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Et tu, China? Entwicklungstendenzen der chinesischen Politik seit dem Tode Mao Tse-tungs | APuZ 1/1978 | bpb.de

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APuZ 1/1978 China als Entwicklungsland. Versuch zum Verstehen Et tu, China? Entwicklungstendenzen der chinesischen Politik seit dem Tode Mao Tse-tungs Chinesische Bedrohungsvorstellungen im Verhältnis zur Sowjetunion

Et tu, China? Entwicklungstendenzen der chinesischen Politik seit dem Tode Mao Tse-tungs

Peter J. Opitz

/ 72 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Viele Spekulationen wurden seit Jahren über die Entwicklungen angestellt, die sich nach dem Tode Mao Tse-tungs in der chinesischen Volksrepublik vollziehen würden. Am 9. September 1976 starb Mao — aber nur wenige der Befürchtungen bewahrheiteten sich. Weder nutzten die Großmächte die Gelegenheit, diesen für beide unbequemen Rivalen militärisch auszuschalten, noch zerfiel das Land erneut in sich gegenseitig befehdende Diadochenstaaten. Im Gegenteil: Schon knapp einen Monat nach dem Tode des Parteivorsitzenden waren die Nachfolgekämpfe abgeschlossen unl die Einheit des Landes durch eine starke Führungskoalition unter Hua Kuo-feng gewahrt. Gestützt auf starke Kräfte in Armee und Partei war es ihm gelungen, die Mao Tse-tung nahestehende Linksfraktion der Partei auszuschalten. Nicht nur die Aktionen gegen die nun als „Viererbande“ denunzierte Parteilinke, sondern auch die konkret von Hua Kuo-feng vorangetriebene Wirtschafts-und Gesellschaftspolitik bestätigte bald, daß es bei den Auseinandersetzungen nicht nur um Macht-, sondern auch um Linienkämpfe gegangen war. Denn trotz aller Bezüge auf die Politik des „Großen Sprungs" und die kulturrevolutionären Errungenschaften steuert die neue Führung in Peking einen Kurs, der nur wenig mit dem Entwicklungskonzept Maos zu tun hat, sondern sich eindeutig an der pragmatischen Wachstumsund leistungsbezogenen Politik der „Vier Modernisierungen" Chou En-lais orientiert. Auch die Verehrung, die dem verstorbenen Parteivorsitzenden durch den zügigen Bau eines Mausoleums und die Publikation seiner Schriften unvermindert gezollt wird, kann die Abwendung von seiner seit 1966 gesteuerten politischen Linie nur schwer verdecken. In diesem Sinne besiegelte auch auf personeller Ebene die Inhaftierung der „Viererbande" und die Rehabilitierung des erst im Frühjahr 1976 mit Billigung Maos entmachteten Teng Hsiao-p'ing sowie sein erneuter Aufstieg in höchste Staats-und Parteiämter den endgültigen Sieg jener Kräfte, die durch die Kulturrevolution vorübergehend ausgeschaltet worden waren. Obwohl sich die hier vorgelegte Analyse auf die Ereignisse nach dem Tode Maos konzentriert, versucht sie darüber hinaus, den größeren innen-und außenpolitischen Rahmen, in dem diese stehen und in dem sie erst ihre volle Bedeutung gewinnen, mit einzubeziehen.

Obwohl sich seit einigen Jahren die Zweifel verdichtet hatten, ob der langjährige . Große Steuermann'das Ruder der chinesischen Volksrepublik noch immer fest in seinen Händen hielt, und die Zahl derer zunahm, die in ihm nur noch eine Art „Gailionsfigur" sahen, die zwar den Kurs wies, ihn aber selbst nicht mehr bestimmte, herrschte doch über eines Einstimmigkeit: nach seinem Tode würde China in ziemlich stürmische und gefährliche Gewässer geraten. Die je nach politischem Standpunkt als Hoffnung oder Befürchtung geäußerten Spekulationen über die Gefahren, die der chinesischen Volksrepublik in dieser Phase drohten, bewegten sich dabei im wesentlichen im Rahmen von drei Szenarios:

1. In der oberen Führungsgruppe brechen Nachfolgekämpfe aus zwischen „Rechten" und „Linken", Partei und Armee, pro-westlicher und pro-sowjetischer Fraktion; ein neuer warlordism breitet sich aus, das Land zerfällt wieder in kleine territoriale Einheiten mit sich gegenseitig befehdenden Machtgruppen, kurzum: die chinesische Volksrepublik treibt erneut in die Epoche der Generals-und Bürgerkriege zurück.

2. Eine oder mehrere Großmächte nutzen die Situation der Führerlosigkeit und der Rivalität aus und intervenieren — entweder um das Land mit Hilfe ihnen verbundener Führer (lange Zeit waren Wang Ming und Chiang Kai-shek die betreffenden Schlüsselfiguren) wieder in ihren Einflußbereich zu bringen, oder aber mit dem Ziel, China militärisch zu zerschlagen und territorial aufzuteilen.

3. Die Nachfolger Maos verlassen den bisherigen politischen Kurs und verraten das revolutionäre Erbe — mit den Worten Pekings: Die Volksrepublik „wechselt die Farbe" und de-

Szenarios

generiert in eine Klassengesellschaft traditionellen, westlichen oder sowjetischen Stils, einschließlich imperialer und hegemonialer Ambitionen.

Vor mehr als einem Jahr war es dann soweit: Am 15. Juni 1976 wurde offiziell bekanntgegeben, daß Mao keine ausländischen Besucher mehr empfangen werde — ein Zeichen, daß sich sein Gesundheitszustand bedenklich verschlechtert hatte. Nur ein knappes Vierteljahr später wurde sein Tod gemeldet. Am 9. September 1976 war der langjährige Vorsitzende der KPCh verstorben. Die Probleme seiner Nachfolge wurden noch dadurch verschärft, zuvor daß kurz drei andere Führer der alten Garde verschieden waren, die vielleicht den Übergang in die nach-maoistische Ära hätten erleichtern können: Am 16. Dezember 1975 verstarb K’ang Sheng, Politbüro-Mitglied, stellvertretender Vorsitzender des ZK der KPCh und des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses; kaum einen Monat später, am 8. Januar 1976, war ihm Chou En-lai gefolgt, seit der Gründung der Volksrepublik ihr Ministerpräsident, engster Mitarbeiter Maos und die zentrale politische Figur neben ihm; und drei Wochen nach der Ankündigung, daß Mao keine ausländischen Besucher mehr empfangen dürfe — am 6. Juli 1976 —, war auch Chu Teh, der alte Waffengefährte Maos aus der Chingkanshan-Zeit, Mitbegründer der Volksbefreiungsarmee (VBA) und Vorsitzender des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses, gestorben. Etwas mehr als ein Jahr ist seitdem vergangen. Haben die Erdbeben, die den Tod des großen chinesischen Revolutionärs einleiteten, nach seinem Tode ein politisches Echo gefunden? Haben sich die Befürchtungen, die Hoffnungen erfüllt, sind die Visionen Wirklichkeit geworden? Auf den ersten Blick: nein. Zwar gab es intensive Auseinandersetzungen um die politische Nachfolge, die so-21 gar zu vereinzelten Kämpfen eskalierten, doch ein Bürgerkrieg größeren Ausmaßes konnte ebenso verhindert werden wie eine Aufteilung des Landes in feindliche, miteinander rivalisierende Lager. Die neue Regierung unter dem ehemaligen Sicherheitsminister Hua Kuo-feng hat das Land fest unter ihrer Kontrolle, und es hat den Anschein, als habe die chinesische Volksrepublik in den vergangenen Jahren selten eine Regierung gehabt, die sich auf eine so breite Basis stützen konnte.

Auch außenpolitisch ist alles ruhig geblieben. Keine der beiden Großmächte hat den Tod Maos zu politischen Pressionen oder gar zu gewaltsamen Aktionen ausgenutzt. Im Gegenteil: Die Sowjetunion unternahm eindeutige Versuche, sich mit dem neuen Regime zu arrangieren und setzte es zu keinem Zeitpunkt unter militärischen oder politischen Druck. Die USA verhielten sich sogar noch wohlwollender. Zwar unternahmen sie keine spektakulären Schritte, um von ihren alten taiwanesischen Verbündeten abzurücken und so ihrerseits die Voraussetzung für die Aufnahme voller diplomatischer Beziehungen zu erfüllen. Doch lief der Prozeß vorsichtiger Zusammenarbeit auch unter Präsident Carter weiter, und der jüngste „Sondierungsbesuch“ des amerikanischen Außenministers Cyrus Vance in Peking weckte sogar die Hoffnung, daß jener Prozeß sich in nächster Zeit noch schneller entwickeln wird.

Etwas schwieriger gestaltet sich allerdings die Beurteilung des dritten Aspekts: die innere Entwicklung Chinas. Zum einen wegen der relativen Kürze des zu bewertenden Zeitraums, zum anderen und vor allem aber wegen der Unsicherheit der dabei anzulegenden Maßstäbe. Denn was wäre denn als „revisionistisch" zu bewerten, was als eine „Fortsetzung" des rechten bzw. revolutionären Kurses? Prima vista erscheint diese Fortsetzung ungebrochen: Nicht nur verweist Hua Kuofeng immer wieder darauf, daß Mao selbst es war, der ihm das Land und die Führung anvertraut habe; er versäumt auch keine Gelegenheit, sich als getreuen Erbverwalter darzustellen: sei es durch den zügigen Bau eines Mausoleums für den verstorbenen Vorsitzenden, sei es durch die schnelle Veröffentlichung des seit langem angekündigten 5. Bandes der Ausgewählten Werke Maos oder durch besonders häufige Bezüge auf die „Gedanken" und Lehren seines Vorgängers. Kurz aufflackernde Kritik an Mao wurde schnell zum Verstummen gebracht, seine „Worte“ werden auch nach seinem Tod als Maßstab richtigen Handelns akzeptiert.

Bei näherer Betrachtung werden allerdings Tendenzen sichtbar, die Zweifel daran wachrufen, ob hier noch immer der Kurs Maos gesegelt wird. Personell: Die Entmachtung und Verdammung jener Parteilinker — einschließlich der Witwe des Parteivorsitzenden —, die Mao seit der Kulturrevolution am nächsten standen; zudem die erneute Rehabilitierung Teng Hsiao-p’ings, vor dem Mao noch im Jahre seines Todes gewarnt und dessen Verjagung aus allen Ämtern er ausdrücklich gebilligt hatte. Ideologisch: Ein vorsichtiges Abrücken von der Kulturrevolution, eine größere Gewichtung der Produktion gegenüber der Revolution, die Rehabilitierung materieller Anreize u. a. Diese Zweifel werden inzwischen von einer wachsenden Zahl ausländischer Beobachter offen ausgesprochen — unter ihnen nicht wenige, die das China Maos mit unverhohlener Sympathie beobachtet hatten Ihre Skepsis und Kritik bezieht sich indessen nicht nur auf die Innen-und Wirtschaftspolitik der neuen Pekinger Herren, sondern auch auf deren Außenpolitik. So werden etwa die Bedenken, die die albanischen Genossen an der „Drei-Welten-Theorie" Pekings im Juli dieses Jahres erstmals öffentlich äußerten, von immer mehr Anhängern der Volksrepublik China im Ausland geteilt. Der Chor des an China gerichteten „Et tu, China" wird immer lauter.

Angesichts der geschilderten Verwirrung erscheint es sinnvoll, die Entwicklung der chinesischen Politik nach dem Tode Maos ein wenig genauer zu untersuchen. Was hat nun wirklich stattgefunden? Welche Linie haben die neuen Führer eingeschlagen? Sind Kurskorrekturen feststellbar oder gar ein neuer Kurs? Dies sind einige der Fragen, denen im folgenden nachgegangen werden soll. Um sie adäquat zu beantworten, kann die Analyse allerdings nicht beim Todestag Maos ansetzen. Sie muß vielmehr zurückgreifen und einen Blick auf Entwicklungstendenzen werfen, die sich schon in jener Zeit abzuzeichnen begannen, als Mao vermutlich noch Einfluß auf die chinesische Politik nahm. Dabei soll — zuerst — die Außenpolitik der Volksrepublik China untersucht werden, bei der offensichtlich die geringsten Veränderungen eingetreten sind. Daran anschließend sollen — zweitens — die Entwicklungen nachgezeichnet werden, die sich auf der institutionellen Ebene vollzogen haben. Es sei allerdings schon hier betont, daß es sich bei Verschiebungen auf dieser Ebene nicht um reine Machtprobleme handelt, sondern zugleich auch um Sachprobleme, insofern personelle Entscheidungen in der Re-gel auch politische Entscheidungen sind. Aus diesem Grunde soll — drittens — schließlich die Wirtschafts-und Gesellschaftspolitik der neuen Regierung etwas beleuchtet werden, zumindest soweit sie programmatisch vorliegt oder aus den praktischen Ansätzen erkennbar wird.

Zur außenpolitischen Entwicklung

Wenden wir uns nun der außenpolitischen Entwicklung zu. Hier hat sich — sieht man von der Entlassung des früheren Außenministers Ch'iao Kuan-hua ab — seit dem Tode Maos nichts verändert; bestehende Tendenzen wurden eher weitergeführt. verstärkt Dies bestätigte im gewissen Sinne auch das renommierte China Quarterly, dessen Chronist dazu und in Hinblick auf die Ernennung des neuen Außenministers Huang Hua knapp feststellte: „Nach der neuen Ernennung konnten keine erkennbaren Änderungen der auswärtigen Beziehungen Chinas entdeckt werden." Im gleichen Sinne sekundierte die Far Eastern Economic Review: „Dasjenige wichtige Element der chinesischen Politik, das seit dem Tode Maos Stabilität und Kontinuität gezeigt hat, sind die auswärtigen Beziehungen."

Dennoch erscheint es angesichts der Kritik Tiranas an der „Drei-Welten-Theorie", die eng mit dem Namen Teng Hsiao-p'ings verknüpft ist, als deren geistiger Autor aber inzwischen Mao selbst identifiziert wurde, angebracht, den größeren außenpolitischen Kontext zu skizzieren, in den sie angebettet ist, sowie die längeren zeitlichen Perspektiven darzustellen, aus denen sie gesehen werden muß.

Ungeachtet aller weitgesteckten weltrevolutionären Intentionen bestand und besteht das primäre Ziel der chinesischen Außenpolitik in der Sicherung der nationalen Unabhängigkeit und im Schutz des kommunistischen Systems. Dazu aber waren die chinesischen Kommunisten nie aus eigener Kraft imstande. Immer waren sie vielmehr auf auswärtigen Schutz angewiesen, den ihnen bis Mitte der sechziger Jahre die Sowjetunion gewährte — gegen die USA und deren asiatischen Verbündeten, vornehmlich die national-chinesische Regierung auf Taiwan.

Mit der Eskalation des sino-sowjetischen Konflikts Mitte der sechziger Jahre begann dieser Schutz immer fragwürdiger und immer problematischer zu werden. Ungedeckt und umgeben von Mächten, die aus ihrer Feindseligkeit gegenüber dem maoistischen China keinen Hehl machten, hatte sich Peking auf mindestens drei Krisensituationen einzustellen: l. Von den USA und ihren Verbündeten im Zuge des Vietnam-Krieges angegriffen zu werden; 2. von der Sowjetunion und ihren Satelliten wieder gewaltsam ins „sozialistische Lager" zurückgeholt zu werden; 3. durch ein Bündnis beider Großmächte und ihrer Verbündeten atomar „kastriert" und territorial aufgeteilt zu werden.

Im Herbst 1968 war insofern ein kritischer Punkt erreicht, als die Sowjetunion mit ihrem Einmarsch in die ÖSSR offen zu erkennen gab, daß sie durchaus bereit war, abtrünnige Satelliten auch notfalls mit Gewalt wieder ins „Lager des Sozialismus" zurückzuholen. Der Ausbruch militärischer Auseinandersetzungen an der russisch-chinesischen Grenze und der massive Aufmarsch sowjetischer Truppen verschärften die Furcht Pekings, das nächste Opfer sowjetischer Aggression zu werden. Hinzu kam, daß Moskau in einer diplomatischen Offensive den Plan eines kollektiven Sicherheitssystems für Asien zu ventilieren begann dessen antichinesischer Charakter für Peking außer Zweifel stand. Diesen diplomatischen Aktionen aber hatte Mao ebenso wenig entgegenzusetzen wie einem mit modernsten Waffen vorgetragenen Angriff. Denn abgesehen von dem schon um die Mitte der sechziger Jahre erfolgten Verlust so wichtiger Verbündeter wie Sukarno, Nkrumah und Ben Bella hatte die Kulturrevolution den Prozeß der internationalen Isolierung und Selbst-isolierung noch weiter beschleunigt.

Lediglich in einer Richtung begann sich am internationalen Horizont ein Lichtschimmer abzuzeichnen: Die Vereinigten Staaten ließen ihre Bereitschaft erkennen, sich nicht nur aus dem sale guerre in Vietnam zurückzuziehen, sofern man ihnen dazu Wege eröffnete, die dies ohne Gesichtsverlust ermöglichten. Darüber hinaus wurde die Absicht des neugewählten Präsidenten Nixon deutlich, die militärische Präsenz der USA in ganz Asien abzubauen und die Verteidigung Asiens den Asiaten zu überlassen. Damit nahm die Gefährlichkeit Amerikas für China ab — und die Möglichkeit einer allmählichen Entspannung des amerikanisch-chinesischen Verhältnisses zu. Und nicht nur das: Eine Reihe guter Gründe sprach sogar für eine langsame Annäherung: Neben dem gemeinsamen Interesse, ein weiteres Vordringen der Sowjetunion in Asien zu verhindern, konnten sich einerseits die USA von einem intakten China ein gutes strategisches Gegengewicht zur Sowjetunion erhoffen, andererseits konnte die Volksrepublik aber den Schutz vor einem sowjetischen Angriff und die Erweiterung ihres internationalen Spielraums erwarten.

Es spricht einiges dafür, daß Mao selbst sich für eine solche Politik der begrenzten Annäherung aussprach — nicht zuletzt aufgrund der Logik und Tradition seiner eigenen strategischen Prinzipien Daß diese Annäherung vorerst nur begrenzt sein durfte, verlangte nicht nur die Rücksicht auf das Sicherheitsbedürfnis der Sowjetunion, sondern — vor allem im Falle der USA — auch die Interessen der eigenen Verbündeten. So war es kaum ein Zufall, daß der Besuch Nixons in Peking keine volle Normalisierung brachte, sondern im „Kommunique von Shanghai" lediglich die tragfähige Grundlage für eine weitere Zusammenarbeit schuf.

Es zeigte sich bald, daß zumindest die strategische Rechnung Pekings voll aufging: Nicht nur gelang der VRCh schon im Herbst 1971 die Aufnahme in die UNO — die ein feindseliges Amerika ein weiteres Mal hätte verhin-dem können —, auch die bilateralen Beziehungen zu den Ländern der beiden „Zwischenzonen'entwickelten sich schnell und fruchtbar, nachdem der Widerstand Washingtons aufgehört hatte. Die außenpolitische Öffnung, die Peking 1964 noch erfolglos angestrebt hatte, gelang nun in kürzester Zeit. 'Und diesen Erfolg nutzten Chou und Mao nicht nur in geschickten handels-und entwicklungspolitischen Aktionen, die die internationale Reputation der Volksrepublik schnell aufbesserten, sondern auch — wie Washington erwartet hatte — zur Mobilisierung einer internationalen Front gegen die Sowjetunion. Daß die erbitterte antisowjetische Politik Pekings im Rahmen einer Anti-hegemonial-Politik geführt wurde, die sich gegen beide „Supermächte" richtete, also auch gegen die USA, war dabei von nur untergeordneter Bedeutung. Denn in der Praxis konzentrierten sich Politik und Polemik der chinesischen Kommunisten vornehmlich auf die Sowjetunion, die sie seit Herbst 1968 als „sozialimperialistisch" bezeichneten während die USA sichtbar geschont wurden.

Es war freilich weniger diese Schonung des ehemaligen Hauptfeindes, die die Anhänger und Verbündeten Maos im Ausland irritierte und Gegenstand ihrer Kritik wurde, als die Zusammenarbeit mit Regimen, die — wie der Iran, Äthiopien und das Chile Pinochets — eher als die Speerspitzen der Konterrevolution angesehen wurden. Die strategische Formel und theoretische Begründung einer solchen Politik wurde am 10. April 1974 auf der Sondersitzung der UN-Generalversammlung über Entwicklungs-und Rohstofffragen in New York von Teng Hsiao-p’ing nachgereicht, als er die „Drei-Welten-Theorie" als die den weltpolitischen Entwicklungen angepaßte Version der alten „Zwischenzo-

nen-Theorie" vortrug. Ihre Kernsätze: „Sieht man sich die Änderung der internationalen Beziehungen an, so gibt es heute in der Welt drei Teile, drei Weiten, die sowohl voneinander abhängig sind, als auch in Widerspruch zueinander stehen. Die USA und die Sowjetunion bilden die Erste Welt. Die Entwicklungsländer in Asien, Afrika und Lateinamerika sowie in anderen Gebieten bilden die Dritte Welt. Und die entwickelten Länder, die sich zwischen diesen beiden Welten befinden, bilden die Zweite Welt."

Die eigentlichen Gegenpole sind in diesem Schema die Erste und die Dritte Welt, wobei die Widersprüche zwischen den Ländern der Dritten Welt, vor allem aber die zwischen der Zweiten und Dritten Welt im Vergleich zu dem gemeinsamen Widerspruch gegenüber den beiden nach globaler Herrschaft und Hegemonie strebenden „Supermächten" gering sind und im Interesse eines gemeinsamen Kampfes gegen deren neokoloniale Ausplünderung und Unterdrückung zeitweise zurückgestellt werden müssen.

Eine in diesem Sinne konsequent durchgeführte Einheitspolitik — die ihre Vorlage im antijapanischen Widerstand der dreißiger Jahre hat — mußte notwendig Zweifel an der revolutionären Reinheit Pekings und seiner außenpolitischen Prinzipientreue wecken: „Die Verfechter der Drei-Welten-Theorie ma-chen keinen Unterschied zwischen den wahren antiimperialistischen und revolutionären Kräften und den proimperialistischen reaktionären und faschistischen Mächten, die in einer Reihe von Entwicklungsländern an der Macht sind. Dies bedeutet eine flagrante Abkehr von der Lehre des Marxismus-Leninismus und die Verteidigung typisch opportunistischer Ansichten." Zwar übersah das albanische KP-Organ Zeri i Popullit bei diesen zwischen Klage und Anklage vibrierenden Passagen, daß die chinesischen Kommunisten in der Theorie durchaus einen solchen Unterschied machen. Es ist jedoch zweifellos zutreffend, daß er für die momenta-ne praktische Politik ohne große Bedeutung ist und daß Peking in der Tat jede Regierung, Befreiungsund Aufstandsbewegung unterstützt, sofern dies nur dem Kampf gegen die Sowjetunion dienlich erscheint.

Diese Feststellung trifft für die Außenpolitik Mao Tse-tungs und Chou En-lais ebenso zu wie für die ihrer Nachfolger. Daß diese nicht die Absicht hegen — und es sich vorerst auch kaum innenpolitisch erlauben können —, den außenpolitischen Kurs zu korrigieren, geht inzwischen aus zahlreichen Äußerungen der verschiedenen Spitzenpolitiker hervor. So stellte der aus dem Machtkampf mit der Shanghai-Gruppe gerade erst siegreich hervorgegangene und in seiner Position gefestigte Hua Kuo-feng am 25. Dezember 1976 in seiner „Rede auf der 2. Landeskonferenz zum Lernen von Dadschai in der Landwirtschaft" fest: „Sowohl in den inneren als auch in den auswärtigen Angelegenheiten werden wir unbeirrt auf dem vom Vorsitzenden Mao gewiesenen Kurs mutig voranschreiten ... Wir sind entschlossen, die geheiligte Sache der Befreiung Taiwans und der Wiedervereinigung des Vaterlandes zu vollenden. Wir sind entschlossen, an den Prinzipien des proletarischen Internationalismus festzuhalten, die vom Vorsitzenden Mao formulierte revolutionäre Linie und Politik für auswärtige Angelegenheiten durchzuführen, die Einheit mit dem internationalen Proletariat und den unterjochten Nationen und unterdrückten Völkern der Welt zu verstärken, unsere Einheit mit den verschiedenen Ländern der Dritten Welt zu verstärken und uns mit allen Ländern, die der Aggression, Subversion, Intervention, Kontrolle und Demütigung seitens des Imperialismus und Sozialimperialismus ausgesetzt sind, im Kampf gegen den Hegemonismus und der beiden Supermächte, der Sowjetunion und der USA, zusammenzuschließen."

Und unter Verwendung fast derselben Formeln, allerdings mit direktem Bezug auf die „Drei-Welten-Theorie", bestätigte am 1. August 1977 in seiner Festrede zum 50. Jahrestag der Gründung der Volksbefreiungsarmee der zweite starke Mann, Yeh Chien-ying, stellvertretender Parteivorsitzender und Verteidigungsminister der VRCh: „Wir müssen unbedingt die strategische Position des Vorsitzenden Mao von den drei Welten befolgen, entschieden die revolutionäre außenpolitische Linie des Vorsitzenden Mao durchführen und gegen den Hegemonismus der beiden Supermächte, der Sowjetunion und der USA, kämpfen."

Diesen recht allgemein gehaltenen programmatischen Erklärungen entspricht die außenpolitische Praxis Pekings während des vergangenen Jahres.

Als die chinesischen Kommunisten Ende Dezember 1975 jene dreiköpfige sowjetische Hubschrauberbesatzung entließen, die am 14. März 1974 in ihre Gewalt geraten war, sah es für einen Moment so aus, als wollten sie mit dieser Geste eine Entspannung der gegenseitigen Beziehungen einleiten. Doch der Ein-

druck täuschte: Schon bald nach dem Tode Chou En-lais und der erneuten Entmachtung Tengs, von dem Moskau eine etwas pragmatischere und gemäßigtere Politik erwartet hatte, ereichten die antisowjetischen Propaganda-Salven wieder die gewohnte Lautstärke. Scharfe antisowjetische Töne mischten sich vor allem in die von der „Linken" gesteuerten Kampagne gegen Teng, den sie nicht nur mit Breschnew verglichen, sondern dem sie zudem Kollaboration mit der Sowjetunion und die Errichtung eines „Gullasch-Sozialismus" Chruschtschowscher Prägung unterstellten

Doch die antisowjetische Polemik ging nicht nur von der Shanghai-Gruppe aus; auch Hua Kuo-feng versäumte keine Gelegenheit, um seinen antisowjetischen Standpunkt zum Ausdruck zu bringen. So prangerte er gleich in seiner ersten Rede als amtierender Premier auf dem Bankett zu Ehren Nixons, der von der chinesischen Regierung anläßlich des vierten Jahrestages der Aufnahme politischer Beziehungen nach China eingeladen und dort herzlich empfangen worden war, das Machtstreben und Hegemoniestreben der Sowjetunion scharf an Die Kette der vor allem an Europa und die Länder der Dritten Welt gerichteten Warnungen vor der Expansions-und Aggressionspolitik Moskaus riß seitdem nicht ab: die KSZE, das sowjetische Engagement in Angola, sowjetische Waffenlieferungen an sudanesische Aufständische, die Expansion Moskaus im Südpazifik, die Haltung der Sowjetunion zur 200-Meilen-Zone — es gab kaum ein Ereignis, das die Chinesen nicht zum Anlaß nahmen, um Moskau in Mißkredit zu bringen.

Auch die am 3. Dezember 1976 in Peking wiederaufgenommenen Grenzverhandlungen führten, wie der sowjetische Verhandlungspartner Iljitschew am 28. Februar 1977 bei seiner Abreise zu verstehen gab, zu keinen Fortschritten. Schon zuvor, am 25. Dezember 1976, hatte Hua mit der Veröffentlichung einer offiziellen Version von Maos Rede „über die Zehn Großen Beziehungen", die scharfe antisowjetischen Bemerkungen enthielt, weitere Zeichen für die unversöhnliche Haltung Pekings gesetzt. Nicht weniger scharf und zahlreich waren die Angriffe der Chinesen auf die innere Situation in der UdSSR: Die Wirtschaftspolitik, ständig sich verschärfende Klassengegensätze, der neue sowjetische Verfassungsentwurf — alles bot ihnen Anlaß, um den „revisionistischen" und „bürokratischen"

Charakter des sowjetischen Regimes propagandistisch herauszustellen. Symptomatisch für den Tiefstand der zwischenparteilichen Beziehungen war auch die Verweigerung der Annahme des Kondolenzschreibens der KPdSU anläßlich des Todes von Mao sowie später der Glückwunschbotschaft zur Ernennung Huas.

Immerhin beendete die im August 1977 erfolgte Entsendung eines neuen chinesischen Botschafters die 18monatige Vakanz der diplomatischen Vertretung Chinas beim Kreml.

Dies hinderte Hua allerdings nicht daran, die bevorstehende Ankunft des amerikanischen Außenministers in China zum Anlaß zu neh-men, um den Gedanken an eine Entspannung mit der Sowjetunion entschieden von sich zu weisen. Diese Position wurde auch vom so-eben erst wieder rehabilierten Teng Hsiao-p’ing bezogen, als er einer Delegation westdeutscher Verteidigungsexperten erklärte, daß „nicht einmal in der nächsten Generation eine Annäherung zu erwarten" sei Das ZK-Mitglied Liao Cheng-ch'i ging so-gar noch weiter: Westlichen Geschäftsleuten gegenüber äußerte er, daß ein Krieg mit der Sowjetunion infolge der umstrittenen Gebiete in den Nordprovinzen unvermeidlich sei und bislang lediglich noch nicht geführt werde, weil die chinesischen Streitkräfte darauf noch nicht vorbereitet seien Obwohl so militante Ansichten von keinem Mitglied der engeren Führungsspitze bislang wiederholt wurden, demonstrierten auch die Reden der Parteiführer auf dem 11. Parteikongreß wie auch die Rede des chinesischen Außenministers vor der diesjährigen Generalversammlung der Vereinten Nationen die ungebrochen unversöhnliche Haltung Pekings gegenüber der Sowjetunion.

In derselben Rede, in der sich der chinesische Parteiund Regierungschef gegen eine Aussöhnung mit Moskau ausgesprochen hatte, bekannte er ausdrücklich das Interesse der chinesischen Volksrepublik an guten Beziehungen zu den Vereinigten Staaten Amerikas Auch damit reihte er sich in die Reihe hoher

chinesischer Funktionäre ein, die sich seit dem China-Besuch Präsident Nixons in öffentlichen Erklärungen und privaten Gesprächen mit den zahlreichen amerikanischen Politikern und Delegationen für die volle Normalisierung der amerikanisch-chinesischen Beziehungen einsetzten. Wie diese, so hielt aber auch Hua an den drei essentials der chinesischen Position fest, die im Mai 1977 noch einmal der stellvertretende Ministerpräsident Li Hsien-nien in einem Exklusivinterview der japanischen Tageszeitung Yomiuri Shimbum genannt hatte: Abzug der amerikanischen Truppen von Taiwan, Aufkündigung des Sicherheitsvertrages mit Taiwan von 1954 und Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Taiwan. Interessanter als diese drei Forderungen ist allerdings ein anderes Problem, das Li in seinem Interview angeschnitten hatte, da es jenen Punkt enthält, auf den sich die zukünftigen amerikanisch-chinesischen Verhandlungen konzentrieren dürften: die Frage nämlich, ob die chinesischen Kommunisten bereit seien, bei der „Befreiung" Taiwans auf Gewalt zu verzichten. Eine solche Zusicherung, die von amerikanischen Politikern wiederholt angeregt worden war — zuletzt von Außenminister Vance in seiner Rede zur Asien-Politik der USA am 29. Juni 1977, in der er bezeichnenderweise Taiwan keine eigene Passage mehr reservierte —, würde Washington ein Entgegenkommen erheblich erleichtern. Denn die Aussicht auf eine friedliche Einigung zwischen Peking und Taipeh würde die Notwendigkeit der militärischen und diplomatischen Präsenz der USA auf der Insel überflüssig machen und ihnen beim Abbau der offiziellen Beziehungen zu Taiwan nicht den Vorwurf mangelnder Bündnistreue einbringen. Bislang aber waren die Nachfolger Maos zu einer solchen Zusicherung nicht bereit, vor allem, da sie in ihr einen Eingriff in die inneren Angelegenheiten Chinas sehen. So erklärte Li Hsien-nien: „Das ist eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten (Chinas). Ich glaube sogar, daß, wenn es bei der Befreiung Taiwans eine große Anzahl konterrevolutionärer Elemente gibt, vielleicht nur die . gewaltsame Befreiung'in Frage kommt." Im selben Sinne äußerte sich auch der chinesische Verteidigungsminister Yeh Chien-ying, als er am Gründungstag der Volksbefreiungsarmee feststellte: „Wann und auf welche Art und Weise wir Taiwan befreien, das ist eine innere Angelegenheit Chinas, in die sich einzumischen niemand das Recht hat. Wir sind entschlossen, gemeinsam mit unseren Landsleuten auf Taiwan die geheiligte Sache der Befreiung Taiwans und der Wiedervereinigung des Vaterlandes zu vollenden."

Und auch Hua Kuo-feng selbst bekräftigte diese Position, als er in seinem „Politischen Bericht", den er am 19. August 1977, also unmittelbar vor der Ankunft des amerikanischen Außenministers, dem 11. Parteikongreß im Hinblick auf die chinesisch-amerikanischen Beziehungen und das „Kommunique von Shanghai" vortrug, ausführte: „Im Geiste dieses Kommuniques müssen die USA, wenn sie die Beziehungen zwischen den beiden Ländern normalisieren wollen, ihre soge-nannten diplomatischen Beziehungen zu der Tschiang-Bande abbrechen, all ihre Streitkräfte und Militäreinrichtungen aus Taiwan und dem Raum der Taiwan-Straße abziehen und den von ihnen und der Tschiang-Bande abgeschlossenen sogenannten . Vertrag über gemeinsame Verteidigung'annullieren. Die Provinz Taiwan gehört zum geheiligten Territorium unseres Landes, und wir werden Taiwan befreien. Wann und auf welche Weise Taiwan befreit wird, das ist voll und ganz eine innere Angelegenheit Chinas, und wir erlauben keinem fremden Land, sich darin einzumischen."

In der Tat brachte der Besuch von Vance keine Annäherung der kontroversen Standpunkte. Dies mochten die Erklärungen des amerikanischen Außenministers noch etwas verschleiern. Das Interview, das Teng kurz darauf einer japanischen Zeitung gab, machte es nachdrücklich klar, und die Rede des chinesischen Außenministers Huang Hua auf der 32. UNO-Vollversammlung am 29. September bestätigte es

Sollte sich in diesem Punkte während der für die nächste Zeit angekündigten Verhandlungen eine beide Seiten befriedigende Lösung finden lassen, so dürfte es — ungeachtet aller Proteste der nationalchinesischen Regierung auf Taiwan — bald zu einer vollen „Normalisierung" der beiderseitigen Beziehungen kommen. Doch selbst wenp ein solcher Schritt noch einige Zeit auf sich warten lassen sollte, würde dies kaum die weitere Intensivierung der Zusammenarbeit behindern. Nicht nur Washington, auch Peking hat seit 1971 genügend Beispiele für ein pragmatisches, an den eigenen Interessen orientiertes Handeln gegeben. Seine Fortsetzung ist vor allem von einem „Pragmatiker" wie Teng Hsiao-p’ing zu erwarten, der in Zukunft sicherlich wieder erheblichen Einfluß auf die chinesische Außenpolitik nehmen wird.

Diese Feststellung trifft in nicht minderen Maße für die Politik Pekings gegenüber den beiden wichtigsten Regionen der „Zweiten Welt" zu — Japan und Westeuropa. Gerade in Hinblick auf die von Hua und Teng forciert vorangetriebene Modernisierungspolitik, die ohne ausländische Unterstützung kaum gelingen kann, dürften sich die Beziehungen Chinas zu diesen beiden hochentwickelten Wirtschaftsmächten noch erheblich intensivieren.

Eine besondere Bedeutung kommt dabei — ökonomisch wie sicherheitspolitisch — Japan zu Obwohl sich der japanisch-chinesische Handel, dessen Volumen von 900 Mio. US-Dollar im Jahre 1971 auf 3, 79 Mrd. US-Dollar im Jahre 1975 anstieg, nicht mehr mit derselben Geschwindigkeit weiterentwickeln wird, wie der Rückgang im Jahre 1976 signalisierte, dürfte Japan auch in Zukunft zu den bevorzugten Handelspartnern der Volksrepublik China gehören. Wichtige Impulse dürften dabei vor allem von der weiteren Entwicklung der beiderseitigen politischen Beziehungen ausgehen. Diese haben-sich inzwischen schon soweit verbessert, daß sich Moskau Sorgen über eine sino-japanische militärische Zusammenarbeit zu machen beginnt Obwohl sich seit dem Frühjahr 1977 die Kontakte zwischen der Volksbefreiungsarmee und den japanischen Selbstverteidigungskräften in der Tat verstärkt haben, dürfte es bis zu einer militärischen Zusammenarbeit — sieht man einmal vom Kauf japanischer Waffen und moderner Kriegstechnologie ab — doch noch ein weiter Weg sein, der zudem über die Station einer politischen Zusammenarbeit führen müßte

Daß sich inzwischen die Aussichten für eine solche Annäherung verbessert haben und der Abschluß des schon während des Tanaka-Besuches im September 1972 anvisierten Friedens-und Freundschaftsvertrages in Sichtweite gekommen ist, hat der Kreml allerdings nicht zuletzt der eigenen Politik zuzuschreiben. Lange Zeit hatte Japan nämlich einen Kurs der Äquidistanz zu steuern versucht und sich sowohl im Interesse an guten Beziehungen zur Sowjetunion als auch aufgrund sowjetischen Drucks geweigert, die von Peking zur Voraussetzung gemachte Aufnahme einer Anti-Hegemonie-Klausel, wie sie sich schon in der Gemeinsamen Erklärung vom September 1972 findet, in einen solchen Vertrag einzubeziehen. Anstatt dieses Zögern zu honorieren und durch die Rückgabe der vier seit 1945 besetzten Kurilen-Inseln nicht nur den Weg für die Unterzeichnung des auch von Moskau angestrebten Friedensvertrags mit Japan freizumachen, sondern auch eine für die sowjetische Außenpolitik gefährliche Kooperation zwischen Peking, Washington und Tokio zu verhindern, beharrten die sowjetischen Führer auf ihrer unnachgiebigen Haltung in der Inselfrage. Und nicht nur das: Im Frühjahr 1977 verkündeten sie sogar für den 1. März einseitig die Errichtung einer „ 200-Meilen-Fischerei-Ausschlußzone", die auch die umstrittenen Inseln einschloß Da die japanische Regierung trotz der schweren Probleme, die sich daraus für die japanische Fischereiwirtschaft ergaben, nicht bereit war, diese Zone zu akzeptieren, scheiterten auch die japanisch-russischen Verhandlungen über die Fischerei im Nordpazifik, die vom 28. Februar bis zum 3. März in Moskau und Tokio stattfanden.

Hua Kuo-feng setzte nicht nur in der Insel-Frage die chinesische Unterstützung der japanischen Position fort, sondern trat auch im Fischereistreit auf die Seite Japans und versuchte durch freundliche Gesten und eine verstärkte Fortsetzung der bewährten „Volksdiplomatie", weitere Gruppen und Persönlichkeiten für die chinesische Haltung zu erwärmen und so die japanische Regierung vorsichtig unter innenpolitischen Druck zu set-zen. Ein wichtiges Zeichen des guten Willens Chinas gab im August schließlich Teng Hsiao-p’ing, als er sich für die Kündigung des sino-sowjetischen Freundschaftsvertrages aus dem Jahre 1952 aussprach. Abgesehen von allen anderen Überlegungen, die eine solche Entscheidung beeinflussen könnten, bedeutet ein solcher Schritt zweifellos ein Entgegenkommen gegenüber Japan, das schon im Januar 1975 an China den Wunsch herangetragen hatte, die Gegenstandslosigkeit jenes Vertragsartikels zu erklären, in dem Japan „als hypothetischer Gegner charakterisiert wird"

Es ist schwer zu unterscheiden, ob es die chinesischen Bemühungen um Japan waren, die den Ausschlag dafür gaben, daß sich in Japan die Stimmen für den Abschluß eines Friedens-und Freundschaftsvertrags verstärken, oder die Verärgerung über die sowjetische Haltung. Daß China im vergangenen Jahr einem solchen Vertrag nähergekommen ist — vielleicht sogar unter Einschluß einer modifizierten Anti-Hegemonie-Klausel —, erscheint jedoch außer Zweifel.

Einem Vertrag nähergekommen ist die chinesische Diplomatie in den vergangenen Mona-ten auch in Westeuropa — allerdings keinem Friedens-und Freundschaftsvertrag, sondern einem formellen Handelsabkommen mit der EG, das an die Stelle der seit dem 1. Januar 1975 ausgelaufenen bilateralen Verträge treten soll Schon bei der Aufnahme diplomatischer Beziehungen, die nur wenige Monate später — im Juni 1975 — erfolgte, hatte Peking sein Interesse an einem Handelsabkommen bekundet. Doch erst nach der Ausschaltung seiner „linken" Gegner und der Konsolidierung Huas wurden die Bemühungen darum erheblich verstärkt. Zugleich gab Peking seine Absicht zu erkennen, den Außenhandel mit der EG dem seines bislang wichtigsten Partners Japan anzugleichen. Vom 4. bis 13. Juli hielt sich schließlich eine von der chinesischen Regierung eingeladene Delegation der EG-Kommission unter der Leitung von Roland de Ker-golay, stellvertretender Generalsekretär für Auswärtige Beziehungen, zur Vorbereitung eines solchen Handelsabkommens in Peking auf. Obwohl noch nicht alle Probleme ausgeräumt sind, scheint eine Paraphierung des Abkommens in nicht allzu ferner Zukunft bevorzustehen. Der chinesische Handel mit der EG mag in absoluten Zahlen für die EG zur Zeit noch ohne große Bedeutung sein, und auch die angekündigte Steigerung wird daran nicht allzuviel ändern. Dennoch symbolisieren die jüngsten Aktivitäten Pekings die politische Bedeutung, die auch die neue Regierung Westeuropa als Verbündetem im Kampf ge-gen die beiden „Supermächte", vor allem ge-gen die UdSSR, beimißt.

Zu den machtpolitischen Auseinandersetzungen

Während die chinesische Außenpolitik unter Hua Kuo-feng kaum vom Kurs der vergangenen Jahre abwich und intern somit auch keine besonderen Kontroversen provozierte — auch nicht mit der sogenannten Viererbande —, lag, wie Jürgen Domes zu Recht feststellte, „die Substanz des Konflikts im Jahre 1976 in Auseinandersetzungen über Machtpositionen und Fragen der Innenpolitik" Man kann darüber streiten, ob der Sturz der sogenannten Viererbande — also jener Gruppe prominenter Parteilinker und Politbüro-Mitglieder, der neben der Frau Maos, Chiang Ch’ing, die Shanghaier Funktionäre Wang Hung-wen, Yao Wen-yüan und Chang Ch'un-ch'iao ange-

hörten — das zentrale Ereignis nach dem Tode Maos war. Daß ihre Entmachtung jedoch zu den wichtigsten personellen Veränderungen zählt, die weitreichende politische Konsequenzen nach sich zogen, dürfte kaum in Zweifel gezogen werden. Man kann außerdem darüber spekulieren, was geschehen wäre, hätte Mao noch einige Jahre länger gelebt. Die hier vertretene These, daß die Entmachtung jener Vierergruppe nur noch eine Frage der Zeit war und vom Tod Maos lediglich beschleunigt wurde, läßt sich bislang zwar nicht beweisen. Dennoch lassen sich für sie eine Reihe guter Gründe anführen — nicht zuletzt die Tatsache, daß es ihnen nicht einmal einen Monat gelang, sich an der Macht zu halten. Die Schnelligkeit überraschte, mit der ihre Entmachtung und Inhaftierung vorgenommen wurde, nicht aber die Entmachtung selbst. Es liegt in der Logik dieser Behauptung, die Analyse der jüngsten Macht-und Nachfolge-kämpfe in China nicht auf den kurzen Zeitraum zwischen dem 9. September und dem 6. Oktober 1976 zu beschränken. Denn selbst die offiziellen Verlautbarungen gaben zu, daß die Auseinandersetzungen nicht durch das Ab-leben des Parteivorsitzenden ausgelöst wurden, sondern schon erheblich früher ausgebrochen waren. Der Tod Maos war lediglich ein wichtiges Moment, das ihren Verlauf beeinflußte und beschleunigte. Es gibt nun keinen festen Punkt, den man als den Beginn der Machtkämpfe nehmen könnte. Man kann, wie Mehnert es tut, das erste come-back von Teng Hsiao-p'ing, also den 12. April 1973, wählen oder wie die heutigen Sieger in China, den 10. Parteikongreß im August 1973. Der Entwicklung gerechter dürfte man allerdings werden, wenn man noch ein wenig weiter zurückgeht, nämlich bis auf den 9. Parteikongreß im Frühjahr 1969, mit dem die erste große Phase der Kulturrevolution beendet wurde. Denn spätestens zu jener Zeit begannen sich, wie der bald darauf erfolgte Sturz von Lin Piao zeigte, die Fronten im Kampf um die Nachfolge Maos zu formieren — ein Kampf, der mit der Entmachtung des linken Parteiflügels und der Ernennung Huas zum neuen Parteivorsitzenden und Ministerpräsidenten inzwischen seinen vorläufigen Abschluß gefunden hat. Zwar will die folgende Analyse diesen äußerst komplizierten und in vielen Punkten noch immer dunklen Prozeß nicht in allen Einzelheiten

darstellen. Sie kann ihn aber, soll der größere Zusammenhang der jüngsten Ereignisse verständlich werden, auch nicht ganz vernachlässigen. Lassen wir ihn daher wenigstens in seinen wichtigsten Phasen im Rückblick kurz Revue passieren.

Wie sah China beim Zusammentritt des 9. Parteikongresses aus? Oder, um die Frage gezielt zu stellen: Welche innenpolitischen Veränderungen hatten sich während der Kulturrevolution vollzogen? Den zentralen Punkt berührte Ellis Joffe, einer der aufmerksamsten ausländischen Beobachter der chinesischen Szene, als er feststellte: „Als der 9.

Parteikongreß schließlich im April 1969 zusammentrat, um den Epilog zur Kulturrevolution zu schreiben, war es eher die Volksbefreiungsarmee (= VBA) als die Partei, die die meisten Schlüsselpositionen der Macht besetzt hielt." Die nüchternen Zahlen bestätigten dieses Resümee: Während von den insgesamt 170 Mitgliedern des Zentralkomitees und von den alternierenden 109 Mitgliedern jeweils mehr als ein Drittel Militärs waren, besetzte die Volksbefreiungsarmee im 25köpfigen Politbüro sogar mehr als die Hälfte aller Sitze. Zudem stellte die Armee in Lin Piao den designierten Nachfolger Maos. Die Situation in den Provinzen sah kaum anders aus: Von den Vorsitzenden der insgesamt 29 Revolutionskomitees rekrutierten sich 21 aus der Armee und von den 250 stellvertretenden Vorsitzenden nochmals ein knappes Drittel.

Die Partei hatte jedoch nicht nur Macht eingebüßt, sondern auch Ansehen. Die „Säuberung" Tausender verdienter und erfahrener Kader bis hinauf in die höchste Parteispitze, die nicht selten unter entwürdigenden Umständen zur Selbstkritik gezwungen und aus den Ämtern gejagt worden waren, hatte nicht nur ihrer Reputation bei der Bevölkerung schweren Schaden zugefügt, sondern auch den geistigen Führungsanspruch schwer angeschlagen, den Lenin der kommunistischen Partei zugewiesen hatte. Ihren Platz als höchste ideologische und moralische Instanz hatten nun die „Gedanken Mao Tse-tungs" eingenommen. Die Situation wäre jedoch unzureichend beschrieben, würde man sie lediglich auf den Konflikt Partei—Armee reduzieren. Denn abgesehen davon, daß gerade in den höchsten Parteiämtern schon immer eine enge Personal-union zwischen Armee und Partei bestand und viele der führenden Partei-Kader in hohen militärischen Positionen waren, hatte genau-genommen nicht die Partei qua Partei an Einfluß verloren, sondern vornehmlich jener Flügel in ihr, der versucht hatte, aus dem Scheitern des von Mao 1959 durchgesetzten mobilisatorischen Entwicklungskonzepts der „Drei Roten Banner" die Konsequenzen zu ziehen und die chinesische Volksrepublik durch eine an zentraler Planung, Fachkompetenz und Modernisierung orientierte Politik der „Readjustierung“ wieder auf einen pragmatischen, wachstumsorientierten Kurs zurückzubringen. Während dieser Flügel unter dem Vorwurf, eine „Restauration des Kapitalismus" zu betreiben, erheblich geschwächt und seiner wichtigsten Führer — Liu Shaoch'i, Teng Hsiao-p'ing, P eng Chen u. a. — beraubt worden war, war die radikale, den Klassenkampf betonende kulturrevolutionäre Fraktion — mit Chiang Ch ing, Ch’en Po-ta, Yao Wen-yüan und Chang Ch'ung-ch iao als wichtigsten Führern — gestärkt aus den Auseinandersetzungen hervorgegangen.

Die Situation wurde noch dadurch kompliziert, daß die Koalition zwischen Armee und der kulturrevolutionären Linken, die zu Beginn der Kulturrevolution bestanden hatte, äußerst brüchig war Schon im Januar 1967, als Mao die Volksbefreiungsarmee aufgefordert hatte, zugunsten der Linken in den Konflikt einzugreifen, war dieser Aufruf durchaus nicht von allen regionalen Befehlshabern befolgt worden. Zwar hatten die meisten von ihnen die Gelegenheit benutzt, in den Provinzen die politische und wirtschaftliche Leitung zu übernehmen, doch waren durchaus nicht alle bereit, sie auch mit den Linken zu teilen. Selbst an der Wiederherstel-lung von Ruhe und Ordnung interessiert, gingen sie vielmehr spätestens seit dem Frühjahr 1968 massiv und nicht selten auch unter Anwendung offener militärischer Gewalt gegen die „Roten Garden" und die Organisationen der kulturrevolutionären Linken vor. Auch die Position der Linksfraktion in der Zentrale unter der Führung der „Gruppe Kulturrevolution" wurde allmählich unterminiert. Zwar hatte sie noch maßgeblichen Einfluß auf den Entwurf des neuen Parteistatuts nehmen können, der dem Parteikongreß vorgelegt wurde; doch wurde die Auswahl der Delegierten weitgehend von den Militärs vorgenommen. Und wenn die kulturrevolutionäre Linke nach dem Kongreß auch noch ein gutes Drittel der Politbüromitglieder stellte, so war doch die eigentliche Macht auf die Armee übergegangen. Dabei muß allerdings darauf hingewiesen werden, daß auch diese nicht einen einheitlichen Machtblock bildete, sondern in einzelne Gruppen gespalten war, vor allem in den zentralen Militärapparat um Lin Piao und die regionalen Militärbefehlshaber.

Es führt zwar nicht sehr weit, die verschiedenen Machtgruppen in das Schema zweier Lager einzupassen und diese dann auch noch als „Rechte" und „Linke" bzw. als „Gemäßigte" und „Radikale“ zu klassifizieren; versucht man es aber — unter Berücksichtigung der verschiedenen Spannungen, Widersprüche und Querverbindungen sowie unter dem Vorbehalt einer groben Vereinfachung — dennoch, so lassen sich 1969 die beiden folgenden Koalitionen identifizieren: Auf der einen Seite eine von Lin Piao dominierte Gruppe, der neben dem zentralen Militärapparat Teile des Sicherheitsapparats, die kulturrevolutionäre Linke sowie einige der Militärbefehlshaber angehören; auf der anderen Seite, repräsentiert von Chou En-lai, jene Teile der Partei-und Regierungskader, die dem mobilisatorischen Entwicklungskonzept Maos eher skeptisch gegenüberstanden, die kulturrevolutionären Säuberungen jedoch überlebt hatten, einige der regionalen Militärbefehlshaber sowie die während der Kulturrevolution aus ihren Ämtern verjagten Kader.

Eine ambivalente Stellung dazwischen nahm Mao selbst ein: Zwar ideologisch den Linken nahe und für seine Unterstützung gegen Liu Shao-ch'i Lin Piao verpflichtet, konnte Mao über den Ausgang der Kulturrevolution kaum glücklich sein: Abgesehen davon, daß die Entmachtung der Partei gegen sein Prinzip verstieß, daß die Partei die Gewehre zu kommandieren habe und nicht umgekehrt, war auch er nach dem „Chaos" der Kulturrevolution an einer Konsolidierung der chinesischen Wirtschaft interessiert. Und dies um so mehr, als die Gefahr einer militärischen Auseinandersetzung mit der Sowjetunion seit dem Herbst 1968 erheblich gewachsen und vielleicht einer der wichtigsten Gründe für die Beendigung der Kulturrevolution war. Ebenso besorgt wie über das gestörte Gleichgewicht zwischen Partei und Armee konnte Mao über die Stellung Lin Piaos sein, der jetzt mindeB stens ebenso sehr zu einer Bedrohung seiner eigenen Position wurde, wie es vor der Kulturrevolution Liu Shao-ch’i gewesen war. Die Wiederherstellung eines dynamischen Gleichgewichts zwischen den verschiedenen Gruppen lag somit sowohl in seinem eigenen wie auch im allgemein-gesellschaftlichen Interesse. Die zwischen den einzelnen Gruppen bestehenden Widersprüche und Spannungen sowie ihre Bestrebungen, ihre Positionen zu verbessern und sich für die Zeit nach Mao eine gute Ausgangsposition zu verschaffen, verwandelten die Jahre bis zum Herbst 1976 in eine der aufregendsten, aber auch undurchsichtigsten Epochen in der Geschichte des kommunistischen China. Sie schon jetzt definitiv gliedern zu wollen, wäre sicherlich verfrüht. Dennoch lassen sich die Konturen einiger Tendenzen erkennen, mit deren Hilfe der betreffende Zeitraum politisch und zeitlich strukturiert werden kann. Diese lassen sich in folgenden vier Rubriken subsumieren:

1. Aktivitäten zur Wiederherstellung des gestörten Machtgleichgewichts;

2. Gegenoffensiven der Linken;

3. Kampf um die Nachfolge und die endgültige Entmachtung der Linken;

4. die Etablierung des neuen Regimes nach dem Sturz der „Viererbande".

1. Aktivitäten zur Wiederherstellung des Machtgleichgewichts Versucht man diese von verschiedenen Koalitionen getragenen und nebeneinander herlaufenden Aktivitäten, die 1969 einsetzten, etwas zu systematisieren, so ergibt sich ein erster wichtiger Komplex in den Maßnahmen, die zum Wiederaufbau der angeschlagenen Partei eingeleitet wurden. In der Logik dieses Wiederaufbaus lag es, viele der während der Kulturrevolution aus ihren Ämtern verjagten alten Kader, deren Erfahrungen man dringend benötigte, zu rehabilitieren. Daß gerade ihnen gegenüber viele Ungerechtigkeiten begangen worden waren, hatte Mao selbst schon früh erkannt und deshalb die Rehabilitierung, für die sich vor allem der Ministerpräsident Chou En-lai einsetzte, abgedeckt. Den Umfang und die politische Bedeutung dieses Rehabilitierungsprozesses, der immer noch nicht ganz abgeschlossen ist, signalisierte am spektakulärsten das come-back jenes Mannes, der während der Kulturrevolution als „Nummer Zwei unter den Machthabern, die den kapitalistischen Weg gehen", entmachtet worden war: des ehemaligen Generalsekretärs der Partei, Teng Hsiao-p'ing. Am 12. April 1973 erschien er auf einem Bankett zu Ehren Norodom Sihanuks zum erstenmal wieder in der Öffentlichkeit, und schon zwei Jahre später bekleidete er erneut höchste Partei-und Regierungsämter. Dem unaufhaltsamen Aufstieg der alten gedemütigten Kader korrespondierte der ebenso unaufhaltsame Abstieg jener Gruppe, die sich am eifrigsten an ihrer Demütigung beteiligt hatte: der Roten Garden. Dabei kann „Abstieg" durchaus wörtlich verstanden werden. Denn schon seit August 1968 war damit begonnen worden, sie zur Erziehung durch die „armen und unteren Mittelbauern" zu körperlicher Arbeit aufs Land hinabzuschicken (hsia-fang). Gerade der Widerstand, den die noch immer einflußreichen linken Gruppen in den Provinzen dem Wiederaufbau der Partei und der Rehabilitierung der alten Kader entgegensetzten, erleichterte es der Partei und den regionalen Befehlshabern, sich ihrer zu entledigen und die von ihnen vertretenen radikalen Positionen als „anarchistisch" und „linksopportunistisch" zu disqualifizieren.

Ebenso wie bei den Aktionen gegen die Rotgardisten, trafen sich Partei-und Verwaltungskader sowie regionale Befehlshaber auch im Widerstand gegen eine andere Machtgruppe: gegen Lin Piao und den von ihm kontrollierten und mit seinen Leuten durchsetzten zentralen Militärapparat. Während Lin Piao die Zerschlagung der Roten Garden und der von ihnen kontrollierten Massenorganisationen, deren Ziel er zwar weitgehend teilte, deren revolutionäre Disziplinlosigkeit ihn jedoch abstieß, gelassen beobachtet hatte, nahm jetzt die kulturrevolutionäre Linke seine Entmachtung hin oder beteiligte sich mit Mao selbst sogar noch daran. Einzige prominente Ausnahme war Ch'en Po-ta, langjähriger Privatsekretär Maos und Führer der „Gruppe Kulturrevolution", der seine Zusammenarbeit mit Lin Piao allerdings mit dem Ende seiner politischen Karriere bezahlen mußte und als erster prominenter Linker von der politischen Bühne verschwand.

Was auch immer Lin Piao als schon designierten Nachfolger Maos zu Staatsstreich und Mordanschlag motivierte (wobei noch keineswegs sicher ist, daß diese offizielle Version auch den historischen Tatsachen entspricht), sein Tod am 13. September 1971, dem bald der Sturz seiner Anhänger im zentralen Militärapparat und in den Provinzen folgte, bewirkte nicht nur den Zerfall dieses Macht-zentrums, sondern ermöglichte auch eine Beschleunigung des Rehabilitierungsprozesses, der nun auch einer wachsenden Zahl von Generälen zugute kam, die von Lin Piao aus ihren Ämtern entfernt worden waren. Ihre Rückberufung bedeutete aber gleichzeitig eine weitere Verstärkung des zentralen Partei-und Verwaltungsapparates um Chou Enlai, dem sie sich für seinen Einsatz verpflichtet fühlten und von dem allein sie auch in Zukunft Schutz vor einer erneuten Verjagung erwarten konnten.

Wie sehr die Ereignisse die Machtverhältnisse schon verändert hatten, zeigte der im August 1973 stattfindende 10. Parteikongreß: Sowohl die Volksbefreiungsarmee als auch die kulturrevolutionäre Linke verloren in den neu-gewählten Gremien an Einfluß, obwohl letztere mit dem überraschenden Aufstieg des jungen Shanghaier Funktionärs Wang Hung-wen zum Stellvertretenden Parteivorsitzenden und Politbüromitglied eine wichtige Position für sich gewinnen konnte. Diese Tendenz machte sich anderthalb Jahre später auf dem im Januar 1975 stattfindenden 4. Nationalen Volkskongreß (NVK) sogar noch stärker bemerkbar: Abgesehen davon, daß in der Zwischenzeit durch die Verstärkung des Parteiapparats in den Provinzen und ein großes Revirement der Wehrbereichskommandeure der auch die Macht letzteren geschwächt worden war, ging die Repräsentation des Militärs sowohl im Ständigen Ausschuß des NVK wie auch im Staatsrat erheblich zurück. Nicht viel besser erging es der kulturrevolutionären Linken, die von ihren führenden Köpfen lediglich Chang Ch'un-ch’iao als stellvertretenden Ministerpräsidenten plazieren konnte.

Versucht man ein Resümee, so kann man sagen, daß spätestens seit dem 10. Parteikongreß das Machtgleichgewicht zwischen Partei und Armee sowie zwischen kulturrevolutionärer „Linken" und „Parteirechten" wiederhergestellt war und sich von nun an zunehmend zugunsten von Partei und der gemäßigten Gruppe um Chou En-lai zu verschieben begann. Es kam nun entscheidend darauf an, welche der beiden Seiten die Unterstützung der noch unentschiedenen oder vorsichtig abwartenden Parteiführer gewinnen konnte — ganz abgesehen vom Votum Maos, der sich bislang noch zurückgehalten hatte 2. Gegenoffensiven der Linken Schon vor dem 10. Parteikongreß hatten allerdings die Gegenoffensiven der Linken eingesetzt, die sich erbittert gegen . die Erosion ihrer Macht und zunehmende Abweichungen von der kulturrevolutionären Linie zur Wehr setzten Dabei konnte es kaum überraschen, daß sich ihre Angriffe auf Chou Enlai konzentrierten. Angesichts des ungenügenden Machtpotentials, über das sie verfügten, sowie mit Rücksicht auf das große Ansehen, dessen sich Chou bei großen Teilen der chinesischen Bevölkerung erfreute, und der Macht der mit ihm verbundenen Gruppen, konnten diese Angriffe allerdings nicht offen, sondern mußten verdeckt geführt werden. Da der Schwerpunkt ihrer Macht aber vor allem im Bereich der Propaganda-und Publikationsorgane lag, bot es sich fast von selbst an, sich als Waffen der Massenmedien und über sie vorgetragener Kampagnen zu bedienen. Auf diese Weise konnte sie hoffen, die Bevölkerung gegen vermeintliche oder tatsächliche Abweichungen —-und Abweichler — von der richtigen politischen Linie zu mobilisieren und sie gleichzeitig mit ihren eigenen ideologischen Vorstellungen zu indoktrinieren.

Diese Kampagnen setzten im Herbst 1973 ein und wurden von nun an in ununterbrochener Reihenfolge mit zeitlichen Überlappungen und Überlagerungen bis zur Entmachtung der „Viererbande" im Oktober 1976 fortgesetzt. Es begann mit der Anti-Konfuzius-Kampagne im Herbst 1973, die sich bis Ende des Jahres in eine Kampagne zur „Kritik an Lin Piao und Konfuzius" steigerte; im Februar 1975 folgte dann die „Bewegung zum Studium der Theorie über die Diktatur des Proletariats", im Herbst desselben Jahres die Kampagne zur „Kritik am Roman Shui-hu-chuan", die nach heftigen Diskussionen über die Organisation des Erziehungswesens zu Beginn des Jahres 1976 in die Kritik an der „Theorie vom Primat der Produktivkräfte und dem Erlöschen des Klassenkampfes" einmündete. Letztere war nun schon deutlich gegen die neue, in drei Studien niedergelegte Wirtschaftsund Bildungspolitik Teng Hsiao-p’ings gerichtet, der nach der Erkrankung Chous die Regierungsgeschäfte führte und sich so als wahrscheinlicher Nachfolger zu profilieren begann. So verschieden auch die Themen der einzelnen Kampagnen waren und so verhüllt die Ziele, gegen die sie sich richteten, letzten Endes ging es immer um dasselbe: um die Verteidigung der kulturrevolutionären Errungenschaften und die politische Vernichtung all derer, die dabei im Wege standen. So waren Macht-und Linienkämpfe unlösbar miteinander verbunden. Ein wichtiger Durchbruch schien den Linken im Frühjahr 1976 gelungen zu sein. Hatte bis zum Jahresbeginn Chou En-lai dank seines taktischen Geschicks, nicht zuletzt aber auch aufgrund des Vertrauens, das Mao ihm entgegenbrachte, die Attacken immer wieder abzublocken vermocht, so wurde durch seinen Tod im Januar die Front der Gemäßigten erheblich geschwächt. Hinzu kam, daß nun auch Mao — wahrscheinlich beunruhigt über die zunehmende Erstarkung der „Gemäßigten" und den von ihnen eingeschlagenen pragmatischen Kurs — sein Gewicht zunehmend für die Linke in die Waagschale zu werfen begann. So gelang es den Gemäßigten zwar noch, die Ernennung Chang Ch’unch'iaos zum Nachfolger Chous zu verhindern, ihr Einfluß reichte jedoch nicht mehr aus, um den erneuten Sturz Tengs aufzuhalten, auf den sich seit dem Herbst 1975 die Angriffe der darin auch von Mao unterstützten Linken richteten: Nach vorangegangenen Demonstrationen am 4. /5. April zum Gedenken an Chou En-lai und gegen Chiang Ch’ing, Mao und die kulturrevolutionäre Linke wurde Teng am 7. April vom Politbüro aus allen Partei-und Staatsämtern entlassen und die gegen seine Politik und seine Anhänger gerichtete Kampagne verstärkt fortgesetzt Zum Mini-sterpräsidenten und Ersten Stellvertretenden Vorsitzenden ernannte das dafür gar nicht zuständige Politbüro des ZK auf Grund eines Vorschlags von Mao Hua Kuo-feng — ein Außenseiter, der erst im August 1973 Politbüro-Mitglied geworden, auf dem 4. NVK im Januar 1975 zu einem der zwölf Stellvertretenden Ministerpräsidenten und Minister für öffentliche Sicherheit aufgestiegen und im Februar 1976 zur großen Überraschung sogar zum amtierenden Premier und damit zum Nachfolger Chou En-lais avanciert war. Der sich zu jener Zeit anscheinend schon rapide verschlechternde Gesundheitszustand Maos zwang die Linken zur Eile, zumal es ihnen bisher trotz aller Bemühungen weder im Zentrum noch in den Provinzen gelungen war, die Anhänger Tengs und die rehabilitierten Kader, in denen sie ihre erbittertsten Feinde sahen, aus ihren Ämtern zu drängen und durch Männer ihres Vertrauens zu ersetzen. Angesichts schwerer Naturkatastrophen, die die Ernte gefährdeten, Hunderttausende von Toten kosteten und schwere Verwüstungen anrichteten, hatte man jedoch in den Provinzen Besseres zu tun, als den „Klassenkampf zu vertiefen", Anti-Teng-Kampagnen zu betreiben und Kader aus ihren Ämtern zu entfernen, deren Erfahrung man gerade zu jener Zeit dringend benötigte. Als Mao am 9. September starb, hatten die Linken durch ihre permanenten Kampagnen zwar die Produktion gestört es war ihnen jedoch nicht gelungen, ihre Ausgangsstellung für den Kampf um die Nachfolge zu verbessern. Zudem hatten sie mit dem Parteivorsitzenden nun ihre stärkste Stütze verloren. 3. Der Kampf um die Nachfolge und die endgültige Entmachung der Linken Die zentrale Frage, die sich mit dem Tode Maos stellte, war die seiner Nachfolge als Parteivorsitzender. Welche Bedeutung man dieser Entscheidung beimaß, spiegelt allein die Eile, mit der sie angegangen wurde.

Statt die Zeit der offiziellen Staatstrauer abzuwarten und die Wahl dem dafür zuständigen Zentralkomitee zu überlassen, fiel die Entscheidung schon Anfang Oktober im Politbüro. Welche Seite auch immer diese schnelle Lösung angestrebt hatte und wie der Verlauf der Ereignisse gewesen war: daß der Sieger Hua Kuo-feng, auch wenn er lange Zeit als ein Anhänger der Linken galt und sicherlich nicht gegen deren Willen aufgestiegen war, nun nicht mehr als ihr Kandidat aufgetreten war, sondern inzwischen die Seiten gewechselt hatte, war schon bald nach dem Tod Maos deutlich geworden. Denn während die Linken in der Presse plötzlich neue Weisungen des verstorbenen Vorsitzenden präsentierten, denen zufolge dieser seine Frau Chiang Ch'ing als Nachfolgerin empfohlen und dazu aufgefordert hatte, „nach den festgesetzten Richtlinien (zu) handeln" womit — so ihre Interpretation — die Fortsetzung des Kampfes gegen die „Machthaber auf dem kapitalistischen Weg" gemeint war, hatte Hua nur wenige Tage später, auf der Trauerfeier am 18. September, Flagge gezeigt. Ohne in seiner Rede jenen angeblichen letzten Willen Maos auch nur zu erwähnen, bezog er sich auf eine andere Weisung des Vorsitzenden, die unmißverständlich seine Gegenposition markierte: „Den Marxismus und nicht den Revisionismus praktizieren-, sich zusammenschließen und nicht Spaltertätigkeit betreiben; offen und ehrlich sein und sich nicht mit Verschwörungen und Ränken befassen."

Während der Kampf der Zitate und Weisungen in den Massenmedien eskalierte und die Linke sich verzweifelt darum bemühte, nicht nur Massen und Miliz zu mobilisieren, sondern auch einen militärischen Handstreich zu inszenieren, handelten ihre Gegner rasch. Der Einfluß der Linken reichte zwar noch aus, am 7. Oktober in den beiden einflußreichen Zeitungen Jen-inin jih-pao und Kuang-min jihpao Artikel mit scharfen Angriffen gegen Teng Hsiao-p'ing und „seinesgleichen" zu lancieren, sie konnten jedoch schon nicht mehr verhindern, daß am selben Tag das Politbüro Hua Kuo-feng zum Parteivorsitzenden und zum Vorsitzenden der Militärkommission des ZK wählte. Denn schon am Tage zuvor waren Chiang Ch'ing, Wang Hung-wen, Yao Wen-yüan und Chang Ch’un-ch'iao sowie eine Reihe ihrer Anhänger von der „Truppe 8341“ unter dem Kommando von Wang Tunghsing, Direktor des Allgemeinen Büros des ZK und ehemaliger Leibwächter Maos, festgenommen worden. Damit war die Entscheidung gefallen, das Interregnum beendet und die nachmaoistische Ära angebrochen.

Wenn Hua Kuo-feng in seinem „Politischen Bericht" vor dem 11. Parteikongreß im Rückblick auf die Auseinandersetzungen feierlich erklärte, „mit der Zerschlagung der . Viererbande'als Markstein (habe) die Kulturrevolution ... ihr siegreiches Ende gefunden" so war dies blanker Zynismus. Denn Tatsache war, daß sich nach der Inhaftierung der vier Politbüro-Mitglieder keiner der prominenten Protagonisten der Kulturrevolution mehr an der Macht befand: sie waren entweder tot, wie Lin Piao, in der politischen Versenkung, wie Ch'en Po-ta, oder im Gefängnis, wie nun die Shanghai-Gruppe. Und nicht nur das: Alle waren zudem zu Feinden und Saboteuren der Kulturrevolution erklärt worden. Dagegen befanden sich viele von denen, gegen die die Kulturrevolution ursprünglich initiiert worden war, wieder in Amt und Würden oder bereiteten sich — wie Teng Hsiao-p'ing — auf ein erneutes politisches come-back vor.

4. Die Konsolidierung des neuen Regimes Die Lautstärke und Radikalität der linken Attacken hatte viele Beobachter getäuscht, indem sie ihnen eine Stärke vorspiegelte, über die die Shanghai-Gruppe gar nicht verfügte. Denn weder vermochten die Kampagnen in den Medien ihnen die Machtpositionen freizumachen, die sie dringend benötigten, noch die Massenorganisationen Schutz zu bieten vor einem entschlossenen und organisierten Gegner. Hinzu kam, daß der Enthusiasmus für die Fortführung des Klassenkampfes bei großen Teilen der Bevölkerung inzwischen erheblich abgeebbt war und die Linke, wie die spontane Begeisterung über ihren Sturz zeigte, keineswegs über die Sympathien verfügte, die sie vielleicht erwartet hatte. Abgesehen davon, daß ihre radikale Position in Wirtschaftsfragen, vor allem ihre Opposition gegen private Landparzellen, Viehzucht und Nebenerwerbs-tätigkeiten, ihnen kaum große Sympathien bei den „Massen" eingebracht hat, dürften diese auch bald durchschaut haben, daß es dieser Gruppe von Intellektuellen allem radikal-revolutionären Gerede zum Trotz gar nicht so sehr um die Belange der Bevölkerung als um die Verteidigung der Machtpositionen ging, in die sie während der Kulturrevolution aufgestiegen waren.

Daß ihre Gegner nicht willens waren, sich auf lange ideologische Geplänkel einzulassen, sondern entschlossen, sich auf die organisierten Machtmittel zu stützen und einem möglichen Putsch von „unten“ durch einen Putsch von „oben“ zuvorzukommen, wurde in dem Bestreben Huas deutlich, sich die Unterstützung der Generäle zu sichern. Dies fiel ihm um so leichter, als diese in ihrer Mehrzahl den Linken seit der Kulturrevolution ohnehin kritisch bis ablehnend gegenüberstanden. Abgesehen davon, daß sie für deren rebellische Disziplinlosigkeit nur wenig Verständnis aufbrachten, waren sie zunehmend von den Versuchen der Shanghai-Gruppe irritiert, die Mi-liz zu einer von der Volksbefreiungsarmee unabhängigen militärischen Kraft auszubauen. Hinzu kam — und das war wohl die Überlegung, die den Ausschlag gab —, daß die dringend erforderliche Ausrüstung der Volksbefreiungsarmee mit modernen Waffen ohne den Ausbau und die beschleunigte Modernisierung der chinesischen Wirtschaft nicht möglich war. Ein solcher Ausbau war aber nicht von den an revolutionären Experimenten interessierten Linken zu erwarten, sondern nur von dem ohnehin dazu entschlossenen gemäßigten Parteiflügel. So wurde die Armee nach dem Tode Maos zum ausschlaggebenden Faktor bei der Entmachtung der Linken und bestätigte damit erneut jene berühmte These Maos, auf die Hua Kuo-feng in seiner Trauerrede noch einmal bedeutungsvoll angespielt hatte: daß die politische Macht aus den Läufen der Gewehre kommt

Daß die Hilfe der Militärs ihren Preis hatte, war Hua gewiß bewußt. Hätte er es nach seiner Wahl zum Parteivorsitzenden vergessen, so wäre er durch die kommenden Ereignisse bald schnell wieder daran erinnert worden. Denn ohne die Unterstützung der Volksbefreiungsarmee wäre es ihm und der Partei schwer gefallen, den in einigen Provinzen (Yünnan, Fukien, Liaoning) von Anhängern der „Viererbande" mit Hilfe der Miliz insze-nierten Widerstand so schnell niederzuschlagen, wie es offenbar geschah. Auch in Shanghai, der Hochburg der Linksfraktion, übernahm mit Su Chen-hua, Stellvertretender Kommandeur der Marine, als Erster Parteisekretär ein Mann die Macht, der lange Zeit von den Linken umworben worden war, sich schließlich aber doch auf die Seite der Gemäßigten geschlagen hatte. Zudem mußte die Armee die Leitung und Sicherung mehrerer Eisenbahnknotenpunkte übernehmen. Diese Aufgabe war insofern wichtig, als Chiang Ch’ing versucht hatte, Einfluß auf die Eisenbahnverwaltungen zu gewinnen; so zählte etwa zu ihren wenigen personellen Erfolgen der Sturz des Eisenbahnministers Wan Li, der allerdings bald nach ihrer Entmachtung wieder rehabilitiert wurde.

Die unruhige Lage in den Provinzen brachte es mit sich, daß — wie in der Zentrale — auch hier die Militärs wieder verstärkt an die Hebel der politischen Macht zurückkehrten. Die Aufwertung des Militärs im Politbüro der Partei war allerdings nicht nur eine Folge der Krisensituation. Sie ergab sich zudem daraus, daß von den 25 vom 10. Parteikongreß 1973 gewählten Vollmitgliedern und Kandidaten inzwischen neun durch Tod oder Verhaftung ausgeschieden waren — mit einer Ausnahme alles Zivilisten. Damit war die Situation entstanden, daß von den 16 verbleibenden Mitgliedern genau die Hälfte Militärs waren, darunter die Befehlshaber der drei wichtigen Militärbereiche Peking (Ch'en Hsi-lien), Shenyang (Li Te-sheng) und Kanton (Hsü Shih-yu). Daß diese drei wiederum Angehörige der 129. Division der Jahre 1937— 1945 bzw.der 2. Feldarmee zwischen 1945— 1954 sind und daß auch ihr damaliger Kommandeur Liu Po-cheng seit 1956 Politbüro-Mitglied ist, war sicherlich ebensowenig ein Zufall wie die Tatsache, daß Ende Juli 1977 diese Gruppe durch einen weiteren alten Kameraden verstärkt wurde: durch Teng Hsiao-p'ing, ehemaliger politischer Kommissar der 129. Division, dessen Rehabilitierung auf der 3. Plenarsitzung des 10. Zentralkomitees (16. — 21. Juli 1977) am 23. Juli von Wu Te, Pekinger Bürgermeister und Politbüromitglied, öffentlich bekanntgegeben wurde. Damit hat sich nach der 4. Feldarmee, deren Angehörige mit Lin Piao in zahlreiche Machtpositionen eingerückt waren, nun die ehemalige 2. Feldarmee in den politischen Vordergrund geschoben Trotz ihrer personell starken Vertretung im Politbüro war es aber dennoch der alte Marschall Yeh Chien-ying — ein langjähriger Freund Chou • En-lais, der nach dem Sturz von Lin Piao die einflußreiche Militärkommission des ZK leitete und 1975 zum Verteidigungsminister berufen worden war —, der in der Öffentlichkeit die Armee repräsentierte und zusammen mit Hua Kuo-feng sowie Li Hsien-nien, dem dienstältesten stellvertretenden Ministerpräsidenten, die Führungsspitze bildet.

Zu einer Formalisierung der neuen Führungskoalition kam es indes erst auf dem vorzeitig einberufenen 11. Parteikongreß, der vom 12. bis 18. August 1977 in Peking tagte und ein neues Zentralkomitee wählte, das mit seinen 201 Vollmitgliedern und 132 Kandidaten zahlenmäßig größer als das vorangehende ist. Von ihm wurden am 19. August auf der ersten Plenarsitzung die zentralen Organe gewählt. Neben Yeh Chien-ying und Li Hsien-nien wurden Teng Hsiao-p'ing und Wang Tung-hsing zu Stellvertretenden Vorsitzenden des in seinem Amt bestätigten Parteivorsitzenden Hua Kuo-feng gewählt; diese fünf sind es auch, die den Ständigen Ausschuß des Politbüros des ZK bilden. Damit setzt sich die neue Parteispitze vornehmlich aus Parteiveteranen und Militärs zusammen, wobei die ersteren — Teng und Li — ebenfalls eine militärische Vergangenheit sowie starke Verbindungen zur Volksbefreiungsarmee haben. Darüber hinaus spiegelt die Zusammensetzung der Spitze recht deutlich die Koalition, auf die sich die neue Führung stützt: Während die Parteiveteranen Teng und Li die Partei bzw.den Staatsapparat und Yeh Chienying die Volksbefreiungsarmee im Politbüro repräsentieren, dürfte Wang Tung-hsing, der wie Hua aus dem Sicherheitsapparat stammt, für seine Rolle bei der Entmachtung der Shanghai-Gruppe honoriert worden sein.

Ein im wesentlichen ähnliches Bild bietet auch das aus 23 Mitgliedern und drei Kandi-daten bestehende neue Politbüro. So überwiegen auch hier Parteiveteranen und Militärs. Zwar scheinen die letzteren mit 13 Generälen prima vista die Hälfte aller Politbüro-Mitglieder zu stellen. Doch täuscht dieser erste Eindruck, da nur ein Teil von ihnen noch aktiv ist — unter ihnen allerdings die Kommandeure der Militärregionen Peking, Kanton und Shenyang. Vertreten sind nach der Aufnahme von Chang T'ing-fa und Su Chen-hua nun auch alle drei Waffengattungen; ebenfalls sitzen inzwischen alle Stellvertretenden Vorsitzenden der Militärkommission der Partei im neuen Gremium.

Die Tatsache, daß die Gruppe der zivilen Kader durch einige Mitglieder aus den Bereichen Wirtschaft und Wissenschaft verstärkt wurde — zu nennen sind hier besonders Yu Ch'iu-li, Stellvertretender Premier und Chef der staatlichen Planungskommission, sowie Fang Yi, Stellvertretender Vorsitzender der Akademie der Wissenschaften —, deutet unmißverständlich auf die Schwerpunkte des zukünftigen Kurses. Ausbalanciert ist auch das Verhältnis zwischen den Vertretern der Zentrale und der Provinzen. Denn rechnet man die schon oben aufgeführten Kommandeure der drei Militärregionen dazu, so haben insgesamt neun Mitglieder des Politbüros hohe Positionen in den Provinzen inne. Im ganzen gesehen besteht somit im neuen Politbüro eine recht gute Ausgewogenheit zwischen den Vertretern von Partei und Regierung, Militärs und Zivilisten, Zentrum und Provinzen. Gänzlich ausgeschaltet dagegen ist im Politbüro und im Zentralkomitee die Anhängerschaft von Chiang Ch’ing und der Shanghai-Gruppe, deren Anteil man nun nach den Säuberungen etwa als ca. ein Drittel des 10. Zentralkomitees bestimmen kann. Die Tatsache, daß sich unter ihnen nur eine kleine Zahl einflußreicher Kader befand und sich die Mehrzahl aus Kadern des dritten Glieds und Mitgliedern von Massenorganisationen rekrutierte, bestätigt die schon oben geäußerte These, daß der Sturz der Shanghai-Gruppe nach dem Fortfall ihrer Unterstützung durch Mao nur noch eine Frage der Zeit war. Es waren neben den Massenorganisationen — der kommunistischen Jugendliga, den Frauen-Ver-bänden und Gewerkschaften — vor allem die jüngere Generation und die Frauen, die an Einfluß und Repräsentation verloren; so sind z. B. die Frauen im neuen Zentralkomitee nur noch mit 14 Vollmitgliedern und 24 Kandidaten vertreten

Die Schnelligkeit, die bei der Einberufung des Parteikongresses an den Tag gelegt wurde — wie auch schon in den Monaten zuvor bei der Neubesetzung der zahlreichen, durch die Säuberungen freigewordenen Positionen in den Provinzen —, deutet auf einen breiten Konsens innerhalb der neuen Parteiführung hin.

Der personellen Kontinuität, die in der neuen Führungsspitze sichtbar wird, korrespondiert das Bestreben nach ideologischer und politischer Kontinuität, und das heißt im Falle China, die bewußte und betonte Anknüpfung an die politische Linie Mao Tse-tungs, dessen „großes Banner" hochzuhalten Hua auf dem 11. Parteikongreß zur „großen historischen Mission" erklärte. Daß jede der beiden Seiten versuchen würde, ihre Herrschaftsansprüche mit Hilfe Maos zu legitimieren, war zu erwarten und wurde schon bald nach dessen Tod bestätigt. Denn ebenso wie zuerst Chiang Ch'ing präsentierte sich auch Hua Kuo-feng bald als der von Mao persönlich eingesetzte Nachfolger. So soll, wie Wu Te am 24. Oktober auf einer Massenveranstaltung enthüllte, der alte Vorsitzende ein halbes Jahr vor seinem Tod während einer Unterredung Hua schriftlich versichert haben: „Hast Du die Sa-che in der Hand, ist mir leicht ums Herz". Welche Bewandtnis es auch immer mit dieser Weisung haben mag und mit dem Anspruch, ihr eine translatio imperii für Hua zu entnehmen, der Vorgang beweist, daß Mao auch nach seinem Tode noch immer die Rolle zugewiesen wird, die er schon zu seinen Lebzeiten spielte: die des großen Legitimators. So war es auch kaum ein Zufall, daß sich der neue Parteivorsitzende nicht nur gleich generell vom Politbüro damit beauftragten ließ, die Arbeit an der Herausgabe der Ausgewählten Werke sowie des Gesamtwerks Maos zu überwachen, sondern daß noch im selben Jahr, zum Geburtstag Maos am 26. Dezember 1976, die erste offizielle Veröffentlichung seiner wichtigen Rede „Uber die Zehn Großen Beziehungen" erschien, mit der Mao am 25. April 1956 erste Hinweise der Abwendung vom sowjetischen und der Hinwendung zu einem eigenständigen chinesischen Entwicklungskonzept gegeben hatte Ihr folgte nur wenige Monate später, am 15. April 1977, die Publikation des 5. Bandes der Ausgewählten Werke Maos, dessen baldiges Erscheinen schon im Beschluß des Politbüros am 8. Oktober 1976 angekündigt worden war. Abgesehen davon, daß sich Hua durch die Edition des maoistischen Oeuvres nun als ein getreuer Erbe präsentieren kann, ermöglicht es ihm die Leitung der Edition auch, zur Legitimation seiner eigenen Politik, wann immer es ihm notwendig erscheint, auf den Nachlaß Maos zurückzugreifen — eine Tendenz, die sich schon recht deutlich in der Auswahl der siebzig in den 5. Band aufgenommenen Texte bemerkbar macht. So präsentiert dieser jüngste Band den verstorbenen Vorsitzenden als einen Mann, der vor allem für wirtschaftlichen Aufbau und Produktionssteigerung, für Industrialisierung und Modernisierung eintrat, dagegen vor Linksradikalismus und Sektierertum warnte

Am deutlichsten zeigte sich das Bestreben nach Legitimation und Kontinuität durch den großen Vorgänger bei der Behandlung der Auseinandersetzung mit der Shanghai-Gruppe. Beides erreichte Hua in seinem „Politischen Bericht" auf dem 11. Parteikongreß: die Legitimation, indem er lange Passagen der Darstellung widmete, wie deren Entlarvung schon von Mao selbst eingeleitet wurde, wodurch er den verstorbenen Vorsitzenden nicht nur vor dem Vorwurf schützte, nach dem Verrat Lin Piaos nun auch nicht die Ränke der „Viererbande" durchschaut zu ha-ben, sondern sich für die Ausschaltung der ideologischen Freunde und engsten Mitarbeiter Maos auch noch nachträglich dessen Se-gen einholte; die Kontinuität, indem er die'Entmachtung der „Viererbande" zum „ 11. Kampf zweier Linien in unserer Partei" er-klärte und so an die vorherigen Kämpfe unmittelbar anknüpfte.

Mit all diesen Maßnahmen dürfte es der neuen chinesischen Führung gelungen sein, sich — unbeschadet aller latenten Konflikte innerhalb der neuen Koalition — eine solide Basis für die Verwirklichung ihrer eigenen politischen Vorstellungen geschaffen haben.

Zur innenpolitischen Neuorientierung

Damit stellt sich die Frage nach der Beschaffenheit dieser Vorstellungen. Wie sehen sie aus und inwieweit befinden sie sich in Übereinstimmung mit denen des verstorbenen Parteivorsitzenden, insbesondere mit seiner Theorie von der Weiterführung der Revolution unter der Diktatur des Proletariats, die Hua Kuofeng auf dem 11. Parteikongreß als den „größten Beitrag" Maos zum Marxismus in der Periode des Sozialismus bezeichnete?

Obwohl dies zweifellos die interessantesten Fragen sind, die an die Entwicklung der chinesischen Politik nach dem Tode Maos herangetragen werden können, können sie bislang doch nur unvollständig und vorläufig beantwortet werden. Dies hat verschiedene Gründe, auf die kurz einzugehen ist:

1. Eine der Hauptursachen dafür ist wohl die Tatsache, daß der Schwerpunkt der Entwicklung nach dem Tode Maos in den Machtkämpfen lag, die mit dem Sturz der Shanghai-Gruppe ihren Höhepunkt und mit den seitdem andauernden Säuberungen ihrer Anhänger ihre Fortsetzung fanden.

2. Ein weiterer Grund ist, daß sich die neue Führungsgruppe zwar in ihrer Opposition gegen Chiang Ch'ing und ihre Anhänger weitgehend einig war, daß jedoch die Motive, die sie zueinander brachte, erheblich voneinander differierten und nur sehr bedingt auf gemeinsamen gesellschaftspolitischen Vorstellungen basierten. Es dauerte daher eine Zeitlang, bis eine gemeinsame politische Plattform gefunden war. Diese liegt zwar inzwischen programmatisch vor, doch beginnt sich die aus ihr sich ergebende Politik in der Praxis erst sehr langsam zu entfalten.

3. Da sich diese neue Politik allem Anschein nach erheblich von der Linie entfernt, die mit dem Namen Maos verknüpft ist, und sich in bedenkliche Nähe zu Vorstellungen bewegt, die einst von Liu Shao-ch'i und Teng Hsiao-p’ing vorgetragen wurden, kann diese Abwendung nur sehr langsam und hinter einem Vorhang von Mao-Zitaten erfolgen, der ihre genaue Bestimmung wiederum erheblich kompliziert.

Dies ist jedoch nur der eine Grund, der eine Antwort auf die Frage nach der Übereinstimmung der Politik des letzten Jahres mit den Vorstellungen Maos erschwert. Ein anderer besteht darin, daß die politische Linie Maos nie ganz eindeutig war, sondern sich flexibel den äußeren Bedingungen anpaßte. Zwar tendierte Mao mehr einer . linken'Position zu, die schlagwortartig mit den Begriffen . Klassenkampf', . Politik an erster Stelle", . Revolution", . Mobilisierung'umrissen werden kann. Dennoch stand er der wiederum eher von Chou En-lai vertretenen . rechten'Position, die den Akzent mehr auf . Stabilität und Einheit", . Modernisierung", . Primat der Produktionskräfte', . Produktion'setzte, nicht konsequent ablehnend gegenüber, sondern war unter dem Druck der Verhältnisse durchaus zu temporären Zugeständnissen bereit, sofern der mögliche Kompromiß die eigene Position adäquat mitberücksichtigte und deren Zukunftschancen nicht verstellte. Kurzum, auch Mao konzedierte eine Pause der Revolution, sofern ihre Permanenz dadurch nicht gefährdet wurde.

Eine solche Bereitschaft zeichnete sich etwa nach 1969 ab, als Mao die Bemühungen Chous um eine allgemeine Stabilisierung zu unterstützen oder doch zumindest hinzunehmen schien. Trotz dieses Kompromisses, der von einer Reihe von Faktoren getragen wurde, nicht zuletzt von dem Vertrauensverhältnis, das zwischen Mao und Chou bestand, ging der Kampf der beiden „Linien" weiter — in verschiedenen Formen und mit wechselnden Fronten.

Um einen Bezugsrahmen für die Beurteilung der Entwicklung nach Mao zu gewinnen, empfiehlt es sich, die kontroversen Positionen, die sich in den verschiedenen Bereichen gegenüberstanden, etwas zu konkretisieren und — idealtypisch verkürzt — auf ihre wesentlichen Merkmale zu konzentrieren:

1. Bereich Erziehung: Während die Rechten für ein straff organisiertes, leistungsund fachbezogenes Unterrichtssystem eintraten, plädierten die Linken für eine stark von poli-tisch-ideologischer Schulung, körperlicher Arbeit und paramilitärischer Ausbildung begleitete Fachausbildung, für einen Abbau von Prüfungen, um auf diese Weise den Anteil von Bauern-und Arbeiterkindern zu steigern, sowie für den Abbau der Autorität der Lehrer zugunsten größerer Mitbestimmung der Schüler und Studenten.

2. Bereich Wissenschaft und Technik: Einer , rechten'Förderung der Grundlagenforschung und der Ausbildung hochqualifizierter Wissenschaftler mit Anschluß an den Stand der internationalen Forschung sowie des Erwerbs modernster Technologie stand eine relative Vernachlässigung dieses Sektors durch die Linken gegenüber, die statt dessen für eine breite Mobilisierung der Massen durch umfassende Revolutionierung der Produktionsverhältnisse und den Ausbau einer eigenen, auf die chinesischen Verhältnisse abgestimmten Technologie eintraten.

3. Lohn-Bereich: Hier traten die Rechten für die Beibehaltung materieller Anreize und eines gestaffelten Lohnsystems ein, das sich an Ausbildung, Dienstalter und Arbeitsleistung orientierte, während die Linke Prämien und materielle Anreize als . Ökonomismus'verurteilte, bei der Entlohnung auf die Berücksichtigung politischer Kriterien drängte und generell eine allmähliche Angleichung der Löhne forderte.

4. Bereich Landwirtschaft: Während die Rechten private Initiativen ermutigten und sich für die Beibehaltung privater Landparzellen, Tierhaltung und Nebenerwerbstätigkeiten einsetzten sowie für die „Besitzverteilung auf drei Ebenen mit der Produktionsgruppe als Basis", forderten die Linken einen verstärkten Abbau der privaten Produktions-und Nebenerwerbstätigkeiten, vor allem aber eine beschleunigte Verlagerung von Funktionen und Rechten von den Produktionsgruppen auf Produktionsbrigaden und Kommunen.

5. Bereich Management: Dem Eintreten der alten Kader für eine hierarchisierte und zentralisierte Befehlsstruktur, für eine Aufwertung des Fachwissens und für die Erweiterung der Rechte die Managements bei Industrie-und Handelsbetrieben entsprach auf Seiten der Linken ein Plädoyer für Massenmanagement, für Dezentralisation und Zirkulation der Führung.

6. Bereich Außenhandel: Bei aller Vorsicht vor der Schaffung neuer Abhängigkeiten wurde ein partieller Außenhandel von den Rechten als Ergänzung der eigenen Wirtschaft und zur Beschleunigung der eigenen Entwicklung akzeptiert. Dabei wurden die durch, den Export von Rohstoffen erwirtschafteten Devisen vornehmlich für Getreidekäufe und fortgeschrittene ausländische Technologie aufgewendet. Unter dem Motto „Vertrauen in die eigene Kraft" setzten sich die Linken dagegen für eine Drosselung des Außenhandels ein, attackierten die Verwendung ausländischer Technologie als „sklavische Kompradorenphilosophie" und denunzierten die Zahlung mit Rohstoffen als „nationalen Verrat".

Seine deutlichste Formulierung fand der neue wachstumsorientierte Kurs, der seit dem 10. Parteikongreß einen immer erbitterteren Widerstand der Shanghai-Gruppe provozierte, in dem Bericht, den Chou En-lai am 13. Januar 1975 auf dem 4. Nationalen Volkskongreß über die Arbeit der Regierung gab. Dabei war es kaum ein Zufall, sondern eher ein Zeichen der Mißbilligung, daß Mao an diesem schon lange überfälligen Volkskongreß, auf dem auch die neue Verfassung angenommen wurde, weder teilnahm noch ihn eines Grußwortes würdigte.

In seiner Rede gab der damals schon schwer-kranke Ministerpräsident — unter Berufung auf Mao — folgenden Ausblick auf die nächsten großen Ziele der chinesischen Politik: „In Befolgung der Weisung des Vorsitzenden Mao wurde im Bericht über die Tätigkeit der Regierung an dem III. Nationalen Volkskongreß erwähnt, daß die Volkswirtschaft unseres Landes vom 3. Planjahrfünft an nach einer Konzeption von zwei Schritten entwickelt werden kann: beim ersten Schritt, im Verlauf von 15 Jahren, nämlich bis 1980, ein unabhängiges, relativ vollständiges System der Industrie und der Volkswirtschaft insgesamt aufzubauen; beim zweiten Schritt, noch in diesem Jahrhundert, allseitig die Landwirtschaft, die Industrie, die Landesverteidigung, Wissenschaft und Technik zu modernisieren, damit die Volkswirtschaft unseres Landes in der vordersten Reihe der Welt stehen kann. — Wir werden 1975 den 4. Fünfjahrplan erfüllen und übererfüllen. So schaffen wir eine noch festere Grundlage dafür, bis zum Jahre 1980 den ersten Schritt der oben-genannten Konzeption zu verwirklichen. Der Lage im Inland wie in der Welt nach zu schließen, wird das nächste Jahrzehnt entscheidend sein für die Verwirklichung der beiden Schritte. Innerhalb dieses Zeitraums werden wir nicht nur ein unabhängiges, relativ vollständiges System der Industrie und der gesamten Volkswirtschaften, sondern auch dem hohen Ziel zustreben, den zweiten Schritt der Konzeption zu verwirklichen.“

Obwohl Chou En-lai in seiner Rede nicht im einzelnen die Konsequenzen entfaltete, die zur Durchführung dieses überaus ehrgeizigen Programms notwendig sind, deuteten sie sich doch bald in der Innen-und Wirtschaftspolitik der Regierung an: Eine Schul-und Hochschulpolitik, die wieder das Leistungsprinzip in den Vordergrund stellte und die verstärkte Ausbildung qualifizierter Wissenschaftler, Techniker und Facharbeiter betrieb; der Ausbau einer fachlich kompetenten, straff organisierten Partei-und Staatsbürokratie, die in der Lage war, die Modernisierungsprogramme auszuarbeiten und in ihrer Durchführung zu überwachen; die Mobilisierung des Leistungswillens der Bevölkerung, nicht nur durch ein leistungsgerechtes Lohnsystem, sondern auch durch Inaussichtstellung einer Anhebung des seit Anfang der sechziger Jahre stagnierenden Lohnniveaus und des Le-bensstandarts; Erhöhung der Produktivität und Ausweitung der Produktion durch beschleunigte Modernisierung und Mechanisierung; Förderung des Außenhandels, um durch den Import modernster Technologien aus Japan, Westeuropa und den USA so schnell wie möglich die Rückständigkeit der chinesischen Wirtschaft zu überwinden.

Die scharfen Angriffe, die in den vergangenen Monaten auf die entmachtete „Viererbande" erfolgten, bestätigten nicht nur noch einmal ausdrücklich den erbitterten Widerstand Chiang Ch’ings und ihrer Anhänger gegen Chous Politik der „vier Modernisierungen" (ssu-ke hsien-tai-hua), sondern unterstrichen zugleich die Absicht der neuen Führung, die Line Chous mit aller Kraft fortzusetzen. Dies zeigten am deutlichsten die Reden auf der „Zweiten Landeskonferenz zum Lernen von Tachai in der Landwirtschaft" Ende Dezember 1976 sowie auf der Taching-Konferenz, die vom 20. April bis zum 13. Mai 1977 zuerst in Taching und später in Peking stattfand. Während es schwer ist, den von revolutionärer Rhetorik durchsetzten Reden Einzelheiten des neuen Kurses zu entnehmen, zeichnen sich doch zumindest die wichtigsten Tendenzen deutlich ab: Steigerung der Produktion, Ausbau der Grundindustrien, Entwicklung von Wissenschaft und Technik, Verbesserung des Managements.

Die Grundrichtung — Entwicklung der Produktivkräfte — wies Flua Kuo-feng schon auf der Tachai-Konferenz: „Revolution bedeutet Befreiung der Produktivkräfte. Die große Revolution zur Zerschlagung der . Viererbande'hat ein großes Übel, das die Produktivkräfte zerrüttete und ihr Wachstum behinderte, aus der Welt geschafft... Es ist eine der grundlegenden Aufgaben der Diktatur des Proletariats, tatkräftig die sozialistische Wirtschaft zu entwickeln. Je mehr und je schneller sich die Produktion entwickelt, desto besser, vorausgesetzt, daß an der sozialistischen Orientierung festgehalten und der proletarischen Politik konsequent der Vorrang eingeräumt wird. Dies als . Theorie vom Primat der Produktivkräfte’ zu bezeichnen, ist eine Verdrehung des Marxismus ... Der Vorsitzende Mao hat schon 1957 darauf hingewiesen, daß unsere sozialistische Wirtschaftsordnung und unser sozialistisches politisches System nur durch eine entsprechende Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte eine verhältnismäßig vollständige materielle Grundlage erhalten können.“

Dieses Grundmotiv klang auch am 9. Mai in der Taching-Rede Huas an: „Revolution bedeutet Befreiung der Produktivkräfte. Eine wichtige Aufgabe der Diktatur des Proletariats besteht darin, rasch die Produktivkräfte zu entwickeln, technische Neuerungen einzuführen und die technische Revolution durchzuführen sowie eine viel höhere Produktivität als im Kapitalismus zu schaffen ... Von jetzt an gerechnet haben wir nur noch 23 Jahre bis zum Ende dieses Jahrhunderts. Die rapide Beschleunigung der Entwicklung unserer Volkswirtschaft ist daher eine Aufgabe, die keine Verzögerung duldet."

Im selben Sinne, allerdings schon etwas konkreter, argumentierte der stellvertretende Parteivorsitzende Yeh Chien-ying: . 1964 meinte Vorsitzender Mao, wir hätten zwei Fäuste und einen Hintern. Die eine Faust ist die Landwirtschaft, die andere die Industrie für die Landesverteidigung. Wollten wir mit beiden Fäusten kräftig schlagen, müssen wir uns richtig auf den Hintern setzen. Der Hintern ist die Grundindustrie."

Ihr Aufbau ist für Yeh somit Grundvoraussetzung für beides — für die Mechanisierung der Landwirtschaft ebenso wie für die Moderni-* sierung der Landesverteidigung. An welche Industrien er dabei vor allem dachte, zeigen die folgenden Sätze: „Deshalb müssen wir unseren Volkswirtschaftsplan in der Reihenfolge Landwirtschaft, Leichtindustrie, Schwerindustrie festlegen und die Entwicklung der Industrie, besonders der Eisen-und Stahlindustrie, der Erdölindustrie, des Bergbaus, der Strom-erzeugung, der chemischen Industrie, des Maschinenbaus und anderer Zweige der Grund-industrie, beschleunigen. Nur so können wir den wachsenden Bedarf der Landwirtschaft an Maschinen, Kunstdünger, Brennstoff, Strom und anderen Produkten decken, die Entwicklung der Landwirtschaft energisch vorantreiben und die führende Rolle der Industrie zur Geltung bringen."

Noch drängender hatte allerdings schon am 4. Mai 1977 der stellvertretende Ministerpräsident Yü Chiu-li, zugleich Vorsitzender der staatlichen Planungskommission, den beschleunigten Ausbau der Industrie gefordert und noch präziser als die anderen Redner die Bereiche bestimmt, in denen „im großen Maßstab ein sozialistischer Leistungswettbewerb" entfaltet werden sollte: in der wissenschaftlich-technischen Forschungsarbeit, in der Anwendung neuer Techniken, in der Ausweitung der Mehrzwecknutzung von Naturressourcen, in der Durchführung technischer Neuerungen: „Wir müssen an dem Prinzip, die Industrie mit Stahl als Hauptkettenglied zu entwickeln, festhalten, die geologische Erkundung intensivieren, eine große Bewegung zum Bau von Bergwerken entfalten, die Entwicklung der Eisen-und Stahlindustrie, der Brennstoffindustrie, der Energiewirtschaft und der petrochemischen Industrie beschleunigen und danach streben, mehr landwirtschaftunterstützende Produkte und Leichtindustrieerzeugnisse zu produzieren."

Deutlicher als die anderen Redner wurde Yü auch bei der Anprangerung von Mängeln in den Unternehmen und im Management. So rügte er nicht nur Unternehmen, die dem Staatsplan nicht folgen, sich nicht an Zulie-ferund Absatzverträge halten und eigenmächtig Preise festsetzen, sondern wies auch auf die Inkompetenz im Management hin und forderte, „dem Einsatz des ersten und zweiten Leiters besondere Beachtung" zu schenken. Wenn er damit auch noch nicht einer Rückkehr zum „System der Ein-Mann-Leitung" das Wort redete, so war doch seine Absage an das während der Kulturrevolution propagierte System einer breiten Mitbeteiligung der Arbeiterschaft an der Leitung eindeutig. Einen interessanten Hinweis enthält die Rede Yüs auch in Hinblick auf einige Details der Rahmenplanung. An den Perspektivplan der zwei Schritte von Chou En-lai anknüpfend, erklärte er: „Die Dekade von 1976 bis 1985 ist der entscheidende Zeitabschnitt für die Verwirklichung dieser zwei Schritte. Innerhalb dieses Zeitraums werden wir als erstes ein landesweites, unabhängiges und relativ vollständiges System der Industrie und der gesamten Volkswirtschaft errichten und die technische Umgestaltung der Volkswirtschaft im großen und ganzen vollenden, um dann, auf dieser Grundlage, Schritt für Schritt, in den sechs großen Regionen Nordost-, Nord-, Ost-, Zentralsüd-, Südwest-und Nordwestchina eigene Wirtschaftssysteme mit verschiedenen Niveaus und eigenen Besonderheiten zu errichten, in denen diese Regionen bei gleichzeitiger enger Koordination selbständig handeln und ihre Landwirtschaft, Leichtindustrie und Schwerindustrie relativ harmonisch entwickeln können."

Obwohl bislang keine weiteren Ausführungen über diese sechs Regionen vorliegen, weder über die genauen Grenzen noch über die Absichten, die im einzelnen mit dieser Einteilung Chinas verbunden sind, lassen sich über beides einige Vermutungen anstellen. Die Aufteilung des Landes in sechs Regionen ist an sich nicht neu; sie geht zurück auf die Militärregionen, die während des antijapanischen Krieges sowie später während des Bürgerkriegs bestanden hatten und dann noch bis 1954 beibehalten wurden. Im Jahre 1961 hatte das 8. ZK sechs Regionalbüros der Partei geschaffen, die wieder für diese Regionen zuständig waren, bis auch sie während der Kulturrevolution unter Kritik gerieten. Diese bezog sich vor allem auf die Gefahr, daß die Regionen unter starken Leitern der Zentrale zu mächtig und von ihr unabhängig wurden. Dieser Vorwurf betraf während der Kulturrevolution vor allem Tao Chu und Li Ching-chuang, die Leiter der Büros Zentralsüd und Südwest; vermutlich hatte dieselbe Problematik aber auch schon 1954 bei der Auflösung der Regionen eine Rolle gespielt. Wenn das Konzept trotz dieser schlechten Erfahrungen erneut wiederbelebt wird, so dürften dafür wohl nicht nur die von Yü angedeuteten wirtschaftlichen Erwägungen den Ausschlag gegeben haben, sondern wohl auch die Hoffnung, auf diese Weise den Einfluß der Zentrale wieder stärken zu können

Trotz aller verbalen Bekenntnisse zur Kulturrevolution und zur Politik des • Großen Sprungs" — letztere führte Yeh Chien-ying ausdrücklich als Vorbild auf, und auch Hua nahm in seinem Politischen Bericht auf dem 11. Parteikongreß wieder auf sie Bezug — signalisieren zahlreiche Indizen, daß sich die neue Führung zur Erreichung ihrer Ziele nur bedingt der Methoden bedienen wird, die während der Jahre 1958— 1960 und während der Kulturrevolution entwickelt und propagiert worden waren. Zwar beschwört auch sie noch den «Geist der Selbstlosigkeit", setzt die Landverschickung der Jugendlichen im Anschluß an den Schulabschluß fort und hält auch verbal am Prinzip einer stärkeren Dezentralisation fest. Dennoch kündigt sich in immer neuen Bereichen eine Politik an, die wenig mit dem mobilisatorischen Entwicklungskonzept des „Großen Sprungs" zu tun hat, sondern statt dessen die pragmatische Handschrift Teng Hsiao-p’ings trägt. Besonders deutlich zeichnet sich diese Tendenz im Erziehungswesen, im Bereich Wissenschaft und Technik und auf dem Gebiet des Außenhandels ab.

Im Erziehungsbereich setzte schon zu Beginn dieses Jahres eine massive Kritik an der Forderung Chiang Ch’ings ein, „Revolution ohne Lehrer zu machen" Verbunden mit Angriffen auf Disziplinlosigkeit und den um sich greifenden Anarchismus in den Schulen, verstärkten sich die Bemühungen, die Autorität der Lehrer wieder zu stärken. In dieselbe Richtung, allerdings nicht auf den schulischen Bereich beschränkt, zielte auch die Propagierung von Engels'Schrift „über die Autorität“ aus dem Jahre 1873. Der Wiederherstellung von Leistungsstandarts diente dagegen die spektakuläre Säuberung von Chang Tiehsheng, der im Juli 1973 nationales Aufsehen erregt hatte, als er mit dem Hinweis auf seinen politischen Einsatz und sein Engagement in der Produktion nach einer Prüfung ein weißes, unbeschriebenes Blatt abgegeben hatte und durch diese Kritik an einem angeb-lieh leistungsbezogenen Erziehungssystem zum Star der Linken avanciert war. Dasselbe Ziel verfolgte sicherlich auch die Veröffentlichung von Leserbriefen, in denen auf die Wichtigkeit von Prüfungen und die Vermittlung von Grundwissen hingewiesen wurde. Daß es sich bei diesen Einzelaktionen nicht um unkoordinierte Schritte handelte, sondern daß sie eine Wendung der offiziellen Politik einleiteten, bestätigte eine Meldung der japanischen Nachrichtenagentur Kyodo über eine bevorstehende Neuordnung der Hochschulen. Diese soll nicht nur die Durchführung von Aufnahmeprüfungen an Hochschulen enthalten, sondern auch eine Verlängerung des gei-stesund naturwissenschaftlichen Studiums verfügen. Mindestens ebenso interessant war in diesem Bericht die Meldung, daß die chinesischen Vertreter auf die ernsthafte Behinderung der Modernisierungspolitik hingewiesen hätten, die sich aus der zweijährigen körperlichen Arbeit ergeben würden, die Mittelschulabsolventen im Anschluß an ihren Schulabschluß leisten müßten. Durchaus dieselbe Sorge teilte auch in ihrer August-Ausgabe die Parteizeitung Hung-ch'i; auch sie hatte auf eine He-bung des Ausbildungsniveaus gedrängt, eben-so wie eine Ende August veranstaltete Tagung der Chinesischen Gesellschaft für Wissenschaft und Technik

Ebenso unverkennbar wie die Rückkehr zu einem leistungsbezogeneren Schulsystem, das überhaupt erst die Grundlage für die ange-strebte Modernisierung schaffen kann, ist die verstärkte Förderung von Wissenschaft und Technik. Einer Reihe von wissenschaftlichen Fachtagungen, auf denen die Bedeutung der Wissenschaft für den gesellschaftlichen Fortschritt hervorgehoben und gegen die Vorwürfe und Behinderungen Stellung bezogen wurde, denen sie von den entmachteten Linken ausgesetzt waren, folgten nach Anweisungen Huas im Mai 1977 in zahlreichen Provinzen Massenveranstaltungen, die demselben Ziel gewidmet waren. Den bisherigen Höhepunkt dieser Aktionen bildete schließlich am 18. September ein Rundschreiben des ZK der KPCh, das die Einberufung einer Landeskonferenz für Wissenschaft ankündigte, die im Frühjahr 1978 in Peking zusammentreten soll. Von besonderem Interesse ist dieses Rundschreiben insofern, weil es in groben Umrissen die Position und das Programm der neuen Führung zum Thema Wissenschaft und Technik absteckt. So wird in ihm kategorisch

festgestellt, daß die Modernisierung von Wissenschaft und Technik der „Schlüssel für die vier Modernisierungen" sei, ohne den es we-der zur erforderlichen Erhöhung der Produktivität noch zu einem» großen Sprung nach vorn kommen werde. Ebenso nüchtern werden die Voraussetzungen aufgezählt, die wiederum zur Erreichung dieses Fortschritts in der Wissenschaft benötigt werden: eine Verbesserung des gesamten Schulund Hochschulsystems; die Einstellung aller fähigen Wissenschaftler und Techniker, die nicht in ihren Berufen tätig sind; Schaffung adäquater Arbeitsbedingungen für die Experten; Überprüfung der fachlichen Qualifikation des technischen Personals; die Sicherung, daß „Forscher wöchentlich mindestens fünf Tage auf die fachliche Arbeit verwenden können" Im Klartext heißt das wohl, daß Wissenschaftler wie -der sollen, -unbe die Möglichkeit erhalten lästigt von ideologischen Belehrungen und Belastungen fachlich qualifizierten sowie assistiert Personal wissenschaftliche Forschung zu betreiben. Und noch ein weiterer wichtiger Punkt, der sich vor allem auf die Naturwissenschaften bezieht, verdient Erwähnung: die Aufforderung, vom Ausland zu lernen. Die Aufforderung dazu, die sich allerdings schon in einer Reihe früherer Äußerungen von Spitzenfunktionären findet, ergibt sich folgerichtig aus dem offenen Eingeständnis: „In den Naturwissenschaften sind wir verhältnismäßig zurückgeblieben. Hier müssen wir angestrengt von anderen Ländern lernen. Es ist notwendig, das Sammeln von wissenschaftlichen und technischen Informationen zu verstärken, den internationalen akademischen Austausch zu fördern und notwendige fortgeschrittene Technologien einzuführen. Nur durch Lernen vom Fortgeschrittenen können wir das Fortgeschrittene einholen und überholen."

In dieser Forderung addiert sich zu der Erkenntnis, daß ohne eine Erhöhung der Produktivität durch Modernisierung die chinesische Wirtschaft nicht in der Lage ist, die anstehenden Probleme zu bewältigen, die Einsicht, daß eine solche Produktivitätssteigerung ohne die massive Auswertung ausländischer Forschungsergebnisse und die Übernahme ausländischer Technologie nicht möglich ist Diese Einsicht ist keineswegs neu, sondern war bis Ende der fünfziger Jahre erfolgreich praktiziert worden. Durch den Abzug der sowjetischen Techniker im Sommer 1960 und durch die Kulturrevolution mit ihrer Fremdenfeindlichkeit und dem übertriebenen Hang zur „Selbständigkeit" in den Hintergrund gerängt, setzte die Einfuhr ausländischer Technologie Ende 1972 wieder verstärkt ein. Dennoch setzte sich dieser Trend, der durch die Modernisierungspolitik Chous und Tengs gefördert wurde, nicht ungehindert durch, sondern erfuhr durch Finanzierungsschwierigkeiten, vor allem aber durch den Widerstand der Shanghai-Gruppe, noch erhebliche Stockungen.

Nach der Beseitigung des politischen Wider-stands bleiben nun zum einen noch die langfristigen Folgelasten der kulturrevolutionären Erziehungs-und Bildungspolitik: und d. h. vor Mangel allem ein an qualifizierten technischen Personal und Facharbeitern, die in der Lage sind, die ausländische Technologie auch produktiv einzusetzen und kreativ den besonderen chinesischen Bedingungen anzupassen. Und hier schließt sich wieder der Kreis mit der neuen Bildungspolitik. Zum anderen bestehen noch die Finanzierungsschwierigkeiten. Auch sie könnten freilich bei einer Steigerung der chinesischen Exporte und einer Lockerung der bisherigen restriktiven Kreditpolitik relativ leicht gelöst werden. In beiden Bereichen machen sich auch positive Entwicklungen bemerkbar. So brachte der Außenhandel nach Defiziten in den Vorjahren im Jahre 1976 Peking einen Uberschuß von 1, 1 Mrd. US-Dollar. Seit Beginn des Jahres mehren sich zu dem die Anzeichen dafür, daß Peking vorsichtig von seinen kreditpolitischen Prinzipien abzurücken versucht. So meldete schon im Mai dieses Jahres nach einer China-Reise japanischer Bankiers die Far Eastern Economic Review, daß China nach mehr Krediten Ausschau halte — eine Ansicht, die, nach der Europareise einer Delegation der Bank of China, auch vom China-Experten der Bank of America vertreten wurde Dabei laufen die Spekulationen darauf hinaus, daß Peking auch weiterhin höhere Auslandsverschuldungen vermeiden und statt dessen vorerst weiter den Weg von überziehungskredi-ten bei ausländischen Geschäftsbanken sowie die gegenseitige Deponierung von Drittwährungen wählen wird.

In Finanzierungsschwierigkeiten gerät die neue chinesische Führung freilich nicht nur durch die Ausweitung des Außenhandels, sondern auch — und vielleicht sogar in noch stärkerem Maße — durch die Notwendigkeit von Lohnerhöhungen. Eine solche Notwendigkeit resultiert weniger aus dem Wunsch der neuen Führung, sich bei der Bevölkerung beliebt zu machen, als aus dem Zwang, unter allen Umständen die Arbeitswilligkeit der chinesischen Arbeiter zu erhöhen. Dies ist anscheinend jedoch nicht mehr in der gewohnten Weise allein durch moralische Appelle möglich, sondern nur noch durch materielle Anreize, also vor allem durch eine Erhöhung der seit dem Beginn der sechziger Jahre stagnierenden Löhne. Daß die neue Regierung diesen Weg gehen würde, klang schon im Frühjahr auf der Taching-Konferenz an, als Yu Chiu-li eine Konferenz über Lohnfragen und Arbeitsbedingungen im industriellen Sektor in Aussicht stellte. Seitdem blieb das Thema im Gespräch. Ende Oktober bestätigte auch Teng Hsiao-p'ing in einem Interview mit der französischen Nachrichtenagentur AFP: „Das Lohnproblem wird geprüft. Wir haben die Frage schon in den Jahren 1974 und 1975 angeschnitten. Sie blieb auf Grund der Sabotage der , Vierer-Bande'jedoch in der Schwebe." Schon einige Tage davor, am 23. Oktober 1977, hatte Yu Chiu-li vor der 4. Tagung des Ständigen Ausschusses des IV. Nationalen Volkskongresses in einer Rede über die Entwicklung der chinesischen Volkswirtschaft bekanntgegeben, daß die Lohnerhöhungen mit Rückwirkung vom 1. Oktober 1977 in Kraft getreten und die Löhne bei rund 46 0/0 aller Arbeiter und Angestellten erhöht worden seien

Daß seit mehr als einem Jahrzehnt keine Lohnsteigerungen mehr durchgeführt worden sind, war natürlich kein Zufall, sondern das Ergebnis prinzipieller und praktischer Erwägungen. Das heißt: während Lohnerhöhungen prinzipiell die Überzeugung in Frage stellen, daß der sozialistische Mensch freiwillig seine eigenen Bedürfnisse zurückstellt und „selbstlos“ den Massen dient bringen sie praktisch die Gefahr einer Inflation mit sich. Sowohl der Glaube an die Selbstlosigkeit der Massen als auch der Stolz, als eines der wenigen Länder der Welt Inflationen erfolgreich vermieden zu haben, zeichneten aber das maoistische China aus. Wenn somit die Nachfolger Maos schon ein Jahr nach seinem Tode Lohnerhöhungen ihr Placet erteilen, so setzen sie sich damit dem Vorwurf aus, nicht nur den Kampf um den „neuen Menschen" aufgegeben, sondern auch bei der Bekämpfung der Inflation versagt zu haben. Wenn sie sich dennoch zu dieser Maßnahme entschlossen haben, so zeigt dies nur, wie groß der Druck der Bevölkerung im Hinblick auf eine Verbesserung der materiellen Bedingungen ist und welche Bedeutung sie dieser wiederum für die Produktionssteigerung einräumen. Dabei ist es durchaus wahrscheinlich, daß bei ihrer Entscheidung auch die Hoffnung eine Rolle spielt, mit Hilfe einer durch Lohnsteigerungen erhöhten Produktivität auch inflationäre Tendenzen auffangen zu können.

Rückblick und Ausblick

Kehren wir nach dieser Darstellung der Ereignisse und Entwicklungen, die sich in den letzten Jahren, vornehmlich aber seit dem Tode Maos, in China zugetragen haben, wieder zu der Frage zurück, die am Anfang steht und Anstoß unseres Rückblicks gewesen war: Et tu, China? Hat sich die Ansicht bestätigt, die viele Betrachter Chinas inzwischen äußerten, bzw. die Anklage, die zahlreiche Bewunderer des verstorbenen Parteivorsitzenden erhoben: daß nach der Sowjetunion nun auch die zweite kommunistische Großmacht damit begonnen hat, den Kurs der Revolution zu verlassen und die Ideale des Marxismus-Leni-nismus zu verraten? Trifft es zu, daß nach der außenpolitischen Wende, die zum Beginn der siebziger Jahre zum vorsichtigen Arrangement mit den USA führte, nun nach dem Tode Maos auch innenpolitisch ein grundlegender Wechsel eingetreten ist? Obwohl die Analyse gezeigt hat, daß die Zeit für eine uneingeschränkte Bejahung dieser Frage noch nicht reif ist, läßt sich doch soviel mit Sicherheit sagen:

1. Seit dem Ende der Kulturrevolution, also seit dem 9. Parteikongreß im Frühjahr 1969, wurden im Verlauf ununterbrochener, von wechselnden Koalitionen geführter Machtund Linienkämpfe sämtliche Protagonisten jener Richtung ausgeschaltet, die für einen radikalen linken Kurs eintraten und als besonders enge Vertraute Maos galten. Gleichzeitig wurden zahlreiche ihrer Anhänger entmachtet und viele der Organisationen, auf die sie sich gestützt hatten, zerschlagen oder reorganisiert. Im selben Zeitraum kehrten zahlreiche Kader, die den kulturrevolutionären Säuberungen zum Opfer gefallen waren, an die Hebel der Macht zurück. Auf keiner der Spitzenpositionen in Partei und Staatsrat befindet sich heute ein Funktionär, der sich als Ideologe einen Namen gemacht oder gar als Repräsentant „linker" Politik profiliert hat. Nach dem Abtritt der Visionäre und Theoretiker, die bis zum vergangenen Oktober die Bühne der chinesischen Politik mit revolutionärer Rhetorik beherrscht und belebt hatten, haben sich wieder erfahrene Altfunktionäre und nüchterne Militärs in den Vordergrund geschoben, begleitet von jüngeren Kadern, die sich ebenfalls eher durch Fachwissen, Pragmatismus und einen ausgeprägten Machtwillen auszeichnen als durch ideologisches Engagement und intellektuelle Farbigkeit. Damit ist an die Stelle des charismatischen Führers ein Führungskollektiv farbloser Technokraten getreten, dem man zwar zutraut, die Revolution zu verwalten, nicht aber, sie erneut zu ent-, fachen und weiter voranzutreiben. Die Zeit des Aufbruchs ist vorbei, vorerst zumindest — vermutlich sogar endgültig.

2. Durchaus im Einklang mit diesen personellen Veränderungen wurde auch die Stellung der kommunistischen Partei organisatorisch und ideologisch gestärkt. Am deutlichsten zeigt sich dies im neuen Parteistatut und in den von Yeh Chien-ying begründeten Veränderungen So wird nicht nur in der Präambel des Statuts die Partei als „höchste Form" der Klassenorganisation des Proletariats ausdrücklich bestätigt, auch die Hervorhebung des „demokratischen Zentralismus" als des organisatorischen Hauptprinzips die sich in dieser Form lediglich in der unter der Regie von Liu und Teng entstandenen Parteiverfassung von 1956 findet, unterstreicht den Willen der neuen Führung, die Partei wieder zu einem ideologischen und organisatorischen Zentrum zu machen, das alle Bereiche der Politik leitet 67 und kontrolliert und dem sich auch das einzelne Parteimitglied diszipliniert unterzuordnen hat.

Diese Tendenz, die von Yeh ausdrücklich begründet und verteidigt wurde, wird durch verschärfte Aufnahmebedingungen sowie durch die Schaffung von „Disziplinarkontrollkommissionen" auf allen Ebenen der Partei sowie durch die kürzlich gemeldete Wiedereröffnung von Parteischulen nachdrücklich bekräftigt 3. Ebenso wie diese personellen und organisatorischen Maßnahmen legen auch die Inhalte der nach dem Tod Maos eingeschlagenen Politik die „Hypothese von einer Renaissance der politischen Linie des Jahres 1956" nahe. Und es ist in der Tat kaum ein Zufall, daß die Veröffentlichung der wichtigen, eine eher pragmatische Politik propagierenden Schrift Maos von den „Zehn Beziehungen" aus dem Jahre 1956 zu den ersten Aktionen der neuen Führung gehörte. Vielmehr kann man sie als eine Art Motto betrachten, das die Rückkehr zu einer an Produktion und Pragmatismus orientierten Politik signalisierte. Damit beantwortet sich auch die oben aufgeworfene Frage nach der Übereinstimmung des neuen Kurses mit dem Mao Tse-tungs: Es ist mit Sicherheit nicht mehr der Kurs, den der „Große Steuermann" Ende der fünfziger Jahre und während der Kulturrevolution segelte, es ist vielmehr ein Kurs, der viele Ähnlichkeiten mit dem des Jahres 1956 aufweist. Da man kaum an die Rekonsolidierungsphase nach 1960 anknüpfen konnte — immerhin hatte Mao die Kulturrevolution gegen sie mobilisiert —, bot sich der Schritt zurück zur unkontroversen „guten Tradition" der fünfziger Jahre fast von selbst an. Dabei ist es selbstverständlich, daß weder dieser Rückbezug expressis verbis ausgesprochen noch die „neuesten Errungenschaften" der Kulturrevolution verbal unterschlagen wurden. Denn das eine wäre mit der These von der Weiterführung der Revolution ebenso unvereinbar gewesen wie das andere mit der Behauptung, die Kulturrevolution und das Erbe Maos vollendet zu haben.

Die Anhänger Maos im Ausland mögen eine solche Revision der politischen Linie beklagen und als . revisionistisch'verurteilen — vielleicht ist sie dies auch, wenn man sich streng an den Entwicklungsvorstellungen orientiert, die Mao seit dem „Großen Sprung nach vorn" favorisiert hat. Andererseits sollte dabei nicht übersehen werden, daß eine solche Revision nicht nur den Erwartungen großer Teile der chinesischen „Massen" zu entsprechen scheint, 69 sondern daß sie auch den ganz kpnkreten wirtschaftlichen Erfordernissen der chinesischen Gesellschaft insgesamt dient. Denn so interessant eine weitere Revolutionierung aller Bereiche dieser Gesellschaft auch für Anhänger der . reinen Lehre'sowie Sozialwissenschaftler gewesen wäre, China selbst wäre durch eine Fortsetzung der . linken Linie'wirtschaftlich noch weiter zurückgefallen, und der Zeitpunkt wäre fast berechenbar gewesen, an dem Peking die Kontrolle über jene Probleme verloren hätte. Die einzig gangbare Möglichkeit, der inneren gesellschaftlichen Probleme sowie der äußeren Bedrohung Herr zu werden, war die von Chou En-lai initiierte und von Hua und Teng propagierte Modernisierungspolitik. Und die Breite der Unterstützung, die die neue Führungsmannschaft bei der Realisierung dieses Programms in Partei, Armee und Staatsapparat erfährt, ist sicherlich ein Indiz dafür, daß die überwiegende Mehrzahl der Führungskader diese Ansicht teilt. Das heißt allerdings weder, daß eine einseitig wachstumsbezogene und ausschließlich am Ausbau der Produktivkräfte orientierte Politik die Lösung aller Probleme bringen kann, noch daß die neue Führungskoalition in ihrer Gesamtheit solche Erwartungen hegt. In den divergierenden Vorstellungen über die Grenzen dieser Modernisierungspolitik und die Gefahren, die sie für die maoistische Vision einer sozialistischen Gesellschaftsordnung birgt, dürfte vielmehr der Punkt zu lokalisieren sein, über den es wieder zu Konflikten oder gar zu Linienkämpfen innerhalb der neuen Führung kommen wird. Dies aber wird dann auch die Stunde sein, in der die jetzt ihrer Führer beraubte Linke wieder eine Chance erhält und zur Stärkung jener Kräfte herangezogen wird, die einen Rückfall in eine Ordnung westlichen oder sowjetischen Typs verhindern wollen. Denn wenn die chinesische Linke auch durch die Säuberungen des letzten Jahres weitgehend aus den Machtpositionen in der Zentrale und den Provinzen verdrängt wurde — ein Prozeß, der durch den für das Frühjahr 1978 vorzeitig einberufenen 5. Nationalen Volkskongresses seinen Höhepunkt und Abschluß erfahren dürfte —, so sollte doch nicht übersehen werden, daß es sie noch immer gibt und daß ihre Zahl bei einem Scheitern der Modernisierungspolitik zudem durch zahlreiche Unzufriedene verstärkt werden würde.

Eine ähnliche Entwicklung könnte allerdings auch beim Erfolg dieser Politik eintreten.

Dann nämlich, wenn die durch sie nicht begünstigten Teile der Bevölkerung — etwa Teile der Landbevölkerung und der ungelernten Arbeiter — gegen ihre Zurücksetzung und sich verschärfende Klassendifferenzierungen rebellieren und von einem neuen charismatischen Führer unter Berufung auf die egalitären Ziele Maos gegen jene Gruppen geführt werden, die von der Entwicklung profitiert haben. Obwohl die chinesische Politik, wie die Ereignisse des letzten Jahrzehnts gezeigt haben, für jede Überraschung gut ist, erscheint es wenig wahrscheinlich, daß jene Stunde schon im Laufe der nächsten Jahre eintreten wird. Dazu sitzt 'zum einen die jetzige Führungsmannschaft zu fest im Sattel, zum anderen sind die Hoffnungen, die sich mit dem neuen Kurs verbinden, zu groß und wohl auch mit der Einsicht verbunden, daß auch von ihr keine schnellen Wunder zu erwarten sind.

Ein weiteres Element der Unstabilität, das allerdings nur zu Machtverschiebungen und nicht notwendigerweise zu Kursänderungen führen muß, liegt dagegen in der Überalterung der neuen Führungsspitze, die — etwa im Politbüro — ein Durchschnittsalter von 68 Jahren aufweist. Der Zeitpunkt, an dem jene Parteiveteranen, die jetzt noch einmal die Zügel der Macht ergriffen haben, endgültig von der politischen Bühne abtreten müssen, ist absehbar. Spätestens dann dürfte das jetzt sorgsam ausgehandelte Machtgleichgewicht wieder ins Wanken geraten und eine Generation von Kadern an die Macht drängen, von der wir heute wenig wissen. Nur soviel erscheint wahrscheinlich: Bei ihnen, die ihre Prägung weniger in den revolutionären Kämpfen von 1949 erfuhren, sondern vielmehr in einer zunehmend von bürokratischen Hierarchien strukturierten Gesellschaft, dürfte die Neigung, sich der Weisheit und Führung der „Massen" anzuvertrauen und für die Errichtung einer egalitären, puritanischen und partizipatorischen Gesellschaft einzutreten, erheblich weniger ausgeprägt sein als bei der revolutionären Generation der ersten Stunde. Dagegen dürfte ihre Bereitschaft größer sein, jenen ökonomischen und strukturellen Sachzwängen zu gehorchen, denen moderne arbeitsteilige Gesellschaften nun einmal unterworfen sind. Die Zeichen dafür sind unübersehbar.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Dieser Begriff findet sich sogar im Kommunique des 3. Plenums des 10. ZK. S. dazu: Peking Rundschau (= PR) 31, 2. 8. 1977, S. 7.

  2. S. dazu etwa die Stellungnahme von Charles Bettelheim in Le Monde v. 5. 7. 1977; ebenso Süddeutsche Zeitung (= SZ), 11. 7. 1977.

  3. Diese Überschrift trug ein Artikel von David Kolodney, in dem dieser die Enttäuschung und Erbitterung der amerikanischen Anhänger Maos über die chinesisch-amerikanische Annäherung darstellte, s. Ramparts, May 1972, S. 7.

  4. The China Quarterly 69 (= CQ), March 1977, S. 205; Far Eastern Economic Review (= FEER), July 15, 1977, S. 29.

  5. S. dazu Eberhard Schneider, Nach der KSZE das KSA? Kollektives Sicherheitssystem als Grundmuster sowjetischer Asienpolitik, in: Berichte des Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internationale Studien (= BOIS) 41/76.

  6. Dazu im einzelnen Peter J. Opitz, Chinas Außenpolitik. Ideologische Prinzipien — strategische Konzepte, Zürich 1977.

  7. S. dazu PR 36, 10. 9. 1968, S. 6 f., sowie PR 5, 1. 2. 1977, S. 13.

  8. PR 15, 16. 4. 1974. S. 8— 14.

  9. Zit. nach SZ, 11. 7. 1977. Inzwischen legte die Redaktion der Jen-min jih-pao einen langen Artikel vor, in dem sie die „Drei-Welten-Theorie" darstellte und gegen Mißverständnisse und Angriffe verteidigte; s. Die Theorie des Vorsitzenden Mao über die Dreiteilung der Welt — Ein bedeutender Beitrag zum Marxismus-Leninismus, PR 45, 8. 11. 1977, S. 11— 43.

  10. PR 1, 4. 1. 1977, S. 44— 45.

  11. PR 32, 9. 8. 1977, S. 15.

  12. S. dazu Dieter Heinzig, Nach dem Pekinger Führungswechsel: Neuer Tiefstand der sino-sowjetischen Beziehungen, in: BOIS 22/76.

  13. Jen-min jih-pao (= JMJP), 23. 2. 1976.

  14. SZ, 27. 9. 1977, S. 6.

  15. SZ, 17. /18. 9. 1977, S. 7.

  16. Zum aktuellen Stand der amerikanisch-chinesischen Beziehungen s. Oskar Weggel, China und die USA, in: China aktuell (= Cak), Juli 1977. S. 396— 423.

  17. Wireless Bulletin from Washington, No 122, June 30, 1977.

  18. SZ, 17. 5. 1977, S. 7.

  19. PR 32, 9. 8. 1977, S. 14— 15.

  20. PR 35, 30. 8. 1977, S. 46.

  21. PR 41, 11. 10. 1977, S. 41.

  22. Die gründlichste Analyse über den Verlauf und die Probleme der japanischen Außenpolitik in den 70er Jahren findet sich bei Joachim Glaubitz, Japan im Spannungsfeld zwischen China und der Sowjetunion — Japanisch-chinesische Normalisierungsschritte und sowjetische Reaktionen (= SWP — S 253), November 1976.

  23. BPA/Ostinformationen, 5. 7. 1977.

  24. S. dazu Holger Dohmen, Pekings Generale umwerben Japans Streitkräfte, Cak, August 1977, S. 478— 479.

  25. Eine deutsche Übersetzung der am Ende des China-Besuches von Tanaka am 29. 9. 1972 unterzeichneten Gemeinsamen Erklärung findet sich in: Europa Archiv, Nr. 21, Nov. 1972, D 531—D 532.

  26. Zu dieser Problematik und ihren historischen Ursprüngen s. John J. Stephan, The Kurile Islands: Japan versus Russia, Pacific Community, Vol. 7, No 3, April 1976, S. 311— 330.

  27. Glaubitz, Japan im Spannungsfeld, S. 95.

  28. Zur Entwicklung der Beziehungen zwischen der EG und der VR China s. Bericht über die Wirtschaftsund Handelsbeziehungen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Volksrepublik China. Europäisches Parlament. Sitzungsdokumente 1977— 1978, 5. 5. 1977, Dok. 76/77; s. auch SZ, 8. 7. 1977.

  29. Jürgen Domes, China in 1976: Tremors of Transition, Asian Survey, Jan. 1977, Vol. XVII, No. 1, p. 15.

  30. Wenn im folgenden zur Abgrenzung der miteinander rivalisierenden Gruppen noch immer Bezeichnungen wie „Rechte“ und „Linke“ bzw. „Gemäßigte“ und „Radikale“ verwendet werden, so geschieht dies durchaus im Bewußtsein, daß diese Begriffe höchst fragwürdige, vereinfachende Verallgemeinerungen darstellen, die nicht nur der ideologischen Position der betreffenden Gruppen unzureichend gerecht werden, sondern die auch nicht genügen, um die flukturierende Zusammensetzung jener Gruppen sowie die zu den verschiedenen Fragen differierenden Haltungen der einzelnen Politiker adäquat zu erfassen. Wenn sie hier dennoch benutzt werden, so geschieht dies zum einen, weil eine analytische Differenzierung im vorliegenden Überblick weder möglich noch nötig ist, zum anderen aber, weil diese Bezeichnungen sich eingebürgert haben und in ihrem Kern auch durchaus zutreffend sind.

  31. Klaus Mehnert, Kampf um Maos Erbe, Stuttgart 1977, S. 19.

  32. Ellis Joffe, The Chinese Army after the Cul-tural Revolution; The Effects of Intervention, in: CQ 55, July/September 1973, S. 450.

  33. S. dazu vor allem Jürgen Domes, China nach der Kulturrevolution. Politik zwischen zwei Parteitagen, München 1975.

  34. Es ist noch immer nicht deutlich auszumachen, welche Gruppen dieser „Dritten Kraft (Ting

  35. S. dazu auch Peter J. Opitz, Pause oder Permanenz der Revolution? Zur innenpolitischen Entwicklung in der VR China nach der Kulturrevolution, in: China-Report, Nr. 26/1975— 27/1976, S. 5 bis 18; John Bryan Starr, From the 10th Party Congress to the Premiership of Hua Kuo-feng: the Si-gnificance of the Colour of the Cat, in: CQ, 67, Sept. 1976, S. 457— 488.

  36. Es handelt sich dabei um die Studien „Uber das allgemeine Programm für alle Arbeit der Partei und des Landes", „Programmatischer Bericht der Chinesischen Akademie der Wissenchaften" und „Einige Fragen zur Beschleunigung der Industrialisierung". Übersetzungen finden sich in: Selections from People’s Republic of China Magazines, 921, S. 18— 37; 926, S. 8— 30.

  37. S. dazu Jürgen Domes, Die Aprilkrise in China. Vorgeschichte, Verlauf und Auswirkungen des Sturzes von Teng Hsiao-p'ing und der Unruhen in Peking, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B. 30/76, 24. 7. 1976, S. 25— 39.

  38. Zu den Auswirkungen der Machtkämpfe auf die chinesische Wirtschaftsentwicklung im Jahre 1976 s. Colina MacDougall, Economic Report. The Chinese Economy in 1976, CQ 70, June 1977, S. 355— 370, sowie The PRC Economy in 1976, by the Editor, Current Scene, April/May 1977, Vol. XV, Nos. 4 & 5, S. 1— 11.

  39. Thomas Scharping, Der Kampf um Maos Vermächtnis. Teil 1: Vom Sturz Teng Hsiao-p'ings zum Sieg Hua Kuo-fengs, in: BOIS 1/77; Harry Harding, Jr., China after Mao, in: Problems of Communism, March—April 1977, S. 1— 18; Jürgen Domes, China nach der Kulturrevolution, München 1975; Wolfgang Bartke, Der Machtwechsel: Chiang Ch'ing und Hua Kuo-feng, in: Cak Nov. 1976, S. 598— 603.

  40. Zu den Auseinandersetzungen über die letzte Weisung Maos s. Yu-hsi Nieh, Die Hintergründe der Niederlage der „Viererbande". Offizielle Version, in: Cak, Jan. 1977, S. 735 ff.

  41. Der Text der Rede findet sich in: PR 38, 21. Sept. 1976, S. 12— 16.

  42. Pr 35, 30. 8. 1977, S. 41.

  43. PR 38, 21. 9. 1976, S. 13.

  44. Die These von der Bedeutung der Loyalitätsbeziehungen, die innerhalb den fünf bis 1954 besteB henden Feldarmeen entwickelt wurden, für den Zugang zu militärischen und zivilen Positionen vertritt vor allem William W. Whitson (with Chen-hsia Huang), The Chinese High Command: A History of Communist Military Politics, 1927 1971, New York und London 1973; ders., The Field Army in Chinese Communist Military Politics, in: CQ 56, Jan-March 1969, S. 1- 30; dagegen Harvey Nelsen, Military forces in the Cultural Revolution, CQ 51, Juli/Sept. 1972, S. 444- 474, sowie William L. Parish, Factions in Chinese military politics, in: CQ 56, Oct. /Dec. 1973, S. 667- 699.

  45. Zu den Veränderungen in der Führung der KPCh auf dem 11. Parteikongreß’ s. im einzelnen Wolfgang Bartke, The 11th Congress of the Communist Party of China. Charts and Analysis, Cak, Sept. 1977, S. 614 ff.; The llth Central Committee of the Communist Party of China. An Analysis by W. Bartke, in: Cak, Okt. 1977, S. 765— 809; Current Scene, Aug. —Sept. 1977. Vol. XV, Nos. 89, S. 17— 20.

  46. S. dazu auch Wang Ting, Leadership Realignments, S. 6 f.

  47. Eine deutsche Übersetzung des Textes findet sich in PR 1, 4. Januar 1977; s. dazu auch Stuart R. Schram, Chairman Hua edits Mao’s Literary Heritage: On the Ten Great Relationships", in: CQ 69, March 1977, S. 126— 135.

  48. S. dazu auch Thomas Scharping, Mao Tsetungs Werke 1949— 1957. Der V. Band der Ausgewählten Schriften, Teil I, in: BOIS 40/77; sowie Stuart Schram, The revised Version, in: FEER, Oct. 7, 1977, S. 57— 58.

  49. PR 4, 28. Januar 1975. S. 23— 24.

  50. PR 1, 4. 1. 1977, S. 41— 42. (Hervorhebungen hier und in den folgenden Zitaten von mir. L. J. O )

  51. PR 21, 24. 5. 1977, S. 11— 13.

  52. PR 21, 24. 5. 1977, S. 19.

  53. PR 22, 31. 5. 1977, S. 19— 20.

  54. Ebenda, S. 19.

  55. Ebenda, S. 19.

  56. Ebenda, S. 20.

  57. Ebenda, S. 17; s. dazu auch JMJP, 12. Sept. 1977.

  58. S. dazu auch David Bonavia, Six of the for Chairman Hua, FEER, May 27, 1977, S. 28

  59. PR 35, 30. 8. 1977, S. 48 und S. 54.

  60. JMJP, 23. 2. 1977.

  61. S. dazu Cak, Okt. 1977, S. 654.

  62. PR 40, 4. Okt 1977, S. 10; interessante Hinweise auf die beiden Positionen gibt auch ein Artikel von Dschung Ko in PR 44, S. 5 ff.

  63. Ebenda, S. 9; s. dazu auch Udo Weiss, Von der Stärke des Auslands lernen. Die Prinzipien der gegenwärtigen chinesischen Außenwirtschaftspolitik, in: China-Report, No 35— 36/1977, S. 12— 16.

  64. Einen guten Einblick in diese Problematik gibt Shannon R. Brown, Foreign Technology and Economic Growth, in: Problems of Communism, July/Aug. 1977, S. 30— 40.

  65. FEER, May 27, 1977, S. 78.

  66. Times, 18. 8. 1977.

  67. SZ, 26. Okt. 1977, S. 6.

  68. PR 45, 8. 11. 1977, S. 7.

  69. S. dazu Peter Weintraub, Hua's economic ob-stacle race, in: FEER, May 27, 1977, S. 76— 77.

  70. PR 36, 7. 9. 1977.

  71. S. dazu im einzelnen Oskar Weggel, Das neue Partei-Statut. Disziplin, Kontrolle und die . Tradition" von 1956, in: Cak Okt. 1977, S. 677 ff.

  72. PR 43, 25. 10. 1977, S. 4.

  73. O. Weggel, a. a. O., S. 687.

Weitere Inhalte

Peter J. Opitz, Dr. phil., geb. 1937; Studium der Politischen Wissenschaft, Sinologie, Philosophie; Professor für Politische Wissenschaft am Geschwister-Scholl-Institut für Politische Wissenschaft der Universität München. Veröffentlichungen u. a.: Lao-tzu, München 1967; Chinesisches Altertum und konfuzianische Klassik (Hrsg.), München 1968; Maoismus (Hrsg.), Stuttgart 1972; Chinas Große Wandlung. Revolutionäre Bewegungen im 19. und 20. Jahrhundert, (Hrsg.), München 1972; Die Söhne des Drachen. Chinas Weg vom Konfuzianismus zum Kommunismus (Hrsg.), München 1974; Chinas Außenpolitik. Ideologische Prinzipien — strategische Konzepte, Zürich 1977.