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Zur politischen Theorie des Feminismus Die Deklaration der Rechte der Frau und Bürgerin von 1791 | APuZ 48/1977 | bpb.de

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APuZ 48/1977 Frauenarbeitslosigkeit in der Bundesrepublik Erscheinungsformen und Ursachen, Möglichkeiten zur Überwindung Feminismus kontra Marxismus Zur politischen Theorie des Feminismus Die Deklaration der Rechte der Frau und Bürgerin von 1791

Zur politischen Theorie des Feminismus Die Deklaration der Rechte der Frau und Bürgerin von 1791

Hannelore Schröder /Theresia Sauter

/ 70 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die politische Theorie des Feminismus’ hat bereits eine lange Geschichte: Sie beginnt spätestens mit der Deklaration der Frauenrechte im Jahre 1791 — einer Gegenerklärung zur Erklärung der sogenannten Menschenrechte. Doch dieses Dokument der Ideengeschichte und die historischen Umstände seiner Entstehung — und seine Wirkungsgeschichte — sind so gut wie unbekannt, da die traditionelle Wissenschaft die Geschichte der Frauen nicht erforscht. Vor dem Hintergrund der historischen Ereignisse jener Zeit — der Frauen-Revolution in der Französischen Revolution — wird die politisch-theoretische Bedeutung der Deklaration der Rechte der Frau hier zum ersten Male herausgearbeitet. Die grundlegenden Erkenntnisse dieser Analyse sind: 1. Die Deklaration der „Menschenrechte" galt nicht für alle Menschen, sondern nur für Männer. Frauen wurden davon grundsätzlich ausgeschlossen. 2. Die französischen Frauen, an ihrer Spitze Olympe Marie Gouges, erkannten diese Frauenfeindlichkeit der Revolutionäre sofort und setzten der Erklärung der Männerrechte ihre Erklärung der Frauenrechte entgegen. 3. Die Frauen fordern nicht nur die Abschaffung der Privilegien des Adels und des Klerus, sondern auch die der Familienväter. Sie verlangen die Sicherung des Lebensunterhalts für Frauen und Kinder in und außerhalb der Ehe, Zugang zu allen Berufen und Erwerbszweigen und die Teilung des Eigentums zwischen Frau und Mann. Sie verlangen gleiche Bürgerrechte für sich — in Gesellschaft und Staat. Sie fordern das Wahlrecht und die Zulassung der Frauen in die Nationalversammlung, kurzum: die Aufnahme in den Rechtsstaat als gleichberechtigte Mitglieder. Obwohl sie selbst von den Männern ausgeschlossen wurden, beziehen sie die Männer auf gleicher Ebene in ihre Deklaration ein. Sie fordern außerdem Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit für die Negersklaven in den französischen Kolonien. Die Deklaration der Frauenrechte ist damit die wahre Deklaration der Menschenrechte: die Frauen meinen wirklich alle unterdrückten Menschen, wenn sie von Freiheit und Gleichheit sprechen. 4. Die patriarchale Ehe, in welcher die Frau rechtlos und ohne ökonomische Sicherheit ist, soll ersetzt werden durch einen Sozialvertrag zwischen Frau und Mann, in welchem beide als gleiche Partner Vereinbarungen über das Wohl der Kinder, ihr Eigentum und ihr Zusammenleben treffen. Mit dieser konsequenten Anwendung der Prinzipien des Rechtsstaates auf das Verhältnis Frau—Mann hat sie als revolutionär geltende Gesellschaftsmodelle — wie den Contrat Social von Rousseau — radikal-demokratisch überholt und ist mit ihrer kompromißlos egalitären feministischen Utopie ihrem Jahrhundert weit vorausgeeilt. Wenn heute auch den Frauen Grundrechte formal zugebilligt werden, so ist das nicht die sehr späte Folge der Deklaration der „Menschenrechte“ von 1789, sondern die Folge der „Deklaration der Rechte der Frau und Bürgerin" von Olympe Marie Gouges — die dafür gelebt und den Tod der Freiheitskämpferin erlitten hat.

Wiltraud Rupp-von Brünneck, Bundesverfassungsrichterin, zum Gedächtnis

I. Frauen-Geschichte — Antithese patriarchalischer Geschichtsschreibung

1. Kritisches Geschichtsbewußtsein — eine Dimension politischen Bewußtseins

Es ist kein Zufall, daß eine Reihe von Wissenschaftlerinnen — namentlich in den USA, die dort an den Universitäten in den letzten Jahren women studies institutionalisiert haben — ihr Interesse in Lehre und Forschung der Geschichte der Frauen und der Frauenbe-wegungen zugewandt haben. Dieses historisch-kritische Interesse erwuchs aus der politischen Bewegung, aus der diese Frauen kommen, oder der sie nahestehen. Daß Frauen nicht nur Objekt der Geschichte, sondern auch protestierende Subjekte waren, ist für das Selbstbewußtsein, die politische Theorie und Praxis aktueller Bewegungen von höchster Bedeutung. Wenn wir uns im folgenden einem „alten" Text aus der Zeit der Französischen Revolution zuwenden, so geschieht es nicht aus Liebhaberei an politisch-philosophischen Antiquitäten, sondern aus folgenden Gründen: a) Aus Interesse an der politischen Theorie der Frauen-Emanzipation, deren Ideengeschichte erst zu rekonstruieren und für die aktuelle Theorie-Diskussion fruchtbar zu machen ist. Dabei wird sich häufig zeigen, daß . alte" Ideen nach wie vor aktuell sind und lediglich . fortgeschrieben'werden müssen. b) Zur Ermöglichung einer kollektiven wie individuellen Identität der scheinbar . geschichtslosen Klasse'Frauen, die ohne Kenntnis ihrer eigenen Geschichte — einer Geschichte der Unterdrückung und Rechtlosigkeit, aber auch des Widerstandes — ohne Geschichtsbewußtsein und damit im Zustand historischer und politischer Bewußtlosigkeit bleiben müßte. c) Zwecks Rekonstruktion des historischen Kampfes um bürgerlich-demokratische Rechte für das weibliche Volk, der in den aktuellen Bewegungen wieder auflebt und bei weitem noch nicht gewonnen ist: uneingeschränkte bürgerliche Rechte für Frauen sind noch immer nicht als legitim anerkannt, geschweige denn realisiert.

INHALT I. Frauen-Geschichte — Antithese patriarchaler Geschichtsschreibung 1. Kritisches Geschichtsbewußtsein — eine Dimension politischen Bewußtseins 2. Die Frauenfeindlichkeit der Aufklärung 3. Die ökonomische Lage der Frauen 4. Olympe Marie (de) Gouges: Leben und Sterben für die Frauenbefreiung II. Der politisch-theoretische Stellenwert der Deklaration der Rechte der Frau und Bürgerin 1. . von Mann zu Mann ... Frauen sind ausgeschlossen“ 2. Die Deklaration der Frauenrechte — Antithese zur Deklaration der Männerrechte 3. Contrat social zwischen Frauen und Männern: eine radikal-demokratische Utopie III. Die Deklaration der Frauenrechte als Vorgeschichte der Grundrechte der Frauen IV. Dokument: Die Rechte der Frau, Paris 1791 1. An die Königin (Brief)

2. Die Rechte der Frau (Anrufung des Mannes) 3. Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin (Präambel: Art. I—XVII; Nachwort) 4. Entwurf eines Gesellschaftsvertrages zwischen Mann und Frau d) Als Kritik an der etablierten Wissenschaft, deren kritische liberale und sozialistische Vertreter zwar bemängeln, daß die Geschichte vom Sieger geschrieben wird, die aber in bezug auf die Geschichte der Frauen eben diese Siegerhaltung praktizieren, nicht anders als konservative und reaktionäre Vertreter: durch Totschweigen und gelegentliche Diffamierung

In der offiziellen Geschichtsschreibung und in den Sozialwissenschaften ist die weibliche Bevölkerung kaum existent, geschweige denn, daß der Zustand ihrer Unterdrückung Gegenstand der Reflexion wäre. Und das, obwohl die Frauen des 19. Jahrhunderts — gezwungenermaßen als Autodidakten — sowie die ersten Generationen weiblicher Wissenschaftlerinnen bereits ein erstaunliches Maß an Aufarbeitung der Frauensituation in allen Bereichen geleistet haben: ihre Ergebnisse werden völlig ignoriert. Diese hochfahrende Ignoranz, Einseitigkeit und Parteilichkeit männlicher Wissenschaftler nachzuweisen, geschieht durch das Vorweisen dessen, was sie bewußt oder unbewußt unterschlagen, durch Auslassung negiert haben: es ist nicht weniger als die Geschichte der halben Menschheit. Die Arro-ganz der patriarchalen Macht sieht nur sich selber.

Die Korrektur dieses „wissenschaftlichen'Solipsismus’ wird nur durch politisch engagierte und kritische Wissenschaftlerinnen erfolgen. Dieser Prozeß beginnt jetzt in Deutschland, und diese Veröffentlichung begreift sich als Beitrag dazu — und zu dem Endzweck der Korrektur des patriarchalen Geschichtsbildes. Die beachtlichen Arbeiten der ersten Frauenbewegung, z. B. das fünfbändige Handbuch der Frauenbewegung, herausgegeben von Helene Lange und Gertrud Bäumer, oder das große rechtshistorische Pionierwerk „Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung" von Marianne Weber, entstanden jenseits etablierter Wissenschaft, führten nicht zur Errichtung von Lehrstühlen und damit zu akademisch-institutionell gesicherter Tradition und kontinuierlicher Forschung und Lehre. Die von Männern beherrschten Disziplinen hatten und haben kein Interesse daran, diese Bereiche in Forschung und Lehre einzubeziehen: das ist politisch nicht opportun, und Frauen sind überdies so verachtet, daß sie als Gegenstand der Wissenschaft nicht im geringsten interessieren. Noch sind die Alleininhaber bereit, Frauen in die Spitzen der akademischen Hierarchie einzulassen: Aus dem Kreis der Hochprivilegierten an Universitäten, Akademien, Forschungszentren sind Frauen fast ganz ausgeschlossen: folglich gibt es Frauen in der Wissenschaft nicht — nicht als Forschungsobjekt und nicht als Subjekt. Hunderte von Jahren wissenschaftlicher Tradition, enorme Mittel an Menschen und Finanzen, auch der seit langem vor sich gehende soziale Wandel der Frauensituation haben noch immer nicht dazu geführt, daß die Wissenschaften sich endlich auch in den Dienst der Frauen stellen. Im Gegenteil: Es ist daher die dringende Aufgabe problembewußter Akademikerinnen, die Frauenfrage in allen wissenschaftlichen Disziplinen zum Gegenstand von Forschung und Lehre zu machen. Da z. B. die bisherige Rechtsund Ideengeschichte dieses historische Dokument nicht beachtet, nicht wissenschaftlich verarbeitet und in den Kanon der Lehre aufgenommen hat, ist es dringende wissenschaftliche und politische Notwendigkeit, daß es endlich einer breiten Öffentlichkeit zugängig gemacht wird.

In Frankreich wurden Frauen weit früher zum Studium zugelassen als in Deutschland, und das geistige Klima war wohl nicht ganz so antifeministisch wie hier, denn dieses Land hat seit der Französischen Revolution immer wieder politisch und intellektuell rebellierende Frauen hervorgebracht. Man denke nur an Madame de Stael, George Sand, Flora Tristan, Louise Michel — und Simone de Beauvoir. Ganz anders in Deutschland, dessen Frauen im Vergleich mit Frankreich und den angelsächsischen Ländern als besonders schwer unterdrückt gelten. Die „Dichter und Denker“ haben ihre Frauen auch geistig sehr versklavt. Strikter Ausschluß von höherer und akademischer Ausbildung, professioneller geistiger Arbeit und öffentlicher Wirkungsmöglichkeit — militaristischer Geist von Preußentum bis zu Hitler — erstickten weiblichen Intellekt massenhaft und schon im Keim. Es ist kein Zufall, daß ein epochemachendes Werk zur Frauenfrage, wie „Das andere Geschlecht" von de Beauvoir, in Frankreich geschrieben wurde, wo es in der Tradition kriitscher Frauen steht, und es ist auch kein Zufall, daß es das Werk einer akademisch geschulten, der geistigen Arbeit lebenden Frau ist, deren Arbeitskraft und Kreativität nicht von „Kinder, Küche, Kirche" erschöpft und zerstört wurde. Leibeigene Bauern haben keine Sozialphilosophien geschrieben, und die Küche ist nicht der Ort für sozialrevolutionäre Theorien. Beauvoir konnte als freie Schriftstellerin leben, sie konnte frei schreiben und hat sich ihre politische Unabhängigkeit und geistige Beweglichkeit bis ins Alter bewahrt. Sie wird im Januar 1978 siebzig Jahre alt und erlebt, wie ihre profunde Arbeit in der Frauenbewegung, zu der sie sich bekennt, international politische Früchte trägt. — Hat man je gehört daß ihr ein Lehrstuhl an einer namhaften Universität oder der Nobelpreis angeboten wurde?

2. Die Frauenfeindlichkeit der Aufklärung

Die geistigen Wortführer der Aufklärung waren keineswegs so aufgeklärt, daß sie auch Licht in das mittelalterlich-klerikale Dunkel, welches das soziale, rechtliche und politische Verhältnis von Männern und Frauen kennzeichnete, 'gebracht hätten. Die Theoretiker der Befreiung des Bürgertums beriefen sich auf die Vorbilder der antiken Demokratien Griechenlands und vor allem Roms, auf Staatsgebilde und Gesellschaftssysteme, in welchen Frauen und Sklaven völlig rechtlos der Gewalt der Hausväter, der patria pote-stas, unterworfen waren. Soweit ihre Sozial-philosophien ein Familien„recht" enthalten und die Institution Ehe — und nur in diesem Zusammenhang die Stellung der Frauen — erörtern, berufen sie sich auf das Vorbild biblischer Patriarchen.

Derart rückwärts und religiös orientierte Vorbilder mußten für die Frauen im Hinblick auf eine soziale Erneuerung während der Französischen Revolution von vornherein fatal sein. Die Philosophen des Naturrechts legitimierten ihre Befreiung vom Absolutismus mit der Berufung auf einen gedachten Naturzustand, in dem jedermann frei und gleich geboren war und frei blieb, und leiteten aus dieser philosophischen Prämisse das Recht her, diese Freiheit und Gleichheit zum derzeitigen historischen Zeitpunkt zurückzuverlangen: Zurück zum Naturzustand ist die politische Parole, obwohl es sich um das Gegenteil handelte: den vernünftig organisierten, sozialen und politischen Zustand.

So wurde denn der „Mensch" als „Na-tur" wesen definiert und in eins gesetzt mit dem sozialen Wesen, nämlich dem Besitzbürger und Familienpatriarch oder dem Privatmann. Die Frau jedoch wurde als weibliches „Natur“ wesen gesetzt und ausschließlich als solches betrachtet, nicht im Sinne der Zugehörigkeit zur „menschlichen“, d. h. männlichen Gesellschaft, sondern zur Materie, zur Natur als Negation der männlichen-menschlichen Gesellschaft. „Der weiblichen Natur“ entspreche Unfreiheit im Naturzustand und folglich auch in der bürgerlich-patriarchalen — wie vorher in der feudalen — Gesellschaft.

Dieser schillernde doppelbödige Naturbegriff gehört zu den am schwersten sezierbaren Kategorien: Er ist revolutionär und reaktionär zugleich, bürgerlich-demokratisch und absolutistisch-patriarchal, egalitär und autoritärhierarchisch. Alle Philosophen des säkularen Naturrechts, welche die politischen Ansprüche der (männlichen) Bürgerklasse rechtsphilosophisch untermauern, entwerfen Gesellschaftsmodelle für den gleichen und freien „Menschen", in denen die feudalistisch-ständische Hierarchie außer Kraft gesetzt ist; zugleich fordern sie jedoch dezidiert die Beibehaltung der Hierarchie der Familienväter über die Frauen, im Hause wie auch außerhalb, in Gesellschaft und Staat. Naturrechtler von Grotius bis Rousseau postulieren ein Haus-und Familien„recht", das die völlige Unterordnung der Frau unter den Mann nun ebenfalls aus Gründen der „Natur* beibehält, wobei unter diesem Etikett nach wie vor die patriarchale Ehe gemäß dem kanonischen Recht zu verstehen ist Während der Bürger sich selbst vom klerikalen Naturrecht „emanzipiert“, oktroyiert er es seinerseits weiterhin, da es der Beibehaltung seiner Hausherrschaft dienlich ist, den Frauen Sofern die Institution Ehe kritisiert wird, geschieht es nur soweit, als mehr sexuelle Freiheiten für den Hausvater postuliert werden. Einige fallen sogar hinter den Zivilisationsstand der monogamen Ehe zurück: sie wünschen die Freiheit zur Vielweiberei, weil das der „Natur“ des Mannes gemäß sei, während den Frauen weiterhin Virginität, Monogamie und Mutter-pflichten auferlegt werden — gemäß ihrer . Natur".

Mit dem Begriff . Natur" wird bald alles begründet, was dem Bürger-Patriarchen zweckdienlich ist. Die Freiheit, die sie meinen, war allein die des Familienvaters auf Kosten einer oder mehrerer Frauen, deren alleinige Daseinsberechtigung darin bestehen soll, seinen Zwecken zu dienen. Die von „Revolutionären" erdachten Erziehungskonzepte aus diesen Jahren beinhalten denn auch nur ein Ziel: so wenig wie möglich Bildung für Mädchen und Frauen (Rousseau wünschte, daß sie nur zwei Bücher lesen, eines davon die Bibel!), deren alleiniger Lebensinhalt das Gebären und Aufziehen von Kindern für das „Vaterland“, die „Republik" sein soll, neben den Diensten für den Mann. Mädchen sollen an öffentlichen Schulen — wenn überhaupt — mit weniger Schuljahren als Jungen teilnehmen, so der Jakobiner M. Lepeletier in seinem „Plan einer Nationalerziehung" (1794) An gleiche Grundausbildung, höhere Schulbildung oder gar akademische Ausbildung der Mädchen und Frauen wird überhaupt nicht gedacht. Das „heilige Gesetz der Gleichheit" wird nicht einmal unter Kindern (in der Schulfrage) eingehalten. Der einflußreichste, gefeiertste (und noch bis in die Gegenwart wirkende) Theoretiker der Revolution, Rousseau, war zugleich der denkbar größte Frauenfeind und hat besonders in seinem pädagogischen Roman „Emile. Oder die Erziehung" eine Mädchenpädagogik entworfen, wie sie widersprüchlicher, frauenverachtender und patriarchal-egoistischer nicht denkbar ist

Als Wegbereiter kritischen Geistes vor der Revolution werden in der Regel die Encyklo-pädisten genannt. Schon Lily Braun kritisierte in ihrer Darstellung der Frauenaktivitäten jener Zeit die „entschieden frauenfeindliche Richtung derEncyklopädisten“. „...dem zweifelhaften Ruhm dieser Geistesheroen tut es im Urteil der Männerwelt bis heute keinen Abbruch, daß Voltaire die Frauen verspottete, ein Montesquieu ihnen alle Gaben des Geistes absprach und Rousseau sie , nur im Haus und für das Haus erzogen wissen wollte'.“ Ihr Antifeminismus wird bis heute selbst in den Sozialwissenschaften nicht kritisiert. So fiel es bis jetzt nicht auf, daß unter den En-cyklopädisten keine Frauen waren, daß das vermeintliche Universalwissen der Autoren zugleich Herrschaftsinstrument und Monopol der Bürgerpatriarchen war. Diese historische Tatsache ist zugleich Beweis dafür, daß auch die Frauen des Bürgertums und des Adels von höherer oder gar akademischer Bildung und öffentlich wirksamer geistiger Arbeit ausgeschlossen waren. Bürgerliche Öffentlichkeit war ihnen nicht zugängig.

Wenn Hans Mayers Generalthese lautet, „daß die bürgerliche Aufklärung gescheitert ist" weil das Versprechen von Freiheit, Gleichheit und Menschenwürde gegenüber den sozialen Außenseitern nicht im entferntesten gehalten wurde — wobei er besonders an die Juden, die Besitzlosen, aber auch an die Frauen und sonstige Unangepaßte’ denkt —, so ist ihm uneingeschränkt zuzustimmen. Doch die Kritik an der Aufklärung muß noch weitergetrieben, noch schärfer formuliert werden: sie war von Anbeginn zum Scheitern verurteilt, weil sie die Frauen — immerhin die Hälfte der Bevölkerung — nicht einmal einer leeren Versprechung für würdig befunden, sondern sie von Anfang an aus der Menschheit ausgeschlossen hat. Nicht einmal verbal wurde ihnen Freiheit, Gleichheit und Menschenrechte zugesprochen. In den Augen der Aufklärer war die Frau kein Mensch. Der Mensch fing erst beim Manne an, und das war doch nicht mehr ganz so selbstverständlich in dem historischen Augenblick, da auch der arme Mann und der Negersklave, der Jude und sogar der Ausländer in Frankreich an den Bürgerrechten teilhaben sollte, während grundsätzlich keiner Frau — auch nicht der adligen — ein Anteil an den Menschen-und Bürger-rechten zugestanden wurde. Die bürgerliche Revolution ebnete zwar die feudalistische Sozialordnung ein, errichtete aber zugleich eine strikte Hierarchie nach Geschlecht. Diese extreme politische Polarisierung der Gesellschaft, diese strikte Abgrenzung nach unten — gegen die Frauen — wurde von der sogenannten Aufklärung ideologisch vorbereitet.

Gemessen an dem revolutionären Anspruch der Freiheit und Gleichheit aller Menschen, an diesem lautstark verkündeten egalitären Prinzip, ist die zugleich propagierte Unfreiheit und Ungleichheit aller weiblichen Menschen eine bürgerliche Bankrotterklärung, wie sie kaum grotesker denkbar ist. Die Verkünder der Menschenrechte für alle, die Menschenantlitz tragen, verkünden im gleichen Atemzug die Entmenschung der Hälfte der Menschheit. Das ist — im Vergleich zur feudalen Gesellschaft, die sich offen zur hierarchischen Ordnung bekannte — ein gewaltiger politischer Rückschlag für die Frauen gewesen, die zwar von Bürgern und Kleinbürgern für den politischen Umsturz benutzt, dann aber um die Früchte ihres Kampfes betrogen werden.

3. Die ökonomische Lage der Frauen

»Ihre Lage war von Jahr zu Jahr entsetzlicher geworden. Die Jahre 1789 bis 1799 waren für die französische Industrie verderblich — und das spürten die arbeitenden Frauen besonders empfindlich —, weil infolge der Emigration und der Stockung des großen geselligen Hof-lebens die Seiden-und Spitzenmanufaktur rapide zurückging. Dabei stiegen die Lebensmittelpreise und die Scharen der hungernden Arbeitslosen wuchsen erschreckend an. Zwanzig Jahre vor Ausbruch der Revolution zählte man 50 000 Bettler in Frankreich; obwohl auf Bettelei drei Jahre Galeerenstrafe stand, wuchs die Zahl der Bettler in den nächsten zehn Jahren bis auf \*lt Millionen ... Vielfach wurden die Frauen unter ihnen jahrelang in engen, schmutzigen Arbeitshäusern interniert, wo die gräßlichsten Krankheiten nie aufhörten, und man die Armen ... mit Peitschenhieben züchtigte ... Hier war der Herd jener furchtbaren Seuche, der Prostitution, die entsetzenerregende Dimensionen annahm. Schätzte doch Pater H. im Jahre 1784 die Zahl der Prostituierten in Paris auf 70 000!“

Jährlich wurden in Paris etwa 5 000 Säuglinge ausgesetzt; Kinder starben an Mangelkrankheiten und Hunger. Das berühmte Palais-Royal in Paris ist ein „Mittelpunkt der Prostitution, des Spiels". Die meuternden Garden sieht man in den Revolutionsjähren „jeden Abend, in zwei Reihen marschierend, in's Palais-Royal einrücken. Das Gebäude ist ihnen wohlbekannt, denn es ist der Sammelplatz der Mädchen, deren Liebhaber und Parasiten sie sind ... Fast alle Soldaten der Garden gehören der Klasse der Kuppler an; viele treten jenem Korps nur bei, um auf Kosten dieser unglücklichen Mädchen zu leben." Die Erniedrigung und Ausbeutung der Frauen vollzieht sich also nicht nur durch die Manufaktur-Herren, sondern auch durch Zuhälter und „Kunden"; ihre extreme Verelendung ist nicht allein die Folge ihres Ausschlusses aus den Zünften. Diese Frauen, die wirklich nichts mehr zu verlieren hatten, wurden denn tatsächlich in den Unruhen der Revolution aktiv: „eine zeitgenössische Flugschrift führt den Titel (Petition der 2 100 Freudenmädchen des Palais-Royal'" (De Goncourt). Zyniker und Pharisäer unter den Journalisten und Geschichtsschreibern nehmen diese sozialen Mißstände zum Anlaß, pauschal alle politisch aktiven Frauen als „Abschaum" des weiblichen Geschlechts zu diffamieren und statt die extreme ökonomische Misere und den Zwang zur Prostitution sozial und moralisch zu kritisieren, die „Prostituierten" (in übelster Doppelmoral) der moralischen Verkommenheit zu beschuldigen.

Das enorme Ausmaß der Prostitution allein ist Beweis dafür, wie sich materielle Verelendung auf Seiten der Frauen und finanzielle Macht auf Seiten der Männer potenzieren. Während die Institutionen öffentlicher Ordnung sich immer mehr auflösen, während die Groß-und Kleinbürger um die politische Macht kämpfen, kämpfen die Frauen auf der niedersten Ebene, um das überleben: „Von den zwei Arbeiterdeputationen, die Hilfe heischend vor der Nationalversammlung erschienen, bestand eine aus Frauen und war von Frauen entsandt ... In einer Petition der Frauen an den König, fand sie (die Forderung nach Erwerbsarbeit) ihre klarste Fassung. Die Männer, so heißt es darin, sollen die den Frauen zukommenden Gewerbe — Schneiderei, Stickerei, Putzmacherei etc. — nicht ausüben dürfen, dafür würden die Frauen sich verpflichten, weder den Kompaß noch das Winkelmaß zu führen: , wir wollen Beschäftigung haben, nicht um die Autorität der Männer an uns zu reißen, sondern um unser Le-ben zu fristen.'... die einmal aufgeworfene Frage der Frauenarbeit konnte nicht mehr überhört und vergessen werden. Sie beeinflußte die Diskussion über die Lage der Zünfte, die bekanntlich das weibliche Geschlecht nach und nach ganz aus ihren Verbänden herausgedrängt hatten, und deren Auflösung im Jahre 1791 daher von Seiten der Frauen jubelnd begrüßt wurde.“

Es waren also die Kleinbürger, Handwerker und Arbeiter selber, welche die weiblichen Lohnarbeiterinnen in die Prostitution trieben und davon profitierten. J. Michelet ist wohl weit und breit der einzige männliche Historiker, ’ der diese doppelte Verelendung der Frauen erkannt hat: „Die Frauen standen im ersten Treffen unserer Revolution. Man darf sich hierüber nicht wundern; sie trugen die größten Leiden ... Das große Unglück ist grausam; es trifft die Schwachen stärker, es mißhandelt die Kinder und die Frauen viel mehr als die Männer. Die gehen weg, kommen wieder ... Die Frauen, die armen Frauen, leben meistens abgeschlossen, sie sitzen zu Hause, stricken und nähen; sie sind völlig außerstande, wenn es an allem mangelt, ihren Lebensunterhalt zu suchen. Es ist jammervoll, wenn man bedenkt, daß die Frau ... viel öfter allein steht als der Mann ... Sie ist ohne Familie nichts. Und die Familie überbürdet sie, jede Last ruht auf ihr. Sie bleibt in der kalten, geräumten Wohnung, bei ihren weinenden oder kranken und sterbenden Kindern ... Rechnen wir ebensoviele alleinstehende Mädchen hinzu, traurige Geschöpfe ohne Familie, ohne Unterstützung ... Wenn ihr klei-a. nes Handwerk sie nicht mehr ernähren kann, so wissen sie keinen Ersatz zu schaffen; sie ziehen auf eine Bodenkammer und warten ab; bisweilen findet man sie tot ... Diesen Unglücklichen fehlt selbst die Kraft, sich zu beklagen, ihre Lage zu offenbaren, sich gegen das Schicksal zu wehren. Die, welche handeln und sich in Zeiten großer Not regen, das sind die Starken, die vom Elend weniger erschöpft, die eher arm als bedürftig sind ... Am 5. Oktober (1789) gab es eine Menge unglücklicher Geschöpfe, die seit dreißig Stunden nicht gegessen hatten ... doch niemand tat etwas dagegen ..." — außer den Frauen, die sich über das Elend empörten und handeln, nicht reden wollten. Sie zogen nach Versailles mit dem Ruf nach Brot.

Ihre . Politik’ war die der Lebensmittelbeschaffung: In mehreren Städten Frankreichs besetzten sie Rathäuser. In Lyon hatten sie die öffentliche Gewalt einige Zeit inne und erklärten sich selbst zu Polizeikommissaren. Sie stellten einen Lebensmitteltarif auf, des-sen Einhaltung sie bei Strafe forderten. Ein Zeitgenosse bezeichnete diese Frauen als „Straßendirnen" und den „schmutzigsten Abschaum der niedrigsten Schichten", und der Geschichtsschreiber Taine urteilte: „An dieser Verwaltungsparodie beteiligten sich we-der gute Hausfrauen noch auch Arbeiterinnen, sondern einzig und allein Freudenmädchen, einige Aushälter und mehrere gemeine Weiber. Wie man sieht, läuft die Diktatur der ungezügelten Triebe ... auf eine Niedermetz-lung von Priestern, in der zweiten Hauptstadt Frankreichs auf eine Dirnenregierung hinaus." Von der patriarchalen Geschichtsschreibung werden dringend notwendige und legitime politisch-öffentliche; Aktivitäten von hungernden Frauen für sich selbst und für die ganze Gemeinde diffamiert: Politisch aktive und rebellierende Frauen sind Huren, gute Frauen halten sich fern — übrigens ein durchgängiges Diffamierungsverfahren von Schiller bis zu Autoren unserer Zeit.

4. Olympe Marie Gouges — oder Leben und Sterben für die Befreiung der Frauen

Marie Aubry — ihr Pseudonym, unter welchem sie zu ihrer Zeit als Theaterautorin und politische Schriftstellerin berühmt war, lautet Olympe (de) Gouges — ist eine der politisch bedeutsamsten Frauen der modernen Geschichte. Doch die Geschichtsschreibung kennt sie nicht; in das öffentliche Bewußtsein ist sie nicht eingegangen Dennoch war sie eine Frau, die Geschichte gemacht hat, jedenfalls haben Frauen aus den Frauenbewegungen ihre Gedanken aufgenommen. Sie hatte für diese Wirkung alle Qualitäten: politische Leidenschaft, ungebrochenen Glauben an die Vernunft, Gerechtigkeit und Menschlichkeit, wie ihn wohl nur Protagonisten einer rechtlosen Klasse mitbringen, deren Moral nicht durch Macht korrumpiert ist, dazu hellwache Intelligenz — Voraussetzung, um im vorrevolutionären und revolutionären Frankreich, namentlich in Paris, als Frau in der Öffentlichkeit ihrer Stimme Gehör zu verschaffen — und eine glänzende rhetorische Begabung. Ihre Schriften sind Beweis einer geglückten Synthese von starker Emotionalität, kritischem Intellekt und politischer Naivität (im positiven Sinne), die der persönlichen moralischen Integrität und Unerschrockenheit entspringt und sie bei anderen voraussetzt, in dem Glauben, daß diese (wie sie selbst) Politik zum Zwecke der Gerechtigkeit, Freiheit und Gleichheit betrieben.

Ihre Lebensdaten sind nicht völlig gesichert. Sie wurde im Jahre 1755 in Montauban wahrscheinlich als uneheliches Kind geboren. Die gesellschaftliche und finanzielle Stellung ihrer Mutter ist ungeklärt. Sie war schon sehr jung mit einem Handwerker namens Aubry verheiratet und hatte einen Sohn. Mit 16 oder 18 Jahren kam sie nach Paris, wahrscheinlich als Witwe. Jung, schön und begabt, stürzte sie sich in das literarische Leben der Hauptstadt. 1785 debütierte sie mit einem Stück an der Comedie Francaise, obwohl sie keinerlei Ausbildung hatte und in jungen Jahren des Schreibens unkundig war, so daß sie einem Schreiber diktieren mußte. Sie schrieb in der Folge etwa hundert Theaterstücke und Romane in Briefform, wovon einige 1788, gesammelt in drei Bänden, erschienen sind.

Bemerkenswert ist zweifellos ihr Stück „L’Es-clavage des Noirs", in welchem sie die Sklaverei in den französischen Kolonien anprangert. Dieses Stück brachte ihr Anfeindungen und große Schwierigkeiten ein. Die Nouvelle Biographie Generale, Paris, nennt sie anerkennend eine „femme de lettres francaise, clbre dans les troubles de notre premiere revolution."

Bei Ausbruch der Unruhen wendet sie sich ganz den politischen Problemen zu und schreibt ihre Gedanken, Vorschläge, Proteste, Verteidigungen und Angriffe, getrieben von den Ereignissen, in einer Reihe von politischen Flugschriften und Broschüren nieder, die sie offenbar alle auf eigene Kosten drukken ließ. — Es ist nicht bekannt, zu welchem Zeitpunkt sie in den Kreis um die Condorcets kam, wo sie eine wahrhaft aufgeklärte feministisch-politische Heimat fand. Ihre Schriften sind gekennzeichnet von der Diskussion politischer Tagesprobleme und der Vertrautheit mit der Argumentation der Philosophie des Naturrechts. Eine ihrer bedeutendsten politischen Schriften ist zweifellos die Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin; ein endgültiges Urteil darüber wäre jedoch verfrüht, weil die wissenschaftliche Aufarbeitung dieser Epoche im Hinblick auf die Rolle der Frauen generell noch aussteht. Ihre übrigen politischen Schriften, darunter eine „Adresse an die Repräsentanten der Nation'(o. J.), eine Sozialutopie „Das einfache Glück des Menschen“, 1789, eine Schrift mit dem Ti-tel „Die Phantome der öffentlichen Meinung“ (o. J.), ein „Brief an das Volk“, 1788, eine Adresse an die Nationalversammlung „Der nationale Pakt", 1792, „Patriotische Anmerkungen'(o. J.), eine Rechtfertigung, gerichtet an M. Robespierre, (o. J.), ihr „Politisches Testament“, 1793, und viele andere harren noch der Edition und wissenschaftlichen Aufarbeitung

Doch nicht nur als Rednerin und politische Autorin trat sie hervor, sondern auch als er-ste Organisatorin der Frauen. Die „Societe populaire des femmes“ wurde von ihr gegründet ebenso eine Frauenzeitung. Es ist wichtig zu wissen, daß sie und ihre Aktivitäten keine Einzelerscheinung waren. Michelet berichtet: „Diese glühende Frau aus dem Languedoc hatte mehrere Frauenvereine gegründet. Diese Vereine wurden zahlreich. Im . Cercle social', einer großen aus Männern und Frauen bestehenden Vereinigung, verlangte eine vornehme Holländerin, Frau von Palm-Aelder, feierlich die politische Gleichberechtigung für ihr Geschlecht.“ Da diese rebellierenden, selbstbewußten und Rechte für sich selbst fordernden Frauen entweder als Huren, Fischweiber oder als Wei-berder Bourgoesie abqualifiziert werden, ist es notwendig, wiederzugeben, was über ihren persönlichen Lebensstil und ihre finanzielle Lage bekannt ist: „Sie (Gouges) besaß nur das Notwendigste zum Leben und gab ein Viertel ihres Einkommens und den Ertrag ihrer Dramen als patriotische Steuer. Bernardin von Saint-Pierre schrieb ihr: , Sie sind ein Friedensengel.'Man schaudert, wenn man an die Schmach denkt, die ihr die Barbaren der Schreckenszeit zufügten.“ Sie selbst schreibt 1793 in ihrem Testament u. a.: „Man wird bei meinem Notar, Herrn Momet, ... die exakte Abrechnung darüber (finden), daß ich 40 000 Pfund für das Volkswohl ausgegeben habe." Ihr Geld stammte wohl weniger aus Einnahmen aus ihren Schriften als aus einer Erbschaft. Die Jakobiner beschimpften jeden als „Aristokraten“, der ihre Terrormaßnahmen zu kritisieren wagte. Davon waren wiederum in besonderem Maße die Frauen betroffen, weil sie sich gegen den Blutrausch, das wahllose und sinnlose Morden wandten und sich oft für Gefangene einsetzten. In einer ihrer Schriften sagt Gouges: „Ich bitte die Aristokraten um Entschuldigung, daß ich ihnen sagen muß, daß ich zu allen Zeiten die Ungleichheit der Bedingungen als eine Ungerechtigkeit betrachtet, die vererblichen Privilegien als beschämend angesehen habe." Sicher haben die Ereignisse der Revolutionsjahre sie zeitweise in Unsicher-heit, Verwirrung und Widersprüche gestürzt, wie wohl jeden Zeitgenossen, aber sie hat immer wieder kritisch, kompromißlos und überaus mutig ihre politische Meinung öffentlich bekundet — so unerschrocken, daß es sie schließlich den Kopf kostete. Sie hatte Robespierre öffentlich einen Mörder genannt, der ohne Skrupel und Moral den Weg seiner politischen Karriere über Leichen geht. Es besteht kein Zweifel daran, daß diese schonungslose Kritik und ihr Kampf für die Rechte der Frauen der Grund dafür waren, daß Robespierre sie verhaften ließ.

Neuerdings wird gern behauptet, sie sei verfolgt worden, weil sie Royalistin geworden wäre; aber der Sachverhalt ist komplizierter. Es ist richtig, daß sie sich anbot, den König zu verteidigen; aus taktisch-politischen Gründen hielt sie seine Hinrichtung zu einem gewissen Zeitpunkt nicht für wünschenswert. Auch war sie grundsätzlich, wie Condorcet, eine Gegnerin der Todesstrafe. Doch sie betrachtete den König als Verräter und machte den Vorschlag, ihn mit seiner Familie an die Front zu schicken „zwischen den Feind und unsere Artillerie", um dort von ihm zu verlangen, daß er die Unabhängigkeit der französischen Republik anerkenne, anderenfalls das Kanonenfeuer auf ihn gerichtet werde. Olympe de Gouges war also nicht nur eine frühe radikale Feministin und sozialkritische Humanistin, die finanzielle Opfer brachte, um soziale Notmaßnahmen zu finanzieren (Nationalwerkstätten), sie war auch eine glühende Republikanerin. Aber das „revolutionäre Vaterland", an seiner Spitze der wildgewordene Kleinbürger und Frauenfeind Robespierre, hat ihr ihre politische Lauterkeit und Opferbereitschaft böse heimgezahlt: Am 4. November des Jahres 1793 wurde sie enthauptet mit ihr viele andere Frauen. Die Frauenclubs wurden aufgelöst, den Frauen das Versammeln bei Gefängnisstrafe verboten und so die feministisch-revolutionäre Frauenbewegung blutig niedergeschlagen — nicht von der klerikalen und aristokratischen Reaktion, sondern von kleinbürgerlichen „Revolutionären*.

II. Der politisch-theoretische Stellenwert der Deklaration der Rechte der Frau und Bürgerin

Ob es vor 1791 politisch-theoretische Entwürfe zur Befreiung der Frauen gegeben hat, ist völlig unerforscht. Sicher ist lediglich, daß es selbst in den vorhergegangenen Jahrhunderten politische Frauenunruhen gegeben hatte. Eine Geschichte dieser und späterer Bewegungen gibt es ebenso noch nicht wie eine Ideengeschichte der Frauenemanzipation; daraus sollte jedoch nicht geschlossen werden, daß es keine sozialphilosophischen Entwürfe und Emanzipationsprogramme gegeben habe. Den bekannten Erklärungen der Bürgerrechte, der Bill of Rights Englands und Amerikas, der Deklaration der Menschenrechte in Frankreich, der Bürger-und Arbeiterrechte 1848 in Deutschland stehen (oft mit historischer Verspätung) die Deklarationen von Frauenrechten entgegen. Gouges hat unmittelbar auf die Deklaration der Männerrechte reagiert. Im gleichen Jahr hat Mary Wollstonecraft unter dem Eindruck der französischen Ereignisse eine Deklaration für die englischen Frauen, wohl ohne den Rückhalt einer politischen Bewegung, formuliert („A Vindication of the Rights of Women“). Die amerikanischen Frauen haben auf die Bill of Rights (1776) erst im Jahre 1848 mit der „Declaration of Sentiments" geantwortet In Deutschland hat Louise Otto 1848 zuerst für die Frauen den Anspruch angemeldet, in die bürgerlichen Rechte (und dringender noch in Erwerbsmöglichkei-ten) einbezogen zu werden, die die Bürger und die Arbeiter für sich selbst einklagten. In den folgenden Jahrzehnten hat es dann eine Fülle von Deklarationen, Sozialkritiken und Gesellschaftstheorien im Sinne einer mehr oder weniger radikalen Befreiung der Frauen aus dem Haus gegeben — und das, obwohl weder den Frauen des Adels, noch denen des Bürgertums und schon gar nicht denen aus armen Häusern die Voraussetzungen für geistige Arbeit — nämlich Bildung, Privateigentum, ein eigener Wohnsitz, persönliche Unabhängig-keit (wie männliche Bürger sie hatten) — gegeben waren.

Gouges hat allen sozialen Widerwärtigkeiten der patriarchalen, bürgerlichen Gesellschaft zum Trotz mit ihrer welthistorisch bedeutsamen Deklaration die mehr als zweitausend Jahre alte Tradition der von Männern betriebenen politischen Philosophie mit einem Schlage als patriarchale Herrschafts-„Weisheit" entlarvt, die mit Hilfe ihrer Schlüssel-Ideologeme „Gott" und „Natur" die Macht der „Väter“ über die Frauen absicherte. In ihrer Deklaration der Rechte für die weibliche Hälfte der Menschheit handelt es sich um weit mehr als nur um die Abschaffung der Macht und der Privilegien von Adel und Klerus und des (männlichen) Königtums, es handelt sich darüber hinaus um die Abschaffung der personalen, ökonomischen und politischen Macht der Familienväter über Frauen. Es steht hier nicht nur das Klassenverhältnis Adel-Bürgertum zur Debatte, sondern auch das Verhältnis Familienväter — Frauen: Frauen als deren Besitzobjekte. Während die große Errungenschaft der Deklaration der „Menschen" rechte in bibliotheken-füllenden Erörterungen gefeiert wird, ist die Existenz der Deklaration der Frauenrechte bis heute — immerhin 186 Jahre nach ihrem Erscheinen — nicht einmal der etablierten Wissenschaft bekannt, geschweige denn, daß ihre Aussagen ins öffentliche Bewußtsein hätten dringen können. Diese Tatsache beleuchtet grell den politischen und Geisteszustand der gegenwärtigen Gesellschaft: Der patriarchale Charakter dieses Systems und der Widerstand dagegen sind streng tabuisiert; folglich sind Menschenrechte für Frauen, das Verlangen nach Frauenrechten also, noch heute politisch verpönt. Menschenrechte (und minimale ökonomische Voraussetzungen dafür) für Frauen gelten auch heute (!) noch nicht als legitime Forderungen der Betroffenen. Daß Frauen gleiche Rechte haben wollen wie Männer (das Recht auf entlohnte, und zwar gleich entlohnte Arbeit, auf Ausbildung, auf Bildung eigener politischer Organisationen), gar das Recht der Selbstbestimmung über den eigenen Leib, wird von der von Männern beherrschten öffentlichen Meinung und von fast allen Männern, die ihre Privilegien und Machtpositionen vor den Frauen sichern und erhalten wollen, als ungeheuerliche Provokation betrachtet. Die öffentliche Forderung von Frauen nach nur einem Recht oder gar einer Reihe von Rechten für Frauen, wird noch heute in kaum anderer Weise von den

Herrschenden beantwortet wie damals. Daher ist die Geschichte dieser Frauen-Deklaration und ihrer Begleitumstände eine höchst aktuelle politische Lektion, denn für Frauen hat es noch immer keine bürgerliche Revolution gegeben!

1. „... von Mann zu Mann ... Frauen sind ausgeschlossen"

Bekanntlich wurde die Deklaration der „Menschen”-und Bürgerrechte von 1789 von der nur mit Männern besetzten Nationalversammlung dem König vorgelegt: Ihm sollte die Anerkennung der politischen Legitimität der Rechte der Bürger abgerungen werden. Er zögerte, aber der Zug der Frauen nach Versailles gab den Ausschlag für die Anerkennung durch ihn. Die Nationalversammlung (und große Teile der männlichen Bürger) erntete den Sieg der Frauen und erarbeitete eine Verfassung — allein für männliche Bürger. Dieser offene reaktionäre Schlag gegen die Frauen Frankreichs bedeutete, daß die Souveränität „von Mann zu Mann“, vom Monarchen auf die Männerversammlung überging. Es war daher zunächst folgerichtig, daß Gouges ihre Deklaration „An die Königin" richtete. Aber da diese keinen Anteil hatte an der monarchischen Gewalt, konnte sie den Akt der Anerkennung der Frauenrechte als politische Entscheidung nicht vollziehen. Die Nationalversammlung hatte am 27. August 1789 in der Diskussion des Verfassungsentwurfs das sali-sehe Gesetz übernommen: „Die Krone ist unteilbar und erblich . .. von Mann zu Mann . .. Frauen und ihre Nachkommen sind ausgeschlossen. ” Auch in den endgültigen Text der Verfassung von 1791 wurde diese Bestimmung aufgenommen Wenn dieses patriarchale Grundprinzip der männlichen Erbfolge hier von der Nationalversammlung so ungebrochen reproduziert wird, und zwar selbst für das Königshaus, so ist das Beweis dafür, daß „niedrigere" Frauen nicht im entferntesten auf Gleichstellung mit dem Mann auf irgendeinem Gebiet hoffen konnten. Das bedeutet: die Nationalversammlung vertrat neben dem bürgerlich-egalitären Rechtsprinzip das patriarchal-nichtegalitäre — oder salische Prinzip.

Nicht nur in dieser Hinsicht war also die politische Lage der Frauen ungleich schwieriger und komplizierter als die des Dritten Standes; sie standen in einem Zwei-Fronten-Krieg: Es galt nicht nur, den alten Machthabern, Königtum, Adel und Klerus, die Anerkennung der Frauenrechte abzuringen, sondern auch den neuen Machthabern, dem mächtigen Bürgertum, den Kleinbürgern und selbst den „Plebejern", die ihre Alleinherrschaft errichten wollten — unter Ausschluß aller Frauen.

Schon in den ersten zwei Jahren nach dem Sturm auf die Bastille hat Gouges mit bewunderungswürdigem Scharfsinn diese Entwicklung erkannt und gesehen, daß das „neue Regime“ die soziale und politische Lage der Frauen nicht verbesserte: „Diese Revolution wird sich nur dann verwirklichen, wenn alle Frauen ... vom Verlust ihrer Rechte ... überzeugt werden", mit anderen Worten, wenn sie ihre Lage erkennen und kämpfen. Geschieht das nicht, werden die Frauen — „die Hälfte des Königreiches" — rechtlos bleiben; aber auch die Revolution werde sich nicht verwirklichen: Es gibt keine wahre Befreiung, keinen Fortschritt ohne Befreiung der Frauen. Freiheit und Gleichheit sind verraten, wenn die Frauen unfrei und ungleich bleiben sollen.

Ihr Appell an die Königin ist trotz Einhaltung höfischer Form gekennzeichnet von Mut, Würde und Selbstbewußtsein. Es ist immerhin eine einfache Frau, die sich direkt an die Königin wendet mit der dringenden Bitte: „Unterstützen Sie ... verteidigen Sie dieses unglückliche Geschlecht..." Daß die Königin selbst in gewisser Weise zu diesem unglücklichen Geschlecht gehört, daß sie zum politischen Sündenbock für die Mißstände und Verbrechen des absolutistischen Staates gemacht wird, hat Gouges erkannt: „Als das ganze Reich Sie beschuldigte .... habe ich allein... die Kraft aufgebracht, Sie zu verteidigen." Es ist oft festgestellt worden, daß im Kampf des Bürgertums mit dem Absolutismus sich bereits die Vorboten einer neuen, unter diesem stehenden Klasse zu Wort meldeten und vom ersteren für seine politischen Ziele eingesetzt, dann aber um minimale Errungenschaften geprellt wurden. Es wurde bis jetzt in der etablierten Geschichtswissenschaft und in der Geschichte der politischen Theorie unterschlagen, daß sich zu diesem historischen Zeitpunkt auch die von der patriarchalen Haus-herrschaft unterdrückten Frauen als eigenständige politische Kraft zu formieren beginnen. Sie bekämpfen die Kirche und den Adel, den König und den Hof, aber sie kämpfen auch ganz eindeutig gegen die Männer, die Familienoberhäupter. Die Deklaration der Rechte der Frauen richtet sich ohne Um-schweifean und gegen den Mann: „Mann, bist du fähig, gerecht zu sein? Eine Frau stellt dir diese Frage."

Nach der Legitimität der „selbstherrlichen Macht" des Mannes über das weibliche Volk fragt sie, denn die „Revolutionäre", Freiheit und Gleichheit auf den Lippen, haben sich nicht gefragt, ob ihr Machtanspruch angesichts ihrer eigenen Prinzipien nicht illegitim, ein unerträglicher Widerspruch ist; sie haben die Frauen ohne Bedenken zu den Nicht-Menschen geschlagen — unter dem Vorwand der „Natur der Frau”. Gouges greift sogleich dieses Ideologem „Natur" auf und richtet es als ideologiekritische Waffe gegen den Patriarchen und Bürger: Die tyrannische Herrschaft des Mannes ist gegen die Natur. In der Natur-ordnung der Tiere gibt es keinen Beweis für die Tyrannei des männlichen Geschlechts über das weibliche, sondern vielmehr Beweise für die „harmonische Gemeinschaft" zwischen den Geschlechtern. Gouges ist mit ihrer Kritik am Mann, an den Philosophen nicht zurückhaltend: Er allein stellt sich außerhalb der Natur; blind trotz Aufklärung, unwissend trotz seines Privilegs der Wissenschaft, benutzt er in maßloser Arroganz seinen Intellekt lediglich dazu, eine Ausnahme von der natürlichen Ordnung zu konstruieren, weil er „despotisch über ein Geschlecht befehlen (will), das alle intellektuellen Fähigkeiten besitzt". Gegen das Verdikt, das die Frau a priori als nicht vernunftbegabt, als intellektuell minderwertig und deshalb bürgerrechtlich handlungsunfähig bezeichnet, wendet sie sich mit berechtigter Heftigkeit: Er selbst, so wirft sie dem Manne vor, „möchte von der Revolution profitieren, er verlangt sein Anrecht auf Gleichheit", aber zugleich will er ihr, der Frau, ihr legitimes Recht auf eben diese und damit ihren Anteil an der Revolution verweigern. Dieser schäbigen politischen Doppelmoral setzt sie ihren leidenschaftlichen Protest entgegen.

2. Die Deklaration der Frauenrechte — Antithese zur Deklaration der Männerrechte.

Ihrer direkten „Anrufung" des Mannes folgt die Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin, niedergeschrieben wahrscheinlich im September des Jahres 1791, die, als „Gesetzesvorlage" gedacht, von der Nationalversammlung verabschiedet werden sollte. Diese mächtige Versammlung denkt aber selbstre39 dend nicht im entferntesten daran, auch die Frauen in den „Rechtsstaat" aufzunehmen, nicht einmal eine sehr begrenzte Zahl, die bereits das Wahlrecht besaßen (subsidiär für den fehlenden Familienvater, wodurch sie in den Besitz eines eigenen Wohnsitzes gelangt waren). Statt das Wahlrecht auf alle Frauen oder zumindest auf einen größeren Kreis auszudehnen, wird es vollends abgeschafft. Kein geringerer als J. A.de Condorcet rügt diese politische Willkür.

Die Präambel der Frauen-Deklaration ist Kritik an der Deklaration der „Menschen“ rechte und Anklage an die Adresse der Nationalversammlung zugleich: „Die als Nationalversammlung vereinigten Vertreter des Französischen Volkes" (so nennen sie sich selbst im ersten Satz der Präambel der Männerrechtserklärung) werden darüber belehrt, daß sie beileibe nicht die Vertreter des französischen Volkes sind, daß vielmehr die Frauen-„Vertre-terinnen der Nation" nun kommen und sich — die Hälfte des Königreiches, des Volkes — selbst vertreten und „verlangen, in die Nationalversammlung aufgenommen zu werden“. Das ist zweifellos die Revolution der französischen Frauen gegen die Familienväter und Bürger, eine Infragestellung und Provokation der patriarchalen Macht, wie sie kühner und herausfordernder nicht denkbar ist und nie zuvor in der Geschichte gewagt wurde (soviel man weiß, jedenfalls nicht). Erst die Forderung nach Rechten für beide Klassen des Volkes berechtigt, von Menschenrechten zu sprechen; das ist von Seiten der bürgerlichen Revolutionäre nicht geschehen: Die männliche und die weibliche Menschheit steht sich in unversöhnlichem Antagonismus gegenüber. Das sogenannte Gemeinwohl ist das Allein-wohl der Besitzbürger und Familienoberhäupter. Es gibt zwischen diesen und den Frauen keine Interessenidentität.

Die legitimierende Begründung, mit welcher die männlichen Bürger für sich Freiheit und Gleichheit beanspruchen, übernehmen die Frauen nun für sich; sie schlagen die Männerrechtler mit ihren eigenen Waffen — mit der Naturrechtsargumentation: Was dem männlichen Bürger recht ist, ist der weiblichen Bürgerin billig, nämlich „natürliche und unveräußerliche Rechte“. Gouges läßt keinen Zweifel daran, daß sie die Frauen nicht nur als Passivbürgerinnen anerkannt sehen will, sondern als Teilhaberinnen an der Regierung, als Aktivbürgerinnen. Wohl nicht zufällig steht an erster Stelle der selbstbewußte Hinweis auf die Leistung der Mutterschaft, und zwar als Antithese zur (hier nicht genannten) generell überbewerteten Vaterschaft, die zur Legitimation der Privilegien der Väter dienen muß.

In Art. I nimmt Gouges die Idee des Naturzustandes auf und erklärt, daß dort die Frau „frei geboren" war. Freiheit als ein natürliches Recht, das unveräußerlich, nämlich unaufgebbar ist. Daher bleibt sie dem Manne gleich, darf nicht ungleich werden. Das patriarchale Naturrecht dagegen hatte nur den Mann als frei betrachtet und die Unterwerfung der Frau in den Naturzustand projiziert, als ihren spezifisch weiblichen Naturzustand, als Natur-gegebenheit" unterstellt. Und wo mitunter die Idee auftaucht, auch die Frau könne im Naturzustand frei gewesen sein, wird ihr Naturrecht als „veräußerlich" betrachtet: In der angeblich freiwilligen ehelichen Unterwerfung gibt die Frau durch ihren „Konsens" ihre Freiheit auf, folglich ist ihre Unfreiheit und. Ungleichheit legitim. Gouges erklärt nun den Naturzustand auch für die Frauen zu einem Zustand der Freiheit; folglich haben sie ein Recht, jetzt sofort wieder frei zu sein. Das ist der Inhalt der Worte: „Die Frau ist frei geboren", d. h. nicht im gegenwärtigen Frankreich, sondern in der Naturordnung. Gouges benutzt den Begriff Natur in antipatriarchaler Weise zur Begründung der Freiheit der Frau; die Bürger benutzen ihn zwecks Begründung ihrer eigenen Freiheit und zur Rechtfertigung der Unfreiheit der Frauen. Zum Verständnis dieser Natur-Ideologie muß verdeutlicht werden, daß mit einem doppelten Begriff von „Natur“ — von Seiten der Naturrechtsphilosophien — argumentiert wird: Die „Natur“

des Mannes (= Menschen) begründet seine Freiheit und Gleichheit mit anderen Männern, dagegen begründet die „Natur" der Frau (des Nicht-Mannes, des Nicht-Menschen) ihre „naturgegebene" Unfreiheit. Die Philosophie des patriarchalen Naturrechts differenziert den Begriffsinhalt strikt geschlechtsspezifisch. Aber die progressiven Prämissen des patriarchalen Naturrechts herausgenommen und, übernommen von Frauen, auf die Frauenfrage radikal egalitär angewendet, ergibt eine naturrechtliche Begründung der Frauenrechte und dient damit der Befreiung der Frau — das politisch-theoretische Gegenteil dessen, was die männlichen Naturrechtler geplant hatten.

In Art. II.definiert Gouges den Staatszweck völlig neu: Es hat wohl noch keine Staats-theorie gegeben, in welcher gefordert wurde, was sie als Zweck des Staates in seinem Verhältnis zu Frauen bestimmt, nämlich den ,Schutz der natürlichen und unveräußerlichen Rechte sowohl der Frau als auch des Mannes". Schutz der Rechte der Frauen — das bedeutet das Ende des allein von Familienvätern beherrschten und getragenen Staates. War der bisher „radikalste“ demokratische Entwurf eines Staatswesens so weit gegangen, die Versammlung der Familienväter als Gesetzgeber zu betrachten (so Pufendorf, Rousseau), die den Staat als Instrument der Sicherung ihrer Interessen handhaben (u. a. mittels der entsprechenden Ehe-und Eigentumsgesetze), so verlangt Gouges nichts weniger als einen „androgynen" Staat an Stelle des „maskulinen“, der auch aus Frauen besteht und den Zwecken der Frauen zu dienen hat wie denen der Männer.

Hatte das Bürgertum mit seiner Freiheits-und Gleichheits-Deklaration die bisher herrschende Klasse entmachtet, so tut Gouges ein gleiches mit den herrschenden Familienoberhäuptern (jedenfalls in der Theorie; daß die Praxis noch scheitert, hat viele Gründe): Sie sollen nicht mehr über den Frauen stehen, sondern zu den Frauen herab auf das gleiche Niveau kommen. Das ist der Sturz der Patriarchen-Herrschaft, der Sturz der bis dahin so mächtigen Hausväter in die gleiche Menschen-und Bürgerklasse wie die Frauen: Er soll nicht mehr ihr Herr, er soll ihr gleich sein. Diese radikal-egalitäre politische Theorie rüttelt an den Privilegien und der für selbstverständlich gehaltenen Macht über Frauen; sie fordert für das seit mehreren tausend Jahren rechtlose weibliche Volk das Gleiche, was die Männer für sich fordern: „Freiheit, Sicherheit (d. h. Durchsetzung des Rechts auch gegen den Willen des anderen, Anmerkung H. S.), das Recht auf Eigentum und besonders das Recht auf Widerstand gegen Unterdrückung“. Zweifellos politisch logisch und legitim, wenn man konsequent egalitär denkt. Gerade das tat das bürgerlich-patriarchale Frankreich nicht. Daß Frauen für sich das Recht auf Widerstand gegen die Familienväter, die Ehemänner zu fordern wagten, war eine Tollkühnheit: Die „revolutiären“ Männer reagierten schnell, brutal, diktatorisch. Die Artikel I-XVII der Frauenrechte sind weitestgehend eine Paraphrase der Deklaration der Männerrechte, aber sie fordern nicht nur strikt das Gleiche für die Frau, was die Männer für sich allein gefordert hatten, sie meldeten zudem Rechte an, deren die Frau als weiblicher Mensch, als Mutter bedarf. Doch die Deklaration der Frauenrechte ist noch weit mehr: nicht nur die Negation der männerspezifischen Forderungen (deren Anspruch auf Allgemeingültigkeit und Gemeinwohl sie der Unwahrheit überführt), die Frauen als von der Männergesellschaft Ausgeschlossene tun nicht das gleiche: Sie schließen die Männer nicht von Menschen-und Bürgerrechten und vom Staat aus, sondern beziehen sie ein in ihre Deklaration der Rechte. Sie ist damit die wahre Deklaration der Rechte der Menschen, denn sie gebietet Rechte für weibliche und männliche Menschen. Damit ist Gouges an demokratischer Radikalität und egalitärer Humanität und Moral den männlichen Philosophen und Politikern weit überlegen. Während die patriarchalen Revolutionäre über die von männerbündischer „Brüderlichkeit“ geprägte Frauenverachtung nicht hinauswachsen, holt diese Deklaration der Frauen utopisch weit aus und antizipiert eine egalitäre Gesellschaft, wie sie kein männlicher Theoretiker vor ihr und nach ihr gedacht hat. Denn das Unterwerfungsverhältnis Familienväter—Frauen soll beendet (nicht umgekehrt werden, wie von Antifeministen gern unterstellt wird) und durch Freiheit und Gleichheit der Frau ersetzt werden. Diese Gleichheit zwischen den weiblichen und männlichen Bürgern beinhaltet zugleich die politische Partizipation der Frauen als durchgehendes gesellschaftliches und staatliches Grundprinzip: das ist die politische Gewaltenteilung zwischen den Geschlechtern. Diese revolutionär-feministische Grundvorstellung prägt die Grundkategorien Freiheit, Gleichheit, Souveränität, Legitimität, Nation, Volk, Gemeinwohl usf.; sie haben in der Frauen-Deklaration einen völlig anderen, nicht-ideologischen Begriffsinhalt als in der Männer-Deklaration. Dort sind die Kategorien Volkssouveränität, Gemeinwohl, Menschheit, Volk, Individuen, Bürger, Vaterland usf. in ihrer Gültigkeit auf die Hälfte dessen reduziert, was sie verbal beinhalten, so daß ihr Sinn pervertiert ist: „Volk" meint keineswegs das Volk, sondern nur das männliche Volk; „Souveränität” ist nicht die höchste Gewalt und Autorität des Volkes, sondern nur der Familienväter; „Gemeinwohl" ist eben nicht das Wohl aller, das allgemeine Wohl, sondern nur das besondere Wohl der Männer unter Mißachtung des Allgemeinwohls Von Frauen und Kindern, das Alleinwohl des männlichen Geschlechts — die vielbeschworene „Brüderlichkeit" sagt es deutlich. Nur die Brüder sind Bürger und Individuen, Menschen. Das Vaterland ist das Land, das den Vätern gehört, nicht den Frauen. Die Rechtfertigung der Alleinherrschaft steckt in der Terminologie, in der Sprache, die, kritisch durchleuchtet, mehr politische Wahrheit transportiert, als sie sagen soll.

Diese vom Alleininteresse geprägten Begriffe und politischen Ansprüche werden durch die Frauen-Deklaration außer Kraft gesetzt. So erklärt Art. III jede Herrschaft für illegitim, wenn sie nicht von der Nation ausgeht; diese aber ist »eine Vereinigung von Frauen und Männern", und nicht nur eine Männervereinigung. Alle Theoretiker der »Souveränität" von Aristoteles bis Rousseau hatten lediglich die Absicht, einen höchst begrenzten Teil des Volkes zum Träger dieser Souveränität zu machen. Gouges erklärt solche patriarchale Souveränität für illegitim, das heißt konkret: Die von der Nationalversammlung ausgeübte Macht ist nicht rechtmäßig, sie ist nicht befugt, eine Verfassung auszuarbeiten und in Kraft zu setzen, denn die Volkssouveränität im egalitär-feministischen Sinne wird nicht von diesem Männerorgan verkörpert.

In Art. IV führt Gouges außer der Freiheit eine weitere Kategorie ein, die in der Männer-Deklaration fehlt, ihr aber offenbar sehr wichtig ist: »Gerechtigkeit". Im Namen von »Freiheit und Gerechtigkeit" fordert sie von den Männern zurück, was den Frauen einst — im Naturzustand — gehörte. Denn jetzt werden die natürlichen Rechte der Frauen durch die »fortdauernde Tyrannei" der Männer eingeschränkt. Den natürlichen Rechten darf jedoch nur durch »Gesetze der Natur und Vernunft“ eine Schranke gesetzt werden, auch im Falle der Frauen. Auch ihre natürlichen Rechte dürfen »keine anderen Grenzen (haben) als die, den anderen Mitgliedern der Gesellschaft den Genuß der gleichen Rechte zu sichern" — wie es in der Männer-Deklaration Art. IV heißt. Das bedeutet: Die bisher schrankenlose Macht des Mannes über seine (1) Frau soll eine Grenze haben, wie im Verhältnis Mann zu Mann (Bruder zu Bruder) — ein noch heute revolutionärer Gedanke. Nicht der Hausvater darf das Recht der Frau nach Belieben einschränken, sondern lediglich das Gesetz (das von Frauen mit verabschiedet worden ist). Mit diesen rechtsphilosophischen Vorstellungen wird die . Privatsphäre", das Terrain der Willkür des Hausvaters, aufgehoben und die Frauen in die rechtsstaatlich geordnete Gesellschaft einbezogen. Das Gesetz soll »Ausdruck des Gemeinwillen" sein, nicht des Alleinwillens der Bürgerpatriarchen — wie Rousseau sich das vorstellte: »Alle Bürgerinnen und Bürger sollen ... an ihrer (der Gesetze) Gestaltung mitwirken". So radikal-demokratisch haben noch nicht einmal die sozialistischen „Volksdemokratien" sich eine Partizipation der Frauen gedacht. Gouges eilt allen ihren Zeitgenossen um Jahrhunderte voraus in eine Realutopie, deren Konzeption noch heute unübertroffen ist. Daß Frauen „gleich sind vor den Augen des Gesetzes und gleichermaßen nach ihren Fähigkeiten ... zu allen Würden, Ämtern und Stellungen im öffentlichen Leben zugelassen werden" (Art. VI der Frauen-Deklaration), ist ein politisches Programm radikal-demokratischen und antipatriarchalen Charakters, daß es noch rund zweihundert Jahre später abgewehrt wird; die längst überfälligen Gleichheits-Ansprüche des weiblichen Volkes werden pejorativ als „Gleichmacherei" verpönt, das heißt, es wird weiterhin die Ungleichmacherei der Frauen verfochten.

Art. VII beinhaltet das Postulat, die Frau dem Strafrecht des Mannes zu unterstellen, denn es war üblich, daß eine Frau für das gleiche Delikt weit härter bestraft wurde als der Mann, der mitunter auch straffrei ausging (z. B. bei Ehebruch). Gouges will keine „Sonder" -regelungen für Frauen — soziale Außenseiter, wie die Juden, wurden Sondergesetzen unterstellt —, und sie wünscht auch nicht, daß Ehefrauen als deliktunfähige, nämlich — in der Diktion der Zeit — nicht vernunftbegabte Menschen behandelt werden.

Gouges fordert Redefreiheit für die Frauen und begründet dieses Bürgerrecht durch den bekannten — makabren — Umkehrschluß: Die Frau wird hingerichtet, also muß sie auch das Bürgerrecht auf freie und öffentliche Rede haben. Das heißt etwa: da die Justiz die Frau im Strafrecht als Rechtssubjekt, als für ihre Taten verantwortliches vernunftbegabtes Wesen betrachtet, muß sie sie auch im Hinblick auf Bürgerrechte als solches behandeln. Oder: da die Frau als Kriminelle dem Rechtsstaat untersteht, muß sie auch als Bürgerin an den Segnungen des Rechtsstaates teilhaben. Selbstredend verfährt der patriarchale Staat willkürlich: nur um sie zu strafen, zu verfolgen, behandelt er sie als Subjekt, will sie teilhaben an bürgerlichen Rechten, behandelt er sie als Objekt.

Art. XI beider Deklarationen fordert Gedanken-und Meinungsfreiheit. Für die Frau hat dieses Recht eine zusätzliche Bedeutung: sie bedarf dessen dringend, um (ohne Sanktionen fürchten zu müssen) sagen zu können, wer der Vater ihres Kindes ist. Offensichtlich ist an die uneheliche und außereheliche Geburt gedacht. An anderer Stelle plädiert sie für die Rechte der unehelichen Kinder, eilt also auch hier ihrer Zeit um Jahrzehnte voraus; dann da das nicht-eheliche Kind und seine Mutter außerhalb der Ehe völlig rechtlos sind, ist die Frau gezwungen, dem Ehemann ein Kind unterzuschieben, dessen Vater er nicht ist. Dieser unwürdige Zustand muß durch Unterdrückung der Wahrheit verborgen werden. Gouges fordert hier Gedanken-und Gewissensfreiheit für die Mütter, die Freiheit, öffentlich zu sagen, daß sie sexuell selbstbestimmend über ihren Körper verfügten. In diesen Zusammenhang gehört ein weiteres nämlich, daß die Väter dieser Postulat, Kinder sich zu ihrer Vaterschaft bekennen und die „Verleugnung des eigenen Blutes“ strafrechtlich geahndet wird. Das heißt natürlich, die patriarchale Ehe mit ihren Eigentumsrechten des Ehemannes an seiner Frau, an ihrem Körper und an ihren Kindern in höchstem Maße in Frage stellen. Damit ist, wenn auch noch in rudimentärer Form, etwas formuliert, was man das Grundrecht der Frau auf ihren eigenen Leib nennen kann, In Art. XIII legt Gouges den Frauen gleiche Steuerpflichten auf und verlangt auf Grund dieser Bürgerpflicht, das gleiche Recht auf öffentliche Ämter und Gewerbefreiheit. Sie berücksichtigt hier nicht hinreichend, daß die Steuerpflicht eigenes Einkommen oder Vermögen der Frauen voraussetzt, das sie zum Zeitpunkt dieser Deklaration nicht haben. Die Voraussetzung, nämlich Eigentum in Frauen-hand, fehlt, denn die Ehefrau, die im Hause arbeitet, hat überhaupt keines. Erwirbt sie etwas, fällt es dem Manne zu. Kapital, Gewerbe und Handel, selbst das Handwerk sind fast ausschließlich in Männerhand. Auch für die Frauen verlangt sie Geltung für den alten bürgerrechtlichen Schlachtruf: „no taxation without representation“. Da sie Steuern zahlen, haben sie auch das Recht, an der Kontrolle der öffentlichen Ausgaben mitzuwirken, d. h., sie müssen das Wahlrecht haben I Damit fordert Gouges bereits 1791 das allgemeine Wahlrecht für Frauen und Männer. Die Arbeiterbewegung Deutschlands brauchte noch rund hundert Jahre für diese Forderung als politischen Programmpunkt.

Alle diese Rechte der Frauen müssen vom Staat garantiert werden gemäß einer Verfassung, an deren Zustandekommen Frauen in gleicher Weise mitgewirkt haben. Geschieht das nicht, so befindet sich die Gesellschaft in verfassungslosem Zustand: „Es besteht keine Verfassung, wenn die Mehrheit der Individuen, die das Volk darstellen, an ihrem Zustandekommen nicht mitgewirkt hat.“

Der letzte Artikel der Frauen-Deklaration behandelt die Eigentumsverhältnisse. Er fordert konsequent die Aufteilung des Eigentums unter die Geschlechter, d. h. die Neuverteilung zu gleichen Teilen zwischen dem bisherigen Alleineigentümer, dem Familienvater, und seiner (eigentumslosen) Frau. Gouges scheint bereits sehr deutlich zu erkennen, daß die Rechtlosigkeit und politische Machtlosigkeit der Frauen auf der ungleichen Eigentumsverteilung zwischen den Geschlechtern beruht: die Familienväter und Ehemänner verfügen über fast alles Eigentum, die Frauen sind von ihnen völlig abhängig.

Hiermit enden die siebzehn Artikel der Deklaration der Frauenrechte und der Männer-rechte, doch die Frauendeklaration fährt fort mit einem rhetorisch eindrucksvollen „Nachwort", einem Aufruf an die Frauen, ihre Rechte wahrzunehmen. Die Gedanken der Einleitung werden wieder aufgenommen und die Männer der Revolution des Verrates an den Frauen angeklagt. Sie haben der Hilfe der Frauen bedurft, um den Absolutismus zu bekämpfen, aber nun, da sie selbst frei sind, verachten und verhöhnen sie die Frauen, die ebenfalls frei sein wollen. Der Kampf gegen die alten Kräfte war gemeinsam, die Früchte aber will der Mann für sich allein ernten. Zur Macht gekommen, kennt er die Frau nicht mehr — eine in der Geschichte oft wiederholte Konstellation im Verhältnis von „Revolutionären“ und weiblichen „Mitkämpferinnen“.

„... mit ihren eigenen Prinzipien in Widerstreit geraten“, errichten sie ihre politische Macht auf dem Rücken der Frauen, wie eh und je. 3. Contrat social zwischen Frauen und Männern: eine radikaldemokratische Utopie Es ist von besonderer Tragik, daß dieser scharfsinnigen politischen Schriftstellerin keine Zeit für ein umfassendes politisch-theoretisches Werk blieb. In nur vier Jahren etwa hat sie ihre politischen Schriften inmitten der größten Unruhen aufs Papier geworfen — mehr sozialkritische Skizzen als eine geschlossene politische Philosophie. So liefert sie hier, im Anschluß an ihre Deklaration, gewissermaßen im Parforceritt, eine Gesellschaftsanalyse und eine Vertragstheorie aus der Sicht der Frau. Begabt für politische Prophetie schreibt sie: „Mir reicht nur zu Weni43 gern die Zeit, doch dieses Wenige wird die Aufmerksamkeit der Nachwelt bis in die weiteste Ferne auf sich ziehen." Tatsächlich sind die Generalthemen zukünftiger Frauen-bewegungen bereits die ihren: ökonomische Verelendung, Prostitution, Zwangsehen, generelle Rechtlosigkeit, politische Machtlosigkeit, ungleiche Verteilung des Eigentums.

Vor der Revolution versuchten die Frauen, da sie keinen Anteil und Zugang zur Regierung und zu den mächtigen Institutionen hatten, auf indirektem Wege Einfluß zu nehmen. Offensichtlich beruhten ihre „Möglichkeiten“ auf mehr oder weniger unverhüllter Prostitution: „ein Geschlecht, das früher verachtenswert war, doch geehrt wurde, und seit der Revolution ehrenwert ist, doch verachtet wird". Eine bittere Dialektik, denn der Einsatz von Charme, sexuelle Verfügbarkeit und allgegenwärtige Prostitution waren der Männerwelt offenbar angenehmer als der politische Kampf der Frauen um Erwerbsarbeit und bürgerliche Rechte in den Revolutionsjähren. Dieser Kampf mußte äußerst hart sein: Die einzige Uberlebenschance der Frau in der feudal-bürgerlichen Gesellschaft sind ihre Jugend und Schönheit. Diesen einzigen „Besitz“ muß sie preisgeben für eine vorteilhafte Heirat oder für Zuwendungen. Nutzt sie diese prostituierende Chance zur Existenzsicherung nicht, gilt sie als verrückt, extravagant oder gar intellektuell. Je ungenierter es eine Frau durch diesen Selbstverkauf zu einer möglichst mehr als minimalen Existenzsicherung oder gar zu etwas Besitz brachte, je angesehener war sie. „Der Frauenhandel war eine Art Unternehmen.“ Die Abschaffung dieses Zustands ist für Gouges der Inhalt der Revolution: „Wenn dem nicht so wäre, dann hätte die Revolution für uns ihren Sinn verloren und wir würden unter neuen Vorzeichen weiterhin der Verderbheit ausgeliefert sein." Es ist interessant, daß sie historisch schon so früh dieses brisante Thema aufgreift, das von da an bis in die Gegenwart einer der wichtigsten Programmpunkte der radikalen Frauen-bewegungen sein wird: Abschaffung der Prostitution durch Bekämpfung des extremen wirtschaftlichen Elends 20); denn „jeder andere Weg, Wohlstand zu erwerben, ist der Frau verwehrt“. Alle Quellen von Wohlstand und Reichtum, ja für eine menschenwürdige Existenz sind auf Seiten der Männer. Dadurch ist der Mann im Verhältnis zur Frau in der Lage, „die Frau gleich einem Sklaven von den afrikanischen Küsten zu kaufen“ — in die Ehe, in der Prostitution, als Maitresse 21).

Die wahre soziale Realität des „galanten" Zeitalters sieht so aus, daß die „alte“ verbrauchte Frau von ihrem „Herrn" schutzlos, weil rechtlos ins Elend gestoßen und obendrein noch verachtet wird. Verlassene junge Mädchen, Mütter mit Kindern, sind völlig ohne Recht der Gnade der Männer ausgeliefert: Fallen sie in Ungnade, fallen sie schuldlos in die Tiefe des Lumpenproletariats, das für Frauen noch extremeren sozialen Niedergang, weil Prostitution bedeutet. Folgerichtig ruft Gouges nach Schutz durch Gesetze, die den Mann zwingen, sein Eigentum mit der Frau und den Kindern zu teilen, wenigstens um ihre nackte Existenz zu sichern. In den Klassen ohne Vermögen sinkt die Frau in „Armut und Schmach", denn sie hat keine Möglichkeit zur Arbeit außer Haus, im Handwerk etwa. Ganz besonders ungerecht und hart ist das Elend der unverheirateten Frau und ihres unehelichen Kindes, weil ihr durch „unmenschliche Gesetze" verboten ist, den Vater zu nennen und für die Existenzsicherung seines leiblichen Kindes heranzuziehen. Gouges bezieht sich auf Gesetz und Praxis des französischen Rechts vor und nach der Revolution (bis in die jüngste Vergangenheit geltend!), das besagt: „la recherche de la pater-nite est interdite". Es zeugt von Gouges'striktem Gerechtigkeitssinn, wenn sie es ebenso scharf verurteilt, daß eine verheiratete Frau ihrem Ehemann ein fremdes Kind unterschiebt, das dann Ansprüche gegen ihn hat — obwohl dieser Betrug nur die Folge der eigentlichen Ursache ist! Das Verhältnis der Geschlechter ist gekennzeichnet von Verleug-nung der eigenen Kinder von Seiten der Väter, von Ausbeutung unerfahrener Mädchen, Verstoßung von Frauen und Kindern, Willkür und Übermut der Männer, andererseits von lebensnotwendiger Hintergehung, Rechtlosigkeit und Armut der Frauen. Die „heilige" Ehe, das angebliche Sakrament, ist in ihren Augen „das Grab des Vertrauens und der Liebe".

ist Mir keine annähernd so radikale Ehekritik aus dieser Zeit bekannt, geschweige denn von Männerseite. Erst Ch. Fourier und J. S. Mill radikale Kritiker, sind ähnlich da sie sich entschieden den Frauen solidarisieren. Gouges ist Utopistin und Realistin zugleich: Sie weiß, daß der „Versuch, meinem Geschlecht eine ehrenhafte und gerechte Lebensgrundlage zu geben, zur Zeit noch nicht die Zustimmung der Allgemeinheit" findet, doch die „Regelung des ehelichen Verhältnisses“ ihr ist ein so dringendes revolutionierungsbedürftiges Anliegen, daß sie sogleich, konsequent die Vertragstheoretiker beim Wort nehmend, einen „Gesellschaftsvertrag zwischen Mann und Frau" entwirft. Der „Contract Social“ Rousseaus bezeichnet die Familie als „die einzig natürliche“ Gemeinschaft — ein Widerspruch in sich selbst, und folglich die Unterjochung der Frau als eine Naturgegebenheit. Auf Grund dieser Prämisse kommt das weibliche Volk in seinem Gesellschaftsmodell überhaupt nicht vor. Nicht einmal in der Diskussion der Familienverhältnisse wird die Frau und Mutter erwähnt; sie scheint nur aus dem Vater und „seinen“ Kindern zu bestehen. Die hochtrabenden Worte über Freiheit und Gleichheit und die Verwerflichkeit der Sklaverei sollen nur für das männliche Geschlecht, die Privatmänner, die von „Natur" aus ihre eigenen Herren sind, Geltung haben: „nun, ein Mensai, der sich zum Sklaven eines anderen macht, verschenkt sich nicht, sondern verkauft sich, billigstenfalls für seine Unterhaltskosten ... Ein solcher Akt ist ungesetzlich und nichtig, schon allein dadurch, daß einer, der das tut, nicht recht bei Sinnen ist ... Die Narrheit schafft kein Recht ... Auf sein? Freiheit verzichten heißt, auf seine Würde als Mensch, auf die Menschenrechte ... verzichten .... Ein solcher Verzicht ist mit der Natur des Menschen nicht vereinbar." Aber die Frauen sollen auf Menschenwürde verzichten. Gouges will an die Stelle des absoluten Unter-werfungsver-hältnisses ein vertragsrechtlich geregeltes Verhältnis von zwei gleichen und freien Individuen setzen. Das bedeutet, daß die Frau als autonomes, vertragschließendes Subjekt die Bedingungen des Zusammenlebens sowie Regelungen betreffend die Kinder und die Eigentumsfragen selbst bestimmt — ein juristischer Akt, in welchem Frau und Mann sich vertragen, statt daß die Frau als Besiegte und gehörsamspflichtige Ehefrau dem Hausherren unterworfen wird und dieser Unterjochung durch den „Ehekonsens“ auch noch zustimmt, wie gern unterstellt wird. Gouges Vertragstheorie folgt dem Muster des bürgerlichen Vertrages, wonach die vertraglichen Vereinbarungen auf individueller Ebene durch Gesetz und Autorität des Rechtsstaates gesichert werden. Die schrankenlose Freiheit und Willkür der Männer, „die so viele Opfer in die Hände der Schande, der Erniedrigung und Verwahrlosung menschlicher Prinzipien treibt", soll durch Gesetze eingeschränkt und durch Eigentumsrechte zugunsten der Frauen und Kinder ersetzt werden, so daß sie ohne Prostitution existieren und in Menschenwürde leben können. Das soll geschehen: 1. durch Teilung des Eigentums unter Ehepartnern, 2. durch Alimentationspflicht der Väter, 3. durch Entschädigung sexuell ausgebeuteter und dann verlassener Frauen, und 4. vor allem Zugang der Frauen zu allen Erwerbs-möglichkeiten, die bis jetzt das Monopol der Männer sind.

Durch die Sicherung von minimalen Eigentums-und Erwerbsrechten (es handelt sich dabei um die Sicherung des Existenzminimums und nicht um die Akkumulation von Kapital) sollen die Frauen in „Würde“ leben können, ihr Naturrecht endlich wieder hergestellt werden Die Eigentumsverhältnisse und die Frage, wie Frauen überhaupt etwas erwerben können, „das Recht der Frauen auf Erwerb" (so ein Titel von Louise Otto, allerdings erst reichlich ein halbes Jahrhundert später), stehen im Mittelpunkt ihres Denkens:

Sie weiß auch, daß in dieser Frage der größte Widerstand der Männer zu erwarten ist. In „eigenes Belieben" des Mannes darf die Eigentumsfrage nicht gestellt werden, sondern das Gesetz und der Staat muß das Recht der Frauen und Kinder auch gegen den Willen des Mannes erzwingen, so wie er die Einhaltung anderer Verträge — die zwischen Männern — erzwingt. Wie später die Frauen der anti-slavery-und der Frauen-Bewegung in den USA, erkennt auch sie schon die politischen Parallelen in der Situation von Frauen und Sklaven Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, das Recht auf Widerstand, das Recht auf Erwerb (d. h. das Recht auf Lohnarbeit) und Eigentum für alle Frauen, Menschenrechte, gleiche bürgerliche Rechte und die gleiche Partizipation am Staat — diese Forderungen sind noch heute aktuell.

Wenn ein Herausgeber von Rousseaus Contrat Social noch in jüngster Zeit behauptet: „Nach ihm hat niemand den Vertragsgedanken, der während eines Jahrtausends die rechtsstaatliche Entwicklung begleitete, weiterzubilden vermocht, so sehr hat ihm -Rous aufgedrückt.seau das Siegel der Vollendung In seinen Formulierungen hat er etwas Endgültiges, so daß die Vertragsidee mit seinem Namen verknüpft blieb ...der Contrat social (ist) Vollendung und Krönung des Natur-rechts" — so irrt er gründlich und überschätzt Rousseau maßlos. Die extreme Frauenfeindlichkeit fällt ihm gar nicht auf, geschweige denn, daß er sie zu kritisieren fähig wäre. Olympe Marie de Gouges hat mit ihrer Deklaration der Rechte der Frau und Bürgerin (und für die darin entwickelten Ideen und Erkenntnisse hatte sie nicht so viel Zeit wie die patriarchalen Naturrechtler) ein Jahrtausend der Diskussion des Rechtsstaates als Herren-Disput entlarvt und seine vermeintlich universalen und weisen Erkenntnisse als bornierte, extrem frauenverachtende Ideologie gekennzeichnet. Sie hat die Vertragsidee auf die bis dahin als Vertragsobjekte (d. h. als Eigentumsobjekte) betrachtete und behandelte weibliche und alle Menschheit ausgedehnt bisher von Männern betriebene politische Philosophie mit einem Wurf radikal-demokratisch überholt: nämlich die absolutistische Macht die der Familienväter über Frauen aufgekündigt. Ihr Zeitgenosse Th. G. von Hippel sprach von den „galanten Bastillen, häuslichen Zwingern und bürgerlichen Verließen“, in welche die Frauen eingesperrt sind, zu deren Zerstörung er — wie de Gouges — aufrief Daß es zu deren Beseitigung „allerdings heftiger politischer Kämpfe (bedarf), da die Herrschenden auf ihre Positionen nicht verzichten mochten (und niemals verzichtet haben)“ ist damals wie heute wahr.

III. Die Deklaration der Frauenrechte als Vorgeschichte der Grundrechte der Frau

Die Forderung nach Menschen-und Bürger-rechten und nach Änderung der Eigentumsverhältnisse auch für Frauen wurde 1793 von den Verfechtern der „Menschenrechte" im Blut erstickt. Wenn man weiß, daß Frauen be-reits damals in aller politischen Deutlichkeit forderten, was ihnen bis zum heutigen Tage verweigert wird, ahnt man etwas von der reaktionär-frauenfeindlichen Gewalt der pa-triarchal-bürgerlichen Herrschaft: „Im Jahre 1789 erschienen zur Wahlzeit mehrere Flugblätter, welche die Zulassung der Frauen zu den Generalständen forderten und gegen eine Nationalversammlung protestierten, von der die Hälfte der Nation ausgeschlossen wäre." Die Frauenkämpfe flammten 1830 und 1848 wieder auf; die Frauen wurden jetzt nicht nur von den Bürgern und Kleinbürgern, sondern auch von Arbeitern und Sozialisten verhöhnt und bekämpft. In den Unruhen und Kämpfen um die Pariser Commune von 1870 führte die Sozialistin und Feministin Louise Michel die außerordentlich erbitterten Frauen an, die wiederum an zwei Fronten kämpfen mußten: „Recht so! man hätte die Kaste der Frauen nicht von der Menschheit trennen sollen .. . Sklave ist der Proletarier, Sklave aller Sklaven ist die Frau des Proletariers... überall in dieser verdammten Gesellschaft leidet der Mensch; doch kein Schmerz ist dem der Frau vergleichbar" (L. Michel, Mmoires). Außerdem gab es in Frankreich eine Reihe von Prozessen um die Zuerkennung des sogenannten allgemeinen Wahlrechts auch für Frauen. Noch 1885 bescheinigte der Kassationsgerichtshof, „daß die Verfassung vom 4. November 1848, indem sie an Stelle des beschränkten Wahlrechts, von dem die Frauen ausgeschlossen waren, das allgemeine einführte, dieses nur den Bürgern des männlichen Geschlechts zu verleihen beabsichtigte ..."

Das glorreiche Frankreich ließ also seine Frauen 156 Jahre lang nach der Deklaration der „Menschenrechte" agitieren, demonstrieren, prozessieren, antichambrieren, bis 1945 endlich ein geringei und formaler Anteil an den Bürgerrechten, das Wahlrecht, gewährt wurde. Es gibt keinen Grund, die Geschichte der „Menschenrechte“ noch länger zu glorifizieren. Wenn Präsident Carter sich gegenwärtig an die Spitze einer internationalen Campagne für „Menschenrechte" setzt, so ist das insofern absurd, weil die weiblichen Menschen in den USA selbst nach zweihundert Jahren der Deklaration der Bill of Rights (1776) noch immer keine Menschen-und Bürgerrechte haben. Im Jahre 1776 galten die bürgerrecntlich-demokratischen Grundsätze nur für den weißen Mann. Nach dem Bürgerkrieg wurden sie auf den schwarzen Mann ausgedehnt: Er be-kam das Wahlrecht, die weißen und schwarzen Frauen aber wurden ausgeschlossen bis zum Jahre 19201 Das heißt nicht, daß damit generell die Prinzipien des Männer-und Bürgerrechts endlich auch für das weibliche Volk der USA gelten würden, denn bis zum heutigen Tage ist die amerikanische Verfassung nicht durch einen Verfassungszusatz des Inhalts, daß Frauen gleichberechtigt sind, geändert worden. Nicht einmal formalrechtlich, geschweige denn in der politischen und sozialen Praxis und auf ökonomischer Ebene haben die Frauen der USA gleiche Menschen-und Bürgerrechte wie jeder Mann. Diese Diskriminierung nach Geschlecht ist denn auch die Ursache der z. T. vehementen Protestformen der amerikanischen Frauenbewegung. Menschenrechte haben die Frauen nicht in den westlichen „Demokratien", nicht in den „Volksdemokratien" und schon gar nicht in der Dritten Welt. Wie in den Revolutionsjahren ist die Verweigerung und Verletzung der Menschenrechte aber nur dann ein politischer Skandal, wenn er Männer betrifft.

Wenn in einigen Verfassungen westlicher „Demokratien" und östlicher „Volksdemokratien" formale Vorschriften über gleiche Rechte für Frauen aufgenommen sind, so ist das nicht die sehr späte Folge der Erklärung der Männerrechte von 1789, sondern der Erklärung der Frauenrechte durch Olympe de Gouges. Ihre Deklaration wurde nicht offiziell und weltweit verbreitet, aber ihre Gedanken lebten überall fort, wo Frauen sich ihrer Entrechtung bewußt wurden, selbst wenn sie ihre Schrift nicht kannten. Die politisch-theoretischen Ideen ihrer Befreiung haben Frauen allein entworfen und sie in langen, oft heroischen Kämpfen versucht durchzusetzen, in der Regel gegen brutale und demütigende Repression. Wo immer ihnen heute in einem geringen, papiernen Zugeständnis „Gleichheit" zugebilligt ist, ist es ein Integrationsund Beschwichtigungsmanöver oder ein neues Mittel zur Ausbeutung; die patriarchale Gesellschaft hat auch heute noch nicht die Absicht, Frauen uneingeschränkt Menschen-und Bürgerrechte zuzugestehen. Es müßte beschämend für sie sein, daß ihr z. B. die Frauenbewegung der USA noch in diesen Jahren die politische Parole „Women are Peopl“ — „Frauen sind Menschen"! vor Augen halten mußte.

In Deutschland erklärte das Bürgertum im Jahre 1848 seinen Anspruch auf Menschen-und Bürgerrechte, und die Arbeiterschaft begehrte, in diese Rechte (und minimalen ökonomischen Voraussetzungen dafür) einbezogen zu werden — immer unter Ausschluß der Frauen. Marx hat in jenen Jahren die französische Deklaration der »Menschenrechte" scharf kritisiert, aber die Eskamotierung der Hälfte der Menschheit war kein Unrecht oder Irrtum, die ihm aufgefallen wären. Diese politische Blindheit und Unfähigkeit, die Frau als Menschen auch nur wahrzunehmen, kennzeichnet denn auch die umfangreiche wissenschaftliche Literatur, die zwar den Widerspruch zwischen formalen bürgerlichen Ansprüchen und der miserablen Praxis kritisiert, die durch die ungleichen Eigentumsverhältnisse geprägt ist, jedoch übersieht diese Literatur, daß es außer diesem Widerspruch noch einen viel eklatanteren zu benennen gilt: daß es nämlich eine Menschenklasse gibt, die auch formal, also in doppelter Weise, aus dem bürgerlichen Rechtsstaat ausgeschlossen ist. Zweifellos gibt es den Gegensatz zwischen Produktionsmittelbesitzern und jenen, die nur ihre Arbeitskraft besitzen, aber darunter gibt es noch jene, die weder über Produktionsmittel noch über ihre Arbeitskraft verfügen und daher auch der minimalsten ökonomischen Voraussetzungen für die Wahrnehmung bürgerlicher Rechte beraubt sind.

In Deutschland wagten die Frauen zu Beginn der autonomen bürgerrechtlichen Frauenbewegung (1843) nicht, in aller Entschiedenheit ihre Rechte anzumelden. Es gibt bezeichnenderweise kein ähnlich dezidiertes und forderndes Dokument wie die Declaration of Sentiments (Seneca Falls 1848) der Amerikanerinnen. Erst durch die Verfassung der Weimarer Republik von 1919 scheinen Frauen in die ursprünglich nur für Männer konzipierten Rechte mit einbezogen zu werden, indem erklärt wird, sie seien daran gleichberechtigt. Aber was das Verfassungsrecht proklamiert, wird weiterhin blockiert und durch das Fortbestehen des alten patriarchalen Ehe-und Familienrechts praktisch aufgehoben. Es besteht also auf formalrechtlicher Ebene bereits ein

Widerspruch zwischen Verfassungsrecht und »Privatrecht“. Dieser wurde auch durch das „Gleichberechtigungsgesetz''von 1957 nicht aufgehoben.

Der Erfolg des Bürgertums in der Französischen Revolution beruhte darauf, daß es mittels ökonomischer Macht, der Verfügung über das Instrument der Bildung und der öffentlichen Meinung, des politischen Organs der Nationalversammlung und nicht zuletzt über die Nationalgarden die herrschende Klasse von Adel und Klerus zum Verzicht auf ihre Privilegien und politische Alleinherrschaft zwingen konnte. Die Frauen verfügten über keines dieser Machtmittel. — Die Arbeiterschaft konnte sich, organisiert und verbündet mit einigen bürgerlichen Intellektuellen, in langen Kämpfen formal die Bürgerechte und einige ökonomische Grundrechte erkämpfen. Die Frauen bisher nicht.

Die „Menschen-und Bürgerrechte" als politisches Programm waren zugeschnitten auf männliches Geschlecht und Eigentum. Die Grundbedürfnisse der Frauen sind in vielen Aspekten denen der Männer gleich (das Recht auf die eigene Person, auf Erwerbsarbeit, Redefreiheit, Wahlrecht usf.), aber in einigen Aspekten sind sie anders, weil der weibliche Mensch als Mutter einen zusätzlichen und einmaligen Beitrag für die Erhaltung der menschlichen Gesellschaft erbringt, die leibliche Produktion des Menschen selbst. Diese Leistung, ihre soziale Bedeutung und sozialen Bedingungen müssen in den Katalog der Menschenrechte eingehen und vor allem das Recht der Frau an ihrem Leib und an ihrer Person sichern. In engem Zusammenhang damit steht das Recht der Kinder. Es gibt keine Menschenrechte ohne Mutterrecht und Kinderrecht. In diesem Sinne gilt es, die Männer-rechte zu transzendieren.

Wir danken Helene de Guebriant-Sesmaisons, Paris, für ihre Nachforschungen und Informationen zu einzelnen Fragen betreifend Leben, Werk und Einzelaspekte der politischen Ideen von O. M.de Gouges. Anhang Olympe Marie Aubry (Pseudonym: de Gouges)

An die Königin Übersetzung aus dem Französischen: Theresia Sauter Madame, Fern dem Redestil, den man mit Königen übt, möchte ich nicht zur Schmeichelei der Höflinge greifen, um Ihnen dieses seltene Werk zu widmen. Ich habe mir vorgenommen, mit Ihnen, Madame, offen zu reden. Um mich dergestalt auszudrücken, habe ich nicht das Zeitalter der Freiheit abgewartet. Mit der gleichen Entschlossenheit bin ich damals aufgetreten, als noch die Blindheit der Despoten eine so edle und kühne Tat bestraften. Als das ganze Reich Sie beschuldigte und Sie für sein Elend verantwortlich machte, habe ich allein in diesen bewegten und stürmischen Zeiten die Kraft aufgebracht, Sie zu verteidigen. Ich konnte nie daran glauben, daß einer Prinzessin, die in Glanz und Ehren groß geworden ist, alle Laster der Niedrigkeit anhängen sollten. Ja, als ich das Schwert gegen Sie, Madame, gerichtet sah, habe ich meine Worte zwischen dieses Schwert und das Opfer geworfen. Aber heute, wo ich sehe, daß man die Masse der bestochenen Meuterer im Auge behält und diese sich aus Angst vor dem Gesetz ruhig verhalten, kann ich Ihnen, Madame, etwas sagen, was ich Ihnen damals nicht anvertraut hätte.

Möge, Madame, eine edlere Aufgabe Sie auszeichnen, Ihren Ehrgeiz wecken, Ihre Blicke lenken. Nur derjenigen steht es an, welche der Zufall auf einen so hohen Platz erhoben hat, der Entfaltung und Verbreitung der Rechte der Frau Gewicht zu verleihen und deren Erfolg zu beschleunigen. Wären Sie weniger gebildet, Madame, dann könnte ich befürchten, daß Sie Ihr Geschlecht über Ihre privaten Interessen vergäßen. Sie lieben den Ruhm. Bedenken Sie, Madame, daß die größten Verbrechen wie die größten Tugenden in die Geschichte eingehen. Doch welch unterschiedlicher Ruhm in den Annalen der Geschichte I Der eine wird stets als Beispiel angeführt, der andere ewig ein Greuel der Menschheit bleiben.

Man wird es Ihnen nie als Verbrechen anrechnen, an der Restauration der Sitten mitzuarbeiten, Ihrem Geschlecht zur Fülle der Kraft zu verhelfen, deren es fähig ist. Das kann nicht an einem Tag bewältigt werden, leider auch nicht unter dem Neuen Regime. Diese Revolution wird sich nur dann verwirklichen, wenn alle Frauen von ihrem beklagenswerten Los und vom Verlust ihrer Rechte in der Gesellschaft überzeugt sein werden. Unterstützen Sie, Madame, eine so schöne Sache. Verteidigen Sie dieses unglückliche Geschlecht, und Sie werden bald die Hälfte des Königreichs auf Ihrer Seite haben, und mindestens ein Drittel der anderen.

Dies, Madame, dies sind die Taten, durch die Sie sich hervortun, für die Sie ihren Einfluß geltend machen können. Glauben Sie mir, Madame, das'Leben ist wenig wert, besonders für eine Königin, wenn dieses Leben nicht durch die Liebe zu den Menschen und durch das beglückende Gefühl, wohltätig zu sein, verschönert wird.

Mit der tiefsten Ehrerbietung verbleibe ich, Madame, Ihre demütige und gehorsame Dienerin, De Gouges. Die Rechte der Frau Mann, bist du fähig, gerecht zu sein? Eine Frau stellt dir diese Frage. Dieses Recht wirst du ihr zumindest nicht nehmen können. Sag mir, wer hat dir die selbstherrliche Macht verliehen, mein Geschlecht zu unterdrücken? Deine Kraft? Deine Talente? Betrachte den Schöpfer in seiner Weisheit. Durchlaufe die Natur in all ihrer Majestät, die Natur, der du dich nähern zu wollen scheinst, und leite daraus, wenn du es wagst, ein Beispiel für diese tyrannische Herrschaft ab. Geh zu den Tieren, befrage die Elemente, studiere die Pflanzen, ja wirf einen Blick auf den Kreislauf der Natur und füge dich dem Beweis, wenn ich dir die Mittel dazu in die Hand gebe. Suche, untersuche und unterscheide, wenn du es kannst, die Geschlechter in der Ordnung der Natur, überall findest du sie ohne Unterschied zusammen, überall arbeiten sie in einer harmonischen Gemeinschaft an diesem unsterblichen Meisterwerk.

Nur der Mann hat sich aus der Ausnahme ein Prinzip zurechtgeschneidert. Extravagant, blind, von den Wissenschaften aufgeblasen und degeneriert, will er in diesem Jahrhundert der Aufklärung und Scharfsichtigkeit, doch in krassester Unwissenheit, despotisch über ein Geschlecht befehlen, das alle intellektuellen Fähigkeiten besitzt. Er möchte von der Revolution profitieren, er verlangt sein Anrecht auf Gleichheit, um nicht noch mehr zu sagen.

Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin Von der Nationalversammlung am Ende dieser oder bei der nächsten Legislaturperiode zu verabschieden PRÄAMBEL Wir, Mütter, Töchter, Schwestern, Vertreterinnen der Nation, verlangen, in die Nationalversammlung aufgenommen zu werden. In Anbetracht dessen, daß Unwissenheit, Vergeßlichkeit oder Mißachtung der Rechte der Frauen die alleinigen Ursachen öffentlichen Elends und der Korruptheit der Regierungen sind, haben wir uns entschlossen, in einer feierlichen Erklärung die natürlichen, unveräußerlichen und heiligen Rechte der Frau darzulegen, auf daß diese Erklärung allen Mitgliedern der bürgerlichen Gesellschaft ständig vor Augen, sie unablässig an ihre Rechte und Pflichten erinnert; auf daß die Machtausübung von Frauen ebenso wie . jene von Männern jederzeit am Zweck der politischen Einrichtungen gemessen und somit auch mehr geachtet werden kann; auf daß die Beschwerden von Bürgerinnen, nunmehr gestützt auf einfache und unangreifbare Grundsätze, sich immer zur Erhaltung der Verfassung, der guten Sitten, und zum Wohl aller auswirken mögen.

Das an Schönheit wie Mut im Ertragen der Mutterschaft überlegene Geschlecht anerkennt und erklärt somit, in Gegenwart und mit dem Beistand des Allmächtigen, die folgenden Rechte der Frau und Bürgerin:

ARTIKEL I Die Frau ist frei geboren und bleibt dem Manne gleich in allen Rechten. Die sozialen Unterschiede können nur im allgemeinen Nutzen begründet sein.

ARTIKEL II Ziel und Zweck jedes politischen Zusammenschlusses ist der Schutz der natürlichen und unveräußerlichen Rechte sowohl der Frau als auch des Mannes. Diese Rechte sind: Freiheit, Sicherheit, das Recht auf Eigentum und besonders das Recht auf Widerstand gegen Unterdrückung.

ARTIKEL III Die Legitimität jeder Herrschaft ruht wesentlich in der Nation, die nichts anderes darstellt als eine Vereinigung von Frauen und Männern. Keine Körperschaft und keine einzelne Person kann Macht ausüben, die nicht ausdrücklich daraus hervorgeht. ARTIKEL IV Freiheit und Gerechtigkeit bestehen darin, den anderen zurückzugeben, was ihnen gehört. So wird die Frau an der Ausübung ihrer natürlichen Rechte nur durch die fortdauernde Tyrannei, die der Mann ihr entgegensetzt, gehindert. Diese Schranken müssen durch Gesetze der Natur und Vernunft revidiert werden.

ARTIKEL V Die Gesetze der Natur und Vernunft wehren alle Handlungen von der Gesellschaft ab, die ihr schaden könnten. Alles, was durch diese weisen und göttlichen Gesetze nicht verboten ist, darf nicht behindert werden, und niemand darf gezwungen werden, etwas zu tun, was diese Gesetze nicht ausdrücklich vorschreiben.

ARTIKEL VI Recht und Gesetz sollten Ausdruck des Gemeinwillens sein. Alle Bürgerinnen und Bürger sollen persönlich oder durch ihre Vertreter an ihrer Gestaltung mitwirken. Es muß für alle das gleiche sein. Alle Bürgerinnen und Bürger, die gleich sind vor den Augen des Gesetzes, müssen gleichermaßen nach ihren Fähigkeiten, ohne andere Unterschiede als die ihrer Tugenden und Talente, zu allen Würden, Ämtern und Stellungen im öffentlichen Leben zugelassen werden.

ARTIKEL VII Für Frauen gibt es keine Sonderrechte; sie werden verklagt, in Haft genommen und gehalten, wo immer es das Gesetz vorsieht. Frauen unterstehen wie Männer den gleichen Strafgesetzen.

ARTIKEL VIII Das Gesetz soll nur Strafen verhängen, die unumgänglich und offensichtlich notwendig sind, und niemand darf bestraft werden, es sei denn kraft eines rechtsgültigen Gesetzes, das bereits vor dem Delikt in Kraft war, und das legal auf Frauen angewandt wird.

ARTIKEL IX Die gesetzliche Strenge muß gegenüber jeder Frau walten, die für schuldig befunden wurde.

ARTIKEL X Wegen seiner Meinung, auch wenn sie grundsätzlicher Art ist, darf niemand verfolgt werden. Die Frau hat das Recht, das Schafott zu besteigen. Sie muß gleichermaßen das Recht haben, die Tribüne zu besteigen, vorausgesetzt, daß ihre Handlungen und Äußerungen die vom Gesetz gewahrte öffentliche Ordnung nicht stören.

ARTIKEL XI Die freie Gedanken-und Meinungsäußerung ist eines der kostbarsten Rechte der Frau, denn diese Freiheit garantiert die Vaterschaft der Väter an ihren Kindern. Jede Bürgerin kann folglich in aller Freiheit sagen: „Ich bin die Mutter eines Kindes, das du gezeugt hast", ohne daß ein barbarisches Vorurteil sie zwingt, die Wahrheit zu verschleiern. Dadurch soll ihr nicht die Verantwortung für den Mißbrauch dieser Freiheit in den Fällen, die das Gesetz bestimmt, abgenommen werden.

ARTIKEL XII Die Garantie der Rechte der Frau und Bürgerin soll dem allgemeinen Nutzen dienen. Diese Garantie soll zum Vorteil aller, und nicht zum persönlichen Vorteil derjenigen, denen sie anvertraut ist, sein.

ARTIKEL XIII Für den Unterhalt der Polizei und für die Verwaltungskosten werden von der Frau wie vom Manne gleiche Beiträge gefordert. Hat die Frau teil an allen Pflichten und Lasten, dann muß sie ebenso teilhaben an der Verteilung der Posten und Arbeiten, in niederen und hohen Ämtern, und im Gewerbe. ARTIKEL XIV Die Bürgerinnen und Bürger haben das Recht, selbst oder durch ihre Repräsentanten über die jeweilige Notwendigkeit der öffentlichen Beiträge zu befinden. Die Bürgerinnen können dem Prinzip, Steuern in gleicher Höhe aus ihrem Vermögen zu zahlen, nur dann beipflichten, wenn sie an der öffentlichen Verwaltung teilhaben und die Steuern, ihre Verwendung, ihre Einziehung und Zeitdauer mit festsetzen.

ARTIKEL XV Die weibliche Bevölkerung, die gleich der männlichen Beiträge leistet, hat das Recht, von jeder öffentlichen Instanz einen Rechenschaftsbericht zu verlangen.

ARTIKEL XVI Eine Gesellschaft, in der die Garantie der Rechte nicht gesichert und die Trennung der Gewalten nicht festgelegt ist, hat keine Verfassung. Es besteht keine Verfassung, wenn die Mehrheit der Individuen, die das Volk darstellen, an ihrem Zustandekommen nicht mitgewirkt hat.

ARTIKEL XVII Das Eigentum gehört beiden Geschlechtern vereint oder einzeln. Jede Person hat darauf ein unverletzliches und heiliges Anrecht. Niemandem darf es als eigentliches Erbteil vorenthalten werden, es sei denn, eine öffentliche Notwendigkeit, die rechtmäßig ausgewiesen wurde, mache es erforderlich, natürlich unter der Voraussetzung einer gerechten und vorher festgesetzten Entschädigung.

NACHWORT Frauen, wacht aufl Die Stimme der Vernunft läßt sich auf der ganzen Welt vernehmen! Erkennt eure Rechte! Das gewaltige Reich der Natur ist nicht mehr umstellt von Vorurteilen, Fanatismus, Aberglauben und Lügen. Die Fackel der Wahrheit hat alle Wolken der Dummheit und Gewalttätigkeit vertrieben. Der versklavte Mann hat seine Kräfte verdoppelt. Er hat eurer Kräfte bedurft, um seine Ketten zu zerbrechen. In Freiheit versetzt, ist er nun selbst ungerecht geworden gegen seine Gefährtin. O Frauen! Frauen, wann hört ihr auf, blind zu sein? Welches sind die Vorteile, die ihr aus der Revolution gezogen habt? Ihr werdet noch mehr verachtet, noch schärfer verhöhnt. In den Jahrhunderten der Korruption habt ihr nur über die Schwächen der Männer geherrscht. Euer Reich ist zerstört! Was bleibt euch denn? Die Überzeugung von der Ungerechtigkeit des Mannes, die Forderung nach eurem Erbe, die ihr aus den weisen Gesetzen der Natur ableitet. Was habt ihr zu befürchten bei einem so hoffnungsvollen Unternehmen? Den Verweis des Herrn bei der Hochzeit von Kanaan? Habt ihr Angst, daß unsere französischen Gesetzgeber — Verfechter jener Moral, die sich lange Zeit in allen Zweigen der Politik eingenistet hatte, heute aber darin keinen Platz mein hat — euch ebenfalls sagen könnten: „Frauen, was gibt es Gemeinsames zwischen euch und uns?“ „Alles!" würdet ihr darauf antworten. Wenn sie beharrlich fortfahren, duich diese Unvernunft, aus einem Gefühl der Schwäche heraus, mit ihren eigenen Prinzipien in Widerstreit zu geraten, dann stellt tapfer die Macht der Vernunft den eitlen Uberlegenheitsansprüchen entgegen. Vereinigt euch unter dem Banner der Philosophie, entfaltet alle eure charakterlichen Kräfte, und ihr werdet bald diese stolzen, nicht untertänigen Verehrer zu euren Füßen haben, jetzt jedoch stolz darüber, mit euch die Schätze des Allmächtigen zu teilen. Was auch immer die Hürden sein werden, die man euch entgegenstellt, es liegt in eurer Macht, sie zu überwinden. Ihr müßt es nur wollen.

Kommen wir nun zu dem schrecklichen Bild des Zustandes, in dem euch die Gesellschaft gehalten hat. Und da im Augenblick von einem öffentlichen Bildungswesen die Rede ist, wollen wir sehen, ob unsere weisen Gesetzgeber in vernünftiger Weise an die l Bildung der Frauen denken werden.

Die Frauen haben mehr Schaden angerichtet als Gutes getan. Auferlegte Zwänge und Heimlichkeiten waren ihnen eigen. Was ihnen durch Gewalt entrissen worden ist, haben sie durch Hinterlistigkeit zurückgewonnen. Sie haben alle Möglichkeiten ihres Charmes ausgeschöpft, und der ehrenhafteste Mann konnte ihnen nicht widerstehen. Das Gift, die Waffe, alles stand ihnen zu Diensten. Das Verbrechen wie die Tugend waren in ihrer Gewalt. Jahrhundertelang stand besonders die französische Regierung in der Abhängig-keit von Frauen, die nachts Politik betrieben. Das Kabinett war vor ihren Indiskretionen nicht sicher. Ebensowenig die Botschaft, die Heerführung, das Ministerium, die Präsidentschaft, das Bischofs-und Kardinalamt. Ja alles, was die Dummheit der Männer ausmacht, ob im säkularen oder im religiösen Bereich, alles war der Habgier und der Ambition dieses Geschlechts unterworfen, ein Geschlecht, das früher verachtenswert war, doch geehrt wurde, und seit der Revolution ehrenwert ist, doch verachtet wird.

Wie viele Bemerkungen wollte ich doch zu dieser Art von Antithese machen! Mir reicht nur zu wenigen die Zeit, doch dieses Wenige wird die Aufmerksamkeit der Nachwelt bis in die weiteste Ferne auf sich ziehen. Unter dem Ancien Regime war alles lasterhaft, alles schuldig. Doch konnte man denn nicht eine Verbesserung der Dinge im Kern des Lasters selbst erkennen? Eine Frau brauchte nur schön oder lieblich zu sein. Besaß sie diese beiden Vorteile, dann sah sie hundert Reichtümer zu ihren Füßen liegen. Wenn sie davon nicht profitierte, dann hatte sie einen eigenartigen Charakter, oder eine seltene philosophische Haltung, die sie Schätze verachten hieß. Sie wurde dann nur noch für verrückt gehalten. Die Schamloseste verschaffte sich ihr Ansehen mit Gold. Der Frauenhandei war eine Art Unternehmen, das in die oberste Schicht Eingang fand; doch wird er fortan keinen Kredit mehr genießen. Wenn dem nicht so wäre, dann hätte die Revolution für uns ihren Sinn verloren, und wir würden unter neuen Vorzeichen weiterhin der Verderbtheit ausgeliefert sein. Doch müssen wir nicht zugeben, daß in einer Gesellschaft, wo der Mann die Frau gleich einem Sklaven von der afrikanischen Küste kauft, ihr jeder andere Weg, Wohlstand zu erwerben, verwehrt ist? Natürlich ist der Unterschied groß. Die Frau als Sklavin befiehlt dem Herrn. Doch wenn der Herr sie ohne Abfindung freiläßt, in einem Alter, wo die „Sklavin" alle ihre Reize verloren hat, was wird dann aus dieser Unglücklichen? Ein Gegenstand der Verachtung. Selbst die Türen karitativer Fürsorge sind ihr verschlossen. Sie ist arm und alt, wird man sagen, warum hat sie nicht vorgesorgt? Ich kann noch traurigere Beispiele anführen. Ein unerfahrenes Mädchen wird von einem Mann, den sie liebt, verführt, verläßt ihre Eltern, um ihm zu folgen. Der Skrupellose verläßt sie nach einigen Jahren. Seine Treulosigkeit wird um so unmenschlicher, je mehr Jahre sie bei ihm verbracht hat. Hat sie Kinder, verläßt er sie trotzdem. Ist er reich, sieht er sich nicht genötigt, sein Vermögen mit seinen edlen Opfern zu teilen. Hat er durch ein Versprechen seine Verpflichtungen besiegelt, dann wird er sein Wort brechen und sich auf die Gesetze verlassen. Ist er verheiratet, dann verliert jedes eingegangene Versprechen an Rechtskraft. Welche Gesetze müssen gemacht werden, um das Laster an seiner Wurzel zu packen? Solche, die der Aufteilung des Vermögens zwischen Männern und Frauen, und ihrer öffentlichen Handhabung dienen. Es ist leicht zu erkennen, daß sich für diejenige, die einer reichen Familie entstammt, eine gleiche Aufteilung des Vermögens vorteilhaft auswirken wird. Doch welches Los trifft die verdienst-und tugendreiche Tochter einer armen Familie? Armut und Schmach. Denn hat sie sich nicht in der Musik und Malerei ausgezeichnet, dann wird ihr jede öffentliche Betätigung verweigert, auch wenn sie dazu alle nötigen Fähigkeiten besitzt. Ich will hier nur einen kurzen Überblick über die Lage der Dinge geben. In der neuen Auflage meiner gesamten politischen Schriften, die ich, mit Anmerkungen versehen, dem Publikum in wenigen Tagen darzubieten hoffe, werde ich die Situation eingehender beschreiben.

Kommen wir auf die Problematik der Sitten zurück. Die Ehe ist das Grab des Vertrauens und der Liebe. Eine verheiratete Frau kann ungestraft ihrem Gatten Kinder gebären, die von einem andern Mann gezeugt wurden, und ihnen dadurch ein Vermögen sichern, das ihnen nicht zusteht. Die unverheiratete Frau ist rechtlich in einer schwachen Position: die alten und unmenschlichen Gesetze verweigern ihr für ihre Kinder den Anspruch auf den Namen und das Gut ihres leiblichen Vaters, und man hat in dieser Sache keine neuen Gesetze erlassen. Wenn geglaubt wird, daß mein Versuch, meinem Geschlecht eine ehrenhafte und gerechte Lebensgrundlage zu geben, zur Zeit noch nicht die Zustimmung der Allgemeinheit finde, oder ich damit ein Ding der Unmöglichkeit versuche, dann lasse ich den Männern der kommenden Generation die Ehre, diese Sache zu behandeln. Doch mittlerweile kann man sie durch die staatliche Erziehung, die Erneuerung der Sitten und durch Regelung des ehelichen Verhältnisses vorbereiten. Entwurf eines Gesellschaftsvertrages zwischen Mann und Frau Wir, N und N, gehen auf Grund eigener Entscheidung auf Lebenszeit und für die Dauer unserer gegenseitigen Zuneigung zu folgenden Bedingungen eine Bindung ein: Wir beabsichtigen und wollen unser Vermögen Zusammenlegen und gemeinschaftlich verwalten, wobei wir uns das Recht vorbehalten, es zugunsten unserer gemeinsamen und der Kinder zu teilen, die aus einem anderweitig eingegangenen Verhältnis hervorgehen könnten. Wir erkennen gegenseitig an, daß unser Eigentum direkt unseren Kindern, aus welcher Verbindung sie auch stammen mögen, gehört, und daß alle unterschiedslos das Recht haben, den Namen der Väter und Mütter, die sich zu ihrer Elternschaft bekannt haben, zu tragen, und wir wollen das Gesetz unterschreiben, das die Verleugnung des eigenen Blutes bestraft. Wir verpflichten uns ebenfalls, im Falle einer Trennung unser Vermögen zu teilen und davon den Anteil unserer Kinder, wie er gesetzlich festgelegt ist, abzusetzen. Im Falle einer dauerhaften Verbindung würde der Ehepartner nach seinem Tode die Hälfte seines Eigentums zugunsten seiner Kinder abtreten. Wenn einer der beiden ohne Kinder stirbt, würde der überlebende von Rechts wegen erben, außer der Verstorbene hätte über die Hälfte seines gemeinschaftlichen Vermögens zugunsten eines anderen, den er dafür vorgesehen hat, verfügt.

Das ist so ungefähr die Form des Ehevertrags, den ich zur Ratifizierung unterbreite. Ich sehe im Geiste vor mir die Heuchler, die Prüden, den Klerus und die ganze teuflische Gefolgschaft, wie sie beim Lesen dieser ungewöhnlichen Schrift die Stimmen gegen mich erheben. Doch welches moralische Mittel wird sie den Weisen in die Hand geben, um zur Vervollkommnung einer glücklichen Regierung zu gelangenl Ich werde dafür mit einigen Worten einen konkreten Beweis geben. Der reiche kinderlose Epikureer findet nichts dabei, wenn er zu seinem armen Nachbarn geht und dessen Familie vermehrt. Wenn es einmal ein Gesetz gibt, das es der Frau des armen Mannes erlaubt, den Reichen zur Anerkennung seiner Kinder zu zwingen, dann werden sich die gesellschaftlichen Bande enger schließen, und die Sitten werden sich verbessern. Dieses Gesetz wird vielleicht das öffentliche Eigentum der Gemeinde bewahren und der Zerrüttung Einhalt gebieten, die so viele Opfer in die Hände der Schande, der Erniedrigung und Verwahrlosung menschlicher Prinzipien treibt, in der seit langem die Natur schmachtet. Wollten doch die Gegner dieser gesunden Philosophie mit ihrem Geschrei von wegen primitiver Sitten aufhören und ihre Zitate an der Quelle überprüfen 1).

Ich würde auch gern ein Gesetz sehen, das die Witwen und ledigen Frauen begünstigt, die durch falsche Versprechen eines Mannes, mit dem sie sich liiert haben, hintergangen wurden. Ich möchte, daß dieses Gesetz einen Treulosen dazu zwingt, seine Versprechen einzulösen, oder eine seinem Vermögen entsprechende Entschädigung zu entrichten. Ich möchte, daß dieses Gesetz auch gegen Frauen streng vorgeht, zumindest gegen diejenigen, die sich erfrechen, ein Gesetz für sich in Anspruch zu nehmen, das sie durch eigene Verfehlungen, falls diese nachgewiesen werden können, verletzt haben. Gleich» zeitig möchte ich, wie ich es 1788 in meiner Schrift „Vom ursprünglichen glücklichen Zustand des Menschen“ dargelegt habe, daß den Straßenmädchen für sie bestimmte Viertel zugewiesen werden. Denn nicht die Straßenmädchen, sondern die Frauen der respektablen Gesellschaft tragen am meisten zu der Verwahrlosung der Sitten bei. Wenn die letzteren einen sittlichen Auftrieb erhalten, führt dies auch zu einer Veränderung der ersteren. Diese Verkettung von brüderlichem Miteinander wird anfänglich Verwirrung stiften, doch in der Folge wird es schließlich ein vollkommenes Ganzes bilden.

Ich biete ein untrügliches Mittel an, die Würde der Frauen zu heben, nämlich, sie mit den Männern zusammen an allen Erwerbszweigen teilhaben zu lassen. Wenn der Mann darauf beharrt, daß dieses Mittel unpraktikabel sei, dann soll er sein Vermögen mit der Frau teilen, nicht nach eigenem Belieben, sondern nach der Weisheit der Gesetze. Dann werden die Vorurteile fallen, die Sitten werden reiner, und die Natur wird alle ihre Rechte zurückgewinnen.

Paris, 1791

Fussnoten

Fußnoten

  1. Z. B. Walter Grab (Hrsg.), Die Französische Revolution. Eine Dokumentation, München 1973. Diese Quellensammlung enthält keinen einzigen Text von Frauen, nicht einmal die Deklaration der Frauenrechte. Der Name Olympe de Gouges ist dem Herausgeber völlig unbekannt. In seiner Zeittafel sind die von Frauen getragenen Ereignisse der Revolution unterschlagen. Daß der folgenreiche Zug nach Versailles von Frauen angeführt wurde, bleibt ungesagt. Im Literaturverzeichnis wird zwar Jules Michelet, Geschichte der französischen Revolution, genannt, daß der gleiche Autor auch ein Werk mit dem Titel „Die Frauen der französischen Revolution'geschrieben hat, ist dem Gelehrten unbekannt. Da die bekannte, seinerzeit berühmte und politisch bedeutende Frauenkämpferin Rose Lacombe im Quellentext genannt wird, schreibt Grab in einer Anmerkung: „Diese Damen waren Mitglieder des Frauenklubs Revolutionäre Republikanerinnen!..." Diese Revolutionärinnen nennt er „Damen“, und das, obwohl ihnen von einem Zeitgenossen höchste Anerkennung ausgesprochen wird (ebenda, S. 185). Ein weiterer, vom gleichen Herausgeber zu verantwortender Band: Die Debatte um die französische Revolution, München 1975, enthält nicht einen einzigen Aufsatz zur Frauensituation in Frankreich. Die Blindheit und Einseitigkeit dieser Art Wissenschaft wird nur übertroffen von ihrem Zynismus und Antifeminismus: politisch aktive Frauen sind nur als Sexualobjekte interessant, weil verwerflich, „verwöhnt“ und angeblich auf „Brüder der Revolution“ politisch angewiesen. Siehe Richard C. Cobb, Berechtigte Empörung, S. 241 f. Das Namensregister nennt O.de Gouges nicht

  2. Siehe dazu Manfred Erle, Die Ehe im Naturrecht des 17. Jahrhunderts, Göttingen 1952.

  3. M. Lepetelier, Plan einer Nationalerziehung, 1794, in: Politik und Schule von der Französischen Revolution bis zur Gegenwart, Band 1, hrsg. von Berthold Michael und Heinz-Hermann Schepp, Frankfurt 1973, S. 135.

  4. Seine In pädagogische Maximen gefaßte Weiblichkeitsideologie ist für den bürgerlichen und proletarischen Patriarchalismus so überaus nütlieh, daß sie unablässig und unkritisiert das gesamte 19. Jahrhundert hindurch tradiert und bis zum heutigen Tage international verbreitet wird. Seine Auffassungen betreffend die Stellung der Frauen sind so extrem reaktionär, daß selbst das asiatische Patriarchat — z. B. Korea — sie bis in die Gegenwart importiert. In diesem Land wird der „Emile“ noch heute häufig als Hochzeitsgeschenk überreicht. Diese Tatsache veranlaßte die koreanische Pädagogin und Soziologin Dug-Soo Lee zu einer Untersuchung des Rousseauschen Weiblichkeits-und Patriarchenwahns: Zum Begriff der Weiblichkeit in Rousseaus Erziehungstheorie, Magister-Arbeit, Göttingen 1976. Meines Wissens ist dies die erste radikale Rousseau-Kritik, die — längst überfällig — auch von einer sich emanzipatorisch gebenden Pädagogik noch nicht geleistet wurde.

  5. Lily Braun, Die Frauenfrage, ihre geschichtliche Entwicklung und wirtschaftliche Seite, Leipzig 1901, S. 69.

  6. Hans Mayer, Die Außenseiter, Frankfurt 1975.

  7. L. Braun, Die Frauenfrage, a. a. O., S. 76.

  8. Peuchet in der Encyklopädie methodique, 1789, zitiert nach H. Taine, deutsche Bearbeitung v. L. Katscher, Die Entstehung des modernen Frank-reich, Bd. 2, 1, Leipzig 1878, S. 41.

  9. L. Braun, Die Frauenfrage a. O., S. 79.

  10. Jules Michelet, Geschichte der französischen Revolution (übers. Richard Kühn), Wien, Hamburg, Zürich, 1930, Band 1/2, S. 232 f.

  11. H. Taine, Modernes Frankreich, a. a. O., Bd. 2, 1, S. 317 f.

  12. Das Totschweigen dessen, was politisch unerwünscht ist, hat System: z. B. Meyers Enzyklopädisches Lexikon, Mannheim 1974, nennt O. M. Gouges überhaupt nicht. Es gibt in Deutschland keine Biographie dieser Frau, keine wissenschaftliche Erforschung ihrer literarischen und politischen Schriften, keine historische Würdigung. In dieser für die etablierte Wissenschaft beschämenden Situation ist es schon ein Wunder, daß das (recht schlechte) Lexikon der Frau (Zürich 1953) der bedeutenden Frau ganze 13 Zeilen widmet. Da war die Biographie Universelle, Paris 1817, bereits gewissenhafter: Der Revolutionsheldin werden immerhin zwei Spalten gewidmet.

  13. J. A.de Condorcet, Sur L'admission des fem-mes au droit de eite, in: journal de la societe, No. 5, Paris 1789. Condorcet — sehr wahrscheinlich veranlaßt durch seine Frau — ist wohl der einzige Mann der Revolutionszeit, der öffentlich und wiederholt die Partei der Frauen ergriffen hat. Auch in seinen „Lettres d'un Bourgeois de New-Haven a un Citoyen de Virginie“ (in: Oeuvres de Condorcet , publiees par Condorcet O'Connor et Et. M. Arago, Paris 1847, Bd. 9, S. 14— 20) diskutiert er das Unrecht des Ausschlusses der Frauen vom Naturrecht und allen Folgen: »Ein Staat, in welchem ein Teil der Bevölkerung ... kein Wahlrecht hat, ist kein freier Staat... Wenn die Männer ihre Rechte haben, weil sie fühlende und denkende Wesen sind und Vorstellungen von Gut und Böse haben, dann müssen die Frauen genau die gleichen Rechte ha-ben; indessen haben die Frauen niemals und unter keiner der sogenannten freien Verfassungen das Bürgerrecht ausgeübt... überall haben sie (die Männer) Gesetze erlassen, die die Frauen unterdrückten, oder sie haben wenigstens dafür gesorgt, daß zwischen den beiden Geschlechtern eine große Ungleichheit besteht.“

  14. Es ist geplant, ihre historisch und politisch interessantesten und aktuellsten Schriften zu sammeln, zu übersetzen und erstmals in Deutschland herauszugeben. In Frankreich ist bisher keine Sammlung dieser Schriften erschienen. Auch das literarische Werk soll gesichtet und auf eine Veröffentlichung hin geprüft werden. Das Theaterstück über die Sklaverei der Schwarzen ist auch heute noch von Interesse; eine Übersetzung ins Deutsche ist geplant.

  15. Leider ist über die Geschichte und die politischen Aktivitäten dieser Frauenclubs in Deutschland noch fast gar nichts bekannt. Sie werden, wenn überhaupt, nur am Rande erwähnt. Historikerinnen und Soziologinnen aus der aktuellen französischen Frauenbewegung nehmen sich jetzt dieses Gebietes wieder an. Siehe dazu Marie Cerati, Le Club des Citoyennes Republicaines Revolutionnaires, Paris 1966. Im vorigen Jahrhundert gab es etliche Darstellungen, die nur noch in Archiven zu finden sind.

  16. Michelet, Französische Revolution, a. a. O., Bd. 3/4, S. 138. Die Bibliotheque Marguerite Durand, Paris, besitzt eine kleine Sammlung von Reden und Schriften von Etta Palm, geborene d’Alders. Ein Diskurs trägt den Titel: Sur Tinjustice des loix en faveur des hommes et au depens des femmes en ä LAssemblee Föderative des Amis d la Vrit, Paris 1790.

  17. Olympe de Gouges und andere politisch aktive Frauen zur Zeit der Französischen Revolution werden von E. Borneman bedenkenlos zur Bourgeoisie geschlagen; ihnen wird der Vorwurf gemacht, daß sie für die bürgerrechtliche Gleichberechtigung der Frauen eintraten. Nach seiner Auffassung hätten sie darauf verzichten und lieber dem Proletariat bzw.der proletarischen Frauenbewegung (zu dieser Zeit gab es noch kein Proletariat, geschweige denn eine proletarische Frauenbewegung!) dienen sollen. Wenn man mit dem dogmatischen Raster der Klassentheorie und verschleiertem Antifeminismus an die Geschichte der Frauen herangeht, kommt nur heraus, was schon a priori feststand. Frauen, die für sich politisch Verzicht leisten und sich für die Männerinteressen des „Proletariats" einsetzen lassen, sind gut. Beide . Frauenfraktionen" müssen gegeneinander ausgespielt werden; das dient der Bekämpfung der autonomen Frauenbewegungen in der Geschichte und heute. Daß auch plebejische und proletarische Männer um bürgerliche Rechte, z. B. das Wahlrecht, kämpften, ist legitim. Wenn Frauen es für sich verlangen, werden sie diffamiert. Das ist die übliche politische Doppelmoral des Antifeministen. Ernest Borneman, Frauen allein sind schwach, in: Neue Rundschau 4/75, Frankfurt 1975, S. 679 ff.

  18. Jules Michelet, Französische Revolution, a, a. O., Band 3/4, S. 137 f.

  19. Zum 180. Jahrestag ihrer Hinrichtung 1973 erschienen eine Würdigung und ein Teilabdruck der Deklaration der Frauenrechte in: Frauenforum, Stimme der Feministen, München 4/1973; Hexen-presse, Basel, Nr. 3/4 1973; in der National-Zeitung Basel unter dem Titel „Bürgerin Olympe de Gouges“ ein Artikel; und verspätet in der Frankfurter Rundschau: „Die Frau ist frei geboren...“ (4. 5. 1974). Der Artikel über O.de Gouges in: Emma, Juli 1977, ist ein Plagiat; der Abdrude der Deklaration der Frauenrechte aus der Hexenpresse erfolgte ohne Copyright

  20. Vgl. M. Ostrogorski, Die Frau im öffentlichen Recht, Leipzig 1897, S. 9.

  21. Daß an der Prostitution „die Frauen“ schuld sind und nicht die ungleiche Verteilung des Eigentums, ist wieder eine unbedacht der herrschenden Meinung entnommene Apologie, die im Widerspruch zu ihren sonstigen Erkenntnissen steht.

  22. Die Sklaverei der Neger generell und besonders der Aspekt, den Gouges hier behandelt, weist sehr große soziale Ähnlichkeit mit der Frauen-Si-tuation auf. Die Kolonialherren, die Sklavenhalter — wie die Familienväter im „Vaterland" — „maßen sich an, als Despoten über Menschen zu regieren, deren Väter und Brüder sie sind“. (Hervorhebung H. S.) Die Opfer ihrer Despotie sind Frauen zu Hause und Sklaven in den Kolonien. „Blutsbande“, wie sie zwischen Frauen und Vätern, Sklavenhaltern und Sklaven (die oft die Kinder weißer Herren mit schwarzen Frauen sind) bestehen, schützen nicht vor barbarischer Herrschaft. Die „Freiheit" der „unmenschlichen Herren" ist in beiden Fällen zu furchtbarer „Schrankenlosigkeit ausgeartet“. Die Freiheit der Herren muß eingeschränkt werden zugunsten der Unfreien: alle müssen das gleiche Maß an Freiheit haben, das zu sichern, die Gerechtigkeit verlangt, die die Nationalversammlung herstellen muß.

  23. J. J. Rousseau, Staat und Gesellschaft, „Contrat Social“, übersetzt und kommentiert von Kurt Weigand, München o. J., Einleitung, S. 7/8.

  24. Th. G. von Hippel, über die bürgerliche Verbesserung der Weiber, Berlin 1792.

  25. Reinhard Kühnl, Formen bürgerlicher Herrschaft, Reinbek 1971, S. 17. Der Autor, der sich wohl als nicht-bürgerlichen Wissenschaftler begreift, schreibt allen Ernstes: „ 1792 wurde das allgemeine Wahlrecht eingeführt ...": Es ist ihm noch immer nicht klar, daß das „allgemeine“ nur das sehr spezielle Wahlrecht der Bürgerpatriarchen war, daß das weibliche französische Volk das Wahlrecht erst 1945 erhielt. Selbst ein undogmatischer Denker wie Ernst Bloch eskamotiert die Frauen aus der Menschheit, wenn er unkritisch schreibt: „Die bürgerliche Revolution ... hat nicht nur — als Abschaffung der Klassenprivilegien — ein gewaltiges Stück Aufräumung geschafft, sie hat eben auch jenes Versprechen ... in sich, an das die wirkliche Revolution sich halten kann ...der Gehalt der Menschenrechte, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit (I), die versucht gewesene Orthopädie des aufrechten Ganges, des Männerstolzes (I), der Menschenwürde weisen über den bürgerlichen Horizont weit hinaus.“ (Naturrecht, zitiert nach Kühnl, S. 42.)

  26. M. Ostrogorski, Die Frau im öffentlichen Recht, a. a. O„ S. 30.

  27. Ebenda, S. 34 ff.

Weitere Inhalte

Hannelore Schröder, Dr. phil., geb. 1935 in Halle/Saale; Studium der Politikwissenschaft, Philosophie, Rechtsgeschichte, Anglistik und neueren deutschen Literaturwissenschaft von 1967 bis 1975 in Frankfurt; seit 1970 Mitarbeit in verschiedenen Frauengruppen der autonomen Frauenbewegung; zur Zeit Lehrbeauftragte an den Universitäten Göttingen und Frankfurt. Veröffentlichungen u. a.: Die Eigentumslosigkeit und Rechtlosigkeit der Frau in der patriarchal-bürgerlichen politischen Theorie, dargestellt am Beispiel von J. G. Fichtes . Grundlage des Naturrechts’, Göttingen 1977; J. S. Mill, H. Taylor Mill, Helen Taylor, Die Hörigkeit der Frau (hrsg. und eingeleitet), Frankfurt 1976; Zum politischen und ökonomischen System des Patriarchalismus', in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 31/76; Die Eigentumslosigkeit und Rechtslosigkeit der Frau im 19. Jahrhundert, in: Frauen und Wissenschaft. Beiträge zur Berliner Sommeruniversität für Frauen, Berlin 1976.