Einleitung
Selten haben wissenschaftliche Fachgespräche ein derart großes Interesse in der Öffentlichkeit gefunden wie die deutsch-polnischen Schulbuchkonferenzen. Kaum eine Bundesdeutsche Tageszeitung, von der „Frankfurter Allgemeinen" bis zum Ingolstädter „Donau Kurier" ließ diese bilateralen Expertengespräche unbeachtet.
Selbst Bundeskanzler Helmut Schmidt und Polens Parteichef Edward Gierek widmeten diesem Thema bei ihren Treffen in Bonn und in Warschau einen eigenen Tagesordnungspunkt und versprachen sich gegenseitig in den Abschluß-Kommuniques, „ihre Bemühungen fortzusetzen, in den Schulbüchern eine Darstellung der Geschichte, Geographie und Kultur des anderen Landes zu erreichen, die eine umfassende Kenntnis und ein besseres gegenseitiges Verständnis fördert" Beide Politiker wollen „darauf hinwirken, daß dabei die Empfehlungen der gemeinsamen Schulbuchkommission berücksichtigt werden"
Während es in der zentralistisch verwalteten Volksrepublik Polen nur einer entsprechenden Anordnung der Warschauer Regierung bedarf, um die polnischen Schulbücher auf die mittlerweile vereinbarten 26 deutsch-polnischen Schulbuchempfehlungen auszurichten, tut sich der deutsche Bundeskanzler in dieser Sache ungleich schwerer. Er hat keine unmittelbare Möglichkeit, auf die Abfassung bundesdeutscher Lehrbücher Einfluß zu nehmen, noch weniger kann er durchsetzen, daß bestimmte Darstellungen aus den Schulbüchern entfernt oder neue in sie aufgenommen werden. Dem steht die im Grundgesetz verankerte Kulturhoheit der Bundesländer entgegen. Ihr, genauer: den einzelnen Kultusministerien der Länder, obliegt es, die Lehrpläne und Lerninhalte der Schulen festzulegen und die hierzu nötigen Unterrichtsmaterialien zu prüfen und auszuwählen. Allgemeine Richtschnur ist dabei, daß ihre Inhalte den neuesten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis berücksichtigen, ihre Aussagen rechts-und verfassungskonform sind und auch didaktisch wie methodisch den Anforderungen und Entwicklungen der Lehrpläne entsprechen. Darüber hinaus können noch besondere kultusministerielle Entschließungen und Erlasse den Lehrund Schulbuchstoff näher umgrenzen und auf diese Weise eine weitere Spezifizierung der einzelnen Unterrichtspensen mit sich bringen
Diesem Kulturföderalismus steht man in Warschau teils verständnislos, teils mißtrauisch gegenüber, wie verschiedenen polnischen Erklärungen zu entnehmen ist, in denen Bonn aufgefordert wird, dafür zu sorgen, daß die Empfehlungen der deutsch-polnischen Schulbuchkommission in der Bundesrepublik alsbald verwirklicht werden, oder von einflußreichen Warschauer Publizisten beklagt wird, daß die neuen Schulbücher mit Berücksichtigung der Schulbuchempfehlungen in Westdeutschland „unvergleichlich viel langsamer fertiggestellt werden als in Polen, obwohl nach übereinstimmender Ansicht der Schulbuchkonferenz-Teilnehmer die Notwendigkeit von Korrekturen auf deutscher Seite dringlicher ist." Je mehr Zeit seit der Verabschiedung der insgesamt 26 Empfehlungen im April 1976 vergeht, desto ungeduldiger drängt die polnische Seite auf ihre Berücksichtigung in den bundesdeutschen Schulbüchern und glaubt in der Ablehnung dieser umstrittenen Schulbuch-Vereinbarungen eine bewußte Gegnerschaft gegenüber „einer Normalisierung der gegenseitigen Beziehungen zwischen der Volksrepublik Polen und der Bundesrepublik Deutschland" sehen zu dürfen oder gar mit der Unterbindung eines deutsch-polnischen Jugendaustausches drohen zu sollen. Gelegentlich wird den bundesdeutschen Bedenken gegen manche Schulbuch-Empfehlun-gen sogar Revanchismus unterstellt und Befremden darüber geäußert, daß man zwar für Versöhnung, aber nicht für die Annahme der Schulbuchvereinbarungen sei, was „jeglicher Logik und Grundsätzlichkeit" entbehre.
Die eigentlichen Adressaten solcher Klagen und Erinnerungen, die Kultusminister und -Senatoren der deutschen Länder, haben freilich ihre Gründe, warum sie dem polnischen Begehren mehr oder minder zögernd, mit Vorbehalten oder einstweilen überhaupt nicht entsprechen.
Da gibt es zunächst sachliche Einwände gegen die von der gemischten deutsch-polnischen Schulbuchkommission erarbeiteten „Empfehlungen". Sie betreffen sowohl die 31 Absprachen aus dem Jahre 1972 als auch ganz besonders die am 7. April 1976 veröffentlichten 6 Vereinbarungen über die Behandlung der Zeitgeschichte Letzteren wird — insbesondere von den Kritikern in München und Stuttgart — entgegengehalten, daß sie weder unter historisch-wissenschaftlichen und pädagogischen, noch unter politischen und verfassungsrechtlichen, noch unter menschen-und völkerrechtlichen Gesichtspunkten befriedigend seien; vielmehr habe sich überwiegend der kommunistische und nationalistische Standpunkt der Polen durchgesetzt.
Im einzelnen geht es dabei um die territorialen Veränderungen nach dem Zweiten Weltkrieg, die Frage der Endgültigkeit der polnischen Westgrenze, die sogenannten „Bevölkerungsverschiebungen", die Rolle der deutschen Heimatvertriebenen und das Entstehen der beiden deutschen Staaten.
Die Polen möchten die Oder-Neiße-Linie als endgültige Staatsgrenze in den bundesdeutschen Lehrbüchern dargestellt wissen, statt Vertreibung die Vokabel „Zwangsumsiedlung" verwendet sehen und über die Teilung Deutschlands die Formulierung in die westdeutschen Geschichtsbücher setzen, daß sich „im Jahre 1949 als Ergebnis des Zweiten Weltkrieges zwei deutsche Staaten mit unterschiedlicher Gesellschaftsordnung konstituierten". Die mit Zustimmung der deutschen Vertreter in der gemischten Scbulbuchkommission verabschiedeten „Empfehlungen zur Zeitgeschichte " sollen ihnen dazu verhelfen.
Stellungnahmen der Kultusministerien
Dagegen machen verschiedene Kultusministerien, wie das bayerische oder das rheinland-pfälzische, geltend, daß solche Forderungen nicht im Einklang mit der historischen Wirklichkeit stünden und auch nicht der vom Bundesverfassungsgericht beschriebenen völkerrechtlichen Lage entsprächen. Sie lehnen es ab, „historische Sachverhalte durch schiefe Bezeichnungen zu verfälschen", wie es in einer Verlautbarung des Mainzer Kultusministeriums hieß
Rheinland Pfalz Auf eine Kleine Anfrage des SPD-Landtagsabgeordneten Herrmann teilte die Kultusministerin von Rheinland-Pfalz, Dr. Hanna Renate Laurien, in einem Schreiben vom 28. Juni 1977 zur Frage nach der Verwirklichung der Empfehlungen der deutsch-polnischen Schulbuchkommission mit: „Schulbücher müssen geeignet sein, bei der Erziehung von Schülern zu Toleranz und Sachlichkeit verwendet zu werden.
Die Landesregierung hat daher das Bemühen der deutsch-polnischen Schulbuchkommission grundsätzlich begrüßt, die Darstellung polnischer und deutscher Geschichte, polnischer und deutscher Lebensbedingungen in den Schulbüchern der beiden Länder in diesem Sinne zu prüfen und, wo erforderlich, Vorschläge für deren Revision zu erarbeiten. .. Die Landesregierung ist bereit, die Mitverantwortung für die Arbeit des Georg Eckert-Instituts für internationale Schulbuchforschung in Braunschweig zu übernehmen, dem als Nachfolgeeinrichtung des von Professor Georg Eckert gegründeten Internationalen Schulbuchinstituts die Federführung für die Erarbeitung internationaler Schulbuchempfehlungen obliegt.
Die Pluralisierung des Instituts durch Beteiligung'möglichst vieler Bundesländer kann nach Auffassung der Landesregierung geB währleisten, daß in Zukunft ausgewogene Schulbuchempfehlungen erarbeitet werden, deren Umsetzung in deutsche Schulbuchinhalte sachlich vertretbar ist.
Für die Frage der Übernahme dieser Empfehlungen in den Unterricht ist zu beachten, daß die Kommission für Deutschland und Polen in sehr unterschiedlicher Weise Verbindliches aussagen konnte. Der Status der Mitglieder der deutschen und polnischen Delegation war völlig verschieden.
Die Empfehlungen der Kommission haben keine offizielle oder gar völkerrechtliche Verbindlichkeit und können die Entscheidungen der Bundesländer über die Zulassung von Schulbüchern nicht präjudizieren.
Die insgesamt 37 Empehlungen der deutsch-polnischen Schulbuchkommission — darunter sechs zur Zeitgeschichte — haben zwar in einigen Sachfragen Übereinstimmung erreicht, übernehmen zum Teil aber einseitige Standpunkte und berücksichtigen nicht immer die deutschen Rechtsgrundlagen, insbesondere das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 31. 7. 1973 zum Grundlagenvertrag mit der DDR. Dies zeigt sich zum Beispiel in der zweiten Empfehlung . Bevölkerungsverschiebungen'. Schon diese Benennung ist eine Verschleierung der Tatsachen. Vertreibung ist nicht . Bevölkerungsverschiebung', historische Berichterstattung muß auch die Härte vergangenen Geschehens aushalten.
Die Landesregierung geht davon aus, daß einseitige und verzerrende Darstellungen der Geschichte den Keim neuer Streitigkeiten in sich tragen. Dauerhafte Versöhnung ist nur möglich, wenn wenn wir bereit sind, Vergangenheit nüchtern zu berichten und ihre Spannungen zu überwinden, statt sie zu leugnen.
Auch in der dritten Empfehlung . Aufbau-probleme’ wird Polen als ein ethnisch geschlossener Nationalstaat dargestellt. Das widerspricht u. a.den Bemühungen aller demokratischen Parteien in der Bundesrepublik Deutschland um die dort lebenden deutschen Minderheiten.
Die Reihe dieser Beispiele ließe sich leicht verlängern.
Eine amtliche Veröffentlichung dieser Empfehlungen ist daher nicht erfolgt und von mir auch nicht vorgesehen. Die Empfehlungen, die didaktisch nicht aufbereitet sind, werden den Fachdidaktischen Kommissionen Geschichte, Sozialkunde und Erdkunde für die Sekundarstufe I zugeleitet. Diese haben den Auftrag, sie kritisch zu prüfen und, soweit vertretbar, unter Beachtung der Bedeutung anderer gleichrangiger Themen bei der fach-didaktischen Arbeit zu berücksichtigen."
Auf die vom Landtagsabgeordneten Herrmann gestellte Einzelfrage, ob die Landesregierung von Rheinland-Pfalz bereit sei, „die Beachtung der Empfehlungen der deutsch-polnischen Schulbuchkonferenzen zur Voraussetzung für die künftige Anerkennung entsprechender Passagen von Unterrichtsmaterialien zu machen", antwortete Kultusministerin Dr. Laurien mit „Nein" und wies darauf hin, daß die Empfehlungen bei der Zulassung von Schulbüchern für den Unterrichtsgebrauch, „nur insoweit berücksichtigt" würden, „als Teile von ihnen Eingang in die Lehrpläne finden"
Entsprechend den vorgetragenen Einwänden gegen die deutsch-polnischen Schulbuchempfehlungen sah sich die Mainzer Staatsministerin nicht in der Lage, sich „im Rahmen der Beratungen der Kultusministerkonferenz für die Verwirklichung der Empfehlungen einzusetzen und darüber dem Kulturpolitischen Ausschuß des Landtages zu berichten"
Bayern Ein knappes Jahr vorher, nämlich im Juli 1976, hatte sich Dr. Lauriens bayerischer Ressortkollege, Professor Hans Maier, bereits mit einer Schriftlichen Anfrage des bayerischen SPD-Landtagsabgeordneten Mittermüller zu beschäftigen, in welcher sich der sozialdemokratische Landespolitiker nach den Gründen erkundigte, welche die Münchener Staatsregierung veranlaßten, „die Empfehlungen der deutsch-polnischen Schulbuchkommission für eine Neufassung der Texte über die deutsch-polnischen Geschichte" nicht zu übernehmen.
In seiner Antwort auf die Landtags-Anfrage weist der bayerische Kultusminister zunächst auch auf die rechtliche Kompetenzverteilung hin, nach welcher die Prüfung und Zulassung von Schulbüchern in der ausschließlichen Zuständigkeit der Länder liege und die Vereinbarungen zwischen der polnischen und der deutschen UNESCO-Kommission daher rechtlich nicht verbindlich seien, um dann festzustellen: „... Die fraglichen Empfehlungen unterstellen auch, daß die in den Ländern zugelassenen Schulbücher zu wenig dem Geist der Völker-versöhnung dienten und daher revisionsbedürftig seien.
Die in Bayern zugelassenen Schulbücher werden auf ihre fachliche und pädagogische Qualität hin überprüft und geben keine Veranlassung zur Änderung.
Ein weiterer Grund für die Ablehnung der Empfehlungen ist deren Inhalt.
Die deutschen Verhandlungspartner waren offenbar bemüht, den Wünschen der anderen Seite so weit wie möglich zu entsprechen. Daraus resultieren wohl die so deutlichen hi-storiographischen Unzulänglichkeiten, die einen weiteren und entscheidenden Grund für die Ablehnung der Empfehlungen durch Bayern darstellen.
Ausgespart bleibt zum Beispiel in den Empfehlungen die Rolle der Sowjetunion in der Zeit von 1939 bis heute. Dabei ist nicht daran zu zweifeln, daß das deutsch-polnische Verhältnis in diesem Zeitraum ganz entscheidend von der Sowjetunion beeinflußt worden ist. Es sei hier nur an den Pakt zwischen Hitler und Stalin vom 23. August 1939 oder an die Ergebnisse der Konferenz von Jalta und die Westverschiebung Polens erinnert. Ein Geschichtsunterricht, der diese Fakten verschweigt, riskiert, von Schülern, deren Eltern und Großeltern noch Zeugen dieser Ereignisse waren, für unglaubwürdig gehalten zu werden.
Bedenklich ist an den Empfehlungen auch, wie sie darum bemüht sind, die Austreibung der Bevölkerung aus den deutschen Ostgebieten, die unter so furchtbaren Begleitumständen erfolgte, sprachlich zu verharmlosen.
Zu einseitig ist auch die Art, wie die Empfehlungen die Rolle der Heimatvertriebenen nach dem Jahre 1945 darstellten. Ihre Rolle beim Ausbau der Bundesrepublik und ihr aktives Bemühen um eine dauerhafte und faire Lösung der europäischen Probleme werden verschwiegen. Dafür wird festgestellt, daß die* Heimatvertriebenen in Polen als , Hort des Revisionismus'angesehen würden
Bedenklich ist auch, daß die Beschlüsse der Potsdamer Konferenz vom August 1945 bezüglich der polnischen Westgrenze als endgültige Übertragung der deutschen Ostgebiete an Polen gewertet werden. Dabei verschweigen die Empfehlungen, daß die endgültige Grenzziehung ausdrücklich künftigen Friedensverträgen Vorbehalten blieb."
Abschließend bekennt sich das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus zum Gedanken der Völkerversöhnung als einer „pädagogischen Verpflichtung" und tritt damit anderslautenden Vermutungen der polnischen Seite entgegen.
Man bringt aber auch am Münchener Salvatorplatz die Überzeugung zum Ausdruck, „daß Verständigung zwischen den Völkern historiographische Genauigkeit und das Aussprechen der vollen Wahrheit voraussetzt" Letztendlich dürfe der nie endende Prozeß wissenschaftlicher Wahrheitsfindung nicht durch „Absprachen" oder Ausklammerungen willkürlich eingeengt werden, stellt das bayerische Kultusministerium fest.
Daß es der Freistaat Bayern ungeachtet seiner dezidierten Ablehnung der deutsch-polnischen Schulbuchempfehlungen ernst mit dem erklärten Bemühen um bessere Beziehungen zu den osteuropäischen Staaten und Völkern meint, zeigt sich nicht zuletzt an seinen vielfältigen ostkundlichen Aktivitäten.
An ihrer Spitze steht der — auch von den meisten anderen Bundesländern als mustergültig betrachtete — „Ostkunde-Erlaß" vom 23. November 1973 über die „Förderung der Kenntnisse von Ost-und Südostmitteleuropa" Darin werden konkrete Wege und Möglichkeiten gewiesen, um die hierzulande immer noch klaffende „osteuropäische Bildungslükke" (Eugen Lemberg) schließen zu helfen und wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse und Materialien über unsere östlichen Nachbarn zu gewinnen. Dazu gehört der weitere Ausbau bestehender osteuropakundlicher Institute ebenso wie die Mehrung des Angebots an Unterricht in slawischen Sprachen oder die vertiefte Beschäftigung mit Ostmitteleuropa als der Heimat eines Teiles des deutschen Volkes.
Den Geschichtslehrern wird im Sinne einer wohlverstandenen Ostkunde nahegelegt, die bislang oft nationalstaatlich ausgerichtete Betrachtungsweise, die besonders frühere Generationen kennzeichnete, durch die Darstellung von nationenübergreifenden Prozessen und Fragen des friedlichen und gleichberechtigten Zusammenlebens der Völker und Volksgruppen zu ergänzen und dabei auch ihrer gegenseitigen kulturellen Durchdringung, den verschiedenen Gesellschafts-und Wirtschaftsformen und den ihnen zugrunde liegenden politischen Theorien in der unterrichtlichen Darbietung Rechnung zu tragen. Die Ausleuchtung der politischen Geschichte Ostmitteleuropas mit besonderer Berücksichtigung des deutsch-slawischen Verhältnisses — so sieht man es im Münchener Kultusministerium — ist nicht nur ein Stück unterrichtlicher Ostkunde, sondern angesichts der Tatsache, daß in diesem Raume Europas sich sowohl der Erste wie der Zweite Weltkrieg entzündete, auch wichtiger Beitrag zur Konflikt-und Friedensforschung. Darüber hinaus bietet die Zeitgeschichte im Studium exemplarischer Vorkommnisse wie des kalten kommunistischen Staatsstreichs in Prag im Jahre 1948 auch geeignete Anhaltspunkte für die Betrachtung aktueller Parallelen wie jener des „Marsches durch die Institutionen". Im Sozialkundeoder Politikunterricht bietet die von Bayern initiierte Osteuropa-kunde in den Schulen die Gelegenheit, die Kenntnis von Rechtsformen zu vermitteln, die ein gedeihliches Zusammenleben von Völkern und Volksgruppen, besonders auch in ein und demselben Staatsverband, ermöglichen. Gerade der deutsch-slawische Siedlungsraum, so macht es der Ostkunde-Erlaß des bayerischen Kultusministeriums deutlich, liefert in seiner früheren ethnischen Verzahnung bedenkenswerte Beispiele und Modelle für ein modernes Volksgruppenrecht, das auch im Hinblick auf ein vereinigtes Europa praktikabel erscheint, zielen sie doch darauf ab, das Neben-und Miteinander verschiedener Nationalitäten auf der Grundlage der Gleichberechtigung in einem größeren Staatenverband zu regeln.
Diese Elemente eines Volksgruppenrechts im Unterricht zu vergegenwärtigen, bedeutet nach den Worten eines Mitglieds des Ostkundebeirats beim Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus nicht nur Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen, „sondern auch eine zukunftsorientierte Ost-kunde in der Schule zu betreiben — und zwar ohne diplomatisch-politische Kompromisse mit marxistischen Ideologien, wie sie in den deutsch-polnischen Schulbuchempfehlungen zu erkennen sind".
Wenn die deutsch-polnische Schulbuchempfehlungen neben ihrem verbalen Inhalt auch noch dem Anliegen dienen, das Defizit an geschichtlichem Wissen über Polen abzubauen, dann war Bayern mit seinen einschlägigen Angeboten an ostkundlichen Fachtagungen, Studienkonferenzen und Wochenend-Seminaren der deutsch-polnischen Schulbuchkommission um Jahre voraus und mag sich deswegen nicht gern „Revanchismus" oder Gegnerschaft gegen „völkerversöhnende Bemühungen" nachsagen lassen. „Schließlich verpflichtet uns auch schon die Bayerische Verfassung, die Schüler im Sinne der Völkerversöhnung zu erziehen", meinte der erwähnte Vertreter des Münchener Ostkunde-Beirats Und Ministerialrat Hans Holzbauer vom bayerischen Kultusministerium schreibt im Januar-Februar-Heft 1977 der hauseigenen Zeitschrift „schulreport": „Eine dauerhafte Versöhnung zwischen den Völkern erreicht man nicht durch politisch motivierte Auswahl historischer Fakten. Geschichte ist als Geschichte zu akzeptieren und en bloc anzunehmen. Man wird auf dem Weg zur Versöhnung weitergehen. Aber die deutsch-polnischen Schulbuch-empfehlungen sind ein Schritt in die falsche Richtung."
Wie man sich am Münchener Salvatorplatz „die richtige Alternative" zu den kritisierten und abgelehnten Schulbuchempfehlungen vorstellt, deutet Hans Holzbauer an, wenn er schreibt: „Besser wäre es gewesen, auf eine materielle Festlegung der Geschichtsdarstellung zu verzichten und sich mit der wechselseitigen Versicherung zu begnügen, daß man auf jede Art von Chauvinismus und Nationalismus verzichten wolle und bemüht sei, das andere Volk in seinem Eigenwert und mit all seinen Leistungen zu zeigen und zu respektieren."
Ein solches Verfahren hätte die Peinlichkeit vermieden, „daß die Vertreter eines Landes, in welchem die Freiheit der Rede und der Forschung eine Selbstverständlichkeit ist", mit Partnern sich zu einigen hatten, „denen bei der monistischen Struktur ihres Landes gar keine andere Wahl blieb, als die offizielle Geschichtsauffassung ihres Staates durchzu-
setzen"
Es wäre dann nach Meinung des bayerischen Ministerialrats auch nicht zum „Verschweigen historischer Tatsachen", wie des Hitler-Stalin-Paktes vom August 1939, gekommen, was nicht nur ein überaus bedenklicher Eintrag in die historiographische Qualität der einschlägigen Schulbuchempfehlung sei, sondern auch den wissenschaftsmethodischen Mangel dieser Vereinbarung darstelle. Schließlich sei man schon im Schulunterricht darum bemüht, die Interdependenz historischer Vorgänge bewußt zu machen und eine isolierte Faktenbehandlung zu vermeiden. Dagegen würde in dieser Schulbuchvereinbarung „auf völlig unzulässige Weise eine lineare und monokausale Geschichtserklärung versucht" — ein Vorgang, der sich nach Meinung Hans Holzbauers aus dem politisch motivierten Wohlverhalten der deutschen Kommissionsmitglieder erklärt wie auch aus der Tatsache, daß „der große sozialistische Bruder der Volksdemokratie Polen, die Sowjetunion, als steinerner Gast mit am Verhandlungstisch saß"
Angesichts Moskaus Einfluß auf die deutsch-polnischen Schulbuchkonferenzen sei es dann nicht weiter verwunderlich, „daß in den Empfehlungen auch verschwiegen wird, wie die Annexion Ostdeutschlands durch Polen mit der Annexion Ostpolens durch die Sowjetunion korrespondierte, daß behauptet wird, in Polen habe nach dem Kriege eine . revolutionäre Veränderung'stattgefunden, die auch eine Veränderung der politischen und ökonomischen Struktur bewirkt habe, obwohl doch nicht daran zu zweifeln ist, daß die UdSSR die Errichtung der kommunistischen Herrschaft in Polen erzwungen hat"
Diese Einseitigkeiten wie die verharmlosende Darstellung der Austreibung der deutschen Bevölkerung aus den Ostgebieten und die diskreditierende Einschätzung der Rolle der Vertriebenen im Nachkriegsdeutschland („Hort des Revisionismus") reichten in den Augen des Münchener Ministerialbeamten bereits hin, um von einer Übernahme der deutsch-polnischen Schulbuchempfehlungen Abstand zu nehmen.
Darüber hinaus hält er aber auch die Aussagen der Schulbuchempfehlungen über die Endgültigkeit der Grenzziehung im Osten, die Bewertung der deutschen Ostpolitik zwischen 1949 und 1969 und die Beschreibung der Zweistaatlichkeit Deutschlands für unannehmbar. Dabei beruft sich Holzbauer auf Urteile des Bundesverfassungsgerichts und des Bundessozialgerichts, in denen den Ostverträgen (von Moskau und Warschau) „nicht die Wirkung beigemessen werden kann, daß die Gebiete östlich von Oder und Neiße mit dem Inkrafttreten der Ostverträge aus der recht-lachen Zugehörigkeit zu Deutschland entlassen und der Souveränität der Sowjetunion und Polens endgültig unterstellt worden seien", beziehungsweise daß die ehemaligen deutschen Ostgebiete nach dem Wrschauer Vertrag von 1970 Ausland geworden seien
Diese Kritik an den Schulbuchenpfehlungen schließt nach Meinung des Münchener Ministerialrats keineswegs aus, daß noch einiges, „was den Respekt vor dem polnischen Volke anbetrifft", in bundesdeutschen Geschichtsbüchern getan werden könnte. So sollten neben der Würdigung der großen kulturellen Leistungen Polens in der europäischen Geistesgeschichte auch Ereignisse „wie die Türken-abwehr durch Johann III. Sobieski und das Unrecht der polnischen Teilungen von 1772, 1793 und 1795" noch deutlicher ins Bewußtsein der westdeutschen Schüler gebracht werden
Denn — so Holzbauer — „welcher deutsche Schüler erfährt schon etwas vom Koscinsko-Aufstand im Jahre 1794, vom Novemberaufstand 1830, von der Polenbegeisterung des liberalen Europa im 19. Jahrhundert? Wann liest man schon eines der vielen „Polenlieder" von Freiligrath und Uhland? Und dabei gibt es in der ganzen europäischen Geschichte kaum etwas Beeindruckenderes als den Mut, den nationalen Behauptungswillen und die Freiheitsliebe des polnischen Volkes"
Dieses unterrichtliche Defizit sucht man im übrigen in Bayern durch ein verstärktes Angebot an Osteuropakunde in den Schulen abzubauen. Diesem Anliegen dienen pädagogische Fachtagungen der „Landesarbeitsgemeinschaft für Ostkunde im Unterricht" oder der „Sudetendeutschen Erziehergemeinde" wie auch ein in diesem Schuljahr 1977/78 durchgeführter Schülerwettbewerb „Die Deutschen und ihre östlichen Nachbarn", in welchem nach dem Polenkönig Johann III. Sobieski oder der Schlacht bei Liegnitz ebenso gefragt wird wie nach Veit Stoß oder Nikolaus Kopernikus. Darüber hinaus überzeugen sich die Schulaufsichtsbehörden bei ihren Visitationen von der Pflege osteuropakundlicher Bildungs-und Unterrichtsinhalte und wird bei der Erarbeitung der curricularen Lehrpläne wie bei der Zulassung von Lehr-und Lernmitteln darauf geachtet, daß der europäische Osten entsprechend berücksichtigt wird. Dabei wird empfohlen, das Erfahrungswissen der Vertriebenen, Flüchtlinge und Spätaussiedler zu nutzen, kennen sie doch auf Grund ihrer Herkunft die osteuropäischen Länder weitaus besser als die westdeutschen Einheimischen und wissen auch um die Möglichkeiten friedlichen Zusammenlebens mit den östlichen Nachbarn, deren Sprachen sie großen Teils sprechen und deren Lebensgewohnheiten sie kennen.
Daß diese Menschen nicht „alte Kämpfer der Vertriebenenverbände" sind, die „alte Wunden unserer Landsleute aus dem Osten unverändert offenhalten" wollen, wie Kritiker der bayerischen Ostkunde und Befürworter der deutsch-polnischen Schulbuchempfehlungen meinen erhellt nicht zuletzt auch die Tatsache, daß die Heimatvertriebenen im Jahre 1950 — also ein Vierteljahrhundert vor Verabschiedung der deutsch-polnischen Schulbuchempfehlungen — in ihrer feierlichen Stuttgarter Erklärung auf Rache und Vergeltung für das ihnen angetane Unrecht verzichtet haben.
Auf diesen Umstand weist man auch im Münchener Kultusministerium hin, wenn man sich gegen die Unterstellung wehrt, mit der Ablehnung der Schulbuchempfehlungen mangelnde Friedensliebe und Versöhnungsbereitschaft an den Tag zu legen.
Daß unter Umständen auch die wiederholte Beschwörung des „Geistes des Warschauer Vertrages vom 7. Dezember 1970" in den Abschluß-Kommuniques der deutsch-polnischen Schulbuchkonferenzen die Haltung der bayerischen Kulturpolitiker gegenüber den Schulbuchempfehlungen negativ beeinflußt hat, kann nicht ganz ausgeschlossen werden, gehört doch die Münchener Staatsregierung zu den entschiedensten Gegnern der Ostpolitik der Bonner sozial-liberalen Koalition.
Für eine teilweise politisch motivierte Ablehnung der deutsch-polnischen Schulbuchempfehlungen spricht auch die eine oder andere vergröbernde Pauschalverurteilung, wie sie aus dem weiß-blauen Freistaat vereinzelt zu hören ist.
So äußerte sich im Juni 1976 ein prominenter Landtagsabgeordneter der Christlich-Sozialen Union wörtlich über die vorliegenden Empfehlungen: „Ich meine, wenn tatsächlich die Empfehlungen der deutsch-polnischen Schulbuchkonferenz in den Lehrstoff unserer Schulen eingehen sollten, wenn unsere Kinder nur noch von . Bevölkerungsverschiebungen zur ethnischen Abrundung staatlicher Grenzen’ zu hören bekämen, statt von brutaler Austreibung aus blindwütigem ideologischen und nationalen Haß, dann wird Geschichtsfälschung zum Unterrichtsfach."
In Übereinstimmung mit einer Stellungnahme des bayerischen Kultusministeriums fügte er hinzu: „Ich halte es in der Tat für einen Dienst an der Wahrheit, wenn sich Kommissionen von Wissenschaftlern ehrlich bemühen, die Schulbücher von Vorurteilen zu befreien. Aber offenbar hat man bisher versäumt, die besonders sachund sprachkundigen Fachleute aus den Kreisen der Heimat-vertriebenen zu beteiligen. Sie sind es doch in wesentlichen, die die Mentalität, die Empfindungen der Menschen in Osteuropa und die tieferen Zusammenhänge am ehesten kennen und im wahrsten Sinne des Wortes eine Brückenfunktion zur Verständigung bilden können" — eine Ansicht, die man zwischen Main und Alpenland immer wieder antrifft.
Sie dürfte besonders vor dem Hintergrund zu verstehen sein, daß in Bayern über 2, 4 Millionen Vertriebene, darunter immer noch 1, 281 Millionen sogenannte „Erlebnisträger" leben und in der christlich-sozialen Mehrheitspartei einen nicht unbedeutenden Einfluß haben.
Auch aus der Übernahme der Schirmherrschaft über die sudetendeutsche Volksgruppe durch die bayerische Staatsregierung mag sich ein dezidierte. es Eintreten des Freistaates Bayern für die ostpolitischen Vorstellungen der Vertriebenenverbände erklären. Die „Vereinigten Landsmannschaften und Landesverbände" im „Bund der Vertriebenen" (BdV) haben sich bekanntlich kritisch gegen die deutsch-polnischen Schulbuchempfehlungen — insonderheit gegen die Schulbuchempfehlungen zur Nachkriegsgeschichte (= Empfehlungen 21—26) — ausgesprochen, wie eine Schrift von Hans Neuhoff und Hans-Günther Parplies aus dem Jahre 1976 ausweist Einzelne Schulbuchempfehlungen stoßen auch bei sozialdemokratischen Landespolitikern auf Bedenken. So nannte der bayerische Alt-Ministerpräsident Prof Dr. Wilhelm Hoegner (SPD) „die Vertreibung so vieler unschuldiger Menschen aus ihrer Heimat" ein himmel-schreiendes Unrecht" und konnte sich nicht mit der in „Empfehlung Nr. 22" verwendeten Vokabel „Bevölkerungsverschiebung" oder „Zwangsumsiedlung" anfreunden. Und ein parteiloses Mitglied des „Ostkundebeirates" beim bayerischen Kultusministerium meinte: „Nun sollen wohl die Ostdeutschen ein zweites Mal vertrieben werden, erst aus ihrer Heimat und jetzt aus den deutschen Schulbüchern; da machen wir in Bayern nicht mit."
Baden-Württemberg Ablehnend gegenüber den Empfehlungen der deutsch-polnischen Schulbuchkommission verhält sich auch das Land Baden-Württemberg.
Sein Kultusminister, Prof. Dr. Wilhelm Hahn, brachte dies in einem Schreiben vom 29. April 1977 zu einem Antrag des SPD-Landtagsabgeordneten Günter Moser, die „Geschichtsund Geographiebücher sowie Atlanten für den Schulunterricht nur dann anzuerkennen, wenn die Empfehlungen der deutsch-polnischen Schulbuchkommissionen berücksichtigt worden sind", zum Ausdruck. Darin stellt Wilhelm Hahn namens der baden-württembergischen Landesregierung fest: „Es ist also sichergestellt, daß Schulbücher, die nicht unter anderem , zur Brüderlichkeit aller Menschen und zur Friedesliebe', zur , Liebe zu Volk und Heimat, zu sittlicher und politischer Verantwortlichkeit'hinführen, nicht zugelassen werden. Dies gilt auch für Schulbücher, die der Normalisierung der Beziehungen zwischen der deutschen und der polnischen Nation nicht förderlich wären."
Mit diesem Hinweis wollte der Stuttgarter Kultusminister deutlich machen, daß die bisher unter seiner Verantwortung geübte Praxis der Lehrund Lernmittelzulassung schon immer einen Beitrag zur Normalisierung deutsch-ausländischer Beziehungen darstellte und nicht erst des Anstoßes durch die deutsch-polnische Schulbuchkommission bedurft habe. Die Berücksichtigung der deutsch-polnischen Schulbuchempfehlungen waren nämlich in dem SPD-Antrag des Abgeordneten Günter Moser als ein „wesentlicher Beitrag zur Normalisierung der beiderseitigen Beziehungen" bezeichnet worden. * Im weiteren Verlauf seiner Antwort auf den sozialdemokratischen Antrag führte der baden-württembergische Kultusminister aus: „Den in dem Antrag genannten Empfehlungen der sogenannten deutsch-polnischen Schulbuchkommission kommt keinerlei amtlicher Charakter zu. Diese Kommission ist nicht von amtlicher Seite eingesetzt, sondern eine selbständige Vereinigung von Wissenschaftlern. Die Landesregierungen sind aber frei, inwieweit sie die Empfehlungen zur Grundlage der Schulbuchzulassung machen wollen."
Nach diesen allgemeinen Feststellungen über die Kulturhoheit der Länder und die amtliche Unverbindlichkeit der Schulbuch-empfehlungen, wie sie auch schon in Mainz und München betont worden ist, begründet Wilhelm Hahn die ablehnende Haltung seines Ministeriums: „Gegen einen Teil der Empfehlungen bestehen erhebliche inhaltliche Bedenken. Dies gilt vor allem für die Empfehlungen der 6. und 8.deutsch-polnischen Schulbuchkonferenz, die die Zeit nach 1945 behandeln. Sie enthalten eine beträchtliche Zahl von Einseitigkeiten und Verharmlosungen; außerdem bleiben wichtige Zusammenhänge unerwähnt. Das Kultusministerium ist der Auffassung, daß anstelle eines vorschnellen Zudeckens vorhandener Unvereinbarkeiten zunächst eine nüchterne Bestandsaufnahme der Verfehlungen und Leistungen auf beiden Seiten hätte stehen müssen. Aus den genannten Gründen könnte das Kultusministerium nur unter der Voraussetzung einer grundlegenden Überarbeitung der vorliegenden Empfehlungen in den entsprechenden Gremien der Kultusministerkonferenz für deren Realisierung eintreten."
Ohne die Vorbehalte im einzelnen zu spezifizieren, teilt Baden-Württemberg demnach 1 weitgehend die Bedenken von Bayern und Rheinland-Pfalz gegen die deutsch-polnischen Schulbuchempfehlungen.
Statt sich um eine „grundlegende Überarbeitung" dieser Schulbuch-Absprachen zu mühen, konzentriert sich das baden-württembergische Kultusministerium im Verein mit dem Innenministerium auf anderweitige osteuropakundliche Aktivitäten wie Lehrerfortbildungsveranstaltungen, Studienfahrten in osteuropäische Länder und ostkundliche Schüler-Wettbewerbe, die in diesem Jahr schon zum vierten Male stattfinden und die in Bayern und Niedersachsen entsprechende Nachahmungen gefunden haben. Durch solche osteuropakundliche Bildungsmaßnahmen glaubt man in Stuttgart — ohne die Übernahme der deutsch-polnischen Schulbuchempfehlungen — seinen Beitrag zu besseren deutsch-slawischen Beziehungen zu leisten und empfindet sich mit dieser Haltung „in keinster Weise als Störenfried einer deutsch-polnischen Verständigung, sondern eher als Wegbereiter einer ehrlichen Aussöhnung zwischen Deutschen und Polen", wie es ein führender Vertreter der „Landesarbeitsgemeinschaft für Ostkunde im Unterricht" formulierte.
Hessen Im Gegensatz zu Baden-Württemberg hält es Hessen nicht für erforderlich, die vorgelegten 26 deutsch-polnischen Schulbuchempfehlungen nochmals grundlegend zu überarbeiten, bevor sie in Lehrbuch und Unterricht realisiert werden dürfen, vielmehr könnten sich Lehrer, Schulbuch-Autoren und Gutachter schon jetzt Gedanken darüber machen, wie sie die Schulbuch-Vereinbarungen in ihre Unterrichtsmaterialien übernehmen wollen.
Kultusminister Hans Krollmann kündigte bereits Ende Januar 1976 vor dem Wiesbadener Landtag an, er werde die „Empfehlungen zur Zeitgeschichte" — genau wie sein Amtsvorgänger von Friedeburg die Absprachen aus dem Jahre 1972 — im hessischen Amtsblatt bekanntmachen, wenn auch „wegen ihres nicht-staatlichen Charakters im nichtstaatlichen Teil dieses Amtsblattes", wie er einschränkend hinzufügte
Nach Krollmanns Verständnis handelt es sich bei den deutsch-polnischen Schulbuchempfehlungen nicht um „amtliche Sprachregelungen", die von den westdeutschen Kultusverwaltungen förmlich übernommen werden müßten oder gar die Unterrichtsbehörden bänden, sondern um Vorschläge, wie man im Geschichtsunterricht gegensätzliche Standpunkte objektivieren könnte. Der hessische Kultusminister sieht die deutsch-polnischen Schulbuchkonferenzen in der Nachfolge der früheren deutsch-französischen Schulbuch-Gespräche und verspricht sich von ihren Ergebnissen einen ebensolchen Beitrag zur Verbesserung der gegenseitigen staatlichen Beziehungen, wie er zum westlichen Nachbarn längst erreicht worden sei. Dabei räumt er ein, daß es mit dem französischen Partner ungleich leichter war, sich auf die geschichtliche Wahrheit zu verständigen, als dies heute mit der regierungsoffiziösen Warschauer Delegation möglich sei. Das Ergebnis der Verhandlungen sei darum nicht selten nur eine Kompromißformel, wie etwa die Empfehlung zur Frage der „territorialen Veränderung" (Nr. 21), in der es in mühsamen Wendungen heißt: „Die Anerkennung der polnischen Administration durch die Westalliierten bedeutete nach deren Auffassung mit zunehmendem zeitlichen Abstand von der Konferenz (von Potsdam) noch keine völkerrechtlich definitive Anerkennung der Grenzlinie."
Kultusminister Hans Krollmann nimmt in seiner Stellungnahme ausdrücklich auf dieses Beispiel Bezug, wenn er feststellt: „Man merkt die Mühe um den Kompromiß; man merkt aber auch, daß diese Formulierung durchaus eine Annäherung der Standpunkte beinhaltet; denn es geht ja gerade um die polnische Behauptung, eine völkerrechtlich definitiv geregelte Westgrenze zu haben . .
Und zu der von den Kritikern der Schulbuchempfehlungen so sehr beanstandeten Vokabel „Transfer" statt Vertreibung führte der hessische Kultusminister aus: „Wissen Sie denn nicht, woher das Wort . Transfer'kommt? Das kommt aus einem Vertrag, den unsere Westalliierten mit der Sowjetunion abgeschlossen haben. Diese Schönung von Sprache ist nichts, was Sie denen vorwerfen könnten, die hier die Kommission besetzt haben . . ." Dann gibt Kultusminister Krollmann zu bedenken: „Man kann darüber philosophieren, ob es nicht grausam ist, ob es nicht geradezu unmenschlich ist, Sprache dazu zu verwenden, um menschliches Leid zu übertünchen. Aber es ist für einen Historiker völlig unmöglich, einfach nicht zur Kenntnis nehmen zu wollen, daß eben diese sprachlichen, vertraglichen Fakten gesetzt worden sind"
Auf Vorhaltungen von CDU-Landtagsabgeordneten, welche die Stellungnahme des Kultusministers durch ihren Antrag, „die umstrittenen Empfehlungen der 8.deutsch-polnischen Schulbuchkonferenz für das Land Hessen nicht zu übernehmen", erst veranlaßt hatten, betonte Hans Krollmann wiederholt, daß er das, „was sich bei der Vertreibung aus den jetzt polnisch administrierten Gebieten abge-spielt hat", nicht verniedlichen oder herunter-reden wolle
Auf der anderen Seite mahnte auch der Minister: „Was wir allerdings tun müssen — dieses ist auch ein Gegenstand der Empfehlungen; das ist ihr Hintergrund —, ist die polnische Seite der Sache ebenfalls darzustellen", um dann freimütig zu bekennen, „daß wir aus unserer Sicht durchaus Defizite in der Darstellung der polnischen Seite haben" und daß diese Defizite aufgearbeitet werden müßten. Dies war in den Augen Hans Krollmanns auch „die Intention derer, die an diesen Empfehlungen gearbeitet haben, insonderheit auf deutscher Seite"
Seine Stellungnahme nochmals verdeutlichend, schloß der hessische Kultusminister seine Antwort auf den CDU-Antrag mit den Worten: „Dies alles in allem genommen und weiterhin noch einmal betonend, daß es sich hierbei nicht um eine für mich als Kultusminister oder für irgendeinen, der in dieser Frage arbeitet, verbindliche amtliche Empfehlung handelt, sondern um ein Papier, das aus sich selbst heraus zu beachten ist, mit dem man sich auseinanderzusetzen hat, kann ich nur noch einmal unterstreichen, daß ich dieses Papier so behandeln werde wie frühere Empfehlungen. Ich möchte die Hoffnung zum Ausdruck bringen, daß es uns gelingt, über diese Fragen gerade mit Bezug auf die Schule zu einer sachlichen Diskussion zu kommen."
Im Gegensatz zu seinen CDU/CSU-Amtskolle-gen in Mainz, München und Stuttgart hält der Wiesbadener Kultusminister also die verabschiedeten deutsch-polnischen Schulbuchempfehlungen für annehmbare Kompromißformeln, die geeignet sind, das deutsch-polnische Verhältnis positiv zu beeinflussen.
Nordrhein-Westfalen Unterstützt wird er in dieser Bewertung der umstrittenen Schulbuch-Absprachen von seinem nordrhein-westfälischen Ressortkollegen und Parteifreund Jürgen Girgensohn. Dieser ließ auf eine Kleine Anfrage seines sozialdemokratischen Fraktionsgenossen Reinhard Grätz nach Möglichkeiten, um „einen zeitgemäßen Geschichtsunterricht zu gewährleisten und eine baldige Umsetzung der Konferenzbeschlüsse (der deutsch-polnischen Schulbuch-kommission) zu erreichen", am 3. Mai 1976 mitteilen, daß die „Landesschulbuchkommission Politische Bildung", die im Auftrag seines Ministeriums Lernmittel für die Fächer Geschichte, Politik und Erdkunde prüft, „alle Empfehlungen der deutsch-polnischen Schulbuchkonferenz erhalten hat" und sie auf seine Weisung hin „gebührend" zu berücksichtigen und auszuwerten habe. Allerdings habe er auch „sichergestellt, daß sie nicht unkritisch verwertet werden"
Damit schränkte Minister Girgensohn die ihm von seinem Parteifreund zugedachte Verantwortung, „eine baldige Umsetzung der Konferenzbeschlüsse zu erreichen", bemerkenswert ein, wie man auch schon vorher im Hessischen Landtag vereinzelt Koalitionsabgeordnete hatte vorbehaltloser über die deutsch-polnischen Schulbuchempfehlungen sprechen hören als den verantwortlichen Ressortminister. überhaupt enthalten sich die ministeriellen Äußerungen in ihrem sachbezogenen Teil weitgehend parteipolitischer Wertungen — eine Praxis, die vom Münchener Salvatorplatz über Saarbrücken bis zum Bremer Senat zu beobachten ist •—, wobei sich die Haltung des saarländischen Kultusministeriums großenteils mit der Auffassung des baden-württembergischen und des niedersächsischen deckt, wie sich die Einstellung des bremischen Ressortchefs zur Verwertbarkeit der Schulbuch-empfehlungen und jene des Hamburger Kultursenators auch wiederun weitgehend entsprechen.
Diese unterschiedlichen Bewertungs-Kongruenzen lassen aber gleichwohl erkennen, daß die deutsch-polnischen Schulbuchempfehlungen nicht ganz von der tagespolitischen Auseinandersetzung zu trennen sind, und das nicht allein deswegen, weil sich an ihnen junge Landespolitiker profilieren wollen, sondern auch wegen eines Passus’ im Kommunique über die zweite deutsch-polnische Schulbuchkonferenz vom April 1972, in dem der „Geist des Warschauer Vertrages" vom 7. Dezember 1970" beschworen wurde.
Schleswig-Holstein Die Gegner der Bonner Ostvertragspolitik sahen daher in dem vom Gründer des Braunschweigischen Internationalen Schulbuchinstituts, Georg Eckert, auf den Weg gebrachten Unternehmen der deutsch-polnischen Schulbuchgespräche nicht nur einen wissenschaftlichen Gedankenaustausch von Histori-kern, Politologen und Geographen, sondern auch eine Parallelveranstaltung zu der von ihnen kritisierten Vertragspolitik. Entsprechend mißtrauisch verfolgten sie die abwechselnd in der Bundesrepublik und in Polen stattfindenden deutsch-polnischen Begegnungen. Ihr Argwohn wurde noch durch den Umstand verstärkt, daß sie in der deutschen Verhandlungsdelegation kaum einen Vertreter der „Ostdeutschen Historischen Kommission", des „Herder-Forschungsrates" oder des " Instituts für ostdeutsche Kirchen-und Kulturgeschichte fanden, auf der polnischen Seite aber nicht nur einen nationalen Einheitsblock zu erkennen glaubten, sondern auch weisungsgebundene Vertreter der kommunistischen Ideologie, welche ihrerseits wiederum Rücksicht auf den großen Nachbarn im Osten zu nehmen hatten
Diese Besorgnis kam auch in der Stellungnahme des schleswig-holsteinischen Kultusministers Prof. Dr. Walter Braun zu den deutsch-polnischen Schulbuchempfehlungen zum Ausdruck. Auf einen Antrag der SPD-Fraktion im schleswig-holsteinischen Landtag vom 28. Juni 1977, in welchem die Kieler Regierung aufgefordert wird, „bei der Entscheidung über die Zulassung von Schulbüchern eine angemessene Berücksichtigung der Empfehlungen der deutsch-polnischen Schulbuchkommission nicht weiter zu verzögern und die Schulbuch-empfehlungen als einen Beitrag zur Versachlichung der Darstellung der deutsch-polnischen Beziehungen von ihren Anfängen bis heute zu würdigen" führte er u. a. in der Landtagssitzung vom 20. September 1977 aus: „Unverzichtbare Voraussetzung (für Gespräche zwischen Experten über Inhalte von Schulbüchern) ist, daß die Ergebnisse wissenschaftlich gesichert sind, mit unseren Rechtsgrundlagen übereinstimmen und pädagogisch vertretbar sind. Solche Expertengespräche fallen eindeutig in den Zuständigkeitsbereich der Wissenschaft. In ihnen kommt entsprechend Artikel 5 des Grundgesetzes unsere Auffassung von einer freien, ungebundenen und allein der Wahrheitsfindung verpflichtenden Wissenschaft zum Tragen. Aussagen aus solchen Gesprächen müssen den Ansprüchen wissenschaftlicher Exaktheit, Begründbarkeit und Nachprüfbarkeit standhalten. Im deutlichen Widerspruch zu dieser Wissenschaftsauffassung steht das materialistische Wissenschaftsverständnis, das Wissenschaft als Rechtfertigungslehre in den Dienst von Ideologie und Politik stellt. . . Die Schwierigkeit, angesichts grundlegend verschiedener Wissenschaftsauffassungen zu objektiv zutreffenden Aussagen zu kommen, liegt auf der Hand. Verständnis habe ich daher für Vorschläge, die darauf abzielen, die unterschiedlichen Standpunkte nebeneinanderzustellen ..
Nach dem Wissenschaftsverständnis des schleswig-holsteinischen Kultusministers dürfen Darstellungen bestimmter geschichtlicher Zeitabschnitte nichts Wesentliches verschweigen. In seinen Augen muß sowohl das große Leid genannt werden, das dem polnischen Volke zugefügt wurde, als auch Erwähnung finden, was Millionen vertriebener Deutsche erduldet haben.
Auf die konkreten Formulierungen in den Schulbuchempfehlungen eingehend, meinte der Kieler Ressorchef: „Mit einer Reihe inhaltlicher Aussagen oder Empfehlungen kann die Landesregierung keinesfalls einverstanden sein, zeigen doch gerade hier die gefundenen Kompromißformeln und Auslassungen die Grenzen auf, die einer Verständigung noch gezogen sind. In den . Empfehlungen'können die tatsächlichen Massenvertreibungen auf gar keinen Fall — wie es heißt — . Bevölkerungsverschiebungen', , Zwangsumsiedlungen'oder . Transfer'genannt werden. Die jeweilige Verwendung der Begriffe . zwei deutsche Staaten'und .deutsche Zweistaatlichkeit'in den Empfehlungen darf so von uns nicht hingenommen werden. Die Rolle der Sowjetunion, die sowohl für die Entwicklung an der polnischen Ost-wie auch an der polnischen Westgrenze sowie für die deutsch-polnischen Beziehungen von größter Bedeutung ist, darf nicht ausgeklammert werden."
Als bislang neuen Gesichtspunkt in der Diskussion um die Verwertbarkeit der deutsch-polnischen Schulbuchempfehlungen führt der schleswig-holsteinische Kultusminister die Überlegung ein, daß bei einer Übernahme der vorgelegten Absprachen unter Umständen die Notwendigkeit eintreten könnte, „daß einer Vielzahl der von anerkannten Schulbuch-verlagen auf dem deutschen Schulbuchmarkt angebotenen und bewährten Schulbücher für den Geschichtsunterricht die Genehmigung für den Schulunterricht verweigert werden müßte", da sie den Tatbestand der Vertreibung noch beim Namen nennen oder die Rechtsvertretung des Deutschen Reiches durch die Bundesrepublik Deutschland beschreiben Ähnlich wie seine Kollegen in München, Mainz und Stuttgart unterstrich auch der Kieler Kultusminister die Notwendigkeit eines Gedankenaustausches zwischen deutschen und polnischen Experten, um zu einem besseren gegenseitigen Verständnis zu kommen. Er verwies in diesem Zusammenhang auch auf einschlägige Programme seiner Regierung, deutsch-polnische Begegnungen zu fördern, wie auf einen Beschluß der Kultusminister-konferenz vom 16. September 1977, in welchem einstimmig festgelegt wurde, Treffen zwischen Vertretern polnischer Schulbuch-verlage und deutschen Schulbuchverlegern sowie den Vorsitzenden deutscher Lehrerverbände und sonstiger Institutionen anzuregen und zu unterstützen.
Niedersachsen Eine Mittelstellung zwischen Ablehnung und vorbehaltloser Übernahme der deutsch-polnische Schulbuchempfehlungen nimmt das Land Niedersachen ein. Sein Kultusminister Dr. Werner Remmers erklärte am 12. Mai 1977 vor dem niedersächsischen Landtag, daß sich seine Regierung geweigert habe, in den Chor derjenigen einzustimmen, welche die Ergebnisse der Bemühungen der deutsch-polnischen Schulbuchkonferenzen grundsätzlich ablehnen, aber auch nicht bereit sei, „die Vorbehalte gegen diese Schulbuchempfehlungen, die von der Sache her begründet sind, zu verschweigen oder gar aufzugeben" In seinen Augen können die deutsch-polnischen Schulbuch-Vereinbarungen als „ein Beitrag zur Versachlichung der Darstellung der Nach-kriegsgeschichte in den Schulbüchern gewertet werden", zumal sie von dem Willen zur Verständigung und von dem Wunsch geprägt seien, den Weg zur Versöhnung zwischen dem deutschen und dem polnischen Volk zu ebnen. Sie legten aber gleichzeitig auch ein Zeugnis von den Grenzen ab, „die auch heute noch der Verständigung gezogen sind" So habe die Niedersächsiche Landesregierung ihr Bedauern darüber auszusprechen, „daß durch die undifferenzierte Verwendung der Begriffe . zwei deutsche Staaten’ und .deutsche Zwei-staatlichkeit'die Besonderheit der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR als Teilen eines noch immer existierenden Staates Gesamtdeutschland mit einem einheitlichen Staatsvolk nicht hinreichend deutlich wird". Außerdem müsse bemängelt werden, daß die Rolle der Sowjetunion in ihren Auswirkungen auf das deutsch-polnische Verhältnis in den Empfehlungen ausgespart worden sei. In beiden Fällen haben nach Werner Remmers'Meinung die Aussagen des Bundesverfassungsgerichts zum Problem der zwei Staaten in Deutschland wie auch die von der Fachwissenschaft erarbeiteten Erkenntnisse über die Rolle der Sowjetunion in den deutsch-polnischen Beziehungen „zumindest den gleichen Stellenwert wie die Schulbuchempfehlungen"
Wörtlich meinte der niedersächsische Kultusminister „Man wird in bezug auf diese beiden Problembereiche nicht nur zulassen, sondern geradezu fordern müssen, daß Schulbuchverleger bzw. Autoren über das in den Schulbuch-empfehlungen Gesagte hinausgehen. Schulbuchautor und Lehrer werden aber auch dort über die Formulierungen der Schulbuchempfehlungen hinausgehen müssen, wo man ihnen in der Sache zustimmen kann. Man wird sich doch nicht, um nur ein Beispiel zu nennen, mit dem Satz begnügen dürfen: , Der größte Teil der in den Oder-Neiße-Gebieten verbliebenen deutschen Bevölkerung wurde in den Jahren 1945 bis 1947 ausgewiesen bzw. im Rahmen des interalliierten Transferabkommens zwangsausgesiedelt'. Hier wird man nicht nur erwarten dürfen, sondern sogar müssen, daß Lehrbuchautor und Lehrer sich bemühen, den Schülern zu verdeutlichen, was alles an menschlicher Erfahrung mit dieser Zwangsumsiedlung verbunden war."
Ausdrücklich möchte Dr. Remmers in diesem Zusammenhang geklärt sehen, daß man einem Lehrbuch bei Annahme der deutsch-polnischen Schulbuchempfehlungen in Zukunft nicht die Genehmigung verweigern dürfe, wenn darin die Vokabel „Zwangsumsiedlung" auch einmal durch die Bezeichnung „Vertreibung" ergänzt wird,'„nur weil von irgendeiner Seite darin ein Verstoß gegen die deutsch-polnischen Schulbuchempfehlungen gesehen werden könnte" Welche Kriteri-en für die Genehmigung von Schulbüchern gelten, sei im niedersächsischen Schulbucherlaß vom 9. September 1976 festgelegt. Danach haben die Lehrbücher die durch unsere Staats-und Gesellschaftsordnung vorgegebenen Grenzen, also die allgemeinen Verfassungsgrundsätze, die gültigen Rechtsvorschriften des Landes, den Bildungsauftrag der Schule und die Forderung nach sachlicher Richtigkeit zu beachten. Im übrigen haben die Verleger und Autoren den der Verfassung gemäßen Freiraum. Kultusminister Remmers hielt es für einen schwerwiegenden Präzedenzfall, wenn man mit bindender Übernahme der deutsch-polnischen Schulbuchempfehlungen für einzelne Schulfächer, in diesem Falle sogar für bestimmte Stoffgebiete, zusätzliche Festlegungen vornähme. Ein solches Verfahren könnte seiner Meinung nach einerseits eine Fülle ähnlicher Forderungen nach sich ziehen, auf der anderen Seite aber auch als eine unzulässige Einschränkung der Lehr-und Meinungsfreiheit angesehen werden.
Entsprechend bat er, einen eingereichten Entschließungsantrag der SPD-Landtagsfraktion zur Schulbuch-Revision, in welchem die niedersächsische Landesregierung aufgefordert wurde, die Berücksichtigung der Ergebnisse der deutsch-polnischen Schulbuchkonferenzen zur Voraussetzung für die zukünftige Anerkennung entsprechender Teile von Geschichts-und Geographiebüchern bzw. Atlanten für den Unterricht an niedersächsischen Schulen zu machen und sich in den zuständigen Gremien der Kultusministerkonferenz für die Umsetzung dieser Empfehlungen einzusetzen, abzuändern bzw. neu zu formulieren
Diesem Wunsche folgte die Landtagsmehrheit und verabschiedete schließlich am 27. Oktober 1977 eine Entschließung, in welcher es heißt: „Die Landesregierung wird aufgefordert, 1. bei der Genehmigung von Geschichtsund Geographiebüchern sowie von Atlanten für den Unterricht an niedersächsischen Schulen auch zu prüfen, ob die deutsch-polnischen Schulbuchempfehlungen angemessen berücksichtigt worden sind, 2. sich in den entsprechenden Gremien der Kultusministerkonferenz dafür einzusetzen, daß die anderen Bundesländer bei der Genehmigung von Geschichts-und Geographie-büchern sowie von Atlanten ebenso verfahren, und über diesbezügliche Bemühungen dem Landtag zu berichten, 3. die deutsch-polnischen Schulbuchempfehlungen in geeigneter Weise den Schulen zugänglich zu machen."
Mit der Annahme dieser Entschließung knüpft das Niedersächsische Kultusministerium weitgehend wieder an die Praxis der Jahre 1972 und 1973 an. Damals wurden die 14 Empfehlungen der ersten deutsch-polnischen Schulbuchkonferenz und die 17 Absprachen der Nachfolgetreffen im „Schulverwaltungsblatt für Niedersachsen" veröffentlicht Zunächst schien eine Veröffentlichung der Empfehlungen zur Zeitgeschichte nicht vorgesehen. Diese Absicht dürfte durch die Verabschiedung der zitierten Entschließung des niedersächsischen Landtages fallengelassen worden sein.
Saarland und West-Berlin Eine ähnliche, bedingte Zustimmung zu den deutsch-polnischen Schulbuchempfehlungen . ist auch im saarländischen Kultusministerium und beim Senator für Schulwesen in West-Berlin festzustellen. Während in Saarbrücken die bekannten Vorbehalte gegen bestimmte Aussagen der „Empfehlungen zur Zeitgeschichte"
hervorgehoben werden, aber die gute Absicht der Konferenz-Teilnehmer ausdrücklich anerkannt wird, betont der Berliner Schulsenator in einem Brief an alle Schulen, schulpraktischen Seminare, Schulaufsichtsbeamten, Bezirksstadträte für Volksbildung, an die Beiräte für Deutsch, Geschichte, Erdkunde, Sozialkunde und Weltkunde, Politische Weltkunde und das Pädagogische Zentrum:
„Hinsichtlich der Empfehlungen bitte ich zu beachten, daß es sich hierbei nicht um amtliche Sprachregelungen, sondern um Empfehlungen handelt, wie im Unterricht zu einer Versachlichung unterschiedlicher Standpunkte und zu einem Verständnis der Interessenlage des anderen beigetragen werden kann." Mit der Übersendung der kompletten „Empfehlungen für Schulbücher der Geschichte und Geographie in der Bundesrepublik Deutschland und in der Volksrepublik Polen", wie diese Absprachen offiziell heißen, schreibt der Berliner Schulsenator an die Adressaten: „Ich empfehle, im gegebenen Zusammenhang die (Empfehlungen der gemeinsamen deutsch-polnischen Schulbuchkommission selbst zum Unterrichtsgegenstand zu machen, um — an ihnen Möglichkeiten und Grenzen der Zusammenarbeit von Wissenschaftlern unterschiedlicher Gesellschaftssysteme aufzuzeigen und — zum Abbau von Vorurteilen und zum Verständnis der besonders belasteten deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte beizutragen. "
Hamburg und Bremen Entsprechend wird seitdem in den Schulen West-Berlins verfahren.
Am weitesten kommen die Hansestädte Bremen und Hamburg den Wünschen der gemischten deutsch-polnischen Schulbuchkommission entgegen. Werden ihre „Empfehlungen" selbst in den sozialliberal regierten Bundesländern Hessen, Nordrhein-Westfalen und Berlin nur als Anreicherung des Lehrmaterials oder als Beitrag zur deutsch-polnischen Verständigung, aber nicht als verbindliche Sprachregelung betrachtet, stellen sich die Kultusverwaltungen von Hamburg und Bremen fast vorbehaltlos hinter die umstrittenen Schulbuch-Absprachen. So beschied der Hamburger Senat eine parlamentarische Anfrage des SPD-Fraktionsvorsitzenden Ulrich Hartmann, welche Maßnahmen er denn getroffen habe, um die deutsch-polnischen Schulbuchempfehlungen in den Schulen bekanntzumachen und sie in die in Hamburg vewendeten geschichtlichen und erdkundlichen Lehrbücher Eingang finden zu lassen, mit der Feststellung: „Die Empfehlungen der Deutsch-polnischen Schulbuchkommission sind bereits 1974 im Informationsblatt der zuständigen Behörde abgedruckt worden, das allen Schulen zugeht. Dabei sind die Schulen aufgefordert worden, die Empfehlungen im Geschichtsund Politikunterricht heranzuziehen. Die Lehrplanausschüsse sind angewiesen worden, den Inhalt der Empfehlungen bei der Lehrplanarbeit sinngemäß zu berücksichtigen. Der Präses der zuständigen Behörde hat in Übereinstimmung mit der bisher bereits geübten Praxis die zuständigen Stellen angewiesen, Lehrbücher für den Unterricht an Hamburger Schulen nur zuzulassen, wenn sie dem Geist des Deutsch-Polnischen Kulturabkommens entsprechen und die Empfehlungen berücksichtigen."
Schon knapp zwei Jahre vorher hat der Hamburger Präses der Behörde für Schule, Jugend und Berufsbildung den Verband der Schulbuchverlage ersucht, in Zukunft nur noch Schulbücher anzubieten, die mit den deutsch-polnischen Schulbuchempfehlungen im Einklang stehen
In der Antwort des Senats wird ausdrücklich auf dieses Schreiben hingewiesen und es für weiterhin verbindlich erklärt.
Neben diesen Maßnahmen, zu denen auch die Veröffentlichung der deutsch-polnischen Schulbuchempfehlungen sowie ihre Zuleitung an die entsprechenden Gremien gehören, stellt der Senat von Hamburg auch noch fest, daß den Zielen der deutsch-polnischen Schulbuchkommission und dem Geist des deutsch-polnischen Kulturabkommens vom 11. Juni 1976 noch nicht voll entsprochen ist, „wenn lediglich Geschichts-, Politik-und Erdkunde-schulbücher von . anstößigen'Stellen gesäubert sind — so wichtig das auch sein mag. Denn der Unterricht wird nicht nur durch die Lehrbücher geprägt, sondern in viel höherem Maße durch die Lehrpläne und Lehrer". Entsprechend wurde der Text der Schulbuchempfehlungen der Universität Hamburg zugänglich gemacht, damit er dort in die erste Phase der Lehrerausbildung eingeht, und den Fachseminarleitern am Studienseminar zugeleitet, um sie in der zweiten Phase der Lehrerausbildung Berücksichtigung finden zu lassen, schließlich auch den Dozenten am Institut für Lehrerfortbildung zugestellt, auf daß sie auch'in die dritte Phase der Lehrerbildung, nämlich in die Lehrerweiterbildung, eingehen. Auch den Elternvertretern der einzelnen Schulen wurden die Empfehlungen zugänglich gemacht, so daß sie in Hamburg die weiteste Verbreitung gefunden haben dürften.
Resümee
Zieht man eine Bilanz der kultusministeriellen Stellungnahmen, kann man feststellen, daß sie zunächst die eigene Zuständigkeit für die Genehmigung der Schulbücher übereinstimmend unterstreichen. Damit behalten sie sich auch die letztgültige Entscheidung über die Annahme, Modifizierung oder Ablehnung der vorgelegten deutsch-polnischen Schulbuch-empfehlungen vor. Einigkeit herrscht von München bis Hamburg, von Saarbrücken bis Berlin darüber, daß Deutsche und Polen offen über ihre oft leidvolle Geschichte miteinander sprechen sollen und für eine zeitgerechte Osteuropakunde hierzulande noch viel getan werden könne. Allein strittig sind Stellenwert, Formulierung und praktische Verwertbarkeit der vorgelegten Empfehlungen, wobei sich freilich da und dort — bei Befürwortern wie bei Kritikern der Schulbuch-Absprachen — manche für die Öffentlichkeit getragene Kontroverse bei näherem Zusehen als parteipolitische Aufbauschung herausstellt.
Entkleidet man die gegensätzlichen Stellungnahmen der kontroversen Betrachtungspunkte, läßt sich mit dem schleswig-holsteinischen Kultusminister Braun resümieren: „Die Geschichte des polnischen und des deutschen Volkes ist über die Jahrhunderte hinweg besonders schicksalhaft miteinander verknüpft. Beiden Völkern ist die Aufgabe gemeinsam, sich über das vergangene Geschehen zu verständigen. Es ist selbstverständlich, daß wir uns dem polnischen Volk gegenüber zur menschlichen Versöhnung und zum friedlichen Miteinander bekennen. Darüber bedarf es keiner Aussprache." — Eine Feststellung, die auch an der Weichsel nicht überhört werden sollte.