„Miltärisch-lndustrieller Komplex'(MIK) wurde als Begriff von Präsident Dwight D. Ei-senhower geprägt und ist fester Bestandteil soziologischer Analysen und ideologischer Auseinandersetzungen nach dem Zweiten Weltkrieg. Gut 20 Jahre vor Eisenhower war es bereits ein anderer amerikanischer Präsident, Franklin D. Roosevelt, der auf bedenkliche wechselseitige Beeinflussungen zwischen Militär und Industrie hinwies
Die Vermutung, zwischen Militärs und Industrie — also Benutzern und Lieferanten von Waffen, militärischem Gerät und Dienstleistungen — könnte Interessenidentität im Hinblick auf verstärkte Aufrüstung oder zumindest auf Gegnerschaft zur Abrüstung bestehen, klingt zunächst einmal plausibel; sie scheint jedenfalls aufgrund bekannter historischer Beispiele nicht von vornherein abwegig zu sein
Der vorliegende Beitrag ist die gekürzte Fassung eines Abschnitts aus dem im Oldenbourg-Verlag, München-Wien, erscheinenden Band von Günter Walpuski/Dieter O. A. Wolf: „Sicherheitspolitik".
Wie stellt sich in dieser Hinsicht die Situation in der Bundesrepublik Deutschland dar Analysiert man zunächst die rüstungsorientierten Ziele des militärischen und des industriellen Bereiches unabhängig voneinander, so kommt man zu folgendem Ergebnis:
Die militärischen Interessen sind:
1. ausgerichtet an den verbindlichen strategischen und taktischen Konzeptionen (diese werden von der politischen Führung auf verfassungsrechtlicher Grundlage im Rahmen der NATO-Planungen vorgegeben und sind damit bindend für den bedarfsdeckenden Rüstungsbereich der Bundeswehr und den Bedarfsträger „Streitkräfte" festgelegt), 2. abhängig von der Art und Wirksamkeit der politischen Kontrolle, in die sie einbezogen werden, 3. geprägt durch die Verfahren und Regelungen, denen sie in bezug auf die Durchsetzung von Forderungen nach Wehrmaterial unterworfen sind, 4. bestimmt durch die haushaltsmäßigen Möglichkeiten, 5. im allgemeinen ein Lösungskompromiß zwischen verschiedenen Möglichkeiten, eine bestimmte taktische Aufgabe zu bewältigen.
(Optimale Lösungen werden in der Regel unter Einbeziehung unabhängiger Fachleute und objektiver operationsanalytischer Methoden gesucht.) Die industriellen Interessen sind:
1. durch wirtschaftliches Gewinnstreben gekennzeichnet, wobei sich der Gewinn außer in Geldwerten auch in Wissenszuwachs, neuen Geschäftsverbindungen, garantierter betrieblicher Auslastung, Monopolstreben, verminderten unternehmerischen Risiken und ähnlichem ausdrücken kann, 2. in ihren Auswirkungen vom Kontrollverhalten der Rüstungsverantwortlichen abhängig. 3. nur im Rahmen der haushaltsmäßigen Möglichkeiten zu befriedigen.
Vergleicht man beide Interessenlagen, so ergibt sich — unter der Annahme feststehender Außenbedingungen — eine Reihe immanenter Gegensätze. Die wesentlichsten dürften sein:
1. Wenn gewissenhaft handelnde Militärs aufgrund beschränkter Haushaltsmittel eine kosteneffektive Rüstung fordern, wird die Industrie in ihrem Gewinnstreben gehindert.
2. Wenn die Industrie an der Entwicklung allzu komplexer Rüstungsgüter aus Gründen des Zuwachses an Know-how interessiert ist, werden die Militärs auf größere Einfachheit und bessere Bedienbarkeit drängen müssen.
3. Wenn die Industrie ein bestimmtes Rüstungsgut stärker produzieren will, wird die Ausgewogenheit der militärischen Bedarfsbefriedigung gestört.
4. Wenn die Industrie als konkurrierender . Anbieter" auf dem (idealtypischen) Markt auftritt, haben die Militärs als „Kosumenten"
die Möglichkeit, Preisvorteile zu erzielen. Dieses Ergebnis spricht zunächst einmal gegen die Existenz eines militärisch-industriellen Komplexes. Es ist allerdings durchaus vorstellbar, daß die Interessen von Militär und Industrie auch gleichgerichtet sind.
Die Rüstungswirtschaft initiiert zum Teil Entwicklungen oder technische Verbesserungen; vereinzelt führt sie auch Eigenentwicklungen durch, die dann als „Angebote" auf dem Rüstungsmarkt auftauchen. Hier kann sich das Neuerungsstreben der Miltärs mit den Verkaufsabsichten der Industrie treffen. Daneben könnten Industrie und Militär beispielsweise anstreben, die feststehenden Außenbedingungen zu verändern. Ihr Interesse könnte auf ein Unterlaufen politischer Richtlinien, eine Umgehung von Beschaffungsverfahren, die Überschreitung der Haushaltsansätze, eine Verletzung der taktisch-konzeptionellen Vorgaben oder auf eine Manipulation von Bedrohungsvorgaben gerichtet sein. In diesen Fällen müßte man von Kompetenzüberschreitung, Straftatbeständen und Ungehorsam sprechen.
Derartige Bestrebungen werden sicherlich unterstellt, wenn vom „militärisch-industriellen Komplex" die Rede ist. Der Begriff ist folglich mit einer eindeutig negativen Bedeutung ausgestattet. In der Nachkriegszeit hatte die Industrie in der Bundesrepublik Deutschland ihr Desinteresse an der Rüstungsproduktion offen bekundet. Bis in die sechziger Jahre war sie auch technologisch weitgehend nicht in der Lage, konkurrenzfähige Produkte anzubieten. Die Kapazitäten für die Rüstungsproduktion wurden zögernd, nur in sehr geringem Umfange und entsprechend der Absicht der Bundesregierung zumeist nur neben der zivilen Fertigung aufgebaut. Hinzu traten die politische Bündnis-orientierung und die marktwirtschaftlich bedingte Import-Offenheit. Im Gegensatz zu anderen Staaten, bei denen neben wirtschaftlichen bestimmte außen-und sicherheitspolitische Beweggründe gegeben sind, sieht die Bundesrepublik Deutschland keinen primären Anlaß für die Förderung ihrer Rüstungswirtschaft. Die Diagnose eines militärisch-industriellen Komplexes in der Bundesrepublik Deutschland ist deshalb bisher auch nicht überzeugend gelungen. Gerade die Situation in der Bundesrepublik Deutschland widerlegt auch die These, der militärisch-industrielle Komplex sei ein besonderes Kennzeichen kapitalistischer Gesellschaften.
Beim Nachweis eines militärischen-industriellen Komplexes in der Bundesrepublik wurde zumeist versucht, US-amerikanische Modelle und Analysen auf unsere Gegebenheiten zu übertragen. Dabei entstand eine eigene Begriffswelt aus Amerikanismen. Selbst der Begriff des „militärisch-industriellen Komplexes" wurde importiert.
Im Rahmen der neueren „Militarismus-Diskussion“ in den USA wird seit längerem u. a.
eine Erweiterung des Militarismus-Begriffes gefordert. Nach Auffassung zahlreicher Wissenschaftler und Publizisten geht es heutzutage nicht mehr um den Primat der politischen oder der militärischen Macht oder um „Kompatibilität" oder „Inkompatibilität", sondern um die Problematik einer Verzahnung von industrieller, militärischer, politischer und ziviler Macht, besonders in der engen Verflechtung der Interessen von einflußreichen oder entscheidungsbefugten Institutionen und Persönlichkeiten aus Militär, Rüstungsindustrie und Politik. Diese Interessenkoalition, eine Art „symbiotischer" Verbindung von Bereichen, die eigentlich streng getrennt und damit überschaubar sowie öffentlich kontrollierbar sein müßten, wird als „Military-Industrial Complex“ (MIC) bezeichnet
Der „Military-Industrial Complex" stellt nach dieser Analyse und Interpretation ein weitestgehend unbekanntes „Geflecht" von personalen, ideologischen, organisatorischen und interessengebundenen Beziehungen in und zwischen den Bereichen Militär, Wirtschaft, Politik und Wissenschaft dar, mit der Tendenz, durch wechselseitige Verstärkungen seine Position in Staat und Gesellschaft permanent auszudehnen, auf politische Entscheidungen zunehmend Einfluß zu gewinnen und selbst unkontrollierbar zu bleiben.
Im Rahmen dieser wissenschaftlichen und politisch-ideologischen Auseinandersetzung in den USA treten zwei Positionen in den Vordergrund, zuweilen als „elitism" und „pluralism" bezeichnet. Die Vertreter der ersten Richtung gehen von einer engen Interessengemeinschaft (gleiche Herkunft, gleiche Ausbildung, gleiche oder ähnliche Positionen und damit Interessen in Wirtschaft, Politik und Militär) der Führungseliten aus, die in allen relevanten Bereichen von Staat und Gesellschaft beherrschenden Einfluß haben und somit ihre Interessen koordiniert durchsetzen können. Die Vertreter der zweiten Richtung sehen dagegen im militärisch-industriellen Komplex nur eine neben zahlreichen anderen Interessenkonstellationen in der amerikanischen Politik. Sie erkennen somit die Existenz eines MIC zwar an und weisen auf die damit verbundenen Gefahren hin, billigen ihm jedoch keine dominierende Stellung zu
Vertreter beider Richtungen sehen jedoch übereinstimmend immanente Gefahren für die Demokratie, vor allem durch latente Veränderungen im Verhältnis der Exekutive, insbesondere der militärischen, zu einflußreichen gesellschaftlichen Gruppen (z. B. Rüstungsproduzenten). Sie begreifen diese faktisch feststellbare „Interessenkoalition“ als potentielle Bedrohung von Staat und Gesellschaft. Zur Bezeichnung der — tatsächlich oder angeblich — extremsten Form wird zuweilen der Begriff „Pentagonismus" verwendet
Ohne Zweifel gibt es in den USA eine „stille Koalition“ von Militärs und Rüstungsproduzenten, die ihre besonderen Interessen gegenüber dem Kongreß und der Regierung massiv vertreten. Umstritten ist jedoch, wieweit das Vorgehen dieser Gruppen demokratische Verhaltensweisen verletzt bzw. eine Gefahr für die Demokratie oder in der Außenwirkung auch für den internationalen Bereich darstellt. Die seit Ende der sechziger Jahre in den USA stattfindende Diskussion macht diese Problematik sehr deutlich.
Die Existenz dieser „stillen Koalition" wird durch verschiedene Faktoren begünstigt:
1. In den USA sind die Streitkräfte (und nicht wie in der Bundesrepublik Deutschland ein von den Streitkräften unabhängiger ziviler Rüstungsbereich) selbst für die Entwicklung und Beschaffung von Rüstungsmaterial verantwortlich. 2. Ausscheidende Militärs wollen einen „guten Job" in der im vertrauten Metier agierenden Rüstungsindustrie erhalten.
3. Die Einstellung „second to none" drängt die Entscheidungsträger (ebenso übrigens wie die der Sowjetunion) in eine psychologische Situation, aus der heraus sie hypersensibel auf echte oder angebliche Warnsignale der sich ankündigenden Unterlegenheit reagieren. 4. Der zunehmende Drang der amerikanischen Legislative, ihr Budgetrecht exekutiv zu handhaben, führt automatisch in den Widerstreit unterschiedlichster politischer Interessen. 5. Der Druck einer einflußreichen Lobby bewirkt bei der Legislative nach aller Erfahrung Entscheidungen, die wenigstens die Hauptinteressenten minimal zufriedenstellen. Die Lösungen sind dadurch häufig nicht kosteneffektiv.
6. Der amerikanische Isolationismus, manifestiert im „buy-american-act", führt zu Doppelentwicklungen und damit zur Verschwendung von Ressourcen.
Unbeantwortet ist damit aber immer noch die Frage, ob der MIK eine Folge der Gesellschaftsordnung selbst ist oder ob er als das Resultat bestimmter innerstaatlicher Regelungen, weitgehend unabhängig von der Gesellschaftsordnung, begriffen werden kann. Darüber hinaus ist eine Verknüpfung beider Deutungen denkbar.
Was über die USA gesagt wird, trifft in ähnlicher Weise — unter den Bedingungen eines anderen politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ordnungssystems — für die Sowjetunion zu. Auch hier kann mit Recht von einem militärisch-industriellen Komplex gesprochen werden Der amerikanische Politologe Vernon Aspaturian bezeichnet ihn sogar als „militärisch-administrativ-industriellen Komplex“, der aus höheren Parteifunktionären, führenden Militärs und Managern der Schwerindustrie besteht. Diesen Führungseliten ist im Interesse der eigenen Machterhaltung und ebenfalls Machtstabilisierung daran gelegen, Bedrohungsvorstellungen zu „erzeugen" sowie eine gewisse internationale Span-nung zu erhalten. F. Vilmar meint, daß es aus diesen Zusammenhängen heraus auch in der Sowjetunion erhebliche Widerstände gegen eine Abrüstung und Entspannung gibt Dies widerlegt die monokausale These, wie sie z. B. in den Ostblock-Staaten und zuweilen von neomarxistischen Gruppen in west-lichen Ländern vertreten wird, daß die Hauptursache für einen militärisch-industriellen Komplex in privaten Profitinteressen zu sehen ist. Die Sowjetunion gibt ein Beispiel dafür, daß auch ohne privates Interesse an Rüstungsprofiten mächtige Gruppen vorhanden sind, die den Vorrang der Rüstungswirtschaft durchsetzen und sogar verstärken können, wie die Entwicklung im Rüstungsbereich in den letzten Jahren sehr deutlich zeigt. Vergleicht man beispielsweise den Anteil der Verteidigungsausgaben am Bruttosozialprodukt, die relative Pro-Kopf-Belastung der Bevölkerung durch Verteidigungsausgaben im Vergleich zur Wirtschaftskraft oder die Personalstärken der bewaffneten Organe im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung verschiedener Staaten, so stehen die Ostblockstaaten durchweg deutlich vor den westlichen Industrienationen und die Sowjetunion vor den Vereinigten Staaten Ein wesentlicher Unterschied zwischen den USA und der UdSSR besteht allerdings darin, daß es in der Sowjetunion ungleich schwerer ist, die Zusammenhänge zu erforschen. Mit polizeistaatlichen Mitteln wird jede kritische Forschung von außen her verhindert. Hier zeigen sich besonders die Bedingungen eines totalitären Gesellschaftssystems. Insofern ist es ein Fortschritt, daß — wenn auch von den Führungseliten nicht immer gewünscht, zuweilen sogar stark behindert — die Probleme in den Vereinigten Staaten erforscht, öffentlich diskutiert und in der Folge evtl, sogar kontrollierbar gemacht werden können. Dieser Unter-schied kann gar nicht genug hervorgehoben werden.
In der Bundesrepublik hat u. a. Dieter Seng-
haas den Versuch unternommen, das Problem der Rüstungsdynamik insgesamt zu beschreiben. Seine allgemeinen Analysen und I Überlegungen sind in sieben Theoremen zu: sammengefaßt. Den militärisch-industriellen Komplex sieht er als Teil eines möglichen Machtkartells zugunsten der Rüstungswirtschaft. Fritz Vilmar dehnt diesen Deutungsversuch aus und empfiehlt, nach den „gemeinsamen gesellschaftlichen Ursachen"
des Rüstungskomplexes zu fragen. Damit wird deutlich, daß eine isolierte Betrachtung des militärisch-industriellen Komplexes nicht zu der Erklärung möglicher Ursachen führen kann. Aus dieser Sicht gewinnen die genannten amerikanischen erweiterten Ansätze an Gewicht.
Wollte man an dieser Stelle eine Zwischenbilanz ziehen, sie müßte etwa so aussehen:
1. Das Gesellschaftssystem insgesamt begünstigt oder behindert den Bestand eines MIK;
es bietet jedoch keine hinreichende Gewähr für seine Kontrolle.
2. Die enge Verflechtung innerstaatlicher Interessen, die einen MIK beschreiben, kann nur durch interne Regelungsmechanismen überschaubar und öffentlich kontrollierbar gestaltet werden.
Eine abstrakte Deutung des militärisch-industriellen Komplexes hilft nur bedingt weiter.
Es müssen möglichst genaue Maßstäbe gefunden werden, „Meßlatten", an denen sich Art und Ausmaß bestimmen und bewerten lassen.
Als mögliche Kriterien, die helfen können, die Existenz und den Umfang eines militärisch-industriellen Komplexes genauer zu beschreiben, können z. B. gelten:
1. Der Grad der Verfilzung militärischer und industrieller Interessen (hierzu gehören auch: übertriebene Geheimhaltung, mangelnde Information, illegale Einflußnahme auf Regierung und Parlament, Korruption, „Berater" -
Problematik).
2. Organisation und Wirksamkeit von Kotrollen. 3. . Umfang und Selbstverständnis der Rüstungswirtschaft. 4. Geschäftsinteressen der Rüstungswirtschaft (z. B. im Blick auf Exportmöglichkeiten).
5. Marktordnung für Rüstungsgüter (z. B. offen für Import, Wettbewerb bei Anbietern).
6. Soziale Kosten der Binnenrüstung im Verhältnis zu ihrem militärischen Wert.
7. Offenheit gegenüber Abrüstungsmaßnahmen. Diese Kriterien haben — ohne daß der Anspruch auf Vollständigkeit erhoben werden soll — den Vorzug, relativ rasch Ergebnisse zu liefern, welche die qualitative Frage nach dem „ob" in bezug auf die Existenz eines MIK recht eindeutig beantwortbar machen. Im Umkehrschluß sollte man annehmen, daß sich damit ein MIK verhältnismäßig leicht beschreiben oder eventuell sogar definieren lassen müßte.
In neueren Lexika sucht man aber vergeblich nach einer Deutung oder einer Definition des militärisch-industriellen Komplexes. Das „Militärlexikon" von 1973 aus dem Militär-verlag der DDR leistet dagegen im Rahmen der ideologischen Abgrenzung seinen Beitrag: „Von Rüstungs-Produktion kann sinnvoll nur in bezug auf die Schaffung der materiell-technischen Mittel für die Aufrüstung in imperialistischen Staaten gesprochen werden. Die Produktion von materiell-technischen Gütern für die Bewaffung und Ausrüstung sowie den Unterhalt der Streitkräfte in den sozialistischen Ländern dient unmittelbar der Erhaltung des Friedens und der kollektiven Verteidigung des sozialistischen Weltsystems, weshalb sie ihrem Wesen nach verteidigungsproduktiv ist. Im Bereich der Rüstungsproduktion und Rüstungsforschung sind während der letzten Jahre besonders in der BRD das Entstehen eines militärisch industriellen Komplexes sowie ein nie gekannter Grad der Verschmelzung zwischen den Monopolen und dem Staat charakteristisch."
Danach versteht man in der DDR unter Militär-Industrie-Komplex einseitig jene „Herrsehaftsgruppe im staatsmonopolistischen Herrschaftssystem, die sich durch die strategisch-konzeptionelle, militärpolitische und kriegsökonomische Verflechtung der Interessen und Ziele von Rüstungsoligarchie, militärischer Führungsclique und Militarisierungsorganen des bürgerlichen Staates herausgebildet hat und zum Hauptträger der reaktionären, expansionistischen Politik und Strategie der aggressiven Kreise der Monopolbourgeoisie geworden ist"
Als Beweis für die „Existenz und Entfaltung des Militär-Industrie-Komplexes" zählt das Militärlexikon folgende „Tatsachen" auf:
— Aggressive Außenpolitik der imperialistischen Staaten.
— Aufrüstung und permanente Kriegswirtschaft ermöglichen zunehmend Monopolprofite des Finanzkapitals.
— Umfang und Tempo der Konzentration der Rüstungsindustrie nehmen zu.
— Wissenschaft und Forschung werden immer stärker dem militärischen Interesse untergeordnet. — Personelle Verflechtung zwischen Industrie, Militär und Staat.
— Das Militär verstärkt zunehmend seine Position. — Internationalisierung dieses Vorganges, ausgehend von den USA.
Spürt man diesen „Symptomen" in der Bundesrepublik Deutschland ohne ideologische Voreingenommenheit nach, so kann eindeutig festgestellt werden, daß es derartige Anzeichen nicht gibt. Berechtigt diese Feststellung aber bereits zu dem Schluß, daß bei uns ein militärisch-industrieller Komplex nicht existieren kann? Die bisher vorgenommene analytische Gesamtbetrachtung genügt noch keineswegs als Begründung einer schlüssigen Aussage. Die Benutzung des Begriffes als „ideologisches Kampfmittel" erschwert zudem die objektive Auseinandersetzung mit seinen Merkmalen und Bedingungen nicht unbeträchtlich.
II. Gibt es in der Bundesrepublik Deutschland einen „Militärisch-Industriellen Komplex" ?
Um die Frage, ob es in der Bundesrepublik Deutschland einen militärisch-industriellen Komplex gibt, begründet beantworten zu können, ist es zunächst erforderlich, die Zusammenhänge zwischen militärischen, administrativen, politischen und wirtschaftlichen Bereichen zu unterscheiden und die Verfahrens-regelungen im einzelnen darzustellen.
Für die Bundesrepublik Deutschland ist der Gesamtbereich des Rüstungswesens durch eine Fülle von Verfassungsvorschriften, Gesetzesnormen und verwaltungsinternen Erlassen, Weisungen und Verordnungen umfassend geregelt. Auf dieser Grundlage kann die Frage nach der Existenz eines militärisch-industriellen Komplexes en detail untersucht werden.
Die Transparenz, die dadurch geschaffen wird, dürfte in keinem anderen Staat so ausgeprägt gegeben sein. Die bestehenden Regelungen haben sich im allgemeinen sowohl durch politische Realitätskonformität wie durch praktische Handhabbarkeit mehrfach ausgezeichnet. Die politische Kontrolle über Rüstungsangelegenheiten ist nach innen und nach außen grundsätzlich gewährleistet.
Artikel 87 b des Grundgesetzes bestimmt, daß eine zivile Bundeswehrverwaltung als bundes-eigene Verwaltung mit eigenem Verwaltungsunterbau einzurichten ist. Sie dient unter anderem der „unmittelbaren Deckung des Sachbedarfs der Streitkräfte". Eine derartige Regelung, die Beschaffungsaktivitäten ausschließlich einem zivilen Bereich überträgt, ist in dieser Deutlichkeit nur in der Bundesrepublik Deutschland verwirklicht.
In der Bundeswehr werden die Aufgaben der Bedarfsdeckung ausschließlich vom zivilen Rüstungsbereich wahrgenommen. Dieser Bereich wurde mit einem Rahmenerlaß, dem sog. Rüstungsrahmenerlaß vom 28. Januar 1971, neu geordnet. Im Bundesministerium der Veteidigung ist dafür die Rüstungs-Abteilung zuständig. Im nachgeordneten Bereich übernimmt das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung in Koblenz diese Funktion; es ist der eigentliche Ansprechund Verhandlungspartner der Industrie.
Für die Beschaffung von Wehrmaterial wurde mit dem Rüstungs-Rahmenerlaß ein neues Verfahren eingeführt. Beschaffungsvorhaben werden danach in logisch aufeinanderfolgenden Phasen und Schritten verwirklicht. Nach dem Erlaß wird Wehrmaterial entsprechend seiner Komplexität unterteilt in Waffensysteme, Projekte und Geräte.
Am Ende jeder Phase ist ein Dokument zu erarbeiten, das sowohl vom Bedarfsträger (Streitkräfte) wie vom Bedarfsdecker (Rüstungsbereich) getragen wird und das in bestimmten Fällen der Billigung der Leitung des Bundesministeriums der Verteidigung bedarf, um die fortlaufende Kontrolle durch den politisch verantwortlichen Ressortchef zu gewährleisten. Umfangreiche Beschaffungsvorhaben werden zudem vom Kabinett zur Kenntnis genommen. Für das weitere Verfahren kann das Kabinett bestimmte Empfehlungen geben.
Darüber hinaus werden alle wichtigen Vorhaben den zuständigen Bundestagsausschüssen (Verteidigung und Haushalt) vor der Beschaffung zur Kenntnis gegeben. Dort findet eine intensive Prüfung statt, die sich auf operationeile, wirtschaftliche und sicherheitspolitische Aspekte erstreckt. Großvorhaben werden häufig in regelmäßigen Abständen überprüft, die Haushaltsmittel werden nur in Schritten freigegeben. Es hat sich die sehr wirkungsvolle Praxis herausgebildet, eine feste Preisobergrenze (zu einem bestimmten Preisstand) mit der Kenntnisnahme durch die Ausschüsse zu verbinden. Eine erneute eingehende Überprüfung aller Rüstungsvorhaben findet bei den jährlichen Haushaltsberatungen statt. Die Berichterstatter des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages prüfen in tagelangen Sitzungsperioden jeden Posten im Verteidigungshaushalt. Somit ist — dies scheint nicht allgemein bekannt zu sein — eine besondere Eingriffmöglichkeit und damit auch Verantwortung im Rahmen der parlamentarischen Kontrollbefugnis gegeben.
In den USA findet die Einwirkung des Kongresses auf Entscheidungen des Pentagon in formal weit stärkerem Ausmaß und vor einer größeren „interessierten Öffentlichkeit" als vergleichsweise in der Bundesrepublik Deutschland statt. Als Instrument wird in vielen Fällen das auch von Rundfunk und Fernsehanstalten übertragene „Hearing" eingesetzt. Das Problem für die USA besteht in der Praxis darin, daß die US-Regierung durch das Verhalten von Legislative und Öffentlichkeit gelegentlich in ihrer internationalen Handlungsfähigkeit eingeschränkt werden kann (typisches Beispiel: die letzten „Vietnam“ -Monate oder das Waffenembargo gegenüber der Türkei). So ist es vor allem üblich, daß die in weit stärkerem Maße selbständigen Teilstreitkräfte „ihre Lobby" im Kongreß besitzen. Auf diese Weise wird sogar die politische Leitung — paradoxerweise in der Hauptsache das Pentagon — umgangen und überspielt. Deutlichstes Beispiel war die Entscheidung zugunsten eines rein nationalen Kampfpanzers der achtziger Jahre, des M-l, obwohl eine Standardisierungsvereinbarung mit der Bundesrepublik Deutschland bestand und trotz der überlegenen Testergebnisse, die der deutsche Leopard 2 auch aufgrund seiner modernen 120-mm-Glattrohrkanone in den USA erzielen konnte. Das US-Heer hatte in diesem Falle über ein eigens aufgebautes Programmbüro zur verhindern gewußt, daß der US-Verteidigungsminister (damals James Schlesinger) seinen politischen Willen durchzusetzen vermochte. Vom Verteidigungsausschuß des Repräsentantenhauses wurde eine Resolution verabschiedet, die es angeblich dem US-Heer nicht gestattete, die ursprünglichen Standardisierungsvereinbarungen einzuhalten. 1976 bestimmte der Kongreß einseitig, bei internationalen Rüstungsverkäufen müsse in Zukunft ein bestimmtes Verfahren eingehalten werden und dabei seien von bestimmten Partnern zusätzliche Gebühren zu bezahlen, obwohl diesem Verfah-ren bestehende internationale Regierungsverträge in ideeller und materieller Hinsicht entgegenstanden. Diese Symptome rechtfertigen die Erweiterung des MIC-Begriffes in der vorher angeführten Weise. Abgesehen vom „demokratie-und bündnisschädigenden" Charakter eines solchen Vorgehens würde eine derartige Praxis in der Bundesrepublik Deutschland mit Sicherheit einen ernsten Verfassungskonflikt auslösen. In den USA zeigt sich in dieser Hinsicht eine Tendenz, bei der die Legislative dazu neigt, der Regierung und bestimmten Interessengruppen aus Militär, Politik und Industrie ein Instrumentarium anzubieten, das es erlaubt, völkerrechtlich wirksame Vereinbarungen scheinbar ohne Gesichtsverlust zu verletzen. Es ist äußerst bedenklich, daß im Extremfall auf diese Weise sogar das Parlament zu einem Instrument eines „MIC" werden kann.
In der Bundesrepublik Deutschland dürfte demgegenüber durch die vorstehend beschriebenen Kontrollen im wesentlichen sichergestellt sein, daß die naturgemäß hohen Forderungen der Streitkräfte — untereinander konkurrieren, — nicht im direkten Kontakt mit der Industrie von den Militärs ausgehandelt werden können, — vom sachkundigen Rüstungsbereich (im Falle von administrativen DV-Systemen, sog.
Fachinformations-Systemen, wird diese Aufgabe vom Organisationsstab — Org/DV — wahrgenommen) im Dialog mit den Streitkräften korrigiert werden können, — von den Vertragsund Wirtschaftsfachleuten des Rüstungsbereiches kostengünstig gegenüber der Industrie durchgesetzt werden müssen, — von der Leitung jederzeit überwacht und beeinflußt werden können und — schließlich die parlamentarischen Hürden, einschließlich der Erfüllung bestimmter Auflagen, nehmen müssen.
Die Rückzugsmöglichkeit bei begonnenen Vorhaben ist stets gegeben. Bei Phasenentscheidungen erfolgt zugleich eine Prüfung, ob die Fortführung in der beabsichtigten Wei-se noch sinnvoll ist.
Die Erfüllung der militärischen und sonstigen grundsätzlichen Forderungen wird von den Erprobungsstellen der Bundeswehr vor Einführung des Gerätes, Projektes oder Systems umfassend überprüft.
Der Sachbedarf der Streitkräfte wird im wesentlichen durch folgende Ausgaben gedeckt (in Klammern: der ungefähre Anteil am Verteidigungshaushalt):
1. Wehrforschung, Entwicklung, Erprobung (5 Prozent)
2. Militärische Beschaffung Prozent)
3. Materialerhaltung (10 Prozent)
Die Anteile am Verteidgungshaushalt sind Schwankungen unterworfen. Es besteht im Rahmen der Wehrstruktur-Maßnahmen die Absicht, den Gesamtanteil der investiven Kosten (dazu zählen im wesentlichen: Forschung, Entwicklung, Erprobung, Beschaffung und Infrastruktur) bei etwa 30 0/0 der Verteidigungsausgaben zu stabilisieren. Es ist jedoch wahrscheinlich, daß dieser Wert in Zukunft im Interesse einer optimalen Ausrüstung der Bundeswehr auf mindestens 35 0/0 steigen muß.
Der Rüstungsbereich verwaltet mithin den disponiblen Teil der Verteidigungsausgaben, der etwa ein Drittel der Gesamtaufwendungen ausmacht.
Für die praktische Handhabung hat die Bundesregierung (Verteidigungs-Weißbuch 73/74, Ziff. 255) rüstungswirtschaftliche Prinzipien aufgestellt:
— Die Bundesrepublik Deutschland will keine Rüstungsautonomie.
— Rüstungsvorhaben werden, wo immer möglich, mit den Verbündeten abgestimmt und gemeinsam verwirklicht.
— Parallele Entwicklungen unter den Bündnispartnern sind grundsätzlich zu vermeiden.
— Die nationale Rüstungsproduktion bleibt eingebettet in die private Wirtschaft, neben den zivilen Fertigungsprogrammen.
— Entwicklungen in der Rüstung mit hoher technologischer Innovation erhalten die Urteilsfähigkeit in komplexen rüstungstechnischen Fragen und dienen zugleich dem gesamtwirtschaftlichen Interesse.
— Rüstungsexporte bleiben in erster Linie auf NATO-Staaten beschränkt.
— Rüstungsaufträge werden nach wettbewerblichen Grundsätzen vergeben.
Der Anteil des Verteidigungshaushaltes am Gesamthaushalt des Bundes und am Bruttosozialprodukt zeigt abnehmende Tendenz. Mit etwa 32, 9 Milliarden DM betrug er im Jahre 1977 rund 190/0 des Bundeshaushaltes. Bis 1975 stiegen die Personalausgaben innerhalb des Verteidigungshaushaltes weit überproportional im Vergleich zu allen anderen Ausgaben 20). Damit verringert sich langfristig der reale Umfang der verfügbaren Mittel für die Rüstung. Das zwingt zur Standardisierung, Rationalisierung, zur internationalen Rüstungskooperation, zu neuen betriebswirtschaftlichen und technischen Ansätzen (z. B. Optimierung der Kosteneffektivität von Waffensystemen im Gesamtbereich ihrer Nutzungsphase). Allerdings ist diese „Reserve" im Bereich der Bundeswehr bereits weitgehend ausgeschöpft. Weitere Einschränkungen würden zu einem deutlichen Absinken des Investitionsanteils am Verteidigungshaushalt führen. Deshalb wird sich bereits bald die politische Grundsatzfrage stellen, wie hoch der Investitionsanteil gehalten werden soll.
Die im Inland für militärische Beschaffungen aufgewendeten Mittel betragen nur etwa ein Drittel des Gesamtvolumens der Bundeswehr-aufträge (militärische Beschaffungen, Forschung, Entwicklung, Erprobung, Materialerhaltung, Infrastruktur und sonstige Aufwendungen für den Betrieb, wie Betriebsstoffe, Dienstleistungen, Munition, Reparaturen sowie Mieten) oder etwa 18 Prozent des Verteidigungshaushaltes. Diese Aufwendungen schließen einen erheblichen Teil handelsüblichen Geräts ein.
Im Inland werden weniger als ein Prozent des Gesamtumsatzes der Industrie für die Beschaffung und die Erhaltung von Waffen und anderem militärischen Gerät aufgewendet Damit wird klar, daß von einer Rüstungsindustrie global nicht gesprochen werden kann. Etwa 10 Prozent der Beschaffungsaufwendungen und ein etwas geringerer, aber steigender Prozentsatz der Materialerhaltungsaufwendungen fließen direkt der Mittelstandswirtschaft zu; weitere Anteile erhält sie im Wege von Unteraufträgen.
Obgleich die gesamte inländische Industrie nur rund 1 Prozent ihres Umsatzes mit dem Verteidigungsministerium abwickelt, wobei nicht-militärische Ausrüstung, Gerät, Bauleistungen, Instandsetzung, Bekleidung usw. eingeschlossen sind, gibt es dennoch Industriezweige, die einen wesentlichen Teil ihres Um-saizes mit Aufträgen aus dem Verteidigungsministerium erzielen. Naturgemäß gehören dazu vor allem die Munitions-und Waffenindustrie. Die Bundesregierung hat dieser Sparte den Ausbau der zivilen Produktion empfohlen und dies auch gefördert. Einseitige Abhängigkeiten konnten auf diese Weise erheblich vermindert werden.
Die Luft-und Raumfahrtindustrie hängt heute noch-zu etwa 70 Prozent von Rüstungsaufträgen ab. Es ist beabsichtigt, unter 50 Prozent zu kommen. Für die Lösung dieser und anderer Fragen hat die Bundesregierung einen Koordinator eingesetzt. Bestimmte Firmen des Maschinenbaues, des Schiffsbaues und der Elektronik erwirtschaften einen erheblichen Teil ihres Umsatzes mit Rüstungsaufträgen. Die Bindung des Arbeitsmarktes an Rüstungsaufträge ist noch verhältnismäßig gering. Etwa 150 000 Fachkräfte viele von ihnen überdurchschnittlich gut ausgebildet, finden in der Bundesrepublik unmittelbar Arbeit durch Aufträge aus dem Verteidigungsressort. Von diesem Potential, das deutlich unter ein Prozent der Gesamtbeschäftigten liegt, geht nur ein regional und sektoral begrenzter Druck für die Beibehaltung oder Ausweitung von Rüstungsaufträgen aus. Die Bundesrepublik ist damit von der Rüstungswirtschaft her offen für jede nur denkbare Abrüstungsmaßnahme. Durch die Fragen der internationalen Rüstungskooperation und der Standardisierung sowie durch den internationalen Wettbewerb sind die Bereiche Rüstungs-Import und Rüstungs-Export berührt. Die Bundeswehr hat in den letzten Jahren einen beachtlichen, aber insgesamt geringer werdenden Teil ihrer Rüstungsgüter (= Sachbedarf der Streitkräfte) im Ausland beschafft; augenblicklich beträgt er weniger als die Hälfte, bezogen auf rein militärische Beschaffungsausgaben (bzw. etwa 20 Prozent der gesamten Entwicklungs-, Be-schaffungs-und Materialerhaltungsausgaben), wobei sich der weitaus überwiegende Anteil aus Kooperationsprodukten — insbesondere mit Frankreich — zusammensetzt; dabei waren Waffen und militarisiertes Gerät gegenüber handelsüblichen Gütern an den Lieferungen aus dem Ausland in prozentual weit höherem Maße beteiligt als im Inlandsanteil. Im Inland kauft die Bundeswehr den überwiegen-den Teil ihres „zivilen“ bzw. handelsüblichen Materials (z. B. Kraftfahrzeuge), führt Forschungen und Entwicklungen durch und vergibt sonstige Dienstleistungen (z. B. im Ge-
samtbereich der Materialerhaltung).
An der Spitze der Lieferländer stehen Frankreich, die USA und Großbritannien. Der Lieferanteil einzelner Länder schwankt stark von Jahr zu Jahr. Die Bundeswehr kauft im Ausland nicht nur von der Industrie, sondern auch von Regierungen, von Dachgesellschaften aufgrund von Kooperationsabkommen, von Verwaltungen und anderen Stellen. Der Direktverkehr mit der ausländischen Industrie steht jedoch im Vordergrund.
Im Zuge der Abwicklung der Devisenausgleichsabkommen bestand in gewissem Umfang eine Verpflichtung, Rüstungsgüter im Ausland zu kaufen. Die Devisenausgleichsabkommen mit den USA und Großbritannien, die teilweise auch reine Budgetleistungen beinhalteten, sind inzwischen ausgelaufen. Die Bundesregierung strebt an, alle Rüstungsimporte im Rahmen eines umfassenden Kompensationsabkommens langfristig durch Gegenlieferungen volkswirtschaftlich auszugleichen. Die Bundesregierung hat wiederholt erklärt, sie strebe keine und keine Rüstungsautarkie nationale Rüstungsindustrie bzw. keine Ausweitung des Rüstungsexports (Spannungsgebiete) an. Bedenklich ist jedoch, daß verschiedene private Einzelfirmen offenbar ihre Un-ternehmenspolitik darauf abgestellt haben, einen erheblichen Umsatzanteil auf Dauer mit Aufträgen des Verteidigungsministeriums zu erzielen bzw. auf eine Expansion der Export-möglichkeiten für Waffen und militärische Ausrüstung hinarbeiten. Dadurch sind Fragen der Arbeitsplatzsicherung, des unternehmerischen Risikos und der Nutzungsmöglichkeit des Wettbewerbsvorteils durch den Auftraggeber essentiell berührt. Es können Zwänge für Firmen und Behörden erwachsen, die eine Einhaltung des Grundsatzes vom wirtschaftlichen Handeln erheblich erschweren und in deren Folge der Reiz entstehen könnte, unkorrekt zu handeln.
Hiermit sind Fragen der Regionalpolitik und der Arbeitsplatzsicherung verbunden. Gelegentlich wird auf der „politischen Schiene" versucht, Einfluß zugunsten der eigenen oder einer nahestehenden Firma bzw. Region geltend zu machen. Die relativ risikoarmen Staatsaufträge — insbesondere wenn es sich um Kooperationsvorhaben handelt, die aus politischen Gründen kaum oder nicht abgebrochen werden können — sind vor allem in wirtschaftlich schwierigen Zeiten begehrt.
Daraus erwachsen Geiahren bezüglich der Entstehung oder des Anwachsens eines „militärisch-industriellen Komplexes".
Diese Problematik wird ohne Zweifel durch den Export von Rüstungsgütern noch verschärft. Eine Beurteilung dieses Sachverhaltes ist aber nur im gesamtwirtschaftlichen Rahmen möglich. So kann zum Beispiel jeder Auftrag der Bundeswehr an die Binnenwirtschaft — egal, ob für Forschung, Entwicklung oder Beschaffung erteilt — Nachfrage aus dem Ausland wecken bzw. Exportabsichten des Auftragnehmers hervorrufen. Die deutsche Industrie hat in der letzten Zeit verschiedene Waffensysteme und Geräte, teils selbst, teils in Kooperation entwickelt, die, würde der Rüstungsexport liberalisiert, zu wahren Exportschlagern gediehen. Beispiel: der mittlere Kampfpanzer „Leopard". Angesichts eines wachsenden internationalen Rüstungshandels dessen Volumen 1977 bei weit über 40 Milliarden DM gelegen haben soll und der in erster Linie von den USA, der Sowjetunion, ge und Großbritannien -tragen wird, ist die Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland mit einem Anteil von etwa 0, 2 Prozent verschwindend gering. Selbst neutrale Staaten wie Schweden und die Schweiz engagieren sich relativ stärker als die Bundesrepublik im internationalen Rüstungsgeschäft. Einen erheblichen Aufschwung erlebte der internationale Waffenhandel nach dem Nah-Ost-Krieg von 1973. Die Angaben über die tatsächliche Höhe schwanken allerdings beträchtlich, so z. B. in der Wochenzeitung „Die Zeit" und in der „Europäischen Wehrkun-de" die sich auf das „SIPRI“ (Stockholm International Peace Research Institute) berufen. Es werden an dieser Stelle bewußt Zeitungen und Zeitschriften zitiert, da sie die Hauptinformationsquellen für große Teile der Öffentlichkeit darstellen und somit vielfach einzig mögliche Grundlage öffentlicher Diskussionen sind. Wer sich genauer informieren will, sollte sich stets primäres Quellenmaterial beschaffen. Dies ist in diesem Bereich jedoch sehr schwierig, meist aussichtslos. Deshalb muß man auf Schätzungen und Zusammenstellungen von spezialisierten Instituten zurückgreifen die Genehmigung kommerzieller Rüstungsexporte aus der Bundesrepublik ist das Wirtschaftsministerium zuständig. Dabei werden das Auswärtige Amt im Hinblick auf die außenpolitische Bewertung und das Verteidigungsministerium mit dem Ziel einer sicherheitspolitischen Beurteilung des beabsichtigten Exportvorhabens beteiligt.
In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu wissen, daß die internationale Rüstungskooperation, die u. a. zur Verbilligung der Rüstungsaufwendungen führen soll, in gewissem Sinne die gleichzeitige Anbindung an das Exportverhalten der Partnerstaaten bedeuten kann. Da einige Partnerstaaten aus wirtschaftlichem Interesse eine Steigerung ihres Rüstungsexportes anstreben, kann die Bundesregierung aufgrund grundsätzlicher politischer Erwägungen bei gemeinsam entwickelten und gefertigten Waffensystemen in den Entscheidungszwang zwischen Export und Kooperation geraten.
Rüstungsexporte werden in der Regel nur bei Abgabe einer verbindlichen Endverbleibserklärung genehmigt. Diese besagt im allgemeinen, daß die Weiterveräußerung der vorherigen schriftlichen Zustimmung der Bundesregierung bedarf.
Lediglich gegenüber NATO-Verbündeten bestehen keine grundsätzlichen Beschränkungen für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern. In „Spannungsgebiete" werden insbesondere bei unmittelbarer Kriegsgefahr weder Waffen noch militärisches Gerät exportiert. Danach wird ausnahmslos verfahren; auch bei sogenannten Defensivwaffen
Nach den Beschlüssen des Bündnisses leistet die Bundesrepublik Verteidigungshilfe an Verbündete. Dabei handelt es sich um Rüstungslieferungen von Regierung zu Regierung, die vorwiegend aus Überschußbeständen der Bundeswehr bestehen. Insgesamt betrachtet verhält sich somit die Bundesrepublik in bezug auf den Rüstungsexport grundsätzlich restriktiv.
Für den Rüstungsexport bestehen ins einzelne gehende gesetzliche Regelungen. Angesichts jüngster Entwicklungen im Bereich der Rüstungskooperation darf ihre Praktikabilität aber bezweifelt werden.
Im Außenwirtschaftsgesetz (AWG) wird bestimmt, daß mit dem Ziel, Friedensstörungen zu verhindern, die Ausfuhr und Einfuhr Von Waffen, Munition und Kriegsgerät beschränkt werden kann.
Als Ausführungsgesetz zu Artikel 26 (2) des Grundgesetzes wurde das Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen (KWKG) erlassen.
Es besagt, daß die Herstellung, die Beförderung und das Inverkehrbringen von Kriegswaffen von der Bundesregierung genehmigt werden muß. Die Genehmigung ist zu versagen, wenn die Gefahr besteht, daß Kriegswaffen bei einer friedensstörenden Handlung verwendet werden oder wenn Grund zu der Annahme besteht, daß die Genehmigung völkerrechtliche Verpflichtungen der Bundesrepublik verletzen oder deren Erfüllung gefährden würde. Erteilte Genehmigungen können Widerrufen werden. Darüber hinaus erwachsen der Bundesrepublik Rüstungs-und andere Beschränkungen aus dem Vertrag über die Westeuropäische Union (WEU). Sie hat außerdem freiwillig auf die Herstellung von ABC-Waffen und anderer, vornehmlich schwerer und strategischer Offensivwaffen verzichtet
Die Einllußnahme der Bundesregierung auf die Exportund Produktionsabsichten und das Verhalten der Rüstungswirtschaft muß aus politischen Gründen in vollem Umfang gewährleistet sein.
Um den Dialog mit der Industrie nicht nur auf der Durchführungsebene — wobei nur kurzfristige Steuerungsmöglichkeiten bestünden —zu pflegen, hat Sich zwischen Rüstungswirtschaft und der politischen Leitung der Bundeswehr ein Rüstungswirtschahlicher Arbeitskreis (RüAK) gebildet. Dadurch ist es möglich, in Gesprächen auf hoher Ebene bestimmte Absichten und Erkenntnisse des Ministeriums wie im Gegenzug die der Wirtschaft zu verdeutlichen. Die Wirtschaft und die Bundeswehr vermögen sich darauf einzustellen, volkswirtschaftliche Fehlentwicklungen können vermieden werden und die Erfahrungen beider wechselweise Seiten werden frühzeitig nutzbar. Eine ähnliche Einrichtung, die NIAG gibt es auch auf NATO-
Ebene.
Das Bundesministerium der Verteidigung sieht im Forum des Rüstungswirtschaftlichen Arbeitskreises ein nützliches Instrument, um den gebotenen Informations-und Gedankenaustausch zwischen der Wirtschaft und den zuständigen Behörden zu ermöglichen. Seine Mitglieder werden durch den Verteidigungsminister berufen. Partnerschaft und Wettbewerb sind die Grundlagen der Arbeit dieses Arbeitskreises. Bisher tagte der RüAK ein-
oder zweimal im Jahr in Form von Plenarsitzungen.
Im RüAK gibt es verschiedene (erweiterte)
Arbeitsgruppen.
Alle diese Maßnahmen zeigen, daß die jeweilige Bundesregierung bemüht war und ist, in der Bundesrepublik dem Entstehen eines „Militärisch-Industriellen Komplexes" entgegenzuwirken.
Betrachtet man jedoch praktische Einzelfälle, so scheint es, als ob alle genannten Bestimmungen und Maßnahmen noch zu wenig bewirkt haben. Die Regelungen und Auflagen werden, wie zahlreiche Beispiele belegen, in vielfacher Hinsicht unterlaufen. So schreibt Anton Andreas Guha:
„Vordergründig betrachtet sind die westdeutschen Rüstungsexporte relativ gering. Ihr Anteil am Gesamtexport beträgt etwa 0, 2 Prozent, das sind knapp über 400 Millionen Mark. Ein anderes Bild ergibt sich, wenn man in Betracht zieht, daß deutsche Rüstungsfirmen in zunehmendem Maße dazu übergehen, Produktionsanlagen in Länder der Dritten Welt zu verlagern, was sich in der Inlandsstatistik natürlich nicht niederschlägt.
So baut Messerschmitt-Bölkow-Blohm den Hubschrauber Bo 105 auf den Philippinen, Krupp produziert in Indien Stahllegierungen für Raketen, Lürssen schweißt in Malaysia Schnellboote zusammen, Heckler & Koch stellt in Thailand Feuerwaffen und Munition her.
Darüber hinaus werden Artikel geliefert, die an sich keine Waffen sind, jedoch ohne weiteres und wirkungsvoll militärisch eingesetzt werden können, wie elektronische Systeme, Spezialmaterialien, Maschinen, Ersatzteile."
„Weitgehend unproblematisch ist der Export ganzer Waffenschmieden. Gegen die Errichtung von Munitionsfabriken hat Bonn bisher keine Bedenken erhoben. Selbst die bundeseigene Fritz Werner GmbH ist an diesem Geschäft beteiligt. In anderen Fällen wurde das Ausfuhrverbot umgangen, indem deutsche Firmen als Unterauftragnehmer für Firmen im NATO-Bündnis tätig wurden. Auf diese Wei-se kam Israel Ende der sechziger Jahre zu zwölf Raketenschnellbooten der Bremer Lürssen Werft.
Dies war der spektakulärste, aber keineswegs der einzige Fall, in dem deutsche Waffen in Spannungsgebieten auftauchten. Das deutsche G-3-Gewehr der Firma Heckler und Koch, vom NATO-Mitglied Portugal in Lizenz gebaut, hat im ehemals portugiesischen Kolonialbusch seine Dienste getan. Im indisch-pakistanischen Konflikt 1971 waren von der Bundeswehr ausgemusterte . Sabre'-Jagdflugzeuge dabei."
Neben dem „Leopard" -Panzer, der bei einer Lockerung der Exportbeschränkungen zu einem Schlager im internationalen Waffengeschäft werden könnte, würden einige andere in deutscher Produktion hergestellte Waffen, die nahezu konkurrenzlos sind, da sie spezifischen Bedürfnissen vieler Länder entgegenkommen und zudem sehr kosteneffektiv sind, guten Absatz finden (z. B. Fregatten, Schnellboote, ferngesteuerte Minenabwehrsysteme, konventionelle U-Boote für flache Gewässer, Panzer-Abwehrlenkraketen, Panzer-Abwehr-hubschrauber, Verbindungshubschrauber, Schnellfeuerwaffen, Schützenpanzer, gepanzerte Radfahrzeuge, Flugabwehr-Raketenpanzer ROLAND, MRCA, ALPHA-Jet, Flugabwehrkanonen-Panzer GEPARD, drahtgelenkte Torpedos, Luft-Schiff-Rakete KORMORAN).
— Auf einer Wochenendtagung der Evang. Akademie Arnoldsheim zum Thema „Die deutsche Rüstungswirtschaft und die Dritte Welt" ist, wie A. Andreas Guha berichtet , über Argumente Für und Wider eines Waifenexportes ausführlich diskutiert worden. Die Tagung hat nach Guha ergeben, „. .. daß paradoxerweise . rationale'Argumente, ökonomische, technische und entwicklungspolitische, kaum hinreichen, ein Exportverbot für Rüstungsgüter einsichtig zu begründen, wenn es nicht gelingt, auch eine verbindliche . moralische Kategorie'zu definieren. Vor allem Merex-Prokurist Hambrusch begegnete rationalen Argumenten ebenfalls mit rationalen Gegenargumenten, die nicht ohne weiteres abgetan werden konnten.
Sichert nicht die Rüstungsproduktion auch deutsche Arbeitsplätze? Gelangt ohne die Deutschen eine einzige Waffe weniger in die Dritte Welt? Bietet nicht gerade die Abhängigkeit der Regierungen der Dritten Welt von Nachschub und Ersatzteilen Möglichkeiten der Krisenkontrolle, etwa mittels Androhung eines Waffenembargos? Lasse sich die Dauer und damit die Zahl der Opfer im Kriegsfälle nicht gerade dadurch beschränken, daß die Wirkung moderner Waffen so stark sei? Werde nicht die Existenz schwacher Staaten (z. B.
Israels) durch eine hochtechnologisierte Armee gerade garantiert? Würden nicht die Entwicklungsländer im Falle eines weltweiten Stopps des Waffenhandels eine eigene Rüstungsindustrie aufbauen, was noch teurer käme?"
Die Bundesregierung hat infolge der seit ihrem Beschluß vom 16. Januar 1971 eingetretenen Entwicklungen und aufgrund ihrer wachsenden Kooperationsverpflichtungen ihre bisherige Haltung erneut überprüft
„Wehrtechnik ist Spitzentechnik" (Mommsen) bedeutet, daß von dem relativ geringen Um-fang an Rüstungsaufwendungen ein hoher Rückfluß an allgemeinen, technologischen und verfahrensorientierten Erkenntnissen für die Gesamtwirtschaft zu erwarten ist. Das gilt insbesondere für die Forschung. Der Verteidigungshaushalt 1976 wies für direkte wehrtechnische, wehrmedizinische und wehrpsychologische Forschung sowie wehr-wissenschaftliche Planungsforschung mit rund 70 Millionen DM nur etwa 0, 2 Prozent seines Volumens aus. Es ist fraglich, ob damit überhaupt das Minimum aufgewendet wurde, um durch eigene Erkenntnisse der Behörde die erforderliche Kontrolle gegenüber der Wirtschaft erfolgreich durchführen zu können. Ein Mindestmaß an Forschung und freier Entwicklung von Technologien garantiert die unerläßliche Unabhängigkeit der Bundeswehr. Daneben gewährt das Verteidigungsministerium mit Beschaffungsverträgen, aber auch bei bestimmten Entwicklungen und gelegentlich auch bei der Materialerhaltung einen besonderen Zuschlag (etwa zwischen 2-und 4 Prozent) für sogenannte „freie Forschung und Entwicklung". Der Gesamtbetrag hierfür dürfte 1976 bei 200 Millionen DM gelegen haben, also dem Dreifachen der „kontrollierten und zielgerichteten Forschung". Bis heute hat das Ministerium keine Kontrolle und Steuerung über diese Mittel. Bei der vorhandenen Mittel-enge ist dies völlig unverständlich. Zugleich befremdet, daß beim Bundesamt für Wehr-technik und Beschaffung keine genaue Kartei der vom Bund direkt und indirekt finanzierten Patente und Lizenzen existieren soll. Hierdurch wurde den Auftragnehmern von Bundeswehraufträgen ein ganz erheblicher Wettbewerbsvorteil verschafft. Zusammenfassend ergibt sich, daß für die Bundesrepublik Deutschland aus wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen (z. B. Mitspracherecht der Bundesrepublik Deutschland bei Rüstungsangelegenheiten in NATO-Gremien und Abschätzung der geforderten Preise bei Rüstungsimporten) Gründen die Abstützung auf eine bestimmte Rüstungskapazität unerläßlich ist. Die Qualität der deutschen Rüstungsgüter und ihre internationalen Marktchancen sprechen für die Existenz eines wirksamen Managements der zuständigen Behörden und der Industrie. Mit der Industrie wik-
kelt ausschließlich der zivile Rüstungsbereich sämtliche Verträge ab; er führt auch die Verhandlungen. Eine generelle Verfilzung von militärischen und industriellen Interessen zum Nachteil der Bundesrepublik Deutschland gibt es nicht. Selbst Ansätze, die sich ausweiten könnten, sind — von Einzelfällen abgesehen — nicht erkennbar. Zudem bestehen mehrere Kontrollmechanismen, die es erlauben, das Gesamtspektrum des Rüstungsgeschehens ständig ausreichend zu überwachen.
Wichtigstes Hilfsmittel ist dabei ein leistungsfähiges Kostenrechnungssystem.
Intern erfolgt im Verteidigungsministerium die politische Kontrolle durch die Leitung. Sie bedient sich eines hochentwickelten Systems der Planung, der Kostenermittlung, der Haushaltsüberwachung, der Güteprüfung, der Preisprüfung, der Erprobung. Außerdem verfügt sie über ein spezielles Referat für Ermittlungen in Sonderfällen.
Daneben bestehen zahlreiche externe Kontrollen, die — teils institutionalisiert, teils nicht — in das Ministerium hineinwirken. Am wichtigsten ist die parlamentarische Kontrolle durch den Haushalts-und den Verteidigungsausschuß. Der Bundesrechnungshof überprüft laufend die Wirtschaftlichkeit von Handlungen der Behörde. Parlamentarier nehmen ihr Frage-recht in Anspruch, empfehlen unter Umständen ein bestimmtes Verhalten des Ministeriums oder werden auf Anregungen von Einzelpersonen, Firmen, Verbänden und sonstigen Institutionen hin tätig, die sich in vielen Fällen auch direkt an das Ministerium wenden.
III. Kann in der Bundesrepublik Deutschland ein „Militärisch-Industrieller Komplex" entstehen?
Obgleich generell keine Symptome eines militärisch-industriellen Komplexes auszumachen sind, liefert jedoch eine sektorale oder gar individuelle Betrachtung nicht von vornherein ein derartiges klares Bild. Einzelne Bestechungsfälle deuten auf die Versuchungen hin, die aus der Dispositionsgewalt von Einzelpersonen über große Summen aus dem Verteidigungshaushalt erwachsen können. Die Neuordnung des Rüstungsbereiches sollte auch hier noch bessere Kontrollmöglichkeiten schaffen. Das Fehlverhalten einzelner Personen wird allerdings nie gänzlich auszuschließen sein. Der Schluß von Einzelfällen auf den Gesamtbereich ist jedoch nicht korrekt. Gleichwohl wird dieser Versuch — vor allen Dingen im Rahmen der ideologischen Auseinandersetzung — stets wiederholt, weil die analytische Gesamtbewertung nicht zum gewünschten Ergebnis führt. Häufig wird als Indiz für die Existenz eines i militärisch-industriellen Komplexes die Tätigkeitvon ehemaligen Beamten, Angestellten und Soldaten der Bundeswehr in der Industrie genannt. Dabei konzentriert sich die Kritik vornehmlich auf die Verwendung von ehemaligen Spitzenkräften des Bundeswehrberei-> ches.
Unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten muß die Bundesrepublik Deutschland daran interessiert sein, den Erfahrungsaustausch zwischen Behörden und Industrie möglichst eng zu gestalten. Die Verwendung von Unternehmensleitern in Behörden blieb auf Einzelfälle beschränkt und erlangte keine prakti-: sehe Bedeutung. Dagegen wechseln viele Behördenangehörige und insbesondere Zeit-soldaten in die Wirtschaft. Der für erforderlich gehaltene Personalaustausch findet damit nur in einer Richtung statt — und bei Pensionären wohl fast ausschließlich unter gegenseitigen Gewinninteressen.
Abgesehen von gesetzlichen Vorschriften, die diese Entwicklung begünstigen, bestehen zwei Sonderprobleme für Soldaten.
Die Bundeswehr ist auf eine große Zahl von Zeitsoldaten angewiesen, die nach ihrer Dienstzeit in den zivilen Beruf eingegliedert werden müssen. Ein Teil der hochspezialisierten Fachleute findet in Wirtschaftszweigen Aufnahme, die für das Verteidigungsministerium arbeiten. Dies ist vor allen Dingen dort der Fall, wo ziviler Bedarf kaum besteht (z. B. Radar, Triebwerkbau, Flugzeugbau, Schleudersitze, Munition, Fallschirme usw.). Die weitaus überwiegende Zahl der ausgeschiedenen Zeitsoldaten wird jedoch in Bereichen tä-tig, die keine Geschäftsbeziehungen zum Bundesministerium der Verteidigung unterhalten. Spitzenmilitärs scheiden heute im Alter von 60 oder weniger Jahren aus dem aktiven Dienst aus. Das führt häufig dazu, daß sie anschließend noch eine adäquate Stellung in der zivilen Wirtschaft anstreben. In der Vergangenheit haben in der Hauptsache Unternehmen, die in größerem Umfange für die Bundeswehr arbeiten (wie Dornier, MBB, MTU, Rheinmetall, Industriewerke Saar, Deutsche Werft AG, Matra, Boeing, Bell Aerospace Corp., VFW, ESG, FEG usw.) sowie Wirtschaftsverbände ehemalige hohe Offiziere und Beamte beschäftigt Da diesen für die Übernahme leitender Positionen in den meisten Fällen die Voraussetzungen fehlen, fallen ihnen in der Regel sogenannte „Berater“ -Funktionen zu. In der Praxis sind dies meistens Verbindungstätigkeiten zum Verteidigungsbereich. Dabei wurden überwiegend die Kontakte aus der aktiven Zeit ausgenutzt. Am spektakulärsten ist wohl das überwechseln des erst 50jährigen Rüstungsstaatssekretärs Dr. jur. Siegfried Mann mit voller Staatssekretärpension als Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der deutschen Industrie. Der verbalen Versicherung, er habe in der neuen Stellung „nichts mit Rüstungsdingen" zu tun, kann bei der Komplexität von Wirtschaftsvorgängen keinerlei praktische Bedeutung beigemessen werden.
Dies Beispiel zeigt deutlich, daß an die moralisch-sittliche Einstellung hoher Beamter und Soldaten im Verteidigungsund speziell im Rüstungsbereich besondere Anforderungen gestellt werden müssen und daß Fachkompetenz allein kein hinreichendes Eignungsmerkmal sein kann.
Das Bundesministerium der Verteidigung hat in einem Erlaß vom 7. September 1971 — nachdem der Bundesrechnungshof bereits 1968 auf bedenkliche Interessenkonflikte hingewiesen hatte — bestimmt, daß ehemalige Soldaten, Beamte und Angestellte aus dem Bereich des Verteidigungsministeriums entweder erst drei Jahre nach dem Ausscheiden oder bei Vorliegen einer Sonderzustim-mung als Gesprächs-oder Verhandlungspartner zugelassen werden. Die Sonderzustimmung darf nur in klar geregelten Ausnahmefällen erteilt werden
Durch diese Regelung geht allerdings auch Fachwissen verloren. Andere Staaten — insbesondere solche, bei denen Berufssoldaten noch früher aus dem Dienst ausscheiden — gliedern dieses Fachwissen bewußt in die Wirtschaft ein. Der erwähnte Erlaß spricht sich jedoch klar zugunsten einer Entkoppelung von Verteidigungsbereich (Militärs und Zivilbedienstete) und Rüstungswirtschaft aus. Die möglichen Nachteile des „entgangenen Fachwissens" werden bewußt in Kauf genommen.
Die anhaltende und zunehmende Einstellung von ausgedienten hohen Beamten, Soldaten und Angestellten im Gesamtbereich der Rüstungswirtschaft wird vom Verteidigungsministerium mit wachsendem Unbehagen registriert, zumal eine echte, nicht verteidigungsspezifische Managementtätigkeit bis heute die wenigsten „Ehemaligen" haben übernehmen bzw. ausfüllen können. Ihr „Wert" für das jeweilige Unternehmen scheint primär in ihren persönlichen Kontakten zum militärischen Bereich und in ihren rüstungsbezogenen Kenntnissen zu liegen. Es kann deshalb davon ausgegangen werden, daß die rüstungsorientierte Industrie nur zwei wesentliche Motive für die Beschäftigung dieses Personenkreises kennt:
— „Dankbarkeit" für frühere „gute Dienste" und — berechtigte Erwartungen einer Einflußnahme auf die Vergabe von Aufträgen.
Beide Motive müssen aus der Sicht des Verteidigungsministeriums erklärtermaßen als ebenso schädlich wie verwerflich angesehen werden.
(In einigen Sektoren der Wirtschaft hängen einzelne Betriebe sehr stark von Rüstungsaufträgen ab. Dies gilt, wie bereits erwähnt, vor allen Dingen für die Bereiche der Munitions-, der Waffen-und der Flugzeugindustrie sowie vereinzelt auch bei Maschinenbau, Elektronik und Schiffbau. Aufgrund dieser Abhängigkeit können Zwänge durch die erforderlichen Veränderungen der Auftragslage oder die Bil-dungvon monopolartigen Angebotssituationen entstehen.
Abschließend sei hier festgehalten, daß jeder, der dem militärisch-industriellen Komplex in der Bundesrepublik nachspüren will, immer nur Mikrobereiche finden wird, in denen partielle Interessenidentität zwischen Militärs und Industrie (verkörpert durch Industrieleiter, Manager, Aufsichtsräte) besteht. Eine Ausweitung dieser Bereiche ist jedoch möglich und wird wohl auch von der Bundesregierung befürchtet. Davon zeugen verschiedene Grundsatzerlasse und Weisungen des Verteidigungsministeriums sowie Beschlüsse der Bundesregierung. Um den möglichen Gefahren (dies betrifft auch den in diesen Tagen zunehmenden Waffenexport und die wachsende „Durchlöcherung" entsprechender Verfahren) rechtzeitig entgegentreten zu können, bedarf es daher ständiger und genauer Überprüfung.
Besonders aufmerksam werden daher Machtkonzentrationen beobachtet, die diesen Zielen zuwiderlaufen, seien sie im industriellen, im politischen oder im behördlichen Bereich angesiedelt. Andererseits sind auch mögliche Interessengegensätze zwischen Kooperation und Export, zwischen Arbeitsplatzsicherung und Wirtschaftlichkeit der Vergabe, zwischen politischer Empfehlung und sachlicher Notwendigkeit, zwischen Kameraderie und Pflicht sowie zwischen Verlockung und Ermessen zu berücksichtigen.