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Ordnungsmodelle der Erwachsenenbildung. Ein Vergleich der verschiedenen Landesgesetze | APuZ 19/1978 | bpb.de

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APuZ 19/1978 Soziales Lernen im Sachunterricht der Grundschule. Eine Analyse der Richtlinien in den Bundesländern Chancen beruflicher Bildung für Erwachsene Ordnungsmodelle der Erwachsenenbildung. Ein Vergleich der verschiedenen Landesgesetze

Ordnungsmodelle der Erwachsenenbildung. Ein Vergleich der verschiedenen Landesgesetze

Christian Bockemühl

/ 34 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

In einem für die bildungspolitische Gesetzgebung vergleichsweise kurzen Zeitraum sind zwischen 1970 und 1976 in den meisten Bundesländern erstmals Gesetze zur Erwachsenenbildung bzw. zur Weiterbildung in Kraft getreten. Die Landesgesetzgeber haben damit der zunehmenden politischen Bedeutung der Erwachsenenbildung Rechnung getragen und dem noch jungen Recht der Weiterbildung deutlichere Konturen verliehen. Da auch die Erwachsenenbildung inzwischen in den allgemeinen — auch bildungspolitischen — Polarisierungsprozeß in der Bundesrepublik einbezogen wurde, sind die einzelnen Landesgesetze in ihren politischen Aussagen durchaus unterschiedlich ausgefallen. Ein umfassender Vergleich der verschiedenen Gesetze steht bis heute noch aus; lediglich unter Einzelaspekten wurden die Gesetze bisher vergleichend kommentiert. Im vorliegenden Beitrag werden sie unter einem weiteren, allerdings grundlegenden Aspekt miteinander verglichen: den verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Ordnungsmodellen, die aus ihnen abgeleitet werden können.

Einführung

Von einer Abhandlung über die Erwachsenenbildung wird man zunächst einen erziehungswissenschaftlichen oder bildungspolitischen Diskussionsbeitrag erwarten. Auf den ersten Blick mag deshalb die Verwendung des Begriffs „Ordnungsmodelle" im Titel einer solchen Abhandlung überraschen. Dieser Terminus legt den Gedanken nahe, als werde es sich im folgenden um ordnungspolitische Überlegungen handeln, über die im allgemeinen nur unter Nationalökonomen oder auch unter Politik-und Sozialwissenschaftlern diskutiert wird — etwa über Ordnungspolitik im Sinne eines freien, vom Markt diktierten oder aber im Sinne eines durch stärkeren staatlichen Interventionismus gekennzeichneten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens. In genau diesem Sinne soll jedoch hier über Erwachsenenbildung gesprochen werden; daher besitzt die Überschrift durchaus ihre sachliche Berechtigung. Denn — soviel sei bereits an dieser Stelle vorweggenommen — tatsächlich werden hinter den verschiedenen Gesetzen zur Erwachsenenbildung bzw. Wei-terbildung von denen im folgenden die Rede sein soll, sehr unterschiedliche politische Grundpositionen und Vorstellungen von der Ordnung dieses Bildungsbereichs erkennbar, die weithin mit den entsprechenden Ordnungsvorstellungen der jeweiligen Landesge-setzgeber in anderen Bereichen korrespondieren. Und wer Bildungspolitik als einen wesentlichen Teil der Gesellschaftspolitik begreift und diese wiederum nur in engem Zusammenhang mit wirtschaftspolitischen Ordnungsvorstellungen zu sehen vermag, dem wird einleuchten, daß auch der ständig bedeutsamer werdende Bereich der Erwachsenenbildung durchaus — neben pädagogischer Aspekten selbstverständlich — immer intensiver auch unter ordnungspolitischen Gesichtspunkten diskutiert werden muß, zumal vor ihnen erhebliche Rückwirkungen auch auf die pädagogische Praxis ausgehen können. Allerdings ist einzuräumen, daß pädagogische und — im engeren Sinne — bildungspolitische Überlegungen verständlicherweise die bisherige Diskussion über Theorie und Praxis der Erwachsenenbildung beherrschen mußter und ebenso begreiflicherweise auch in Zukunft im Vordergrund stehen müssen. Ordnungspolitisch ist über Erwachsenenbildung bisher nur sporadisch und niemals systematisch diskutiert worden auch die folgender Ausführungen können lediglich den Versuch darstellen, zumindest einige nicht unwesentli ehe Aspekte dieses Themenkomplexes sicht bar zu machen. Gerade der hier angestrebte Vergleich der Gesetze legt jedoch den Gedanken nahe, an die Erwachsenenbildung auct einmal nach ordnungspolitischen Kategorier heranzugehen laß über Erwachsenenbildung erst in jüng-ter Zeit, zumindest ansatzweise, unter dem Gesichtspunkt ihrer ordnungspolitischen Po-itionen hinter den einzelnen Konzeptionen on Erwachsenenbildung gesprochen wird, at historische Gründe. Erst seit Ende der echziger /Anfang der siebziger Jahre ist iie Erwachsenenbildung — wenigstens in er Bundesrepublik Deutschland — endgültig in das wissenschaftliche, öffentliche und 'or allem bildungspolitische Interesse getre-en. Davon zeugen insonderheit mehrere Plaungsgutachten auf Bundes-und Länderebe-te die die Erwachsenenbildung erstmals in en Prozeß der gesamten Bildungsplanung inbezogen wissen wollen, insbesondere je-loch, die Tatsache, daß allein in dem auffal-end kurzen Zeitraum zwischen 1970 und 1976 um ersten Mal in acht Bundesländern Gesete zur Erwachsenenbildung in Kraft getreten lind, nachdem bis dahin nur Nordrhein-Westalen über ein vergleichbares Vorläufergesetz ius dem Jahre 1953 verfügt hatte Diese Entwicklung macht es verständlich, wenn die hier zur Debatte stehenden Gesichtspunkte erst seit kurzem in die allgemeine Diskussion über die Erwachsenenbildung einzufließen beginnen.

Eine Einschränkung ist an dieser Stelle allerdings vonnöten: Selbstverständlich haben hinter allen Konzeptionen in der mehr als einhundertjährigen Geschichte der deutschen Erwachsenenbildung sehr konkrete und reale politische Ordnungsvorstellungen gestanden. Erwachsenenbildung ist schon immer — und jeweils höchst unterschiedlich — politisch legitimiert worden. Die deutschen Arbeiterbildungsvereine — man kann gewiß ohne Übertreibung oder Fehleinschätzung sagen: die Wurzel der Erwachsenenbildung mit den nachhaltigsten Folgewirkungen — standen unter der Überzeugung, daß — um mit Wilhelm Liebknecht zu sprechen — Wissen Macht und deshalb der Erwerb von mehr Wissen auch einen Zuwachs an Möglichkeiten bedeute, politische Macht zu erlangen und so zur Emanzipation der Arbeiterklasse beizutragen. Liberale und katholisch-soziale Bestrebungen verfolgten im 19. Jahrhundert zumindest vom Grundsatz her vergleichbare Ziele, wenn auch — insbesondere von ihren Zielgruppen her — anders akzentuiert. Und auch die gegenläufigen Bewegungen während der Wilhelminischen Ära — politisch am deutlichsten in den sog. Sozialisten-gesetzen erkennbar, organisatorisch verkörpert vor allem durch die „Gesellschaft für Verbreitung von Volksbildung" unter Johannes Tews — besaßen eine eindeutig politsche Funktion. Die unterschiedlichen Richtungen der Erwachsenenbildung in der Weimarer Zeit schließlich folgten ebenfalls klar erkennbaren ordnungspolitischen Grundvorstellungen, die weit über den engeren Bereich der eigentlichen Erwachsenenbildung hinaus-strebten.

Es sei nur an das aus der sog. Neuen Richtung stammende Wort von der „Volkbildung durch Volksbildung" oder an die Bemühungen der Reichszentrale für Heimat-dienst auf diesem Gebiet erinnert. Es bedarf keines weiteren Kommentars, daß die Gleichschaltung der Erwachsenenbildung während des Nazi-Regimes ausschließlich den ordnungspolitischen Konzeptionen der Nationalsozialisten dienen sollte — unabhängig davon, daß man von einem demokratischen Standpunkt aus diese Konzeptionen verurteilt.

Wenn also schon immer hinter den einzelnen Ausprägungen der Erwachsenenbildung klar erkennbare ordnungspolitische Grundkonzeptionen gestanden haben, hierüber aber erst etwas so heute ausführlicher diskutiert wird, dies Grund: Erst seit etwa hat folgenden zehn Jahren beginnt die Erwachsenenbildung in der Bundesrepublik zu einem relativ klar um-grenzbaren Teilsystem des Bildungs-und Gesellschaftssystems ausgebaut zu werden; erst seit kurzem hat sie an allgemeiner politischer Bedeutung für die gesamte Gesellschaft gewonnen. So hat im April 1970 die Bildungskommission des Deutschen Bildungsrates in ihrem „Strukturplan für das Bildungswesen" gefordert: „Es ist notwendig, die institutionalisierte Weiterbildung als einen ergänzenden nachschulischen, umfassenden Bildungsbereich einzurichten." Entsprechend hat der im Oktober 1973 verabschiedete „Bildungsgesamtplan" der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung als eines der Ziele aller Bildungspolitik den „Auf-und Ausbau eines Weiterbildungssystems zu einem Hauptbereich des Bildungswesens als öffentliche Aufgabe" herausgestellt Daher wird erst jetzt gründlicher als früher über Ordnung und Makro-Organisation der Erwachsenenbildung gesprochen. Erst jetzt ist deshalb auch ein Vergleich der Gesetze zur Erwachsenenbildung unter allgemeinen ordnungspolitischen Gesichtspunkten sinnvoll und notwendig.

Die Landesgesetzgebung zur Erwachsenenbildung hat sich seit 1970 nicht kontinuierB lieh, sondern in zwei zeitlichen Schüben volll zogen, auch wenn die Diskussion über di« weitere Gesetzgebung in der Zwischenzeit niemals abgerissen ist. 1970 wurden zunächst! kurz nacheinander das niedersächsische unc das saarländische Erwachsenenbildungsgesetz sowie das hessische Volkshochschulgesetzi verabschiedet. Insbesondere bedingt durch den „Strukturplan" und den „Bildungsgesamtplan", aber auch durch Landesgutachten wiei etwa das der nordrhein-westfälischen Pla:, nungskommission (vgl. Anm. 4), schließlich auch bedingt durch ein Abwarten der anderer Bundesländer, welche Erfahrungen die dres soeben genannten Länder mit ihren Gesetzer in der Praxis machen würden, setzte nun ein« Denkpause ein, die erst 1974/75 zur Verab schiedung der übrigen Gesetze führte.

Obwohl schon die drei Gesetze des Jahres 1970 sichtbare Differenzen in ihren ordnungspoliti sehen Konzeptionen erkennen ließen — wo von im einzelnen noch die Rede sein wird — trug die Denkpause der folgenden Jahn nachdrücklich zu einer Verdeutlichung diese: Unterschiede, wenn nicht Gegensätze in der Gesetzestexten der Jahre 1974/75 bei. Darübe hinaus erklärt sich der — verglichen mit der Gesetzen der ersten Phase von 1970 — zwi sehen den später in Kraft getretenen Gesetzen noch spürbarere ordnungspolitische Gegensatz zweifellos auch aus der Tatsache, daß die Er wachsenenbildung stärker als noch einig« Jahre zuvor in die allgemeine politische Polarisierung in der Bundesrepublik hineingezo gen worden und insofern stärker als vorher zu einem Politikum geworden ist.

Sicher hat Hildegard Feidel-Mertz recht wenn sie die Situation — gerade unter den Gesichtspunkt der nachfolgenden Ausführun gen — mit folgenden Worten zusammenfaßt „In den Gesetzen haben sich die spezifischer gesellschaftspolitischen Kräfteverhältnisse der einzelnen Bundesländer eindeutig nieder geschlagen."

Bevor nunmehr auf die ordnungspolitischer Konzeptionen hinter den einzelnen Gesetzer näher eingegangen und die Gesetze unter diesem Kriterium miteinander verglichen wer den, sind — um Mißverständnissen vorzubeujen — drei Klarstellungen erforderlich: l. Ungeachtet der prinzipiellen Differenzen, die gerade Gegenstand der folgenden Überlejungen sein sollen, weisen alle Gesetze auch oedeutsame Gemeinsamkeiten, und Überein-stimmungen auf, die auch bei der Herausar-

eitung von Gegensätzen nicht übersehen werden dürfen. Von gesetzestechnischen De. ails abgesehen, betreffen diese Übereinstim-

nungen insbesondere die Zieldeiinitionen der Erwachsenenbildung, wie sie in den einleitenden Paragraphen bzw. Artikeln aller Gesetze . liedergelegt sind. Heinrich Roth hat — noch licht bezogen auf die Erwachsenenbildung speziell — drei Ziele jeder Erziehung heraus-

gestellt: die Gewinnung von Selbstkompetenz, von Sachkompetenz und von sozialer Kompe-

enz. Alle diese drei Ziele werden — wenn luch mit deutlich voneinander abweichender Akzentuierung — auch in allen hier zur Debatte stehenden Gesetzen zur Erwachse-

lenbildung postuliert. Die weitestgehende Übereinstimmung scheint hinsichtlich der Forderung nach der Gewinnung von Sach-Kompetenz zu bestehen; hier vereinen sich alle Gesetze in ihrer Berufung auf die Notwendigkeit beruflicher Qualifizierung als Folge des wissenschaftlich-technologischen Wandels und der dadurch bedingten immer rascheren Veralterung des Wissens, das die schule noch vermitteln konnte. Eine ähnlich weitgehende Gemeinsamkeit wie bei dieser berufsbezogen-technokratischen Legitimation der Erwachsenenbildung erweist sich bei der Forderung nach dem Erwerb von Selbstkom-

petenz im Sinne einer auf dem eigenen Urteil beruhenden Fähigkeit zum Entscheiden. Deutlichere Differenzen ergeben sich allerdings schon bei der dritten Komponente: der Gewinnung von sozialer Kompetenz; hier beziehen einige wenige Gesetzgeber relativ eindeutig Stellung, indem sie dieses Erziehungsziel möglichst exakt zu definieren versuchen, während sich die vergleichbaren Formulierungen in anderen Gesetzen eher wie Leerformeln oder verbale Pflichtübungen lesen. — insgesamt jedoch bleibt der Tatbestand festzuhalten, daß alle Gesetzgeber mehr oder weniger eindeutig sich zu diesen drei Zielen aller Erwachsenenbildung bekennen. 2. Der Gang der Untersuchung wird zeigen, daß hinter den bis heute verabschiedeten Gesetzen zur Erwachsenenbildung im wesentlichen zwei verschiedene Gesellschaftsmodelle oder ordnungspolitische Grundpositionen sichtbar werden: das Modell einer möglichst weitgehenden Delegation der Entscheidungsbefugnisse auf Organe der Selbstverwaltung der Erwachsenenbildung bei relativer Zurückhaltung des Staates, abgesehen von seiner finanziellen Förderungsverpflichtung, und das Modell eines erkennbareren staatlichen Interventionismus, wobei der Staat nicht nur durch finanzielle Zuwendungen, sondern auch gestaltend in die Struktur der Erwachsenenbildung eingreift. Es muß jedoch betont werden, daß sich diese beiden Ordnungsmodelle keineswegs immer idealtypisch auf das eine oder das andere Gesetz beziehen lassen, sondern daß es durchaus Überschneidungen und Mischformen zu beobachten gibt, das heißt: manche Gesetze bekennen sich zwar relativ unumwunden zu einer der beiden Grundpositionen, andere dagegen enthalten — bei aller prinzipiellen Ausrichtung an einem der beiden Modelle — dennoch zumindest Elemente, die eher bei dem jeweils anderen Modell beheimatet sind. Dem folgenden Vergleich der Gesetze muß daher immer ein wenig der Charakter einer Vereinfachung anhaften; im Einzelfall soll jedoch jeweils auf diese Überschneidungen hingewiesen werden.

3. Da die Landesgesetzgeber an das Grundgesetz und an ihre jeweilige Landesverfassung gebunden sind, können von ihnen selbstverständlich nur systemimmanente, keine system-überwindenden Gesetze erwartet werden, auch wenn sich hier und da — etwa in einigen Formulierungen des bremischen Weiter-bildungsgesetzes — durchaus weitgehende Interpretationen des grundgesetzlich Möglichen erkennen lassen, die denn auch sogleich ihre Kritiker auf den Plan gerufen haben. So muß sich — um mit Baethge/Schumann zu sprechen — in allen Dokumenten zur Erwachsenenbildung, erst recht jedoch in politischen Aussagen, wie sie Gesetze darstellen, ein „genuin bürgerlich-demokratisches Selbstverständnis" der Autoren bzw. Gesetzgeber niederschlagen Ein Gesetzgeber kann demnach nicht das nachvollziehen, was einem Theoretiker und — zumindest im Rahmen gewisser Grenzen — auch einem Praktiker der Erwachsenenbildung möglich ist, z. B. für die Einführung einer sozialistischen Ordnung der Erwachsenenbildung in einem Land der Bundesrepublik zu plädieren. — Es wird sich jedoch noch erweisen, daß auch hinter den hier zu diskutierenden Gesetzen durchaus markante ordnungspolitische Differenzen mit entsprechenden pädagogischen Auswirkungen zu erkennen sind, die mehr sind als etwa nur Va-riationen oder Nuancen im Rahmen eines „genuin bürgerlich-demokratischen Selbstverständnisses". Damit ist noch nichts gegen die prinzipielle Richtigkeit der Feststellung gesagt, daß tatsächlich alle Gesetze — trotz ihrer gravierenden Differenzen in wesentlichen Teilaspekten — aus einem bürgerlich-demokratischen Selbstverständnis zu erklären sind; es hieße lediglich die Gesetzgeber überfordern, von ihnen mehr als dies zu verlangen. Eine Bewertung der Gesetze von einer dezidiert materialistischen Position aus müßt« zweifellos zu einer mehr oder weniger pauschalen Aburteilung aller Gesetzgeber führen allenfalls ließe sich dann noch mit Hildegarc Feidel-Mertz eine Art „Progressivitätsgefälle" zwischen den einzelnen Gesetzen ausmachen. Damit wäre jedoch dem weiterbildungswilligen Erwachsenen in der Bundesrepublik, der mit den in den Gesetzen vorgezeichneten Bedingungen leben muß, wenic gedient.

Die Ordnungsmodelle im einzelnen

Im folgenden sollen nun die beiden Grund-konzeptionen der Gesetzgeber zunächst deskriptiv dargestellt und anschließend kritisch gegeneinander abgewogen und bewertet werden. Kriterium des bewertenden Vergleichs soll dabei die Fragestellung bilden, welches der beiden Ordnungsmodelle eine umfassende Weiterbildungsmöglichkeit der erwachsenen Bevölkerung am ehesten zu gewährleisten verspricht. Da Erwachsenenbildungsgesetze nach meiner Auffassung den alleinigen Auftrag haben können, ein breitgefächertes, flächen-und bedarfsdeckendes Bildungsangebot für die weiterbildungswillige (und die noch zur Weiterbildung zu motivierende) Bevölkerung zu ermöglichen, scheint mir diese Fragestellung als das einzig mögliche — vorsichtiger ausgedrückt: als das absolut entscheidende — Kriterium zur politischen Bewertung der Gesetze zu sein.

Ich will zunächst drei wesentliche ordnungspolitische Unterschiede zwischen den Gesetzestypen herausgreifen und einander gegenüberstellen und sodann an Hand dieser Unterschiede die einzelnen Gesetze miteinander vergleichen. Dabei sollen zuerst die Gesetze behandelt werden, die dem „Modell 1" entsprechen, danach diejenigen, die eher dem „Modell 2" zuzuordnen sind — wobei die Reihenfolge der Behandlung noch keine vorweggenommene Rangfolge in der Bewertung bedeuten soll.

Modell 1: Zurückhaltung des Staates und Delegation wichtiger Entscheidungen auf Selbstverwaltungsorgane. Dies soll an drei wichtigen Teilaspekten dargelegt werden: — Der Staat beschränkt seine Aufgabe irr wesentlichen auf die finanzielle Förderung;

— ordnungsund strukturpolitische Gestal tungsaufgaben werden, soweit möglich, auf:, Organe der Selbstverwaltung übertragen;

— eine Integration der Erwachsenenbildung in das Gesamtbildungssystem wird nicht odei nur zurückhaltend befürwortet.

Dagegen Modell 2: Stärkere staatliche Intervention bei Ordnung und Planung:

— Der Staat greift nicht nur als finanzieller Förderer, sondern auch als planender Gestalt ter in die Struktur der Erwachsenenbildung ein, -

— entsprechend geringer sind die Kompetenzen der Selbstverwaltungsorgane, soweit sol ehe überhaupt vorgesehen sind; -

— eine Integration der Erwachsenenbildung in das Gesamtbildungssystem wird befürwortet, ja gefordert.

Bei dieser Aufgliederung nach Modellen und deren Teilaspekten mag zunächst ins Auge fallen, daß stets — sei es direkt, sei es indirekt — von der Rolle des Staates in der Er wachsenenbildung die Rede ist. Tatsächlich kommt ihm eine zentrale Funktion zu, die es rechtfertigt, wenn nicht geradezu erfordert, seine Bedeutung für die Erwachsenenbildung in den Mittelpunkt der Betrachtung z stellen Nicht nur, daß jedes Gesetz schor für sich genommen einen staatlichen Ent scheidungsakt darstellt; wesentlicher im Sin-ne unserer Fragestellung ist die Funktion, die sich der Staat selbst in den einzelnen Gesetzen zuerkennt. Ordnungspolitik — auch im wirtschafts-und gesellschaftspolitischen Bereich — findet ihre rechtliche Grundlage im-mer in Gesetzen, die von Parlamenten, also staatlichen Beschlußorganen, verabschiedet werden. Für den spezifischen Charakter der ordnungspolitischen Wirklichkeit entscheidend bleibt jedoch immer das Maß an Enthaltsamkeit oder Einflußnahme, das sich der Staat selbst bei der konkreten Ausgestaltung des jeweils betroffenen gesellschaftlichen Bereiches beimißt.

Modell 1: Zurückhaltung des Staates Als erstes Charakteristikum dieses Modells war die Tatsache genannt worden, daß sich der Staat im wesentlichen auf seine Rolle als finanzieller Förderer beschränkt. Die Förderung der Träger von Einrichtungen der Erwachsenenbildung durch den Staat ist zwar ein Kennzeichen aller Gesetze, doch gehen die Aufgaben des Staates in den Gesetzen des Modells 2 erheblich darüber hinaus. Immerhin bildet allein schon die Tatsache der finanziellen Förderung — auch in den Gesetzen des Modells 1 — einen wichtigen politischen Fortschritt gegenüber dem früheren, gleichsam „gesetzlosen" Zustand der deutschen Erwachsenenbildung — wenn man von der schon genannten Ausnahme des nordrhein-westfälischen Gesetzes von 1953 absieht. Erst seit Inkrafttreten der Gesetze besteht für Träger und Einrichtungen der Erwachsenenbil-dung ein Rechtsanspruch auf Förderung, der notfalls einklagbar ist, während die Erwachsenenbildung bis dahin unter die freiwilligen Aufgaben ihrer Träger und des Staates gefallen war, unter die auch heute noch in fast allen Bundesländern die übrigen Bereiche der sog. Kulturpflege, aber auch der Jugendhilfe oder etwa der Sportförderung fallen — ein Zustand, der in Zeiten finanzieller Knappheit der öffentlichen Hände mehr oder weniger automatisch zu Mittelkürzungen gerade in diesen Bereichen führt.

Wenn nun auch die Tatsache eines Rechtsanspruchs auf finanzielle Förderung durch den Staat schon für sich genommen eine Verbesserung gegenüber früher bedeutet, weil sie den Einrichtungen der Erwachsenenbildung eine solidere Basis zum Ausbau ihrer pädagogischen Tätigkeit verschafft, so unterscheiden sich die einzelnen Gesetze — auch des Modells 1 — durch Art und Ausmaß der vom Staat bereitgestellten Förderungsmittel. In den meisten Gesetzen des Modells 1 garantiert der Staat ein geringeres finanzielles Förderungsvolumen als in denen des Modells 2. Für unsere Themenstellung bedeutet dies, daß die in Frage stehenden Bundesländer sehr wohl einen Zusammenhang zwischen dem Umfang der staatlichen Förderung und dem dadurch in der Praxis unvermeidlichen stärkeren politischen Einfluß des Staates auf die Erwachsenenbildung gesehen haben, den sie offensichtlich vermeiden wollten. Die generelle Zurückhaltung, die sich der Staat in den Gesetzen des Modells 1 auferlegt hat, korrespondiert demnach mit einer Zurückhaltung auch im Ausmaß der finanziellen Förderung. Hierfür einige Belege aus Gesetzen, die dem Modell 1 zuzurechnen sind:

Das rheinland-pfälzische Gesetz — das unter später zu erörternden Gesichtspunkten allerdings auch einzelne Elemente des Modells 2 enthält — sah noch im Referentenentwurf des Kultusministeriums eine garantierte 50prozen-tige Landeszuweisung zu den Personalkosten der Einrichtungen vor; der Landtag strich diesen Zuschuß jedoch wieder, so daß sich im endgültigen Gesetzestext nur noch die Berufung auf die „Maßgabe des Haushaltsplans" des Landes wiederfindet. Ähnliches gilt für Baden-Württemberg, wo sogar noch die im Parlament eingebrachte Gesetzesvorlage des Kabinetts eine Landeszuwendung von 50 Prozent vorgesehen hatte, während sich der Finanzausschuß des Landtages mit seiner Forderung nach Streichung dieser Zusage im letzten Augenblick im Plenum durchsetzen konnte. So enthält auch dieses Gesetz lediglich den Hinweis auf eine Förderung „nach Maßgabe des Staatshaushaltsplanes" und macht die Förderung durch das Land obendrein von einer angemessenen finanziellen Eigenbeteiligung der Träger von Einrichtungen der Erwachsenenbildung abhängig. Die Regelungen in diesen beiden Ländern nebeneinandergestellt bedeuten, daß die Landtage als politische Entscheidungsinstanzen auf jegliche prozentuale Festlegung von garantierten Förderungsmitteln verzichtet haben; aber selbst wenn sich die ursprünglichen Vorschläge, Zuschüsse des Landes in Höhe von 50 Prozent zu gewährleisten, hätten durchsetzen lassen, so wäre aus Mitteln des Staates lediglich die Hälfte der anfallenden Kosten der Träger gesetzlich abgesichert gewesen. — Schließlich sei auf das bayerische Gesetz verwiesen, das als einziges Gesetz keine Prozentsätze, sondern für die ersten drei Jahre seiner Gültigkeit feste Beträge an Landeszuschüssen nennt, die eine nur unwesentliche Erhöhung gegenüber dem bisherigen Finanzstatus bedeuten — allerdings mit dem Zusatz, in den darauf folgenden vier Jahren seien die Zuschüsse „angemessen" zu erhöhen, sowie ohne jegliche Aussage über eine Landesfinanzierung in den Jahren danach

In den genannten Gesetzen, zu denen noch das saarländische hinzuzuzählen wäre, hat sich der Gesetzgeber für eine eingeschränkte, in der Regel noch nicht einmal nach festen Quoten berechnete finanzielle Förderung der Erwachsenenbildung entschieden. Hierfür bieten sich drei Erklärungsmöglichkeiten an:

1. Die betreffenden Gesetzgeber haben der Erwachsenenbildung keinen nennenswerten Stellenwert innerhalb des Bildungswesens beigemessen; dagegen spricht jedoch die Tatsache, daß sie überhaupt entsprechende Gesetze verabschiedet und nahezu einstimmig in den einleitenden Paragraphen die Bedeutung der Erwachsenenbildung herausgestellt haben. 2. Die Gesetzgeber haben — da die meisten Gesetze des Modells 1 in der Gesetzgebungsphase der Jahre 1974/75 verabschiedet wurden — auf Grund der damals schon erkennbaren schwierigen Finanzlage der Länder ihre ursprünglich weitergehenden Förderungspläne wegen ihrer Finanzierungsprobleme zurückstellen müssen; dagegen spricht wiederum — wie sich noch zeigen wird — z. T. das Beispiel Bremens, insbesonderen aber das Beispiel Nordrhein-Westfalens, die hier zum gleichen Verabschiedungszeitpunkt anders verfahren sind und die politischen Prioritäten anders gesetzt haben.

3. Die Gesetzgeber des Modells 1 haben sich bewußt in ihrem finanziellen Engagement für die Erwachsenenbildung zurückgehalten, da der politische Einfluß des Staates mit dem Grad seines finanziellen Engagements unweigerlich steigt, was diese Gesetzgeber aus grundsätzlichen Erwägungen heraus vermeiden wollten; wenn man die Ergebnisse der nachfolgenden Einzelerörterungen liest und mit diesem Einzelergebnis vergleicht, so scheint hierin der eigentliche politische Grund für das zurückhaltende finanzielle Engagement der Gesetzgeber des Modells 1 zu liegen.

Das zweite Merkmal der Gesetze des Modells 1 ist die Tatsache, daß der Staat, soweit überhaupt möglich, wichtige Entscheidungsbefugnisse aus seiner Hand gibt und auf neu zu schaffende Organe der Selbstverwaltung überträgt. Hier ist in erster Linie an die Landesausschüsse, Landesbeiräte oder Landeskuratorien für Erwachsenenbildung zu denken, wie sie in allen Gesetzen des Modells 1 vorgesehen und inzwischen auch installiert sind In diesen Gremien arbeiten alle wesentlichen Landesorganisationen der Erwachsenenbildung im jeweiligen Bundesland zusammen. Entscheidend ist jedoch noch nicht die Tatsache der Schaffung solcher Gremien allein, obwohl sich auch hier schon ein erkennbarer Gegensatz etwa zum Land Nordrhein-Westfalen, dem typischen Beispiel für Länder des Typs 2, zeigt, wo es kein solches Landesgremium gibt; wichtiger für unseren Zusammenhang sind die Kompetenzen, die der Gesetzgeber diesen Selbstverwaltungsorganen der Erwachsenenbildung zubilligt. Diese sind nun allerdings von Land zu Land unterschiedlich geregelt.

Gemeinsam ist ihnen allen zunächst ihre — in fast allen Gesetzestexten nahezu gleichlautend formulierte — Aufgabe, die jeweilige Landesregierung durch Gutachten und Empfehlungen sowie durch Beratung in allen wichtigen, die Erwachsenenbildung betreffenden Fragen zu unterstützen. Dabei kommt ihnen zunächst nur eine beratende Funktion zu;

die ausgearbeiteten Ergebnisse solcher Beratungsgutachten usw. können allerdings eine erhebliche meinungs-und willensbildende Auswirkung auf die weiteren politischen Aktivitäten der Landesregierungen ausüben.

Wesentlicher noch ist ein Blick auf die gesetzlich verbrieften Anhörungsrechte dieser Landesgremien in durchaus entscheidenden Fragen der Erwachsenenbildung; auch wenn es sich nur um ein Anhörungsrecht durch die Landesregierung handelt, wird doch keine Landesregierung an der — womöglich einstimmig — gefaßten Empfehlung eines solchen Gremiums ohne Not vorbeigehen kön-nen. So hat das Vorbild all dieser Landes-gremien, der niedersächsische Landesausschuß für Erwachsenenbildung, z. B. ein Anhörungsrecht bei dem Erlaß von Rechtsverordnungen und VerwaltungsVorschriften sowie bei der vom Staat auszusprechenden Anerkennung von Trägern und Einrichtungen. Ähnliches gilt für die anderen Landesbeiräte, -kuratorien usw. In Bayern und Rheinland-Pfalz hat der jeweilige Landesbeirat darüber hinaus die für die Existenz der einzelnen Einrichtungen grundlegend wichtige Aufgabe, die Verteilung der vom Land gewährten Förderungsmittel auf die Einrichtungen vorzunehmen.

Selbstverständlich liegen auch in allen Gesetzen des Modells 1, auch überall dort, wo Selbstverwaltungsorgane auf Landesebene geschaffen wurden, die politischen Entscheidungen nicht bei diesen Organen, sondern beim Staat selbst. Selbstverständlich haben die Landesgremien, in denen die Vertreter der Landesregierung in der Regel nur beratende Stimmen haben, im wesentlichen lediglich beratende und empfehlende Funktionen. Kein Staat, keine Landesregierung wird jedoch am lUrteil dieser Expertengremien vorübergehen können; und die bisherige Praxis belegt, daß die jeweiligen Landesregierungen tatsächlich bis zu einem hohen Grade den Empfehlungen dieser Gremien gefolgt sind. — So entspricht die zuvor gemachte Beobachtung, daß die Ge-

setze des Modells 1 eine beachtliche Zurückhaltung des Staates bei der finanziellen Förderung der Erwachsenenbildung erkennen lassen, durchaus der jetzigen Erkenntnis, daß die gleichen Gesetze auch, zumindest im poli-

tisch möglichen Rahmen, ein relativ weitgehendes Maß an Verantwortung an nicht-staat-

liche Selbstverwaltungsgremien delegiert halben. Diese Reserve des Staates, mit betonter Deutlichkeit in die Ordnung und Struktur der Erwachsenenbildung einzugreifen, erweist sich auch beim dritten der für das Modell 1 gemannten Merkmale: bei der Zurückhaltung gegenüber der Integration der Erwachsenenbildung in das Gesamtbildungssystem und damit auch gegenüber einer weitgehenden Einbeziehung der Planung im Bereich der Erwachse-

nenbildung in den Rahmen der gesamten Bildungsplanung. In den Gesetzen des Modells 1 wird dagegen stärker die Eigenständigkeit des Bereichs Erwachsenenbildung gegenüber (den staatlich verwalteten Bildungsbereichen I Schule und Hochschule und dem zumindest (teilweise staatlich mitverwalteten Bereich der Berufsbildung herausgestellt. So findet sich die Forderung nach „Integration" der Erwachsenenbildung in das Gesamtbildungssystem in dieser Formulierung nur im bremischen Gesetz; das hessische Volkshochschulgesetz von 1970 bezeichnet die Volkshochschulen, Heim-volkshochschulen und Bildungszentren — eine hessische Besonderheit; es handelt sich ausschließlich um öffentliche, nicht private Einrichtungen der Erwachsenenbildung — als „Teile des öffentlichen Bildungswesens"; beide Gesetze sind jedoch eher dem Modell 2 zuzurechnen. In den „typischen" Gesetzen des Modells 1 dagegen sind entweder überhaupt keine Aussagen zur Integration der Erwachsenenbildung in das Gesamtbildungssystem enthalten, oder es wird sogar ausdrücklich die „Eigenständigkeit" dieses Bildungssektors gegenüber Schule, Hochschule und Berufsbildung formuliert — wobei eine Kooperation mit diesen anderen Sektoren allerdings keineswegs ausgeschlossen bleibt —, so etwa im baden-württembergischen, im bayerischen oder im rheinland-pfälzischen Gesetz.

Diese Betonung der Eigenständigkeit der Erwachsenenbildung im Rahmen des gesamten Bildungssystems — wobei in der Regel auch schon der Begriff „System" vermieden wird — hat sowohl historische, aber auch exakt in den Zusammenhang unserer Fragestellung gehörende Ursachen:

Historisch ist diese Skepsis gegenüber einer Integration der Erwachsenenbildung aus der im Grunde seit ihrem Bestehen gepflegten — und z. B. in der Wilhelminischen Zeit durchaus verständlichen — Abneigung gegenüber staatlichen Eingriffsversuchen in die Erwachsenenbildung zu erklären; eine Haltung, die damals nicht nur von den heute sogenannten „freien" Trägern und Einrichtungen der Erwachsenenbildung, den Kirchen, Gewerkschaften usw., sondern ebenso von den Volkshochschulen geteilt wurde, die sich in gleicher Weise als Teile der „freien" Erwachsenenbildung verstanden, wobei „frei" im wesentlichen gleichbedeutend war mit „frei vom Staat". Nicht zuletzt im Zuge der zunehmenden Kommunalisierung der Volkshochschulen verstehen sie sich heute mehr und mehr, wenn auch keineswegs ausschließlich, als an die Kommune, die öffentliche Hand, letzten Endes an den Staat angelehnte Einrichtungen — im Unterschied zu den anderen Einrichtungen, die sich weiter als „frei" bezeichnen, obwohl man für sie auch den politisch zutreffen-deren Begriff „gruppengebundene" Einrichtungen eingeführt hat.

Immerhin ist die Geschichte der gesamten Erwachsenenbildung seit jeher — und die der „freien" Einrichtungen noch heute — durch eine erhebliche Skepsis gegenüber staatlichem Eingreifen in ihre strukturelle Ordnung geB prägt, die auch eine Einbeziehung der Erwachsenenbildung in den gesamtstaatlichen Prozeß der Bildungsplanung — wenn überhaupt — nur zögernd wünscht. So wirkt die aus der Geschichte der gesamten Erwachsenenbildung zu erklärende Zurückhaltung gegenüber allzu deutlichem Eingreifen staatlicher Organe in ihre Struktur und Ordnung noch heute bei den sogenannten „freien" Trägern, weniger dagegen bei den Volkshochschulen und ihren kommunalen oder zumindest quasi-kommunalen Trägern nach. Entsprechend haben die Gesetzgeber des Modells 1, die zumindest grundsätzlich den „freien" Trägern näherstehen als den Volkshochschulen, in ihre Gesetzestexte weniger die Integration als die Eigenständigkeit der Träger und Einrichtungen der Erwachsenenbildung hineingeschrieben.

So tritt zu den beiden ersten Charakteristika der Gesetze des Modells 1 — dem vergleichsweise geringen finanziellen Engagement des Staates sowie seiner Absicht, mehrere wichtige Befugnisse auf Organe der Selbstverwaltung zu delegieren — als weiteres Merkmal eine spürbare Zurückhaltung gegenüber einer Integration der Erwachsenenbildung in den gesamten Prozeß staatlicher Bildungsplanung zugunsten einer Betonung der Eigenständigkeit dieses Bildungsbereiches. Allen drei Charakteristika scheint eines gemeinsam zu sein: Der Staat will sowohl seinen finanziellen als auch — vor allem — seinen gestalterischen, Struktur-und ordnungspolitischen Einfluß auf die Erwachsenenbildung möglichst gering halten, um die „Freiheit" und „Eigenständigkeit" dieses Bildungssektors wirksamer gewährleisten zu können.

Spätestens an dieser Stelle erweist sich, daß der Titel „Ordnungsmodelle" für die vorliegenden Betrachtungen seine Richtigkeit hat, obwohl man ihn eher aus nationalökonomischen Überlegungen her kennt: auch in der Volkswirtschaft — jedenfalls in ihrer betont marktwirtschaftlichen Ausprägung — folgt man dem Prinzip einer möglichst weitgehenden Zurückhaltung des Staates bei der Gestaltung des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens zugunsten eines möglichst hohen Grades an Selbstverwaltung und Selbstregulierung durch Wirtschaft und Gesellschaft. Und spätestens an dieser Stelle ist auch der politische, besser: parteipolitische Hinweis angebracht, daß die Mehrheiten, die hinter den genannten Erwachsenenbildungsgesetzen des Modells 1 stehen, die gleichen sind, die dem soeben skizzierten Modell einer Wirtschafts-und Gesellschaftsordnung huldigen. Modell 2: Ordnendes Eingreifen des Staates Ganz anders verhält es sich mit dem Ordnungsmodell des Typs 2, das auf Grund seiner sogleich zu beschreibenden Einzelcharakteristika eigentlich erst den Namen „Ordnungs" -

Modell verdient Nach diesem Modell greift der Staat als finanzieller Förderer und als ordnender Gestalter in die Struktur deri Erwachsenenbildung ein. Für unseren Zusammenhang ist zunächst wichtig, daß allein schon das Ausmaß seiner finanziellen Förderung über dem der Gesetze des Modells 1 liegt. Das bedeutet: der Staat fördert die Träger von Einrichtungen der Erwachsenenbildung in einem besonders hohen Maße, wodurch er sich auch einen entsprechend hohen Einfluß auf die Struktur der Erwachsenenbildung verschafft, weil er an das hohe Maß sei-i ner Förderung auch Bedingungen knüpfen kann oder will. Hierfür einige Beispiele:

Nach dem nordrhein-westfälischen Gesetz — dem typischen Gesetz des Modells 2 — fördert das Land die Träger zumindest der öffentlichen Einrichtungen der Erwachsenenbildung — der Volkshochschulen — hinsichtlich der Personalkosten für ihr hauptberuflich tätiges pädagogisches Personal in voller:

Höhe Hinzu treten Kostenerstattungen für Honorare in etwa der Höhe, wie sie in der Praxis tatsächlich anfallen, sowie zumindest ein Anteil an den Kosten für Verwaltungspersonal ; die Sachkosten hat der Träger allerdings selbst zu übernehmen. Die Einrichtun-:

gen in freier Trägerschaft erhalten immerhin 60 % der den Trägern der Volkshochschulen gewährten Landeszuweisungen In der Praxis hat sich dies so ausgewirkt, daß das: Land Nordrhein-Westfalen im Jahr vor Inkrafttreten dieses Gesetzes für die gesamte Erwachsenenbildung rd. 20 Mio DM, drei Jahre nach seinem Inkrafttreten bereits rd. 150 Mio DM — also mehr als das Siebenfache — ausgegeben hat. Das finanzielle Engagement dieses Bundeslandes für die Erwachsenenbildung liegt demnach weit über dem aller anderen Bundesländer. — Das bremische Gesetz — unter strukturpolitischen Gesichtspunkten mindestens teilweise dem Modell 2 zuzurech-nen — fördert die Erwachsenenbildung ebenfalls prinzipiell bis zu 100%, allerdings nur nach Maßgabe des Haushaltsplanes. Das hessische Volkshochschulgesetz von 1970 schließlich — gerade unter ordnungs-und strukturpolitischen Kategorien nach dem nordrhein-westfälischen das typischste Gesetz für das Modell 2 — hat den Landeszuschuß für hauptberuflich tätiges pädagogisches Personal auf 70, den für Honorare auf mindestens 30 % beziffert

Bei der Darstellung des vergleichsweise niedrigeren Finanzvolumens, das der Staat der Erwachsenenbildung nach dem Modell 1 zur Verfügung stellt, hatten wir drei Erklärungsmöglichkeiten diskutiert, auf die wir hier kurz zurückgreifen müssen. Die erste Erklärung, der Staat messe nach Modell 1 der Erwachsenenbildung keinen hohen Stellenwert bei, hatten wir angesichts der Bekenntnisse zur Bedeutung dieses Bildungsbereichs auch in den dort behandelten Gesetzen verworfen; das gleiche Bekenntnis legen die Gesetzgeber auch beim Modell 2 ab. Die zweite Erklärung hätte im Verabschiedungszeitraum der Jahre 1974/75 liegen können, in dem sich das volle Ausmaß der Finanznot der Länder bereits abzuzeichnen begonnen hatte; dieser Umstand mag sicher z. B. zur Streichung der ursprünglich vorgesehenen 50prozentigen Bezuschussung in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz geführt haben; die Beispiele Bremen und — vor allem — Nordrhein-Westfalen, deren Gesetze zum gleichen Zeitpunkt verabschiedet worden sind, widerlegen jedoch auch diese Erklärung, da die öffentliche Finanzkrise diese beiden Länder ebenso wie die anderen getroffen hat, sie aber trotzdem der Erwachsenenbildung vergleichsweise hohe Zuweisungen garantiert haben. Entscheidend bleibt also — wie schon oben — die dritte Erklärungsmöglichkeit: die Gesetzgeber des Modells 2 wollten nicht nur den Auf-und Ausbau der Erwachsenenbildung im Sinne eines breiten Bildungsangebotes für die gesamte erwachsene Bevölkerung ermöglichen, sondern sich durch die hohen Landeszuweisungen auch einen entsprechenden gestalterischen, ordnungspolitischen Einfluß auf die künftige Struktur der Erwachsenenbildung im Lande sichern. *

Uber seine Rolle als finanzieller Förderer hinaus tritt der Staat in den Gesetzen des Modells 2 auch als ordnender Gestalter auf, übernimmt selbst die wesentlichen Planungsmaßnahmen und reduziert die Delegation von Verantwortung auf Organe der Selbstverwaltung, soweit solche überhaupt vorgesehen sind. (Hier verbindet sich Kriterium Nr. 1 — die finanzielle Förderung — mit Kriterium Nr. 2 — der beim Staat verbleibenden Ent-scheidungsbeiugnis, so daß beides zusammen behandelt werden kann.)

Nordrhein-Westfalen hat (vgl. Anm. 21) als einziges Land eine unterschiedliche finanzielle Förderung der öffentlichen und der nichtöffentlichen Träger der Erwachsenenbildung festgeschrieben — die einen, etwas verallge-meindernd gesagt, zu 100%, die anderen zu 60 %. In der politischen Auseinandersetzung um das Gesetz hat diese Ungleichbehandlung bei den nicht-öffentlichen Trägern den Gedanken einer Verfassungsklage aufkommen lassen, der jedoch wieder verworfen wurde. Dieser Ungleichbehandlung liegt ein erklärter strukturpolitischer Wille des Gesetzgebers zugrunde: Er wollte — und konnte nur — die öffentlichen Träger (die Kommunen) zur Wahrnehmung einer Pflichtaufgabe zur Errichtung von Volkshochschulen verpflichten — eine der erklärtesten Absichten des Gesetzes —, während er aus verfassungsrechtlichen Rücksichten hierzu freie gesellschaftliche Gruppen und Verbände nicht verpflichten kann. Gerade zur von ihm gewollten Bereitstellung eines umfassenden, flächen-und bedarfsdeckenden Weiterbildungsangebotes im ganzen Lande durch die öffentliche Hand glaubte er somit nur durch die Zuweisung dieser Pflichtaufgabe an die Kommunen und ihre Volkshochschulen gelangen zu können, wie es vor ihm lediglich Hessen mit seinem Volkshochschulgesetz von 1970 und nach ihm kein weiteres Bundesland unternommen hat. Wenn der Staat nun aber — und hier hängt der finanzielle mit dem strukturpolitischen Gesichtspunkt eng zusammen — den Kommunen in diesen beiden Ländern eine derartige Verpflichtung auferlegt, so muß er sie in entsprechend hohem Maße bei der Verwirklichung dieser Aufgabe finanziell entlasten.

Nicht in Hessen, wohl aber in Nordrhein-Westfalen hat der Gesetzgeber den öffentlichen Trägern der Erwachsenenbildung jedoch noch eine zusätzliche Verpflichtung auferlegt, die auch zusätzlich seine hohen Finanzzuweisungen rechtfertigt: nach dem nordrhein-westfälischen Gesetz haben die kommunalen Träger in einem genau festgelegten Zeitraum kommunale Weiterbildungs-Entwick43 lungspläne aufzustellen und fortzuschreiben, die auch Elemente einer Kooperation mit den Einrichtungen in freier Trägerschaft enthalten müssen. An die rechtzeitige Aufstellung dieser Entwicklungspläne — in etwa vergleichbar den Schulentwicklungsplänen — bleibt die künftige finanzielle Förderung gebunden. Diese Pläne bleiben inhaltlich jedoch nicht völlig in das Belieben des jeweiligen kommunalen Trägers gestellt, sondern der Staat hat Rahmenrichtlinien für die Aufstellung solcher Pläne in Form einer Rechtsverordnung erlassen, an die sich die kommunalen Träger zu halten haben — ein deutlich planender, ordnender, gestaltender Eingriff des Staates in die Struktur der Erwachsenenbildung am Ort.

Kennzeichnend für die planende, ordnende Einflußnahme des Staates in die Struktur der Erwachsenenbildung auch auf Landesebene, nicht nur am Ort, ist in Nordrhein-Westfalen schließlich der Verzicht auf einen Landesbeirat oder einen Landesausschuß, in dem nach dem Willen aller anderen Bundesländer — auch der des Modells 2 — die großen Landes-organisationen zusammenarbeiten und wichtige Aufgaben in Form einer relativ weitgehenden Selbstverwaltung erledigen. Statt dessen ist hier die Einrichtung eines Landesinstitutes für Weiterbildung als nachgeordnete Behörde des Kultusministeriums vorgesehen, durch das der Staat selbst alle wesentlichen Planungs-und Beratungsaufgaben für den Ausbau der Erwachsenenbildung wahrnimmt anstatt sie — zumindest zu einem Teil — auf die Selbstverwaltungsorgane zu übertragen. — In Hessen ist auf Grund des 1974 verabschiedeten Nachfolgegesetzes zum Gesetz von 1970 zwar auch eine Landesarbeitsstelle für Erwachsenenbildung vorgesehen, der jedoch eher pädagogisch beratende Funktionen zugewiesen wurden. Und das hessische Landeskuratorium für Erwachsenenbildung scheint nur dem Namen nach den entsprechenden Landesgremien der anderen Bundesländer vergleichbar, enthält jedoch zumindest ansatzweise auch nordrhein-westfälische Elemente: Entscheidungen in diesem Gremium können nicht gegen die Vertreter der öffentlichen Volkshochschulen gefaßt werden, die über die Hälfte der Sitze im Kuratorium • verfügen. Das Gleiche gilt auf lokal-regionaler Ebene für die dort zu errichtenden Kreis- kuratorien für Erwachsenenbildung. Das be-deutet: die Einrichtungen in öffentlicher Trägerschaft können auch hier jeden Beschluß verhindern, der — wie es z. B. im niedersächsischen Landesausschuß seit Jahren geschieht — möglicherweise die Interessen der freien Träger und Einrichtungen auf Kosten der Volkshochschulen und ihrer Träger begünstigen würde. Auch dies ist als deutliche ordnungspolitische Maßnahme des Staates zu sehen, der alle wesentlichen, die gesamte Erwachsenenbildung betreffenden Entscheidungen teils in eigener Verantwortung, teils durch Delegation der Verantwortung nicht an alle . Träger zu treffen versucht, sondern nur an die öffentlichen Träger und ihre Volkshochschulen. Im Zuge dieser Feststellungen leuchtet es ein, daß sich der Staat in den Gesetzen des Modells 2 und im Unterschied zu den Gesetzen des Modells 1 nicht nur zögernd oder womöglich überhaupt nicht, sondern ganz nachdrücklich für eine Integration der Erwachsenenbildung in das Gesamtbildungssystem ausgesprochen hat. Wenn sich auch nur in Bremen der Begriff „Integration" expressis verbis wiederfindet, so liegt der gleiche politische Wille des hessischen und des nordrhein-westfälischen Gesetzgebers dennoch auf der Hand: Er wird in der Zuweisung der Pflicht-aufgabe zur Errichtung und Unterhaltung von öffentlichen Volkshochschulen an die Kreise,, kreisfreien und kreisangehörigen Städte und Gemeinden, an kommunale Zweckverbände!'usw. sichtbar, die sämtlich öffentliche Träger bilden und der Aufsicht und Weisung des Landes-— unbeschadet des Grundsatzes derii kommunalen Selbstverwaltung — unterstehen. Hier wird wieder die sachliche Berechtigung: des sonst in der Erwachsenenbildungsdiskussion ungewohnten Begriffs der „Ordnung" erkennbar: Im Unterschied zu den Gesetzen dest Modells 1 zeigen sich in den Gesetzen dess Modells 2 erheblich spürbarere Eingriffe des/Staates in die Ordnung des Bildungsbereichs Erwachsenenbildung mit durchaus gestalterischen, planenden Elementen, die die einzelnen Träger und Einrichtungen, zumindest der» öffentlichen Hand, mehrfach in staatliche: Pflicht nehmen; darin kann man — und dies:, ist in der bildungspolitischen Diskussion auch: schon mehrfach geschehen — durchaus inter-ventionistische Einflußnahmen des Staates ini die „Freiheit" und „Eigenständigkeit" der vachsenenbildung sehen Hier ist auch vieder der parteipolitische Hinweis gerechtertigt, daß die Mehrheiten, die die Gesetze ies Modells 2 verabschiedet haben, die glei-then sind, denen auch im Bereich der allge-meinen Wirtschaftsund Gesellschaftspolitik stärkere staatliche Einflußnahmen wichtiger erscheinen als die Überantwortung des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Geschehens an die Selbstverantwortung und an die Selbstregulierungsfähigkeiten der betroffenen Gruppen.

Vergleichende Bewertung der Gesetze

Als Kriterium für die jetzt mögliche verglei-chende Bewertung der Gesetze hatten wir ben die Fragestellung genannt, welches der eiden Gesetzesmodelle eher die Gewähr für lie Bereitstellung eines flächen-und bedarfs-leckenden Weiterbildungsangebots für die jesamte Bevölkerung biete. Mit der Antwort uf diese Frage ist dann im Grunde zugleich schon eine Antwort auf die weitergehende Frage gegeben, welches Modell den Bildungsnteressen und -bedürfnissen der Bevölkerung her gerecht zu werden verspricht. Vor der Beantwortung dieser Fragen sind zwei Klarstellungen nötig:

— Zunächst muß noch einmal betont werden, laß sich nur die wenigsten Gesetze mehr oder minder idealtypisch dem einen oder anieren in dieser Untersuchung aus Gründen ler Abstraktion und besseren Vergleichbarkeit besonders scharf gegeneinander gestell-en Modelle zuordnen lassen. Zwar wird man m baden-württembergischen und im bayerischen Gesetz die wesentlichen Charakteristika des Modells 1 relativ idealtypisch wielerfinden, ebenso wie im nordrhein-westfälischen Gesetz die Merkmale des Modells 2 — Schließlich ist der Hinweis wichtig, daß ine Bewertung der Gesetze nach dem hier zugrunde gelegten Kriterium noch wenig verkindliche Aussagen über die spezielle Quali-ät der pädagogischen Arbeit einer einzelnen Einrichtung der Erwachsenenbildung zuläßt.

Zwar enthalten einige Gesetze — trotz ihrer Garantie der Freiheit der Lehre und der Lehrplangestaltung — durchaus Elemente, die dem Staat auch eine Einflußnahme auf die pädagogische Praxis in den Einrichtungen selbst ermöglichen könnten Grundsätzlich können die Gesetze jedoch nur die strukturellen und materiellen Voraussetzungen für die pädagogische Arbeit in der Erwachsenenbildung schaffen.

Nach diesen Klarstellungen soll sich die abschließende Bewertung an den drei Charakteristika orientieren, die auch der bisherigen vergleichenden Analyse zugrunde gelegen haben: der finanziellen Förderung, der Enthaltsamkeit bzw. Einflußnahme des Staates bei wichtigen Entscheidungen sowie der Integration oder Eigenständigkeit der Erwachsenenbildung. Da die Gesetze erst seit kurzem in Kraft getreten und noch keineswegs alle erforderlichen Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften erlassen worden sind, muß der folgenden Bewertung zwangsläufig ein wenig der Charakter — wissenschaftlich gesehen — einer Hypothese oder — bildungspolitisch gesprochen — eines Postulates anhaften. Erst Jahre später wird man die folgenden Hypothesen verifizieren bzw. falsifizieren können — bis auf einzelne Bereiche, bei denen dies bereits heute möglich erscheint. 1. Eine solide Finanzausstattung von Trägern der Erwachsenenbildung ist die entscheidende materielle Grundvoraussetzung für deren Ausbau im personellen und materiellen Bereich. Es herrscht kein Zweifel, daß die Einstellung von hauptberuflich tätigem pädagogischem Personal erst eine qualitativ zureichende, planvolle und kontinuierliche pädagogische Arbeit ermöglicht, wobei die Tätigkeit dieser Pädagogen — im Gegensatz zu den Lehrern an einer Schule — in erster Linie nicht mit dem Begriff Unterrichten, sondern mit den Begriffen Planung, Disposition, Hospitation und Evaluation umschrieben werden kann. Gerade der vergleichende Blick auf die Schule beweist die Notwendigkeit dieser Art von Professionalisierung in der Erwachsenenbildung: Während im schulischen Bereich insbesondere die gesamte Planung und Disposition des Unterrichts und seiner Lehrinhalte durch zentrale Rahmenvorgaben des Kultusministers weitgehend geregelt sind, muß diese grundlegende pädagogisch-konzeptionelle Arbeit von einer Einrichtung der Erwachsenenbildung zum großen Teil erst selbst geleistet werden. Für die Bewältigung dieser grundlegenden Aufgaben reicht jedoch eine nebenberufliche Tätigkeit nicht aus. Hier sind hauptberufliche Mitarbeiter erforderlich, die nur bei großzügiger finanzieller Förderung der Träger in ausreichender Zahl eingestellt werden können. — Ähnliches gilt für die Kosten, die durch Honorare für nebenberufliche Dozenten und für Verwaltungspersonal entstehen, sowie insbesondere für die Ausstattung der Einrichtungen mit eigenen, funktionsgerechten Häusern und Räumen sowie den erforderlichen Unterrichtsmaterialien. Es leuchtet ein, daß die Gesetze des Modells 2, die eine relativ hohe Finanzausstattung der Träger von Einrichtungen der Erwachsenenbildung vorsehen, hier mehr Vorleistungen für den Ausbau der Erwachsenenbildung erbracht haben als die Gesetze des Modells 1 2. In der Staatsrechtslehre gilt inzwischen als unbestritten, daß Grundgesetz und Landesverfassungen den Staat zur Schaffung einer gerechten Sozialordnung — auch im Bildungswesen — verpflichten, ohne ihm im einzelnen einen einzig gangbaren Weg dorthin vorzuschreiben. Die Gesetzgeber des Modells 1 haben sich hier im wesentlichen für eine Zurückhaltung des Staates und eine weitgehende Delegation der Verantwortung auf Organisationen der privaten Selbsthilfe entschieden, die des Modells 2 für sein stärkeres Engagement. Da gerade Bereiche der Daseinsvorsorge, zu denen das Bildungswesen, zumal auch die Erwachsenenbildung, zweifellos gehört, angesichts ihres wachsenden quantitativen Umfangs und ihrer zunehmenden qualitativen Bedeutung heute kaum noch von Organisationen der privaten Selbsthilfe bewältigt werden können, erscheint hier ein ordnendes und planendes Eingreifen des Staates als einziges Mittel, diesen Ansprüchen auch künftig gerecht zu werden. 3. Damit hängt unmittelbar die Frage der Integration oder Eigenständigkeit der Erwachsenenbildung zusammen. Je kräftiger del Staat selbst Struktur-und ordnungspolitisch in den Aufbau der Erwachsenenbildung eine greift, desto mehr wird er darauf bedach sein, daß der Teilbereich der Erwachsenenbildung — so viel Unabhängigkeit ihm im ein zelnen auch zugestanden werden mag — sich nicht isoliert weiterentwickelt, sondern iii den Prozeß der staatlichen Bildungsplanungr insgesamt einbezogen wird. Hier haben die Gesetzgeber des Modells 2 konsequenter als die des Modells 1 auf eine Integration der Erwachsenenbildung in das Gesamtbildungssystem und dessen Planung gedrungen.

Ich fasse zusammen: Bei allen gemachter Einschränkungen hinsichtlich der überschnei düngen zwischen den Modellen scheiner die Gesetze des Modells 2 eher eine flä chen-und bedarfsdeckende Versorgung de Bevölkerung mit Weiterbildungsangeboten zu gewährleisten. Um auf den Titel und somir den Grundgedanken dieser Überlegungen zu rückzukommen: Staatliche — oder, vorsichtig ger: staatlich entscheidend mitverantwortet — Ordnungspolitik erscheint für den Ausbai der Erwachsenenbildung wesentlicher als eil möglichst weitgehender Rückzug auf die frei Konkurrenz privater, gruppengebundener vom Staat möglichst wenig beeinflußter Orga nisationen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Nach 1945 hat der Begriff „Erwachsenenbildung“ den bis dahin geläufigen Terminus „Volksbildung" abgelöst. Er hat seinerseits spätestens seit dem „Strukturplan für das Bildungswesen" von 1970 Konkurrenz durch den neuen Begriff „Weiterbildung" erhalten — einen Begriff, der vom „Strukturplan" als Oberbegriff für alles das eingeführt worden ist, was bisher als Erwachsenenbildung bezeichnet wurde, der aber im allgemeinen Sprachgebrauch noch allzusehr mit dem Bereich der beruflichen Weiterbildung identifiziert wird. — Die einzelnen Gesetzgeber haben sich zur Verwendung entweder des Begriffes „Erwachsenenbildung" oder des Begriffes „Weiterbildung" entschlossen. In bildungspolitischen Dokumenten hat sich der Terminus „Weiterbildung" weitgehend durchgesetzt. Da aber Wissenschaft und Praxis fast überall am traditionellen Begriff „Erwachsenenbildung" festhalten, soll er der Einheitlichkeit des Sprachgebrauchs wegen auch hier beibehalten werden.

  2. Die einzigen Schriften, die sich — über kurzge faßte Anmerkungen hinaus — mit diesem Probien etwas systematischer befaßt haben, scheinen mi die beiden folgenden zu sein: Helmut Keim, Jose: Olbrich und Horst Siebert, Strukturprobleme de: Weiterbildung. Kooperation, Koordination und In tegration in Bildungspolitik und Bildungsplanung Düsseldorf 1973; Klaus Senzky, Systemorientie rung der Erwachsenenbildung. Theoretisch« Aspekte formaler Organisation, Stuttgart/Berlin Köln/Mainz 1977.

  3. Die Gesetze zur Erwachsenenbildung sind bis her nur selten Gegenstand wissenschaftlicher Be trachtung -gewesen. Die Literatur hierzu teilt siel in drei Kategorien ein: a) Kommentare zu den ein zelnen Gesetzen, ohne die Gesetze miteinander z» vergleichen oder zu bewerten, etwa Albrecht Bek kel, Recht der Erwachsenenbildung, in: Albrech Beckel und Klaus Senzky, Recht und Managemen

  4. Auf Bundesebene insbesondere: a) „Strukturlan für das Bildungswesen", vorgelegt von der 3ildungskommission des Deutschen Bildungsrates, Stuttgart 1970; b) „Bildungsgesamtplan" der Bundänder-Kommission für Bildungsplanung, Stuttgart 973. — Auf Länderebene: a) „Gesamtplan für ein Kooperatives System der Erwachsenenbildung", Schriftenreihe des Kultusministeriums Baden-Württemberg zur Bildungsforschung/Bildungspla-iung/Bildungspolitik, Reihe A Nr. 10, Villingen . 968;'b) „Erwachsenenbildung — Weiterbildung". Irster Bericht der Planungskommission Erwach-ienenbildung und Weiterbildung des Kultusminiiters des Landes Nordrhein-Westfalen, Schriften-eihe „Strukturförderung im Bildungswesen des andes Nordrhein-Westfalen" Bd. 19, Ratingen/Kastellaun/Düsseldorf 1972.

  5. In chronologischer Reihenfolge haben seit 1970 olgende Länder ein entsprechendes Gesetz verabschiedet: Niedersachsen: „Gesetz zur Förderung

  6. Es wird häufig vergessen, ist für unseren Zusammenhang aber wichtig, daß diese sog. Sozialistengesetze exakt „Gesetze gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie" überschrieben waren.

  7. „Strukturplan für das Bildungswesen", hrsg. von der Bildungskommission des Deutschen Bildungsrates, Stuttgart 1970, S. 51.

  8. „Bildungsgesamtplan", hrsg. von der Bund-Länder-Kornmission für Bildungsplanung, Bd. 1, Bonn 1973, S. 59.

  9. Der Kürze wegen wird hier auf die Erörterung von Bundesgesetzen verzichtet, die die Erwach

  10. Hildegard Feidel-Mertz, Erwachsenenbildunt seit 1945. Ausgangsbedingungen und Entwicki, lungstendenzen in der Bundesrepublik, Köln 1976 S. 25.

  11. Vgl. hierzu z. B. die unter Anm. 2, Buchst, c)

  12. Martin Baethge und Michael Schumann, Weiterbildung und die Verfassung gesellschaftlicher Arbeit, in: neue Sammlung, Heft 2/1973, S. 143.

  13. Hildegard Feidel-Mertz, a. a. O., S. 24.

  14. Die Benennungen der beiden Modelle in ihren jeweiligen Überschriften enthalten naturgemäß eine begriffliche Verkürzung, die jedoch durch nähere Präzisierungen im Verlauf der Ausführungen wieder aufgehoben werden soll.

  15. Vgl. hierzu den unter Anm. 4 genannten Beitrag des Verf. zum Thema „Erwachsenenbildung zwischen Enthaltsamkeit und Einflußnahme des Staates", sowie Albrecht Beckel, Staat und En wachsenenbildung, in: Recht der Jugend und des Bildungswesens, Heft 8— 9/1976, S. 297— 300.

  16. Eine Ausnahme bildet Baden-Württemberg, das als einziges Bundesland ein „Gesetz zur Förderung der Weiterbildung und des Bibliothekswesens" beschlossen hat, so daß — außer der Erwachsenenbildung — zumindest dieser weitere Bereich der Kulturpflege aus der bisherigen Freiwilligkeit der Förderung herausgenommen wurde. Allerdings gilt nach diesem Gesetz auch für die Bibliotheken das Minimum an finanzieller Förderung, das im folgenden für die Einrichtungen der Erwachsenenbildung beschrieben wird.

  17. Das niedersächsische Gesetz sieht — insbesondere im Bereich der Personalkosten — erheblich höhere Zuweisungen des Landes vor. Auch die Maßnahmenförderung geht über die der vergleichbaren Gesetze hinaus; so werden Maßnahmen der Politischen Bildung zu 100 Prozent vom Land bezuschußt. Unter solchem Aspekt wäre dieses Gesetz eher dem Modell 2 zuzurechnen, während es in seinen ordnungspolitischen Aussagen geradezu typisch für die Gesetze des Typs 1 ist. — Ähnlich wie das bremische und das rheinland-pfälzische Gesetz ist es somit ein Beispiel für die gelegentlich anzutreffenden Mischformen.

  18. Auch das bremische Gesetz kennt einen solchen Landesbeirat, wenn es auch unter anderen Aspekten eher dem Modell 1 zugeordnet werden muß.

  19. Die Darstellung der Gesetze dieses Typs kann erheblich kürzer ausfallen, da bei der Beschreibung des Typs 1 bereits mehrfach auf das zweite Modell verwiesen werden mußte.

  20. Das komplizierte nordrhein-westfälische Berechnungsverfahren muß hier der Kürze wegen etwas vereinfachend dargestellt werden.

  21. Nordrhein-Westfalen ist das einzige Bundesland, das eine unterschiedliche Bezuschussung der öffentlichen und der anderen Träger der Erwachsenenbildung vorgenommen hat. Dies beruht auf einer grundsätzlichen bildungsund ordnungspolitischen Entscheidung; vgl. dazu weiter unten.

  22. Unter dem Zwang der Finanznot der öffentlichen Hände haben inzwischen einzelne Bundesländer — z. B. Hessen und Niedersachsen — ihre vergleichsweise hohen Finanzierungsquoten wieder vorübergehend reduzieren müssen. Für unsere Überlegungen soll jedoch nicht die aktuelle Finanzlage maßgeblich sein, sondern der politische Wille, der sich in den Gesetzen selbst ausdrückt.

  23. Im Zuge der Novellierung des nordrhein-westfälischen Lehrerausbildungsgesetzes ist inzwischen an die Einrichtung eines Zentralinstitutes gedacht, das zugleich der Lehrerfortbildung, der Curriculum-entwicklung und der Weiterbildung zu dienen hat. Dadurch wird es zwar nicht mehr zur Gründung eines eigenen Landesinstitutes für Weiterbildung kommen, doch ändert diese rein organisatorische Umstrukturierung nichts Prinzipielles daran, daß sich der Staat selbst wesentliche Planungsaufgaben auch in der Erwachsenenbildung Vorbehalten hat.

  24. Diese Bemerkungen dürfen allerdings nicht iarüber hinwegtäuschen, daß die pädagogische reiheit der einzelnen Einrichtungen in allen Gesetzen, auch in denen des Modells 2, ausdrücklich jewährleistet wird.

  25. Da alle drei Gesetze in den Jahren 1975/76 in Kraft getreten sind — also in der zweiten Gesetz-jebungsphase —, zeigt sich hier noch einmal, daß rst im Laufe der Jahre die politische Polarisie-ung auch in der Erwachsenenbildung Raum gejriffen hat. Erst jetzt ist demnach der Zeitpunkt ür eine Untersuchung wie die hier vorliegende wirklich sinnvoll; trotz aller Differenzen zwischen len Gesetzen der ersten Phase (Niedersachsen, Saarland und Hessen 1970) wäre damals gerade ler ordnungspolitische Unterschied zwischen den besetzen und die Herausarbeitung verschiedener Sesetzesmodelle noch nicht mit gleicher Deutlich-keit möglich gewesen.

  26. Ein Beispiel hierfür aus dem Bereich des Modells 1 liefern der baden-württembergische und der bayerische Gesetzgeber, die — in wörtlicher Übereinstimmung, also wohl bewußter Anlehnung aneinander — zu einer der Bedingungen für die staatliche Förderung die Frage machen, ob eine Einrichtung eine „den Zielen des Grundgesetzes und der Landesverfassung förderliche (!) Arbeit" leistet, wobei es der Landesregierung Vorbehalten bleibt, diese „Förderlichkeit" zu beurteilen. Dieses zumindest denkbare Eingreifen des Staates in die pädagogische Praxis steht in einem interessanten Widerspruch zu der von den gleichen Gesetzgebern im übrigen verfolgten Zurückhaltung des Staates bei der Gestaltung der Erwachsenenbildung. — Aber auch aus dem Bereich des Modells 2 ließen sich Beispiele anführen, so etwa der vielzitierte § 6 des nordrhein-westfälischen Gesetzes, der in dieser Form — wenn auch von ganz anderer pädagogischer Qualität — ein ebensolches Novum in der Geschichte der Gesetzgebung zur Erwachsenenbildung darstellt wie die genannten baden-württembergischen und bayerischen Vorschriften, auch wenn er in § 25 a Berliner Schulgesetz einen gewissen Vorläufer besitzt. Nach seinem Abs. 2 kann die Landesregierung durch Rechtsverordnung den Aufbau eines Baukastensystems der Weiterbildung anordnen und somit vielleicht nicht in pädagogische Einzelfragen, wohl aber in pädagogische Grundstrukturen der Erwachsenenbildung planend eingreifen.

  27. Eine Ausnahme bildet das relativ hohe Maß an finanzieller Förderung in Niedersachsen, dessen Gesetz unter ordnungspolitischen Gesichtspunkten eindeutig dem Modell 1 zuzurechnen ist.

Weitere Inhalte

Christian Bockemühl, Dr. phil., geboren 1937; elf Jahre hauptberuflich in der Erwachsenenbildung tätig, zuletzt als Referent für Öffentlichkeitsarbeit beim Landesverband der Volkshochschulen von Nordrhein-Westfalen und verantwortlicher Redakteur von „Volkshochschule im Westen", der Zeitschrift des Deutschen Volkshochschul-Verbandes; Lehrbeauftragter für Erwachsenenbildung an der Ruhr-Universität Bochum und der Pädagogischen Hochschule Ruhr, Dortmund. Veröffentlichungen u. a.: Mitbestimmung und Selbstverwaltung an Volkshochschulen, in: Internationales Jahrbuch der Erwachsenenbildung 1977; Gesetze zur Erwachsenenbildung. Ein vergleichender Kommentar (erscheint in Kürze); Erwachsenenbildung zwischen Enthaltsamkeit und Einflußnahme des Staates, in: Recht der Jugend und des Bildungswesens 8— 9/76; Zur politischen und gesellschaftlichen Funktion der Erwachsenenbildung, in: ebenda, 3/77; Medienverbund in der Erwachsenenbildung, in: Handwörterbuch der Erwachsenenbildung, Paderborn 1978.