen nicht ohne weiteres und nicht in genügendem Ausmaß bei.

Aus den Interessengegensätzen zwischen Verbrauchern einerseits, Produzenten und Anbietern andererseits ergeben sich Konflikte nicht nur bei den täglichen Kaufhandlungen, sondern immer stärker auch bei den grundlegenden Investitionsund Produktionsentscheidungen. Diese müssen immer wieder neu ausgetragen werden. Um zu einem erwünschten Ausgleich der Interessen zu kommen, bedarf es der Gleichgewichtigkeit und Chancen-gleichheit zwischen den Kontrahenten. Zwischen Unternehmern und Verbrauchern ist diese Gleichgewichtigkeit und Chancen-gleichheit weithin nicht gegeben. 2. Das Kapital rangiert an erster Stelle Die etablierte Volkswirtschaltslehre ist kapital-und unternehmensorientiert. Weder gehen die privat in der Familie erbrachten Dienstleistungen ins Bruttosozialprodukt ein (was automatisch alle Forderungen der Hausfrauen nach einer „Entlohnung" ihrer Arbeit zu utopischen Wünschen macht) noch wird durch Kosten-Nutzen-Analysen der mögliche volkswirtschaftliche Schaden bewertet, der im Privatbereich durch unsachgemäßen Einkauf oder durch Verschleißproduktion entsteht. In welcher Weise etwa verführerisch angelegte oder die Erwartungen in sublimer Weise täuschende Werbung zwar dem einzelnen Unternehmen zum Erfolg, der gesamten Volkswirtschaft aber zum Schaden gereichen kann, dafür fehlen bezeichnenderweise bis heute die empirischen Untersuchungen. Ebenso fehlen sie in weiten Bereichen des privat zu leistenden Umweltschutzes; wenn die Produktion läuft, Kapital und Unternehmen also „arbeiten", dann werden die volkswirtschaftlichen Folgen dieser „Arbeit" mit der Produktion kaum mehr in Beziehung gebracht, sondern der Konsumtion dieser Güter angelastet. Preisen für die städtischen Verkehrsmittel —, gelten die folgenden Thesen, nach wie vor und sind in der verbraucherpolitischen Diskussion praktisch unumstritten:

Die etablierte Wirtschaftstheorie ist anbieterorientiert. Der Konsum wird unter Absatz-, Marketing-und Werbungsaspekten gewertet. Er hat im Grunde das Ziel, dem Kapitaleinsatz zu einer optimalen Rendite zu verhelfen und eine maximale Beschäftigungslage zu erreichen. Da unzufriedene Verbraucher dieses Ziel stören würden, wird deren Zufriedenheit in die Rechnung — jedenfalls tendenziell — einbezogen.

Der Satz von Adam Smith: „Erzeugerinteressen sollten nur soweit berücksichtigt werden, wie es zur Förderung der Verbraucherinteressen notwendig ist" wurde in der Geschichte des Kapitalismus in sein Gegenteil verkehrt: Verbraucherinteressen werden heute nur soweit berücksichtigt, wie es zur Förderung der Erzeugerinteressen notwendig ist.

Wirtschaftspolitiker und Unternehmer vertreten trotzdem heute die These, daß die Interessen von Verbrauchern und Produzenten letztlich übereinstimmen. Ein wirtschaftspolitisches Harmoniemodell, getragen von der Ideologie einer gleichrangigen „Partnerschaft" und vom Vertrauen zwischen Käufer und Verkäufer, wird entwickelt, um von vorhandenen Interessengegensätzen und den daraus entstehenden Konflikten abzulenken und um eigene Interessen um so sicherer durchsetzen zu können. Da das Wissen der Verbraucher über wirtschaftliche Grundtatbestände äußerst lückenhaft ist — in der Schule erfahren sie viel zu wenig darüber —, werden ihnen die Interessengegensätze gegenüber Produzenten und Anbietern nur selten bewußt. Aufklärung ist hier dringend notwendig. Denn die Verwechslung des Eigeninteresses mit den Interessen derer, von denen man abhängig ist, geschieht fortwährend.

Verbraucher sind daran interessiert, Güter und Dienstleistungen zu erhalten, die ihre Bedürfnisse optimal befriedigen. Sie wünschen sich Güter von hoher Qualität zu einem niedrigen Preis. Für sie ist der Gebrauchswert, also der Nutzen eines Gutes, genauso entscheidend wie der Arbeitswert, also die Zeit, die sie arbeiten müssen, um sich für das in dieser Zeit verdiente Geld ein gewünschtes Gut kaufen zu können. Immer entscheidender wird für die Verbraucher außerdem, wieviel Zeit sie für die Nutzung eines Gutes benötigen oder wieviel mehr Freizeit ein Gut ihnen ermöglicht. Verbraucher möchten, daß die erworbenen Güter lange gebrauchstauglich bleiben und keine gefährlichen und umwelt-belastenden Nebenwirkungen haben. Schon vor dem Kauf haben die Verbraucher ein Interesse an wesentlichen Informationen über die Vor-und Nachteile bestimmter Produkte — insbesondere deren Gebrauchswert — und an einem Überblick über die Preise vergleichbarer Waren und Dienstleistungen.

Die Produzenten und Anbieter haben dagegen andere Interessen. Mit dem Verkauf der von ihnen hergestellten oder für den Handel erworbenen Güter wollen sie einen möglichst großen Gewinn erzielen. Ihr Interesse ist es daher, ihre Güter kostengünstig herzustellen oder einzukaufen und zu einem möglichst hohen Preis zu verkaufen. Die Produzenten und Anbieter möchten ihre Marktstellung erhalten oder möglichst noch ausweiten. Qualität wird deshalb als Werbe-und Verkaufsargument herausgestellt. Mindere Qualität, Reparaturanfälligkeit, schneller Verschleiß werden verschwiegen, liegen aber teilweise durchaus im Interesse der Produzenten und Anbieter, da schlechte und schnell unbrauchbar gewordene Ware durch neue ersetzt werden muß, so daß der Absatz sich erhöht. Grenzen für mindere Qualitäten ergeben sich erst, wenn die Gefahr besteht, daß die Kunden zur Konkurrenz abwandern oder auf den Kauf einer Ware völlig verzichten, oder wenn sich der Handel aufgrund steigender Reklamationen mit dem Konsumenten verbündet und sich seinerseits für eine Qualitätsverbesserung einsetzt.

Informationen für den Verbraucher sind für den Verkäufer nur insoweit interessant, als sie die Vorteile seiner Produkte unterstreichen oder in anderer Weise dem Absatz dienlich sind. Informationen über mögliche Nachteile der angebotenen Güter oder über die Preise vergleichbarer Konkurrenzprodukte liegen nicht im Interesse der Erzeuger und Anbieter, da sie Absatz, Gewinn und Markt-stellung gefährden.

Die Interessengegensätze beschränken sich aber nicht auf die direkten Beziehungen zwischen Anbieter und Käufer in der konkreten Kauf-und Verkaufssituation. Die Verbraucher sind auch daran interessiert, daß möglichst viele Anbieter im Wettbewerb miteinander stehen; Konkurrenz führt dazu, daß An-B Im Bereich der Konsumtion wird das Problem theoretisch aber nicht aufgearbeitet

Folgen aus der Art der privaten Einkommens-verwendung stehen noch so gut wie überhaupt nicht im Vordergrund der wissenschaftlichen Bemühungen. Man wird die Verbraucherprobleme aber zunehmend stärker angehen müssen, wenn man z. B. im Interesse der gesamten Volkswirtschaft die Preissteigerungen wirksam bekämpfen, Probleme der Umweltbelastung durch privaten Konsum bewältigen oder Gefahren für die Bevölkerung durch unsichere oder schädliche Produkte abwenden will.

In der gegenwärtigen wirtschaftspolitischen Situation, die durch ein verstärktes Fragen nach dem sinnvollen Einsatz begrenzter Ressourcen und nach der Tragbarkeit sozialer Kosten bei bestimmten Produktionsverfahren gekennzeichnet ist, darf der wirtschaftliche Einfluß der Verbraucher nicht länger vernachlässigt oder übersehen werden. Im Jahre 1975 haben die Verbraucher in der Bundesrepublik über die Verwendung von 400 Mrd. DM entschieden. Es darf den Wirtschaftswissenschaftlern und den -Politikern nicht länger gleichgültig sein, ob dieses Geld sinnvoll oder sinnlos ausgegeben wird, ob es Preissteigerungen begünstigt oder ob es die Produktion schädlicher, gefährlicher oder unbrauchbarer Waren fördert.

Bei geringeren Wachstumsraten wird nicht nur die Frage der Verwendung der Einkommen — einerseits für Konsum und andererseits für Investitionen — zunehmend wichtiger, sondern auch die Aufteilung der Einkommen auf die verschiedenen Konsumbereiche. Konflikte sind unverkennbar: Man kann sein Geld nur einmal ausgeben, und die Kosten für Alters-und Gesundheitsvorsorge oder für Miete blockieren einen Großteil des verfügbaren Einkommens.

Konsum und Freizeit gewinnen neben dem Beruf, nicht zuletzt wegen der kürzeren Arbeitszeit, eine immer stärkere Bedeutung. Aufgabe einer an den Interessen der Verbraucher orientierten Forschung und Politik muß es daher sein, die „überkommene Aufspaltung der Lebensphären in Arbeit auf der einen sowie Konsum und Freizeit auf der anderen Seite und deren weitgehender Festschreibung nachzuspüren und entgegenzuwirken"

Für einige gesellschaftliche Gruppen werden Konsum und Freizeit sogar zur entscheidenden Quelle persönlicher Zufriedenheit, weil die Arbeitswelt ihnen verschlossen ist, z. B. für die Rentner oder für die Arbeitslosen. Weltweit existiert das Problem der Arbeitslosigkeit, das in einer so auf Effizienz und Leistungsfähigkeit hin ausgerichteten Gesellschaft wie der unseren auch zum sozialen Problem werden kann. Die gesellschaftlichen Normen sollten daher überprüft werden: Nicht nur in seiner Arbeit verwirklicht sich der Mensch, er kann dies auch in einer sinnvollen Freizeitbeschäftigung erreichen. Ähnliches gilt für die inzwischen beträchtliche Zahl derer, die trotz hohen Ausbildungsstandes (Abitur, Studium) keinen adäquaten Arbeitsplatz finden können. Abitur und Studium werden nicht mehr automatisch mit der Tarifgruppe A 13 und einem genau umrissenen Verantwortungsbereich gekoppelt sein, mehr Menschen werden sich wieder durch Leistung . empordienen'müssen. Der Stellenwert von Freizeit und Konsum als ebenfalls möglicher Quelle menschlicher Zufriedenheit wird damit wichtiger.

Hier soll nicht plattem Konsumfetischismus das Wort geredet werden. Keinesfalls kann es darum gehen, die mangelnde Zufriedenheit im Beruf durch einen materiellen Wert wettzumachen. Aber man sollte öfter darauf hinweisen, daß Bildung und Weiterbildung Werte an sich darstellen, ganz unabhängig von den möglicherweise mit ihnen verbundenen Gehaltsstufen. 3. Lohnerwerb und Lohnverwendung Die etablierte Gewerkschaftstheorie ist arbeitsplatz-und produktionsorientiert. Arbeitskämpfe entstehen nach wie vor vor allem um höhere Löhne, in zweiter Linie um kürzere Arbeitszeiten und bessere Arbeitsbedingungen. „Humanisierung der Arbeitswelt''und „Lebensqualität" haben im Hinblick auf die Realität des Arbeitslebens die Sphäre der Schlagworte und der Stichworte für Doktor-und sonstige Forschungsarbeiten noch nicht verlassen. Nicht reflektiert — auf den unteren Stufen der Gewerkschaftshierarchie — und nur ungenügend propagiert und verbreitet — bei der Gewerkschaftsführung — wird die Tatsache, daß Arbeitnehmer durch zunehmende soziale Kosten von Produktion Einkommenseinbußen erleiden können und daß sie durch fragwürdige Qualitäten von Gütern und Dienstleistungen materiell genauso geschädigt werden können wie durch zu geringe Lohnzuwächse oder schlechte Arbeitsbedingungen. Die gesamte Gesellschaft und mithin, wenn man den Statistiken glauben darf, vor allem die große Zahl der Lohnsteuerzahler trägt die Kosten für die Entsorgung von schädlichen Folgen der Produktion, für die Energiesicherung und für den Verkehr. Manche Produktion, zu diesen Kosten in Beziehung gebracht, gerät so auf ein zwielichtiges Feld.

Der DGB versteht sich auch als Verbraucher-organisation, da er die Verbraucherinteressen seiner über 7 Millionen Mitglieder vertritt. In seiner Satzung ist die Vertretung der Arbeitnehmerinteressen in der Preis-, Wettbewerbs-und Verbraucherpolitik als Aufgabe festgelegt. Auf dem DGB-Kongreß in Hamburg wurden 1975 umfangreiche Anträge zur Verbraucherpolitik angenommen.

Seit 1971 besteht beim Bundesvorstand ein Referat für Verbraucherpolitik in der wirtschaftspolitischen Abteilung. Besondere finanzielle Förderung genießt die verbraucher-politische Arbeit dieses Referats allerdings nicht. In acht Verbraucherzentralen ist der DGB Mitglied, und er vertritt in mehreren Gremien, wie z. B.dem Kuratorium der Stiftung Warentest oder im Verbraucherbeirat beim Bundesminister für Wirtschaft, die Verbrau-cherinteressen seiner Mitglieder. Dennoch hat es der DGB bisher nicht erreicht, sich als Interessenvertretung der Verbraucher in der Öffentlichkeit darzustellen. Das Referat für Verbraucherpolitik, vielfältige Unterstützung der Arbeit der anderen staatlich geförderten Verbraucherorganisationen und große Bemühungen um Information der Arbeitnehmer über Verbraucherprobleme sind zwar wichtige Ansätze, aber sie kennzeichnen im Bewußtsein der Bevölkerung den DGB auch heute noch nicht als Verbraucherorganisation. Auch die über 7 Millionen Gewerkschaftsmitglieder sehen sicherlich im DGB und erst rech in ihren Einzelgewerkschaften vorwiegend die Vertretung ihrer Interessen als Arbeitnehmer. Verbraucherschulz läuft Mißständen hinterher Die etablierte Verbraucherpolitik begreiit sich als „Reparaturwerkstatt": sie versucht, im Konsumbereich Schäden gutzumachen und verzerrte Kräfteverhältnisse, die durch Hersteller und Händler eingetreten sind, zugunsten der Verbraucher zu verändern. Im Gegensatz zu den Zwangszusammenschlüssen der Hersteller und Anbieter, wie BDI, BDA oder DIHT, gibt es keine Organisationen, in denen die Verbraucher kraft Gesetzes Mitglied sind. Sehr viele Verbraucher sind zwar in Verbänden organisiert, die auch die Vertretung von Verbraucherinteressen zum Ziel haben, wie z. B. die Gewerkschaften und die Frauenverbände, aber nur wenige Verbraucher sind bisher Mitglied in einer Organisation, die ausschließlich Verbraucherinteressen vertritt.

Da der Staat die Interessenvertretung der Verbraucher als Notwendigkeit erkannt hat, werden eine Reihe von Verbraucherorganisationen und Institutionen finanziell gefördert (wie z. B. die Stiftung Warentest) bzw. vollständig finanziert (wie z. B. die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucher). Daneben gibt es aber auch Organisationen, die aufgrund von Mitgliedsbeiträgen selbständig sind. Dies sind kleine Verbrauchervereine meist in größeren Städten oder Vereine, die spezielle Verbraucherinteressen vertreten, wie Mietervereine und Automobilclubs und die Vereine und Verbände, die Verbraucherinteressen neben anderen Interessen mitvertreten, wie z. B.der DGB und der Deutsche Familienverband 4). Trotz der Vielfalt der Organisationen, Institutionen und Vereine existiert zur Zeit nur ein einziger zentraler Verbraucherverband, der sich ausschließlich und umfassend für die Interessen der Verbraucher einsetzt. Dies ist die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucher:

AGV. Die AGV kann sich jedoch nicht wie etwa der BDI oder der Deutsche Bauernverband auf Beiträge zahlende, im Ernstfall als Massenbasis einsetzbare Mitglieder abstützen. Ihre Mitgliederverbände und deren Einzelmitglieder haben so unterschiedliche Interessen und sind selber so schwach, daß eine Mobilisierung der 8 Millionen mittelbaren Mitglieder der AGV zur Durchsetzung von Verbraucherinteressen bisher nicht möglich erscheint. Die AGV, die Verbraucherzentralen und die anderen Organisationen und Institutionen beschränken sich im wesentlichen auf Verbraucherberatung und -information.

Die Interessenvertretung vollzieht sich vorwiegend durch institutionalisierte Mitarbeit in zahlreichen Gremien und in der Offentlich-keitsarbeit. Der Verbraucherschutzverein in Berlin, die Aktion Bildungsinformation und die Verbraucherzentrale in Stuttgart betreiben durch Prozeßführung und Aktionen auch aktiven Verbraucherschutz.

Die Tätigkeit der AGV, der Stiftung Warentest, der Verbraucherzentralen und der anderen unterstützten Organisationen wurde 1977 von Bund, Ländern und Gemeinden mit weniger als 40 Mio. DM finanziell unterstützt. Ein Vergleich mit den 800 Mio. oder 1, 5 Mrd. DM Beitragsaufkommen der Unternehmens-verbände oder mit den Milliarden, die von Unternehmerseite für Werbung, also einseitige Information bzw. Beeinflussung der Verbraucher, jährlich ausgegeben werden, zeigt die Schwäche und Machtlosigkeit der Interessenvertretung der Verbraucher.

Die Organisation der Verbraucher in Interessenvertretungen und deren finanzielle Unterstützung durch den Staat, ferner die zahlreichen Maßnahmen wie: Verbesserung der Information der Verbraucher, Förderung der Verbrauchererziehung, Verbesserung der Verbraucherberatung, schließlich die Gesetzgebung zum Schutz der Verbraucher spiegeln den . Reparatur-Werkstatt-Charakter'der Verbraucherpolitik deutlich wider. Der Staat und die mit seiner Hilfe etablierten Interessenvertretungen der Verbraucher handeln meist reaktiv, versuchen nachträglich die Macht der Anbieter zugunsten der Verbraucher zu begrenzen und eine Gegenmacht aufzubauen. Es stellt sich jedoch die Frage, in welchem Ausmaß diese Art der Verbraucher-politik tatsächlich bisher dem Verbraucher zugute gekommen ist und Einfluß auf sein Verhalten genommen hat, da wissenschaftliche Ergebnisse über die Wirkung dieser verbraucherpolitischen Bemühungen nahezu völlig fehlen.

Auf der Grundlage wissenschaftlicher Untersuchungen sollte die Verbraucherpolitik aber endlich versuchen, die Handlungsmöglichkeiten der Verbraucher im Hinblick auf ihre Bedürfnisse zu erweitern und Alternativen vorzustellen, die es den Verbrauchern ermöglichen, sich von der Übermacht der Produzenten bei der Bereitstellung sowohl privater als auch öffentlicher Güter zu befreien. „Die wissenschaftliche Analyse und die politische Diskussion haben daher an der gesellschaftlichen Produktion und Konsumtion ökonomischer Werte anzusetzen."

II. Die politische Notwendigkeit einer Neuorientierung

Nun läßt sich fragen, welche Notwendigkeit für ein politisches Interesse an aktiver Verbraucherpolitik eigentlich vorliegt. Vergleicht man Volkswirtschaften westlicher Prägung mit jenen des Ostblocks, so liegen die Vorteile der ersteren doch gewissermaßen auf der Hand, und damit könnte man es bewenden lassen. Gleichwohl sollten eine Reihe von Beobachtungen in unserer Gesellschaft es den Politikern nahelegen, sich mit der Verbraucherpolitik theoretisch wie praktisch zu befassen.

Die „Kommission für wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandel" hat in ihrem Abschlußgutachten wie auch in einer Reihe von Einzelgutachten verbraucherpolitische Themen und Forschungsdefizite herausgestellt

Von Bedeutung sind insbesondere die Einzel-gutachten zur Warenkennzeichnung, zur Werbung für Markenartikel und zum geplanten Verschleiß sowie der internationale Vergleich verbraucherpolitischer Organisationen und Behörden und die Darstellung des Diskussionsstandes zur Verbraucherpolitik

Die in den Gutachten in großer Zahl dargestellten Forschungslücken bzw. bisherigen Forschungsschwerpunkte werden teilweise erneut aufgegriffen, ergänzt und in einen erweiterten gesellschaftspolitischen Rahmen gestellt durch das vom Bundesministerium für Forschung und Technologie in den Jahren 1976/77 initiierte Schwerpunktvorhaben „Verbrauchergerechte Verbraucherforschung und -politik — Eine Situationsanalyse". Diese Pilot-studie wurde 1977 auch gedruckt vom Mini-sterium vorgelegt Aus ihr haben sich inzwischen konkrete Forschungsvorhaben entwickelt, deren erste Ergebnisse vermutlich im Jahre 1979 vorliegen werden

Aus all diesen Arbeiten wie auch aus einigen Veröffentlichungen deutscher Wissenschaftler der letzten Jahre ergeben sich eine Fülle von Hinweisen auf ein großes Forschungsdefizit empirischer soziologischer und psychologischer Untersuchungen auf dem verbraucherpolitischen Feld; sie enthalten deutlich die Aufforderung auch an die Politiker, die bestehenden Forschungslücken schließen zu helfen.

Die schwache Stellung der Verbraucher wird heute verbal allgemein anerkannt. Nur wenn man das Funktionieren der Marktwirtschaft quasi modellhaft beschreibt, haben die Verbraucher mit den Anbietern eine vergleichbar starke Stellung. In der Wirklichkeit lassen sich die Voraussetzungen eines solchen Modells der Marktwirtschaft jedoch nicht finden.

Vollkommene Konkurrenz als Voraussetzung eines funktionierenden Wettbewerbs findet auf unserem Markt beispielsweise oft deshalb nicht statt, weil die Zahl der Anbieter zu klein ist oder bei manchen Produkten überhaupt nur ein Anbieter auftritt. Vollkommene Markttransparenz bleibt gleichfalls bestenfalls eine Zielvorstellung, ja eine Utopie; denn ein Überblick über alle angebotenen Produkte mit ihren Unterschieden in Preis und Qualität, Gebrauchswert und anderen wesentlichen Eigenschaften ist in den meisten Bereichen nicht möglich. Vollkommene Markttransparenz ist auch deshalb nicht zu realisieren, weil noch subjektive Faktoren beim Verbraucher, wie beispielsweise unterschiedliche Wahrnehmungs-und Reaktionsfähigkeit einbezogen werden müssen.

Bei der zunehmenden Vermachtung unserer Wirtschaft und dem nur begrenzt funktionierenden Wettbewerb wächst für die Eigentümer der Produktivvermögen die Möglichkeit, über die Art der Produkte und über die Investitionen als Voraussetzung für die Produktion mitunter auch unabhängig vom Markt zu entscheiden

Die Fehlentwicklungen einer freien Marktwirtschaft können nicht durch den Druck der Arbeitnehmer bzw. Verbraucher korrigiert werden. Arbeitskämpfe haben hierfür auch in der Vergangenheit nicht ausgereicht, weil sie vorrangig auf andere, vor allem den Arbeitnehmer unmittelbar berührende Ziele wie Lohn und Arbeitsplatzbedingungen gerichtet waren. Die Interessenvertretung der Verbraucher war bisher nicht in der Lage, auf diese Fehlentwicklungen des Marktes Einfluß zu nehmen. Aus der Kenntnis dieser Zusammenhänge ergibt sich der vordringlichste politische Ansatz für eine aktive Verbraucherpolitik: 1. Das deklamatorische „Gleichgewicht" Die Gleichgewichtigkeit der Marktpartner zur Steuerung des Marktes liegt nur theoretisch vor. Eine sich sozial nennende Marktwirtschaft muß den Anspruch aul eine stärkere Berücksichtigung des schwächeren Markt-partners verwirklichen.

Da allgemeine Übereinstimmung darüber herrscht, daß die paläo-liberale Ordnungskonzeption überholt ist, derzufolge durch die Gewährung von unbeschränkter Freiheit zwangsläufig eine bessere Ordnung entstehen soll, kann der Staat die Wirtschaft nicht sich selbst überlassen oder nur die Folgen wirtschaftlicher Fehlentwicklungen beseitigen. Bievert stellt dazu fest, daß die unterlegene Marktstellung der Verbraucher in einem entscheidenden Widerspruch zur Ideologie der sozialen Marktwirtschaft stehe, denn würde „das unserer Wirtschaftsordnung zugrunde liegende Wettbewerbsmodell prämissengerecht funktionieren oder gäbe es Chancen zu dessen Realisierung, so wäre jegliche Verbraucherpolitik von vornherein überflüssig bzw. dient nur der Korrektur partieller Dysfunktionen"

Zur Stärkung der Stellung des Verbrauchers muß der Staat also eingreifen, da er zur Verwirklichung der Sozialstaatlichkeit verpflichtet ist. So versucht er durch gesetzgeberische Maßnahmen wie z. B. durch eine Verbesserung der Kartellgesetzgebung den Tendenzen zur Beseitigung des Wettbewerbs entgegenzuwirken. Dennoch nimmt die Konzentration zu, und die Kontrolle des Mißbrauchs wirtschaftlicher Macht stößt immer wieder an ihre Grenzen. Der erste Bericht der sogenannten . Monopolkommission'weist darauf hin Die Problematik der Vermögensverteilung, bei der nach wie vor keine wesentliche Veränderung zugunsten der abhängig Beschäftigten und wirtschaftlich schwächeren Schichten der Bevölkerung festzustellen ist; begründet das reaktive Verhalten der Verbraucher auf das Verhalten der Anbieter: Sie haben keinen Einfluß auf Art und Weise des Kapitaleinsat-zes. Die notwendige Forderung nach einer besseren Verbindung zwischen Produktionsentscheidungen der Anbieter und den Konsumwünschen der Verbraucher erhielte durch deren Beteiligung am Produktivvermögen eine Realisierungschance. Vermögenspolitische Reformschritte müssen die Wirtschaftsordnung allmählich umgestalten, um eine wirksame demokratische Kontrolle wirtschaftlicher Verfügungsgewalt zu erreichen. Dies gilt auch für die wirtschaftliche Tätigkeit des Staates.

Verbraucherpolitiker sehen sich in Diskussionen mit Wirtschaftsverbänden und Vorständen immer wieder dem Vorwurf ausgesetzt, sie mäßen mit zweierlei Maß: Private Güter-und Dienstleistungsangebote stünden voll unter der . Fuchtel'von Gesetzen, aber bei den öffentlichen Anbietern drücke der Staat sämtliche Augen zu. Da werden die beanstandeten Waschmittelreklamen aufgerechnet gegen die (eigentlich auch zu beanstandenden) Wahlreklamen, oder es werden Geschäftsbedingungen eines Möbeltransportunternehmens gegen diejenigen der Bundespost oder -bahn ausgespielt. Kein Zweifel: Auch der Staat ist allemal Sünder, und die ihn in den Parteien mittragenden Politiker sollten erkennen, daß mancher Unmut der Verbraucher gegenüber dem gesamten öffentlichen Sektor auch aus dieser Ecke kommt. Daraus ergibt sich der zweite Ansatz für eine aktive Verbraucherpolitik: 2. Entfremdung durch Bürokratie Bürokratien werden mehr und mehr zu Instanzen, die über Art, Ausrichtung und Umfang des öffentlichen Güter-und Dienstleistungsangebotes entscheiden. Die Nachfrager von öffentlichen Gütern und Dienstleistungen werden aber hinsichtlich des Angebotes so gut wie nie gefragt, obgleich das Angebot aus den Steuern der Nachfrager, also gewissermaßen aus „Zwangsabgaben", finanziert wird.

Wenn Verbraucherpolitiker von „Markt" und „Wettbewerb" sprechen, gehen sie immer noch wie selbstverständlich nur von einem Teilmarkt aus, nämlich jenem des privaten Güter-und Dienstleistungsangebotes. Das Angebot öffentlicher Güter und Dienstleistungen und der hier in weiten Bereichen überhaupt nicht mehr stattfindende Wettbewerb werden aus den Betrachtungen weitgehend ausgeklammert. Vergegenwärtigt man sich aber, daß es sich beim öffentlichen Güter-und Dienstleistungsangebot meistens um konkurrenzlose Unternehmungen handelt, stellt sich ernsthaft das Problem, ob man nicht weit mehr noch als beim privaten Güter-und Dienstleistungsangebot Möglichkeiten der Mitentscheidung und der Sanktionen der betroffenen Bürger bei der Bereitstellung öffentlicher Güter schaffen müßte. Die Wahlen auf kommunaler und auf Länder-oder Bundesebene sind kein hinreichendes Angebot der Mitbeteiligung mündiger Bürger.

Ein dritter Gesichtspunkt erscheint unter rein volkswirtschaftlichem Blickwinkel für die Politiker bedeutsam, um sich der Verbraucher-politik zuzuwenden.

Die Verbraucher haben 1975 über die Verwendung von rund 400 Milliarden D-Mark entschieden. Damit haben sie durch ihren Konsum mehr als die Hälfte des Bruttosozialproduktes bestimmt. Daraus folgt: 3. Die Steuerungskapazität des Privatkonsums Der Privatkonsum steuert mehr als alles andere die Wirtschaft. Er wirkt sich entscheidend aus auf die Verwendung der Ressourcen, auf den Kapitalmarkt und die Devisen-und Handelsbilanzen, aber auch auf die Beschäftigungslage.

Dies hat bereits John Maynard Keynes erkannt, auf den sich auch heute noch alle Konjunkturpolitiker berufen, wenn sie die deficitspending-Politik der öffentlichen Hand begründen wollen. Sie übersehen gewöhnlich, daß Keynes in seiner „Allgemeinen Theorie" neben einer kompensatorischen Fiskalpolitik wichtige Passagen dem Konsum gewidmet hat. „Verbrauch — um das Selbstverständliche zu wiederholen — ist das einzige Ziel und der einzige Zweck aller wirtschaftlichen Tätigkeit" und speziell unter dem Aspekt der Beschäftigung heißt es: „Die Beschäftigungsgelegenheiten sind notwendigerweise durch die Größe der gesamten Nachfrage begrenzt. Die gesamte Nachfrage kann nur vom gegenwärtigen Verbrauch oder von der gegenwärtigen Vorsorge für zukünftigen Verbrauch kommen. Der Verbrauch, für den wir vorteilhaft im voraus sorgen können, kann nicht unendlich hinausgeschoben werden. Je größer überdies der Verbrauch, für den wir im voraus gesorgt haben, um so schwieriger wird es, etwas Weiteres zum Vorsorgen zu finden, desto größer unsere Abhängigkeit vom gegenwärtigen Verbrauch als einer Quelle der Nachfrage".

An späterer Stelle fährt er fort:

„Das Hindernis für ein klares Verständnis ist in diesen Fällen ziemlich dasselbe wie in manchen akademischen Erörterungen über das Kapital, nämlich eine ungenügende Würdigung der Tatsache, daß das Kapital keine selbstgenügsame, vom Verbrauch unabhängige Wesenheit ist. Im Gegenteil, jede zur beständigen Gewohnheit werdende Schwächung des Hanges zum Verbrauch muß sowohl die Nachfrage für Kapital, als auch die Nachfrage für den Verbrauch schwächen. Wenn es unmöglich ist, die Investition wesentlich zu vermehren, gibt es offensichtlich kein Mittel als einen zunehmenden Verbrauch, um ein höheres Niveau der Beschäftigung zu sichern."

Diese Meinung ist theoretisch gewiß nicht überholt. Allerdings werden in der Politik bisher kaum Konsequenzen aus Keynes'Einsichten gezogen, wenn man von den jüngsten Steuerbeschlüssen der Bundesregierung einmal absieht.

An einem Punkt sollte man Keynes allerdings kritisch sehen: Er macht die Verbraucher zu totalen Objekten im Wirtschaftssystem, die — unter „höheren Interessen" beliebig manipulierbar — keine andere Aufgabe haben, als die Wirtschaft am Laufen zu halten und Vollbeschäftigung zu sichern. Unter diesem Aspekt hat der Theoretiker Andre Gorz eher recht, wenn er schreibt: „Darum ist es viel weniger wirkungsvoll, daß man gegen die Industriedynastien und die (in Geld ausgedrückten) Profite ins Feld zieht, als die kapitalistische Betriebs-und Wirtschaftsführung in Namen einer Alternative in Frage zu stellen, das heißt eine Ausrichtung der Produktion nach den Bedürfnissen und nicht nach der Maximierung des Profits. Es geht also darum, die Möglichkeit dieser Politik und ihrer verschiedenen Ergebnisse aufzuzeigen. Der Entwurf eines grundverschiedenen Konsummodells hätte eine viel realere revolutionäre Wirkung als das abstrakte Gerede von den Milliarden der Monopole und ihrer möglichen Verstaatlichung"

Gorz sieht im Konsum ein wichtiges Feld, auf dem sich Selbst-oder Fremdbestimmung der Menschen erweisen. Sein Ansatz entspricht im Grunde dem Anspruch, den unsere soziale Marktwirtschaft an die wirtschaftlich Mächtigen stellt: Zur Verwirklichung einer funktionsfähigen Wirtschaftsdemokratie gehört aktive Verbraucherpolitik,

Je mehr die wirtschaftliche Konzentration voranschreitet und je mehr multinational verflochtene Konzerne große Märkte beherrschen, um so wichtiger wird die politische Aufgabe, Verbraucher über ihre Position im Markt aufzuklären und politische Konsequenzen zu ziehen.

Nicht nur wegen der Bedeutung, die dem privaten Konsum für die Steuerung der Wirtschaft zukommt, sondern auch wegen der drohenden Ressourcenknappheit ist eine Mithilfe der Konsumenten unerläßlich. 4. Der mündige Verbraucher Aus diesem Tatbestand ergibt sich ein weiterer wichtiger Ansatz für aktive Verbraucher-politik, nämlich die Erkenntnis der Bedeutung des rational handelnden, informierten Verbrauchers für eine staatliche Vorsorgepolitik.

Wenn man weiß, daß mehr als die Hälfte des Energiebedarfs im Privathaushalt anfällt, wovon der größte Teil auf die Heizung und der zweitgrößte Teil auf den privat genutzten PKW entfallen, dann wird deutlich, daß der Staat hier den Konsumenten von Energie auf seine Verantwortung für den Energieverbrauch hinweisen und ihn entsprechend informieren muß. Gleiches gilt für die Umweltproblematik, aber auch für mögliche staatliche Einflußnahmen auf den Arbeitsmarkt.

Die staatliche Technologiepolitik sollte ihre Mittel in Bereichen einsetzen, in denen zukunftsorientierte Arbeitsplätze gesichert bzw. geschaffen werden könnten, wie z. B. bei der Nutzung der Sonnenenergie, dem Bau von Fernheizsystemen, der Entwicklung umweltfreundlicher Kohletechnologien, der Entwicklung beim Recyling von Rohstoffen zur Uber-Windung der Wegwerfgesellschaft und der Nutzung der Rohstoffe des Meeres

Was die Information des Bürgers über diese bedeutsamen Probleme unserer Zukunft angeht, haben die politisch Verantwortlichen in der Vergangenheit schwer gesündigt. Horst Eberhard Richter hat recht, wenn er schreibt: „Das Prinzip der Demokratie erfordert ein Maximum an Anstrengung, dem Bürger wenigstens die Kernfragen des politischen Geschehens zu jeder Zeit in den wichtigsten Aspekten soweit als möglich zu erklären."

Es ist tief bedauerlich, daß sich, wenn überhaupt, die »Information'des Bürgers oft unter parteitaktischen Gesichtspunkten vollzieht, die ein kritisches Abwägen unmöglich machen. Daher ist es nur zu verständlich, daß sich die „Anzeichen für ein wachsendes Unbehagen sensibilisierter Bürger über den von ihnen durchschauten Widerspruch zwischen ihren faktischen Informationsmängeln und ihrer daraus folgenden politischen Ohnmacht und der ihnen offiziell zugeschriebenen Rolle einer politischen Partizipation andererseits" mehren Gerade das Gebiet der Verbraucherinformation bietet sich an, um exemplarisch deutlich zu machen, daß die Demokratie nur dann funktionsfähig ist, wenn die wirtschaftliche Macht der Anbieterseite durch den informierten und rational handelnden Verbraucher in Schranken gewiesen wird. Wenn der Verbraucherforscher Kroeber-Riel meint, das Streben der Politiker nach rationalem Handeln bei der Verbraucherschaft sei illusionär und verstelle den Blick auf die Realität, und man müsse statt dessen der Tatsache „ins Auge blicken, daß der Mensch nur über seine Gefühle ansprechbar" sei, so hat er zwar insoweit recht, als sicherlich der vollkommen rational handelnde Verbraucher eine Illusion ist -Dies schließt jedoch nicht aus, daß die Verbraucherpolitiker sich um einen rational handelnden und informierten, aktiv am Wirtschaftsgeschehen beteiligten Verbraucher bemühen sollten.

Gerhard Kleinhenz führte dazu auf dem 2. Modellseminar der AGV zur Verbraucher-bildung aus: „Als der Verbraucherbildung zugrunde liegendes Ziel braucht nicht die , Utopie’ einer umfassenden Mündigkeit der gesamten Verbraucherschaft unterstellt zu werden, weil auch schon die flexible Reaktion einer Minderheit der Nachfrager eine ausreichende Sanktion für minderleistungsfähige Anbieter darstellen kann, sowie weil auch ein beschränkt rationales Verhalten der Anspruchsanpassung bei einer großen Zahl von Verbrauchern am Markt ähnliche Wirkungen haben kann, wie sie die ökonomische Theorie aus voll rationalem Verhalten den einzelnen Konsumenten abzuleiten versuchte."

Aber an diesem Punkt scheiden sich gewiß die Geister: Ein Politiker, der den Glauben an die immer mögliche Aufklärung der Menschen verlöre, sollte seinen Beruf aufgeben. 5.

Freizeit kann Beruf kompensieren Als fünfter Ansatzpunkt für eine aktive Verbraucherpolitik ergibt sich schließlich die Erkenntnis, daß zwischen Arbeit, Konsum und Freizeit Wechselwirkungen vorliegen, über die in der sozialwissenschaftlichen Forschung noch so gut wie keine empirisch abgesicherten Ergebnisse vorliegen, so daß das Handeln der Politiker auf recht wackligen Grundlagen beruht. Zwar stellt sich der Anspruch an die Politiker, aus den Folgen, die sich für jeden einzelnen aus der Verkürzung der Lebensarbeitszeit für die Bewertung von Konsum und Freizeit ergeben, die politisch richtigen Konsequenzen zu ziehen; doch vermag derzeit niemand anzugeben, wie diese aussehen müßten.

Vom Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit wurde eine Reihe von Forschungsaufträgen zum Bereich „Freizeit" vergeben. Die Ergebnisse liegen vor, sind aber von der Verbraucherforschung noch nicht aufgegriffen worden, obwohl die empirisch-theoretische Analyse der Wechselbeziehungen zwischen Freizeit-und Konsumverhalten einerseits und Verhalten am Arbeitsplatz andererseits sowohl für die theoretische Fundierung als auch für die praktische Arbeit der gegenwärtigen Verbraucherpolitik äußerst wertvoll sein müßte

Von besonderer Bedeutung ist die Geltung von Freizeit und Konsum für nicht oder nicht mehr berufstätige Menschen. Darauf wurde bereits hingewiesen. Für diese Gruppe insbesondere ergibt sich die Frage, inwieweit Konsum und Freizeit kompensatorisch zu wirken vermögen — also die Arbeit voll und ganz ersetzen können —; doch ist dies natürlich auch für die länger oder kürzer Arbeitslosen von Bedeutung Aus solchen Überlegungen sollten Politiker Schlüsse ziehen, denn sie sind immer häufiger mit der Frage konfrontiert, was denn Konsum und Freizeit für die Selbstbestimmung leisten könnten, wenn doch schon im Beruf die Fremdbestimmung vorherrsche. 6. Der Wunsch nach Selbstbestimmung Weitet man diesen Ansatzpunkt aus, so ergibt sich eine sechste Begründung zum Betreiben aktiver Verbraucherpolitik: Die Menschen — insbesondere der Mittelschichten — erfahren sich in ihrem Leben intensiver als abhängig und spüren dies unbewußt mehr, als das früher der Fall war.

Die Bürokratien herrschen über sie; nur wer sich sehr gut durchzusetzen weiß, wird sich stärker als „die Verwaltung" oder „die Mini-

sterialbürokratie" fühlen können. Arbeitsabläufe ergeben für den einzelnen oft wenig Sinn, weil er den Zusammenhang nicht überblickt. In der Freizeit überwiegt passiver Konsum: Fernsehen — und sonst wenig

Herausforderungen an die menschliche Existenz — Tod, Krankheit, Einsamkeit, wirtschaftliche Unsicherheit — sind entweder durch eine fast perfekte Sozialpolitik und ein System stimulierender Betriebsamkeit abgemildert oder als prägende Erfahrung des Menschenlebens tabuisiert: Leiden ist unerwünscht. Dem Individuum wird oft ein Teil seiner Verantwortung für sein Geschick genommen durch das stellvertretende Eingreifen einer für ihn schwer faßbaren . Solidargemeinschaft', seien dies nun die mit ihm gleichfalls Hausratsversicherten oder die übrigen Krankenkassenmitglieder.

Die Orientierung der Mehrzahl unserer Mitbürger ist aufs Materielle gerichtet, was nicht weiter verwunderlich ist, wenn man ihnen Krieg, Notzeit und Wiederaufbau als die sie prägenden Lebenserfahrungen zuerkennt. Nur gewinnt dadurch ein nicht in Geld auszudrükkendes mitmenschliches Füreinständerstehen außerhalb der Kleinfamilie bestenfalls in ro-mantischen Jugendzirkeln Anhänger, nicht aber Kraft innerhalb der Gesellschaft. So leben wir in einer Periode materieller Sattheit, in der gesellschaftspolitisches Engagement sich zur Zeit am ehesten dadurch speist, daß die Menschen fürchten, es könne sich alles zum Schlimmeren wenden. Diese Furcht wird durch konservative Meinungsmacher genährt, die nicht daran interessiert sind, für die Zukunft eine neue Perspektive zu weisen.

Bei kritischen Gesellschaftspolitikern wächst inzwischen allerdings längst die Erkenntnis, daß sich, da nun die Aufbauphase unseres Staates abgeschlossen ist und sich weltweit ein aus vielerlei Gründen verlangsamtes Wachstum abzeichnet, die „Sinnfragen" für den politisch Verantwortlichen schärfer stellen als in den fünfziger und sechziger Jahren. Sie sehen, daß die „Massen" aufgrund der materialistischen Ausrichtung des täglichen Lebens und der sich auch daraus ergebenden geistigen Passivität manipulierbarer zu werden drohen und damit das Funktionieren unserer Demokratie aufs Schwerste gefährden. So werden Fragen nach sinnvoller demokratischer Mitbeteiligung immer wichtiger. Dies gilt zumal für den Konsum-und Freizeitsektor, der neben der Arbeit entscheidende Bedeutung für die Zufriedenheit des Individuums gewinnt Ganz sicher muß sich der Politiker fragen, wie er das Engagement der Bevölkerungsmehrheit für sinnvollen Konsum und sinnvoll verbrachte Freizeit erhöhen kann und wie er durch entsprechende Politik dazu beitragen kann, gerade im Privatbereich jungen, zum Extremen neigenden Menschen die „Zielsuche" zu erleichtern

III. Konkrete Aufgaben für den staatlichen Verbraucherschutz

Aus dem Gesagten ergibt sich eine Reihe konkreter Forderungen, die es kurz und mittelfristig zu erfüllen gilt. Die konkretesten erstrecken sich auf einen weiteren Ausbau der Verbraucherrechte. 1. Doch noch Gesetzeslücken Im Wettbewerbsrecht sollten durch Überarbeitung des Kartellgesetzes und des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb die Kompromisse zugunsten der Unternehmen durch klare Regelungen im Interesse der Verbraucher ersetzt werden.

Ins Kartellgesetz müssen Regelungen gelangen, die es dem Kartellamt ermöglichen, die Entstehung und den Mißbrauch marktmächtiger Unternehmen schneller und wirksamer als bisher zu bekämpfen. (Die Vorschläge des Vorsitzenden der Monopolkommission sollten hierbei berücksichtigt werden.) Die Eingriffs-kriterien müssen schärfer definiert werden, insbesondere der „relevante Markt", der bei der Marktbeherrschung zu beurteilen ist. Die Umgehungstatbestände, z. B. Beteiligungen von 24, 99 Prozent, müssen geregelt werden. Die Bagatellklausel muß wegfallen, und die Auskunftspflicht der Unternehmen muß erweitert werden. Das Kartellamt muß das Recht erhalten, marktbeherrschende Unternehmen bei mißbräuchlicher Ausnutzung ihrer Marktmacht zu entflechten.

Die Ausnahmebereiche des Kartellgesetzes müssen so geregelt sein, daß auch hier mehr Wettbewerb oder doch wenigstens eine wirksamere Kontrolle des Marktverhaltens durchgesetzt werden kann. Dies gilt u. a. für das Verkehrsgewerbe, die Landwirtschaft, die Banken, die Versicherungsunternehmen und die Energiewirtschaft.

Die Bekämpfung überhöhter Preise, ungerechtfertigter Preiserhöhungen und indirekter Preisbindungen über die Vertriebsregelungen muß durch klare Regelungen im Gesetz erleichtert werden; ein Verbot der unverbindlichen Preisempfehlung würde die z. Z. nur teilweise wirksame Mißbrauchsaufsicht über die Verwendung unverbindlicher Preisempfehlungen überflüssig machen.

Die Bedeutung, die das Kartellamt für die Verbraucher hat, sollte durch Regelungen verstärkt werden, die den Verbrauchern und ihren Verbänden Mitwirkungsrechte bei der Durchsetzung des Gesetzes zuweisen. Verbraucher sollten ein Eingreifen der Kartellbehörde beantragen dürfen. Verbraucherverbände sollten in allen Verfahren vor dem Bundeskartellamt Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten und entsprechend der Regelung des UWG die Befugnis erhalten, auf Unterlassung verbraucherschädigenden Verhaltens zu klagen.

Den Verbrauchern sind Schadensersatzansprüche zuzubilligen, wenn sie durch wettbewerbswidriges Verhalten der Unternehmen — z. B. durch überhöhte Preise — geschädigt werden. Die Verbraucherverbände sollten zusätzlich ermächtigt werden, diese Schadensersatzansprüche einzelner betroffener Verbraucher pauschal geltend zu machen.

Die nationale Kontrolle des Wettbewerbsverhaltens reicht bei jenen Unternehmen nicht aus, die in verschiedenen Ländern Tochtergesellschaften haben. Deshalb ist eine Verbesserung des europäischen Kartellrechts notwendig. In das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) muß die seit einiger Zeit stärker verbraucherorientierte Rechtsprechung eingearbeitet werden.

Neben der Festschreibung dieser verbraucherfreundlichen Rechtsprechung müssen ei-B nige Lücken im Gesetz geschlossen werden, um den Verbraucher z. B. vor unsachlicher Beeinflussung wie der sogenannten Suggestivwerbung zu schützen. Psychologischer Kaufzwang, Verleitung von Jugendlichen zum Alkohol-und Nikotingenuß, Ausnützen von Dankbarkeits-oder Mitleidsgefühlen lassen sich heute nach dem Wortlaut des UWG noch nicht wirksam bekämpfen. Die Generalklausel, die die unlautere Werbung verbietet, muß daher ergänzt werden. Auch unsachliche Beeinflussung der Verbraucher, die die Entscheidungsfreiheit einschränkt, muß für wettbewerbswidrig und damit unlauter erklärt werden. Die unerbetene Vertreterwerbung an der Haustür muß genauso wie die Telefon-werbung wegen der besonderen Zwangssituation, in die der Verbraucher dabei gerät, verboten werden. Dagegen sollten die vergleichende Werbung, Boykottaufrufe gegen zu teure oder minderwertige Ware und öffentliche Kritik an gewerblichen Leistungen zum Zweck der Verbraucherinformation als wettbewerbsfördernde Maßnahmen ausdrücklich im UWG für zulässig erklärt werden.

Zur wirkungsvollen Bekämpfung irreführender Werbung ist dem Werbenden im Streitfall die Beweislast für die Wahrheit von Tatsachenbehauptungen aufzuerlegen. Er muß die Wahrheit und Stichhaltigkeit seiner Werbe-aussagen belegen können. Kann er den Beweis nicht führen, sollte er gezwungen werden, seine Werbebehauptungen in vollem Umfang auf eigene Kosten in denselben öffentlichen Medien richtigzustellen.

Nach dem UWG haben die konkurrierenden Unternehmen das Recht, Schadensersatzansprüche gegenüber dem unlauter werbenden Unternehmen geltend zu machen. Das gleiche Recht sollte auch den Verbrauchern zugebilligt werden, die z. B. durch irreführende Werbung geschädigt worden sind.

Außerdem ist den Verbrauchern das Recht auf Vertragsauflösung einzuräumen, wenn sie aufgrund irreführender Werbemaßnahmen einen Kaufvertrag abgeschlossen haben.

Eine weitere wichtige Forderung der Verbraucherpolitik ist z. B. die Verbesserung des Schutzes der Verbraucher vor wirtschaftlicher Schädigung durch mangelhafte Qualität der Produkte. Eine gesetzliche Verpflichtung zur Einhaltung bestimmter Normen, erscheint notwendig, um Unternehmen daran zu hindern, unsichere, gefährliche, besonders kurzlebige, sich schnell verschleißende und nicht oder nur schwer reparierbare Produkte zu produzieren.

Da es kaum möglich ist, für die zahlreichen, laufend weiter entwickelten und neu auf den Markt kommenden Produkte Verordnungen und Normen über Mindestqualitäten zu erlassen oder in Gesetzen festzuschreiben, ist eine flexible Regelung notwendig. Keinesfalls darf durch übertriebene Maßnahmen die technische Entwicklung gehemmt werden. Die Verbraucher könnten vor Schäden durch schlechte Produktqualität ohne weitere Gesetze dann geschützt werden, wenn die Hersteller sich freiwillig zur Einhaltung der Normen bereit erklären würden. In der lange geforderten , Produktinformation'deutet sich ein gangbarer Weg an.

Ein weiterer Bereich notwendigen Verbraucherschutzes unter Verantwortung der Hersteller sind die Schäden und Gefahren, die den Verbrauchern durch Produkte mit Ferti-gungsoder Konstruktionsfehlern entstehen. Die Verbraucher sind heute noch nicht gegen solche Schäden geschützt; Hersteller haften nur, wenn ihnen vorsätzliche oder fahrlässige Schädigung nachgewiesen werden kann.

Der Rat der Europäischen Gemeinschaften hat inzwischen eine „Richtlinie zur Angleichung der Rechts-und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte" vorgeschlagen. Nach Artikel 1 dieser Richtlinie haftet der Hersteller einer beweglichen Sache für den Schaden, der durch Fehler dieser Sache verursacht worden ist, ungeachtet dessen, ob er den Fehler kannte oder hätte kennen können.

Um die Verbraucher möglichst schnell vor den Risiken zu schützen, die sie bis heute ungerechterweise bei fehlerhaften Produkten tragen, sollte diese europäische Regelung der verschuldensabhängigen Haftung der Hersteller bald in der Bundesrepublik Gesetz werden.

Neben einer weiteren Verbesserung des Abzahlungsgesetzes ist auch der Schutz der Verbraucher vor den besonders großen Gefahren der Manipulation durch unerbetene Vertreterbesuche an der Haustür oder auf Verkaufsveranstaltungen im Rahmen von Kaffeefahrten oder Kinobesuchen notwendig. Während bei Ratenkäufen und Verträgen mit wiederkehrenden Leistungen der überrumpelte Verbraucher den Vertrag innerhalb einer Woche lösen kann, gibt es für Barkäufe an der Haustür oder unter anderen, ähnlich bedrängenden Situationen noch keinen Verbraucherschutz. Ein Gesetzentwurf über den Widerruf von Haustürgeschäften und ähnlichen Geschäften, der diesen Bereich regeln soll, konnte in der 7. Legislaturperiode nicht mehr beraten werden. Eine gesetzliche Regelung ist jedoch nach wie vor notwendig.

Der Mißbrauch von Marktmacht durch Allgemeine Geschäftsbedingungen wird in Zukunft mit Hilfe des neuen AGB-Gesetzes besser als bisher zu bekämpfen sein. Die Verfahrensregeln jedoch, die in dem neuen Gesetz auf ein Klagerecht der Verbraucherverbände und eine Registrierungsund Informationspflicht des Bundeskartellamtes beschränkt sind, müssen noch weiterentwickelt werden.

Insbesondere erscheint es dringend geboten, das Angebot öffentlicher Güter und Dienstleistungen über in das die Allgemeinen Geschäftsbedingungen einzubeziehen.

Zahlreiche Verbesserungen im Sinne der Verbraucher sind auch im Gesundheitsschutz notwendig. Doch nützen gerade auf diesem Gebiet gesetzliche Verbesserungen wenig, wenn nicht auch ihre Kontrolle geregelt ist. Hierzu bedarf es — wie das Parlament in seiner Entschließung von Juni 1974 einstimmig unterstrichen hat — der verstärkten Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern und einem personellen Ausbau der Kontrollstellen. Hinsichtlich der Rückstände von Pflanzenschutz-und Schädlingsbekämpfungsmitteln bei Obst und Gemüse ist es gewiß auch notwendig, die Kontrolle auf der Erzeugerstufe erheblich auszubauen.

Auf dem Gebiet der Arzneimittel müssen Regelungen durchgesetzt werden, die die Arzneimittelsicherheit optimal gewährleisten, die Vielfalt der Präparate (derzeit über 50 000) einschränken, sowie Arzneimittelvergleiche und Preiswettbewerb ermöglichen. Fehlende Markttransparenz in bezug auf Wirksamkeit und Preis der Arzneimittel und überhöhte Einzelhandelspreise, die vom Hersteller festgesetzt werden, führen sonst dazu, daß die

Arzneimittelversorgung für die Verbraucher nicht mehr finanzierbar ist. Das Gesetz zur Dämpfung der Kosten im Gesundheitswesen ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

Der Umweltschutz muß auch in Zukunft seine hohe Priorität behalten. Die in den Umweltschutzgesetzen eingeräumten Verordnungsermächtigungen müssen erfüllt und die notwendigen Normen erarbeitet werden. Verstößen gegen Umweltschutzvorschriften ist durch ein modernes Umweltstrafrecht zu begegnen. Gefährdung der Umwelt ist kein Kavaliersdelikt mehr.

Das Gesetz über technische Arbeitsmittel (Maschinenschutzgesetz) muß in einem wichtigen Punkt ergänzt werden. Bisher können die Gewerbeaufsichtsämter nur gegen die Hersteller und Importeure von unsicheren oder gefährlichen Arbeitsgeräten, Haushaltsgeräten oder Spielzeug vorgehen. Durch ergänzende Vorschriften muß auch künftig die Möglichkeit gegeben werden, die Anbieter, d. h.den Handel, am Verkauf unsicherer Geräte zu hindern. Auch in anderen Punkten ist dieses Gesetz ergänzungsbedürftig. 2. Verbesserung des Rechtsvollzuges So wichtig diese Verbesserungen auch sind und so hartnäckig man auf einer Fortentwicklung der Verbraucherschutzgesetzgebung bestehen sollte, so wichtig oder noch entscheidender für einen wirkungsvollen Verbraucherschutz ist es doch andererseits, die bestehenden Gesetze und Verordnungen in der Praxis durchzusetzen und anzuwenden.

Wenn die in den letzten Jahren geschaffenen gesetzlichen Regelungen etwa nur auf dem Papier stehen, ohne Verbesserungen für die Verbraucher im täglichen Leben zu bewirken, könnte den Verbraucherpolitikern vorgeworfen werden, nur zum Schein für die Stärkung der Verbraucherposition und für eine Begrenzung der Macht der Unternehmen eingetreten zu sein. An der wirksamen Durchsetzung der Verbraucherschutzgesetze wird die Glaubwürdigkeit der bisherigen Verbraucherpolitik gemessen.

Eine der Hauptursachen für die ungenügende Wirksamkeit der Schutzgesetze im Bereich des Privatrechts (z. B. Regelungen des BGB, AGB-Gesetz, Abzahlungsgesetz) liegt in der Überforderung der meisten Verbraucher. Sie trauen sich nicht zu, ihre Rechte selbst durchzusetzen, — weil ihnen die notwendigen Rechtskenntnisse fehlen, — weil sie sich den Herstellern und Anbietern in finanzieller und intellektueller Hinsicht unterlegen fühlen, — weil sie Hemmungen vor der Inanspruchnahme von Gerichten und Anwälten haben, — weil der möglicherweise erforderliche Aufwand an Energie, Zeit und Geld ihre Kräfte übersteigt, — weil es ihnen an Vertrauen in die Justiz fehlt, — weil sie keinen Anwalt finden, der sich mit ihren für ihn finanziell wenig lohnenden Problemen befaßt.

Nach einer Umfrage würden 45 Prozent der Befragten nicht vor Gericht gehen, um einen Anspruch von DM 250, — gegen einen Versicherer durchzusetzen.

Eine weitere wesentliche Ursache für die immer wieder beklagte ungenügende Durchsetzung der Verbraucherschutzgesetze (z. B. Kartellgesetz, UWG, Lebensmittel-und Bedarfs-gegenstände-Gesetz, Gewerbeordnung, Meß-und Eichgesetz oder Preisangabenverordnung) ist die nicht ausreichende personelle und materielle Ausstattung der staatlichen Kontrollbehörden.

Dies gilt für das Bundeskartellamt genauso wie für die Landeskartellbehörden, die Lebensmittel-und chemischen Untersuchungsämter der Länder, die Kriminalämter, Ordnungs-und Gewerbeaufsichtsämter der Städte und Gemeinden.

Erst seit der Verabschiedung der Gesamtreform des Lebensmittelrechts werden z. B. in Bayern Verwaltungsangestellte besonders geschult, um die Polizeibeamten nach und nach zu ersetzen, die bis heute die Lebensmittel-kontrollen durchführen. Es fehlt an Lebensmitteluntersuchungsämtern, an Untersuchungsgeräten oder -methoden, die eine hinreichend schnelle Analyse ermöglichen, um z. B. zu hohe Pflanzenschutzmittelrückstände bei importierten Äpfeln sofort festzustellen.

Die schädlichen Früchte sind längst verdaut, ehe das Analyseergebnis vorliegt.

Die Abhängigkeit der Kontrollbehörden von den Weisungen der jeweils übergeordneten Verwaltung ist für die Wirksamkeit der Verbraucherschutzgesetze von besonderer Bedeutung. Die Regierungen der Länder haben eine große Verantwortung für den Verbraucher-schutz. Mitunter verzögert mangelnde Entscheidungs-oder Risikobereitschaft notwendige Maßnahmen. Es ist weit bequemer, Dinge „laufen zu lassen", als sich mit Herstellern, Händlern, Importeuren und Spediteuren anzulegen und erzeugte oder eingeführte schädlii Lebensmittel zurückzuweisen.

Leider gelingt es z. Z. auch nur schwer, das Instrument der Verbandsklage effektiv zu nutzen. Die Verbraucherverbände haben z. B. nach dem UWG und dem neuen AGB-Gesetz das Recht zur Verbandsklage. In der Praxis aber können nur wenige Prozesse und nur solche mit vorhersehbar sicherem Ausgang geführt werden, weil die schwache finanzielle und personelle Ausstattung der Verbraucherverbände viele Prozesse mit hohen Kosten nicht erlaubt. Eine wirksamere Durchsetzung der Verbraucherschutzgesetze muß also bei den einzelnen Verbrauchern, bei den staatlichen Kontrollbehörden und bei den Verbraucherorganisationen ansetzen. Die Unterstützung der Verbraucher durch besondere Institutionen, die Schaffung einfacherer Gerichte oder Schlichtungsverfahren und die Selbstkontrolle der Unternehmen sind weitere Ansätze, die zu einer wirksameren Anwendung der Gesetze beitragen können. 3. Beratung und Schulung Daraus folgt im einzelnen: Die Verbraucher müssen durch Ausbildung, Beratung und aktuelle Informationen in die Lage versetzt werden, die ihnen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Mit Hilfe der Schulen, der Volkshochschulen und der Medien sollten ihnen die grundlegenden Kenntnisse über das Vertrags-recht vermittelt werden. Die Information über neue Gesetze (wie z. B. das 2. Gesetz zur Änderung des Abzahlungsgesetzes oder das Fernunterrichtsschutzgesetz) könnte dann auf diesen Grundkenntnissen aufbauen. Außerdem muß die Information breit gestreut und auf möglichst vielen Wegen in allgemein-verständlicher Form allen Verbrauchern zugänglich gemacht werden. Die Information über die Gesetze muß ergänzt werden durch Informationen über Rechtsverfahren, Zuständigkeit der Gerichte, Höhe der Prozeßkosten und Möglichkeiten der Kostenerstattung oder Kostensenkung. Nur so kann die Scheu vor den Gerichten und Anwälten überwunden werden.

Das Rechtsberatungsmißbrauchsgesetz muß gerade unter diesem Gesichtspunkt weit ausgelegt oder notfalls den Verbraucherinteressen entsprechend verändert werden. Darüber hinaus sollten die Verbraucherorganisationen das Recht erhalten, in besonderen Fällen für die Verbraucher Prozesse zu führen, wie das bei den Mieterschutzvereinen oder (im arbeitsrechtlichen Bereich) bei den Gewerkschaften möglich ist. Der finanziell und juristisch-fachlich übermächtigen Stellung der Unternehmen muß durch Gegenmacht starker Verbraucherorganisationen begegnet werden, um mehr Gerechtigkeit durchsetzen und Chancengleichheit erreichen zu können.

Die Durchsetzung der Verbraucherrechte läßt sich natürlich auch durch außergerichtliche Verfahren verbessern. Die Verbraucherzentralen und Beratungsstellen können vielfach in direkten Verhandlungen mit den Unternehmen ein Einlenken erreichen und so dem Verbraucher zu seinem Recht verhelfen. Die Position der Verbraucherzentralen bei den Verhandlungen ließe sich jedoch noch stärken, wenn die Unternehmen damit rechnen müßten, daß die Verbraucherzentralen einen Fall notfalls auch vor Gericht bringen und damit eine öffentliche Diskussion erreichen können. Unter diesem Aspekt wäre es vorteilhaft, wenn die Verbraucherzentralen die Möglichkeit hätten, im Namen eines Verbrauchers Klage zu erheben.

Im Vorfeld gerichtlicher Auseinandersetzungen besteht ferner die Möglichkeit, in Schlichtungsverfahren vor einer Schlichtungs-oder Schiedsstelle der Handwerkskammern oder der Industrie-und Handelskammern Recht zu finden. Voraussetzungen für ein wirklich faires Verfahren sind hier aber die paritätische Besetzung der Schlichtungsstelle und Gutachter, die nicht von vornherein einer der streitenden Parteien -nen sind. 4. Wichtigkeit der Ämter Die staatlichen Kontrollbehörden haben eine Schlüsselstellung bei der Anwendung der Verbraucherschutzgesetze. Entsprechend den vielfältigen Aufgaben, die ihnen durch die alten und neuen Gesetze gestellt sind, müssen sie ausreichend mit qualifiziertem Personal und der notwendigen materiellen und finanziellen Ausstattung versehen werden.

Die Schäden durch Wirtschaftskriminalität werden auf 10— 15 Milliarden DM jährlich geschätzt. Dabei sind jene Verluste nicht berücksichtigt, die einzelnen Verbrauchern durch Wettbewerbsverstöße, Preisabsprachen, überhöhte Preise, fehlende Preisauszeichnung oder Mogelpackungen entstehen. Eine strikte Anwendung des Gesetzes durch starke Kontrollbehörden würde sich deshalb für die gesamte Volkswirtschaft genauso lohnen wie die verstärkte Fahndung nach Steuer-und Subventionsbetrügern großen Stils.

Die verbesserte Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität durch Wirtschaftsstrafkammern und Spezialabteilungen bei den Staatsanwaltschaften, die personelle Verstärkung des Bundeskartellamtes und der Ausbau der Lebensmitteluntersuchungsämter der Länder sind Schritte in die richtige Richtung. Aber die Lücken, insbesondere bei den örtlichen Gewerbeaufsichtsämtern und Ordnungsämtern, sind unübersehbar. Die Bedeutung der Verbraucherprobleme wird hier noch nicht immer erkannt.

Die zunehmende Kritik der Verbraucher über das nicht zu übersehende „Vollzugsdefizit" und die hohe Zahl der Gesetzesverstöße machen deutlich, daß die bisherigen Maßnahmen der Verbraucherorganisationen ebensowenig wie die Einzelklage durch die Verbraucher und die staatliche Kontrolle einen ausreichenden Verbraucherschutz gewährleisten. Die Forderung nach wirksameren Maßnahmen wird zu Recht immer lauter. 5. Verbraucherschutzorganisation Die Errichtung einer starken Verbraucher-Schutzorganisation bietet sich als Lösung an Es gibt im Ausland wie im Inland ver-schiedene Modelle für diese Organisation. Der Verbraucherombudsmann’ und das Marktgericht’ in Schweden könnten ebenso Vorbild sein wie die . Federal Trade Commission (FTC)'in den USA. In der Bundesrepublik konkurrieren Überlegungen, das Bundeskartellamt in ein , Amt für Kartell-, Monopol-und Verbraucherschutzfragen'auszubauen, mit Vorschlägen einer Arbeitsgruppe beim Bundesminister der Justiz, zur Verbesserung des Verbraucherschutzes gegenüber Allgemeinen Geschäftsbedingungen ein Bundesamt für Verbraucherschutz mit untergeordneten Landesbehörden zu errichten. Daneben gibt es Vorschläge, die AGV oder den Verbraucherschutzverein auszubauen oder eine Deutsche Verbraucherunion als gemeinsamen Verwaltungsrat von fünf mit öffentlichen Mitteln geförderten Verbraucherorganisationen zu bilden. Manche schlagen auch eine öffentlich finanzierte, auf Beteiligung der Verbraucher aufbauende Verbraucherschutzbehörde mit umfassenden verbraucherpolitischen. Kompetenzen und Aufgaben vor.

Wesentliche Bedingungen für ein deutsches „Modell" einer wirksamen Verbraucherschutzorganisation lassen sich aus den heute bestehenden Organisationen im Ausland und in der Bundesrepublik, ihren Erfolgen bzw. Mißerfolgen und aus den vorliegenden Organisationsvorschlägen ableiten: 1. Die Verbraucherschutzorganisation muß öffentlich finanziert werden. Nur wirklichkeitsfremde Interessenvertreter der Anbieter-seite leugnen mit Scheinliberalen Argumenten die Verantwortung des Staates für den Verbraucherschutz. 2. Die Verbraucherschutzorganisation muß unabhängig sein. Die Unabhängigkeit von direkter staatlicher Einflußnahme ist notwendig, um Verbraucherinteressen auch gegenüber staatlichen Stellen (Regierung, Parlament, Verwaltung, öffentlichen Unternehmen) wirksam vertreten zu können. (Das Bundes-kartellamt untersteht z. B.derzeit dem Weisungsrecht des Wirtschaftsministers und ist in seinem Vorgehen gegenüber Wettbewerbs-verstößen letztlich von den politischen Wertungen der jeweiligen Minister nicht unabhängig) 3. Die Verbraucherschutzorganisation muß Mitwirkung und Kontrolle der Verbraucher gewährleisten. Die Mitwirkung und Kontrolle der Verbraucher kann durch direkte Kontaktaufnahme über örtliche Stellen und durch Einzelmitgliedschaft erfolgen. Nur die Rückbindung an eine breite Basis in der Verbraucherschaft steuert der Gefahr, daß zu schnell dem Druck der Unternehmen nachgegeben wird und die Interessen der besonders betroffenen Verbrauchergruppen dabei auf der Strecke bleiben. Die Verbraucherschutzorganisation muß örtliche und regionale Unter-gliederungen haben, um Verbraucher möglichst direkt zu beteiligen und auf örtliche und regionale Probleme schnell reagieren zu können. 4. Der Aufgabenbereich der Verbraucherschutzorganisation muß weit gefaßt werden.

Neben der Bekämpfung einzelner Gesetzesverstöße, z. B. im Bereich der Werbung und der AGB, muß die Beseitigung grundsätzlicher Mißstände Aufgabe der Verbraucherschutzorganisation sein. Die Beeinflussung des Angebots von Waren und Dienstleistungen kann z. B. über Qualitätsnormen, Hinweise auf das Fehlen bestimmter Güter, Aufklärung und Information der Verbraucher, Aufforderung zum Boykott umweltschädlicher, überflüssiger, kurzlebiger und . zu teurer Produkte und durch Erforschung von Verbraucherbedürfnissen erreicht werden. 5. Die Verbraucherschutzorganisation muß ausreichende Sanktionsbefugnisse erhalten. Das skandinavische Vorbild . Ombudsmann’ setzt akzeptable Maßstäbe.

Eine Verbraucherschutzorganisation, die diesen Kriterien entspricht, erscheint in der Bundesrepublik auf den ersten Blick kaum realisierbar. Die bestehenden Organisationen bieten aber heute schon einige der genannten Voraussetzungen: — Schon heute werden die Verbraucherorganisationen in großem Ausmaß öffentlich finanziert. — Die Unabhängigkeit der Verbraucherorganisation ist unterschiedlich, aber tendenziell vorhanden. Die AGV, der Verbraucherschutzverein und die Stiftung Warentest arbeiten relativ selbständig; die Verbraucherzentralen sind teilweise an die Weisungen der Länder gebunden. — Die Mitwirkung und Kontrolle der Verbraucher ist noch ungenügend. Die örtlichen und regionalen Untergliederungen sind durch die Verbraucherberatungsstellen und Verbraucherzentralen zum Teil aber schon vorhanden. — Das Bundeskartellamt hat durch das novellierte Kartellgesetz erhebliche Sanktionsbefugnisse, die anderen Organisationen allerdings nicht. — Der weitgefaßte Aufgabenbereich läßt sich nur beim Verbraucherschutzverein in Berlin nicht feststellen; die AGV und die Verbraucherzentralen erfüllen dieses Kriterium schon weitgehend.

Ein Ausbau der AGV bzw. ein enger Zusammenschluß der bestehenden Verbraucherorganisationen wäre eine der Möglichkeiten, um eine wirksame Verbraucherschutzorganisation zu bilden. Mitwirkung und Kontrolle der Verbraucher, ausreichende Sanktionsmöglichkeiten und verbesserte Finanzierung müßten ergänzend hinzutreten, um die bereits vorhandenen Ansätze einer wirkungsvollen Verbraucherschutzorganisation zu vervollständigen.

Der Ausbau des Bundeskartellamtes zu einem Verbraucherschutzamt oder die Errichtung eines Bundesamtes für Verbraucherschutz wären Alternativen. Ich neige der Auffassung zu, das Bundeskartellamt so umzugestalten, daß es allen aufgestellten Kriterien genügen kann. Diese Lösung erscheint am kurzfristigsten politisch realisierbar.

Eine starke Verbraucherschutzorganisation wird in näherer Zukunft aber überhaupt nur zu schaffen sein, wenn es gelingt, in der Bevölkerung, in den Parteien und Parlamenten dafür ein entsprechendes Problembewußtsein zu wecken und den notwendigen Rückhalt für die Forderung nach einer Gegenmacht ausübenden Organisationen zu sichern. 6. Erkenntnis der eignen Interessen Indes werden all diese Maßnahmen nicht verfangen, wenn es nicht gelingt, die Verbraucher selbst für die Wahrnehmung ihrer Interessen nachhaltig zu interessieren. Verbraucherbildung ist eine wesentliche verbraucher-politischeMaßnahme, um die Stellung der einzelnen Verbraucher und der Verbraucher insgesamt gegenüber den Machtpositionen der Anbieter langfristig zu verbessern. Ohne ausreichende Ausbildung werden viele andere Maßnahmen ihren Zweck verfehlen. Was nützen z. B. bessere Verbraucherrechte, wenn die Betroffenen sie nicht kennen? Was nützen von uns allen finanzierte Verbraucherorganisationen, Beratungsstellen und Informationsangebote, wenn die Verbraucher annehmen, sie seien schon ausreichend informiert und gegen schlechte Qualität oder zu hohe Preise könne man eben nichts machen? Die Notwendigkeit der Verbraucherbildung wird daher weithin anerkannt. Es gibt in der Praxis auch schon einige Ansätze, auf denen aufgebaut werden kann.

Sehr verschiedene Gruppen haben sich die bessere Ausbildung der Verbraucher zur Aufgabe gemacht: Die Verbraucherorganisationen, die Gewerkschaften, die Unternehmen und ihre Verbände, die Schulen und die Medien betreiben — wenn auch in meist sehr geringem Umfang — nebenbei Verbraucherbildung. Die Qualität und die Zielsetzung ist dabei sehr unterschiedlich. Es fehlt bisher eine umfassende Grundlagenforschung. Es fehlt an wissenschaftlich fundierten Konzepten, Unterrichtsmodellen und Lernmaterial. Es fehlen die wirtschaftlich und juristisch ausgebildeten Lehrer, Beratungskräfte und Journalisten.

Ziel bleibt: das Unterrichtsmaterial so zu erarbeiten, daß es als Leitbild nicht den funktionierenden Konsumbürger, sondern den kritischen, selbstbewußten, unabhängigen, souveränen Verbraucher ansieht. Die Verbraucher sollen durch eine frühzeitige und ausreichende Aus-und Fortbildung in die Lage versetzt werden, — mit ihrem Geld und ihrer Zeit weniger emotional als rational umzugehen, — ihre Kaufwünsche selbstkritisch in Frage zu stellen, — die Interessengegensätze zwischen den Verbrauchern und den Herstellern und Anbietern zu erkennen und die Ursachen und Methoden der Anbietermacht zu durchschauen, — ihre eigenen Interessen nachhaltig zu vertreten, — sich zu organisieren, um ihre Stellung z. B. durch „Gegenmacht" zu verbessern.

Neben der Vermittlung von Grundlagenwissen zielt die Verbraucherbildung vorwiegend darauf ab, kritische Denkund Verhaltensweisen einzuüben. Deshalb muß sie breit angelegt sein. Sie hat im Elternhaus, im Kindergarten, spätestens aber in der Primarstufe der Schule zu beginnen und ist in der gesamten Schulzeit weiterzuführen. Die Eltern . und Erwachsenen müssen in Volkshochschulen, gewerkschaftlichen Weiterbildungsseminaren und in anderen aufbauenden Bildungseinrichtungen verschiedenster Art, wie z. B. Fernschulen und Fernlehrgängen, Möglichkeiten zur Fortbildung erhalten.

Verbraucherbildung ist ein Teilbereich der wirtschaftlichen Bildung und der politischen Bildung mit enger Beziehung zur Rechtskunde. Das Hauptproblem für eine schnelle Realisierung der dringend notwendigen Verbraucherbildung ist in den Schulen neben dem geschilderten Mangel an geeignetem Unterrichtsmaterial die unzureichende Ausbildung der Lehrkräfte.

Das vielfach geforderte, von der Bundesregierung als notwendig angesehene und im Jahre 1978 in bescheidenem Umfang mit der Arbeit beginnende Verbraucherinstitut soll hier wichtige Aufgaben erfüllen.

Dieses Verbraucherinstitut wird drei wichtige Aufgaben übernehmen — Die bisher nur in Ansätzen bestehende Verbraucherforschung soll die wissenschaftlich fundierten Grundlagen für Verbraucher-bildung und -Information liefern — Die dringend benötigten Lehrund Lernmaterialien, das Beratungs-und Informationsmaterial, die Unterrichtsziele und -methoden sollen erarbeitet und den Schulen, Hochschulen, Volkshochschulen und Beratungsstellen zur Verfügung gestellt werden. — In Seminaren und Kursen soll die Aus-und Fortbildung von Multiplikatoren, z. B. Lehrern, Dozenten, Beratern, Politikern, Gewerkschaftsfunktionären und Journalisten, erfolgen. Der Schwerpunkt der Arbeit wird im Jahre 1978 bei der Schulung von Multiplikatoren liegen.

IV. Hohe Ansprüche an ein neues Forschungsgebiet

1. Die Wirtschaftstheorie muß als demokratisch legitimes Steuerungsinstrument auch die Mitwirkung der Verbraucher bei Produktionsentscheidungen einbeziehen. Hierzu müssen die entsprechenden Mitbestimmungsmodelle entwickelt werden — vor allem unter dem Aspekt, wie Ressourcen sparsamer verwendet, die sozialen Kosten von Produktionen verringert und strukturelle Fehlentwicklungen künftig verhindert werden können. In seinem Aufsatz „Protagonisten der Krise" weist Andre Gorz auf entsprechende Zusammenhänge hin: „Weil es nötig ist, die natürliche Umwelt und die knapp gewordenen Mineralschätze zu schonen, muß die entwickelte kapitalistische Welt ihr Konsummodell abändern oder aufgeben, soweit es auf künstlicher Bedarfsweckung, beschleunigtem Veralten und Ersetzen von Produkten besteht."

Allerdings ist das Problem der demokratischen Legitimation der Verbraucherpolitik umfassender, als Gorz es sieht, öffentliche Güter müssen einbezogen werden, Probleme zwischen Hersteller und Handel bedürfen der Analyse, und die stärkste Aufmerksamkeit verdienen das Informationsverhalten der Verbraucher und alle Hemmnisse, die einer stärkeren Selbstorganisation der Verbraucher im Wege stehen. Denn an den beiden letztgenannten Punkten müssen wirksame Maßnahmen für einen verbesserten Verbraucher-schutz ansetzen. 2. Die Folgen aus der Art der privaten Ein-

kommensverwendung müssen systematisch und vor allem unabhängig von Anbieterinteressen erforscht werden. Es fehlen alternative Modellrechnungen, aus denen sich ersehen ließe, wie sich konkretes Verbraucherverhalten gesamtwirtschaftlich auswirkt. Es fehlen Rechnungen, die die Vermutung bestätigen könnten, Verführung durch täuschende und illusionäre Werbebehauptungen wirke sich gesamtwirtschaftlich als Verlust aus. In jedem Fall müssen die theoretischen Vorarbeiten dafür geleistet werden, daß Appelle an das Verhalten der Verbraucherschaft von dieser rational nachvollzogen und in konkretes Handeln umgesetzt werden können; nur dann werden sich die von den Wirtschaftstheoretikern und den Politikern erhofften Stimulati-onsoder Bremseffekte auch einstellen. Die bisherige politische Erfahrung zeichnet sich seit Ludwigs Erhards Maßhalte-Appellen bis hin zu Friderichs’ Konsum-Appellen durch Wirkungslosigkeit aus. 3. Der DGB und die deutschen Einzelgewerkschaften müssen ohne Frage theoretisch auf-arbeiten und in die tägliche Praxis umsetzen, daß die von ihnen vertretenen Arbeitnehmer entscheidend auch durch ihre Rolle als Verbraucher definiert sind. Andre Gorz hat recht, wenn er schreibt: „Die üblichen Forderungen wirtschaftlicher Art behalten zwar ihre vorrangige Bedeutung, reichen jedoch als Ausdruck der Ansprüche der Arbeiter nicht mehr aus und stellen sich immer öfter im Bunde mit außerwirtschaftlichen Forderungen dar, Forderungen nach „Qualität". Sie stellen die Zentralgewalt, Macht und Befugnisse des Arbeitgebers, die Organisation der Arbeit, die Hierarchie, die Lebensweise und anderes in Frage."

In diesen Kontext muß man die verbraucher-politischen Aufgaben der Gewerkschaften als Interessenvertretung der Arbeitnehmer einfügen. Das machtlose Ausgeliefertsein an das Kapital und seine Bedingungen, gegen das die Gewerkschaften, soweit es Arbeitsplatz und Arbeitsbedingungen betraf, bisher so erfolgreich zu Felde zogen, ist zwar auch heute nicht überwunden, aber durch zahlreiche Gesetze sind ihm glücklicherweise Schranken gesetzt. Das Ausgeliefertsein des Arbeitnehmers in seiner Verbraucherrolle wird aber bisher nahezu überhaupt noch nicht als gewerkschaftliches Thema verstanden, wo sich Kapital-und Arbeitnehmerinteressen weitgehend entgegenstehen. Hier sind neue Denkanstöße notwendig.

Sollte es gelingen, nicht nur in den Führungsspitzen der Gewerkschaften, sondern bei allen Mitgliedern das Bewußtsein zu vermitteln, daß Arbeitnehmerinteressen immer auch Verbraucherinteressen einschließen und daher mitberücksichtigt werden müssen, dann wäre das Problem der Organisierbarkeit von Verbraucherinteressen zum größten Teil bereits gelöst. Die verabschiedeten Anträge auf den jüngsten Gewerkschaftskongressen zum Thema Verbraucherpolitik berechtigen zu gewissen Hoffnungen. 4. Es ist überhaupt nicht zu bestreiten, daß die gegenwärtig betriebene Verbraucherpolitik erst „ex post" einsetzt. Sie muß zu einer Verbraucherpolitik „ex ante" verändert werden. Für die Zukunft ist es notwendig, die Interessen der Verbraucher in einem möglichst frühen Stadium zu berücksichtigen. Dazu sind neue Informationssysteme und Abstimmungsmechanismen zwischen Anbietern und Nach-fragern unentbehrlich. „Es geht letztlich darum, ein Angebot , gesellschaftlich sinnvoller und wünschenswerter Problemlösungen’ zu ermöglichen, die von den Bedürfnissen der Betroffenen ausgehen und diese bei Innovationen von vornherein, aber auch beim Auslaufen oder der Veränderung bestehender Güter berücksichtigen. Eine Entscheidung für ein derartiges Vorgehen wäre eine Alternative zu der bisherigen Gegenmachtposition der Verbraucherpolitik, die Ressourcen benötigt, um Ressourcenverschwendung wenigstens nachträglich zu . korrigieren'."

Was die Organisation der Verbraucher betrifft, so ist vor allem eine Analyse der Hemmnisse nötig, die einer wirkungsvollen Selbstorganisation der Verbraucher im Wege stehen. Sobald es gelingt, Verbraucher davon zu überzeugen, daß ein Engagement auf diesem Feld in ihrem ureigenen Interesse liegt, wird es auch nicht schwerfallen, das stellvertretende Handeln der gewählten Repräsentanten der Verbraucher so mit den Bedürfnissen der „Vertretenen" zu verknüpfen, daß die heute oft bemängelten Legitimationsprobleme nicht länger auftreten. Politische Scharmützel auf vorwiegend konservativem Schlachtfeld, wie sie sich der Bauernverband mit der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucher immer wieder liefern, lassen es angeraten erscheinen, sich des Legitimationsproblems verstärkt anzunehmen, damit die Glaubwürdigkeit der Verbraucherorganisationen nicht weiter Schaden nimmt. Gewiß läßt sich deren Arbeit verbessern, und Kritik ist oftmals berechtigt.

Aber es ist leichter, eine bestehende Organisation zu verbessern und auszubauen, als eine neue Organisation zu gründen, die vermutlich dieselben Konstruktionsfehler aufweist.

Weg von der „Reparaturwerkstatt" und hin zur politisch engagierten Interessenvertretung im Vorfeld der Wirtschaftsentscheidungen: dies muß die Marschrichtung der Verbraucherorganisationen sein.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Adam Smith, The Wealth of Nations, 1776.

  2. Vgl. dazu auch Biervert/Fischer-Winkelmann/Köhler/Rock, Verbrauchergerechte Verbraucher-forschung und -politik, Frankfurt 1977, S. 189 f.

  3. Biervert/Fischer-Winkelmann/Köhler/Rock, a. a. O., S. 13.

  4. Die wichtigsten Verbraucherorganisationen sind: Arbeitsgemeinschaft der Verbraucher (AVG) e. V. Die AGV ist ein Zusammenschluß der elf Verbraucherzentralen der Länder und von 24 Verbänden und Vereinen sowie wenigen Einzelpersonen. Die Verbraucherzentralen werden überwiegend vom Bundesministerium für Wirtschaft (4, 8 Mio. DM 1977) und den Wirtschaftsministerien der Länder (6, 5 Mio. DM 1977) finanziert. Sie haben zur Zeit in 150 Orten Verbraucherberatungsstellen errichtet. Einige Verbraucherzentralen gehen über die eigentliche Beratungstätigkeit hinaus und verstehen sich als Interessenvertretung der Verbraucher, wie z. B. die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Die Verbraucherzentrale Berlin hat neben 20 Verbänden als Mitglieder auch 140 Einzelmitglieder.

  5. Biervert u. a., a. a. O., S. 12.

  6. über den so für die Bundesrepublik abgesteckten Rahmen geht auch das 1. Verbraucherprogramm der EG nicht hinaus. Siehe dazu: 1. Programm der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft für eine Politik zum Schutz und zur Unterstützung der Verbraucher, Brüssel, 14. April 1975.

  7. Siehe Gutachten der Kommission für wirtschaftlichen und sozialen Wandel, S. 770— 796.

  8. Auf folgende Einzelgutachten sei besonders hingewiesen: Blume/Müller, Werbung für Markenartikel. Auswirkungen auf Markttransparenz, Preis und Wettbewerb, 1975; Reich/Tonner/Wegner, Verbraucher und Recht, Göttingen 1976, B. Röper, Gibt es geplanten Verschleiß, 1975; G. Scherhorn, Verbraucherinteressen und Verbraucherpolitik, Göttingen 1975; A. Weser, Warenkennzeichnung — ein Mittel der Verbraucherinformation, Göttingen 1976; K. Wieken, Internationaler Vergleich verbraucherpolitischer Interessenorganisationen und Behörden, Köln 1975. Weser zeigt z. B. in seinem Gutachten die Forschungslücken bei dem Problem der Warenkennzeichnung auf und weist darauf hin, daß keine Erkenntnisse der Verbraucherforschung vorliegen über die Waren-kenntnisse der Konsumenten und über die Gesichtspunkte, nach denen die Konsumenten beim Kauf bestimmter Produkte vorgehen. Auch ist ungeklärt, auf welcher Ebene die Qualität eines Produkts beschrieben werden soll (Materialart, Eigenschaften oder Verwendungsbereich) und welches die verständlichste Form der Darstellung bei der Warenkennzeichnung ist.

  9. Siehe Anm. 2; das Buch ist erschienen in der Reihe . Forschung aktuell', Hans Matthöfer (Hrsg.), unter dem Titel . Verbraucherforschung'.

  10. Eine endgültige Vergabe der Forschungsprojekte erfolgte im Herbst 1977. Vergeben wurden Forschungsaufträge zu folgenden Themenschwerpunkten: Durchsetzung von Verbraucherinteressen in politisch-administrativen Entscheidungsprozessen, die Untersuchung von Organisationsproblemen der Verbraucher und deren Interessen, Erstellung von Kosten-Nutzen-Analysen im Rahmen der Verbraucherpolitik. Bei allen Forschungsprojekten müssen zusätzliche Gesichtspunkte in die Untersuchungen einbezogen werden, wie z. B. Fragen schichtspezifischer Differenzierung sowie das Aufzeigen von Lösungswegen für andere Bereiche der Politik wie Konjunkturpolitik, Wohnungsbaupolitik, Familien-und Jugendpolitik, Kommunalpolitik.

  11. Biervert u. a., a. a. O.; W. Brinkmann, Die Verbraucherorganisationen in der Bundesrepublik Deutschland und ihre Tätigkeit bei der überbetrieblichen technischen Normung, Köln/Berlin/Bonn/München 1976; W. Kroeber-Riel, Konsumentenverhalten, München 1975; E. v. Hippel, Verbraucher-schutz, Tübingen 1974; Raffee, u. a., Irreführende Werbung, Wiesbaden 1976; Reich/Tonner/Wegener, Verbraucher und Recht, Göttingen 1976.

  12. Der Orientierungsrahmen '85 der SPD gibt zur Kennzeichnung unserer Wirtschaft nützliche analytische Hinweise. Das Resümee ist dort etwa folgendes: Der sich selbst überlassene Markt führt zu einer sich stets verstärkenden Unternehmens-und Vermögenskonzentration, zu einer Vermachtung der Märkte durch Fusionen, Kartelle und abgestimmte Verhaltensweisen. Es kommt zu einer ungerechten Verteilung der Güter, die der ungerechten Einkommensverteilung entspricht. Der sich selbst überlassene Markt führt zu einer Überversorgung mit Gütern und zu einer Unterversorgung mit bestimmten Dienstleistungen und Infrastrukturleistungen. Regionale Ungleichgewichte sowie ruinöse und unstabile Marktverhältnisse sind weitere Folgen. Langfristige Entwicklungen zukunftsträchtiger Branchen kann der „freie Markt" nicht ausreichend berücksichtigen, er kann auch nicht dafür sorgen, daß die nicht zukunftsträchtigen Branchen auf gesunde Weise schrumpfen und durch rechtzeitige Umstrukturierung die Arbeitsplätze erhalten bleiben. Der freie Markt kann individuelle und soziale Bedürfnisse der Menschen, die nicht als kaufkräftige Nachfrager in Erscheinung treten, nicht berücksichtigen. Die freie Marktwirtschaft führt außerdem zu einer wachsenden Umweltbelastung, da bei den Produktionsentscheidungen der Unternehmen die Folgen für die Umwelt ungenügend berücksichtigt werden.

  13. Biervert u. a., a. a. O., S. 29.

  14. Hauptgutachten 1973/1975 unter dem Titel: . Mehr Wettbewerb ist möglich', erschienen im Nomos-Verlag, Baden-Baden 1976.

  15. Zit. nach L. Czayka, Und Keynes hat doch recht, in: Die Zeit, Nr. 23, 1977, S. 29.

  16. Zit. nach Czayka, a. a. O., S. 29.

  17. A. Gorz, Zur Strategie der Arbeiterbewegung im Neokapitalismus, Frankfurt 1967, S. 104.

  18. Vgl. dazu V. Hauff, Abschied vom blanken Fortschrittsglauben, in: Vorwärts, Nr. 21/1977, S. 11.

  19. H. -E. Richter, Lernziel: Bürgernähe, in: Vorwärts, Nr. 19 1977, S. 16.

  20. Richter, ebd. S. 16.

  21. Vgl. Kroeber-Riel, Ziele der Verbraucherpolitik, in: Arbeitnehmer, Nr. 5/1977, S. 225.

  22. G. Kleinhenz, Verbraucherbildung auf der Grundlage verhaltenstheoretischer Ansätze zur Erklärung des Konsumentenverhaltens, in: Verbraucherrundschau, 4/5, 1977, S. 8 f.

  23. 1976 sind in der Schriftenreihe des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit eine Reihe von Forschungsberichten zum Thema . Freizeit'erschienen mit folgenden Themen: a) „Chancenungleichheit in der Freizeit (Was sind Chancen im Freizeitbereich? Welche Barrieren sind wirksam?)", erstellt von Infas, Bad Godesberg; b) „Der Zusammenhang von freizeitpolitischen Rahmenbedingungen und Bedeutungsabnahme und Bedeutungszunahme von Freizeitinhalten", erstellt von GEWOS, Hamburg; c) „Szenarios über zukünftige Entwicklungsmöglichkeiten von Freizeit und ihre Folgen", erstellt vom Zentrum Berlin für Zukunftsforschung. Es wurden folgende Szenarios ausgearbeitet: . Die ernste Freizeit'oder . Arbeit macht Spaß'mit den Akzenten: Bedeutung der Arbeit für die Selbstverwirklichung, Integration von Arbeit und Freizeit; . Die vergnügliche Freizeit'mit den Akzenten: Glückserfüllung in der Freizeit, Dichotomie von Arbeit und Freizeit; . Freizeit als Sozialisationszeit'mit dem Akzent: Freizeit als Haupt-ansatzpunkt für soziales Lernen und soziales Engagement; . Freizeit von Jugendlichen'; d) „Analyse vorhandener Informationsmöglichkeiten und -angebote im Freizeitbereich", erstellt von GEWOS Hamburg; e) „Systematik der Freizeitinfrastruktur", erstellt von Dr. Ing. W. Köhl, Karlsruhe; f) „Bestand und Verteilung von materieller Freizeit-infrastruktur in der Bundesrepublik Deutschland", erstellt von Prognos AG, Basel; g) „Untersuchung bestehender Freizeitangebote hinsichtlich investierter Mittel, Unterhaltskosten, Programmkosten und Auslastung sowie hinsichtlich Organisation, Trägerschaft, Angebot und Betreuung", erstellt von Sozon GmbH, München; h) „Die Wahrnehmung von Weiterbildungsmöglichkeiten in Abhängigkeit von Art und Organisation der Angebote", erstellt vom Batelle-Institut, Frankfurt; i) „Berufsbild, Berufspraxis und Berufsausbildung von . Freizeit-Berufen", erstellt vom Verein für Unterrichts-forschung Köln-Junkersdorf; k) „Darstellung und Bewertung von Modellen im Freizeitbereich“, erstellt von Logon, München.

  24. Dem Zusammenhang von Arbeit, Konsum und Freizeit wird in dem Buch . Verbrauchergerechte Verbraucherforschung und -politik’ ein besonderes Kapitel gewidmet und auf die Forschungslük-ken gerade auf diesem Gebiet hingewiesen. Rock in: Biervert /Fischer-Winkelmann /Köhler /Rock, a. a. O., S. 172— 192.

  25. Man vergleiche den unter diesem Aspekt besonders aufschlußreichen Aufsatz von E. Noelle-Neumann, Macht Fernsehen träge und traurig?, in: FAZ, 13. 9. 1977.

  26. Siehe auch dazu den zitierten Aufsatz von No-

  27. Demokratische Mitbeteiligung ist schließlich erforderlich, um durch -die Demokratie nicht un kontrollierte Wirtschaftsmacht zunehmend zu gefährden. Auch für die Verbraucherpolitik müssen daraus Konsequenzen gezogen werden. Darauf weist U. Steger in einem Aufsatz über . Ordnungspolitik und Strukturprobleme der Volkswirtschaft'hin: „Die zunehmende . Vermachtung'der Märkte - nach überschlägigen Berechnungen werden heute knapp 60 % (einschließlich der staatlichen Wert-schöpfung mit 9 %) des Bruttoinlandsproduktes außerhalb des wettbewerblichen Bereiches produziert - wird zwar von den Ordoliberalen oft und lautstark beklagt, für die Strukturpolitik werden

  28. Siehe dazu insbesondere K. Simitis, Verbraucherschutz — Schlagwort oder Rechtsprinzip, Baden-Baden 1976.

  29. G. Scherhorn, Gründungsplan für ein Internationales Institut für Verbraucherforschung und -Information, 1973.

  30. In dem bereits mehrfach zitierten Bändchen Verbrauchergerechte Verbraucherforschung'begründen Bernd Biervert und seine Kollegen, welche Forschungsdefizite auch durch das Verbraucherinstitut ausgeglichen werden müßten, ehe daran zu denken ist, daß Anbieter und Verbraucher mit vergleichbaren Waffen streiten.

  31. A. Gorz, Ökologie und Politik, Reinbek 1977, S. 54.

  32. Gorz, a. a. O, S. 55.

  33. Biervert u. a., a. a. O., S. 210.

Weitere Inhalte

Anke Martiny, Dr. phil., geb. 1939; Journalistin, seit 1972 Mitglied des Deutschen Bundestages und verbraucherpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion; Studium der Musikwissenschaft, Germanistik und Soziologie in Berlin, Wien und Göttingen, daneben Redaktionsvolontariat und Arbeit als Musikkritikerin. Veröffentlichung: Martiny/Klein, Marktmacht und Manipulation, Frankfurt/Köln 1977.