I. Einleitung
Die gegenwärtige zivilisatorische Entwicklung sowohl der Industriestaaten als auch der Entwicklungsländer wird bestimmt durch die technische Auswertung und Anwendung von Erkenntnissen der Natur-und der Sozialwissenschaften. Sie führt zu einer ständigen zivilisatorischen Strukturveränderung der Staats-gebilde. Dabei hat sich bisher gezeigt, daß die zivilisatorischen Lebensformen immer künstlicher und komplizierter werden. Zu den Folgen dieses Strukturwandels mit zunehmendem Komplikationsgrad und zunehmender Künstlichkeit zählt u. a., daß die Staatsgebilde wirtschaftlich und sozial immer empfindlicher gegenüber Störungen oder Fehlentwicklungen werden und daß wegen der weltweiten Verbreitung der Zivilisation neben den militärischen Gefährdungen bedrohliche ökologische Situationen entstehen.
Da es trotz aller Erfolge der Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse eine Patentlösung für die Absicherung der Zivilisationsentwicklung gegenüber Fehlleistungen nicht gibt, stellt sich die Aufgabe einer ständigen Auseinandersetzung mit möglichen Fehlentwicklungen, um sie rechtzeitig zu verhindern. Obwohl direkt oder indirekt wissenschaftlich-technisch bedingt, muß diese Aufgabe der Politik zugeordnet werden, da die möglichen Fehlleistungen gesamtgesellschaftliche Auswirkungen haben. Dies bedeutet, daß der modernen Politik neue Aufgabenbereiche zufallen. Die entsprechende Erweiterung der Politik steht aber nicht zur Debatte, erst sie ist praktisch bereits vollzogen.
Neben den bekannten klassischen Aufgaben übernimmt der Staat in den Industriegesellschaften zusätzlich die wirtschaftliche Steuerung (soweit möglich), die notwendige Umverteilung, die Zukunftsvorsorge, und zwar nicht nur sozial, sondern auch wissenschaftlich-technisch, sowie eine große Anzahl von ellgemeinen Dienstleistungen. Durch den zur Bewältigung dieser Aufgaben notwendigen Apparat besitzen der Staat und seine Führung bereits eine außerordentlich große politische und wirtschaftliche Macht, die viel universa-ler als in früheren Zeiten eingesetzt werden kann. Worauf es bei der Durchführung moderner Politik daher ankommt, ist nicht die Schaffung neuer Machtinstrumente, sondern die intellektuelle Durchdringung der sich stellenden Aufgaben und das Auffinden langfristig konzipierter Lösungsansätze.
Im Sinne dieser Aufgabenstellung hat die Bundesregierung eine Kommission mit der Untersuchung beauftragt, im Rahmen einer marktwirtschaftlichen Ordnung wirtschafts-und gesellschaftspolitische Möglichkeiten aufzuzeigen, um den technischen und sozialen Wandel zu fördern und im Interesse der Bevölkerung zu gestalten. Die Kommission für wirtschaftlichen und sozialen Wandel hat im Januar 1977 ein umfangreiches Gutachten als sechsjährigen Ergebnis ihrer fast Tätigkeit vorgelegt In einer vorangehenden Arbeit wurde eine kritische Stellungnahme zu diesem Bericht gegeben. Grundlage der kritischen Stellungnahme war eine Analyse der zivilisationsökologischen Situation, in der sich die Bundesrepublik gegenwärtig befindet. Die Untersuchung soll in dieser Arbeit INHALT I. Einleitung II. Technologiekritik III. Wachstumszwänge und Energieerzeugung IV. Kernenergie V. Fossilenergie VI. Alternativstrategien VII. Wirtschaftliche Auswirkungen VIII. Politische Folgerungen Grundlage der Zivilisationsökologie entwikkelt werden, die vom Autor in Buchform dargestellt wurde
Um eine aktiv gestaltende, längerfristig orientierte Politik auszubauen, empfiehlt die Kommission, daß langfristige Prognosen und Konzeptionen für alternative Entwicklungen in gesellschaftlichen Teilbereichen erarbeitet werden. Da eine funktionierende Wirtschaft eine notwendige Voraussetzung dafür ist, daß Staat und Gesellschaft überhaupt in die Lage versetzt werden, Entwicklungen in bestimmte Richtungen einzuleiten, legt die Kommission das Hauptgewicht auf die wirtschaftliche Entwicklung. Sie fordert als wirtschaftliche und gesellschaftliche Strategie „eine gestaltete Expansion bei Vollbeschäftigung".
In der vorangehenden Untersuchung wurde festgestellt: Die Kommission hat in einer umfangreichen Analyse auf zahlreiche Schwachstellen der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verfahrensweisen in der Bundesrepublik hingewiesen und konstruktive Schritte zur Abhilfe angegeben. In dieser Analyse liegt das außerordentliche Verdienst ihrer Arbeit. Weniger überzeugend ist hingegen das Konzept der gestalteten Expansion, denn es führt mehr zu einer Optimierung der Rahmenbedingungen als zu einer inhaltlichen Erfüllung dieses Konzepts. Für die zukünftige Entwicklung der Bundesrepublik wird es aber von entscheidender Bedeutung sein, daß die gestaltete Expansion auch inhaltlich schärfer definiert wird.
Zur besseren inhaltlichen Erfassung dieser Problematik wurde die gegenwärtige zivilisationsökologische Situation der Bundesrepublik in einigen ausgewählten Gebieten dargestellt. Es wurden behandelt:
— psychosoziale Belastungen, — Umweltbelastungen, — wirtschaftliche Strukturkrise, — Exportabhängigkeit, — Globalentwicklung, — Bevölkerungsentwicklung;
und es wurden aus der Darstellung dieser Gebiete politische Schlußfolgerungen gezogen. Wie bereits erwähnt, hängt die moderne zivilisatorische Entwicklung von der Entwicklung von Wissenschaft und Technik sowie deren Anwendung ab. Zusätzlich zur Diskussion der aufgeführten Gebiete ist es daher notwendig, für die Durchdringung der Problematik einer gestalteten Expansion auch auf die technisch-wissenschaftliche Entwicklung einzugehen. Dies soll in der vorliegenden Arbeit geschehen.
II. Technologiekritik
Es wird geschätzt, daß bei etwa 15 Milliarden Menschen ein Wachstumsstillstand der Weltbevölkerung eintreten wird. Selbst bei einer geringeren Bevölkerungszahl ist eine Lebens-möglichkeit der Weltbevölkerung nur dann gewährleistet, wenn zugleich eine hinreichende Industrialisierung durchgeführt wird. Von den gegenwärtig etwa vier Milliarden Menschen leben zur Zeit etwa 1, 5 Milliarden in Regionen, die so durchindustrialisiert sind, wie man sich den industriellen Sättigungszustand für eine stationäre Weltbevölkerung vorstellt. Sollten sich die gestellten Prognosen verwirklichen, so müßten sich demnach die gegenwärtig vorhandene industrielle Kapazität und ihre Leistungen etwa verzehnfachen. Die Technik im umfassendsten Sinne, d. h. verstanden als die systematische Anwendung wissenschaftlich gesicherter Erkenntnis-se, wird daher zum Schicksalsproblem der Zivilisationswelt. Während noch vor einer Generation die Auswirkungen technischen Handelns lokal begrenzt waren, weisen die gegenwärtigen und erst recht die zukünftigen technischen Entwicklungen in ihrer weitverbreiteten Anwendung globale Auswirkungen auf. Es muß daher befürchtet werden, daß in Zukunft ein annehmbares Mischungsverhältnis von positiven und negativen Folgen der technisch-wissenschaftlichen Entwicklung nicht mehr erreicht oder erwartet werden kann, d. h., daß der bisherige, relativ gedankenlose Balanceakt in einer einseitigen Entwicklung enden kann und daß, wenn diese eine starke negative Komponente hat, die Zivilisationswelt daran scheitert.
Da die meisten Techniken, wenn sie einmal wirtschaftlich verbreitet sind, nur sehr schwer modifiziert werden können, muß die Kritik vor ihrer breiten wirtschaftlichen Ein-B fortgesetzt werden, wobei ebenso wie im ersten Teil Kritik und Vorschläge auf der führung erfolgen. Es ist nützlich, sich zu vergegenwärtigen, daß dies bereits jetzt und nicht erst irgendwann in ferner Zukunft dringend nötig ist. Seit dem Zweiten Weltkrieg erleben wir in steigendem Maße technologisch-wirtschaftliche Fehlleistungen, was ihre ökologischen Auswirkungen angeht. Ein unkritischer Fortschrittsoptimismus ist also untragbar geworden. Wir nennen die auffälligsten Ergebnisse der bisherigen, ökologisch gedankenlosen, wirtschaftlichen und technologischen Entwicklung:
— eine Verkehrstechnik, die jährlich Zehntausende von Menschen umkommen läßt, Hunderttausende von Schwerverletzten und Invaliden und Milliardenbelastungen der Volkswirtschaft verursacht und zudem die Atmosphäre und den Lebensraum mit Kohlenmonoxid, karzinogenen Kohlenwasserstoffen, Stickoxyden und Blei verseucht;
— eine Architektur und Stadtentwicklungspläne, deren Bauprodukte sowohl vom Material als auch von der Funktion her das menschliche Wohlbefinden physiologisch und psychologisch negativ beeinflussen;
— eine Nahrungsmittelproduktion, die im pflanzlichen Bereich durch Monokulturen und intensivste Kunstdüngung den Boden aus-laugt, die Widerstandskraft der Pflanzen schwächt und mit riesigen Mengen von Pestiziden, Insektiziden, Herbiziden usw. letztlich minderwertige und schädliche pflanzliche Nahrungsmittel erzeugt und die im tierischen Bereich eine industrielle Aufzucht von Tieren betreibt, deren Unanständigkeit jeder Beschreibung spottet und deren Produkte ebenfalls minderwertig und schädlich sind;
— eine Nahrungsmittelverarbeitungstechnik, die auf die vollständige Denaturierung aller Lebensmittel abzielt, dabei deren biologische Wertigkeit vernichtet und beim langdauernden Verbrauch dieser Produkte die Grundlage für das Auftreten der sogenannten Zivilisationskrankheiten schafft;
— eine Medizintechnik, die ihr vornehmstes Ziel nicht in einer ganzheitsmedizinischen Prophylaxe sieht, sondern die Kranken ingenieurmäßig mit ungeheurem technischen Aufwand repariert, ohne sie auf Dauer zu heilen, und die riesige Mengen von Medikamenten zur Symptombekämpfung einsetzt, von der biologischen, ökologischen und sozialpsychologischen Ursachenanalyse aber wenig hält und damit trotz höchster Technik vor der Forderung der Bewahrung der Gesundheit versagt;
— eine Genußmittelproduktion, die in bisher beispielloser Menge den Menschen ein Arsenal zur Selbstvergiftung anbietet und mit der Werbung für angeblich ungestraften Genuß in psychologisch raffinierter Weise den Weg zum gesundheitlichen und seelischen Ruin ebnet;
— eine Abfall-und Schadstoffbeseitigung, die die in der Zivilisationstechnik anfallenden und abfallenden Produkte nicht rezyklisch einwandfrei beseitigt, sondern nur kosmetisch verbirgt oder einfach in die Umwelt entläßt.
Diese Liste ließe sich noch erweitern.
Die Analyse der technischen Fehlleistungen zeigt, daß aus der zivilisatorischen Entwicklung der Industriestaaten lebensbedrohende Gefahren für diese Staaten selbst, aber auch für die gesamte Welt erwachsen. Es erhebt sich die Frage, mit welchen Mitteln diesen Gefahren begegnet werden kann. Die Antwort der Fortschrittsoptimisten lautet: Die Mängel der technologisch-zivilisatorischen Entwicklung müssen durch neue Techniken kompensiert werden.
Wie steht es nun um die Realität des Fortschrittsoptimismus? Das, was bisher über technisch-wissenschaftliche N euentwicklun-gen bekannt geworden ist, gibt überhaupt keinen Anlaß zu der Hoffnung, daß die Technik aus sich selbst heraus ökologisch narrensicher würde. Im Gegenteil, man kann unschwer erkennen, daß neue Gefährdungen hinzukommen. Es würde aber den Rahmen dieser Arbeit sprengen, wollte man eine detaillierte ökologische Kritik aller angegebenen technischen Teilgebiete und weiterer zukunftswirksamer Entwicklungen geben. Zur Demonstration wird vielmehr nur ein einziges Gebiet, das eine Sonderrolle spielt, nämlich die Energieerzeugung, genauer diskutiert.
III. Wachstumszwänge und Energieerzeugung
Die Energieerzeugung steht in engem Zusammenhang mit der Art des angestrebten wirtschaftlichen Wachstums. In meinem früheren Beitrag in dieser Zeitschrift (B 32/77) wurde die Unterscheidung zwischen Bruttowachstum und Nettowachstumsnutzen betont. Die ständige Be5 achtung dieser Unterscheidung wäre geeignet, einen stetigen Übergang von der jetzigen in eine ökologisch sanierte Industriegesellschaft zu ermöglichen. Gegenwärtig stehen dieser Umorientierung des Wachstumsbewertungsstandards aber noch verschiedenartige Hindernisse entgegen, die sich als unqualifizierte Wachstumszwänge darstellen und hier nur sehr gedrängt — zusammen mit ihren Folgen für die Energiepolitik — diskutiert werden können. 1. Staat Die öffentlichen Institutionen der Bundesrepublik hatten im Jahr 1975 bei einem Bruttosozialprodukt von 1 044 Milliarden DM 240 Milliarden DM Schulden, im Jahr 1976 waren es 275 Milliarden DM. Der Kapitaldienst, d. h. die Verzinsung alter und neuer Schulden, betrug 40 Milliarden DM. Gemessen am Bruttosozialprodukt sind dies erhebliche Zahlen. Die Voraussetzungen zur Verminderung der Schuldenlast sind nicht gut, da die wirtschaftliche Lage nicht besonders günstig ist und der Ausgabendruck steigt. Neben den gegenwärtig rund 1 Million Arbeitslosen gibt es eine wachsende Zahl von Rentnern, Siechen und Kranken. Der Anteil der Soziallasten allein für Alter, Krankheit und Unfall betrug im Jahr 1975 23, 1 % des Bruttosozialprodukts und steigt weiter. Die Gewerkschaften fordern auch von den öffentlichen Arbeitgebern immer mehr, und die Konjunktur soll durch öffentliche Ausgaben belebt werden. In dieser Situation der Bedrängnis durch immer neue Forderungen einerseits und zu geringe Mittel andererseits liegt es nahe, den Ausweg in einer Vorwärts-strategie der ungehemmten wirtschaftlichen Expansion zu suchen. Mit dieser Strategie, die in der Vergangenheit die Kassen mit Steuern füllte, soll auch die jetzige kritische Situation überwunden werden. Aus Furcht, der Expansion den Schwung zu nehmen, werden dabei viele Maßnahmen vermieden, die zur Optimierung des Nettonutzens führen würden. Vielmehr will man die Expansion weitgehend unabhängig davon anrollen lassen, welche Sekundärwirkungen dies zeitigt. 2.
Wirtschaft und Gewerkschaften In einer agrarisch-handwerklich orientierten Gesellschaft regelt der lokale Markt den notwendigen Güteraustausch. Derartige Gesellschaften können wirtschaftlich unbegrenzt in einem stabilen Zustand des Nullwachstums verharren. Dies ändert sich bekanntlich, wenn es durch Einführung der industriellen Massenproduktion zu einer steilen Erhöhung des Warenangebots kommt. Die Maschinenpro-
duktion schafft die Möglichkeit zur Expansion, die wiederum bei hinreichender Gewinn-umverteilung neue Märkte erschließt. Von einer Sättigungsgrenze an muß es aber zu einem Verdrängungswettbewerb kommen: Der Kampf um den Markt führt dann zum Großunternehmen. Der Behauptungswillen der Großunternehmen ist daher eng mit der Marktausdehnung und mit Wachstum verbunden. Die etwa gleichzeitig mit den Großunternehmen entstandenen Gewerkschaften bilden mit ihnen einen Regelkreis zur Stabilisierung der Nachfrage für die Massenproduktion. Wenn die ständigen Lohnerhöhungen, um die sich die Gewerkschaften bemühen, nicht durch steigende Produktivität gedeckt werden können, kommt es zu inflationären Erscheinungen. Abgesehen von Spekulanten nützt das niemandem. Daher müssen reale Produktivitätssteigerungen die Basis für die Politik der Lohnerhöhungen bilden. Gewerkschaftliche Politik führt daher zu denselben Wachstums-zwängen wie die Konkurrenzsituation für die Unternehmen. So gesehen leben Gewerkschaften und Großunternehmen in einer Macht-symbiose mit dem Ziel des Wachstums. Da nun Großunternehmen und Gewerkschaften leicht ihre geballte Macht zur Geltung bringen können, ist der Staat von dem Wohlwollen dieser Institutionen stark abhängig. Daher unterstützen Politiker den genannten Regelkreis, was der Expansion neuen Auftrieb gibt. Für die anfängliche Produktivitätssteigerung hat der Regelkreis durchaus seinen Sinn. Es kommt aber der Zeitpunkt, von dem ab sich die Entwicklung überschlägt, dann nämlich, wenn eine Produktion erzwungen wird, die ökologisch gefährlich ist. Als Folge dieser Expansionspolitik wird ferner der agrarisch-handwerkliche Teilbereich der Volkswirtschaft immer mehr ausgezehrt, u. a. müssen immer mehr Mittel-und Kleinbetriebe wegen Unrentabilität aufgeben. Damit wird aber zugleich die noch vorhandene ökonomische Unabhängigkeit der Staatsbürger abgebaut, und zudem kommt es zur Bildung von Ballungsräumen. Beide Tendenzen sind ökologisch außerordentlich gefährlich. Eine wirtschaftliche Theorie, die diesen Erscheinungen entgegen-tritt und dem Massenstaat eine stabilere Wirtschaftsordnung ermöglicht, gibt es noch nicht. Ebensowenig gibt es bis jetzt einen entschiedenen politischen Willen, dieser Entwicklung entgegenzutreten. 3. Wohlstandserwartungen Ein wesentliches Problem, von dessen Lösung die Prosperität einer Industriegesellschaft u. a. abhängt, ist die Umverteilung der Gewinne. Nur wenn es möglich ist, den aus der Massenproduktion erwirtschafteten Gewinn den Arbeitnehmern teilweise verfügbar zu machen, kann eine Weiterentwicklung des Wohlstands erwartet werden. Die Lösung dieser Aufgabe beschäftigt die Industriegesellschaft schon seit einem Jahrhundert. Verständlich, daß ein Problem mit einer so langen Tradition seine geistigen Spuren in der Gesellschaft hinterläßt. In der Bundesrepublik ist die Umverteilung zu einem Ritual erstarrt, das es weiten Bevölkerungskreisen unmöglich macht, es mit Abstand zu beurteilen. Ohne Reflexion über die Voraussetzungen und die inhaltliche Bedeutung wird die Gewinnumverteilung, d. h.der Wohlstand von breiten Volksmassen, schlicht mit Einkommenssteige-rung und bestenfalls mit höherer Produktivität identifiziert Die neuere Entwicklung der Industriestaaten zeigt jedoch sehr deutlich, daß die Umverteilung nicht, wie bisher angenommen, das Patentrezept für alle Probleme der Industriegesellschaften ist. Insbesondere die ökologische Problematik läßt sich durch Umverteilung nicht lösen, da diese keine ökologischen Wertmaßstäbe kennt und sich „Lebensqualität“ im ökologischen Sinne nicht ohne weiteres durch privaten Konsum erreichen läßt. Diese entscheidenden neuen Einsichten haben sich in der Bevölkerung noch nicht durchgesetzt. Deshalb bleibt einstweilen ein Druck in Richtung auf ökologisch völlig unqualifizierte Einkommenssteigerung bestehen, die, wenn überhaupt, nur durch ein ebenso unqualifiziertes Wirtschaftswachstum erreicht werden kann. 4. Wirtschaftliche Verteidigung Die Bundesrepublik Deutschland ist wirtschaftlich nicht autark. Abgesehen von der Wiederverwendung müssen praktisch der gesamte Eisenbedarf sowie sämtliche Nichteisenmetalle und das Ol importiert werden. Die Importe können nur bezahlt werden, wenn durch Exporte die dafür benötigten Devisen erwirtschaftet werden. Der Wunsch, sich gegen alle Eventualitäten abzusichern, und der Konkurrenzkampf auf den Außenmärkten führen dazu, daß eine aggressive Exportstrategie verfolgt werden muß, da in Analogie zu den Wettbewerbsverhältnissen im Innern auch im Außenhandel nur die Wahl zwischen Aufstieg und Niedergang verbleibt. Dies führt auch hier zur Wachstumsstrategie als wirtschaftlicher Präventivmaßnahme zur Absicherung der eigenen Importe. Andererseits verlangt das Wachstum wiederum ständig steigende Importe von Rohstoffen. Die Absicherungsstrategie der Importe bringt daher eine ständig steigende Abhängigkeit von Importen mit sich und trägt damit erneut zur Verschärfung der Wachstumspolitik bei, so daß auch hier ein Wachstumszwang vorliegt. 5. Strukturfixierung Moderne Technologien erfordern zur Installation einen großen Aufwand und reichen daher weitverzweigt in das Beschäftigungssystem hinein. Infolgedessen besteht sowohl auf der Arbeitgeber-als auch auf der Arbeitnehmer-seite die Tendenz, die einmal installierte Technologie ohne Rücksicht auf die Folgewirkungen ökonomisch optimal auszunutzen. Diese Gefahr besteht besonders bei Technologien mit Monopolstellung, die z. T. auch vom Staat gestützt werden und bei denen daher in starkem Maße politischer Druck von den Gewerkschaften zur Erhaltung der Arbeitsplätze ausgeübt wird. Die Strukturfixierung muß dann zu schweren Verzerrungen der Marktwirtschaft führen, da man es mit einem Wachstumszwang zu tun hat, der eine Wachstumspolitik in die falsche Richtung programmiert. 6. Kulturtrends Die Kultur und Zivilisation der Industriestaaten hat ihre Wurzel im wissenschaftlichen Erkenntnisdrang. Wenn der Erkenntnisdrang aber zu sehr materialisiert wird, schlägt er in materielle Enthemmung um. Das findet seinen Ausdruck in der technischen und wirtschaftlichen Gigantomanie. Kennzeichnend dafür ist, daß es sich in diesem Stadium meistens nicht mehr um die Befriedigung elementarer biologischer Lebensbedürfnisse, sondern um die psychologischer Bedürfnisse handelt. Dagegen wäre an sich nichts einzuwenden. Wenn aber die Befriedigung solcher Bedürfnisse zur Selbst-und Umweltzerstörung führt, dann müssen sie als psychopathologische Symptome in unserer Zivilisation bewertet werden. Die geistige Unrast, die sich u. a. in immer neuen Rekorden ausdrückt, ist das Ergebnis einer Seelenverfassung, der die Fähigkeit zur Harmonisierung weitgehend abhanden gekommen ist. Beides, die Befreiung von elementarer Not wie das Leben im Überfluß, verlangt starke disziplinierte Charaktere, die eher die Ausnahme als die Regel darstellen. 7.Energie-Wachstums-Relation In den vorangehenden Abschnitten wurde ausgeführt, daß — der Staat wegen seiner sozialen und politischen Verpflichtungen, — die Großindustrie und die Gewerkschaften zur Existenzsicherung, — die einzelnen Bürger zur Existenz-und Wohlstandssicherung, — die Importabhängigkeit von lebenswichtigen Rohstoffen, — die optimale ökonomische Nutzung der Produktionsanlagen, — die psychologische Unrast der Bevölkerung
zu unkontrollierbaren Wachstumszwängeri führen. Da keine soziale Teilgruppierung imstande ist, für sich und von sich allein aus wirtschaftliches Wachstum ohne geeignete Rahmenbedingungen zu produzieren, verbleibt diese Aufgabe dem Staat. Die wirtschaftspolitische Grundfrage, die ohne Rücksicht auf ökologische Auswirkungen gestellt wird, ist daher: Wie macht man Wachstum?
Da der marktwirtschaftlich orientierte demokratische Staat aufgrund seiner Verfassung, seiner Wirtschaftsordnung und seiner Haushaltsgesetze nicht einfach Wachstum verordnen kann, muß er sich nach geeigneten Instrumenten umsehen, um seine Zielvorstellungen zu unterstützen. Dazu wurde das Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft erlassen. Man geht davon aus, daß dem Staat die Aufgabe zufällt, mögliche Wachstumshemmnisse abzubauen, Vorleistungen für den privaten Sektor zu erbringen und die private Spar-und Investitionstätigkeit zu fördern. Es handelt sich in Zusammenarbeit mit der Bundesbank im wesentlichen um eine wachstumsorientierte Ausgaben-, Steuer-und Geldpolitik, die relativ kurzfristig wirken soll. Für langfristigere Wachstumsförderung bieten sich dagegen die Technologiepolitik und die Energiepolitik sowie der Außenhandel als nützliche Instrumente an. Der Außenhandel als Wachstumsinstrument wurde in meinem früheren Beitrag in dieser Zeitschrift (B 32/77) bereits einer Kritik unterzogen. In diesem Teil soll speziell die Energiepolitik kritisch diskutiert -werden; für die Technologiepolitik wird auf das in Anmerkung 3 genannte Buch des Verfassers verwiesen.
Die besondere Rolle der Energiepolitik wird damit begründet, daß Energie als eine Art Wachstumsrohstoff zu betrachten sei. In der Vergangenheil haben sich Bruttosozialprodukt und Energieverbrauch fast proportional entwickelt. Faßt man diese Relation als ein für die Zukunft verbindliches Gesetz auf und liest sie zudem in umgekehrter Richtung, so lautet sie: Wo das Energieangebot zunimmt, da ist auch proportionales wirtschaftliches Wachstum.
Die aus den vorgenannten Gründen weitgehend konformen Interessen von Staat und Wirtschaft führten zur Aufstellung von Energieausbauplänen, die von der Gültigkeit dieses „Gesetzes" ausgehen. Es muß aber betont werden: Es handelt sich hier um eine aus der Vergangenheit in die Zukunft extrapolierte Erfahrung eines einmaligen Vorganges. Ein Zwang, eine solche Erfahrung als Gesetz aufzufassen, besteht nicht. Die neuere Entwicklung zeigt bereits, daß dieses vermeintliche Gesetz durchbrochen wird. Das Verhältnis der mittleren Zuwachsraten von Primärenergieeingabe und Bruttosozialprodukt hatte für die Bundesrepublik von 1965 bis 1970 den Wert 1, 1; 1970 bis 1974 den Wert 0, 74 und von 1970 bis 1975 den Wert 0, 3. Innerhalb der Energieversorgung selbst ist der Ausbau der Stromversorgung von besonderer Bedeutung, weil er auf die Kernenergieproblematik führt. Auch hier ist also die Proportionalität von Produktivität und Energie durchbrochen. In den Jahren von 1962 bis 1974 nahm die industrielle Nettoproduktion um 68 °/o, der Stromverbrauch nur um 34 0/0 zu. Hinzu kommt, daß die von der Bundesregierung beauftragte Monopolkommission feststellte, daß die Stromerzeuger ein Oligopol bilden, das einer weitergehenden rationellen Nutzung und Erzeugung von Strom im Wege steht. Aus diesen kurzen Andeutungen, zusammen mit den Ergebnissen aus meinem Beitrag in B 32/77, folgt, daß man die Energieerzeugung nicht grob quantitativ als Wachstumsmotor verwenden kann oder soll. In einer Wirtschaft, die darauf ausgerichtet ist, den Nettonutzen zu optimieren, hat auch die Energieproduktion etwas mit sinnvollem Wachstum zu tun, aber nicht nach einem so groben Gesetz. Dies zu erläutern ist das Ziel dieser Arbeit, d. h. es wird präzisiert, was gestaltete Expansion für den Energiesektor bedeuten sollte.
IV. Kernenergie
Im vorangehenden Abschnitt wurde gezeigt, daß die Bundesrepublik einer Reihe von gravierenden Wachstumszwängen unterworfen ist, die dazu führen, daß Regierung und Wirtschaft ein weiteres Wirtschaftswachstum energisch fördern. Andererseits besteht eine der Auswirkungen des Wirtschaftswachstums der Industriestaaten darin, daß viele Rohstoffquellen, auf denen die industrielle Expansion beruht, immer rascher zu versiegen drohen. Zu einem der Grundrohstoffe der heutigen Industriegesellschaft zählt das Ol, dessen Erschöpfung schon in zwei Jahrzehnten angenommen wird. Aufgrund der Preispolitik der Nachkriegszeit ist die Bundesrepublik in ihrer Energiebereitstellung gegenwärtig zu mehr als 50 °/o von Importöl abhängig. Um diese Abhängigkeit zu vermindern und um weiteres Wirtschaftswachstum zumindest durch die Bereitstellung entsprechend steigender Energiemengen zu ermöglichen, ist die Kernenergie in der Bundesrepublik in ständig steigendem Ausmaß als neuer Energieträger vorgesehen. Sie ist die erste Großtechnologie, die bereits zu Beginn ihrer Einführung einer heftigen Kontroverse über ihren ökologischen Wert oder Unwert unterliegt. Als Grundlage der weiteren Diskussion soll zu diesen Problemen kurz Stellung genommen werden. 1. Energiebilanzen Kernenergie wird durch Kernspaltungsprozesse gewonnen. Die Kernbrennstoffe, die dies direkt ermöglichen, sind U 235, U 233, Pu 23*.
Es können indirekt weitere Stoffe in den technischen Spaltprozeß einbezogen werden durch Benutzung sogenannter Brutprozesse, wobei U 228 und Th 232 in Pu 239 bzw. U 233 verwandelt werden. Dadurch werden U 238 und Th 232 als zusätzliche Kernbrennstoffe verfügbar. Der Brutprozeß wird dann effektiv, wenn mehr Brennstoff erzeugt als verbrannt wird. Die Reaktoren der ersten Generation sind die Leichtwasserreaktoren. Sie arbeiten mit U 235 und gegebenenfalls mit U 233 und Pu 23’ mit einer nur unwesentlichen Brutrate. Die Reaktoren der zweiten Generation sind die natrium-und gasgekühlten Brüter mit einer großen Brutrate sowie die Hochtemperaturreaktoren mit einer kleinen bis mittleren Brutrate, die mit dem Uran-Thorium-Zyklus arbeiten. Für die Beurteilung der Effektivität der Kernenergieerzeugung entscheidend ist das Vorkom-men der genannten Kernbrennstoffe. Natur-uran besteht zu etwa 0, 7 0/o aus U 235 und zu 99, 3 % aus U 238. Die zur Zeit erschlossenen, abbauwürdigen Reserven der westlichen Welt reichen aus, um den Bedarf dieses Teils der Welt an U 235 beidem weiteren projektierten Wachstum der Kernenergieerzeugung bis in die zweite Hälfte der 90er Jahre hinein zu decken. Die Vorräte an U 235, die in Leichtwasserreaktoren verbrannt werden können, sind damit ebenso schnell erschöpft wie das Ol. Die Meinungen, wieweit neue Uranreserven erschlossen werden können, gehen auseinander. Es wird häufig auf die großen Reserven an gelöstem Natururan im Meer hingewiesen. Nach neuesten Informationen ist es aber zweifelhaft, ob eine Gewinnung aus dem Meer unter vernünftigen wirtschaftlichen und energetischen Bedingungen jemals möglich sein wird. Daraus folgt: Man muß sich darauf einstellen, daß die Periode der Leichtwasserreaktoren mangels Brennstoffnachschub in wenigen Jahrzehnten beendet ist. Wenn man heute ein expansives Elektrizitätsversorgungsprogramm durchsetzt und die gesamte Infrastruktur auf Elektrifizierung umstellt, dann ist dieser Prozeß nicht mehr rückgängig zu machen. Dann müssen notwendigerweise nach der Periode der Leichtwasserreaktoren auch die Brutreaktoren durchkonstruiert sein und in großer Anzahl eingesetzt werden.
2. Biologische Wirkungen Die Kernbrennstoffe sind radioaktiv. Fast alle bei der Spaltung entstehenden Fragmente sind ebenfalls radioaktiv. Die meisten dieser Stoffe sind sowohl chemisch als auch wegen ihrer Aktivität schwerste Gifte. Die höchstzulässige Inkorporation im menschlichen Körper muß z. B. bei Ra 226 kleiner als 10-7 g sein. 10-7g Pu 239 wirken beim Einatmen bereits als Krebsauslöser. Die zulässige Gesamtmenge Pu 239 in 1 cm 3 Luft darf ungefähr nur 10-17 g betragen. Diese Stoffe müssen daher von der Biosphäre praktisch vollständig isoliert werden, um schädliche Wirkungen zu verhindern. Andererseits werden, verglichen mit den winzigen zulässigen Konzentrationen, außerordentlich große Mengen dieser giftigen Stoffe in den Reaktoren erzeugt und in den Wiederaufbereitungsanlagen, im Bergbau usw. umgesetzt bzw. gelagert. Insgesamt erzeugt z. B. ein Reaktor von 1 000 MW elektrischer Leistung in einem Jahr 5109 Ci (Curie) gefährlicher Spaltstoffe, was, gemessen an den zulässigen Dosen, der unvorstellbar großen Menge von 5 000 t Radium entspricht. Der Mensch und die Biosphäre unterliegen einer natürlichen radioaktiven Grundstrahlung, die aus der Höhenstrahlung und aus der Erdrinde stammt. Sie beträgt im Mittel 0, 12 rem pro Jahr und variiert lokal mit den örtlichen Gegebenheiten. Biologisch gesehen gibt es eine unschädliche Strahlung überhaupt nicht, da jede Art von Strahlung oder radioaktivem Zerfall den Organismus schädigt, abgesehen von dem wohl sehr seltenen Fall einer positiven genetischen Veränderung. Während hohe Strahlendosen eindeutige Direktschäden liefern, muß man bei kleinen Dosen und bei chronischen Kleinstdosen vor allem mit Spät-schäden rechnen. Es wird angenommen, daß die biologische Wirkung der technisch erzeugten Radioaktivität vergleichbar ist mit jener der natürlichen Radioaktivität. Diese Annahme liegt der sogenannten Strahlenschutzverordnung zugrunde, die höchstzulässige Belastungen für die aus dem technischen Bereich stammende Radioaktivität festlegt. Sie muß jedoch bezweifelt werden. Die natürliche Radioaktivität und die technisch erzeugte Radioaktivität unterscheiden sich vor allem in der Auswahl der radioaktiven Elemente, die zur Wirkung kommen. Bei den verschiedenen chemischen Elementen muß man erwarten, daß die jeweiligen Zerfälle in ganz verschiedenen biochemischen Zusammenhängen und Vorgängen wirksam werden und daher auch sehr wahrscheinlich zu verschiedenartigen Auswirkungen führen. Ferner können Anreicherungsvorgänge und Verstärkungen der Zerfallswirkung im Organismus stattfinden, was wegen der Vielfalt der technisch erzeugten Radioaktivität bisher nur sehr unvollkommen erforscht ist.
Wenn man die technisch erzeugte Radioaktivität betrachtet, so muß man nicht nur die Reaktoren, sondern den gesamten Brennstoff-zyklus berücksichtigen. Radioaktivität findet sich auch in Wiederaufbereitungsanlagen, in Endlagerstätten sowie beim Transport, bei der Anreicherung und im Bergbau. Bei einem weiteren Ausbau der Kernenergie erwartet man, daß im Brennstoffzyklus im Jahre 2000 in der ganzen Welt etwa 4 1011 Ci Radioaktivität vorhanden sein werden. Mit diesem Giftpotential könnte man die jetzige Erdbevölkerung etwa lOOOOOmal umbringen. Die entscheidende Frage lautet daher: Kann man dieses praktisch unendliche Schadenspotential wirksam abschirmen?
3. Kernkraftwerke — Normalbetrieb Die Spaltstoffe und ihre Sekundärprodukte sind teilweise leichtflüchtig, teils mittelflüchtig und schwerflüchtig. Unabhängig von dieser Einteilung würde eine vollständige Rückhaltung aller Schadstoffe jedenfalls die vollständige Dichtheit aller Systemkomponenten erfordern. Eine vollständige Dichtheit läßt sich bei praktisch anwendbaren und ökonomisch vertretbaren Systemen jedoch nicht erreichen. Die Freisetzung von Radionukliden aus kerntechnischen Anlagen führt nicht nur zur Kontamination von Abluft und Abwasser, sie stellt auch ein internes betriebstechnisches Problem dar, da bei Inspektions-, War-tungs-und Reparaturarbeiten das Betriebspersonal an den verschiedensten Stellen der Anlage hohen Strahlenbelastungen ausgesetzt ist. Verglichen mit dem Leichtwasserreaktor zeigt der Hochtemperaturreaktor ein günstigeres Emissionsverhalten. Insgesamt emittiert ein Leichtwasserreaktor von 1 000 MW elektrischer Leistung etwa 5 103 Ci pro Jahr, ein Hochtemperaturreaktor hingegen nur etwa 5-IO 2 Ci pro Jahr. Es wird erwartet, daß die Natrium-Brutreaktoren Emissionen in der Größenordnung der Leichtwasserreaktoren im Normalbetrieb aufweisen. Entscheidend für die biologische Wirkung sind zunächst nicht die abgegebenen Absolutdosen, sondern die daraus direkt und indirekt entstehenden Personenbelastungen. Hierbei muß zwischen lokaler und globaler Belastung unterschieden werden. Die lokale Dosis nimmt mit der Entfernung von der Anlage ab. Die globale Belastung beträgt gegenwärtig rund 10-5 rem pro Jahr, ist also vernachlässigbar gering verglichen mit der sonstigen Strahlenbelastung. In Veröffentlichungen von Wissenschaftlern, die für Bürgerinitiativen diese Frage untersucht haben, werden die lokalen Dosiswerte, die ebenfalls gering sind, angezweifelt, und es wird auf die Unvollkommenheit des Überwachungssystems hingewiesen. 4. Wiederaufbereitung und Endlagerung
a) Wiederaufbereitung
In den Wiederaufbereitungsanlagen wird aus den abgebrannten Brennelementen der noch brauchbare Brennstoff vom übrigen radiologischen Müll abgetrennt und einer weiteren Verwendung zugeführt. Ferner werden die er-brüteten Spaltstoffe zur Erstverwendung extrahiert. Die optimale Kapazität einer Wieder-aufbereitungsanlage liegt gegenwärtig bei der Verarbeitung von Brennelementen für eine elektrische Leistung von 50 000 MW. Wieder-aufbereitung wurde in größerem Maßstab bisher nur für Leichtwasserreaktoren durchgeB führt. Aus den dabei gewonnenen Werten folgt, daß eine Anlage der genannten Größe etwa 10’ Ci pro Jahr an Emissionen aufweisen würde, was ungefähr das Hundert-bis Tausendfache der Emission der zugehörigen Kraftwerkskapazität darstellt. Bei einer voll arbeitenden Kernenergiewirtschatt sind daher die Wiederaufbereitungsanlagen die stärksten radioaktiven Emittenten. Als lokale Belastung
ergibt sich bei einer Wiederaufbereitungsanlage unter ungünstigen Bedingungen 410-2 rem pro Jahr für die Atmung, aber 1, 4 rem pro Jahr für die Nahrung. Bereits diese Zahlen zeigen, daß die gegenwärtige Wiederaufbereitungstechnologie noch stark verbessert werden muß, damit die Strahlenschutzverordnung eingehalten werden kann. Hinzu kommt, daß die angegebenen Werte mit Rückhaltefaktoren berechnet werden, die in Widerspruch zum gegenwärtigen Stand der Rückhaltetechnik stehen. Die Wiederaufbereitungsanlagen stellen daher bereits im Normalbetrieb eine Schwachstelle des Brennstoff-zyklusdar. Die genauere Untersuchung ergibt, daß die bisherige Anwendung des Verdünnungsprinzips zukünftig nicht mehr tragbar ist, was bezüglich der Rückhaltung von Krypton, Jod, Tritium sowie ihrer Lagerung schwere Probleme aufwirft. Werden diese Probleme nicht gelöst, so muß man bei einem weiteren Ausbau der Kernenergie mit Global-belastungen rechnen, die den zulässigen Grenzwert der Strahlenbelastung weit überschreiten.
b) Endlagerung
Radioaktive Abfälle werden in jeder Stufe des Brennstoffkreislaufes erzeugt. Der größte Teil davon fällt in Wiederaufbereitungsanlagen an. Das Ziel der Endlagerung ist es, diese radioaktiven Schadstoffe dem Biozyklus zu entziehen. Zur Diskussion stehen folgende Methoden: Transmutation der radioaktiven Isotope, Ablagerung in Salzstöcken, Meeres-versenkung, Endlagerung in der Antarktis und Lagerung in Tanks und Gebäuden.
Die Transmutation bedeutet die kerntechnisch erzwungene Zerspaltung des Abfalls in stabile Endprodukte. Dafür fehlen gegenwärtig noch alle Voraussetzungen. In der Bundesrepublik hat man sich vorläufig für die Einlagerung radioaktiven Mülls in Salzstöcken entschieden. Dabei nimmt man an, daß die seit Jahrtausenden bestehende Trennung der Salz-stöcke von der übrigen Umwelt auch für weitere Jahrtausende anhält. Ungeeignet ist die Meeresversenkung und die Antarktislagerung, da sowohl das Meer als auch die Antarktis eine jahrtausendelange Abschließung vom Biozyklus noch weniger gewährleisten als die Salzstöcke. Bei der oberirdischen Lagerung in Tanks müssen diese Lager über lange Zeiträume gekühlt, bewacht sowie vor sonstigen Unfällen geschützt werden. Bei Ausfall der Kühlung ist eine Verdampfung die Folge. Ebenso können Wasserstoffexplosionen auftreten. Falls die Ventilation versagt, wird die untere Explosionsgrenze von 4 °/o Wasserstoff in Luft innerhalb weniger Stunden erreicht. Diese Art der Lagerung wird gegenwärtig als Zwischenlagerung betrieben und ist daher mit den angegebenen
Gefahren behaftet. Eine endgültige Lösung wäre nur die Transmutation, bei welcher der Abfall endgültig nuklear verbrannt würde. Bei der Vielfalt der Zerspaltungsprodukte ist dieses Verfahren jedoch unübersehbar. Aber im Hinblick darauf sollte jedes bisher betriebene Endlagerungsverfahren so beschaffen sein, daß der radioaktive Müll jederzeit zugänglich ist, die radioaktiven Rückstände bei Bedarf jederzeit umgelagert werden können. Die in der Bundesrepublik beabsichtigte Endlagerung erfüllt diese Kriterien nicht. 5. Kernenergie — Störfälle Die Erfahrung zeigt, daß es selbst bei größtem technischen Aufwand nicht möglich ist, für komplexe technische Systeme über lange Zeiträume einen vollständig störungsfreien Funktionsablauf zu gewährleisten. Neben dieser prinzipiellen, der Technik inhärenten Unvollkommenheit muß ferner berücksichtigt werden, daß technische Systeme in der Sozialwelt benutzt werden und damit zusätzliche Funktionsstörungen durch Fehlbedienung usw., d. h. durch menschliche Unvollkommenheit hinzukommen. Neben dem Normalbetrieb ist daher auch in der Kernenergieerzeugung stets mit einer gewissen Zahl von Störfällen des Betriebes oder, eingeschränkter, auch von Unfällen zu rechnen. Grundsätzlich gibt es Störfälle ohne Freisetzung von Radioaktivität und solche mit Freisetzung. Nur diese Kategorie ist hier für die Diskussion von Interesse.
Den Unfallmöglichkeiten mit ihren Folgen versucht man entgegenzuwirken durch grundsätzliche Konstruktions-und Verhaltenseigenschaften der Reaktoren sowie durch den Einbau von Sicherungssystemen, wobei eine mehrfache unabhängige Absicherung gegenüber den Störfällen angestrebt wird. Die wichtigste Annahme bei diesem Vorgehen bell steht darin, daß man das System nur gegen eine ganz bestimmte Teilmenge aus der Menge der möglichen Unfälle absichert, wobei die Restmenge der nicht abgesicherten Unfallmöglichkeiten als höchst unwahrscheinlich bzw. als nicht anzunehmend angesehen wird. Dieses ist das sogenannte GAU-Konzept (größter anzunehmender Unfall).
Darüber hinaus sind prinzipiell auch größere Unfälle denkbar. Um die Nichtberücksichtigung solcher Unfälle zu rechtfertigen, benutzt man wahrscheinlichkeitstheoretische Untersuchungen. Ein Teil der Unfälle kann mit diesen Methoden erfaßt werden, ein anderer Teil der Unfälle und ihrer Ursachen ist jedoch damit entweder ganz oder teilweise nicht zu berechnen. Zu solchen nicht berechenbaren Unfallsituationen führen systematische, nichtentdeckte Konstruktionsfehler, nichtentdeckte Material-und Baufehler, gegeneinander arbeitende Sicherheitsvorrichtungen, menschliches Versagen, Sabotage, Naturkatastrophen, kriegerische Entwicklungen. Aber selbst die soge-nannten berechenbaren Unfälle sind nicht wirklich berechenbar, denn es ist nicht auszuschließen, daß Korrelationen von Fehlern nicht erkannt werden, daß die Ausfallarten von Komponenten nicht hinreichend bekannt sind, daß die Fortpflanzungswege von Fehlfunktionen unbekannt sind oder daß Fehlfunktionsketten übersehen werden. Dies bedeutet:
Alle berechneten Wahrscheinlichkeiten für Radioaktivitätsfreisetzungen bei Unfällen und für Unfallverlaufsformen sind fragwürdig.
Neben den Reaktorunfällen kann es Unfälle in Wiederaufbereitungsanlagen und bei der Endlagerungsbearbeitung geben. Wenn bei Unfällen auch nur ein Bruchteil der vorhandenen Radioaktivität entweicht, so muß man verheerende Folgen für die Umgebung erwarten. Darauf bezogene Rechnungen wurden neuerdings durch das Institut für Reaktorsicherheit
durchgeführt, wobei GAU-überschreitende Ausgangssituationen vorgegeben wurden und dann das System sich selbst, d. h.den physikalischen Gesetzen überlassen wurde. Es wurden folgende Fälle untersucht: 1. Bei einem Konzentratbehälter einer Wiederaufbereitungsanlage versagt die Kühlung und es werden keine Gegenmaßnahmen getroffen. Schließt man alle anderen Sekundär-unfälle aus, so verdampft die Konzentratlösung fast vollständig und die Verdampfungsprodukte werden in die Umgebung freigesetzt. In Abhängigkeit von der Windrichtung treten in einem gewissen Winkelsektor noch in 100 km Entfernung als Strahlenbelastung 104 bis 105 rem auf, d. h. das Zehn-bis 100fache der tödlichen Dosis, und die tödlichen Wirkungen halten in diesem Sektor u. U, noch bis 1 000 km Entfernung an. Die wesentlichen Freisetzungen der Radioaktivität beginnen 42, 5 Stunden nach dem auslösenden Ereignis. 2. Bei einem Brennelement-Eingangslager einer Wiederaufbereitungsanlage versagt die Kühlung und es werden keine Gegenmaßnahmen getroffen. Die Wirkungen sind analog zu jenen in Fall 1. Der Zeitverlauf ist jedoch anders: Ungefähr elf Tage nach dem auslösenden Ereignis beginnt die wesentliche Freisetzung von Radioaktivität.
3. Bei einem Leichtwasserkernkraftwerk werden das Auslaufen des Kühlmittels, der Ausfall der Notkühlung sowie eine Beschädigung des Sicherheitsbehälters angenommen. Schließt man alle weiteren Sekundärunfälle aus, so führt diese Ausgangssituation zum Kernschmelzen und Verdampfen der Radioaktivität in die Umgebung. Der Zeitverlauf ist wiederum verschiedenartig. Bei einem Druckwasserreaktor beginnt 36 Minuten nach dem auslösenden Ereignis die wesentliche Freisetzung von Radioaktivität, bei einem Siedewasserreaktor erst nach 51/4 Stunden.
Bei dieser Studie ist zu betonen, daß nach Vorgabe der Ausgangssituation der weitere Verlauf physikalisch völlig festgelegt ist. Es wurde allerdings bemängelt, daß bei den Wiederaufbereitungsanlagen die physikalisch wirksamen Mechanismen nicht ausreichend berücksichtigt wurden und sich die Resultate dementsprechend ändern. Da bereits zwölf Kernkraftwerke arbeiten, weitere elf sich im Bau befinden und die Kerntechnologie in der Bundesrepublik seit über 20 Jahren betrieben wird, wirkt es unverständlich, daß solche Rechnungen erst relativ spät durchgeführt wurden und noch nicht eindeutig geklärt sind. Da man bei den Dimensionen der Unfallauswirkungen nicht abwarten kann, bis die Praxis, d. h.der reale Unfall, das eine oder andere Modell bestätigt, kann die Frage daher nur lauten: Tritt eine solche Ausgangssituation ein und kann man, wenn dies der Fall ist, mit Gegenmaßnahmen den nachfolgenden Ablauf unterbrechen?
Grundsätzlich kann man das Eintreten einer solchen Ausgangssituation überhaupt nicht ausschließen. Wenn man nicht auf die Benutzung der Kernenergie verzichten will, dann stellt sich die weitere Frage nach den mögli dien Gegenmaßnahmen. Um Gegenmaßnahmen einleiten zu können, ist die wichtigste Voraussetzung, daß man hinreichend viel Zeit dazu besitzt und an den Gegenmaßnahmen nicht gehindert wird. In Kriegs-oder Umsturzzeiten wäre eine vielleicht sogar unbeabsichtigte Behinderung von Gegenmaßnahmen durchaus denkbar. Doch soll diese Möglichkeit nicht weiter erörtert werden. Es verbleibt daher der Zeitfaktor. Wenn man ihn berücksichtigt, so schneiden die Wiederaufbereitungsanlagen gut ab. In diesen Systemen steht zumindest für die hier diskutierten Situationen Zeit zum Ergreifen von Gegenmaßnahmen durchaus reichlich zur Verfügung. Anders bei den Reaktoren. In einer Unfallsituation ist der Reaktorkern im allgemeinen schlecht zugänglich, zeigt höchste Radioaktivität und es existiert kein geometrisch ausgedehntes Auffangbecken. Bezüglich von Schwerstunfällen weisen daher die Reaktoren wahrscheinlich das ungünstigere Verhalten auf. Der Unterschied im Zeitverlauf bei Druckwasserreaktor und Siedewasserreaktor zeigt aber auch, daß sich verschiedene Reaktortypen sehr verschieden verhalten. Leider beschäftigt sich die angegebene Studie nur mit Leichtwasserreaktoren. Eine Ausdehnung auf Brutreaktoren und Hochtemperaturreaktoren ist notwendig und wird im nächsten Abschnitt im Rahmen der vorhandenen Informationen näher diskutiert. 6. Sicherheitsvergleiche Bei der Beurteilung der Sicherheit einer kern-technischen Einrichtung ist das GAU-Konzept zu eng. Wegen der Möglichkeit GAU-über-schreitender Komplikationen muß daher ein grundlegenderer Maßstab zur Beurteilung der Sicherheitseigenschaften eines Systems verwendet werden. Dieser Maßstab kann nur darin bestehen, das Sicherheitsverhalten des Systems im Bereich der denkbaren und nicht nur der anzunehmenden Unfälle zu untersuchen, und eine Bewertung führt dann zwangsläufig zu einem Sicherheitsvergleich zwischen verschiedenen Systemen. Dies bedeutet u. a.:
Neben der Unmittelbaren Absicherung des Systems gegenüber GAU-Unfallauswirkungen wird durch die optimale Auswahl unter den zur Verfügung stehenden Systemen ein weiteres Sicherheitsmoment berücksichtigt. Dies ist um so wesentlicher, als die Sicherheit und Funktionsfähigkeit eines kerntechnischen Systems nicht nur durch die direkten Sicherheitseinrichtungen, sondern vor allem und von vornherein schon durch seine Konstruktion bestimmt wird. Die zentrale Problematik
der Kernenergie liegt in solchen Störfällen, für die einerseits eine niedrige Eintrittswahrscheinlichkeit, andererseits aber ein hohes Schadenspotential vorliegen. Das sogenannte Risiko muß dann aus dem Produkt einer gegen Null konvergierenden und einer gegen Unendlich divergierenden Größe berechnet werden, was den Aussagewert absolut problematisch macht.
Da die Möglichkeit eines GAU-überschreitenden Ereignisses bzw. Unfalls in keiner Weise ausgeschlossen werden kann, müssen alle denkbaren Ereignisse unter geeigneten Vergleichsvoraussetzungen diskutiert Werden. Vergleicht man z. B. das Verhalten von Leichtwasserreaktoren und von Hochtemperaturreaktoren bei Ausfall der Notkühlung, so ergibt sich, daß beim Leichtwasserreaktor innerhalb von einigen 10 sec nach Kühlmittel-verlust andere Sicherheitsvorkehrungen wirksam werden müssen, um ein Coreschmelzen mit den daraus resultierenden schwerwiegenden Folgen zu verhindern. Andererseits dauert es beim Hochtemperaturreaktor einige Stunden, bis sich ein Ausfall der Kühlung in erhöhter Spaltproduktfreisetzung auswirkt, wobei selbst dann noch die Brennelemente sicher an ihrem Platz gehalten werden. Es zeigt sich also, das in diesem GAU-überschreiten-den Fall die Hochtemperaturreaktoren weitaus günstigere Eigenschaften aufweisen als Leichtwasserreaktoren. Während die Hochtemperaturreaktoren als gute Konverter durch eine mittlere Brutrate die Erschöpfung der U 235-Vorräte erheblich hinauszögern könnten, führen die Leichtwasserreaktoren als schlechte Konverter zu einer raschen Erschöpfung dieser Vorräte und damit notwendig zum Brüter. Um den Effekt der Einführung und Benutzung einer Reaktorbaulinie vollständig beurteilen zu können, muß daher im Fall der Leichtwasserreaktoren auch der nachfolgende Brütertyp diskutiert werden, dessen mit dem größten Forschungsaufwand geförderte Version gegenwärtig der natrium-gekühlte Brüter ist. Bei gleicher Leistung wie ein Leichtwasserreaktor ist die Energiedichte des Brüters im Kern und die darin enthaltene Radioaktivität etwa dreimal so groß. Das Kühlmittel Natrium wird stark radioaktiv, ist äußerst explosiv und korrosionsfreudig und darf daher weder mit Luft noch mit Wasser zusammengebracht werden. Die starke Neutronenbestrahlung schafft große Materialprobleme bei den Brennelementen. Das Brennelement für kommerzielle Schnelle Brutreaktoren befindet sich weltweit noch im Stadium der Entwicklung. Nur durch (allzu) großzügige Genehmigungsverfahren ist es in England und Frankreich überhaupt möglich gewesen, vom Experimentiermaßstab auf größere Typen überzugehen. Man nimmt an, daß diese Probleme erst zwischen 1980 und 1990 so gelöst sind, daß die Prototypen in Betrieb gesetzt werden können.
Der Brutreaktortyp wirft aufgrund seiner Konstruktion erhebliche Sicherheitsprobleme auf. Er zeigt ein noch ungünstigeres Zeitverhaltenals die Leichtwasserreaktoren. Beim Versagen der Schnellabschaltung kommt es nach ungefähr 1 sec zum prompt überkritischen Zustand, d. h. jenem Zustand, in dem die Kettenreaktion zu einer Lawine nicht mehr kontrollierbarer Energieproduktion anwächst, wobei dieses Anwachsen in 0, 1 sec erfolgt. Daraus ist zu schließen, daß die Kernschmelzunfälle, die zur Freisetzung von Radioaktivität führen können, erheblich schneller und mit größerer Wucht als bei Leichtwasserreaktoren erfolgen. Von der Betreiber-seite werden hingegen optimistische Sicherheitsberichte veröffentlicht. Wenn man sich aber vergegenwärtigt (was hier nicht weiter ausgeführt werden kann), daß selbst nach 20jährigem Einsatz der Leichtwasserreaktoren deren Sicherheitssysteme noch immer mangelhaft sind, so wird man diesen Optimismus gegenüber einem noch unfertigen Reaktortyp nicht teilen können.
Aus dieser Diskussion geht zwingend hervor: Es ist leichtfertig, Schwerstunfälle als unwahrscheinlich abzutun. Wenn man schon Kern-technik betreibt, dann wäre es vielmehr sinnvoll, das Zeitverhalten der Systeme sowohl bei Regelungseingriffen als auch bei Schwerstunfällen als wesentlichen Sicherheitsfaktor in der Auswahl der Systeme und Ausbaukonzepte zu berücksichtigen. Leichtwasserreaktorenkönnen nicht unabhängig von ihren Nachiolgetypen beurteilt werden, und es kann nicht verantwortet werden, daß von Energieversorgungssystemen, die schwerwiegende potentielle Gefährdungen mit sich bringen, beim Einsatzbeginn nur Teile fertiggestellt und erprobt sind, wogegen sich andere integrierte Teilbereiche noch im Stadium der Unsicherheit befinden. Solches Vorgehen kann man sich nur bei relativ harmlosen Techniken erlauben. Es ist ein gefährlicher Zug unserer Zeit, daß der Abschluß von Entwicklungen vor-geplant wird, obwohl letztlich keine Garantie für die Planerfüllung gegeben werden kann. 7. Ausbaupläne Das Wachstumsmodell der Wirtschaft nimmt eine direkte Proportionalität zwischen Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch bzw. Energiebereitstellung an. Von Vertretern dieses Modells wird dabei immer wieder betont, daß das Wachstum zwar maßvoll, aber stetig, d. h. über längere Zeit anhaltend sein muß, um die anstehenden Probleme zu lösen. Auf ein mögliches oder beabsichtigtes Ende dieses Wachstumsprozesses wird nicht hingewiesen. Es ist daher legitim, die Fortschreibung der gegenwärtigen Energiepolitik für einen längeren Zeitraum, nämlich bis zum Jahre 2025, in ihren Konsequenzen zu untersuchen. Eine solche Untersuchung wurde vom Institut für System-und Innovationsforschung durchgeführt.
Ausgegangen wird dabei vom Jahr 1970 mit einer Primärenergieeingabe von rund 360 Mill, t SKE und 207 Standardkraftwerken zu 1 000 MW elektrischer Leistung sowie 27 Milliarden Dollar Energiekosten. Für das Jahr 2025 erhält man dann bei konsequenter Fortschreibung des geltenden Energieprogramms der Bundesregierung eine Primärenergieeingabe von 1 300 Mill, t SKE mit 735 Standard-kraftwerken zu 1 000 MW elektrischer Leistung sowie 113 Milliarden Dollar Energiekosten. Der Anteil der Stromerzeugung soll dabei erheblich stärker zunehmen als die Gesamtenergieerzeugung, nämlich von ungefähr 26 % der Gesamtenergieeingabe im Jahr 1972 auf etwa 53 °/o im Jahr 2000. Ferner sollen die Anteile von Steinkohle, Erdöl, Erdgas usw. bei der Primärenergieeingabe prozentual abnehmen zugunsten einer vermehrten Verwendung von Kernenergie. Da die Primärenergieeingabe erheblich steigen soll, bedeutet dies, daß ein forcierter Ausbau der Kernenergie nötig wird. Da gegenwärtig nur Leichtwasserreaktoren in größerer Anzahl gebaut werden, wird dieser Ausbau zwangsläufig mit den Leichtwasserreaktoren beginnen und ebenso zwangsläufig mit den Natriumbrütern fortgesetzt werden, da die letzteren im selben Brennstoffkreislauf wie die Leichtwasserreaktoren arbeiten und nur so, wenn überhaupt, die nukleare Brennstoffversorgung sichergestellt werden kann. Im Jahre 1970 betrug der Anteil der Kernenergie an der Energieversorgung nur 1 %. Wenn die weitere Steigerung der Primärenergieeingabe allein durch die Kernenergie gedeckt werden soll, dann führt dies im Jahre 2000 auf 150 Standardkernkraft-werke mit drei Wiederaufbereitungsanlagen, im Jahre 2025 aber bereits auf 550 Standard-kernkraftwerke mit elf Wiederaufbereitungs-B anlagen. Die Flächendichte der Kraftwerke betrug im Jahr 1970 35 km X 35 km für ein Kraftwerk, im Jahre 2000 wird dann jeweils in einem Bereich von 26 km X 26 km ein Kraftwerk stehen und im Jahre 2025 auf 18 km X 18 km. Der Energieverbrauch pro Einwohner betrug im Jahr 1970 6 t SKE und wird bei einer gleichbleibenden Bevölkerungszahl von rund 60 Millionen im Jahr 2025 22 t SKE betragen. Wenn ein solcher Ausbau durchgeführt wird, dann ist das durch diese Kraftwerksmassierung hervorgerufene Gefahrenpotential nahezu unabschätzbar groß. Es wird eine große Menge von bestausgebildetem Personal benötigt, und je älter die Kraftwerke werden, um so mehr Personal muß vermutlich eingesetzt werden, da mit wachsendem Alter nach den bisherigen Erfahrungen die Strahlenbelastungen steigen, was einen häufigen Personalwechsel notwendig macht, der eine weitere Gefahrenquelle bedeutet. 8. Strahlenbelastung Nimmt man die angegebenen Wachstumsraten an, so muß befürchtet werden, daß bei elf Wiederaufbereitungsanlagen und 550 Kernkraftwerken im Jahre 2025 nicht nur die lokale, sondern auch die globale Strahlenbelastung der Bevölkerung bereits im Normalbetrieb erheblich ansteigt. Diese Befürchtung ist um so berechtigter, als die Kerntechnik sich sowohl bezüglich der Brutreaktoren als auch bezüglich der Wiederaufbereitungsanlagen noch im Entwicklungsstadium befindet und niemand garantieren kann, daß die heute noch unzureichende Rückhaltung von Emissionen in Zukunft wirklich wirtschaftlich tragbar verbessert werden kann. Die Bevölkerung hat in dieser Hinsicht auch keinen gesetzlichen Schutz. Wird nämlich die maximal zulässige Strahlenmenge überschritten, so kann nach § 33 und § 46 der Strahlenschutzverordnung von den festgelegten Schutzvorschriften durch Behördenerlaß abgewichen werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn neue Anlagen erprobt werden usw., d. h. im Einzelfall verordnen lokale Behörden die zulässige Radioaktivität. Hinzu kommt, daß die Bevölkerung Radioaktivität sinnlich nicht wahrnehmen kann und die Emissionsüberwachung von den Betreibern durchgeführt wird. AU dies erschwert die Beobachtung der korrekten Einhaltung der Vorschriften und wird vor allem dann wirksam, wenn die Anlagen schon stehen und nicht so gut abgeschirmt werden können, wie man sich dies vorgestellt hat. Die psychologische Neigung, den Sachzwängen nachzugeben, insbesondere, wenn man das Schadenspotential nicht wahrnehmen kann, wird bei den Behörden dann sicherlich sehr groß sein. Am Beispiel von hochgiftigen, nicht sichtbaren chemischen Substanzen, wie sie in Seveso emittiert wurden, wird auch deutlich, daß die Bevölkerung große Schwierigkeiten hat, sich auf eine solche Situation einzustellen, weil sie einfach nicht glauben kann, daß da, wo man nichts wahrnehmen kann, trotzdem eine große Gefahr herrscht. Wenn diese Gefahr dann in ihren Wirkungen manifest wird, ist es bereits zu spät. 9. Abwärme Bei allen Maschinen treten neben der gewünschten Arbeitsleistung auch unvermeidbare Energieverluste auf. Diese Energieverluste fallen konzentriert bei den Kraftwerken als Abwärme an, wogegen die übrigen Energieverluste diffus im ganzen Verteilernetz und bei den Verbrauchern selbst auftreten. Es sollen hier nur die konzentriert anfallenden Energieverluste angegeben werden. Diese betrugen im Jahr 1970 70 Mill, t SKE. Wird ohne weitere Maßnahmen zur Abwärmenutzung im bisherigen Verfahren weitergebaut, so sind im Jahre 2000 bereits 330 Mill, t SKE und im Jahre 2025 schließlich 560 Mill, t SKE Verluste zu erwarten, wenn man das in Abschnitt IV 6 diskutierte Ausbauverhalten annimmt. Der Wirkungsgrad bei der Ausnutzung der Primärenergieeingabe verschlechtert sich dabei zusehends, weil er im Jahr 1970 im wesentlichen durch den Wirkungsgrad von Kohlekraftwerken und Olkraftwerken bestimmt wurde, im Jahre 2025 hingegen nach dem starken Ausbau der Kernenergie durch den wesentlich geringeren Wirkungsgrad der Kernkraftwerke bestimmt sein wird. Während im Jahr 1970 der Verlust durch konzentrierte Abwärme etwa 19, 5 °/o der Primärenergie betrug, wird er im Jahre 2025, ganz abgesehen von allen anderen Verlusten, etwa 43 °/o betragen. Bereits im Jahre 2000 fällt dann praktisch so viel Abwärme an, wie 1970 als Primärenergie eingegeben wurde. Diese Zahlen machen deutlich, daß eine ungeänderte Fortführung des bisherigen Ausbaukonzepts zu einer unerträglichen Verschwendung von Energie führen würde. Diese Energieverschwendung wäre auch ökologisch äußerst bedenklich wegen der damit verknüpften Aufheizung der Flüsse und der Atmosphäre. Nimmt man ferner an, daß auch die anderen Industriestaaten solche Ausbaupläne realisieren wollen, so würde die antropogene Energieerzeugung in Größenordnungen geraten, die auch globale Klimaänderungen mit allen ihren einschneidenden Folgen bewirken würden. Die Meinungen, wann solche Effekte eintreten, gehen hierbei auseinander. 10. Verlust von Optionen Der Übergang zu einer Energiewirtschaft, in der die Stromerzeugung den größten Energie-anteil für sich beansprucht, ist notwendig mit einer Strukturänderung bei Wirtschaft und Privatverbrauchern verbunden. Diese müssen sich auf bevorzugten Verbrauch von den Elektrizität einstellen, d. h. das Gesamtsystem wird immer stärker elektrifiziert. Wenn ein solcher Elektrifizierungsprozeß aber konsequent durchgeführt würde, dann wäre er für lange Zeiträume praktisch nicht mehr rückgängig zu machen. Dies bedeutet: Auch wenn schwere Unfälle oder sonstige Ereignisse zu schweren oder gar unerträglichen Belastungen führen würden, so müßte doch das einmal ausgebaute System beibehalten werden, auch wenn es sich in keiner Weise als optimal herausstellen sollte. Ferner würde ein solcher Ausbau zu hohen Kosten führen, die das Kapital in der Energiewirtschaft binden und wenig Spielraum für andere Entwicklungen lassen würde. 11. Importabhängigkeit Eines der Ziele des Energieprogramms der Bundesregierung ist die Verminderung der Importabhängigkeit von Primärenergieträgern, insbesondere vom öl. Die schon erwähnte Studie des Instituts für Systemtechnik und Innovationsforschung zeigt, daß dieses Ziel nicht erreicht werden kann. Vielmehr wird die Abhängigkeit von Ölimporten nur übergewälzt auf die Abhängigkeit von Uranimporten und gegebenenfalls Thoriumimporten. Daran ändert auch nichts, daß der Brutreaktor in diesem Konzept auf jeden Fall eingesetzt werden muß. Durch die expansive Erweiterung der Erzeugungskapazität sind trotz der Brutreaktoren weiterhin Kernbrennstoffimporte notwendig. Der Primärenergieträgerimport betrug 1970 65% der Primärenergieeingabe und wird bis zum Jahre 2000 auf 73 % im Expansionsmodell steigen. Er wird dann auch im Jahre 2025 noch 73 % betragen. Die dann vorhandene starke Importabhängigkeit von nuklearem Brennmaterial ist in keiner Weise besser abgesichert als etwa die Einfuhr von öl. Bereits jetzt betreiben die Uranproduzenten, z. B. die USA, Kanada, Südafrika und Australien, durchweg eine restriktive Exportpolitik. 12. Verteidigung Die Bundeswehr hat die Aufgabe, durch ihre Existenz und Funktionsfähigkeit einen Krieg zu Das Konzept der Abschrekkung ist jedoch nur dann wirksam, wenn es in sich widerspruchsfrei ist. Widerspruchsfreiheit bedeutet, daß Abschreckung prinzipiell möglich und der Ernstfall für den Verteidiger mit einer Überlebenschance verbunden ist. Aus der Interessenlage der Bundesrepublik wird daher die Vorneverteidigung von der politischen und militärischen Führung angestrebt, um eine weitergehende Zerstörung auf bundesrepublikanischem Territorium zu verhindern. Beim gegenwärtigen Stand der Technik konventioneller Waffen ist es jedoch selbst bei einer von der NATO mitgetragenen Vorneverteidigung ausgeschlossen, das Territorium der Bundesrepublik von Kampfhandlungen freizuhalten. Moderne konventionelle derartige Waffensysteme verfügen über eine Beweglichkeit und Reichweite, daß die Bundesrepublik im Konfliktfall unter massiver Waffeneinwirkung stehen würde. Selbstverständlich sind die Kraftwerksstandorte militärisch erfaßt, und im Konfliktfall könnte die gezielte Zerstörung mit konventionellen Waffen ein Giftpotential freisetzen, das Leben auf dem Territorium der Bundesrepublik vernichten und unmöglich machen würde. Aber selbst wenn es die Absicht wäre, die Kraftwerke von Kampfhandlungen auszunehmen, würde dies wegen der vorgesehenen großen Kraftwerksdichte praktisch nicht durchführbar sein, da Zufallstreffer nicht zu verhindern wären. Hinzu kommt, daß man die Reaktoren zwar abstellen kann, daß sie aber trotzdem weiter gekühlt und gewartet werden müssen. Fällt dies wegen Kriegshandlungen aus, so sind Reaktorunfälle die Folge, die ebenfalls zur Freisetzung von Radioaktivität führen. Das gleiche gilt für Wiederaufbereitungsanlagen. Dies bedeutet mit allen Konsequenzen für die Zivilbevölkerung: Die Bundesrepublik befindet sich im Moment eines konventionellen Angriffs sogleich auch in einem schleichenden Atomkrieg. Beim weiteren Ausbau der Kernenergie kann nur gehofft werden, daß eine solche Aussicht den potentiellen Angreifer mehr abschreckt, als die Fähigkeit zur Verteidigung vermindert wird. >>V. Fossilenergie
Im vorangehenden Abschnitt wurde das soge-nannte nukleare Szenario einer Kritik unterzogen, und es wurde auf die Gefährdungen hingewiesen, die dieses Szenario mit sich bringt. Es ist daher naheliegend, die Frage zu untersuchen, welche ökologischen Folgen das nächstliegende Alternativszenario verursacht, das auf der Verbrennung der fossilen Brennstoffe öl, Erdgas, Kohle beruht. Die nachgewiesenen Vorräte an fossilen Brennstoffen betragen etwa 1 100 • 10* t SKE. Vergleicht man dies mit den Angaben über nukleare Brennstoffe, so ergibt sich: Bei Einsatz von Brütern beträgt das Energiepotential nachgewiesener nuklearer Brennstoffe etwa das vierfache jener fossilen Brennstoffe. Die fossilen Brennstoffvorräte stellen also trotz jahrhundertelang bereits betriebener Ausbeutung immer noch ein beachtliches, mit der Kernenergie konkurrenzfähiges Energiepotential dar.
Im Gegensatz zur Kernenergie bestehen bei den Fossilkraftwerken keine Sicherheitsprobleme vergleichbaren Ausmaßes, so daß sich eine ausführliche Diskussion der Unfallprobleme bei der Fossilenergie erübrigt. Die konventionellen Kohlekraftwerke u. ä. sind aber mit ihren durch den Normalbetrieb erzeugten Schadstolfbelastungen bereits gegenwärtig nur noch schwer tragbar. Bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe in Kraftwerken, Industrie, Haushalten und im Verkehr werden in unterschiedlichem Maße Schadstoffe freigesetzt, und zwar z. B. SOs, Staub, NOx, CmHn CO sowie CO 2. Die zulässige Schadstoffbelastung wird in der Bundesrepublik im Mittel um das Dreifache überschritten, in den Ballungsräumen um rund das Elffache. Bereits gegenwärtig schafft die Verbrennung fossiler Brennstoffe daher lokal eine äußerst gefährliche toxische Situation. Durch geeignete Maßnahmen kann bei der Verbrennung die Emission von SO 2, Staub, NOx, CmHn, CO weitgehend unterdrückt werden, worauf im weiteren noch genauer eingegangen wird. Was jedoch nicht unterdrückt werden kann, ist die Produktion von CO 2, da CO 2 das Endprodukt einer vollständig durchgeführten Verbrennung fossiler Brennstoffe ist. Kohlendioxid ist kein Schadstoff im herkömmlichen Sinne. Im Gegensatz zu den vornehmlich lokal wirkenden erstgenannten Schadstoffen verteilt sich die durch die Verbrennung hervorgerufene Kohlendioxidkonzentration aber fast gleichmäßig über die ganze Erde. COa hat die Eigenschaft, kurzwelliges Sonnenlicht ungehindert durchzulassen, während es die von der Erdoberfläche ausgesandte Infrarotstrahlung absorbiert. Durch diesen „Treibhauseffekt''würde eine Zunahme der atmosphärischen COg-Konzentration eine Zunahme der globalen Durchschnittstemperatur zur Folge haben, sofern man andere, auch in die entgegengesetzte Richtung wirkende, großenteils noch ungeklärte Effekte außer acht läßt.
Dabei ist festzustellen, daß die COz-Produktion einen tiefen ökologischen Eingriff darstellt, der kurzfristig nicht steuerbar ist. Der CO: -Gehalt der Atmosphäre beträgt jetzt etwa 320 ppm gegenüber einem vorindustriellen Wert von etwa 300 ppm. Im Jahre 2000 wird die COz-Konzentration bereits auf 400 ppm bis 420 ppm angestiegen sein; dieser Wert ist praktisch schon vorprogrammiert und läßt sich kaum noch beeinflussen. Eine Verdopplung des ursprünglichen CO 2-Gehalts von 300 ppm würde bei gleichbleibender relativer Feuchtigkeit und mittlerer Bewölkung eine Temperaturerhöhung um 2, 3° C mit sich bringen. Würde man alle abbauwürdigen Kohlevorräte in den nächsten 150 Jahren verbrennen, was etwa einer jährlichen Steigerungsrate von 2 ®/o in der Energie-produktion entspricht, so würde der COg-Gehalt in der Atmosphäre um etwa das Drei-bis Sechsfache ansteigen und damit auf eine Temperaturerhöhung von etwa 7° bis 14° C führen.
Durch den Vergleich mit den erdgeschichtlichen Perioden weiß man, daß Temperatur-verschiebungen dieser Größenordnung das Abschmelzen der Polkappen bewirken und damit einen Anstieg der Weltmeere um rund 100 m verursachen können. Wegen der gegensätzlich wirkenden Effekte war diese Folgerung lange Zeit nicht eindeutig zu belegen. Offensichtlich verdichtet sich aber gegenwärtig die Gewißheit, daß dieser Trend realistisch abzuschätzen ist. Dies bedeutet: Das fossile Szenario endet in einer ökologischen Katastrophe. Wer aus ökologischer Verantwortung das rein nukleare Expansionsszenario ablehnt, muß aus gleichen Gründen auch das fossile Expansionsszenario ablehnen. Um Mißverständnisse zu vermeiden, sei betont, daß die Ablehnung des fossilen Szenarios nicht mit der Ablehnung von Verbrennungsvorgängen schlechthin identisch
ist. Verbrennungsvorgänge sind dann ungefährlich, wenn sie, abgesehen von Schadstoff-17 man hingegen fossile Vorräte, so wird einseitig CO 2 ohne Rezyklierung freigesetzt. Ein auiweisen. Verbrennt man z. B.organischen Abfall über Methanerzeugung, so handelt es sich um einen geschlossenen Kreislauf, da die Pflanzen usw.der Luft dasjenige CO» entziehen, das danach durch Verbrennung wieder freigesetzt wird. Verbrennt expansives fossiles Szenario muß von vornherein ausgeschlossen werden, und es dürfen bezüglich der Verbrennung nur rezyklierbare Vorgänge betrachtet werden. Dieser Standpunkt wird im folgenden eingenommen.
VI. Alternativstrategien
Alle wirtschaftlichen und technischen Entwicklungen auf dem Energiesektor erfordern erhebliche Finanzmittel. Diese Finanzmittel müssen nicht nur von der Betreiberseite, sondern auch von der Abnehmerseite aufgebracht werden. Im Endergebnis trägt der Abnehmer die gesamten Lasten. Diese verteilen sich auf die Installationsund Anlagekosten auf der Abnehmerseite, auf die Energiepreise und auf Steuern. In den beiden letzten Posten sind die gesamten Kosten der Betreiberseite enthalten. Aus psychologischen Gründen stehen an erster Stelle im Bewußtsein des Verbrauchers, insbesondere bei billigen Energie-preisen, die Installationsund Anlagekosten, dann folgen die Energiepreise, wogegen der Steueranteil, der für die Energieversorgung abgezweigt wird, kaum Beachtung findet. In den vergangenen Jahrzehnten wurden infolge der billigen Olpreise und Strompreise von den Abnehmern die Anlagen auf diese Energieformen umgerüstet. Da zunächst keine weiteren Nebenbedingungen gestellt wurden, waren die Anlagen insbesondere für Privatverbraucher außerordentlich preiswert. Die weltwirtschaftliche Entwicklung erzwingt aber eine Änderung der Energieversorgung. Diese Änderung wurde bereits vor langer Zeit eingeleitet und über Steuermittel und Strom-preise finanziert, was vom Verbraucher im allgemeinen gar nicht wahrgenommen wurde. Der von den Energieversorgungsunternehmen sowie vom Staat eingeschlagene Weg zur Änderung der Energieversorgung besteht dabei im Prinzip darin, das öl durch Strom zu substituieren, wobei der Strom in Kernkraftwerken erzeugt werden soll. Diese Entwicklung kommt der Verbraucherpsychologie entgegen, da die Elektroanlagen außerordentlich preiswert sind und der Strom zumindest auf der Abnehmerseite eine äußerst bequeme und saubere Energiequelle ist. Die Durchführung dieser Öl-Strom-Substitution würde auf einem bereits begangenen Weg weiterführen und bezüglich der Anlagekosten den Verbraucher wenig belasten. Jede Änderung dieser Strategie auf eine andere Energieversorgungsvariante würde zumindest bezüglich der Anlagekosten kurzfristig von der Abnehmerseite einen höheren Einsatz erfordern. Eine solche Strategieänderung ist daher unmittelbar mit der Frage konfrontiert: Ist sie auch wirklich zwingend notwendig?
Es sollen in diesem Kapitel Alternativstrategien der Energieversorgung diskutiert werden. Bevor dies im einzelnen geschieht, ist die Notwendigkeit einer Umorientierung deutlich zu machen. Die Frage ist dabei: Gibt es Aussichten, daß in absehbarer Zukunft terrestrische Energiequellen, insbesondere für Strom, in einem solchen Überfluß zur Verfügung stehen werden, daß jede Umstellung zu einer überflüssigen Anstrengung wird?
Nachdem das Fossilszenario ausgeschlossen wurde, sind als mögliche Kandidaten für eine Überflußproduktion an Strom die Fusionsreaktoren, die Brutreaktoren und die Wasserstoffverbrennung in Betracht zu ziehen. a) Fusionsreaktoren: Es gibt zwei Verfahren, mit denen man das Ziel einer technisch und wirtschaftlich verwertbaren Energieerzeugung durch Fusion, d. h. durch Verschmelzen leichter Atomkerne erreichen will, nämlich entweder durch magnetischen Einschluß eines Plasmas und dessen hohe Erhitzung oder durch die Bestrahlung kleiner Brennstoffkugeln mit intensivem Laserlicht. Mit dem Betrieb eines magnetischen Fusionsreaktors sind schwerwiegende Gefahren verbunden, da im'Magnetfeld große Energien gespeichert sind, die bei Beschädigung des Systems abrupt freigesetzt werden könnten. Ferner können gefährliche Lithium-Brände auftreten, und die größte Gefährdung stellt das aus der Anlage entweichende radioaktive Tritium H 3 dar. Die Lasermethode ist nicht so genau untersucht wie die magnetische Methode, deshalb sind ihre Probleme und ihre Umweltauswirkungen noch nicht so bekannt. Jedoch kann auch für sie angenommen werden, daß einer technisch brauchbaren Lösung noch immense Schwierigkeiten entgegenstehen. Gegenwärtig liefern die Magnetreaktoren etwa 80 bis 90°/0 der eingegebenen Energie, d. h. sie sind bis jetzt energieverbrauchende und nicht energieerzeugende Maschinen. Es wird angenommen, daß in etwa 10 bis 15 Jahren der Durchbruch zur Energieerzeugung gelingen könnte. Selbst dann muß aber eine lange Periode der anschließenden Entwicklung zu wirtschaftlich arbeitenden Reaktoren angenommen werden. Gegenwärtig ist die Konstruktion solcher Fusionsreaktoren für die industrielle Massenfertigung noch nicht absehbar, und es gibt keine Garantie, daß es mit Sicherheit gelingen wird, überhaupt in diesem Sinne brauchbare Reaktoren zu konstruieren.
b) Brutreaktoren: Brutreaktoren wurden oben bereits diskutiert. Wegen der hohen Material-beanspruchungen werden für Brutreaktoren Betriebszeiten von zehn Jahren, maximal von 15 Jahren angenommen. Während dieser Zeit sollte ein Brutreaktor mehr Brennstoff geliefert haben als eingesetzt wurde. Ein Maß dieses Wirkungsgrades ist die Verdopplungszeit des Brüters, d. h. jene Zeit, die benötigt wird, um doppelt soviel spaltbares Material zu er-brüten wie ursprünglich vorhanden war. Es wird angenommen, daß Verdopplungszeiten von mehr als zehn Jahren nicht mehr wirtschaftlich sind. Der am weitesten fortgeschrittene Reaktor dieser Richtung, der französische Phenix, hat eine Verdopplungszeit von 40 Jahren, und beim Nachfolger, Superphenix, erwartet man 20 Jahre. Die großen Schwierigkeiten, die die Materialbeanspruchungen mit sich bringen, lassen es fraglich erscheinen, ob die Konstruktion der natriumgekühlten Schnellen Brüter wirklich so schnell durchführbar ist, daß der Durchbruch zum großtechnischen Masseneinsatz in absehbarer Zeit gelingt. Hinzu kommt das nukleare Gefährdungspotential, so daß Brutreaktoren auf der Linie der natriumgekühlten Schnellbrüter besser nicht verwendet werden sollten. Eine aussichtsreichere Variante stellen die gasgekühlten Brutreaktoren dar, die die Vorteile des Brüters mit den Vorteilen der Hochtemperaturreaktoren vereinen würden. Allerdings werfen auch sie erhebliche Sicherheitsproble-me auf, da sie bei Ausfall der Kühlmittelpumpen keine Naturkonvektion aufweisen, die die Wärme abführen könnte.
c) Wasserstoff-Verbrennung: Wasserstoff als
Brennstoff muß erzeugt werden, und zwar durch Strom, d. h. mittels Elektrolyse oder durch photochemische Katalyse, d. h. durch direkte Einwirkung der Sonne oder durch direkte Ausnutzung von Prozeßwärme. Als Energiequellen können dazu z. B. Hochtemperaturreaktoren und (oder) solare Kraftwerke benutzt werden. Vor allem im Rahmen einer Energieerzeugung durch solare Kraftwerke ist Wasserstoff interessant. Die Verwendung von Wasserstoff bietet neben lösbaren sicherheitstechnischen Problemen eine größere Anzahl von Vorteilen. Das Rohprodukt Wasser ist billig und kommt weitverbreitet vor; Wasserstoff kann vollsynthetisch erzeugt werden. Das Verbrennungsprodukt Wasser ermöglicht ein vollständiges Recycling. Man kann die Verwendung des gut transportierbaren und gut speicherbaren Wasserstoffs daher praktisch mit dem Einsatz von Elektrizität vergleichen. Die Nutzung ist in vielen technischen Bereichen möglich. Um die Sonnenenergie großtechnisch nutzbar zu machen, ist ein Sekundärenergieträger erforderlich, der gut speicherbar und wirtschaftlich über große Entfernungen transportierbar ist. Beide Eigenschaften erfüllt Wasserstoff in hervorragender Weise.
Zusammenfassend kann man feststellen: Die technische Erschließung dieser Bereiche würde praktisch außerordentlich große Energie-mengen zur Verfügung stellen, die insbesondere im Wasserstoffsystem bei solarer Erzeugung unerschöpflich wären. Es stehen sich also im wesentlichen zwei Szenarios gegenüber, nämlich das nukleare Szenario mit Spaltung, Brüten und Fusion und das Sonnenszenario. Das nukleare Szenario wirft enorme technische und sicherheitstechnische Probleme auf; es ist nicht umweltfreundlich. Sein Vorteil ist aber, daß es im Land selbst vorwärtsgebracht werden kann. Das Sonnenszenario ist, falls sich die Wasserstoffverbrennung total durchführen läßt, umweltfreundlich und wirft nicht im entferntesten solch ein Ausmaß an technischen Problemen wie das nukleare Szenario auf; aber es ist vollständig wohl kaum im eigenen Land durchführbar.
Die Energieproduktion im Übermaß ist daher im nuklearen Szenario ein technisches und sicherheitstechnisches Problem, im Sonnenszenario aber eher ein politisches Problem der Umstellung auf internationale Kooperation.
Daraus folgt: Entweder aus technischen oder aus politischen Gründen ist ein Energieüberfluß in absehbarer Zeit nicht gegeben. Ferner muß berücksichtigt werden, daß insbesondere im nuklearen Szenario aus klimatologischen Gründen nicht beliebig viel Energie verbraucht und als Wärme freigesetzt werden darf. Dies beantwortet die gestellte Frage: In absehbarer Zeit und wegen der Klimäfolgen sogar immer ist die rationelle Energieverwen19 düng eine für affe denkbaren Entwicklungen notwendige Strategie, d. h., wer Energie spart, liegt in keinem Szenario falsch. Wer zusätzlich aber noch maximale Rezyklierung und Umweltfreundlichkeit fordert, wird soweit wie möglich zum Sonnenszenario greifen müssen. Die Ausgaben, die vom Abnehmer für die Umstellung auf eine rationellere Energieverwendung getätigt werden müssen, stellen daher in jedem Sinne eine positive Anlage von Kapital dar und rechtfertigen die zu erbringenden Opfer.
1. Rationelle EnergieVerwendung Als Verlustquellen bei der Energieversorgung sind verantwortlich a) die Wirkungsgrade bei den industriellen Erzeugern, b) die Wirkungsgrade bei den industriellen Verbrauchern, c) die Transportverluste, d) die Wirkungsgrade bei den Einzelverbrauchern. Wir nehmen zunächst das Wachstumsmodell von Abschnitt IV 7, in dem in Fortschreibung der gegenwärtigen Energieversorgungsund -verbauchstechnik keine rationellere Energie-nutzung angenommen und durchgeführt wird. Bei 360 Mill, t SKE Energieeingabe im Jahr 1970 und rund 1 300 Mill, t SKE im Jahre 2025 beträgt die konzentriert anfallende Abwärme, d. h. die Verlustenergie bezüglich a) und b) 19, 5 °/o bzw. 43 % der Primärenergieeingabe. Die drastische Zunahme dieser Verluste wird hierbei durch den steigenden Einsatz von Reaktoren mit geringem Wirkungsgrad bewirkt sowie durch die steigende Verwendung von Elektrizität. Bei den Endverbrauchern ohne konzentriert anfallende Abwärme betragen gegenwärtig bei Haushalten und Kleinverbrauchern die Verluste 55 °/o, bei der Industrie 45 % und beim Verkehr 82 %. Für das Jahr 1970 errechnet sich nach ISI ein Gesamtverlust von 65 %, nach den Angaben der Bundesregierung ein Verlust von 52 % der Primärenergieeingabe. Beim Energieverbrauch insgesamt stieg der Anteil der Haushalte von 36 °/o im Jahr 1960 auf 44% im Jahr 1973, beim Verkehr im gleichen Zeitraum von 15 % auf 18 %, dagegen fiel der Industrieanteil von 49 °/o auf 38 %. Dies bedeutet: In den vergangenen 15 Jahren hat die schlechte Energienutzung auch beim Verbraucher nicht abgenommen, sondern zugenommen. Wenn über die Hälfte der eingegebenen Primärenergie für die Nutzung verlorengeht und wenn zukünf tig auch von der Erzeugerseite mit Kernkraftwerken die Nutzung noch weiter verschlechtert wird, so ist dies auf Dauer nicht nur unbefriedigend, sondern im Hinblick auf die allgemeine Situation sogar untragbar.
Im Auftrag des Bundesforschungsministeriums wurde gemeinsam von mehreren Großunternehmen die Fichtner-Studie über rationellere Energienutzung erstellt. Sie erachtet es bei Veranlassen entsprechender Maßnahmen als realistisch, bis 1985 10 % der Primärenergieeingabe und bis zum Jahr 2000 20 % einzusparen. Dies bedingt, daß in den Haushalten die Heizgewohnheiten geändert werden müssen, eine Verbesserung der Wärmedämmung und der Heizanlagen angestrebt werden muß und die Wärmerückgewinnung eingeführt wird. Bei der Industrie verbraucht die Grundstoff-und die Produktionsgüterindustrie 67, 5 0/der eingegebenen Energie, davon die Eisenindustrie allein zwei Drittel, die Investitionsgüterindustrie 10 %, die Verbrauchsgüter-industrie 8, 7 % und die Nahrungsund Genußmittelindustrie 5, 1 %. Als Maßnahmen zur Einsparung werden vorgesehen: Sparsame Betriebsweise, verbesserte Technologien, verbesserte Wärmerückgewinnung, neue Technologien. Im einzelnen sollte es möglich sein, bei der Eisenindustrie 20 % einzusparen, bei der chemischen Industrie 30 bis 40 %, bei der Steine-und Erden-Industrie 10 bis 15 °/o, bei der Zellstoff-Papier-Industrie bis zu 25 °/o und bei der übrigen Industrie 10 bis 15 %. Im Verkehr sollte eine Einsparung von 20 bis 25% möglich sein, und zwar durch Umrüstung auf Gürtelreifen, verbesserte Motoren, verringertes Gewicht, Luftwiderstandsverringerung, Dieselmotoren und geeigneteres Fahrverhalten.
Bei der Fichtner-Studie wurde nicht berücksichtigt: die Rezyklierung von Rohstoffen, der Fernwärmeeinsatz, die Wärme-Kraft-Kopplung sowie die Verwendung neuer Energiequellen. Die Rezyklierung von Rohstoffen würde erhebliche Energieeinsparungen erbringen und zusätzlich die Einfuhrabhängigkeit der Bundesrepublik verringern. Z. B. muß bei der Stahlerzeugung aus Schrott nur Vs der Energie aufgewendet werden, die man für Stahlerzeugung aus Eisenerz benötigt, und das Wiedereinschmelzen von Aluminium verlangt nur 3 0/o des ursprünglichen Energieeinsatzes. Die Wiederverwendungsraten betragen gegenwärtig bei Blei 50 %, bei Zink 23 %, bei Zinn 43%, bei Kupfer 31, 6% und bei Aluminium 26, 7 %. Neben den Metallen erfordert die Erzeugung bzw. Verarbeitung von Kunststoffen, Stickstoffdünger, Textilfasern, Naturkautschuk große Energiemengen. In Westeuropa steigt der Grundstoffkonsum jährlich um etwa 4°/0 an. Für das Jahr 2000 erwartet man bei Weiteranhalten dieses Trends den Verbrauch der achtfachen Menge, verglichen mit dem gegenwärtigen Verbrauch. Der sparsame Verbrauch z. B. durch Fertigung langlebiger Produkte sowie die Wiederverwendung werden zunehmend wichtiger. Es ist zu erwarten, daß die Forschung auf diesem Gebiet erhebliche Fortschritte machen wird.
Was die Fernwärmeversorgung und damit, im Sinne rationellerer Energienutzung, die Abwärmeverwendung von Kraftwerken betrifft, so hängt diese vom Kraftwerkstyp ab. Bei Steinkohlenkraftwerken zur Stromerzeugung ist eine sogenannte Wärme-Kraft-Kopplung möglich und bewirkt dadurch eine Energie-ausnutzung von bis zu 80 °/o, d. h. einen Gesamtwirkungsgrad von 80 °/o. Auch bei Hochtemperaturreaktoren, wenn sie zur Stromerzeugung eingesetzt würden, wären wegen der angestrebten hohen Arbeitstemperaturen Wirkungsgrade bis zu 50 °/o möglich, so daß eine Abwärmenutzung auf der Niedertemperaturseite möglich würde, ohne den elektrischen Wirkungsgrad erheblich herabzusetzen. Bei den Leichtwasserreaktoren hingegen beträgt der Wirkungsgrad etwa 30 0/0 und würde bei Abwärmenutzung auf etwa 20 °/o bis 25 ’/o absinken. Etwas günstiger lägen die natriumgekühlten Brutreaktoren. Der massive Einsatz von Kernkraftwerken mit Leichtwasserreaktoren stünde demnach einer rationellen Energienutzung entgegen.
Eine rationellere Energienutzung ist auch bei der Prozeßwärmeerzeugung möglich, bei der die Wärme-Kraft-Kopplung in umgekehrter Richtung läuft: Aus der Abfallwärme der Prozesse wird Strom erzeugt. Es wird geschätzt, daß es sich hier um einen Beitrag von etwa 30 Mill, t SKE handelt, der gegenwärtig nicht aus technischen Gründen, sondern wegen des Oligopols der Stromerzeuger nicht hinreichend genutzt wird.
Nimmt man an, daß durch Rezyklierung sowie durch Fernwärmeeinsatz und Wärme-Kraft-Kopplung die Energieausnutzung nochmals um 20 % angehoben werden kann, so würde bei gleicher Primärenergieeingabe wie im Bezugsjahr 1970 im Jahre 2000 die effektive Energiedienstleistung insgesamt um 40 % ansteigen, d. h. von 130 Mill, t SKE nach ISI bzw. 165 Mill, t SKE nach dem Bundesministerium für Forschung und Technik auf 185 Mill, t SKE bzw. 230 Mill, t SKE. Demgegenüber würde im Expansionsmodell ohne den Versuch einer rationelleren Energienutzung usw. bei einer nahezu verdreifachten Primärenergieeingabe die effektive Energie-dienstleistung bei 308 Mill, t SKE liegen, d. h. trotz gewaltiger Anstrengungen im Ausbau könnte gegenüber der besseren Nutzung bei gleichbleibender Primärenergieeingabe nur ein Vorteil von 30 °/o mehr effektiv nutzbarer Energiebereitstellung erreicht werden.
Ein Anliegen, mit dem der gewaltige Ausbau der Kraftwerkskapazität gerechtfertigt wird, ist die Absicht der Substitution von O 1 durch Strom. Im Jahre 1973 gingen von der gesamten verwendeten und importierten Olmenge 38 ’/o an die Haushalte, 23 °/o in den Verkehr, 20% in die Industrie und etwa 14% in die Chemie. Da O 1 in der Chemie überwiegend als Ausgangsprodukt für Synthesen Verwendung findet, kann es dort nicht durch Strom ersetzt werden. Ebenso ist O 1 als Motoren-treibstoff in absehbarer Zeit nicht durch Strom zu ersetzen. Es verbleiben daher nur die Haushalte und die Industrie. In den Haushalten wird öl zur Heizung, d. h. zur Erzeugung von Niedertemperaturwärme verwendet, in der Industrie dagegen wird vornehmlich mit öl Prozeßwärme bei hohen Temperaturen erzeugt. Sowohl Niedertemperaturwärme als auch Prozeßwärme können mit Strom erzeugt werden. Es erhebt sich aber die Frage, ob der Prozeß der Umwandlung von Wärme in Strom und nachfolgend von Strom in Wärme ein Prozeß rationeller Energieverwendung ist. Dies muß verneint werden. Dieser Prozeß ist vielmehr als „rationelle Energieverschwendung“ zu bezeichnen. Im Jahr 1973 betrug der Wirkungsgrad der Umwandlung von Primär-energie in Strom rund 30 %, d. h. von 100 eingegebenen Primärenergieeinheiten gehen 70 bei der Stromerzeugung verloren. Dieses Verhältnis wird durch den Einsatz von Kernkraftwerken verschlechtert und nicht verbessert. Andererseits kann Strom universell eingesetzt werden, wenn man von den Leitungsverlusten absieht. Strom ist daher eine Edelenergie, die aber mit großen Erzeugungsverlusten behaftet ist. Demgemäß sollte eine solche Edelenergie nur dort eingesetzt werden, wo sie als Edel-energie wirklich benötigt wird. Die Erzeugung von Niedertemperaturwärme und von Warmwasser für Haushalte ist dagegen eine Strom-verschleuderung. Es wird im nachfolgenden noch ein genaueres Konzept zur Niedertemperaturenergieversorgung der Haushalte vorge-stellt. Jedenfalls ist festzuhalten, daß das Ol hier keinesfalls durch Strom substituiert werden sollte.
Es verbleibt die Frage der Substitution von Ol durch Strom für industrielle Prozeßwärme. Im Hinblick auf die Erzeugungsverluste sollte die Prozeßwärme möglichst nicht auf dem Umweg über den Strom, sondern direkt bereitgestellt werden. Für eine solche direkte Bereitstellung bietet sich aber der Hochtemperaturreaktor an und nicht der Umweg über die Stromerzeugung aus Leichtwasserkernkraftwerken. Dies bedeutet: Im Bereich von Verkehr und Chemie kann das Ol nicht durch Strom substituiert werden, im Bereich Haushalt und Industrie sollte das öl nicht durch Strom substituiert werden, sondern auf anderen Wegen. Ein rascher Ausbau der Stromerzeugungskapazität zur Ölsubstitution würde daher dieses Ziel teilweise gar nicht, teilweise nur auf höchst unrationelle Weise erreichen. Bei rationeller Verwendung müßte die bisher bereitgestellte Strommenge daher nur unwesentlich oder jedenfalls sehr viel langsamer und in Abstimmung mit den wirklichen wirtschaftlichen und sonstigen Bedürfnissen nach Edelenergie steigen.
Gegenwärtig setzt sich die Primärenergieeingabe für die Stromerzeugung zu 24 % aus Steinkohle, zu 20% aus Braunkohle, zu 18% aus Heizöl, zu 18% aus Erdgas, zu 10% aus Wasser, zu 10% aus Kernenergie zusammen. Der Anteil des Heizöls kann nach Aussagen des Vorsitzenden der Ruhrkohle AG, Bund, vollständig von der Kohle übernommen werden, so daß bei der Stromerzeugung überhaupt kein wesentlicher Zubau an Kernkraftwerken nötig wäre.
Um noch einmal zu verdeutlichen, warum Strom äußerst sparsam verwendet werden sollte, sei hier festgestellt, daß im Jahre 1973 der Strom mit 28 % am gesamten Primärenergieverbrauch, aber nur mit 8, 5 % an der effektiven Energiedienstleistung beteiligt war.
Andererseits muß festgehalten werden: Zur Aufrechterhaltung der Stromversorgung im bisherigen Umfang müssen die veralteten bisherigen Kraftwerke stufenweise durch neue Kraftwerke ersetzt werden, d. h.der Ersatzbedarf muß abgesichert werden. Hier stellt sich in der Tat die Frage nach der Substitution von Fossilkraftwerken durch Kernkraftwerke. Unter Einschluß des gesamten Brennstoffzyklus, wegen des großen Schadenspotentials und wegen der großen Abwärme verdienen die Kernkraftwerke keinesfalls das Prädikat umweltfreundlich. Würde man andererseits neue Kohlekraftwerke bauen, so wäre ohne Kapazitätsausweitung das COg-Problem noch tolerabel (längerfristig sicher nicht!) und auch die lokale Schadstoffemission könnte entschärft werden. Moderne Steinkohlekraftwerke können mit hochwirksamen Elektrofiltern und Rauchgasentschwefelungsanlagen ausgerüstet werden. Sie weisen nur noch 25 % der Emissionen vergleichbarer alter Anlagen auf. Es gibt neue Verfahren, so z. B. die Kohlevergasung mit Lurgi-Druckvergasern. Ein Gastur-binen-Dampfturbinen-Kraftwerk dieses Typs arbeitet in Lünen. Ohne Abwärmenutzung erreicht dieses System bereits einen Wirkungsgrad von 50 %. Es steht zum großtechnischen Einsatz zur Verfügung. Die Entfernung von Schwefelwasserstoff aus den Verbrennungsgasen gelingt praktisch vollständig. Daher gibt es keine SO 2-Emissionen bei der Verbrennung. Dieses Verfahren ist erheblich billiger als die SOs-Abtrennung mit Filtern aus dem Rauchgas. Die Stickoxydemissionen können um zwei Größenordnungen gesenkt werden. Das Werk ist praktisch staub-und ruß-frei. Bei der Substitution von 10 000 MW elektrischer Leistung von alten Steinkohlenkraftwerken durch neue ist eine Ersparnis von 600 Mill. DM im Jahr möglich. Wenn es um die Erhaltung der bisherigen Stromerzeugungskapazität und nicht um die Ausweitung dieser Kapazität geht, müssen sich auch die Bürgerinitiativen Grenzen setzen. Man sollte nicht gegen alles und jedes protestieren, sondern eine ökonomisch-ökologische Optimierung der Energieerzeugungsverfahren anstreben. Davon allerdings sind die Betreiber bei dem bisherigen Vorgehen noch weit entfernt!
Zusammenfassend ist festzustellen:
— Der Energieverbrauch entwickelt sich langsamer als angenommen, und zwar ohne jede Sparmaßnahmen. Dies geht aus einer Energiestudie des Mineralölwirtschaftsverbandes hervor.
— Die internationale Energieagentur stellt fest: Mit Energie geht der Westen verschwenderisch um. Es wurden noch keine Sparprogramme eingeführt.
— Reine Sparmaßnahmen sowie Rezyklierung von Rohstoffen und Abwärmenutzung könnten eine um etwa 40 % bessere Ausnutzung der Endenergie ermöglichen. Bei gleicher Primärenergieeingabe könnte bis zum Jahre 2000 eine erheblich bessere Energiedienstleistung erzielt werden, die nur um 30% niedriger läge als in einem Versorgungssystem mit Verdreifachung der Primärenergieeingabe, aber ohne Einsparungsmaßnahmen.
— Strom kann das Ol teilweise nicht und sollte es teilweise nicht substituieren. Strom ist eine hochwertige, aber zugleich unrationelle Energieform. Für Ol müssen andere Substituierungsmechanismen entwickelt werden, insbesondere beim Verkehr neue Treibstoffe, oder Einschränkung des Individualverkehrs zugunsten der Bahn.
— Bei neuer Tarifgestaltung könnte darauf hingewirkt werden, daß die Rolle des Stroms als Edelenergie besser beachtet wird. Eine Erhöhung der Stromerzeugungskapazitäten wäre bei rationellerer Nutzung nicht nötig. Im Prinzip könnte die Stromversorgung durch Kohlekraftwerke gedeckt werden.
— Nur 6 % des Gesamtölverbrauchs gehen direkt in die Stromerzeugung. Durch Kernkraftwerke ist daher auf diesem Sektor nur eine minimale Entlastung von der Importabhängigkeit zu erwarten;
— Es ist nicht zu verantworten, den gegenwärtigen Ausbau der Energieversorgung auf der Linie der Leichtwasserreaktoren-natriumgekühlte Schnellbrüter festzulegen und sich davon einen zukünftigen Energieüberfluß zu erhoffen. Einerseits sind die Brüter noch nicht durchkonstruiert und werfen Sicherheitsprobleme auf, die sie als gefährlich für den industriellen Masseneinsatz erscheinen lassen; andererseits ist der Wirkungsgrad der Leichtwasserreaktoren schlecht, sie sind nicht ungefährlich, ihre Brennstoffversorgung ist gefährdet und Wärme-Kraft-Kopplung ist nur schwer möglich.
— Eine rationelle Anwendung nuklearer Energie ist nur mit dem Hochtemperaturreaktor durch Wärme-Kraft-Kopplung bei der Stromerzeugung oder durch Prozeßwärmebereitstellung möglich.
2. Neue Energiequellen Die in Teil 1 behandelte Energieeinsparung kann nur ein Teil einer langfristigen Strategie zur Energieversorgung sein. Langfristig müssen sämtliche nichtregenerativen Energiequellen durch regenerative ersetzt werden. Dabei hat man zwei verschiedene Energiebereiche zu unterscheiden, was sowohl aus technischen als auch aus ökonomischen und ökologischen Gründen von Bedeutung ist, nämlich Niedertemperaturenergien und Hochtemperaturenergien. Während die Niedertemperaturenergien vor allem für die Raumhei-zung und Warmwasserbereitung von Bedeutung sind, umfaßt der Bereich der Hochtemperaturenergien alle jene Prozesse, die, verglichen mit dem ersten Bereich, bei erheblich höheren Temperaturen ablaufen und dabei Edelenergieträger wie Strom oder Brennstoffe mit hohem Brennwert benötigen. Es ist ein Charakteristikum unserer bisherigen Energie-versorgung, daß diese beiden Bereiche bisher nicht scharf voneinander getrennt wurden und daß der Niedertemperaturbereich überflüssigerweise mit Edelenergien betrieben wurde. Diese Verschwendung darf ein rationell aufgebautes Energieversorgungssystem nicht aufweisen, und es wird sich zeigen, daß der Umbau des Energieversorgungssystems auf die Benutzung regenerativer Energiequellen in ganz natürlicher Weise von dieser Einteilung Gebrauch machen muß. a) Neue Energiequellen für Niedertemperaturenergie Im Jahre 1973 wurden insgesamt 376 Mill, t SKE an Primärenergie verbraucht. Die konzentriert anfallende Abwärme der Stromerzeugung betrug 71 Mill, t SKE, die sonstigen Energieverluste vor dem Übergang der Energie auf die Abnehmerseite betrugen 19 Mill, t SKE, so daß den Abnehmer insgesamt nur 286 Mill, t SKE erreichten. Davon gingen 108 Mill, t SKE in die Haushalte und wurden dort zu 94 % für die Raumheizung und Warmwasserzubereitung verbraucht. Dies bedeutet: Rund 30 °/o der dem Abnehmer angebotenen Energie geht in den Niedertemperaturbereich. Berücksichtigt man, daß auch in der Industrie Niedrigtemperaturwärme benutzt wird, so steigt der Anteil dieser Energieform an der Gesamtenergie noch weiter. Umgerechnet auf reine Olnutzung könnte man mehr als die Hälfte des Importöls einsparen, wenn eine Substitution durch alternative Energieträger durchgeführt würde. Für die Gesamtenergie-versorgung ist daher dieser Bereich von wesentlicher Bedeutung, und bei der Umstellung auf regenerative Energiesysteme ist er der erste Bereich, der betrachtet werden muß. Einerseits wird gegenwärtig in ihm mit die größte Verschwendung praktiziert, andererseits kann mit den gegenwärtigen technischen und ökonomischen Hilfsmitteln eine Umstellung sofort in Angriff genommen und erfolgreich bewerkstelligt werden.
Die Bereitstellung dieses Energiebetrags kann durch Nutzung von Abwärme und Sonneneinstrahlung erfolgen, über die Abwärme wurde bereits berichtet. Die durchschnittliche Sonnenenergiemenge, die auf die Fläche der Bundesrepublik fällt, beträgt pro Jahr ungefähr 8-1010 t SKE = 80 000 Mill, t SKE. Die ge23 samte bebaute und verkehrsgenutzte Fläche der Bundesrepublik beträgt 10 0/o der Gesamt-fläche, die bebaute Fläche allein 4, 3 %. Wird nur rund 1/4 der bebauten Fläche, d. h. rund 1 0/0 der Gesamtfläche benutzt, um solare Strahlungsenergie aufzufangen, so sind dies 800 Mill, t SKE oder derjenige Energiebetrag, der im Jahre 2000 bei einem forcierten Ausbau von Kernkraftwerken als Primärenergieeingabe erreicht wird. Bei einem Wirkungsgrad von rund 25 % für Warmwasser-und Raumheizung durch Kollektorsysteme wäre die effektive Dienstleistung von nur 1/4 der bebauten Fläche durch Sonnenenergie etwa 200 Mill, t SKE im Jahr, das ist etwa das Doppelte der Eingabe des Energieangebots für die Haushalte im Jahr 1973, wobei noch nicht berücksichtigt wurde, daß die effektive Energiedienstleistung nur 81 Mill, t SKE beträgt. Die Frage ist: Läßt sich dies wirklich nutzen? Dabei hat man zwischen den Wärmegeräten und der Möglichkeit der Flächennutzung zu unterscheiden. Was die Wärmegeräte betrifft, so handelt es sich um Kollektoranlagen, die mit Energiespeichern und dem Wärmeüberträgerkreislauf gekoppelt sind. Derartige Systeme sind gegenwärtig bereits einsatzbereit und werden von zahlreichen Firmen angeboten. Sowohl das System der Energiespeicherung als auch der Kollektorwirkungsgrad kann zukünftig noch verbessert werden.
Eine Studie der Großforschungsinstitute der Bundesrepublik stellt dazu fest: Unter den diskutierten Annahmen können in Ein-und Zweifamilienhäusern Systeme zur Warmwasser-und Heizenergieversorgung mit Flachkollektoranlagen und kombinierten Zusatzheizanlagen durchaus wirtschaftlich eingesetzt werden. Und: Würde man nur den Wärmebedarf der bis zum Jahr 2000 zu bauenden Ein-und Zweifamilienhäusern in Gemeinden unter 50 000 Einwohnern mit einer Sonnen-OI-Hei-zungskombination decken, wobei die Sonnen-energie einen Anteil von 65 0/o übernimmt, so könnten bereits 10% des Haushaltsenergieverbrauchs von 1973 wirtschaftlich gedeckt werden. Dies würde allein für diesen äußerst eingeschränkten Fall rund 11 Mill, t SKE oder 6 % des gesamten Olimports ausmachen. b) Neue Energiequellen für Hochtemperaturenergie Auch hier ist zunächst die Ausnutzung der solaren Strahlungsenergie zu nennen. Diese kann mit Hochtemperaturkollektoren sowie mit Photozellen erfolgen. Dazu wiederum die Forschungsinstitute: Weltweit stehen genügend sonnenreiche Gebiete zur Verfügung, die eine großtechnische Solarenergienutzung ermöglichen. Die Gestehungskosten der elektrischen Energie von Solar-Tower-Anlagen werden bei etwa 5 bis 10Dpf/kWh liegen, d. h. die gegenwärtigen Stromenergiepreise müßten sich in etwa verdoppeln, um das quasi unbegrenzte technisch nutzbare Potential auch wirtschaftlich verwerten zu können. Um großtechnische Anlagen (solar tower) in einer derart großen Stückzahl herstellen zu können, daß ein nennenswerter Anteil des Primärenergiebedarfs bereitgestellt werden kann, sind mindestens 10 Jahre erforderlich. In dieser Zeit könnte durch Verteuerung oder Verknappung der bisherigen Primärenergieträger die Konkurrenzfähigkeit auch gegeben sein. Als erstes würden derartige Kraftwerke natürlich in sonnenreichen Gebieten entstehen, beispielsweise in den Brachlandarealen im südeuropäischen Raum. In der Bundesrepublik selbst ist eine wirtschaftliche Erzeugung von Hochtemperaturwärme mit dieser Methode nicht möglich. Bei der Abschätzung des gesamten Umfangs der Forschungs-und Entwicklungsarbeiten muß man sich vor Augen halten, daß das Gesamtgebiet auch international noch Neuland ist und daß bisher nur wenig experimentelle Erfahrung vorliegt. Die Sonnenenergieprogramme der USA und Japans zeigen jedoch, daß es unbedingt an der Zeit ist, auch in der Bundesrepublik Deutschland auf dem Sektor der Hochtemperaturkollektorsysteme mit den Forschungsund Entwicklungsarbeiten zu beginnen, da sonst zweifellos Zusammenarbeitsmöglichkeiten auf diesem Gebiet mit südeuropäischen sowie nordafrikanischen Ländern infolge der heranwachsenden übermächtigen Konkurrenz nicht wahrgenommen werden können. Und: Im Zusammenhang mit der optimalen Gestaltung des Gesamtkonzepts sind auch Arbeiten zu den Speichern und Zusatzaggregaten notwendig. Dabei kommt der Erforschung der Möglichkeiten der Energiespeicherung über mittlere Zeiträume (1 Monat) und langfristige Zeiträume (1 Jahr) besondere Bedeutung zu. Im Gegensatz zu den Hochtemperaturkollektorsystemen können Photozellen in der Bundesrepublik eingesetzt werden. Gegenwärtig sind die Preise für Photozellen noch erheblich zu hoch. Es ist aber zu erwarten, daß sie gesenkt werden können. Photozellen eignen sich für die dezentrale Erzeugung von Elektrizität, d. h. also einer Edelenergieform. Hierzu die Großforschungsinstitute: Anlagen zur photoelektrischen Solarenergiekonversion gehören zu den umweltfreundlichsten Energieer-B zeugungsanlagen. Als wesentlicher Punkt ist nur der große Flächenbedarf zu nennen. Dieser fällt jedoch für dezentrale Anlagen nicht ins Gewicht, da diese auf bereits genutzten Flächen, z. B. auf Hausdächern errichtet würden. Ein größerer Einsatz von solarelektrisdien Anlagen erfordert jedoch eine Reihe gesetzgeberischer Maßnahmen, wie z. B. Abschattungsverbote usw. Bei einem minimalen Wirkungsgrad von 10% könnten auf dem bereits erwähnten % der bebauten Fläche der Bundesrepublik rund 80 Mill, t SKE Strom als Effektivdienstleistungsenergie gewonnen werden, wogegen die Stromerzeugung in der effektiven Dienstleistung im Jahr 1973 bei rund 30 Mill, t SKE lag. Ferner urteilen die Großforschungsinstitute: Die Errichtung mehrerer mittlerer solarelektrischer Anlagen auf Gebäuden in der Bundesrepublik und einer Großanlage in sonnenreichen Gebieten ist zu empfehlen. Auch wenn gegenwärtig diese Systeme kostenmäßig noch nicht konkurrenzfähig sind, so ist für die nähere Zukunft durchaus absehbar, daß eine hinreichende Wirtschaftlichkeit erreicht wird.
Noch optimistischer als die Forschungsinstitute zeigt sich das Batelle-Institut. Eine im Auftrag der Schweizer Regierung verfertigte Studie sieht den Bau von 40 Energiestationen in Höhen zwischen 2 200 m und 2 600 m vor, die nach dem Solar-tower-Prinzip arbeiten. Diese Stationen würden pro Jahr für 50 000 t SKE Strom als Nutzungsenergie liefern, die Gesamtkosten des Projekts werden auf 250 bis 300 Millionen Franken veranschlagt, wobei der Preis pro Kilowattstunde der gleiche wie bei herkömmlichen Kraftwerken sein würde.
Eine weitere Möglichkeit zur Energiegewinnung ergibt sich durch Ausnutzung von Biomassezur Produktion von Methan. Jährlich fallen in der Bundesrepublik 135 Mill, t tierischer Abfälle an. Ferner könnte Methan aus Stroh und anderen pflanzlichen Abfällen erzeugt werden. Die geschätzte Energiemenge, die dabei gewonnen werden könnte, beträgt etwa 30 Mill, t SKE pro Jahr. Dieser Betrag ließe sich noch weiter erhöhen durch den gezielten Nutzpflanzenanbau für die Produktion. Die Pflanzen werden geerntet und in dezentralen Methanwerken verarbeitet. Deren Technik ist bereits bekannt, es müßten dazu keine langwierigen Forschungsarbeiten mehr durchgeführt werden. Das Prinzip ist einfach: In einem Tank wird zwischen 25°— 35° C die Biomasse zersetzt, das dabei entstehende Methan aufgefangen, gespeichert und in kleine Gaskraftwerke geleitet. Diese ermöglichen eine umweltfreundliche Stromproduktion sowie eine optimale Ausnutzung der Abwärme. Die Rückstände des Methanwerkes können über Kompostierung als Dünger in den landwirtschaftlichen Stoffkreislauf zurückgeführt werden. Das gesamte System schafft viele dezentrale Arbeitsplätze.
Ein kleinerer Energiebeitrag kann aus Müll-kraftwerken gewonnen werden. Unter der Annahme von 1/2t Müll pro Jahr und Einwohner würde sich deren Beitrag zu 3 Mill, t SKE ergeben.
Die Ausnutzung der Windenergie zur Strom-erzeugung könnte jährlich schätzungsweise einen Beitrag von 10— 15 Mill, t SKE liefern.
Ein universelles Verfahren zur Bereitstellung hochwertiger Energie ist die Wasserstofferzeugung,die als Brennstoff mittels der Knallgasreaktion Hochtemperaturenergie liefert. Wasserstoff kann erzeugt werden durch Elektrolyse mittels Strom, durch endotherme chemische Zersetzung, durch Photolyse sowie durch Biokonversion. Wasserstoff ist der universelle hochwertige Brennstoff der Zukunft, der, unabhängig ob er durch nukleare oder durch solare Energie erzeugt wird, das öl substituieren wird. Mit Wasserstoff können auch Sekundärbrennstoffe hergestellt werden. Die neueste und billigste Methode, die auch in unseren Breiten einsetzbar sein sollte, ist die Produktion von Wasserstoff aus Sonnenlicht mittels eines Ruthenium-Katalysators ohne hohe Drucke.
Zusammenfassend soll noch einmal eine Abschätzung von Energiebeiträgen aus neuen Energiequellen gegeben werden, die bis zum Jahr 2000 die Energiebilanz entlasten könnten, abgesehen von den parallel dazu zu ergreifenden Sparmaßnahmen:
— Nutzung der Sonnenenergie durch Kollektoren im Niedertemperaturbereich: ungefähr 30 Mill, t SKE.
— Verwertung von Biomasse: ungefähr 30 Mill, t SKE.
— Abwärmenutzung: 30 Mill, t SKE.
— Nutzung der Solarenergie durch Photozellen: 10 Mill, t SKE.
— Windenergie: 10 Mill, t SKE.
— Müllkraftwerke: 3 Mill, t SKE.
— Geothermische Energie: 2 Mill, t SKE.
Dies ergibt 115 Energieangebot Mill, t SKE als für Dienstleistungen effektives beim Verbraucher, wobei zu betonen ist, daß die hier aufgeführten Energiebeiträge aus Quellen stammen, die in der Bundesrepublik zur Verfügung stehen und daher als Ergänzung der bisherigen Energieträger aktiviert werden können, ohne daß eine wirtschaftspolitische Kooperation mit anderen Regionen notwendig wird. Zusammen mit der rationelleren Ntzung der übrigen Energiequellen kommt man damit auf ein Energieangebot, das in der gleichen Größenordnung liegt wie jenes, das als effektive Energiedienstleistung aus dem expansiven nuklearen Szenario zur Verfügung stünde. Wirtschaft, Technik und Politik hätten mit einer solchen Überbrückung hinreichenden zeitlichen Spielraum, um sich aui das endgültige Wasserstoffszenario ein-und umzustellen.
VII. Wirtschaftliche Auswirkungen
Von den beiden fundamentalen Energieversorgungssystemen stellt sich das nukleare Szenario als ein System dar, das den Versuch unternimmt, durch eine zentrale einheitliche Energieversorgung, nämlich durch die Strom-erzeugung,das gesamte Versorgungsproblem zu lösen, wobei in der Konzeption keine Rücksicht auf rationellere Nutzung genommen wird. Das Hauptgewicht dieses Szenarios liegt in dem absoluten Vorrang der Bereitstellung großer Energiemengen. Das Szenario läßt nicht erkennen, welche wirtschaftlichen und ökologischen Folgewirkungen es nach sich zieht. Konkrete Pläne, durch welche Abnehmerindustrien das Energieangebot ausgenutzt werden soll, fehlen.
Im Gegensatz dazu kann man im Alternativ-szenarioder Einführung neuer Energiequellen und der rationelleren Nutzung der bisherigen bereits einige wesentliche Aussagen machen. Sieht man von dem Problem der Abwärme-nutzung und der Errichtung solarer Groß-kraftwerke zunächst einmal ab, so handelt es sich in diesem Szenario im wesentlichen um den Ausbau von dezentralen Energieversor-gungs-und -nutzungseinrichtungen. Im Gegensatz zum Ausbau großtechnischer Energie-anlagen verlangt die rationellere Energienutzung und dezentrale Energiegewinnung, daß viele Bürger Entscheidungen über relativ geringe Investitionssummen und über Probleme treffen, die für sie überschaubar sind. Weiter ist eine relativ große Zahl von kleinen und mittleren Anlagen erforderlich, die heute schon von der Industrie gefertigt, vom Fachhandel vertrieben und vom Handwerk installiert werden könnten. Durch Schaffung entsprechender Anreize wie Sonderabschreibungen, Tarifgestaltung u. ä., müßte die Konsumentwicklung in diese Richtung gelenkt werden. Dabei wäre eine Umstellungsfrist von 30 Jahren realistisch. Da es sich um viele Klein-investitionen handelt, lassen sich die Mittel relativ leicht auf dem Geldmarkt mobilisie-ren. Die Aufträge kommen vorwiegend dem Handwerk, dem Baugewerbe, der Klein-und Mittelindustrie zugute und stimulieren den Arbeitsmarkt im Inland. Im Baugewerbe dürften viele zusätzliche Arbeitsplätze mittelfristig gesichert sein. Das Investitionsvolumen für die Installation von 250 km! Kollektorfläche samt Sekundäreinrichtung beträgt bei 400DM/m 2 etwa 100 Milliarden DM. Dabei handelt es sich hier nur um 0, 1 ’/o der Fläche der Bundesrepublik. Die Zahl zeigt, daß man damit wesentliche Anregungen der Wirtschaft bewirken kann. Aber nicht nur die Wirtschaft wird stimuliert, sondern auch die ökologische Situation wird verbessert. Wegen der kritischen wirtschaftlichen und ökologischen Situation der Entwicklungsländer ist auch im Export nur der Sektor der Spartechnologien, der neuen Energiequellen und der umweltfreundlichen Produkte wirklich interessant. Kernkraftwerke sind absolut ungeeignet für Entwicklungsländer und sollten unter keinen Umständen dorthin exportiert werden, weil in Entwicklungsländern die Gefahr des Mißbrauchs und der Fehlbedienung erheblich größer ist. Ebenso wie der Atombombenfallout oder wie Insektizide würden sich langlebige Nuklide, die in den Entwicklungsländern durch Fehlbedienung freigesetzt werden könnten, über die gesamte Biosphäre verbreiten.
Für eine positive Weiterentwicklung der Wirtschaft darf jedoch nicht nur das Energieversorgungssystem allein betrachtet werden. Gleichzeitig mit der Entwicklung des Energiealternativszenarios muß auch eine ökologische Sanierung im weiteren Sinn betrieben werden. Diese Bemühungen würden in die gleiche Richtung zielen wie das Alternativ-szenario: Schaffung dezentraler Arbeitsplätze und Belebung des Binnenmarktes.
Daß sich im engeren Sinne, d. h. noch ohne ein entwickeltes Alternativszenario, das Zusammenwirken von ökologischer Sanierung und wirtschaftlicher Belebung bereits äußerst positiv auswirkt, beweist z. B. die Feststellung der USA Regierungsagentur Council of Environmental Quality: Seit 1970 sind 17 600 Arbeitsplätze wegen schärferer Umweltvorschriften verlorengegangen, aber 400 000 neue Arbeitsplätze wurden im Zusammenhang damit geschaffen.
Eine von ISI durchgeführte Studie über den Zusammenhang von Energieangebot, Wirtschaitswachstum und Arbeitslosigkeit ergibt folgendes: Wird das Investitionsverhalten für arbeitssparenden technischen Fortschritt in dem bisherigen Tempo beibehalten, so hat man bei unveränderter Wochenarbeitszeit und einem Wirtschaftswachstum von jährlich 3, 9% im Jahr 1990 ungefähr 8 °/o Arbeitslosigkeit. Wird dagegen der arbeitssparende technische Fortschritt um 20 ’/o vermindert zugunsten von 1 e/o energiesparendem technischen Fortschritt, so hat man ein Wirtschaftswachstum von 4, 1 °/0 bei einer Arbeitslosenquote von 1 ®/o im Jahr 1990.
Die praktische (wirtschaftliche und politische) Umstellung wird erleichtert durch die allgemeinen wirtschaftlichen Umstände. Dies kann man in drei Thesen zusammenfassen:
— Die Umstellung auf die ökologisch adaptierte Wirtschaft ist heute so leicht und liegt so nahe wie nie zuvor.
— Die Umstellung auf die ökologisch adaptierte Wirtschaft wird ein wirtschaftlicher Erfolg, der in seinem Umfang nur mit dem Wiederaufbauvolumen der Nachkriegszeit vergleichbar ist.
— Die Umstellung auf die ökologisch adaptierte Wirtschaft und auf eine ökologisch adaptierte Lebensweise wird viele von den Problemen lösen, die uns gegenwärtig gesell-schafts-und wirtschaftspolitisch ungeheuer belasten.
Zu allen drei Thesen seien kurze Erläuterungen angefügt.
Weltweit hat es in den vergangenen Jahren eine Rezession gegeben. Man hat gelernt, daß sich die Wirtschaftsentwicklung in Zyklen bewegt, in denen wirtschaftliche Auf-und Abschwünge einander ablösen; man kennt auch die Mittel der globalen Steuerung, sei es nun nach Keynes oder nach Friedman, um ein zu tiefes Abschwingen zu vermeiden und den Konjunkturverlauf zu glätten. Diese Mittel wurden eingesetzt und waren teilweise erfolgreich. Trotzdem verbleibt Unbehagen. Konjunktur und Konjunktursteuerung sind mit großen Fragezeichen behaftet Allzu deutlich zeigt sich, daß bezüglich vieler Massenartikel Sättigung am Markt abzusehen ist, daß viele inländische Produktionen in Niedriglohnländern aufgenommen werden, daß sich Rohstoffe verknappen und daß in den konventionellen Wirtschaftssektoren keine bedeutenden Expansionen mehr möglich erscheinen. Im Gegensatz dazu ist unser ganzer Wirtschaftsapparat technisch und wirtschaftlich auf Expansionsvorgänge ausgerichtet. Diese Diskrepanz zwischen Wirtschaftsstruktur und wirtschaftlichen Möglichkeiten schafft Pessimismus. Nicht nur in Europa, sondern auch in Japan und Amerika sind die Anlageinvestitionen immer noch in der Stagnation, und dafür können nicht nur die verminderten Gewinne verantwortlich gemacht werden. Die Einsicht, daß es sich hierbei um Strukturdefekte handelt, verbreitet sich auch in der Industrie. Wenn aber bereits die Einsicht vorhanden ist, daß Strukturdefekte für das mangelhafte Funktionieren der konjunkturpolitischen Instrumente mitverantwortlich sind, so kann die nächste Frage nur lauten, wodurch die Strukturdefekte überwunden werden können. Die mit Sicherheit richtige Antwort ist: Durch die Einführung einer ökologisch adaptierten Wirtschaft. Daß diese Sicherheit vorhanden ist, hängt mit dem absehbaren wirtschaftlichen Erfolg zusammen. Viele unserer bisherigen Wirtschaftsweisen sind ökologisch derartig unzureichend, daß bei einer Sanierung die Bundesrepublik in vielen Bereichen von Grund auf umgebaut werden muß. Ich nenne nur fünf wesentliche Gebiete: die Durchführung einer Energieselbstversorgung und der Energieeinsparung, die Verbesserung des Verkehrswesens, die ökologische Adaption von Landwirtschaft und Ernährung, die Rezyklierung und Substitution von Rohstoffen und der Export ökologisch adaptierter Technologien. Wenn es gelingt, das breite Publikum von diesen Notwendigkeiten zu überzeugen — und das ist die Aufgabe der Werbe-und Innovationsbranche — dann ist weitere wirtschaftliche Prosperität für lange Zeit gesichert, da die Lösung und Bearbeitung dieser Fragen eine Jahrhundertaufgabe ist. Gegenwärtig wird der Staat durch Arbeitslosigkeit, steigende Staats-und Sozialkosten und Inflation bedrängt. Systemstudien zeigen, daß durch den Übergang zur ökologisch adaptierten Wirtschaft eine große Anzahl von Arbeitsplätzen geschaffen und gesichert werden könnte, d. h. daß die Beschäftigung insgesamt erhöht werden könnte. Man kann daher bei dieser Politik auf Vollbeschäftigung hoffen. In meinem früheren Aufsatz in dieser Zeitschrift (B 32/77) habe ich gezeigt, daß die Staats-und Sozialkosten eng mit ökologischen Strukturdefekten des Staates und der Wirtschaft Zusammenhängen. Eine ökologische Sanierung von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft würde auch diese Kosten senken und damit zu einer Entlastung führen.
Es ist allerdings notwendig, daß die Anregungen für eine ökologische Umorientierung von Politik und Wirtschaft angenommen werden. Es gibt Anzeichen, daß diese große Chance für echte Prosperität nicht beliebig lange besteht. Die Deutsche Bundesbank schätzt, daß
VIII. Politische Folgerungen
Um aus den vorangehenden Erörterungen politische Folgerungen ziehen zu können, sollen die wesentlichen Ergebnisse und die daraus resultierenden Fragestellungen zusammengefaßt dargestellt werden, wobei in a) auf die Ergebnisse meines früheren Beitrags zurückgegriffen wird. 1. Wirtschaftlicher Nettonutzen Das Expansionsmodell der Wirtschaft liegt gegenwärtig nahezu sämtlichen politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen als Vorstellung zugrunde. Bei der Fortführung dieses Modells hat man folgendes zu erwarten:
— Wegen Sättigung des Binnenmarktes mit konventionellen Wohlstandsprodukten muß das weitere Wachstum vornehmlich durch den Export bestritten werden. Steigende Schwierigkeiten mit dem Export sind aber absehbar. — Weiteres Wachstum erzwingt eine immer künstlichere Wirtschaftsstruktur mit steigender Abhängigkeit aller von allen und steigender Importabhängigkeit vop Rohstoffen, die knapp werden, Je weiter man dieses Modell verwirklicht, umso schwerer wird es, davon wegzukommen, selbst wenn sich das als zwingend notwendig erweist.
— Das bisherige Wachstum hat zu schweren ökologischen Schäden sowohl im biologischen als auch im sozialpsychologischen Bereich geführt. Ein weiteres Wachstum würde den Druck in diese Richtung verstärken.
— In die Bruttosozialproduktrechnung gehen auch die Leistungen für die Strukturdefekte ein und bilden darin einen immer größeren Anteil. Das Bruttosozialprodukt ist daher für die Hemmnisse im Kraftwerkbau und Straßenbau bereits einen Investitionsausfall von 15 Milliarden DM bewirkt haben, zu dem jährlich 6 Milliarden hinzukommen. Die auf Expansion ausgerichtete Wirtschaft kann solche Ausfälle nicht beliebig lange ertragen. Reagiert man nicht zweckentsprechend mit den hier genannten Alternativstrategien, so werden zum Schaden des ganzen Volkes die Umweltschützer zum Schweigen gebracht werden, indem man sie für die wirtschaftliche Misere verantwortlich macht. Dann wird der expansive Ausbau nach Beseitigung dieser Hindernisse erneut versucht werden mit allen daraus resultierenden bitteren Konsequenzen. die Beurteilung der durch das Wirtschaftswachstum bewirkten Wohlstandsvermehrung völlig ungeeignet.
— Selbst bei 5 % Wirtschaftswachstum kann voraussichtlich die Arbeitslosenzahl nicht unter 800 000 gedrückt werden. Bei insgesamt sinkender Bevölkerungszahl und bei starken Verzerrungen der Bevölkerungspyramide besteht keine Klarheit, zu welchen Konsequenzen das Wachstum führt.
— Das Wachstum soll durch Energiebereitstellung ermöglicht und angeregt werden, wogegen die weitere wirtschaftliche Entwicklung den Kräften des Marktes überlassen wird. Ist ein solches Vertrauen gerechtfertigt? Es gibt zahlreiche Hinweise darauf, daß schon die jetzt in der Bundesrepublik vorliegenden industriellen Strukturschwächen nicht mehr durch die Kräfte des Marktes beseitigt werden können.
In diesen Stichworten werden tiefgreifende Strukturdefekte der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Situation der Bundesrepublik deutlich. Die Frage lautet: Läßt sich dies alles mit dem Generalrezept einer expansiven Energieproduktion Ipsen? Dies muß bezweifelt werden. Die Anpreisung eines solchen Generalrezepts ist vielmehr als (untauglicher) Versuch zu werfen, Nachdenken, differenziertes Analysieren und Handeln in einer sehr komplexen Situation noch einmal hinauszuschieben.Es reicht gegenwärtig nicht mehr aus, die Wachstumsstrategie damit zu begründen, daß man Erhaltung und Mehrung des Wohlstandes anstrebt. Denn sofort erhebt sich zwingend die Frage: Was ist Wohlstand? Offensichtlich kann in einem fortgeschrittenen Stadium der Industriegesellschaft der Wohlstand nicht nur in nahezu unbegrenztem Nahrungsmittelangebot und Gütererwerbsmöglichkeiten gesehen werden. Bei situationsgerechter Auffassung des Wohlstandes müssen bisher unberücksichtigte materielle und immaterielle Qualitäten in die Betrachtung einbezogen werden.
Hierzu äußert sich z. B. die Baden-Württembergische Landesregierung so: „Der vorherrschende Wachstumsbegriff ist revisionsbedürftig. Bisher wurde das wirtschaftliche Wachstum an der Zunahme des Bruttosozialprodukts (Gesamtheit der im Inland erzeugten Güter und erbrachten Leistungen) gemessen.
An der Umweltsituation ist Jedoch inzwischen deutlich geworden, daß trotz zunehmendem Bruttosozialprodukt der gesamtwirtschaftliche Erfolg rückläufig sein kann, weil er durch hohe Beseitigungskosten für Umweltschäden und Krankheitsfolgen sowie durch vermehrten Arbeitsausfall geschmälert wird. Aus diesem Grunde sollte künftig unter Wirtschaftswachstum mehr eine Zunahme des gesamtwirtschaftlichen Nettonutzens (Differenz zwischen volkswirtschaftlichen Erträgen und volkswirtschaftlichen Kosten) verstanden werden. Dieser Wachstumsbegriff würde deutlich machen, daß ein beständiges Wachstum des gesamtwirtschaftlichen Erfolges wirksamen Umweltschutz voraussetzt. Hierbei wird vermehrt von der Möglichkeit der gesetzlichen Zielvorgabe Gebrauch gemacht werden müssen, um der Wirtschaft die Möglichkeit zu geben, Anpassungsprozesse rechtzeitig einzuleiten."
Als Bezugsrahmen, innerhalb dessen sich eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik zu bewegen hat, wurde bisher das sogenannte magische Dreieck angesehen, das durch die Endpunkte Vollbeschäftigung, Preisstabilität sowie Zahlungsbilanzausgleich gekennzeichnet wird. Im Sinne der Optimierung des Nettonutzens muß zukünftig dieses magische Dreieck mit dem Schwerpunkt . Ökologische Sanierung'versehen werden, d. h.der Nettonutzen muß das Zentrum der wirtschaftlichen Bemühungen sein, sonst wird alles sinnlos. 2. Energieversorgung Um die in diesem Abschnitt vorzuschlagenden energiepolitischen Maßnahmen zu erläutern und zu begründen, sollen die Vor-und Nachteile der beiden fundamentalen Energieversorgungssysteme auf der Basis der Ausführungen zu IV und VI noch einmal stichwortartig genau hergestellt worden.
Kernenergie Vorteile — Der Kernbrennstoff ist ein sehr kompakter Brennstoff. Unter Berücksichtigung der verschiedenen Wirkungsgrade von Kernreaktoren und Kohlekraftwerken erhält man für Leichtwasserreaktoren bei Ausnutzung von U 235 die Relation: 1 t Natururan entspricht etwa 13 3001 SKE bei der Stromerzeugung. Falls durch Brutreaktoren der Brennstoff auch bezüglich U 238 ausgenützt werden kann, würden sich in Abhängigkeit von der Effektivität des Brutvorgangs weitere Vervielfachungen dieses Verhältnisses erzielen lassen.
— Im Gegensatz zu den fossilen Brennstoffen werden Kernbrennstoffe nicht in anderen Industriezweigen als Ausgangsrohstoffe benutzt. Kernbrennstoffe sind allein für die Energieerzeugung tauglich. Ihre Verbrennung greift daher nicht die Rohstoffgrundlage an.
— Die Verbrennung von Kernbrennstoff ist nur in größeren Anlagen wirtschaftlich sinnvoll. Dies ermöglicht zentrale Entscheidungen, zentrale Planung der Energieversorgung und zentral gesteuerte Ausführung der Aus-bauvorhaben. — Die Kernbrennstoffe sind keine regenerativen Energiequellen. Ihre Verwendung stellt daher keine endgültige Lösung des Energie-problems dar. Sollte es jedoch gelingen, die Brutreaktoren wirtschaftlich auszunutzen, so stünde ein beachtliches Brennstoffpotential zur Verfügung, das bis zur Entwicklung einer dauerhaften Lösung der Energieversorgung mit regenerativen Energiequellen einen außerordentlich langen Zeitraum zur Verfügung stellen würde.
Nachteile — Der Brennstoffkreislauf, die Endlagerung, der Abbau ausgedienter Werke sind weit in die Zukunft vorgreifende Aufgaben, wie sie bisher noch von keiner Technologie in diesem Ausmaß bekannt sind und die teilweise ungelöst sind.
— Die Kernenergieerzeugung ist nur scheinbar umweltfreundlich. Zwar hat der gesamte Komplex keine Emissionen, die den Fossil-kraftwerken entsprechen, an deren Stelle treten aber radioaktive Emissionen. Diese sind bei den Kraftwerken selbst im allgemeinen gering, im weiteren Brennstoffkreislauf jedoch bisher beträchtlich. Wieweit sich wirklich bei weltweitem Betrieb eine Unschädlichkeit dieser Emissionen erreichen läßt, ist nicht abzusehen. — Im Gegensatz zu Fossilkraftwerken sind bei Kernkraftwerken und im weiteren Brennstoffkreislauf Unfälle denkbar, die eine enorme, nicht abschätzbare Schadenswirkung aufweisen. — Der mit Leichtwasserreaktoren teilweise bereits durchgeführte und teilweise beabsichtigte Ausbau schafft Zwangssituationen, deren Auswirkungen gegenwärtig nicht vorauszusehen sind. Diese bestehen in folgenden:
1. Eine Abwärmenutzung bei Leichtwasserreaktoren ist nur sehr schwer möglich, die klimatologischen Wirkungen großer Abwärme-mengen sind aber nicht abschätzbar.
2. Die Probleme des gesamten Brennstoff-kreislaufes sind noch nicht zufriedenstellend gelöst; da der Brennstoffkreislauf aber bereits in großem Umfang in Gang gesetzt worden ist, wird er weiterlaufen, unabhängig davon, welche Folgen es hat, wenn befriedigende Lösungen ausbleiben.
3. Der Brennstoff für die Leichtwasserreaktoren wird in etwa zwei Jahrzehnten erschöpft sein. Eine durch raschen Ausbau elektrifizierte Wirtschaft und ein elektrifiziertes sonstiges Verbrauchernetz benötigen dann notwendig den Einsatz von Brutreaktoren, die technisch noch nicht hinreichend entwickelt sind und die sicherheitstechnisch schwerwiegende Probleme aufwerfen.
— Die kerntechnischen Einrichtungen benötigen wegen ihres Gefährdungspotentials ein Sicherheitsniveau, das höher als das der Raumfahrt sein muß. Bei großtechnischem Massen-einsatz bedarf es daher einer großen Anzahl bestausgebildeter Techniker. Wegen der zunehmenden Strahlenbelastung in alternden Kernkraftwerken müssen zusätzlich viele Ersatzleute eingesetzt werden, um die zulässige Strahlenbelastung nicht zu überschreiten. Sowohl bezüglich der unbeabsichtigten menschlichen Fehlleistungen als auch bezüglich der Überwachung gegen beabsichtigten Mißbrauch wirft ein derartig großer Personenkreis schwerwiegende Problem auf.
— Ein Land mit einer großen Anzahl von Kernkraftwerken und entsprechenden Wiederaufbereitungsanlagen ist praktisch nicht mehr zu verteidigen, da im Kriegsfall eine Konvention zur Aussparung solcher Anlagen aus Kampfhandlungen praktisch nicht durchführbar ist.
— Die zentrale Energieversorgung wirft für die Abnehmerseite das Problem der totalen Abhängigkeit auf, was dann akut werden kann, wenn diese zentrale Versorgung aus irgendwelchen Gründen ausbleibt.
Regenerative Energiequellen Vorteile — Bei den regenerativen Energiequellen handelt es sich direkt oder indirekt um Quellen, die der abhängen. Sonnenenergieeinstrahlung Solange die Sonne als Kraftquelle des irdischen Lebens funktioniert, solange sind auch diese Quellen verfügbar. Jeder Schritt in der Benutzung regenerativer Energiequellen ist daher ein Schritt auf dem Wege zur endgültigen Lösung des Energieversorgungsproblems. — Die Energieversorgungsprozesse bei regenerativen Energiequellen können in der überwiegenden Mehrzahl so durchgeführt werden, daß sie absolut umweltfreundlich sind. Ein Gefährdungspotential in der Art der Kernenergie ist weder im Normalbetrieb noch im Störfall vorhanden. Eine Ausnahme bilden die solaren Raumstationen, die strikt abzulehnen sind.
— Viele regenerative Energiequellen können dezentral installiert werden und erhöhen damit die Versorgungssicherheit und Unabhängigkeit des Verbrauchers.
— Rohstoffe müssen im Brennstoffzyklus der regenerativen Energiequellen nicht eingesetzt werden. Rohstoffe und Energie werden nur zur Verfertigung der betreffenden Erzeugungseiprichtungen benötigt. Studien zeigen, daß im Vergleich mit dem Ausbau von Groß-kraftwerken für die Verfertigung eine günstige Bilanz zu erwarten ist.
Nachteile — Die regenerativen Energiequellen beanspruchen teilweise sehr große Flächen und unterliegen zeitlichen und regionalen Schwankungen.
— Die Erzeugung hochwertiger Brennstoffe aus regenerativen Energiequellen ist für die Bundesrepublik bis jetzt teilweise nur im Ausland möglich, z. B. in Südeuropa, Nordafrika oder auf See.
— Es existiert praktisch noch keine Infrastruktur, die auf die Benutzung regenerativer Energiequellen eingerichtet ist.
— Die Benutzung regenerativer Energiequellen hängt wenigstens teilweise von den Einzelentscheidungen der Bürger ab und damit vom Maß der allgemeinen Einsicht in diese Probleme. Konsequenzen: Es erscheint unverantwortlich, einen raschen Energieausbau mit Leichtwasserreaktoren vorzunehmen, der zwangsweise zu nicht gelösten Folgeproblemen und damit zu nicht absehbaren Risiken führt. Dies wurde vor kurzem im Bereich der Aufarbeitung und der Endlagerung offenkundig. Hier liegen schon jetzt gravierende Zwangslagen unmittelbar vor, bei denen auch das Ausland nicht weiterhelfen kann. Die Aufarbeitungsanlage im belgischen Mol wurde 1974 stillgelegt. Die britische Anlage in Windscale fiel 1973 aus.
Ein neues Werk beginnt frühestens 1983 zu arbeiten. Die Anlage von La Hague in Frankreich soll die volle Kapazität erst 1980 erreichen. Bei steigendem französischen Anteil dürfte La Hague ab 1983 allein durch Frankreich ausgelastet sein. Ab 1980 müssen die deutschen Kraftwerke die in La Hague anfallenden radioaktiven Abfälle zurücknehmen.
Eine Wiederaufbereitung in den USA ist nicht möglich, weil dort Verzögerungen und technologische Fehlleistungen ebenfalls zu Engpässen geführt haben. Selbst wenn alle Planungen für eine eigene Wiederaufbereitungsanlage ohne Störung ablaufen, könnte diese erst 1988 den Betrieb aufnehmen.
Betrachtet man andererseits die Alternativ-strategien, so sind bezüglich Abwärme und Niedertemperaturenergie die entsprechenden Verfahren ab sofort ausbau-und anwendungsfähig. Was dagegen fehlt, ist die sofortige Einsatzmöglichkeit solarer Großkraftwerke und deren Sekundärtechnologien, auf die sich Wirtschaft und Politik erst in einer Übergangsperiode von mehreren Jahrzehnten einstellen müssen.
Was verbleibt also für die Energieerzeugung und -nutzung der nächsten Jahrzehnte? Es verbleiben zunächst rationellere Nutzung, Abwärmenutzung, Niedertemperatursolarenergie, Windenergie, Methanproduktion, modernisierte Kohlekraftwerke, Olkraftwerke und der Hochtemperaturreaktor. Der Hochtemperaturreaktor ist universell einsetzbar, sein Unfallverhalten ist weitaus günstiger als das anderer Reaktoren, Wärme-Kraft-Kopplung ist möglich, der Brennstoff wird besser ausgenutzt und führt nicht auf den Engpaß der Leichtwasserreaktoren; seine Bruteigenschaften könnten schrittweise verbessert werden, Wiederaufarbeitung ist gegebenenfalls nicht nötig, es entstehen erheblich geringere Abfälle, die radioaktiven Emissionen sind im Normalfall ebenfalls deutlich niedriger. Auch hier gibt es allerdings immer noch Gefahren und schwer zu lösende Probleme. Es muß aber abschließend festgestellt werden: Eine möglichst ökonomische und ökologische Energieversorgung in den nächsten Jahrzehnten sollte auf einem Mischzenario aus den vorstehend angegebenen Energiequellen beruhen und die Zwangssituationen der Leichtwasserreaktor-Natriumbrüter-Linie vermeiden. Insgesamt führt dies zu folgenden Forderungen: — Die systemanalytische Durchrechnung von Energieversorgungsund Wirtschaftsmodellen als Alternativen zum Expansionsmodell muß unverzüglich begonnen und schnellstens durchgeführt werden.
— Die Bevölkerung muß rückhaltlos über die Konsequenzen des bisherigen Vorgehens informiert werden, damit öffentlich klargestellt wird, welches Risiko bei einseitiger Weiterführung der bisherigen Entwicklung eingegangen wird. Insbesondere müssen auch die Katastropheneinsatzpläne vollständig bekannt gemacht werden.
— Die Kernenergieforschung darf nicht mehr den größten Teil der Forschungsmittel für sich beanspruchen. Sie muß auf die Entwicklungslinie der Hochtemperaturreaktoren konzentriert werden. Weitere Forschungsvorhaben müssen auf einer Prioritätenliste mit Kosten-Nutzen-Analyse untersucht werden, bevor man sie durchführt.
— Mit einer eigens dafür zu erhebenden Sondersteuer sollte ein Forschungsprogramm zur Entwicklung alternativer Energiequellen mit vergleichbarem Aufwand wie bei der Kernforschung finanziert werden.
— Solange Entscheidungen über langfristig und ökologisch sowie sicherheitstechnisch einwandfreie Energieerzeugungssysteme noch nicht gefällen oder nicht möglich sind, ist der Ausbau der Kernenergieerzeugung nur langsam voranzutreiben — und nur mit Hochtemperaturreaktoren oder damit vergleichbaren Systemen.
— An Entwicklungsländer sind überhaupt nur ökologisch und sicherheitstechnisch einwandfreie Energieerzeugungssysteme zu liefern.
— Jede Werbung zur Steigerung des Energie-verbrauchs ist zu unterlassen.
— Es sollte ein Wirtschafts-und Technologiekonsortium eingerichtet werden, das die gegenwärtig praktizierten Produktionsverfahren und Konsumgewohnheiten auf Energie-verschwendung hin untersucht und unter Gewährleistung der Güterversorgung und Aufrechterhaltung des Marktes durch energie-31 schonende Verfahren ersetzt. Insbesondere ist die Abwärme von Kraftwerken als Fernwärme für die Stadtversorgung zu nutzen, wogegen sich in ländlichen Gebieten die Sonnen-klimatisierung empfiehlt.
— Die Verwendung von umweltfreundlichen und sparsamen Energiesystemen im öffentlichen und privaten Bereich ist durch Steuerbegünstigung zu fördern.
— Energieverschwendung und umweltbelastende Energiesysteme sind mit Sondersteuern zu belasten. Dazu zählt insbesondere gegenwärtig der Individualverkehr und der Schwerlastverkehr auf der Straße, deren Wettbewerbsvorteile gegenüber der Bahn abzubauen sind.
— Bei der Planung der Energieversorgung ist nach ISI folgende Reihenfolge anzustreben:
größtmögliche Nutzung geothermischer Energie,
größtmögliche Nutzung von Sonnenenergie, kleinstmögliche Verwendung von Kernenergie jeglicher Art, größtmögliche Verwendung von Gas als Sekundärenergie, kleinstmögliche Verwendung von Flüssig-brennstoffen, kleinstmögliche Verwendung von Elektrizität,
größtmögliche Ausnutzung aller Energien beim Verbraucher, volle Kooperation mit gegenwärtig (Erdöl, Gas) und zukünftig (Wasserstoff) energie-exportierenden Regionen.
— Die Verwendung der Edelenergie Elektrizität zur Erzeugung von Niedertemperaturwärme sowie ihre sonstige verschwenderische Benutzung ist durch entsprechende Tarifgestaltung zu erschweren bzw. zu verhindern. Gleiches gilt für die Verwendung anderer hochwertiger Brennstoffe.
— Der Ersatzbedarf durch Ausfall alter Kraftwerke ist unbedingt zu decken. Wenn dies mit Kohlekraftwerken geschieht, dann nur unter Einsatz modernster Technologien, die hohen Wirkungsgrad, Abwärmenutzung und Schadstoffreduktion ermöglichen.
— Jede Einführung restriktiver Maßnahmen muß mit Kompensationsmaßnahmen gekoppelt werden, um wirtschaftliche Einbrüche oder Versorgungsengpässe zu verhindern.
— Um den rationellen Einsatz von Elektrizität zu ermöglichen, müssen verstärkt Speicherkapazitäten ausgebaut werden, da nur durch diese der unrationelle Nachtstromeinsatz zur Heizung verhindert werden kann.
— Die Elektrizitätswirtschaft muß ihre Leitungsnetze für Industriestrom öffnen, und der durch Wärme-Kraft-Kopplung in der Industrie erzeugte Zusatzstrom muß ohne Diskriminierung aufgenommen werden.
— Beim Einsatz von Kernkraftwerken muß folgendes beachtet werden: Es ist eine Leistungsgrenze festzulegen, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt kleiner als 1 000 MW elektrisch sein sollte; umfassende Sicherheitsvergleichsstudien mit Reaktionszeitvergleichen, die GAU-überschreitende Fälle erfassen, sind zusätzlich zur Grundlage für die Entscheidung über Neuentwicklung und Einsatz von Kern-energiesystemen zu benutzen; starke Verbesserungen derRückhaltetechniken in Wiederaufbereitungsanlagen sind notwendig; Jodfilter müssen sowohl in Wiederaufbereitungsanlagen als auch in Kernkraftwerken verbessert werden; es sind funkgesteuerte Meßsysteme zur Überwachung der Umweltradioaktivität einzurichten; die Transmutation ist als Endlagerungslösung zu entwickeln, und alle bis dahin anfallenden Abfälle müssen so gelagert werden, daß sie jederzeit wieder zugänglich sind.
— Soweit Kernenergie zum Einsatz kommt, muß dieser Einsatz als möglichst kurzfristige Ubergangslösung zum anzustrebenden Einsatz von regenerativen Energiequellen konzipiert werden, d. h. die Erschließung regenerativer Energiequellen muß das Primärziel eines langfristigen Energieversorgungskonzepts sein.
— Es dürfen keine expansiven Energieausbauprogramme durchgeführt werden, nur um Arbeitsplätze in der Energiewirtschaft zu sichern, wenn die Energieversorgung durch rationellere Nutzung auch ohne weiteren Ausbau gesichert werden kann. 3. Demokratiebewahrung Eine Grundregel liberaler demokratischer Politik sollte die Bewahrung der politischen Unabhängigkeit des einzelnen sein. Diese Unabhängigkeit ist aber nur möglich, wenn auch eine gewisse ökonomische, rechtliche und organisatorische Selbständigkeit bewahrt wird. Die Tendenzen der modernen Industriegesellschaft zielen gerade in die entgegengesetzte Richtung. Nicht nur die vielzitierte Entfremdung der Arbeit, sondern auch das überhand-nehmen zentralistischer Verwaltungssysteme und beherrschender Verbände, die völlige ökonomische Abhängigkeit in der Wirtschaftsorganisation sowie die Unüberschaubarkeit aller Vorgänge bestimmen das Leben des einzelnen. Die perfektionierte Daseinsvorsorge in der Industriewelt, wie sie sich gegenwärtig entwickelt, als Nachteil die bringt Lähmung der eigenen Initiative, die Abhängigkeit von der Zugehörigkeit zu einem Verband und eine sehr künstliche Lebensform mit sich.
Nimmt man hinzu, daß das weithin, angestrebte ökonomische Expansionsmodell auf Kernenergiebasis beruhen soll, so ist mit Robert Jungk darauf hinzuweisen, daß allein schon aus den Notwendigkeiten des effektiven Schutzes vor Mißbrauch dieser Energiequelle die Freiheit des einzelnen bedroht sein muß. D. h. im Expansionsmodell ist eine starke Tendenz enthalten, die Freiheit des Bürgers einzuschränken, sogar die Freiheit, gewisse Dinge nicht zu konsumieren.
Eine liberale Politik muß gegen diese Tendenzen ankämpfen, die innenpolitisch die eigentliche Bedrohung der Freiheit und Menschenwürde in diesen und den kommenden Jahrzehnten darstellen dürften. Es wurde andererseits gezeigt, daß eine ökologische Sanierung der Wirtschaft und unseres gesellschaftlichen Lebens nicht nur zu einer vielfältigen wirtschaftlichen Belebung führen könnte, sondern daß daraus auch verstärkte ökonomische Unabhängigkeit und eine steigende geistige Unabhängigkeit durch verbesserte Ein-und Übersicht resultieren würde. Die ökologische Sanierung und Adaption muß daher als eines der wesentlichen Mittel liberaler Politik betrachtet werden, mit dem nicht durch Reden, sondern durch Taten Freiheit in unserem Lande gesichert werden kann. Die Frage ist, wie dies zu erreichen sei. Die Antwort darauf: Es geht nur, wenn der einzelne Bürger lernt, Ökologie zu konsumieren; und dies wird nur gelingen, wenn die Politik die Weichen in diese Richtung stellt, d. h. es muß rigoros nach zivilisationsökologischen Prinzipien verfahren werden. Diese Politik hat neben einer Wirtschaftsbelebung u. a. eine Konsum-umorientierung zur Folge. Ihre hauptsächliche Tendenz ist die Neuerschließung des Binnenmarktes, die Wohlstandserhaltung, die Verminderung der ökologischen Belastung, die Verminderung der Außenabhängigkeit, die Stärkung des Mittelstandes.
Einer solchen Politik stehen erhebliche Widerstände entgegen: Vom Standpunkt der Großorganisationen z. B. wäre eine zentralistische Organisation der Wirtschaft viel interessanter. Eine weitere Bedrohung kommt aus dem Import ökologisch nicht sanierter Güter und der daraus folgenden Wettbewerbsverzerrung durch die ökologischen Auflagen im Inland. Wenn ein solcher Import die Eigenproduktion stört, müßten aus ökologischen Gründen Importsteuern auferlegt werden. Für den Export aber muß deutlich gemacht werden, daß „made in Germany" in dieser Zeit ein ökologischer Qualitätsbegriff ist und nicht nur ein rein technischer. Die Konjunkturprogramme laufen bereits auf eine Förderung der ökologischen Adaption hinaus. Sie helfen jedoch allein nichts, wenn sie nicht durch eine entschiedene Gesetzgebung und deren ebenso rigorose Durchführung flankiert werden.
In meiner früheren Arbeit in dieser Zeitschrift (B 32/77) wurde auf zahlreiche Verhaltens-und Zustandsformen des wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Lebens hingewiesen, die eine erfolgreiche Anpassung an die Probleme der Industriegesellschaft und damit eine erfolgreiche Bewältigung der Krise verhindern. Wenn man anstrebt, diese Schwächen zu beheben, so resultieren daraus auch konkrete Hinweise für die politische Arbeit, und zwar sowohl innen-wie außenpolitisch. Diese wurden bereits in dem ersten Beitrag gegeben und sollen hier nicht nochmals aufgeführt werden. Es soll auf dessen Schluß verwiesen werden, der auch für diese Betrachtung gültig ist:
Vergleicht man abschließend die Bedeutung der diskutierten Probleme für die weitere Sicherung der Existenz der Bundesrepublik, so muß man feststellen, daß die Umstrukturierung der Wirtschaft auf eine ökologisch einwandfreie Wirtschaftsform sowie die Verhinderung eines weiteren Anwachsens des Siechtums in körperlicher und geistiger Hinsicht die fundamentalsten Aufgaben sind, die sich uns stellen. Zu ihrer Lösung wird primär ein geistiger und seelischer Einstellungswandel der Bundesbürger notwendig, d. h. etwas, wozu beizutragen jeder einzelne Bürger aufgerufen und verpflichtet ist. Aufgabe der Politik und der politischen und wirtschaftlichen Führungsschicht ist es aber, diesen Wandel durch ihr Handeln nicht zu ver-oder behindern, sondern anzuregen und zu fördern.