Das Verhältnis der Soldaten zur Politik war nie frei von vielfältigen Spannungen Im Unterschied zu früheren Epochen haben sich in der Bundesrepublik Deutschland zwar die normativen Grundlagen wie auch die tatsächlichen Gegebenheiten tiefgreifend verändert; dennoch konnten auch über 20 Jahre Bundeswehr die Spuren der Vergangenheit nicht völlig verwischen.
Vor dem Ersten Weltkrieg orientierte sich die deutsche Gesellschaft stark am Militär. Soldaten und Beamte nahmen eine gesellschaftlich abgesonderte Stellung ein; sie rekrutierten sich meist aus den gleichen Gesellschaftsschichten. Die Sonderstellung des Soldaten war noch durch die unmittelbare Anbindung an den Monarchen unterstrichen; es gab kaum politisch-parlamentarische Einwirkungsmöglichkeiten. Im übrigen hatte die Geringschätzung der Politik im preußisch-deutschen Offizierkorps Tradition.
Weimar, Bündnis mit den alten Mächten
In der Weimarer Republik waren die unmittelbaren Beziehungen der Armee zum Staatsoberhaupt zwar eingeschränkt und die parlamentarische Verantwortung der Regierung für die bewaffnete Macht verstärkt worden; insgesamt blieb die Sonderstellung des Militärs jedoch weitgehend erhalten. Diese Entwicklung war dadurch begünstigt worden, daß wesentliche Teile der Staatsgewalt in den Händen der Kräfte geblieben waren, die sie bislang im Dienste und im Geiste des Monarchen ausgeübt hatten und die der Demokratie überwiegend feindlich gegenüberstanden. General Groener, einer der einflußreichsten Offiziere jener Zeit, schrieb in seinen , Lebenserinnerungen': „Wir hofften durch unsere Tätigkeit einen Teil der Macht im neuen Staat an Heer und Offizierkorps zu bringen; so war der Revolution zum Trotze das. beste und stärkste Element des alten Preußentums in das neue Deutschland hinübergerettet." Im politischen Alltag kam es zu ständigen Negierungen weiter Bereiche der parlamentarischen Demokratie. Die Zahl derer, die sich zu dem Grundsatz bekannten, daß in einem demokratischen Deutschland auch das Militär demokratischen Geistes sein müsse, war denkbar gering, über die Zeit des Aufbaues der Reichswehr berichtete Noske: „Bekannte demokratische Offiziere gab es in Deutschland nicht."
Die Revolution von 1918/19 und das Bündnis der von der SPD getragenen Staatsführung mit den alten Mächten waren Gegenstand zahlreicher politischer Mutmaßungen und umfangreicher Untersuchungen Die wohl herrschende Auffassung sieht in dem Zusammenwirken eine zwangsläufige Alternative zum Kommunismus und ein Gebot zur Erhaltung der Einheit des Reiches. Nur vereinzelte Stimmen glaubten, daß in den Arbeiter-und Soldatenräten ein demokratisches Potential ungenutzt geblieben ist, das ebenfalls eine Entwicklung zum bolschewistischen Extrem verhindert und zum Aufbau einer republikanischen Volkswehr ausgereicht hätte Auf die Frage, ob der damals gewählte Weg notwendig und allein richtig war, wird sich eine allseits befriedigende Antwort nicht finden lassen. Zu breit ist das Spektrum der Auffassungen; es reicht von der „historischen Tat“ bis zur „Marneschlacht der deutschen Revolu-tion". Wie immer man jedoch das formale Zusammengehen der Repräsentanten der jungen Demokratie mit den Militärs bewerten mag, die weitere Entwicklung war wenig glücklich.
Sicherlich gab es 'auch im Offizierkorps der Reichswehr unterschiedliche Meinungen zum demokratischen Staat und dessen gewählter Regierung; insgesamt ist die Armee jedoch auf Distanz geblieben. Für die Mehrzahl der Offiziere verband sich mit der Abdankung des Kaisers und dem verlorenen Krieg mehr als der Untergang der Monarchie. Sie empfanden die Revolution mit ihren Folgen auch als Angriff gegen das eigene Selbstverständnis.
Das Festhalten an vordemokratischen Denkweisen und an dem hergebrachten Bild von der Rolle der Streitkräfte führte im Offizier-korps zu einer allmählichen Abkapselung von den geistigen und politischen Strömungen der Zeit.
In ihrer selbstgewählten Isolation entwickelte die Reichswehr eine Art Ersatzideologie. Sie lebte in dem Bewußtsein, einem anderen, einem besseren Deutschland zu dienen. Ihr Bild vom Staat war das eines idealisierten Wesens, das über dem Streit der Parteien stand und nicht an die wechselnde Staatsform gebunden war. Strenge Überparteilichkeit, ein ständiges Bemühen um Autonomie und die Abwehr der parlamentarischen Kontrolle prägten ihre geistige Haltung. Es erschien selbstverständlich, daß der Offizier konservativ und national dachte; sein Standesbewußtsein lag außerhalb der Republik. Ein Hineinwachsen der Armee in die Gesellschaft war bei dieser Einstellung nicht möglich; die Kluft zwischen Bürger und Soldat blieb unüberbrückbar, die Armee wurde ein Fremdkörper, sie war zu einem Staat im Staate geworden. Das Ende der Weimarer Republik bestätigte die Richtigkeit des Satzes, den Scheidemann schon an ihren Anfang gestellt hatte: „Der Feind steht rechts". Wegen ihrer Teilidentität mit seinen Zielen war die Reichswehr schon früh in das Kraftfeld des Nationalsozialismus geraten. Freilich gab es Mißtrauen und Ablehnurig. Die maßgebenden Offiziere waren keinesfalls von Anfang an bereit, ihr Staats-bild der nationalsozialistischen Ideologie und die Armee den Kräften der NS-Partei auszuliefern. Sie glaubten weiterhin an die Überzeugungskraft ihres Grundsatzes von der politischen Unabhängigkeit. Der totalitäre Anspruch des Regimes zwang sie jedoch zu immer neuen Konzessionen Für viele Offiziere endete der Konflikt entweder vor dem Volksgerichtshof oder vor dem Internationalen Militärtribunal.
Soldat in der Demokratie Audi in unserer Zeit hat das Verhältnis des Militärs zur Politik gewisse Eigentümlichkeiten behalten. Es spiegelt, wenn auch weniger stark, noch immer Gegensätze zwischen dem Staat und einem Teil der Gesellschaft. Unter diesem Aspekt ist die Stellung des Soldaten zu den Grundrechten und seine Teilnahme an der politischen Willensbildung zu einem zentralen Punkt geworden.
Grundrechte und Wehrveriassung Unsere heutige Wehrverfassung, d. h. die Gesamtheit der gesetzlichen Bestimmungen über die Streitkräfte und über die Stellung des Soldaten, bindet die Bundeswehr eng an die politische Führung. Anders als in der Vergangenheit sind die Streitkräfte nunmehr innerhalb der Gewaltenteilung der „vollziehenden Gewalt“ zugeordnet und damit in vollem Umfang der Kontrolle der Legislative und der rechtsprechenden Gewalt unterworfen. Ein dem Parlament verantwortlicher Minister übt die Befehls-und Kommandogewalt aus (Art. 65 a GG). Zugleich garantiert das Grundgesetz die Geltung liberaler Grundrechte auch innerhalb der Streitkräfte. Mit der Grundrechtsverbriefung sind die Restriktionen in der politischen Stellung des Soldaten aus der Zeit des Kaiserreiches und der Weimarer Republik weitgehend überwunden. Er kann erstmals für seine Aktivitäten im Rahmen des politisch-parlamentarischen Prozesses wie jeder andere Staatsbürger die allgemeinen Bürgerrechte in Anspruch nehmen. Der Verzicht auf politische Neutralität oder gar Abstinenz des Soldaten wirkt sich konsequenter Weise auch auf die Teilnahme des Soldaten an der politischen Willensbildung aus. Das Grundgesetz hat, so Minister Leber, „Schluß gemacht mit der Zweideutigkeit und mit der doppelten Moral soldatischer Existenz" Staatsbürger in Uniform Das Bestreben, den Soldaten in unsere demokratische Gesellschaft einzugliedern, hat mehr als alles andere die innere Ordnung der Bundeswehr geprägt. Nach den Erfahrungen der Vergangenheit waren beim Aufbau der Streitkräfte folgende Grundsätze als unabdingbar angesehen worden:
— Primat der parlamentarisch kontrollierten politischen Leitung gegenüber der obersten militärischen Führung;
— Schaffung besonderer Kontrollinstitutionen (Verteidigungsausschuß und Wehrbeauftragter); — Zulässigkeit politischer Betätigungsmöglichkeiten auch für Soldaten;
— Einführung des Rechts und der Pflicht, sich rechtswidrigen Befehlen zu widersetzen;
— Aufnahme des staatsbürgerlichen Unterrichts und der politischen Bildung in die Truppeninformation;
— Teilhabe des Soldaten an der Rechtsweg-garantie des Art. 19, Abs. 4 GG (Beschwerde-ordnung). Diese Grundsätze sollten die Funktion der Streitkräfte innerhalb unserer demokratischen Ordnung deutlich machen und das vormals geschlossene System der Armee demokratischen Prinzipien öffnen. Das Leitbild der neuen Struktur wurde der „Staatsbürger in Uniform", ein Konzept, das Staat, Gesellschaft und Bundeswehr miteinander verbinden soll. Es wurde zur Grundlage für die „Innere Führung", d. h. für die Entwicklung von Methoden moderner Menschenführung im militärischen 'Bereich. Entscheidende Bedeutung kam dem Umstand zu, daß auch der Soldat die allgemeinen Grundrechte behalten mußte und daß lediglich der Teil dieser Rechte, der aufgrund der militärischen Aufgabenstellung notwendigen Einschränkungen unterlag, normativ festgelegt wurde; generell durch die Verfassung selbst (Art. 17 a GG), im einzelnen durch die verschiedenen Wehrgesetze. Die enumerative Aufzählung der Einschränkungen in Art. 17 a GG stellte zugleich sicher, daß andere Grundrechte im Soldatenverhältnis nicht eingeschränkt werden können.
Das neue Bild der Soldaten
Das Bild des Soldaten hat sich durch die neue Gesetzgebung gewandelt. Freilich blieb der „Staatsbürger in Uniform“ keineswegs unumstritten. Insbesondere in den 60er Jahren versuchte eine mehr traditionalistische Auffassung die „ewig-gültigen" Werte des Militärischen neu zu beleben und den Soldaten wieder aus dem Tagesgeschehen und damit auch aus der gesellschaftlichen Integration herauszulösen. Diese Auseinandersetzungen sind heute abgeklungen. Sicher gibt es noch Mißverständnisse, Fehlinterpretationen und Verstöße; insgesamt ist der Staatsbürger in Uniform jedoch unumstritten. Wenn auch die Integration der Bundeswehr in die Gesellschaft weitgehend vollzogen ist, wäre es dennoch falsch, die geistige Auseinandersetzung um die Innere Führung als abgeschlossen zu betrachten. Die Zentrale Dienstvorschrift 10/1 — Hilfen für die Innere Führung — hat zwar als dienst-interne Regelung das Verhalten der Vorgesetzten den Grundsätzen entsprechend verbindlich festgelegt; gleichwohl entzieht sich der weitere Dialog einer Einengung durch normative Festlegungen.
Die politischen Rechte des Soldaten
Politische Rechte müssen in aller Regel erkämpft werden; selbst das Vorhandensein eines Gesetzes garantiert nicht die Einsicht in seine Notwendigkeit. Was die politische Betätigung des Soldaten angeht, scheint der Prozeß der Überzeugungsbildung noch nicht abgeschlossen zu sein. Entgegen vielfältiger Klagen über eine Politisierung der Streitkräfte und trotz mancherlei Aktivität auf der Ortsebene, läßt sich insgesamt gesehen in den Streitkräften ein Zug zur politischen Neutralität nicht übersehen.
In den Anfängen der Diskussion um den künftigen deutschen Soldaten war das Problem „Soldat und Demokratie" noch überwiegend eine Sache von Grundsatzbekenntnissen Zwar sahen die ersten Bundeswehrplaner den Soldaten bereits im Vollbesitz demokratischer Rechte, doch waren die Auffassungen über die konkrete Ausgestaltung dieser Rechte noch weitgehend unklar. Die sogenannte Himmeroder Denkschrift aus dem Jahr 1950, die sich mit der Aufstellung eines deutschen Kontingents im Rahmen einer internationalen Streitmacht zur Verteidigung Westeuropas befaßt, spricht von einer Einschränkung der Grundrechte und von der Überparteilichkeit der Streitkräfte Im Vordergrund aller Überlegungen stand zunächst das Wahlrecht des künftigen Soldaten. Graf Baudissin, seit Mai 1951 Mitarbeiter beim Sicherheitsbeauftragten des Bundeskanzlers, legte bereits am 4. Juni 1951 einen Entwurf zur Wehrgesetzgebung vor, der freilich noch weitgehend an den Traditionsbestand alter Wehrmachtsvorstellungen anknüpfte Danach sollte dem Wehrpflichtigen das passive Wahlrecht vorenthalten bleiben: für den Längerdienenden war das Ruhen des gesamten Wahlrechts vorgeschlagen worden. Außerdem sollten Mitgliedschaften in politischen Parteien und Gewerkschaften während des aktiven Dienstes „aussetzen". In der sogenannten Planungsgruppe bestanden zunächst kontroverse Meinungen über das aktive Wahlrecht. Einigkeit bestand lediglich in der Forderung, dem Soldaten das passive Wahlrecht vorzuenthalten und keine Parteiund Gewerkschaftszugehörigkeit zuzulassen. Die Ablehnung des aktiven Wahlrechts wurde im wesentlichen mit der Sorge begründet, daß der Wahlkampf in die Kasernen hineingetragen und das Wahlverhalten der Soldaten offenkundig würde. Insgesamt fürchtete man eine Politisierung der Streitkräfte und damit einhergehend eine Schwächung ihrer Schlagkraft. Zwar gab es schon Diskussionen um das Prinzip der demokratischen Freiheiten, doch fand eine konkrete Auseinandersetzung mit dem Recht der freien Meinungsäußerung offenbar noch nicht statt.
Angleichung an das Recht der Beamten In der Frage des Wahlrechts wurde im Sommer 1952 ein Fortschritt erzielt; auch zur Frage der Meinungsäußerung setzte sich damals ein liberaler Standpunkt durch. Das wesentliche Argument gegen die alten Positionen wurde dahin zusammengefaßt, daß es widersinnig erscheine, den zur Verteidigung der Freiheit aufgerufenen Menschen in ihren persönlichen Freiheiten stärker einzuschränken als es die Erfordernisse der Disziplin, der Kameradschaft oder der Stellung des Kontingents in der Öffentlichkeit mit sich bringe
Die an sich naheliegende Berufung auf die Verfassung und ihre Grundrechtsverbürgung wurde erst ein Jahr später von dem Ausschuß „Innere Führung" nachgeholt; erst hier wurde angeregt, das Recht der freien Meinungsäußerung im Freiwilligengesetz entsprechend den Bestimmungen für die Beamten zu regeln
Etwa zur gleichen Zeit gab der spätere General Heusinger im Bundestagsausschuß „für Fragen der europäischen Sicherheit" einen Überblick über den Stand der Meinungsbildung.
Zum Ob und Wie einer politischen Betätigung des Soldaten faßte er den Stand der Meinungsbildung wie folgt zusammen:
Einschränkungen nur im Rahmen militärischer Notwendigkeiten; Erlaubnis zum Be-such politischer Veranstaltungen, jedoch keine Politik in den Kasernen Mit der seit 1953 angestrebten statusrechtlichen Anpassung an die für Beamte geltenden Regelungen bahnte sich eine sachgerechte Lösung der Problematik an. Die Beratungen über das Soldatengesetz im Jahre 1955 mach-ten zwar noch deutlich, daß der Soldat nicht als uniformierter Beamter gesehen werden sollte, daß jedoch eine „Nähe zum Recht des zivilen Staatsdienstes" wünschenswert und erreichbar schien. Dem für die neuen Streitkräfte zuständigen Minister Blank sind die Nahtstellen des künftigen Soldatengesetzes jedoch nicht verborgen geblieben: „Demokratie", so führte er im Bundestag aus, „kann aber nicht ohne freie Diskussion existieren, und es wäre meiner Ansicht nach eine Sünde wider den Geist der Demokratie, wollte man versuchen, durch mechanische Verbote die Diskussion aus der Soldatenunterkunft zu verbannen“. Auch der Sprecher der Opposition, der SPD-Abgeordnete Merten, hielt allzu starke Einschränkungen politischer Betätigung nicht für notwendig; er sprach sich vielmehr dafür aus, die Mitarbeit der Soldaten in Parteien zu fördern, nicht aber zu bremsen
Gefahren der Politisierung?
Die vom Anfang an weithin spürbare Befürchtung einer Politisierung der Streitkräfte läßt es verständlich erscheinen, daß viel Mühe darauf verwandt worden ist, die Möglichkeiten der politischen Betätigung des Soldaten einzuschränken oder ihn zumindest von unerwünschter Agitation fernzuhalten. Grund-
rechtseinschränkende Vorschriften sind in mehreren Bestimmungen des Soldatengesetzes und darauf beruhend in einer Reihe von ministeriellen Erlassen zu finden. Es ist dem Soldaten beispielsweise untersagt, im Dienst in irgendeiner Form politische Propaganda zu betreiben. Zulässig ist lediglich, im Gespräch mit Kameraden die eigene Meinung zu äußern, wobei jedoch das soldatische Zusammenleben keinen Schaden erleiden darf. Außerhalb des Dienstes sind zwar weitgehende Meinungsäußerungen möglich, aber auch hierbei darf der Soldat nicht die Grundregel der Kameradschaft verletzen; insbesondere ist eine Werbung für politische Gruppen in dienstlichen Unterkünften unzulässig (§ 15 Abs. 2 SG). Das Verbot der Werbung umfaßt auch Sammlungen und Solidaritätsadressen für Bürgerinitiativen. Außerhalb der Kasernen, in der Freizeit, ist die politische Betätigung unter Beachtung gewisser Mindestanforderungen an Toleranz und kameradschaftlichem Verhalten gestattet.
Treue und Loyalitätspflichten
Die Zulässigkeit einer politischen Betätigung des Soldaten ist heute fester Bestandteil der Führung; dennoch liegt Inneren in diesem Teilaspekt ein neuralgischer Punkt. Die skeptische bis ablehnende Haltung älterer Offiziere, deren Grundeinstellung weitgehend in Reichswehr und Wehrmacht geprägt wurde, hat sich wenig geändert; sie scheint sich auch auf die Nachkriegsgeneration übertragen zu haben. Vielleicht erklärt dies eine Feststellung aus der umstrittenen Heeresstudie des Jahres 1969, wonach „die politische Betätigung von Soldaten in den letzten Jahren die Tendenz zu einer Politisierung der Bundeswehr deutlich werden lasse und damit den Zusammenhalt der Truppe für die Erfüllung ihrer Aufgaben gefährde". Fast alle militärischen Autoren, die sich in der Vergangenheit mit dieser Problematik befaßt haben, lassen mehr oder weniger stark ihre Sorge um die Kameradschaft und um das Vertrauen zur
Führung anklingen Der frühere General-inspekteur de Maiziere vertrat die Ansicht, daß die höchsten militärischen Repräsentanten der Bundeswehr möglichst keiner politischen Partei angehören sollten. Während seiner Amtszeit (1966 bis 1972) hatte er angeregt, die Grenzen für politische Betätigungsmöglichkeiten des Soldaten enger zu ziehen. Parteipolitische Enthaltsamkeit wird von de Maiziere u. a. mit dem Satz begründet: „Soll doch die Armee ein zuverlässiges und verfassungstreues Instrument in der Hand der parlamentarisch legitimierten Regierung bleiben."
Wer wollte eine solche Forderung nicht bejahen? Indes, mit einer parteipolitischen Betätigung des Soldaten kann sie nur mühsam in Beziehung gebracht werden; sie hat vielmehr die allgemeine politische Treuepflicht jedes Soldaten zum Gegenstand. Darunter wird die Pflicht zum Eintreten für die freiheitlich-demokratische Grundordnung verstanden. In dem sogenannten Radikalenbeschluß vom 22. 5. 1975 hat das Bundesverfassungsgericht die Loyalitätspflicht für Beamte — sie gilt gleichermaßen für den Soldaten — neu definiert und u. a. ausgeführt: „Die politische Treuepflicht fordert mehr als nur eine formal korrekte, im übrigen uninteressierte, kühle, innerlich distanzierte Haltung gegenüber Staat und Verfassung; sie fordert vom Beamten insbesondere, daß er sich eindeutig von Gruppen und Bestrebungen distanziert, die diesen Staat, seine verfassungsmäßigen Organe und die geltende Verfassungsordnung angreifen, bekämpfen und diffamieren. Vom Beamten wird erwartet, daß er diesen Staat und seine Verfassung als einen hohen positiven Wert erkennt und anerkennt, für den einzutreten sich lohnt."
Diese alte, vom Verfassungsgericht für den Beamten lediglich neu beschriebene Treue-und Loyalitätspflicht begründet bestimmte Verhaltensvorschriften, die auch außerhalb des amtlichen Pflichtenkreises ein auf das Allgemeinwohl ausgerichtetes Auftreten verlangen und selbstverständlich auch bei einem parteipolitischen Engagement zu berücksichti-gen sind. Die Befürchtungen de Maiziere’s zielen auch in erster Linie auf Probleme des Radikalismus. Diese berechtigte Sorge darf aber nicht dazu führen, politisches Eintreten für demokratische Parteien von vornherein als Störfaktor anzusehen oder gar in die Nähe des Radikalismus zu bringen. Bei allzu großer Vorsicht besteht die Gefahr, daß der Staatsbürger in Uniform eines Tages in der Erinnerung verblassen wird. Angesichts unserer Vergangenheit und ausländischer Beispiele ist doch abzuwägen, ob die Verfassungstreue einer Armee mehr gefährdet ist, wenn ihre Angehörigen in fruchtbarem Meinungsaustausch mit demokratischen Kräften außerhalb der Streitkräfte stehen oder wenn die Auseinandersetzung unterbunden und eine politische Isolation herbeigeführt wird.
Gefestigte Positionen?
Wer heute nach über 20 Jahren Bundeswehr der Frage nachgeht, warum die politische Betätigung des Soldaten weiterhin Einschränkungen unterliegt, wird etwa folgende Ant-wort finden: „Die Streitkräfte dienen dem ganzen Volke. Daher sowie aus Gründen der Treu Jahren Bundeswehr der Frage nachgeht, warum die politische Betätigung des Soldaten weiterhin Einschränkungen unterliegt, wird etwa folgende Ant-wort finden: „Die Streitkräfte dienen dem ganzen Volke. Daher sowie aus Gründen der Treuepflicht und der Pflicht zur Kameradschaft hat der Gesetzgeber dem Soldaten verboten, im Dienst parteipolitisch tätig zu sein." 19) Das klingt leidlich. Freilich, auch die Parlamentarier sind Vertreter des ganzen Volkes. Können, so muß gefragt werden, Treuepflichten gegenüber dem Staat mit Aktivitäten zugunsten einer Partei kollidieren; auch dann, wenn die Partei nach Zielsetzung und aktivem Tun eine Verwirklichung des Verfassungsauftrages anstrebt? Für den Staatsdiener kann doch wohl nur die ordentliche Erfüllung der dienstlichen Aufgaben und seine Treuepflicht zum Staat von Bedeutung sein. Der gern zitierte Satz: „Zum Wohle des Staates und zugunsten der Partei" (vielleicht auch umgekehrt) läßt sich zwar in der Praxis nicht ganz verdrängen, er reicht jedoch nicht aus, um dem Staatsdiener ein parteipolitisches Engagement zu verbieten. Die Gründe für eine Einschränkung der parteipolitischen Betätigung des Soldaten müssen dann wohl auch anderswo gesucht werden als im Be-reichstatusrechtlicher Treuepflichten. Es sind vor allem handfeste und berechtigte Interessen der soldatischen Ordnung und Disziplin.
Im Grunde überschneiden sich zwei Prinzipien. Einmal soll die Truppe aus der Tagespolitik mit ihren gegensätzlichen Positionen herausgehalten werden, um ihre Verantwortung für die Gesamtheit herauszustellen. Auf der anderen Seite soll der Soldat Bürger bleiben und nicht vom politischen Leben isoliert werden.
Politik fördert aber nicht nur Interessen. Sie ist zu einem großen Teil irrational; nicht selten werden geistige, seelische und materielle Werte des einzelnen tief verletzt. So sind denn auch die Gefahren für das Zusammenleben in der soldatischen Gemeinschaft nicht zu übersehen. Das Zusammenleben der Soldaten muß von allen Störungen freigehalten werden, die das gegenseitige Vertrauen und da-mit die Grundlage der Kameradschaft erschüttern. Die Problematik liegt auch nicht bei den notwendigen und überwiegend anerkannten gesetzlichen Einschränkungen. Das Selbstverständnis der Bundeswehr, oder besser, die geistige Haltung weiter Kreise sind es, die die Bereitschaft des Soldaten zum politischen Engagement und damit zur Ausübung verfassungsmäßiger (politischer) Grundrechte erschweren. Der auf das Wohl der Allgemeinheit und zur Objektivität verpflichtete Soldat soll nach einer in den Streitkräften weit verbreiteten Auffassung auch außerhalb seiner dienstlichen Sphäre als politisches Neutrum gesehen werden. Dies ist keine offizielle Meinung, doch eine große Anzahl der länger dienenden Soldaten hält parteipolitische Neutralität nach wie vor für die bessere Lösung. Nicht wenige begegnen dem parteipolitisch gebundenen Soldaten mit einigem Argwohn. Wer will bestreiten, daß der Weg sozialdemokratischer Offiziere lange Zeit beschwerlich war 20); er ist auch heute noch nicht überall von Relikten der Vergangenheit befreit. „Die Bundeswehr läßt", so hat es ein hoher Offizier einmal ausgedrückt, „jedem die Freiheit, Meinungen nicht zu äußern und Parteien nicht beizutreten." Es hindert sie jedoch, so muß hinzugefügt werden, weder die politische Leitung noch die militärische Führung. Dieses Stück nichtgelebter Verfassung ist Teil eines Selbstverständnisses, das traditionellen soldatischen Vorstellungen entspricht und bei unseren Bündnispartnern weit ausgeprägter vorhanden ist als bei uns.
Staatspolitisch, nicht aber parteipolitisch
Die Forderung nach parteipolitischer Neutralität kann zu einem gefährlichen Gemeinplatz werden, wenn damit nur die wirklichen politischen Überzeugungen verdeckt werden sollen. Streitkräfte haben überall einen Zug zur Bewahrung des Bestehenden. Die Sympathie liegt denn auch bei dem Offizier mit konservativer Grundhaltung. Er erfährt in der Regel ein höheres Maß an Gunst und Duldung als derjenige, dessen Ansichten nicht immer mit hergebrachten Vorstellungen vereinbar sind. Der Fortschrittliche findet sich leichter jenseits der Grenze von politischem Denken und politischer Parteinahme. „Unpolitisch" bedeutet nun auch nicht ohne politisches Interesse; es wird vielmehr als Synonym für „nur staatspolitisch" gewertet und soll den Gegensatz zum Parteipolitischen ausdrücken. Es wäre allerdings falsch, in dieser Haltung wie im Weimarer Staat ein Veto gegen die Parteiendemokratie zu erblicken. Im Vordergrund steht die Sorge um eine Gefährdung des inneren Zusammenhalts, der Kameradschaft und der militärischen Ordnung. Diesen Prinzipien der soldatischen Gemeinschaft ist Vorrang eingeräumt. Es sei zulässig, so hat das Bundesverfassungsgericht entschieden die politische Betätigung von Soldaten auch in der Freizeit so zu begrenzen, daß mögliche Auseinandersetzungen unter Kameraden von vornherein vermieden werden. Fast hat es den Anschein, daß alle soldatischen Tugenden durch politisch rivalisierende Soldaten gefährdet sind. Truppendisziplin und Meinungsfreiheit scheinen einander auszuschließen. Die gerichtliche Grenzziehung ist freilich flüssig. Das aktuelle politische Geschehen darf nach Meinung des gleichen Gerichts offen diskutiert werden solange dadurch der Dienst nicht ernstlich gestört und die kameradschaftliche Verbundenheit nicht gefährdet werden. Letztlich ist die Entscheidung dem Disziplinarvorgesetzten aufgebürdet, er soll, so das Verfassungsgericht, entscheiden, „ob das konkrete Verhalten des Soldaten tatsächlich geeignet war, eine ernstliche Störung oder Gefährdung" zu bewirken.
Die Befürchtung, daß eine bestimmte politische Haltung zur Ablehnung der Person eines Andersdenkenden und damit zu Erschwernissen innerhalb der Gemeinschaft führen kann, ist sicher nicht von der Hand zu weisen, obgleich es viele Beispiele für das Gegenteil gibt. Der Gedanke, die Solidarität der Demokraten durch die zusätzlichen Klammern wie Kameradschaft und Korpsgeist zu stärken und damit ideale Bedingungen für einen demokratischen Geist zu schaffen, ist offenbar noch nicht vertieft worden. Das in-den Streitkräften tief verwurzelte Bedürfnis nach der konfliktfreien Welt und nach dem Unpolitischen ist offenbar stärker als demokratische Freiheits-und Individualrechte. Die Einengung von Pluralismus und Toleranz wird in Kauf genommen; noch scheint die notwendige Ordnung nur gewährleistet, wenn alle brüderlich zusammenstehen.
Die Nachlahren des Generals v. Seeckt?
Nina Grunenberg hat in der Wochenzeitschrift „Die Zeit" eine Serie über „Die Männer mit den goldenen Sternen" geschrieben Zur politischen Betätigung des Soldaten sind ihr bei ihren Interviews im wesentlichen die bekannten Vorbehalte aufgezeigt worden. Die Diskussion mit den Soldaten sei gefährdet, weil ein Kommandeur mit dem SPD-Parteibuch nicht als unabhängig angesehen werde. Der Soldat mit einer Parteimitgliedschaft wende sich an den Parlamentarischen Staatssekretär und damit vorbei an dem militärischen Apparat. „Dies könne nicht geduldet werden. Wir führen — und nicht die Partei“. Das sind die alten Klischees; wer einen Parlamentarischen Staatssekretär als Vollstrecker der Parteiorganisation ansieht, hat den Primat der parlamentarisch kontrollierten politischen Leitung nicht verstanden oder, was näher liegt, will ihn nicht wahrhaben. All dies sind jedoch nur Fragmente einer traditionsbedingten Abwehrposition. Sie gehen im Kern auf den General v. Seeckt, die stärkste und prägendste Persönlichkeit der Reichswehr zurück Das Resümee von Frau Grunenberg scheint mir dennoch nicht den Regelfall zu treffen. Sie meint, die offene Mitgliedschaft in einer Partei werde deshalb nicht für opportun gehalten, „weil sie“ — gemeint sind die Generale — „Tarnen und Täuschen für den einzigen Trumpf halten, sobald es um Politik geht, und weil sie nicht bereit sind, sich freiwillig zu exponieren, solange es nichts einbringt". Die Gründe für die politi-sehe Enthaltsamkeit liegen tiefer; sie sind nicht vorwerfbar, sondern Teil einer Erziehung und einer internationalen Tradition.
„Seine Partei sei die Bundesrepublik Deutschland; er kenne keine geteilten Loyalitäten und Loyalität sei für ihn nicht interpretierbar." Diese Aussage eines hohen Offiziers kann als repräsentativ angesehen werden. Sie entspricht voll und ganz der Seecktschen Auffassung vom Wesen des Soldatentums und von der Aufgabe und Stellung der Armee in Staat und Gesellschaft. Freilich gibt es Probleme. Nicht den Loyalitätskonflikt zwischen Staat und einer Partei, den es nach dem Gesetz nicht geben kann. Aber, der Soldat ist zugleich Bürger des Staates. Als solcher kann und soll er mitwirken, Staat und Gesellschaft zu formen. Dies ist ihm als Soldaten verwehrt. Der Soldat muß den Staat auch dann verteidigen, wenn dessen konkrete Ausgestaltung nicht seinen eigenen Vorstellungen entspricht Die möglichen Friktionen — vom Radikalismus abgesehen — scheinen nicht so schwerwiegend, daß ihnen nur mit politischer Abstinenz begegnet werden könnte.
Vorrang der Meinungsfreiheit?
Die Feststellung, daß parteipolitische Neutralität ein Wesensmerkmal der Bundeswehr-wirklichkeit ist, darf nicht zu der Annahme führen, die Konfrontation in Politik und Gesellschaft berühre den Soldaten nicht; sie mache vor dem Kasernentor halt. Im Grunde vollzieht sich der Prozeß der politischen Meinungsbildung in der Armee nicht anders als sonstwo in unserer Gesellschaft. So gibt es denn auch unterschiedliche Auffassungen. Im Spannungsfeld zwischen der politischen Betätigung und den Einschränkungen des Soldatengesetzes (§ 15) treten Konflikte auf, die sich grob in drei Gruppen einteilen lassen: 1. Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit contra spezielle Soldatenpflichten 2. Politische Beeinflussung von Untergebenen durch Vorgesetzte 3. Bundeswehrangehörigkeit und Mitgliedschaft in einer radikalen Organisation Die Mehrzahl der Konflikte ergibt sich aus der Beschränkung des Grundrechts der freien Meinungsäußerung. Dies ist verständlich; denn eine politische Betätigung des Soldaten ist im Kern untrennbar verbunden mit der Äußerung der eigenen politischen Meinung. Die Demokratie lebt vom Pluralismus der Meinungen. Die politische Diskussion und der Kampf der Meinungen gelten als Lebenselement der freiheitlich-demokratischen Staatsordnung. Deshalb hat das Grundrecht der freien Meinungsäußerung einen besonders hohen Stellenwert. Auch für den Soldaten besteht grundsätzlich eine Vermutung für die Freiheit der Rede. Dies jedenfalls ist die Auffassung der Gerichte, die sich in den nicht allzu häufigen Streitfällen mit der Abgrenzung des Grundrechts der Meinungsfreiheit und den Pflichten des Soldaten befaßt haben.
Nach Gewicht und Folgen müssen an erster Stelle ein Beschluß des Bundesverwaltungsgerichtes — I. Wehrdienstsenat — vom 14. November 1973 — und die damit im Zusammenhang stehende Entscheidung eines Truppendienstgerichtes angeführt werden. Der Sachverhalt war folgender:
Ein Offizier war als Adjutant eines Befehlshabers der Natostreitkräfte im Ausland eingesetzt. Er veröffentlichte in der „Welt" einen Leserbrief, der in scharfer Form die Ostpolitik der Regierung, insbesondere aber den damaligen Bundeskanzler Brandt angriff.
In einem disziplinargerichtlichen Verfahren wurde der Leserbriefschreiber von einem Truppendienstgericht von dem Vorwurf eines Dienstvergehens freigesprochen. Die Kernsätze der Begründung lauten: „Das vom Antragsteller in Anspruch genommene Grundrecht der freien Meinungsäußerung ist durch das Soldatengesetz zwai eingeschränkt, aber nicht suspendiert worden. Bei der Anwendung der einschränkenden Gesetze muß die wertsetzende Bedeutung dieses Grundrechts für die freiheitlich-demokratische Rechtsordnung gewürdigt und die Einschränkung entsprechend eng ausgelegt werden."
Bei grundgesetzkonformer Auslegung des Soldatengesetzes, so das Truppendienstgericht, sei der Leserbrief nicht als Verstoß gegen Dienstpflichten zu werten.
Der Bundesminister der Verteidigung hatte den Offizier aus dem NATO-Stab in die Bundesrepublik zurückversetzt, weil befürchtet wurde, die Äußerung des Adjutanten könne die Stellung seines Befehlshabers tangieren und im Ausland zu Mißverständnissen führen, über die Rechtmäßigkeit dieser Versetzung hatte das Bundesverwaltungsgericht zu entscheiden; es mußte wegen der Rechtskraft der truppendienstlichen Entscheidung davon ausgehen, daß kein Dienstvergehen vorlag. Der Senat hat daraufhin auch die Versetzung für rechtswidrig erklärt, „weil sie eine unangemessene, durch dienstliche Bedürfnisse nicht gerechtfertigte Reaktion auf eine rechtmäßige politische Meinungsäußerung darstelle". In den Urteilsgründen hat der Senat in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes ausgeführt, daß der besondere Wertgehalt des Grundrechtes der freien Meinungsäußerung in der freiheitlichen Demokratie „zu einer grundsätzlichen Vermutung für die Freiheit der Rede in allen Bereichen, namentlich im öffentlichen Leben führe". Das Bundesverwaltungsgericht hat zwar einschränkend eingeräumt, daß auch eine rechtmäßige Äußerung geeignet sein kann, dienstliche Belange zu beeinträchtigen. Die Befugnis, auf eine rechtmäßige Äußerung mit einer Versetzung zu reagieren, besteht nach Ansicht des Gerichts jedoch nur in sehr engen Grenzen, da ansonsten die Soldaten der Bundeswehr von ihrem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung nicht mehr in dem grundgesetzlich garantierten Rahmen Gebrauch machen können, weil sie Nachteile befürchten müßten. Eine Versetzung wäre nach Auffassung des Senats nur gerechtfertigt gewesen, wenn wirklich ernst zu nehmende dienstliche Belange auf dem Spiel gestanden hätten. Eine Unruhe als solche reiche bei einer rechtmäßigen Äußerung eines Soldaten und bei der grundlegenden Bedeutung des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 GG jedenfalls nicht aus, wenn sich die Äußerung, wie hier, auf eine allgemeine politische Tagesfrage und nicht etwa auf eine dienstliche Angelegenheit beziehe.
Andernfalls — so führt das Gericht weiter aus — müßte ein Soldat, dem ein parteipolitisches Engagement als solches außerhalb des Dienstes erlaubt sei, bei jeder außerdienstlich öffentlichen politischen Meinungsäußerung auf den zufälligen Umstand Rücksicht nehmen, ob seine rechtmäßige Äußerung von den Angehörigen seiner Dienststelle oder auch von anderen gebilligt wird oder nicht. Eine solche Forderung wäre mit Art. 5 Abs. 1 GG nicht vereinbar.
Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts hat zwar ein lebhaftes öffentliches Echo, aber nicht nur Zustimmung gefunden. Viele, die den politischen Anschauungen des Offiziers durchaus nahe standen, konnten von ihrem Selbstverständnis her die scharfe Attacke gegen den Bundeskanzler und damit gegen den Oberbefehlshaber im Verteidigungsfalle nicht gutheißen. Sie sahen in dem Leserbrief einen eindeutigen Verstoß gegen hergebrachte Grundsätze der soldatischen Konvention. Es lassen sich sicher auch gute Gründe dafür anführen, daß es für die Frage der Versetzung nicht allein an die vom Gericht nicht festgestellte Beeinträchtigung „dienstlicher Belange", und damit war doch wohl eine Art innerbetriebliche Störung gemeint, ankommen konnte, sondern in erster Linie auf die Gefahr einer politischen Auswirkung im Bündnis.
Korrektur durch Gerichte?
Flohe Gerichte haben nicht nur den Einzelfall zu entscheiden, sie sind auch für die Fortentwicklung und Einheitlichkeit der Rechtsanwendung verantwortlich. Das höchstrichterliche Postulat von der „gründsätzlichen Vermutung für die Freiheit der Rede" könnte als eine Art Korrektur zu der restriktiven Bundeswehrpraxis gewertet werden. Es ist jedoch keineswegs Allgemeingut geworden. Zwei Soldaten, ein Oberfeldwebel und ein Stabsunteroffizier sind mit einem strengen Verweis bzw. einem Verweis disziplinar gemaßregelt worden, weil sie im September 1975 neben anderen Bürgern einen Aufruf einer „Bürgerinitiative Freiheit für Chile" mit unterzeichnet hatten. Sie hatten nur mit ihrem Namen — ohne Angabe ihres Dienstgrades — unterschrieben. In dem Aufruf war gerügt worden, daß ein chilenischer Oberstleutnant, der im Rahmen einer militärischen Ausbildungshilfe in der Bundeswehr ausgebildet wurde, die Gelegenheit erhalten sollte, in einem Offizier-kasino über das Thema „Chile — mein Heimatland" zu sprechen. Der Vorwurf richtete sich gegen das Bundesministerium der Verteidigung, dem eine Verletzung des Grundgesetzes vorgeworfen wurde. Die von beiden Soldaten unter Berufung auf den Vorrang der Freiheit der Meinungsäußerung gegen die Disziplinarmaßnahmen eingelegten Rechtsmittel blieben ohne Erfolg.
Im Zusammenhang mit der Freiheit der Meinungsäußerung kann die Affäre um die Luftwaffengenerale Krupinsky und Franke vom Oktober 1976 nicht unerwähnt bleiben. Die Generale sind in den einstweiligen Ruhestand versetzt worden, weil sie auf einer dienstlichen Veranstaltung, nämlich einem Pressegespräch, versucht hatten, das Auftreten des ehemaligen Fliegerobersten Rudel in einer Bundeswehrkaserne zu rechtfertigen und dabei den rechtslastigen Rudel mit „ehemaligen Linksextremisten" im Bundestag verglichen hatten. Die Entlassung der Generale hat zu einer tiefgreifenden und leidenschaftlichen öffentlichen Auseinandersetzung geführt. Sie wurde von den Militärs mit dem Hinweis akzeptiert, es habe sich um eine „politische", d. h. eine von der politischen Leitung zu verantwortende Entscheidung gehandelt. Natürlich gab es auch bei den Soldaten unterschiedliche Meinungen. Hatten die Generale sich politisch betätigt und dabei die Pflicht zur Zurückhaltung verletzt? Konnten auch sie sich auf das Recht der Meinungsfreiheit berufen? Die Fragen werden sicherlich auch weiterhin unterschiedlich beantwortet werden. Die Versetzung der Generale in den einstweiligen Ruhestand war indessen keine Disziplinarentscheidung. Es ging vielmehr darum, die Bundeswehr von dem bösen Verdacht rechtsextremer und neonazistischer Tendenzen zu befreien.
Politik im Bundeswehralltag
Die Tendenz zur parteipolitischen Neutralität hat nicht verhindert, daß die aktive Betätigung der Soldaten in politischen Parteien zum Bundeswehralltag gehört. Gegenwärtig sind insgesamt 606 Soldaten als Abgeordnete in Parlamenten, Kreistagen und Gemeinderäten tätig. Im Jahre 1976 haben 48 Soldaten für den Bundestag kandidiert. Sicher hat es bei der Bundestagswahl hier und da einigen Ärger gegeben; insgesamt jedoch sind gravierende Verstöße gegen das Soldatengesetz nicht bekannt geworden. Die Mehrzahl der Verstöße ist auf Übereifer oder örtliche Rivalitäten zurückzuführen. Freilich, Politik gibt es überall, und mitunter hat es den Anschein, daß bestimmtes politisches Verhalten mit Hilfe des Soldatengesetzes überprüft werden soll; sei es, um Indoktrinationen anzuprangern oder vermeintliche Einflußnahmen der politischen Führung zu unterbinden. So hat ein Soldat ohne Erfolg das Bundesverwaltungsgericht (Wehrdienstsenat) mit einer Beschwerde befaßt, weil ihm bei dem alljährlich vom Generalinspekteur ausgeschriebenen Wettbewerb „Winterarbeiten“ in den Jahren 1969/70 als Anerkennung für seine Arbeit ein Buch mit nach seiner Ansicht „grundsätzlich parteipolitischer Tendenz", nämlich Steinbuchs „Programm 2000", ausgehändigt worden war. Das gleiche Gericht entschied auch, daß das Verlangen nach Unterrichtung der Soldaten über die Entwicklung der Deutschlandpolitik, und zwar im Zusammenhang mit dem 17. Juni, keine dem Sinngehalt des § 15 Soldatengesetz zuwiderlaufende Aufforderung ist, sich zugunsten einer politischen Richtung zu betätigen. Auch eine Beschwerde, die die befohlene Teilnahme an „Info German", einer Aufzeichnung aus verschiedenen Sendungen der Fernsehanstalten, zum Gegenstand hatte, und die im Rahmen der Truppeninformation allen im Ausland stationierten Soldaten vorgeführt wird, blieb ohne Erfolg, weil sie nicht als Verstoß gegen die Pflicht zur parteipolitischen Neutralität gewertet wurde. Demgegenüber wurde dem Soldaten eines Heeresmusikkorps bestätigt, daß sein dienstlicher Einsatz bei einem von einem SPD-Ortsverein veranstalteten „Volksfest" wegen des politischen Charakters der Veranstaltung nicht zulässig war.
Soldat, ein verfassungspolitischer Auftrag
Wenn der Soldat seinen Auftrag und seine Stellung in unserer staatlichen Gemeinschaft richtig einordnen soll, darf ihm die Politik nicht als . garstig Lied'erscheinen. Seine Teilnahme am politischen Gemeinwesen sollte daher gefördert werden. Es geht nicht um eine Parteien-oder Proporzarmee, schon gar nicht um die Auflösung militärischer Strukturen; es geht darum, den Verfassungsauftrag zu erkennen und zugleich den von der Verfassung gewollten Pluralismus der Gesellschaft auch in der Bundeswehr zu verwirklichen. Es geht um die Durchsetzung politischer Rechte. Diese dienen ja nicht, wie vielfach behauptet wird, allein der Abgrenzung von Individualinteressen, sie sichern vielmehr die Substanz der demokratischen Republik. Ihre Nichtverwirklichung schwächt die Position derjenigen, die auch bei Krisen bereit sind, unsere demokratische Verfassung aktiv zu verteidigen. Zwanzig Jahre Bundeswehr haben gezeigt, daß die Streitkräfte auch politisch mündig geworden sind. Es gibt keine Anzeichen für eine eigenständige Politik; Extremisten bleiben ohne Chancen. Zwar werden die Aktivitäten des einzelnen für politische Parteien nicht gefördert, sie werden aber immerhin toleriert. Freilich, der Wunsch nach der konfliktfreien Welt, nach dem Unpolitischen und nach Uberparteilichkeit ist noch immer ausgeprägt vorhanden. Gustav Radbruch, der große Rechtsphilosoph der Weimarer Republik, hat das Wunschbild der Über-parteilichkeit als Lebenslüge des Obrigkeits-staates bezeichnet. Solange sich hinter der Sehnsucht nach Überparteilichkeit keine antidemokratischen Auffassungen verbergen, wird ein demokratischer Staat mit dieser Realität leben können. Demokratien leben ja nicht nur von Bekenntnissen; Streitkräfte aber von ihrer inneren Geschlossenheit.