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Humanisierung der Arbeit. Entwurf eines integralen Konzepts für die Bundesrepublik | APuZ 43/1977 | bpb.de

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APuZ 43/1977 Humanisierung der Arbeit. Entwurf eines integralen Konzepts für die Bundesrepublik Humanisierung der Arbeit. Einheit von Theorie und Praxis in der DDR?

Humanisierung der Arbeit. Entwurf eines integralen Konzepts für die Bundesrepublik

Fritz Vilmar

/ 87 Minuten zu lesen

Wer von Demokratisierung nicht reden will, soll von Humanisierung schweigen, (frei nach Max Horkheimer) Ursachen inhumaner Arbeitsbedingungen; Ablehnung monokausaler Erklärungen Die Forderungen nach „Humanisierung der Arbeit“, „Menschengerechte Gestaltung des Arbeitsplatzes", „Verbesserung der Qualität des Arbeitslebens“ und die Bemühungen, hierfür geeignete Formen und Wege zu finden, sind erfreulicherweise zu einem unabdingbaren Bestandteil der gegenwärtigen Unternehmens-, Gewerkschafts-und Sozialpolitik geworden. Eine Vielzahl von Konferenzen, Tagungen, Veröffentlichungen und Stellungnahmen von Wissenschaftlern, Politikern, Spitzenorganisationen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber 1) signalisieren die zunehmende Aktualität des Themas auch in einer Zeit der ökonomischen Krisen und hoher Arbeitslosenquoten.

Wenn aber die Notwendigkeit einer „Humanisierung der Arbeit" von nahezu allen politischen und sozialen Kräften anerkannt wird, dann muß man nach den tieferen gesellschaftlichen Ursachen, aber auch nach den sehr unterschiedlichen Interessen und Zielsetzungen fragen, die sich hinter der (allzu) ungeteilten

I. Theoretische Vorklärungen

Abbildung 1

Zustimmung zur Humanisierungsforderung verbergen.

Robert Jungk sieht die Ursachen für die „Krise der Arbeitsmoral", die er als „Krise der Epoche" bezeichnet, in der „Machtlosigkeit, Sinnlosigkeit, Isolation und Selbstentfremdung" der Arbeitenden. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) äußert in ihren „Hinweisen für die Praxis“ — in Anlehnung an die Maslowsche Theorie der Bedürfnishierarchie —: „Vieles deutet darauf hin, daß der Mensch an seine Arbeit heute höhere Ansprüche stellt. Er will seine Belange und Bedürfnisse nicht hinter den technischen wirtschaftlichen Erfordernissen zurückgestellt, sondern sie zumindest als gleichrangig gewertet und behandelt sehen.“ Neben dieser , Motivationskrise'der Arbeitnehmer gibt es — wie der RKW-Kongreß vom April 1976 in Essen zeigte — noch andere entscheidende Gründe einer Humanisierung der Arbeitsorganisation Neue Produktionserfordernisse und Marktbedingungen machen die von Taylor und Ford ausgehende, auf starre, hocharbeitsteilige Fließbandproduktion ausgerichtete Arbeitsorganisation unrentabel. Heute sind für die Konkurrenzfähigkeit vieler Branchen flexible, über gewisse Qualifikationen verfügende Arbeitnehmer erforderlich.

Die Forschungen und praktischen Versuche der letzten Jahre — nicht zuletzt die Arbeiten von Herzberg, der Wissenschaftler vom Tavistock Institute in London oder vom Work Research Institute in Oslo (Thorsrud) — haben eindeutig die schon vor 20 Jahren von Georges Friedmann dargelegte Erkenntnis bestä-tigt, daß die hochgradig fremdbestimmte, re. petitive, dem Menschen einen minimalen Handlungsspielraum zuordnende Arbeitsorganisation, wie wir sie heute in sehr vielen Unternehmen nach wie vor haben, nicht nur inhuman, sondern auch unproduktiv ist.

Die Forderung nach Humanisierung ist also nicht nur Folge des gewachsenen Selbstbewußtseins der Arbeitnehmer, sondern sie ergibt sich auch aus der Entwicklung der modernen Technologie und den geänderten Wirtschaftsbedingungen. Doch der Wandel der industriellen Arbeitsorganisation trägt einen Januskopf: Neben Tendenzen zum Abbau disfunktionaler Organisationen und Hierarchien enthält der industrielle Wandel auch Tendenzen zum Abbau qualifizierter Arbeit (Facharbeit) zugunsten zunehmend monotoner Arbeitsverrichtungen und Verschärfung des Arbeitstempos

Im Vordergrund der öffentlichen Diskussion um die Humanisierung der Arbeitswelt steht in der Bundesrepublik noch das Fließband, obgleich nur jeder 20. Arbeitnehmer daran arbeitet 9) und das Problem monotoner Arbeit auch keineswegs nur am Fließband auftritt. Die Taktarbeit am Fließband ist zum Inbegriff unmenschlicher Arbeitsbedingungen geworden, wobei nicht selten vergessen wird, daß es noch wesentlich elementarere Inhumanitäten gibt: Belästigungen oder Schädigungen duch Schwerarbeit, Streß, Lärm, Gase, Dämpfe, Staub und ungenügende Licht-und Temperaturverhältnisse sind oft gravierende Ursachen für psychisch-physisches Arbeitsleid.

Humanisierung der Arbeitswelt ist aber nicht nur gegen unmenschliche Technik gerichtet. Wenn Ursula Engelen-Kefer in ihrem Aufsatz „Humane Gestaltung des Arbeitslebens — Herausforderung für die Beschäftigungspolitik" als Interessen der Arbeitnehmer neben der Arbeitsplatzsicherung die „optimale Gestaltung der Arbeit" herausstellt so beinhaltet dieses Interesse auch den Abbau von Herrschaft. Mit dem verbreiteten gesellschaftspolitischen Dogma von den „technisch-ökonomischen Sachzwängen", die einer menschenwürdigen und demokratischen Gestaltung der Arbeitsbedingungen entgegenstünden, werden autoritäre Strukturen in unseren Wirtschaftsorganisationen verteidigt, welche die Staatsbürger im Arbeitsleben zu Untertanen degradieren, die nur Anweisungen zu befolgen haben. Die Macht und Willkür der unteren Vorgesetzten mag zwar infolge der organisatorischen und technischen Entwicklung teilweise zurückgegangen sein, Oa). Die Spezialisierung der Hierarchien und die Abhängigkeiten von anderen, anonymeren Instanzen und Kontroll-Normen können jedoch ebenso bedrückend sein wie eine subjektiv willkürliche Überwachung.

Entfremdete Arbeit kann niemals allein durch sinnvolle Freizeit kompensiert werden. Wenn die Feststellung der Soziologie und Sozialpsychologie zutrifft, daß Monotonie und Fremdbestimmung der Arbeitswelt zu Apathie und apolitischem Verhalten der Bürger führen, es also Arbeitsbedingungen gibt, die den Menschen unfähig machen, seine Freizeit sinnvoll zu nutzen, dann kann sich der Kampf um die Humanisierung des Arbeitslebens nicht auf die Verkürzung der Arbeitszeit zur Gewinnung von mehr Freizeit beschränken, um den Zwängen der industriellen Arbeitswelt einen Freiraum gegenüberzustellen, in dem man •Mensch“ sein kann. Damit wird aber notwendigerweise die persönlichkeits-und geschichtsbildende Funktion der Arbeit, ohne die die heutigen Gesellschaftsformen undenkbar wären, wieder ins Bewußtsein gehoben Dies und die Erkenntnis, daß gesellschaftliche Arbeit auch und gerade unter den Bedingungen hochtechnisierter, arbeitsteiliger Massenproduktion wohl für lange Zeit eine Notwendigkeit bleiben wird, machen es dringend erforderlich, der Organisation der Arbeit einen wesentlich höheren anthropologischen und gesellschaftspolitischen Rang zuzuerkennen: Sie muß von ihrer gegenwärtig vorherrschenden Einschätzung als bloßes Mit-tel, das „zur Realisierung der mit dem Betriebsprozeß erstrebten Zielsetzung eingesetzt“ wird, befreit werden.

Aus den erwähnten unterschiedlichen Ursachen bzw. Motiven und damit zwangsläufig unterschiedlichen Inhalten und Zielen, die sich hinter den Forderungen nach einer Hu-manisierung der Arbeit verbergen, wird deutlich, daß der Begriff der Arbeitshumanisierung in Gefahr ist, zur Leerformel zu werden oder auf bestimmte Einzelaspekte reduziert zu werden. Diesen Tendenzen einer Beschränkung der Humanisierung auf die unmittelbaren Phänomene des Arbeitsprozesses wie sie sich z. B. in der „Human-Relations" -Bewegung, in der Ergonomie, im sogenannten „Job Design" oder in neuen Management-Modellen zeigen kann nur durch ein umfassendes Konzept entgegengewirkt werden. Die sozioökonomischen Gesamtbedingungen: privatwirtschaftliche Unternehmensstruktur, Macht-und Marktmechanismen, die vorhandenen soziokulturellen Privilegien und Diskriminierungen etc., die von den meisten Humanisierungsansätzen systematisch ausgeblendet werden, sind für die Klärung und kritische Relativierung der „Sachzwänge“ wie für eine integrale Koordination theoretischer und praktischer Modelle der Humanisierung von konstitutiver Bedeutung. Die übliche Reduktion dieses sozialwissenschaftlichen Rahmens führt dagegen zu einer partiellen Blindheit hinsichtlich der Ursachen und möglichen Veränderungen inhumaner Arbeitsbedingungen; sie erweist sich als unwissenschaftlich, weil sie zu einer nur selektiven Theorie der Arbeitshumanisierung führt.

Der Begriff der Arbeitshumanisierung ist nicht eindeutig definiert. Auch für den Begriff der Menschenwürde, die verfassungsrechtlich absoluten Schutz genießt, gibt es keine verbindliche Legaldefinition, jedoch enthält der Kommentar von Maunz-Dürig den Ansatz eines argumentum e contrario: Danach ist der Mensch in seiner Würde u. a. dann verletzt, wenn er nur und ausschließlich Befehlsempfänger, bloßes fremdbestimmtes Instrument unter dem Willen anderer ohne eigene Entscheidungs- und Gestaltungsfreiheit ist. („Die Menschenwürde ist getroffen, wenn der konkrete Mensch zum Objekt, zu einem bloßen Mittel, zur vertretbaren Größe herabgewürdigt wird. 14) Daß in diesem Sinne die in unserer Arbeitswelt vorherrschende Situation nicht menschenwürdig ist, sollte evident sein Tatsächlich geht eine Tendenz der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts dahin, daß die Grundrechte den Bürger nicht nur vor den Eingriffen der Staatsgewalt schützen, sondern eine „Drittwirkung" auch gegenüber anderen (nichtstaatlichen) Institutionen haben. Es dürfte demnach rechtstheoretisch unbestritten sein, daß diese „Drittwirkung“ auch für die Lebenssphäre des Arbeitnehmers im Industriebetrieb gilt. Bislang sind jedoch aus dieser Erkenntnis keine rechtspolitischen Konsequenzen gezogen worden.

Der unhaltbare Zustand einer objektiv nicht verfassungskonformen Arbeitswelt hat sich bislang als recht haltbar erwiesen. Die unmittelbar Betroffenen haben sich durch Verdrängung an das Gegebene angepaßt Arbeitgebervertreter und konservative Sozialwissenschaftler können zufrieden sein mit ihren Umfrageergebnissen: Die Mehrheit der Arbeitnehmer fühlt sich in ihrem Betrieb „wohl", ist mit ihrem Arbeitsplatz „zufrieden". Abgesehen davon, daß der 1973 — aufgrund eines fast 90prozentigen Urabstimmungs-Ergebnisses — erkämpfte Tarifvertrag der IG-Metall mit seinen elementaren Forderungen zur Humanisierung der Arbeitsbedingungen eher auf das Gegenteil schließen läßt wäre darauf hinzuweisen, daß niemals das unreflektierte, durch Verdrängungen verfälschte Bewußtsein der Menschen zur Norm ihres Menschseins erhoben werden darf

Das Dogma von den „technisch-ökonomischen Sachzwängen", das bis in die siebziger Jahre auch den Gewerkschaften den Blick für eine umfassende und offensive Strategie einer Humanisierung der Arbeitswelt verstellt hat ist eine Halbwahrheit — und Halbwahrheiten sind bekanntlich, nach Lichtenberg, die gefährlichsten Unwahrheiten! Wahr ist, daß es bei hochmechanisierten, teilweise automatisierten Produktionen eine bestimmte Monotonie sich wiederholender Arbeitsvollzüge und eine notwendige Einfügung in hocharbeitsteilige Kooperationen gibt, die der Entfaltung der Persönlichkeit Grenzen setzen. Wahr ist auch, daß arbeitsteilige Produktionen in vieler Hinsicht die Unterwerfung des einzelnen unter eine zentrale Arbeitsplanung und ein bestimmtes, rational begründetes Weisungsrecht von Vorgesetzten erzwingt. Richtig ist schließlich auch, daß der Druck der nationalen und internationalen Konkurrenz in allen Betrieben die Verwirklichung einer bestimmten Produktivität erzwingt, die nicht selten auf Kosten der Gesundheit und der Menschenwürde des einzelnen geht.

Eine Unwahrheit wird aus alldem, wenn man diese relativen Sachzwänge absolut setzt und behauptet, sie würden unabwendbar solche inhumanen Verhältnisse erzwingen, wie wir sie heute überwiegend in den Produktionsbetrieben und Verwaltungen vorfinden. „Sachzwänge“, die das kapitalistische System mit seinem Prinzip der Gewinnmaximierung und seiner verhängnisvollen Instabilität bewirkt, sind nicht einfach gleichzusetzen mit den relativen Sachzwängen jeder Arbeit unter den Bedingungen hochmechanisierter Produktion oder Verwaltung; davon zu unterscheiden ist wiederum die Tendenz jeder (Arbeits-) Organisation zur Oligarchisierung (Zentralisierung) und Hierarchie. Der arbeitende Mensch wird im kapitalistischen Betrieb nicht einer anerkannt als Mitglied sozialen Leistungsgemeinschaft, als Mitarbeiter in einem Team oder Kollektiv, das ihn mitbestimmend teilnehmen ließe am Produktionsprozeß und seinen Erträgen. Er ist ein fremdbestimmtes, von den Kapitaleignern und -Verwaltern als Arbeitskraft gemietetes Objekt, das eine möglichst hohe Wertschöpfung realisieren soll. Arbeiter und Angestellte erfahren so im Betrieb den Klassencharakter unserer Gesellschaft: den Gegensatz zwischen den Besitzern bzw. Verwaltern der Produktionsmittel und denen, die gezwungen sind, ihre Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt anzubieten, da sie selbst nicht über Produktionsmittel verfügen. Es sind also nicht in erster Linie „technische“ Sachzwänge, die der Selbstverwirklichung des einzelnen in der Arbeitswelt entgegen stehen. Es ist die gesellschaftliche Organisation der Arbeit, die bewirkt, daß die Würde des Menschen im Betrieb mißachtet wird.

Fazit demnach: Der Zwangscharakter der Arbeit ist hier und heute nicht getrennt von ihren kapitalistischen Verwertungsbedingungen zu analysieren, aber er kann gleichwohl nicht schlechthin identisch mit dem profitwirtschaftlichen Produktionsprozeß gesetzt werden. Ein Blick in die Arbeitswelt der staats-wirtschaftlichen Länder, selbst die Realität der Arbeiterselbstverwaltung in Jugoslawien zeigt, daß auch außerhalb privater Verfügung über Produktionsmittel sowohl Sachzwänge existieren, die kurzfristig nicht aufzuheben sind, wie auch durchaus aufhebbare Inhumanitäten nicht speziell kapitalistischer Art sind. Daraus ergibt sich offenkundig die Notwendigkeit, sowohl volks-und betriebswirtschaftliche Strategien der Humanisierung der Arbeitswelt zu entwickeln wie auch solche, die sich unmittelbar auf die Arbeitsorganisation beziehen — und alle Teilstrategien in ein Konzept umfassender ökonomischer Reform-strategie zu integrieren.

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß ein integrales Konzept der Humanisierung der Arbeitswelt bei folgenden Ursachen-Komplexen der Dehumanisierung anzusetzen hat:

— Existenzbedrohung und materielle Ungerechtigkeiten — Psycho-physisches Arbeitsleid — Fremdbestimmung.

(Dem entspricht die Gliederung des Tableaus auf Seite 8).

Fragen wir nun nach der Möglichkeit einer Überwindung dieser inhumanen Strukturen unter den derzeitigen Produktionsbedingungen, so zeigt sich einerseits, daß wesentliche Faktoren nicht spezifisch kapitalistischer Natur sind, — vor allem aber, daß „der Kapitalismus" nicht als unwandelbares soziopolitisches „System" verstanden und hingenommen werden muß. Nur Erzkonservative und orthodoxe Marxisten versuchen immer wieder, die Unwandelbarkeit unseres ökonomischen Systems und seiner Arbeits-, Eigentums-und Herrschaftsstrukturen zu suggerieren. Die in einem hundertjährigen Kampf der gewerkschaftlichen und politischen Arbeiterbewegung erzielten Erfolge beweisen, daß auch den herrschenden unter bei uns industriellen Produktionsbedingungen die Arbeitswelt sich nicht als ein unabänderliches Zwangssystem erweist, daß vielmehr einerseits manches humaner und gleichzeitig produktiv gestaltet werden kann, und daß andererseits das Prinzip der Gewinnmaximierung keineswegs so starr und alleinbestimmend sein bzw. bleiben muß, wie von dogmatischen Liberalen und Marxisten gern behauptet wird, sondern durch Gegenprinzipien wie steigenden Staats-anteil und Abschöpfung von volkswirtschaft-lieh funktionslosen Gewinnen für Sozialausgaben (innerwie überbetrieblich) stark, relativiert werden kann. „Das Kapital“ ist nur eine — dominierende, aber nicht (mehr) alleinbe-stimmende — Kraft in der Vielfalt relevanter gesellschaftlicher Kräfte. Daher ist niemandem mit dem Festhalten an der ideologischen Alternative von „Systemerhaltung“ oder „Systemüberwindung“ gedient. Sie macht jede Teilnahme an den tatsächlich möglichen und notwendigen Systemverände-rungsprozessen im wirtschaftlichen Bereich unmöglich und leistet durch Verzicht auf die Erarbeitung evolutionärer Strategien der Konservierung betrieblicher und gesamtwirtschaftlicher Strukturen Vorschub. In Wahrheit verändern und stabilisieren alle praktizierten oder programmatischen Humanisierungskonzepte zugleich das Gesamtsystem.

Allerdings ist — wie das Tableau zeigt — eine deutliche Abgrenzung jeder Theorie und Praxis der „Menschenwürde im Betrieb“ von Pseudo-Strategien der Humanisierung notwendig. Die oft kaum noch überwindbare Skepsis kritischer Industriesoziologen, Gewerkschafter und Politiker cegen alle Humanisierungskonzepte in der Arbeitswelt ist nicht zuletzt aus der Erfahrung der vergangenen Jahrzehnte zu verstehen: Ihr Vorwurf, es handele sich hier lediglich um patriarchalische, leistungssteigernde „Sozialtechniken", ist durchaus begründet im Blick auf viele amerikanische, rein manageriell orientierte Experimente des „Job Design", die Modelle der Enthierarchisierung und Autonomisierung der Arbeitsorganisation lediglich als neueste „Betriebsführungs" -Strategie (Motivationsstrategie) unter der Devise: „Mitarbeiter motivieren durch Job Enrichment" vereinnahmen Die moderne, vor allem auf den Arbeiten Abraham Maslows und Frederick Herz-bergs gründende psychologische Motivationstheorie kann so zur Nachfolgerin der Theorie des „Scientific management“ (F. W. Taylor, F. B. Gilbreth) werden, wobei die analytischen Kategorien der Maslowschen Motivationstheorie als „Produktivitäts-Motivatoren“ d. h. als Faktoren, die im Arbeitsprozeß aktivierend und motivierend auf den Menschen wirken, die Grundlage neuerer, psychologisch fundierter Produktivitäts-Anreize bilden. Eine solche Entartung kann nur vermieden werden, wenn die politischen und gewerkschaftlichen Organisationen der Abhängigen — besonders die Betriebs-und Personalräte, die Arbeitsdirektoren und Arbeitnehmervertreter in Aufsichtsräten — Konzepte soziotechnischer Umgestaltung als Strategien der Demokratisierung gemeinsam mit den fortgeschrittensten Teilen der Belegschaften vom Management fordern, wobei die nachweislich bessere Arbeitsmotivation und -Produktivität nichts anderes als ein erfreuliches, die Durchführung erleichterndes Nebenprodukt sein kann.

Humanisierung und Demokratisierung sind unter keinen Umständen gegeneinander oder alternativ zu setzen. „Ebenso wie Demokratisierung das Gebot der Menschenwürde (Humanität) zu achten hat, wäre Humanisierung per se nicht hinreichend für das Gebot der Selbstbestimmung: erst Machtteilung und -kontrolle (durch Demokratisierung) schafft Räume für Humanisierungsbestrebungen“ Ohne betriebliche und wirtschaftliche Mitbestimmung bleiben die betrieblichen Humanisierungsprogramme patriarchalische, die Herrschaftsverhältnisse eher verschleiernde als abbauende „Wohlfahrts" -Maßnahmen „von oben“. 2. Übersicht: Integrale Strategie einer Humanisierung der Arbeitswelt Als zentrale Forderungen eines integralen Konzeptes zur Humanisierung der Arbeitswelt müssen nach dem bisher Ausgeführten die Sicherung eines -Arbeitsplatzes, Einkommensge rechtigkeit, menschenwürdige Arbeitsplatz-und Arbeitszeitgestaltung sowie die „inhaltliche Umgestaltung der menschlichen Arbeit im Sinne von mehr Autonomie für alle Arbeitenden“ (Leminsky) gelten. Dies erfordert dann nicht nur Arbeitsschutzmaßnahmen, Arbeitszeitverkürzung etc. (so wichtig diese im einzelnen sein mögen), sondern eine demokratische Umgestaltung der Gesamtheit der Bedingungen, die die moderne Arbeitswelt bestimmen.

Ein integrales Humanisierungskonzept hat daher sowohl wirtschaftspolitische Maßnahmen zu umfassen wie auch Arbeits-Technik, Arbeits-Organisation, Arbeitslohn, Arbeits24 Umwelt und Arbeitsmarktpolitik, wobei unter Beteiligung der Betroffenen Teilstrategien einer menschenwürdigen Umstrukturierung zu entwickeln sind.

Die Humanisierung der Arbeitswelt ist als mehrdimensionaler Prozeß der „Befreiung der Arbeit" (G. Hillmann) zu entwickeln. Diese Mehrdimensionalität wurde auch auf dem Humanisierungskongreß des DGB erkannt:

Als Schwerpunkte einer gewerkschaftlichen Politik für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen wurden genannt:

„— Schutz der Gesundheit und Erhaltung der Arbeitskraft;

— Abwehr und Einschränkung der weiteren Arbeitsintensivierung;

— Berücksichtigung der entscheidenden Bedeutung der Lohndifferenzierungssysteme für die Arbeitsformen und -zwänge;

— Durchsetzung des Standpunkts, daß inhumane Arbeitsbedingungen, insb. gesundheitsschädigende Belastungen, zersplitterte, inhaltsleere und minderqualifizierte Arbeiten, nicht durch das Lohnsystem (Belastungszulagen, geringe Arbeitswerte u. ä.) legitimiert und gefördert werden dürfen; vielmehr muß in solchen Fällen die Veränderung der inhumanen Arbeitsbedingungen den Vorrang haben;

— Absicherung der Humanisierungsmaßnahmen durch „flankierende" Regelungen, z. B. Kündigungsschutz, Verdienstsicherung, Festsetzung von Mindestbeschäftigungsquoten für ältere Arbeitnehmer, Bildung und Fortbildung; — Sicherung und Ausbau der gewerkschaftlichen Handlungsmöglichkeiten, insb. auf dem Gebiet der Mitbestimmung und Tarifpolitik. Dazu zählt auch die Sicherung der Vollbeschäftigung."

Auch Forschungsminister Hans Matthöfer hat diesen umfassenden Begriff einer Humanisierung des Arbeitslebens vor Augen, wenn er die Maßnahmen der sozialliberalen Koalition auf diesem Gebiet resümiert : „— Das Betriebsverfassungsgesetz, das den Betriebsräten für den Kampl um menschengerechte Arbeitsplätze zahlreiche Ansatzpunkte gibt und mit seinem Vertrauen auf die Fort-entwicklung der arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse eine Herausforderung an Forschung und Wissenschaft darstellt;

— das Arbeitssicherheitsgesetz, das zu einem Anstieg der haupt-und nebenberuflich tätigen Betriebsärzte auf 2 400 im Jahre 1975 geführt hat;

— die neue Arbeitsstättenverordnung, die eine Anpassung der Verhältnisse am Arbeitsplatz an moderne Erkenntnisse von Sicherheitstechnik, Arbeitsmedizin, Betriebshygiene und Ergonomie herbeiführt und mit der bisherigen Rechtszersplitterung Schluß macht;

— die Verordnung über gefährliche Arbeitsstoffe mit ihrer weiteren Verstärkung des Schutzes der Arbeitnehmer vor Gefahren, Belästigungen und Beeinträchtigung durch Arbeitsstoffe; — das Mitbestimmungsgesetz, mit dem wir einen großen Schritt vorwärts in Richtung auf mehr Selbstverwirklichung, Mitentscheidung und Interessenvertretung der Arbeitnehmer in den Unternehmen getan haben. Dies hat übrigens weder mit Ermächtigungsgesetz noch mit Fremdbestimmung auch nur das geringste zu tun;

— das Jugendarbeitsschutzgesetz, mit dem wir eine gründliche Modernisierung und Weiterentwicklung der Schutzvorschriften für unsere mehr als 1, 5 Millionen im Arbeitsleben stehenden Jugendlichen erreicht haben." Ausgehend von solchen Aussagen sowie von dem Gliederungsvorschlag einer Arbeitsgruppe der Friedrich-Ebert-Stiftung seien zunächst die wichtigsten betrieblichen und überbetrieblichenDimensionen einer Humanisierung der Arbeitswelt in einem knappen Überblick genannt: 1. Schutz am Arbeitsplatz: — Ausbau der Sicherheit am Arbeitsplatz, — Abbau gesundheitsschädigender Einflüsse, — bessere ergonomische Anpassung der Maschinen und technischen Anlagen an die Menschen zum Abbau unnötiger und unzumutbarer Belastungen. 2. Menschenwürdigere Arbeitsorganisation: — weitestmögliche individuelle bzw. gruppenautonome Arbeitszeitgestaltung durch eine verstärkte Gleitzeitpolitik, — Ausdehnung der Erholungszeiten wie Pausen und Urlaub, — schrittweise Einschränkung der Nacharbeit und Schichtarbeit, — Abbau der Zerstückelung, Schematisierung und Standardisierung der Arbeitsgänge und des damit verbundenen Verlusts an Arbeitsinhalten, Erweiterung und Bereicherung der Tätigkeiten durch Job rotation, Job enlargement und Job enrichment, , — Abbau der Trennung von Planung, Durchführung und Kontrolle: Ausweitung des Handlungsund Entscheidungsspielraums, vor allem durch teilautonome Gruppen, — Abbau der betrieblicher Hierarchien.

3. Verbesserte Kommunikation und Information im Betrieb:

— Verbesserung des Informationsflusses und Förderung dezentraler Übereinkommen, Absprachen, Versammlungen in Abteilungen und Betrieben, — Ausbau betrieblicher (gewerkschaftlicher und fachlicher) Bildungsarbeit.

4. Humanisierung des betrieblichen Einkommenssystems:

— Abflachung der Einkommenspyramide, — Abbau überflüssiger Lohn-und Gehalts-gruppen durch Verminderung der Zahl der Gruppen und Reform der Einstufungskriterien, — Einführung fester Mindest-Monatsbzw. Jahreseinkommen für alle Arbeitnehmer, — Abschaffung der Akkordarbeit und strenge Limitierung möglicher prämierbarer Mehrleistung,

— volle Mitbestimmung der Arbeitsgruppen bzw.des Betriebsrates bei der Einstufung der einzelnen Arbeitnehmer in bestimmte Lohn-und Gehaltsgruppen, — volle Transparenz der Lohnfindung und -differenzierung der Einkommensbestandteile, -Zuschläge und -abzüge sowie ihrer Begründung, — Abbau von diskriminierender Einkommens-Ungleichheit insbesondere bei jungen, weiblichen und ausländischen Arbeitnehmern,

— Garantie der Einkommenshöhe von einem bestimmten Alter an, — Abbau von Geldäquivalenten für inhumane Arbeitsbedingungen zugunsten systematischer technologischer Humaniserung der Arbeitsbedingungen,

— Festsetzung eines Gesamtgruppenlohns für die Erledigung vorbestimmter Arbeitsprogramme in einer bestimmten Zeit, insbesondere für teilautonome Gruppen.

5. Mitbestimmung und demokratische Wirtschaftspolitik:

— unmittelbare Teilnahme der Arbeitenden (Arbeitsgruppen) am betrieblichen Entscheidungsprozeß,

— Mitwirkung und Mitbestimmung von Arbeitnehmervertretern hinsichtlich der Produktionsziele, Investitionen, Produktionsmethoden, Gewinnverteilung, Arbeitsorganisation, Personalentscheidungen und Sozialleistungen, — demokratische Arbeitsmarkt-und ökonomische Stabilitätspolitik.

Für eine erfolgversprechende Politik der Humanisierung der Arbeitswelt ist also die gleichzeitige Ingangsetzung gesamtökonomischer und betrieblicher Veränderungsprozesse erforderlich, makro-und mikroökonomische Strategien müssen ineinandergreifen, Hierarchieabbau und Einleitung von Mitbestimmungsprozessen müssen auf allen Ebenen der Produktion ansetzen. Die Praxis einer Humanisierung der Arbeit muß sich also sowohl auf der Ebene des ökonomischen Gesamtsystems vollziehen wie auf den Ebenen der Unternehmensleitung und der Arbeitsorganisation in den einzelnen Betriebs-einheiten sowie am konkreten Arbeitsplatz.

II. Aktionsfelder einer Humanisierung der Arbeitswelt

Humanisierung und Demokratisierung der industriellen Arbeit Versuch einer systematischen Darstellung

1. Gesicherte Beschäftigung durch demokratisierte Wirtschaftspolitik Eine Humanisierung der Arbeitswelt, die auf die Beseitigung der genannten Grundtatbestände zielt, muß vor allem Konzepte entwik-keln und verwirklichen, die schrittweise die kapitalistische Krisengefahr bannen. Die Idee der Arbeitshumanisierung wird nur dann zur Praxis realer Umgestaltung der technisch hierarchischen Arbeitsorganisation voranschreiten, wenn sie sich nicht auf die betrieblichen und unternehmerischen Bereiche beschränkt und nicht der Illusion verfällt, Modelle und Strategien der Enthierarchisierung und Autonomisierung der Arbeitsorganisationen entwickeln und durchsetzen zu können, ohne die gesamtwirtschaftlichen Strukturen selbst zum Gegenstand einer wirtschaftsdemokratischen Strategie zu machen.

Arbeitslosigkeit, ungerechte Einkommens-und VermögensVerteilung sowie inhumane Gestaltung der Arbeitsbedingungen können langfristig nicht ohne Unterwerfung der einzelwirtschaftlichen Gewinninteressen unter die Erfordernisse einer volkswirtschaftlichen Stabilitäts-und Wohlfahrtsplanung beseitigt werden. Sicherung ökonomischer Stabilität und Vollbeschäftigung sowie die Verminderung des Leistungsdrucks müssen als Vorbedingungen für eine wahrhaft humane Unternehmens-und Betriebspolitik gelten. Humanisierung der Arbeitswelt ist also ohne weitgehende Reform aller makroökonomischen Strukturen nur bruchstückhaft zu verwirklichen. Eine Umgestaltung der ökonomischen Dynamik durch eine Politik demokratischer Wirtschaftssteuerung wird angesichts des weltweiten, internationalen Konkurrenzkampfes sowie der Welthandels-und Währungsverflechtung allerdings nur noch schwer innerhalb nationalstaatlicher Grenzen erfolgreich zu realisieren sein. Gleichwohl muß und kann sie weitaus energischer inganggesetzt werden, als es heute unter den rein privatwirtschaftlich orientierten ökonomischen und politischen Eliten geschieht. Sicher ist, daß eine demokratische Stabilitätspolitik erst auf der Basis eines größeren, von externen Einflüssen weniger abhängigen Wirtschaftsraumes wie der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft„mixed-economy“ -Konzept einer wirtschaftsdemokratischen Neuordnung mit dem übergeordneten Ziel der Vollbeschäftigung (= Existenzsicherheit) bei zu erwartender, gleichzeitig aber sogar ökologisch lebensnotwendiger Wachstumsbegrenzung zugunsten einer Humanisierung aller gesellschaftlichen Lebensbedingungen ist — soweit ich sehe — die bisher einzige ausformulierte Alternative zu gescheiterten markt-oder staatswirtschaftlichen Lösungsvorschlägen einer Bewältigung der ökonomisch-ökologischen Krisen

Die Politik einer Demokratisierung der Wirtschaft ist der Versuch, jenseits des (ohnehin nur noch akademischen, ideologischen) Gegensatzes von Markt-und Planwirtschaft einen Weg schrittweiser und allgemein einsichtiger ökonomischer Strukturveränderungen zu verfolgen. Es ist also ein Konzept, das davon ausgeht, daß gerade im ökonomischen Bereich nur durch permanente Reformen auf der Basis eines breiten Konsens'der Aktivbürger erfolgreich etwas verändert werden kann. Am präzisesten findet sich dieses Konzept einer Wirtschaftsdemokratie im DGB-Grundsatzprogramm von 1963 ausformuliert

Erst im Rahmen einer makroökonomischen Demokratisierung der Wirtschaft erlangt die „Humanisierung der Arbeitswelt“ auf allen Ebenen des wirtschaftlichen Prozesses volle Wirkung. Eine wirtschaftsdemokratische Ordnung befreit die große Mehrheit des Volkes von den Überanstrengungen und der Angst um den Arbeitsplatz, die die kapitalistischen Konjunkturschwankungen mit sich bringen. Indem sie ein sinnvolles und stabiles Wirtschaftswachstum durch Planung volkswirtschaftlich richtiger Proportionen des Nachfrage-, Produktions-bzw. Investitionswachstums garantiert, schafft sie zugleich eine Voraussetzung für die Befreiung der Menschen aus der Hörigkeit eines — ökologisch sich katastrophal auswirkenden — sinnlosen Geltungsund Verschwendungskonsums; eine objektive öffentliche Verbraucherinformation trägt wesentlich dazu bei.

Ferner gilt: Die Verminderung des unternehmerischen Risikos durch Rahmenplanung und Investitionslenkung, sozialpolitische Pionier-leistungen vergesellschafteter Unternehmen und vor allem der Ausbau der Mitbestimmung können wesentlich zur Entspannung der zwischenmenschlichen Beziehungen in der gegenwärtigen Arbeitswelt beitragen; der tatsächliche oder angebliche Druck eines pervertierten, die menschlichen „Kosten“ ignorierenden Rentabilitätsprinzips kann gelockert werden

Damit sind nur einige der gesellschaftlichen Gesundungsprozesse sichtbar gemacht, die ermöglicht werden können durch die Unterordnung der ungezügelten egoistischen Wirtschaftskräfte unter die Erfordernisse des Ge-meinwohls. Neuordnung, Demokratisierung der Wirtschaft — das ist gewiß kein Allheilmittel. Aber es ist eine conditio sine qua non jeder personalen und sozialen Erneuerung, jedes Strebens nach einer menschenwürdigen Gesellschaft 2, Verminderung der Existenzbedrohung durch demokratische Arbeitsmarktpolitik;

Schwerpunkt: Systematische Verknappung des Arbeitskraft-Angebots Die Verwirklichung des Rechts auf Arbeit (Vollbeschäftigung) konnte bisher nicht als oberstes wirtschaftspolitisches Ziel (sondern nur als eines von mehreren) anerkannt werden, weil Arbeitsmarktpolitik weithin nur als abhängig von ökonomischer Wachstumspolitik konzipiert und realisiert worden ist. Wenn diese nicht in der Lage ist, bestimmte, für die Vollbeschäftigung erforderliche volkswirtschaftliche Wachstumsraten zu erreichen, so zeigt sich Arbeitsmarktpolitik reduziert auf ein Set palliativer Maßnahmen wie Arbeitslosenunterstützung, Verminderung der Ausländerquote, Kostensubventionierung von Arbeitsplatzbeschaffung, zusätzliche Mobilitätshilfen etc.

Wenn darüber hinaus Konjunktur-und Arbeitsmarktprognosen ergeben, daß angesichts eines langsameren Wirtschaftswachstums auf längere Zeit mit hoher Massenarbeitslosigkeit gerechnet werden muß und wenn der Prä-sident der Bundesanstalt für Arbeit, Josef Stingl, feststellt (1t. Handelsblatt vom 6. /7. 2. 1976): „Wir werden nie mehr so niedrige Arbeitslosenzahlen wie in den früheren Jähren haben“ — so besagt dies nichts anderes, als daß die bisherige Arbeitsmarktpolitik an ihrem Ende ist. Eine Wende aber kann in dieser Situation nur eine staatliche und gewerkschaftliche Politik systematischer Arbeitszeit-verkürzung schaffen

Der Staat kann dazu beitragen u. a. durch die Einführung des 10. Pflichtschuljahres, Senkung des Rentenalters (bzw. günstige Bedingungen für früheres Ausscheiden aus dem Arbeitsleben) sowie durch gesetzliche Restriktionen gegenüber Überstundenarbeit.

Vor allem aber können die Gewerkschaften zur Verwirklichung einer qualitativ neuen Arbeitsmarktpolitik entscheidend beitragen:

Sie muß mit Hilfe der Tarifverträge, d. h.

durch gewerkschaftlich auszuhandelnde Arbeitszeitverkürzung, das Gesamtarbeitszeitvolumen der in der Bundesrepublik Beschäftigten (mit Modifikationen im öffentlichen Dienst) so dosieren, daß auch bei vermindertem volkswirtschaftlichen Wachstum Beschäftigung für (nahezu) alle gesichert wird. Daß dies möglich ist, zeigen die Alternativrechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung (in: Zur Arbeitsmarktentwicklung bis 1980, Mitteilungen 1974/1), die ergeben haben, daß bei gegebenem Arbeitsangebot rein rechnerisch 650 000 neue Arbeitskräfte gebraucht würden, wenn alle Arbeitnehmer eine Stunde pro Woche weniger arbeiten würden; ein Urlaubstag mehr ist gleich 100 000 Arbeitskräften. Nach den Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit (Einführung der 40-Std. -Wodie) schlagen etwa 50 % dieser „Rechenergebnisse“ tatsächlich als zusätzliche Arbeitskräfte-Nachfrage zu Buche.

Bereits in den sechziger Jahren haben Berechnungen der IG Metall gezeigt, daß die Kampagne für die schrittweise Durchsetzung der 40-Stunden-Woche die Entstehung eines Millionenheeres von Arbeitslosen (bzw. von durch Rationalisierung „Freigesetzten“) verhindert hat. Die massenhafte Einführung von Kurzarbeit in der Rezession 1975/76, die immerhin Hunderttausende zeitweilig vor totaler Arbeitslosigkeit bewahrt hat, ist ebenfalls als eine — freilich planlose — Form einer Politik der Arbeitszeitverkürzung anzusehen. Leider ist in die Diskussion über die Politik der Arbeitszeitverkürzung als eines der Mittel zur Sicherung von Arbeitsplätzen Verwirrung und Zweifel hineingetragen worden weil der damit zwangsläufig verbundene Verzicht auf einen Teil der Reallohn-

Steigerungen fehlinterpretiert worden ist als Verzicht auf Lohnausgleich oder gar als Reallohn-Abbau.

Ein einfaches Zahlenbeispiel vermag zu zeigen, daß die gewerkschaftliche Forderung: Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich (und Inflationsausgleich!) durchaus realisierbar ist: Wir nehmen an, daß ein Arbeiter DM 10, -Stundenlohn erhält, abgerundet also für 160 Std. pro Monat ä 10 DM = DM 1 600. Ohne Lohnausgleich würde er bei einer Wo-dienstunde Arbeitszeitverkürzung (also 39 statt 40 Wochenstunden) für 156 Sid. pro Monat ä 10 DM = DM 1 560 erhalten. Erkämpft die Gewerkschaft jedoch gleichzeitig eine acht-prozentige Lohnerhöhung, so erhält er für 156 Std. d 10, 80 DM = DM 1 684, 80, womit nicht nur der nominelle Lohnausgleich (1 600 DM) erreicht ist, sondern auch, bei einer angenommenen Inflationsrate von 4 %, der Inflationsausgleich und eine — freilich geringe — Reallohnsteigerung erreicht ist. Bei gegebenem Arbeitsangebot könnten /müßten also durchschnittlich anstelle von 39 Arbeitern, die für 160 Std. DM 1 728 (1 600 + 8 °/o) = DM 67 932 erhalten, 39 + 1 Arbeiter angestellt werden, die für 156 Std. DM 1 684, 80 (1 560 + 8 °/o) ebenfalls = DM 67 392 erhalten.

Der Einwand, daß bei solcher Gewerkschaftspolitik die Reallohn-Steigerung minimal bleibe, wird irrelevant angesichts der durch alle empirischen Untersuchungen belegten Tatsache, daß die Sicherung der Arbeitsplätze bei den Arbeitnehmern absoluten Vorrang — auch gegenüber Einkommenssteigerungen! -genießt. Gewerkschaftlicher Aufklärung, die den unbezweifelbaren Zusammenhang von konsequenter schrittweiser Arbeitszeitverkürzung und Arbeitsplatzsicherung deutlich machte, würde es ohne Mühe gelingen, breiteste Zustimmung für diese Politik zu gewinnen.

Erfreulicherweise kann darauf hingewiesen werden, daß nicht nur der DGB-Vorsitzende Heinz Oskar Vetter, sondern auch die in der Gewerkschaftspolitik vielfach tonangebende Industriegewerkschaft Metall in mehreren maßgeblichen Äußerungen auf die Möglichkeit einer Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich aufmerksam gemacht und in ihrem „Gutachten zur Lage der Automobilindustrie" bereits im Frühjahr 1975 sogar auf die Notvrendigkeit einer solchen Strategie hingewiesen haben

Der entscheidende Einwand gegen die Strategie systematischer Arbeitszeitverkürzung ist natürlich, daß eine Wochenstunde weniger oder eine Woche Jahresurlaub mehr nicht im selben Moment die Einstellung von 500 000 oder 650 000 Arbeitslosen bedeuten. Niemand wird so naiv sein, eine solche plötzliche Wirkung zu erwarten. Vielmehr gibt es eine Reihe von Bedingungen, die mitgedacht und mit-realisiert werden müssen, soll dieses mittelfristige wirtschaftsdemokratische Teilkonzept Erfolg haben:

1. Wir müssen davon ausgehen, daß Arbeitszeitverkürzung — die Gewerkschaften favorisieren dabei offenbar die Form des verlängerten Jahresurlaubs — keine kurzfristige, sondern eine mittel-und langfristige Strategie ist. Sie wird relativ unmittelbare zusätzliche Arbeitskräfte-Nachfrage nur in großen Werken erzeugen, die auch bei nur wenig ansteigender Nachfrage den Wegfall von ein bis drei Prozent des Arbeitskraftvolumens nicht durch Rationalisierungsmaßnahmen kompensieren können (von Überstunden ist gesondert zu reden).

2. Langfristige (fälschlich „strukturell" genannte) Sockel-Arbeitslosigkeit — auch bei wiederzuerwartenden wirtschaftlichen Wachstumsraten von drei bis fünf Prozent — droht wesentlich dadurch bestehen zu bleiben, daß erhöhte Nachfrage nach Arbeitskräften durch immer weiter fortschreitende Rationalisierung kompensiert und Automation wird und daß zusätzlich durch diese Rationalisierung immer wieder Arbeitskräfte „freigesetzt“ werden, die nicht mehr (wie in der bisherigen, stürmisch expandierenden wirtschaftlichen Entwicklung) in erweiterten Produktions-oder Distributionsanlagen Beschäftigung finden können. Verknappung des Arbeitskräfte-Angebots würde in diesem Prozeß den Bestand von Massenarbeitslosigkeit al1 lein schon dadurch vermindern, daß dem Rationalisierungsprozeß ein Prozeß von Arbeitszeitverminderung korrespondierte, der die immer weitere „Freisetzung" von arbeitenden Menschen verhindert.

3. Durch eine verstärkt solidarische Politik der Betriebsräte und Vertrauenskörper, durch zusätzlich tarifpolitisch zu erkämpfende Festlegungen, wenn nötig aber durch Gesetz, muß die Genehmigung von Überstunden in unserer Wirtschaft auf absolute Ausnahmefälle reduziert werden. Gleichzeitig sind — wesentlich systematischer als bisher — Möglichkeiten der Teilzeitbeschäftigung von zur Zeit Arbeitslosen, Gleitzeitregelungen und andere Maßnahmen, die zur Flexibilität des Arbeitskräfte-Einsatzes führen, durchzusetzen.

4. Durch weitere tarifpolitische Maßnahmen muß Vorsorge gegen zu erwartenden Versuche des Managements getroffen werden, durch Intensivierung der Arbeit (Erzwingung höherer Arbeitsleistungen) Arbeitszeitverkürzungen ohne Neueinstellungen zu kompensieren. Es erscheint mir evident, daß eine unter den genannten Bedingungen verwirklichte Politik der systematischen Arbeitszeitverkürzung eine optimale stabilitätspolitische Alternative darstellt zur Hinnahme langfristiger konjunktureller und struktureller Massenarbeitslosigkeit oder zur Unterwerfung der Gesellschaftsund Wirtschaftspolitik unter das Diktat irrationaler Wachstumspolitik und damit der unternehmerischen „ Investitionsneigung“, d. h.der von Kapitalseignern als hinreichend profitabel erachteten Kapitalverwertung.

Gleichzeitig leistet eine solche Arbeitsmarkt-strategie einen kaum zu überschätzenden Beitrag zur unmittelbaren Humanisierung der Arbeitsbedingungen: Die Verminderung eines physiologisch widersinnigen und volkswirtschaftlich überflüssig gewordenen . Arbeitsstreß'. Dies gilt freilich nur dann, wenn Arbeitszeitverkürzung in echte Erholungszeiten umgesetzt wird (dahin zielt der gewerkschaftspolitische Trend zum sechs-wöchigen Urlaub) und wenn Tarifverträge — wie die der IG Metall in Nordwürttemberg-Nordbaden 1973 — zur Humanisierung der Arbeitsablaufbedingungen eine solche Politik der Arbeitszeitverkürzung flankieren 3. Humanisierung der Einkommenspolitik Seltsamerweise — linke Humanisierungs-Kritiker werden sagen: bezeichnenderweise! — werden Fragen einer humanen Einkommenspolitik meist aus den Konzepten zur Arbeitshumanisierung ausgeklammert. Ganz im Gegenteil muß aber die Humanisierung der Lohnpolitik zentrales Element in einer Theorie und Strategie schrittweiser Verbesserung der »Qualität des Arbeitslebens“ sein. Michael Kittner stellt mit Recht fest, daß es im allgemeinen der Lohn ist, »der der Arbeitsorganisation folgt. Das heißt, die Frage, ob Zeit-oder Leistungslohn eingeführt, welche Form des Leistungslohns (z. B. Prämien-, Akkord-oder Programmlohn) verwandt und nach welcher Methode der Arbeitsbeschreibung und Leistungsbeurteilung verfahren werden soll, ist an sich der vorhandenen technischen und organisatorischen Arbeitsgestaltung nachgeordnet. Nur haben sich die auch von den Gewerkschaften seit langem akzeptierten und mitgestalteten Lohn(berechnungs) Systeme derart verfestigt in Tarifen und betrieblichen Vereinbarungen niedergeschlagen, daß heute umgekehrt eine Reform der Arbeitsorganisation im Sinne eines Abbaus starrer Funktionentrennung vielfach durch die konventionellen Lohnsysteme stark erschwert wird. Wie skandinavische Erfahrungen mit Experimenten zur Änderung der Arbeitsorganisation durch Einführung »teilautonomer Gruppen" zeigen, ist die Beibehaltung der traditionellen Entlohnungsgrundsätze, -methoden und der ihnen zugrundeliegenden einseitigen Arbeitsbewertung ausgeschlossen — oder aber sie entwertet den Humaniserungseffekt des Modells

Der direkte Zusammenhang von Lohn und Arbeitsorganisation weist der gewerkschaftlichen Tarifpolitik einen hohen Stellenwert im Kampf um die Humanisierung der Arbeitswelt zu. Arbeitgeber, Gewerkschaften und Betriebsräte sind hier gefordert, wichtige Aspekte der konventionellen Lohn-und Einkommenspolitik kritisch zu überprüfen und umzugestalten. Bereits 1973 wies Heinz Oskar Vetter darauf hin: „Humanisierung der Arbeitswelt ... erfordert eine kritische Prüfung der bisherigen Lohnsysteme und der betrieblichen Lohnpolitik. Will man solidarische Zusam-menarbeit im Betrieb, will man Entfaltung in der Arbeit, will man Arbeit als Lern-und Weiterbildungsprozeß, bleibt für Lohnanreiz-Systeme herkömmlicher Art auf Dauer kaum mehr Platz. Überlegungen werden darauf zu richten sein, ob nicht in Zukunft andere Entlohnungsformen anzustreben sind, Entlohnungsformen die mit den menschlichen Bedürfnissen und Interessen in Einklang stehen und Sie fördern."

Im folgenden seien einige m. E. besonders wichtige Humanisierungsforderungen zur Lohnpolitik hervorgehoben. Dabei sei vorab kein Zweifel gelassen, daß die grundlegende — auch volkswirtschaftlich und wachstums-politisch vernünftige — Forderung nach einer Verminderung der Prolitrate zugunsten der (privaten wie öffentlichen) Einkommensraten unumstößliches Prinzip jeder sozialstaatlichen Wirtschafts-und Gewerkschaftspolitik bleibt. Wobei die Frage zumindest offen ist, ob nicht auf diese Weise trotz fallender Profitraten durch steigende gesellschaftliche Konsumtionsfähigkeit gleichwohl — und sinnvoller — Wirtschaftswachstum gesichert werden kann, gleichzeitig auf diese Weise aber irrationale Kapitalakkumulation und damit Wachstumsprozesse reduziert werden können — konservativen wie orthodox-marxistischen Unheils-propheten zum Trotz. a) Abflachung der Einkommenspyramide Besonders auch im Zusammenhang mit der oben erhobenen Forderung nach systematischer Verknappung des gesamtwirtschaftlichen Arbeitszeit-Angebots und der sich dadurch verschärfenden Verteilungskonflikte muß zum Abbau der strukturellen Einkornmensungerechtigkeiten innerhalb der Arbeitnehmerschaft an die Stelle der konventionellen Tarifpolitik linearer Einkommenssteigerungen eine neue, »nicht-prozentuale“ Tarif-politik treten. Denn bei verminderten oder ausbleibenden Realeinkommenssteigerungen können die strukturellen Einkommensungerechtigkeiten nicht länger durch die Hoffnung auf eine Steigerung des „Wohlstands für alle'kompensiert werden. Daher muß die bereits in Ansätzen erkennbare Neuorientierung der gewerkschaftlichen Einkommens-und Tarifpolitik konsequent fortgeführt werden: An die Stelle der Politik linearer (pro-zentualer) Einkommenssteigerung, die in den vergangenen Jahren eine durch nichts legitimierbare Kluft zwischen dem Einkommen des unteren und oberen Drittels der Einkommens-bezieher hat entstehen lassen, muß eine die Bezieher geringer Einkommen „privilegierende“ Tarifpolitik (z. B. durch gleiche Sockelbeträge für alle) treten, die im Ergebnis Reallohnsteigerungen primär für die unteren Ein-kommensgruppen zeitigt. Die Forderungen der OTV sowie der Post-und Eisenbahnergewerkschaft für 1976 haben sich diese notwendige neue Tarifpolitik der gleichen Geldbeträge zu eigen gemacht — leider ist man 1977 wieder davon abgekommen; Humanisierung der Lohn-und Einkommenspolitik fordert von den Tarifpartnern ein Abgehen von dem lange Jahre befolgten Grundsatz, daß das System der prozentualen Forderungen notwendiger und folgerichtiger Ausdruck des Leistungsprinzips sei. b) Abbau der Diskriminierung von Personengruppen

Vielfache materielle Benachteiligungen innerhalb der Arbeitnehmerschaft werden durch ein angebliches Leistungsprinzip gerechtfertigt, obwohl sie oft nur althergebrachte Herrschaftsstrukturen widerspiegeln. Die unterschiedliche sozial-und einkommenspolitische Behandlung von Arbeitern und Angestellten z. B. ist durch die betrieblichen Anforderungen, wie wir sie heute vorfinden, keineswegs mehr gerechtfertigt Insbesondere die Einkommensunsicherheit, vielfach aber auch die Akkord-oder Prämienabhängigkeit der Arbeiterlöhne ist inhuman und durch feste Monats-einkommen zu ersetzen. Folgendes Beispiel möge die gegenwärtige Diskriminierung verdeutlichen

«An ihrem Arbeitsplatz, im Steuerstand der Walzanlage im Mannesmann Röhren-Werk Mülheim, arbeiten Heinz Sabritzky und Willy Kuballeck eng zusammen. Der eine, Sabritzky, entscheidet, welche Aufträge erledigt, wieviel Tonnen Rohstahl abgefordert, wie die Walzbahnen gelegt werden und der Ablauf geregelt wird; Sabritzky ist Arbeiter. Der andere speist das von Sabritzky zusammengestellte Tagesprogramm in die EDV-Anlage ein, Kuballeck ist Angestellter. Während Kollege Kuballeck als Angestellter jeden Monat ein festes, stets gleichhohes Gehalt bezieht, geht es beim Kollegen Sabritzky auf und Eine weitere einkommenspolitische Diskriminierung stellt die Benachteiligung von weiblichen gegenüber männlichen Arbeitnehmern dar. In der gewerkschaftlichen und öffentlichen Diskussion ist zwar die Forderung nach Abschaffung der sogenannten (den Frauen vorbehaltenen) „Leichtlohngruppen“ unter dem Motto „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" in den letzten Jahren verstärkt erhoben worden. Soweit zu sehen, hat aber diese Forderung im beruflichen Alltag der Frauen bisher nur geringe Ergebnisse gezeitigt.

Die Diskriminierung der Frau ist nicht nur durch die einkommenspolitische Unterprivilegierung gekennzeichnet; über 90 0/0 der in der Industrie tätigen Frauen müssen zudem in der übelsten Akkordform, im Zeitakkord arbeiten Die männlichen Arbeitnehmer in der Eisen-und Stahlindustrie z. B. arbeiten nur noch zu 6, 4 % im Akkgrd. Ist für Arbeiterinnen ein Aufstieg in der betrieblichen Hierarchie schon nahezu ausgeschlossen — allenfalls rücken sie zu Vorarbeiterinnen auf —, so ist der Aufstieg von Frauen im Angestelltenbereich — trotz gleicher und Ausbildung Berufserfahrung wie ihre männlichen Kollegen — mit vielfachen Schwierigkeiten im Vergleich zu ihren männlichen Mitbewerbern verbunden.

Wie die Diskriminierung der Frau Folge patriarchalischer Herrschaftsstrukturen, so ist die Diskriminierung ausländischer Arbeiter ein Ergebnis industriegesellschaftlicher, oft wirtschaftsimperialistischer Hegemonie. Den Ausländern werden unangenehme und schwere körperliche Arbeiten zugewiesen, die bei den herrschenden Entlohnungsgrundsätzen zu einkommenspolitischen Nachteilen für diese Gruppen führen.

Ebenso inhuman ist nach zahlreichen herrschenden Vergütungsgrundsätzen die Diskriminierung jüngerer Arbeitnehmer gegenüber älteren — wie andererseits festgeschriebene wie ungeschriebene Leistungskriterien in der Arbeiter-und Angestelltenschaft zu äußerst inhumanen Einkommens-und Arbeitsplatz-Diskriminierungen bei Arbeitskräften führen, die noch zehn bis zwanzig Jahre vom Rentenalter entfernt sind. Die gewerkschaftliche Tarifpolitik zur Einkommenssicherung von Arbeitnehmern über 55 Jahre stellt hier eine wichtige Humanisierungsstrategie dar.

Zum Abbau der Diskriminierung benachteiligter Personengruppen sind u. a. folgende Einkommens-Reformen tarifpolitisch durchzusetzen:— Anhebung der unteren Lohn-und Gehalts-gruppen durch eine Tarifpolitik jährlicher Einkommenssteigerungen auf der Basis von gleichen Festbeträgen („Sockelbeträgen") für alle;

— Abbau überflüssiger Lohn-und Gehalts-gruppen, Verminderung der Zahl der Gruppen

— Einführung eines einheitlichen Einkommenstarifvertrages für Angestellte und Arbeiter

— Reform der herkömmlichen Arbeitsbewertung und der Einstufungskriterien, z. B, Vereinheitlichung, Abbau der diskriminierenden Unterbewertung bestimmter Tätigkeiten, z. B. von weiblichen Arbeitnehmern (Beseitigung der Leichlohngruppen) durch tariflich vereinbarte Höherbewertung der psychischen Arbeitsbelastungen bei besonders monotoner (repetitiver) Teilarbeit;

— Garantie der Einkommenshöhe von einem bestimmten Alter an

— Festlegung von Mindestarbeitsinhalten, „um inhaltsleere Arbeit für die Zukunft zu verhindern und gleichzeitig damit auch eine höhere Qualifikation des einzelnen Arbeitnehmers zu erreichen. Dieser Mindestinhalt sollte sich beziehen auf Muskelbelastung, geistige Vorgänge, Verantwortung, Planungsund Kontrollvorgänge, soziale Isolierung, sozialen Aufstieg" — Verhinderung unzumutbarer Schematisierung und Standardisierung von bisher abwechslungs-

und inhaltsreichen Tätigkeiten durch Einstufung des Arbeiters nach der Art der Arbeiten, die er ausführen kann

Die Forderung nach Integration der Einkommens-Tarifpolitik in eine Strategie zur menschengerechten Gestaltung der Arbeitsbedingungen impliziert also, daß die bisherigen Formen der Einkommensdifferenzierung von den Gewerkschaften in Frage gestellt und durch neue Entlohnungsgrundsätze und -me-

thoden ersetzt werden. Es sei hier ausdrücklich auf das in dieser Hinsicht wohl einmalig humane, gerechte und mitbestimmte neue Lohnsystem in der Porst-Gruppe verwiesen:

Arbeiter und Angestellte werden „nach denselben Merkmalen, mit denselben Verfahrens-regeln und von einer paritätisch von Gewerkschaft und Betrieben besetzten ... Bewertungskommission analysiert und bewertet“

(Franks. Rundschau v. 10. Juni 1977), und zwar so, daß weder Ausbildungstitel noch Betriebszugehörigkeit oder Geschlecht oder Undurchsichtigkeit der Angestelltengehälter traditionelle Vorrechte aufrechterhalten

Betriebsräte können die Bemühungen um humanere Entlohnungssysteme wesentlich unterstützen, wenn sie die vorhandenen Mitbestimmungsmöglichkeiten (§ 87 Abs. 1 Nr. 10 und 11 — Mitbestimmung über Entlohnungsgrundsätze und -methoden) voll ausschöpfen. Dabei sei noch einmal auf den für eine Strategie der Arbeitshumanisierung besonders vorrangigen Schwerpunkt hingewiesen: Es ist unerläßlich, die in der industriellen Praxis vorherrschenden starren Lohnstufensysteme mit in der Regel 8, 10, — ja teilweise über 20 Lohngruppen aufzubrechen. Ein solches System fördert eine negative Konkurrenz unter den Arbeitern statt solidarischer Kooperation und verhindert, daß der einzelne Arbeitnehmer möglichst viele (verschiedenartige oder integrierte) Arbeitsinhalte verrichten kann; eine künstliche Hierarchisierung im Betrieb wird stabilisiert. Deshalb sind, wo immer möglich, die Arbeitnehmer auf bestimmte Tätigkeiten festlegende Arbeitsbewertungssysteme durch freie, zwischen Arbeitnehmer (Arbeitsgruppe bzw. Betriebsrat) und Personalabteilung auszuhandelnde Eingruppierungen in wenige, funktional gerechtfertigte Einkommensgruppen zu ersetzen. c) Abbau von Zeit-und Stückakkord zugunsten einer Zeit-bzw. Programmentlohnung. Alle Formen von Akkordarbeit, Akkord-oder Prämienlohn, die Arbeitende zu ständiger Uber-Normal-Leistung antreiben, sind mit ihren unwürdigen Begleiterscheinungen als inhumane Arbeitsbedingungen anzusehen. Sie sind nicht als Ausdruck eines akzeptablen Leistungsdenkens anzuerkennen, denn die meisten Betriebsleitungen sind längst dazu übergegangen, Arbeiter geradezu für ihre Mehrleistungen zu bestrafen, indem diese nach einer gewissen Zeit zur Heraufsetzung der Normleistung führen.

Vielfach hat die technische Entwicklung dazu geführt, das der Einzelne keine direkte Möglichkeit mehr hat, das Arbeitsergebnis zu beeinflussen; seine Leistung wird durcch die technische Arbeitsorganisation vorbestimmt.

Angesichts dieser Tatsache ist es zu begrüßen, daß die IG Metall von Nordwürttemberg-Nordbaden in ihrem Lohnrahmentarifvertrag von 1973 eine „Akkordsicherung" durchgesetzt hat. Danach ist dem Arbeitnehmer u. a. die vereinbarte Lohnhöhe solange garantiert, als der Arbeitgeber nicht den Nachweis liefern kann, daß der Arbeitnehmer und nicht die Betriebsleitung bzw. eine technische Störung die Minderung des Arbeitsergebnisses zu verantworten hat

Ein erster wichtiger Schritt zum Abbau des mit dem Leistungslohn verbundenen Arbeitsstreß'liegt in der in § 4. 1. dieses Tarifvertrags vereinbarten neuen Definition der tariflichen Normalleistung Sie ist „so festzusetzen, daß der Akkordarbeiter bei menschengerechter Gestaltung der Sollarbeitsbedingungen nach Einarbeitung ohne Rücksicht auf Geschlecht, Alter und tägliches Schwanken der Arbeitsleistungsfähigkeit wie des Arbeitsergebnisses ohne gesteigerte Anstrengung den Tariflohn seiner Lohn-und Arbeitswertgruppe erreichen kann." Dies ist eine die traditionelle Arbeitswissenschaft herausfordernde, neue Maßstäbe setzende Regelung. Die bisher gän-gige Formel stellte lediglich auf den Ausschluß von „Gesundheitsschädigungen" ab Eine Einkommenspolitik, die sich den Zielen einer humanen Gestaltung der Arbeitswelt verpflichtet fühlt, muß jedoch über diese gewiß nicht zu unterschätzenden Vereinbarungen hinaus auf eine generelle Abschaffung der Akkord-und Prämiensysteme hinarbeiten. Dabei ist auch hier darauf hinzuweisen, daß „Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, insbesondere die Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen und die Einführung und Anwendung von neuen Entlohnungsmethoden sowie deren Änderung" nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG der vollen (und notfalls über die Anrufung der Einigungsstelle erzwingbaren) Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegen. Die Frage, ob im Akkord gearbeitet wird, zählt zu den „Entlohnungsgrundsätzen" so daß zur Realisierung der Forderung nach weitgehender Abschaffung der Akkordarbeit keinerlei Gesetzesänderungen erforderlich sind. Zumindest sollte angestrebt werden, daß statt der Akkordarbeit lediglich tariflich streng limitierte Mehrleistungen (z. B. von höchstens 20 °/o über der Normalleistung) durch Prämien vergütet werden, deren Erfahrungsdurchschnitt in das feste Gehalt der Arbeiter einbezogen werden.

Als nächster Schritt ist dem einzelnen Arbeitnehmer ein Mindestmonatseinkommen in Höhe des Durchschnittsverdienstes seiner Lohn-und Arbeitsgruppe zu garantieren, um wenigstens für eine mittelfristig gesicherte Existenz-und Lebensplanung die Grundlage zu schaffen. Damit sollen die durch Prämien und Akkorde oder aber durch Minderleistungen und andere Faktoren verursachten Schwankungen der Lohnhöhe so weit wie möglich reduziert werden. Gerade im Zusammenhang mit der Teilstrategie „Bereicherung und Verselbständigung der Arbeitsaufgaben" kommt der Forderung nach einer „Lohngarantie" erhöhte Bedeutung zu. Denn die Ar-beitnehmer werden erst dann von der Chance erweiterter Handlungsmöglichkeiten Gebrauch machen, wenn sie keine gravierenden finanziellen Einbußen befürchten müssen. Wenn es zur Arbeitshumanisierung gehört, dem einzelnen oder der Arbeitsgruppe die Arbeits-bzw. Zeiteinteilung für die Erledigung der Aufgaben, so weit es Koordinationserfordernisse der Arbeitsorganisation zulassen, selbst zu überlassen, erfordert dies nicht nur neue Technologien und arbeitsorganisatorische Mitbestimmungsregelungen über Norm-Leistungen und Normzeiten. Es erfordert auch neue Entlohnungsmethoden, denn Arbeitsergebnisse sind nicht mehr pro Stunde, sondern für umfassendere „Arbeitsprogramme“, z. B. für Leistungen pro Woche oder pro Monat zu ermitteln. Führt man solche Gruppen-Arbeitsprogramme ein, so muß die Verteilung der Gesamtlohnsumme der Gruppe auf die einzelnen Arbeiter in der Gruppe mit möglichst geringen — oder gar ohne — Differenzierungen (verschiedene Lohngruppen-Einstufungen) erfolgen, um Arbeits(platz) wechsel in der Gruppe zu ermöglichen und gruppeninterne Ungleichheiten bzw. Auseinandersetzungen um den bestbezahlten Arbeitsplatz zu verhindern. d) Volle Transparenz der Lohnfindung und -

differenzierung und volle Mitbestimmung über Entlohnungsgrundsätze, -methoden sowie Einstufungskriterien

Die Lohnstreifen und auch viele Gehaltsabrechnungen sind für zahllose Arbeitnehmer undurchschaubar. Insbesondere Löhne, die sich aus Grundlohn, Qualifikations-bzw. Lohngruppenzuschlag, Akkord-bzw. Prämienzuschlag, Mehr-bzw. Schichtarbeitszuschlag sowie Steuern, Sozialabgaben und auch arbeitsbedingten Abzügen ergeben, sind ohne übersichtliche Abrechnungsformen vom Arbeitnehmer nicht zu überprüfen; häufig vorkommende Berechnungsfehler bleiben meist unbemerkt und unbeanstandet. Gewiß: „Der Arbeitnehmer kann verlangen, daß ihm die Berechnung und Zusammensetzung seines Arbeitsentgelts erläutert... werden ..." (§ 82 II BetrVG). Angesichts der Kompliziertheit der meisten Lohnabrechnungen wäre jedoch diese Bestimmung zumindest in Großbetrieben kaum praktikabel, wenn größere Zahl eine von Arbeitnehmern vom zitierten Recht Gebrauch machen würde.

Zur Transparenz des Einkommenssystems gehört aber auch die Abschaffung von individuellen und geheimen Einkommensvereinbarun-gen im Angestelltenbereich. Sie erzeugen innerbetriebliche Spannungen, Strebertum, Intrigen und Rivalitäten aller Art, verhindern die Orientierung des Selbstwertgefühls der Angestellten an den Ergebnissen ihrer gemeinsamen Arbeit und lassen daher Ansätze eines Solidaritätsgefühls oft wieder im Keim ersticken. Eine Gesetzesnovelle müßte sicherstellen, daß der Betriebsrat sein Einblicks-recht in Lohn-und Gehaltslisten gemäß § 80 II BetrVG auch zu dem Zwecke benutzen darf, auf gravierende Fälle von Willkür und Verletzung des Prinzips der Behandlung nach Recht und Billigkeit betriebs-öffentlich hinzuweisen. Die Verwirklichung des vollen Mitbestimmungsrechts des Betriebsrates und des Mitspracherechts der Arbeitsgruppen bei der Durchführung von Arbeits(platz) bewertungen, bei der Festlegung des betrieblichen Lohnfindungssystems und bei der Einstufung der einzelnen Arbeitnehmer in bestimmte Lohngruppen würde im Sinne der Ziele einer humanen Gestaltung der Arbeitswelt unvollständig bleiben, wenn sie nicht auch zu einer Reform der Einstufungskriterien führte. Vor allem darf die Vergütung nicht mehr allein davon abhängen, welche Arbeit der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Bewertung bzw. Einstufung erhält. Vielmehr müßten die Einstufungskriterien sich auf die Qualifikation des Arbeitenden beziehen. e) Abbau von Geldäquivalenten für inhumane Arbeitsbedingungen Die geldliche Abgeltung unwürdiger Arbeitsbedingungen (Lärm, Gift-Einwirkung, Staub, Temperatur, Gefährlichkeit, Nachtarbeit, Schwerstarbeit etc.) wirkt heute oft als ernst-zunehmende Barriere gegen eine systematische Humanisierung der Arbeitsbedingungen. Manche Belastungen werden allzu bereitwillig hingenommen, weil dafür Erschwerniszulagen anfallen. Dies führt gelegentlich sogar zur Weigerung, eine Verbesserung der Arbeitssituation anzustreben. Es muß gefordert werden, daß gesundheitsschädigende oder -gefährdende Belastungen nicht durch das Lohnsystem legitimiert und gefördert werden dürfen. Durch eine Novellierung von § 91 BetrVG könnte z. B. sichergestellt werden, daß der Betriebsrat die Durchsetzung ergonomischer Normen in der betrieblichen Praxis erzwingen kann, so daß Erschwerniszulagen nach einer bestimmten Ubergangsfrist nur-mehr dort akzeptiert werden müßten, wo die Belastungen objektiv (noch) nicht abgeschafft werden können. 4. Mitbestimmung auf allen Ebenen der Wirtschaft Die gravierendste — oft sehr deutlich interessenideologisch motivierte — Fehlleistung in den meisten Diskussionen um die Arbeitshumanisierung ist das Weglassen der Mitbestimmungsforderung: Humanisierung durch gleichberechtigte Beteiligung der Arbeitneh-mer(vertreter) an der Entscheidungsbildung in der Arbeitswelt. In Abwandlung eines Wortes von Max Horkheimer sei daher deutlich ausgesprochen: Wer von Mitbestimmung nicht reden will, sollte von Humanisierung schweigen. Heinz O. Vetter hat den Zusammenhang präzise beschrieben: „Die Mitbestimmung als Forderung nach Abbau der einseitig verteilten Machtverhältnisse am Arbeitsplatz, im Betrieb, im Unternehmen und in der gesamten Wirtschaft und die Humanisierung der Arbeitswelt stehen in engem Bezug zueinander... Humanisierung spricht in erster Linie die inhaltliche Gestaltung der Arbeit an, die Struktur des Arbeitsprozesses, während Demokratisierung vor allem den Prozeß der Willensbildung und der Entscheidungsfindung umfaßt. Humanisierung und Demokratisierung ergänzen sich also, müssen sich ergänzen, will sich Demokratisierung der Entscheidungsprozesse nicht nur auf eine formelle Veränderung der Zusammensetzung von Institutionen beschränken. Humanisierung der Arbeit wiederum läßt sich ohne wirksame Mitbestimmung auf allen Ebenen letztlich nicht verwirklichen. Beide bedingen einander."

Um das Prinzip der Mitbestimmung jedoch in ein integrales Konzept der Arbeitshumanisierung sinnvoll einzubeziehen, sind Klärungen erforderlich. Denn die Diskussion um die Mitbestimmung leidet nicht nur unter einer Sprachverwirrung, die verursacht wird durch einen allzu vagen Gebrauch des Wortes „Mitbestimmung" für jede — meist ganz unverbindliche — Art der „Partizipation" Abhängiger am Entscheidungsprozeß der Führungseliten; sie leidet auch unter der Unkenntnis hinsichtlich der verschiedenen Ebenen der Mitbestimmung. Die Gewerkschaften sind daran nicht unschuldig, da sie selbst sich in den letzten Jahren zu sehr auf die Ebene der „qualifizierten Mitbestimmung" konzentriert haben. Nun kann zwar kein Zweifel daran bestehen, daß die Frage der Aufhebung des alleinigen kapitalistischen Führungsanspruchs in den großen Konzernen, die unsere Wirtschaft dominieren — und um nichts anderes geht es auf dieser Ebene des Mitbestimmungskampfes — gegenwärtig die brisanteste gesellschaftsund wirtschaftspolitische Machtfrage darstellt (siehe den Anruf des Bundesverfassungsgerichts durch den Arbeitgeberverband). Aber zugleich muß erkannt werden, daß die gewerkschaftliche Mitbestimmungskonzeption „ein Koloß auf tönernen Füßen" bleibt — nämlich wieder einmal Demokratie nur für das Volk, nicht Demokratie auch durch das Volk! —, wenn die Mitbestimmung auf den Ebenen des Arbeitsplatzes und des Betriebs nicht gleichzeitig und gleichrangig diskutiert und durchgesetzt wird: weil dann nämlich die aktive Belegschaftsund Betriebsratsbasis fehlt, deren konkrete Kritik und Alternativvorstellungen zur Managementpolitik die Aufsichtsratsrepräsentanten der abhängig Beschäftigten und ihren „Arbeitsdirektor" ausreichend motivieren, eine alternative Politik auf der Unternehmensleitungsebene zu vertreten.

Ganz abgesehen von dieser ebenso demokratietheoretischen wie strategisch-aktionstheoretischen Begründung eines basisnahen und vor allem mehrdimensionalen Mitbestimmungskonzepts sollte einfach die Realität der Arbeitswelt beachtet werden, in der von 22 Millionen Arbeitnehmern nur etwa 5— 6 Millionen von der „qualifizierten Mitbestimmung" betroffen sind, die übrigen aber mit dem Betriebsverfassungsgesetz und dem Personalvertretungsgesetz „leben“ müssen. Außerdem wird der betriebliche Alltag für alle 22 Millionen Arbeitnehmer in Groß-, Mittel-und kleinen Unternehmen unvergleichlich viel stärker davon geprägt, wieviel Mitbestimmungsmacht sie selbst, ihre Vertrauensleute und Betriebsräte — gesetzlich oder faktisch — haben.

Last not least: Mitbestimmung kann, je mehr Unternehmenspolitik notwendigerweise auch auf regionaler, nationaler und europäischer bzw. internationaler Ebene entschieden wird, nicht im Unternehmen halt machen, sondern muß in diesen „überbetrieblichen" Ebenen verankert sein. Der DGB hat dazu vor längerer Zeit Vorschläge über die Einrichtung von Landes-bzw. Bundeswirtschaftsund Sozialräten vorgelegt. a) Ebenen und Strategien der Mitbestimmung; schwache Ansätze der Realisierung Zunächst seien hier die zur Diskussion stehenden Mitbestimmungsebenen genannt:

— der Arbeitsplatz des einzelnen, — der Arbeitsplatz der Arbeitsgruppe bzw. Abteilung, — der Betrieb, — die Leitung einer Unternehmensgruppe (Konzernbetriebsrat), — der Aufsichtsrat eines Unternehmens bzw. einer Unternehmensgruppe, — die regionalen Organe der Wirtschaft (Industrie-und Handelskammern usw.), — die länderwirtschaftlichen Entscheidungsinstanzen, — die volkswirtschaftlichen Entscheidungsinstanzen des Bundes — die wirtschaftlichen Entscheidungsinstanzen der Europäischen Gemeinschaft — die Vorstände und Aufsichtsräte multinationaler Konzerne.

Um die Konfliktpotentiale, die Mitbestimmungsinhalte und die möglichen Träger der Mitbestimmung auf den wichtigsten Ebenen in diesem Überblick etwas konkreter zu verdeutlichen, sei auf das folgende, in Anlehnung an eine Aufstellung von Haussmann 55) erarbeitete Tableau verwiesen, das die Mehrdimensionalität einer konsequenten Mitbestimmungstheorie und -Strategie aufzeigt. Grundlegend für die Entwicklung eines integralen Mitbestimmungskonzepts ist, daß _ entgegen gewissen bürokratisch-zentralistischen Tendenzen bei einigen Gewerkschaften _ in Zukunft unbedingt auch das Prinzip der direkten Mitbestimmung verwirklicht werden muß. Mitbestimmungskonzepte verlieren jegliche Glaubwürdigkeit, wenn sie sich nur auf die „repräsentative Mitbestimmungsebene" beschränken und als Träger von Mitbestimmung neben den Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat, dem Arbeitsdirektor im Management sowie den Personal-und Betriebsräten nicht auch den einzelnen Arbeitnehmer, vor allem aber die Arbeitsgruppen und die gewerkschaftlichen Vertrauensleute anerkennen. Als Ergebnis langjähriger Diskussionen in den sechziger Jahren ist folgendes Konzept einer Mitbestimmung am Arbeitsplatz von basisdemokratisch orientierten Gewerkschaftern und Sozialwissenschaftlern erarbeitet worden, das in Tarifverträgen, letztlich aber als Wesenselement in einem novellierten Betriebsverfassungsgesetz, zu verankern wäre: . 1. Arbeitnehmer, die gemeinsame spezifische Arbeitsaufgaben haben, können zur unmittelbaren Wahrnehmung ihrer Interessen Arbeitsgruppenbesprechungen durchführen. Der Betriebsrat ist zur Arbeitsgruppenbesprechung einzuladen. Auf Wunsch der Arbeitsgruppen Vertreter des Arbeitgebers zuständige an den Arbeitsgruppenbesprechungen teilzunehmen. Diese Arbeitsgruppen können Arbeitsgruppensprecher bestimmen. 2. Der Betriebsrat hat das Recht, von sich aus Arbeitsgruppenbesprechungen einzuberufen. 3. Arbeitsgruppenbesprechungen finden während der Arbeitszeit statt, soweit nicht die Eigenart des Betriebes eine andere Regelung zwingend erfordert. Die Zeit der Teilnahme an Arbeitsgruppenbesprechungen, einschließlich der zusätzlichen Wegezeiten, ist den Arbeitnehmern wie Arbeitszeit zu vergüten. Das gilt auch dann, wenn die Arbeitsgruppenbesprechung wegen der Eigenart des Betriebes außerhalb der Arbeitszeit stattfindet. 4. Arbeitsgruppenbesprechüngen dienen der Mitwirkung der Arbeitnehmer an allen sie am Arbeitsplatz interessierenden Fragen.

5. Wird in Arbeitsgruppenbesprechungen keine Einigung mit dem Arbeitgeber oder seinen Vertretern erzielt, so wird die Angelegenheit zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber weiterverhandelt. Der Betriebsrat hat die Arbeitsgruppe über den Verlauf der Verhandlungen zu unterrichten.

6. Initiativen einer Arbeitsgruppe, die zur Verbesserung eines betrieblichen Zustandes führen, sind gemäß den Bestimmungen des Gesetzes über Arbeitnehmererfindungen zu honorieren."

Eine entsprechende tarifvertragliche Regelung wird in § 3 des neuen Betriebsverfassungsgesetzes ausdrücklich angeboten; dort heißt es: „Durch Tarifvertrag können bestimmt werden: 1. zusätzliche betriebsverfassungsrechtliche Vertretungen der Arbeitnehmer bestimmter Beschäftigungsarten oder Arbeitsbereiche (Arbeitsgruppen), wenn dies nach den Verhältnissen der vom Tarifvertrag erfaßten Betriebe der zweckmäßigeren Gestaltung der Zusammenarbeit des Betriebsrats mit den Arbeitnehmern dient.“

Ordnet man das Konzept der wirtschaftlichen Mitbestimmung in eine Gesamtstrategie der Demokratisierung der Wirtschaft ein, so ist vorab notwendig, sich bewußt zu machen, daß Demokratisierung — und gerade Demokratisierung der Wirtschaft! — sich keineswegs der Formulierung und in Durchsetzung von Partizipationsgesetzen, also in institutionalisierter Mitbestimmung erschöpft. Vielmehr gibt es zwei prinzipiell zu unterscheidende, aber durchaus nicht alternative, sondern tendenziell komplementäre Organisationsformen der Demokratisierung: Die Organisationvon Gegenmacht der Betroffenen, die die Herrschenden bzw. ihre Beauftragten zur Revision ihrer Entscheidungen im Interesse der Abhängigen zu zwingen versuchen oder andererseits die Erkämpiung des Rechts, am Entscheidungsprozeß in den bis dahin autoritär geführten gesellschaftlichen Subsystemen durch Insitutionalisierung von Mitbestimmung oder (partieller) Selbstbestimmung beteiligt zu werden. Dabei muß der dialektische Zusammenhang erkannt werden: Gegenmachtstrategien haben zu wesentlichen Humanisierungserfolgen in der westeuropäischen und auch in der westdeutschen Arbeitswelt geführt. Reinhard Hoffmann hat schon vor Jahren darauf hingewiesen, daß durch gewerkschaftliche Organisations-, Gegenmacht-und Tarifpolitik, teilweise nach harten Arbeitskämpfen, bedeutende Fortschritte in der sozialen Sicherung und der Gestaltung von Arbeitsbedingungen durch Tarifverträge erreicht worden sind, die vielfach Vor-bild für die Weiterentwicklungen des Arbeits-

(schutz) rechts waren

Schließlich sollte die mögliche Entwicklungsperspektive des Mitbestimmungskonzepts nicht außer Betracht bleiben: Als Zielvorstellung betrieblicher Demokratisierung kristallisiert sich immer mehr die Arbeiterselbstverwaltung heraus. In Frankreich wird sogar diese Zielvorstellung der „autogestion" ganz bewußt der westdeutschen „cogestion“ gegenübergestellt. Und in einigen Unternehmen auch Westeuropas wird solche Selbstverwaltung schon ansatzweise praktiziert Ohne Zweifel liegt bzw. lag in der Bundesrepublik das Hauptgewicht der bisherigen wissenschaftlichen Reformdiskussion, aber auch der bisherigen politischen Reformpraxis, auf den Feldern der Unternehmensmitbestimmung, also im Bereich bloßer Partizipation an Entscheidungsprozessen. Ein Blick auf die jugoslawische Praxis zeigt aber, daß eine Selbstverwaltung der Arbeitenden durchaus realisierbar ist — auch wenn gerade die Jugoslawen ehrlich genug sind, zuzugeben, daß eine optimale Verwirklichung ihres Konzepts noch lange nicht erreicht ist

Die Konzepte von Mitbestimmung am Arbeitsplatz, in Unternehmen, in der Leitung von Großunternehmen sowie in den Organen und politischen Entscheidungsspitzen der Volkswirtschaft können sich zu einer Teil-strategie der Demokratisierung der Wirtschaft nur dann entwickeln, wenn sie erstens aus bloßen Konzepten zu Rechtswirklichkeiten werden und zweitens als ein Ganzes zusammenwirken. Daran gemessen zeigt sich der bruchstückhafte Charakter der erreichten wirtschaftlichen Mitbestimmung in der Bundesrepublik. Ich ziehe ein Fazit, wobei ich mich auf eine Systematik von Entscheidungsbereichen beziehe:

am Arbeitsplatz: geringe Mitwirkungs-und Mitbestimmungsansätze der Arbeitnehmer und des Betriebsrats nach dem BetrVG (§§ 82— 86; 90 f.). Keinerlei von einer Gewerkschaft oder Partei entwickelte bzw. akzeptierte Konzeption direkter Mitwirkung und/oder Mitbestimmung (oder gar Selbstbestimmung) der Arbeitsgruppen in Verfahrens-und personellen Entscheidungen ihres speziellen Arbeitsbereichs; Mitwirkungsansätze in den Richtlinien einiger Gewerkschaften über die Vertrauensleutearbeit;

im „Betrieb" bzw. in Unternehmen jeder Größe: nach dem BetrVG § 87, I, 10 u. 12. Mitbestimmung in marginalen („sozialen") und einigen Einkommensentscheidungen, in wenigen arbeitsorganisatorischen Verfahrensentscheidungen, in einigen personellen Entscheidungen (§§ 94— 104 ff.); nur geringe Mitwirkung in wesentlichen arbeitsorganisatorischen und Systementscheidungen; dagegen vorliegende gewerkschaftliche und sozialdemokratische Konzepte (Gesetzesvorlagen) für ein erweitertes BetrVG; speziell in Großunternehmen: nur in der Montanindustrie Mitbestimmung in Systementscheidungen durch paritätisch besetzte Aufsichtsräte — bedingte Mitbestimmung in personellen und sozialen Angelegenheiten durch den „Arbeitsdirektor“; in allen anderen Großunternehmen aufgrund mangelnder Machtparität nach dem ‘ 76er MitbG keine Mitbestimmung in Systementscheidungen; dagegen ausführliche Konzeptionen (Gesetzesvorlagen) von DGB, SPD und Sozialausschüssen der CDU über paritätische Mitbestimmung in Großunternehmen; in Organen der Volkswirtschaft: lediglich Diskussionskonzept (Gesetzentwurf DGB-Rheinland-Pfalz 1976) des DGB überparitätische Besetzung von Wirtschaftskammern und über Landes-bzw. Bundeswirtschafts-und Sozial-räte; in der EG: Entwurf des Europäischen Bundes Freier Gewerkschaften über Drittelbeteiligung von Arbeitnehmervertretern in der „Europäischen Aktiengesellschaft"; keinerlei Konzeption über eine Mitbestimmung bei ökonomischen Planungsprozessen der EG. Überdenkt man dieses Fazit, so erkennt man, daß das sozialstaatliche Prinzip der Mitbestimmung in ganz wesentlichen Entscheidungsbereichen der Unternehmen und der Ge60 samtwirtschaft — sowohl an der Basis des Arbeitsprozesses wie in den Entscheidungs-Zentren — noch unverwirklicht ist, — ja, daß die gewerkschaftlichen und politischen Arbeitnehmerorganisationen in der Bundesrepublik sich sogar große theoretisch-programmatische Defizite vorwerfen lassen müssen, was die Entwicklung eines integralen Mitbestimmungssystems betrifft. Wir stehen also nicht nur mit der Mitbestimmungspolitik, sondern sogar mit der Mitbestimmungstheorie noch ganz am Anfang. b) Mitbestimmung und demokratische Unternehmensführung Alle Erfahrungen in gemeinwirtschaftlichen, in von den Arbeitern selbstverwalteten und vor allem auch in sowjetsozialistischen Unternehmen zeigen, daß unternehmerisches (betriebs) wirtschaftliches Führungshandeln nicht reduziert werden kann auf den Begriff kapitalistischer Herrschaftsausübung. Die entscheidende Frage für eine Theorie der Humanisierung und Demokratisierung kann daher nicht sein, wie man Führung im Unternehmen abschafft, sondern wie man Unternehmensführung auf ihr funktional und notwendiges Maß reduziert und ausreichend (aber nicht bürokratisch) demokratisch kontrolliert und schrittweise ihrer klassenspezifischen Machtausübung entkleidet.

Denn probiernund konfliktgeladen, aber auch ideologisch aufgeladen wird die Frage der (Unternehmens-) Führung eben durch die in ihr miteinander verwobenen und — oft absichtsvoll — verwechselten Elemente von organisatorisch notwendiger Funktion und (durchaus überflüssiger) gesellschaftlicher Herrschaftsmacht). Um beides voneinander zu trennen, genügt es nicht,'Mitbestimmung im Sinne von paritätischen, indirekten Gremien und/oder direkten Kollektivorganen einzusetzen, also „Macht von unten“ der „Macht von oben“ entgegenzusetzen. Vielmehr muß ergänzend einerseits die hierarchische Führungsstruktur, ihre Regeln, Riten, Stufen etc.demokratisch (d. h. in Richtung auf optimale Selbstverwaltung, Entscheidungsund Handlungsspielräume der Betroffenen) umgestaltet werden — andererseits das Selbstverständnis der Führenden verändert werden. Leider wird in dieser Richtung von progressiven Theoretikern und Organisationen kaum etwas geleistet. (Bezeichnenderweise wurde eine Managementakademie des DGB vor einiger Zeit geschlossen!) Und allzuviele liberal und demokratisch klingende „neue“ Managementkon-zepte erweisen sich, wie das „Harzburger Modell", als äußerst begrenzte Reformen, die die klassengesellschaftliche Machtfrage nicht nur nicht stellen, sondern bewußt oder de facto verschleiern

Die folgenden Leitsätze können und sollen an dieser Stelle nur einen Hinweis geben auf eine Dimension der Humanisierung und Demokratisierung der Arbeitswelt, die meist vergessen wird:

— Demokratische Führung ist Führung im Auftrag der Betroffenen und dient gemeinsam akzeptierten Zielen.

— Demokratische Führung ermöglicht die optimale Teilhabe der Betroffenen an allen Entscheidungen. — Demokratische Führung ist im Gegensatz zu allen imperativen Rätesystemen voll handlungsfähig, aber rechenschaftspflichtig.

— Demokratische Führung ist Führung auf Zeit

— Demokratische Führung sucht, wo immer möglich, sich selber durch Delegation von Aufgaben und Teil-Autonomisierung von Mitarbeitern und Arbeitsgruppen „überflüssig“, das heißt frei zu machen für qualifiziertere, z. B. innovative Aufgaben.

— Demokratische Führung praktiziert auch einen demokratischen Führungsstil. 5. Humanisierung der Arbeitsorganisation I: Menschengerechte Gestaltung der Arbeit (ergonomische Grundforderungen)

Der im industriellen Produktionsprozeß, aber auch in den Dienstleistungsbereichen arbeitende Mensch ist einer Vielzahl von gesundheitlichen Gefährdungen ausgesetzt, die zu einer erschreckenden Quote von Berufskrank-* heiten und Frühinvalidität führen Für die Summe dieser Schädigungen habe ich den Begriff des psycho-physischen Arbeitsleids geprägt. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien hier einige der wichtigsten gesundheitsgefährdenden Einwirkungen genannt, denen insbesondere Arbeiter im Produktionsprozeß ausgesetzt sind: Unfallgefahr, Lärm, Staub, Hitze, ungenügender Luftwechsel, Einatmen von Gasen, falsche Beleuchtung, Nässe, Kälte, Schmutz, mangelnde hygienische Verhältnisse, mechanische Schwingungen am Arbeitsplatz sowie Arbeitsstreß und körperliche Überanstrengung bzw. körperschädigende einseitige Belastung. Trotz jahrzehntelangem gewerkschaftlichen Kampf um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen erfahren auch heute noch zahllose Arbeitnehmer, daß immer höhere Arbeitsleistungen gefordert werden ohne Rücksicht auf die physische und psychische Belastbarkeit des Menschen. Immer noch wird vom Menschen eine weitgehende Anpassung an die Technik verlangt, auch wenn die Einsicht, daß es umgekehrt sein sollte, in den letzten Jahren verstärkt ins öffentliche Bewußtsein gedrungen ist.

In den Arbeitswissenschaften ist in den letzten Jahren das Bemühen um menschengerechte Gestaltung von Arbeitsplätzen, -abläufen und -Umgebungen stärker in den Vordergrund getreten. Die „Ergonomie“ setzt sich neuerdings in stärkerem Maße zum Ziel, Maschinen und Arbeitsvorgänge an die körperlichen und geistigen Bedürfnisse des Menschen anzupassen. Es werden physiologische und psychologische Aspekte der Arbeit untersucht, um praktisch nutzbare Erkenntnisse zu gewinnen, wie bestimmte Belastungen und Gesundheitsgefährdungen vermindert werden können, um die Lebenskraft (und vor allem natürlich die menschliche Arbeitskraft und Leistungsfähigkeit) so lange wie möglich zu erhalten.

Gelegentlich wurde gegenüber Arbeitswissenschaften der Vorwurf erhoben, nur „Herrschaftswissen" zu produzieren: weitere Leistungsreserven der Menschen zu erschließen, um ihn letztlich noch mehr ausbeuten zu können. Es gehe also in Wirklichkeit nicht um Humanisierung, sondern um bloße Rentabilitätsförderung und Kostensenkung. In der Tat wird die Arbeitswissenschaft sich künftig wesentlich entschiedener als bisher zum Ziel setzen müssen, Leistungsfähigkeit (und zwar im Sinne langfristiger „Normal“ -Leistungen) unter humanen Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten zu gewährleisten; das heißt konkret: sich von einem unternehmerischen Interessendruck zu befreien, der lediglich auf kurz-und mittelfristig optimale Leistungshergabe hinzielt. Dabei wäre es verfehlt, mögliche und machbare Erleichterungen der Arbeit etwa deswegen abzulehnen, weil sie sich auch — durch Kostensenkung — vorteilhaft für den Unternehmer auswirken. Entscheidend ist nur, wo die Priorität liegt: ob arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse endlich vorrangig unter dem Gesichtspunkt der Humanisierung statt dem der Produktivität entwickelt und angewendet werden

In der Bundesrepublik ist seit nunmehr zehn Jahren vor allem im Bereich des Salzgitter-Konzerns Pionierarbeit geleistet worden, um ergonomische Erkenntnisse praktisch anzuwenden. Für diese Unternehmensgruppe, die der paritätischen Mitbestimmung nach dem Montanmodell unterliegt, hatte der Arbeitsdirektor Jungbluth die Aufgabenstellung eines in Salzgitter arbeitenden „Arbeitskundlichen Teams" (AKT) wie folgt umrissen: „Wenn wir als Unternehmen dem Arbeitnehmer das Erbringen einer optimalen Leistung abfordern, dann muß das Unternehmen die optimalen Leistungsvoraussetzungen schaffen!“ Von, dieser Zielsetzung aus sind alle Planungen im Unternehmen zur Erweiterung, Ergänzung oder Neuerstellung von Anlagen wie auch die Beschaffung größerer und neuerer Maschinen und Einrichtungen jenem AKT zur Begutachtung vorzulegen, um bereits im Planungsstadium fachliche Hinweise zu erarbeiten auf zu beachtende oder versäumte Gesichtspunkte, die menschliche Schäden oder Leistungshemmnisse ergeben könnten. Zusammenarbeit wird im AKT praktiziert, geleitet von einem hauptamtlichen’ Geschäftsführer, von den im Bereich des Personal-und Sozial-wesens tätigen Hauptabteilungsleitern, ergänzt durch den Werksarzt, den Werkspsychologen, den Hauptsicherheitsingenieur und den Assistenten des Arbeitsdirektors.

Die Ziele des AKT wurden vom ehemaligen Arbeitsdirektor Jungbluth wie folgt definiert: — Vermeidung von gesundheitlichen und körperlichen Schäden, — Vermeidung von psychischer Überforderung und Fehlbelastung, — Vermeidung leistungs-und arbeitshemmender Gestaltung, — Vermeidung arbeitswirtschaftlich unökonomischer Planung, — Anregung leistungsfördernder und -stimulierender Planung, — Anregung zu arbeitspädagogisch und arbeitswirtschaftlich günstiger Gestaltung.

Wie ersichtlich, ist das arbeitswissenschaftliche Postulat . Anpassung der Arbeit an den Menschen'vorangestellt, die wirtschaftlich-ökonomische Seite der Gestaltung aber stets beachtet..."

Jungbluth nennt folgende Beispiele aus der Arbeitspraxis des AKT:

Messung psychischer Belastungen im Betrieb und Einbau eines entsprechenden Anforderungsmerkmals in die analytische Arbeitsbewertung, — Probleme des Großraumbüros und zentraler Schreibzimmer, — Erstellung einer Lärmtopographie über belastete Arbeitsplätze in den Betrieben und Rangliste einer Aktion Lärmminderung.

— Lärmbekämpfung an Büromaschinen, — Gehörschutzaktion in Zusammenarbeit mit dem Bundesinstitut für Arbeitsschutz, — Schwingungsprobleme an Arbeitsplätzen, — Änderung von Schichtwechselzeiten und Berücksichtigung des biologischen Tagesrhythmus und soziologischer Aspekte, — Staubprobleme in den Betrieben usw.'

Aus der Fülle seiner Erfahrungen haben Jungbluth und seine Mitarbeiter im Laufe mehrerer Jahre eine ergonomische Arbeitsanleitung erarbeitet, die bis ins einzelne bei verschiedenen betrieblichen Planungen die zu beachtenden arbeitswissenschaftlichen Gesichtspunkte auflistet

Für das Gebiet Nordwürttemberg-Nordbaden hat die IG Metall Ende 1973 festgeschrieben: . Arbeitsplatz, Arbeitsablauf und Arbeitsumgebung sind menschengerecht zu gestalten* (§ 10 MTV). Diese SollVorschrift ist jedoch nur begrenzt praktikabel, so lange keine verbindlichen Auslegungskriterien allgemein an-erkannt sind. Und da Legaldefinitionen für das, was menschengerecht ist, nur schrittweise und keineswegs für alle Fälle zu erwarten sind, ist es um so wichtiger, arbeitsorganisatorische Mitbestimmungsbzw. Vetorechte für die gesetzliche Arbeitnehmervertretung stärker als bisher zu verankern

Mitbestimmung in der Arbeitsorganisation — §§ 90/91 BetrVG Unter den Begriff „Arbeitsorganisation* fallen — wie die vom DGB 1974 veranstaltete Humanisierungskonferenz hervorhebt — „folgende für die Arbeitnehmer bedeutsamen Momente ...:

Arbeitsteilung, Arbeitszerlegung; Überwachung und Kontrolle der Arbeitnehmer; Arbeitspensum und Arbeitstempo; Arbeitsinhalt, Überbelastung; Beschäftigung unter Wert; Arbeitseinsatz, Arbeitsvorbereitung und Arbeitsablauf; Entscheidung, Entwicklung, Planung, insbesondere Personalplanung.“

Die technisch-räumliche Arbeitsplatz-und Arbeitsumweltgestaltung wird hier nicht eigens erwähnt, sie ist jedoch — als elementare Grundlage — selbstverständlich ein ganz wesentliches Element der Arbeitsorganisation.

Im Rahmen einer Humanisierung der Arbeitsorganisation kommt folgenden Punkten besondere Bedeutung zu:

1. Entwicklung von ergonomischen (Schutz-) Normen und Richtlinien für die Arbeitsplatz-und -Umweltbedingungen;

2. Entwicklung technologischer Systeme und organisatorischer Strukturen, die bewirken, daß bestimmte Mindestarbeitsinhalte erreicht werden.

3. Abbau von Fremdbestimmung zugunsten optimaler Mitbestimmung und Selbstbestim-mung („teilautonomer Gruppen") am Arbeitsplatz

Zum ersten Mal im europäischen Arbeitsrecht wurde durch die Novellierung des BetrVG im Jahre 1972 der Arbeitnehmer-Vertretung ein Mitwirkungs-und Vetorecht bei der „Gestaltung von Arbeitsplatz, Arbeitsablauf und Arbeitsumgebung" (§§ 90/91) eingeräumt

Nadi einem schriftlichen Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zum Regierungsentwurf des BetrVG 1972 soll z. B.der § 90 BetrVG sicherstellen, „daß bei den im einzelnen aufgezählten unternehmerischen Entscheidungen (Neu-, Um-und Erweiterungsbauten von Fabrikations-, Verwaltungs-und sonstigen betrieblichen Räumen, von techni-schen Anlagen, von Arbeitsverfahren und Arbeitsabläufen oder der Arbeitsplätze) auch die Art der Arbeit und die Anforderungen an die Arbeitnehmer berücksichtigt werden".

Die entscheidenden §§ lauten: . Gestaltung von Arbeitsplatz, Arbeitsablauf und Arbeitsumgebung § 90 Unterrichtungs-und Beratungsrechte Der Arbeitgeber hat den Betriebsrat über die Planung 1. von Neu-, Um-und Erweiterungsbauten, von Fabrikations-, Verwaltungs-und sonstigen betrieblichen Räumen, 2. von technischen Anlagen, 3. von Arbeitsverfahren und Arbeitsabläufen oder 4.der Arbeitsplätze rechtzeitig zu unterrichten und die vorgesehenen Maßnahmen insbesondere im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf die Art der Arbeit und die Anforderungen an die Arbeitnehmer mit ihm zu beraten. Arbeitgeber und Betriebsrat sollen dabei die gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse über die menschen-gerechte Gestaltung der Arbeit berücksichtigen. § 91 Mitbestimmungsrecht Werden die Arbeitnehmer durch Änderungen der Arbeitsplätze, des Arbeitsablaufs oder der Arbeitsumgebung, die den gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen über die menschengerechte Gestaltung der Arbeit offensichtlich widersprechen, in besonderer Weise belastet, so kann der Betriebsrat angemessene Maßnahmen zur Abwendung, Milderung oder zum Ausgleich der Belastung verlangen. Kommt eine Einigung nicht zustande, so entscheidet die Einigungsstelle. Der Spruch der Einigungsstelle ersetzt die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat."

Diese Bestimmungen sind allerdings in ihrem rechtlichen Gehalt völlig unzureichend: Die Unterrichtungs-und Beratungspilicht des Arbeitgebers enthält kein Mitbestimmungsoder Vetorecht des Betriebsrats, und auch aie Soll-Vorschrift bezüglich der Beachtung menschen-gerechter Arbeitsgestaltung ist bruchig, da nicht einklagbar.

Deutlich hebt Michael Kittner Schwachstellen und Reformbedürftigkeit des sehr euphemistisch mit „Mitbestimmungsrecht" überschriebenen § 9b BetrVG hervor: Man bleibt „stehen bei einem . korrigierenden'Mitbestimmungsrecht, das erst emgreitt, wenn die Arbeitnehmer durch Änderung der Arbeitsplätze, des Arbeitsablaules oder der Arbeitsumgebung, die den (1) gesicherten arbeitswissenschartlichen Erkenntnissen über die menschengerechte Gestaltung der Arbeit (2) offensichtlich widersprechen, (3) in besonderer Weise belastet werden. Einigen sich Betriebsrat und Arbeitgeber nicht über (4) angemessene Maßnahmen zur Abwendung, Milderung oder zum Ausgleich der Belastung, entscheidet die Einigungsstelle (§ 91 BetrVG)."

Die Ziffern (1) bis (4) markieren die Kompromißlinie zugunsten der unternehmerischen Interessen. Sie markieren damit zugleich die „Reformträchtigkeit" dieser Bestimmung. Zu den Kommentaren zum BetrVG ist z. B. nicht eindeutig klar, ob die Mitbestimmung des Betriebsrats hinsichtlich der zu ergreifenden Maßnahmen zur Abwendung oder Milderung der Belastung abdingbar ist durch finanzielle Ausgleichsmaßnahmen, ferner ob diese Mitbestimmung bis in den Bereich der eigentlichen Unternehmer-Entscheidung hineinreicht oder ob die alleinige Entscheidung des Unternehmers vielmehr erst die Voraussetzung enthält für eine danach einsetzende Mitbestimmung über bloße Folgemaßnahmen

Eine klare Mitbestimmungsregelung für die Arbeitsorganisation müßte anstelle des verklausulierten § 91 des heutigen BetrVG etwa folgende Fassung haben: * Werden die Arbeitnehmer durch Änderungen der Arbeitsplätze, des Arbeitsablaufes oder der Arbeitsumgebung, die nach Auffassung des Betriebsrats arbeitswissenschaftli-eben Erkenntnissen über die menschengerechte Gestaltung der Arbeit widersprechen, in besonderer Weise belastet, so kann der Betriebsrat gegen solche Maßnahmen Einspruch erbeben. Kommt eine Einigung nicht zustande, so entscheidet die Einigungsstelle. Der Spruch der Einigungsstelle ersetzt die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat." Eine Reform der §§ 90, 91 BetrVG im Sinne unserer genannten Forderungen und Ziele muß durch eine Erweiterung des Mitbestimmungskatalogs von § 87 BetrVG um Fragen der Arbeitsorganisation ergänzt werden. § 87 Abs. 1 BetrVG legt fest (auszugsweise): . Der Betriebsrat hat, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, in folgenden Angelegenheiten mitzubestimmen:

1. Fragen der Ordnung im Betrieb und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb; 6. Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen..." 76)

Es heißt dann in § 87 Abs. 2 BetrVG: „Kommt eine Einigung über eine Ange

Es heißt dann in § 87 Abs. 2 BetrVG: „Kommt eine Einigung über eine Angelegenheit nach Absatz 1 nicht zustande, so entscheidet die Einigungsstelle. Der Spruch der Einigungsstelle ersetzt die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat." Dieses erzwingbare Mit-bestimmungsrecht in betrieblichen Ordnungsfragen ist von der Rechtsprechung dahin gehend eingeschränkt worden, daß es in dem Moment entfalle, wo sogenannte „arbeitsnotwendige Maßnahmen" vorliegen 75). Es muß die Forderung aufgestellt werden, alle Fragen der betrieblichen Arbeitsorganisation in die in § 87 Abs. 1 Ziffern 1— 12 BetrVG aufgeführten mitbestimmungspflichtigen Sachbereiche einzufügen. Dazu müßte Ziffer 1 wie folgt erweitert werden: „(1) Fragen der Ordnung im Betrieb und das Verhalten der Arbeitnehmer im Betrieb, auch wenn sie arbeitstechnologisch bedingt sind.“ Ferner müßte an das Ende des Absatzes 1 folgende Ziffer 13 angefügt werden: „(13) Fragen der Arbeitsorganisation, soweit dadurch die Arbeit oder die Leistung des einzelnen Arbeitnehmers beeinflußtwird.“ 6. Humanisierung der Arbeitsorganisation II: Menschengerechte Arbeitszeit-Regelungen a) Verkürzung der Arbeitszeit Häufig wird geleugnet, daß Arbeitszeitverkürzung überhaupt ein Beitrag zur Humanisierung der Arbeit sei, da sie die Humanisierungsforderung auf die Freizeit hin orientiere statt auf die inhumanen Arbeitsstrukturen selbst. Diese Argumentation ist undialektisch: Die interessanteste, kreativste Arbeit wird zur Fron, wenn sie zu lange dauert. Arbeit kann nur humanisiert werden, wenn sie in ihrem täglichen, wöchentlichen, jährlichen und „biographischen" Ablauf jeweils zeitlich begrenzt ist, und zwar so, daß sie nicht von erschöpfender Dauer ist, nicht in ihrer reinen Quantität als quälend empfunden wird. (Gleichwohl darf natürlich niemals die Inhumanität entfremdeter, bedrückender Arbeit durch den Verweis auf die immer größer Werdende Freizeit verharmlost werden.) Der säkulare gewerkschaftliche Kampf um die 50-, die 40-, die 35-Stunden-Woche — völlig unabhängig von der arbeitsmarktpolitischen Notwendigkeit einer Verknappung des Arbeitskräfte-Angebots! — ist als eine zentrale Teil-strategie in einem integralen Konzept der Arbeitshumanisierung anzuerkennen. Und die Befreiung des „Proletariats“ von einer das ganze Leben verschlingenden Arbeitslast (60— 80 Stunden wöchentlich) dürfte als eine ihrer größten emanzipatorischen Leistungen gelten. b) Flexible Arbeitszeit — , Gleitzeit'-Konzepte Aber auch bei gegebener Arbeitszeit gilt es, deren „Organisation" zu humanisieren. Arbeitnehmer finden es mit Recht unnötig belastend, daß sie zusätzlich zu der ihnen abgeforderten Leistung auch noch gezwungen werden, ihre Leistungen innerhalb genau festgelegter Zeitspannen zu erbringen. Bei der Festlegung der täglichen und wöchentlichen Arbeitszeit wird selten auf arbeitsphysiologische und sonstige, den arbeitenden Menschen berührende Aspekte Rücksicht genommen — und dies, obwohl die Festlegung der zeitlichen Lage der Arbeitszeit in den Bereich des erzwingbaren Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats fällt (§ 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG). Ein- führung von „Gleitzeit'ist daher durchaus ein bedeutsames, hier und jetzt realisierbares Teilkonzept zur Humanisierung des Arbeitslebens. Erfreulich ist, daß trotz einiger Rückschläge seit einigen Jahren Zahl der Betriebe mit gleitender Arbeitszeit größer wird. Für 1975 wurde ihre Zahl auf etwa 18 000— 20 000 Firmen (einschließlich Behörden und Institutionen aller Art) mit 3 bis 3, 5 Millionen Arbeitnehmer geschätzt.

In der Praxis der letzten Jahre haben sich sehr unterschiedliche Regelungen herausgebildet, die aber unter weitgehend gleichen Bezeichnungen stehen. „Im allgemeinen ist die gleitende Arbeitszeit die Regelung der Arbeitszeit, bei der der Arbeitnehmer das Recht hat, Arbeitsbeginn und Arbeitsende an jedem Tag nach eigenem Ermessen innerhalb einer festgelegten Zeitspanne selbst zu bestimmen ... Arbeitet der Arbeitnehmer innerhalb eines bestimmten Zeitraumes mehr, als die tariflich vereinbarte Arbeitszeit vorschreibt, so erwirbt er sich ein Gleitguthaben; arbeitet er weniger, so spricht man von einem Gleitdefizit... Man unterscheidet gleitende Arbeitszeit mit Tagesausgleich, Wochenausgleich und Monatsausgleich.“

Von gewerkschaftlicher Seite sind die Gleitzeitversuche zunächst skeptisch beurteilt worden. Eine schematisch-negative Einschätzung der Stempeluhr — die im Falle der Gleitzeit eine vollkommen andere Funktion erlangt als bei kollektiven, meist nur Arbeiter betreffenden Pünktlichkeitsund Anwesenheitsmessungen! — spielt dabei eine erhebliche Rolle. Inzwischen scheint sich allerdings das Akzeptieren von automatischen Zeiterfassungsgeräten bei Einführung der Gleitzeit mehr und mehr durchzusetzen.

In vielen Betrieben wird die Einführung von Gleitzeit nur für die Angestellten im Verwal-tungsbereich möglich sein, nicht aber für die Angestellten und Arbeiter im Produktionsbereich. In solchen Fällen muß durch sachliche Aufklärung der Problemlage verhindert werden, daß die Einführung von Gleitzeit für nur eine Arbeitnehmergruppe die ohnehin vorhandenen Rivalitäten von Arbeitern und Angestellten zusätzlich geschürt werden. Selbstverständlich kann es aber niemals ein Argument gegen menschenwürdigere Arbeitsbedingungen sein, daß diese sich nicht für sämtliche Arbeitnehmer realisieren läßt. — Ziel muß viel-* mehr sein, für immer mehr Arbeiter ebenfalls Gleitzeitregelungen durchzusetzen.

Die für Lohnabhängige entstehenden Möglichkeiten, zu der Zeit zu arbeiten, wo es dem eigenen Rhythmus am zuträglichsten ist, die Entzerrung des morgendlichen und abendlichen Berufsverkehrs, die gewachsene zeitliche Dispositionsfreiheit (vor allem für berufstätige Frauen mit Kindern), und schließlich die Möglichkeit, aufgelaufene Gleitguthaben durch einen gelegentlichen freien Tag oder Halbtag (längeres Wochenende!) vergütet zu bekommen — all dies sind Vorteile für die Arbeitenden, welche die Gewerkschaften veranlassen sollten, nur wirklich unerläßliche Bedingungen für die Einführung von Gleitzeit aufzustellen.

Gleitzeit ist demnach grundsätzlich zu bejahen, sofern folgende Bedingungen erfüllt sind:

1. Die 10-Stunden-Grenze der Arbeitszeit nach § 4 III AZO darf ohne Sondergenehmigung des Gewerbeaufsichtsamtes nicht überschritten werden — auch nicht freiwillig.

2. Gleiches muß gelten hinsichtlich der besonderen Arbeitszeit-Schutzbedingungen für Mütter sowie für Jugendliche (§ 8 MSchG und § 10 JArbSchG), eingeschlossen die ergänzenden Ruhepausenregelungen.

3. Die Zeiterfassung muß bezahlungspflichtige Freizeiten (gemäß § 616 BGB, § 63 HGB, § 133 c GewO und ähnliche Regelungen in Tarifverträgen und Überstunden etc.) eindeutig registrieren. 4. Wenn die Gleitzeit nur für einige Betriebsteile eingeführt werden kann, darf ihre Einführung nicht dazu mißbraucht werden, auch für die nichtgleitenden Arbeitnehmer Zeiterfassungsgeräte einzuführen.

5. Es darf kein neues System von Privilegierungen geschaffen werden, daher müssen für die Arbeitnehmer in nichtgleitenden Betriebs-teilen Ausgleichsregelungen getroffen werden, z. B. ein festliegender freier Nachmittag innerhalb einer festgelegten Zeitspanne.

Die Einhaltung dieser Bedingungen muß unabdingbar sein. Unter dieser Voraussetzung ist sichergestellt, daß die Vorteile für den Arbeitnehmer größer sind als eventuell verbleibende Nachteile. (Vgl. dazu den bei Roth, a. a. 0., S. 64 ff., zitierten DGB-Entwurf einer Betriebs-vereinbarung!) Die praktizierten Gleitzeitkonzepte sind von W. Roth noch um eine Variante ergänzt worden. Gleitzeit könnte in gewissem Umfang auch als Konjunkturanpassungs-Instrument eingesetzt werden: „Außergewöhnliche Auftragsein-büßen erfordern vorübergehend außergewöhnliche Maßnahmen, zumal gerade im Angestell-tenbereich wenig Kurzarbeit praktiziert werden kann, man eher zu Entlassungen neigt. Audi im Angestelltenbereich kann man mit einem weiteren Gleitzeit-Dispositionsrahmen eine größere Elastizität im Hinblick auf den Arbeitsbereich erreichen. Beispiel: Verschiedene Mitarbeitergruppen (oder der ganze Betrieb) arbeiten eine Woche oder hin und wieder an verschiedenen Tagen oder Halbtagen überhaupt nicht. Denkbar wäre auch die Reduzierung auf täglich 6 oder 7 Stunden (im Rahmen der Gleitzeitspannen natürlich variierbar) über mehrere Monate. Bei täglich 6 Stunden und 23 Arbeitstagen . .. entstünde ein Minus-saldo von 46 Stunden, der in späteren Monaten wieder aufgeholt werden kann. Je nach Auftragslage wird in Übereinstimmung mit Mitarbeitern und Betriebsrat der . Arbeitszeit-Hahn'stärker auf-oder zugedreht, ohne daß die Arbeitnehmer Einkommensbußen hinnehmen oder gar wegen vorübergehender Schwierigkeiten entlassen werden müssen. Entscheidend ist, daß die vereinbarte Soll-Arbeitszeit im Laufe mehrerer Monate oder gar eines Jahres erreicht wird." , Roth nimmt zutreffend an, daß die Masse der Betriebsräte durchaus bereit sein wird, auf seine Idee einzugehen, wenn dadurch in der Flaute die Wahrscheinlichkeit wachse, für eine größere Zahl von Arbeitnehmern den Arbeitsplatz erhalten zu können. c) Abbau von Schicht-, Nacht-und Überstundenarbeit Das Konzept der „Gleitzeit" ist noch relativ problemlos zu verwirklichen im Vergleich zu den Maßnahmen gegen die zerstörerischen physischen, psychischen und sozialen Auswirkungen von Nacht-, Schicht-und Überstundenarbeit Aber gerade diese Aufgabe darf in einem integralen Konzept der Arbeitshumanisierung nicht fehlen.

Von den Unternehmern werden diese Formen der Arbeit mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit optimaler Auslastung von Fertigungs78 anlagen — abgesehen von dem tatsächlich vorhandenen technischen „Sachzwang" des Dauerbetriebes bestimmter Anlagen (Hochofen; Verkehrsmittel) — verteidigt und durchgesetzt. Den Grundursachen ist gewiß nur in einer langfristigen Veränderung von Arbeitsorganisation und -technologie zu begegnen. Mittelfristig können Gewerkschaften, Gesetzgeber und Betriebsräte aber sehr wohl schrittweise Verbesserungen durchsetzen Weithin ungenutzte Chancen liegen z. B. im § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG durch die Mitgestaltungsbefugnis des Betriebsrates bei der Aufstellung von Schichtplänen.

Durch tarifpolitische Vereinbarungen wären u. a. folgende Forderungen durchzusetzen:

— Verkürzung der Schichtzeiten, — erhöhte Mindesterholungszeiten bei Spät-und Nachtarbeit, — Zusatzurlaub für Schichtarbeit (Arbeiter, Angestellte und Beamte), — verbesserte medizinische und sonstige Betreuung im Betrieb 7. Humanisierung der Arbeitsorganisation III:

Bereicherung und Verselbständigung der Arbeitsaufgaben; die Idee der teilautonomen Gruppen

Nicht ohne Grund wird in diesem Entwurf eines integralen Konzepts der Arbeitshumanisierung die Konzeption einer neuen, humaneren , Arbeitsstrukturierung'— von vielen allzu abgehoben und isoliert-technizistisch als „das" Allheilmittel einer neuen „quality of working life“ empfohlen! — als letzte von sieben Teil-strategien • vorgestellt. Elementare Erfordernisse und Möglichkeiten wurden vorgezogen. Ohne Frage bleibt die Strategie einer humaneren Arbeitsgestaltung einer der wichtigsten: sie hat zentrale, wahrhaft strukturverändernde Bedeutung.

Erst der zunehmende Widerstand von selbstbewußteren, gegen monotone und extrem fremdbestimmte Arbeit sich wehrenden Generationen bzw. Gruppen von Arbeitern und Angestellten — und das damit zusammenhängende Nachlassen von Leistung und Leistungsbereitschaft hat Manager, Betriebswissenschaftler und Gewerkschaften sensibel gemacht für die Erkenntnis, daß zentrale technische und organisatorische Grundstrukturen der industriellen und bürokratischen hocharbeitsteiligen Arbeitsorganisation durchaus nicht „sachnotwendig" und unabänderlich, sondern veränderbar, . humanisierbar'sind.

Schon in den fünfziger Jahren hatte Georges Friedmann, der Mentor der modernen Arbeitswissenschaft, seine Forschungsergebnisse vorgelegt, daß die Arbeitsproduktivität durch vermehrte Arbeitsteilung und Arbeitszerlegung („Taylorismus") von einem bestimmten Punkt an nicht weiter steigt, sondern abnimmt, weil durch die zunehmende Monotonie der Arbeit eine Reihe von negativen Begleiterscheinungen (Absentismus, schlechtes Betriebsklima, Fehlleistungen, Ausschußproduktion, starke Fluktuation, ja sogar Sabotage) zunehmen Aufgrund von frühen Versuchen mit Aufgabenerweiterung kam Friedmann zu der Auffassung, daß die Übertragung größerer oder verschiedener Arbeitsaufgaben auch unter gegebenen konkur-renz-und erwerbswirtschaftlichen Bedingungen durchaus realisierbar ist, weil nicht nur die Menschenwürde, sondern auch die Produktivität der Arbeit durch die Erweiterung und Verselbständigung der Arbeitsaufgaben gewinnt.

Die Kritik sowohl der tayloristischen wie der pseudohumanitären Human-relations-Schule der Arbeitsorganisation (die erstere behandelte den Arbeiter als durch Lohnanreize motivierbaren Roboter, die letztere fügte lediglich psychische Anreize — „menschliche Anerkennung" — hinzu) wurde durch das nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte systematische Konzept des „socio-technical ap-proach" des Londoner Tavistock-Instituts wesentlich beschleunigt Industriegeschichtlich ist dies tatsächlich ein neues Konzept; es basiert auf zwei Voraussetzungen:

Erstens: Im Gegensatz zum Konzept der tayloristischen Arbeitsorganisation kann ein erfolgreicher Produktionsprozeß nur durch eine optimale gleichzeitige Gestaltung („joint optimization") zweier Systeme, nämlich eines technischen und eines sozialen Systems, erreicht werden. Diese Feststellung klingt zunächst trivial. Aber tatsächlich muß man ja davon ausgehen, daß die gesamte bisherige industrielle Arbeitsorganisation nur von der Gestaltung eines Systems ausgeht, nämlich des technischen, an das sich der Mensch anzupassen hat. Nun wird die Hypothese aufgestellt, daß man einen Produktionsprozeß erfolgreich nur gestalten kann, wenn man eine gleichzeitige optimale Zuordnung der beiden Systeme, die miteinander verknüpft sind, realisiert: eines sozialen Systems von arbeitenden Gruppen und eines technischen Produktionsapparates, mit dem und in dem diese Men-schen/Gruppen zu arbeiten haben.

Zweitens: Man kann eine soziotechnische Gestaltung nur realisieren, wenn man die politischen, organisatorischen, psychologischen und vor allen Dingen die ökonomischen Bedingungen genau in Rechnung stellt, unter denen ein Unternehmen arbeitet. Das Unternehmen ist ein offenes sozio-technisches System. Die sozialen Organisationsmächte (Verbände, Parteien etc.), die Marktlage und Produktivität, sozio-kulturelle Umweltbedingungen, Technologie etc. eines Unternehmens müssen bei jeder Operationalisierung der „Joint Optimization" genau beachtet werden. Aufbauend auf diesem Konzept entwickelten insbesondere F. E. Emery und E. Thorsrud für ein seit 1962 in Norwegen laufendes Programm zur Entwicklung betrieblicher Demokratie folgende Grundanforderungen humaner Arbeitsstrukturen:

— Eine sinnvolle Zusammensetzung der Arbeitsaufgaben, die jeder Tätigkeit die Gestalt einer einzigen Gesamtausgabe verleiht; optimale Länge des Arbeitsvollzugs.

— Die Möglichkeit, Normen für Quantität und Qualität der Produktion zu setzen und ein angemessener Rückfluß von Informationen über die Resultate.

— Die Einbeziehung von Hilfsund Vorbereitungsarbeiten in die Gesamttätigkeit.

— Die in der Gesamttätigkeit enthaltenen Arbeitsaufgaben sollten ein Maß von Sorgfalt, Geschick, Kenntnissen oder Anstrengungen erfordern, das anerkennenswert in der Gesellschaft ist. , — Die Gesamttätigkeit sollte einen erkennbaren Beitrag zur Nützlichkeit des Produkts für den Konsumenten leisten

Aus den genannten Grundsätzen ergibt sich dann eine Theorie und Praxis systematischer „Aufgabenerweiterung“, (E. Ulich), die in der wissenschaftlichen Literatur im allgemeinen durch das folgende Stufenkonzept bezeichnet wird:

Job Rotation (Aufgabenwechsel)

Job Enlargement (Aufgabenvergrößerung) Job Enrichment (Aufgabenbereicherung) Teilautonome Arbeitsgruppen Eine der grundlegenden Erkenntnisse in den für alle weiteren Versuche mustergültigen — weil in vereinbarten Schritten von Management, Gewerkschaftsvertretern, Wissenschaftlern und Betroffenen gemeinsam erarbeiteten -Praxisversuchen in Skandinavien war die Bedeutung sorgfältig vorbereiteter, wissenschaftlich begleiteter Modelle, auf strikter Freiwilligkeit der Beteiligung beruhend. In einer ähnlichen Wirkung sieht auch Hans Matthöfer mit Recht die Bedeutung des sozialliberalen Forschungsprogramms zur Arbeitshumanisierung „Forschung kann helfen, Licht in jene Grauzone der Unsicherheiten zu bringen, in der bisher Schätzungen, Vorurteile und Ängste vorherrschten. Wo Klarheit herrschte über Möglichkeiten und Konsequenzen überschaubarer Schritte, da kann man über das verhandeln und sich einigen, was notwendig und zu verwirklichen ist. Wo hingegen Unklarheit herrscht, wird in der Regel gemauert. Unser Aktionsprogramm . Forschung zur Humanisierung des Arbeitslebens'zielt deshalb darauf ab, eine betriebliche Praxis in Gang zu setzen, die Unternehmen und Arbeitnehmern vor Augen führt und sie selbst demonstrieren läßt, wie beide Seiten an einem Abbau von Arbeitsbelastungen und dem Aufbau besserer Arbeitsorganisationsstrukturen erfolgreich mitwirken können. Wir erstreben die Demonstration des Möglichen in typischen Fällen mit dem Ziel einer Signalwirkung für ähnliche Betriebe und ganze Branchen. Dabei nimmt unter den bisher bewilligten rund 130 Projekten die Gruppe der arbeitsorganisatorischen Maßnahmen einen wichtigen Platz ein. Hier steht die Entwicklung von Arbeitsstrukturen im Mittelpunkt, die den Arbeitnehmern eine Erweiterung und Bereicherung ihrer Arbeit bieten, verbunden mit der Möglichkeit einer schrittweisen Höherqualifizierung. Die Motorenmontage z. B. bei VW bietet dafür ein Beispiel. Daß bei solchen Projekten auch tarifliche und Lohnfragen auftreten, sollte uns nicht schrecken — m Gegenteil: Die Zusammenhänge zwischen und Lohnstrukturveränderungen bedürfen eingehender Untersuchung, und wir werden solche Forschungen sicherlich för-dem." a) Auigabenwechsel (Job Rotation)

Der erste Schritt, der vom tayloristischen System wegführt, ist die Erweiterung des Handlungsspielraums durch systematischen Arbeits-bzw. Aufgabenwechsel. Er ist gekennzeichnet durch die Ausweitung der Anlernprozesse, wodurch die Ausführung verschiedener Arbeitsvollzüge ermöglicht wird. Der hohe Grad an Fremdbestimmung bleibt zwar erhalten, im Regelfall auch die weitgehende Zerlegung der Arbeit, jedoch wird dem einzelnen die Chance geboten, verschiedene Arbeitsaufgaben in zeitlicher Abfolge zu variieren. Auf den ersten Blick könnte hier eingewandt werden, es werde für den einzelnen nichts gewonnen, wenn er künftig statt einer langweiligen Aufgabe vier oder fünf in sich ebenso langweilige auszuführen hat. Dem stehen jedoch die Beobachtungen entgegen, die Georges Friedmann in einer schweizerischen Uhrenfabrik gemacht hat, wo ein regelmäßiger Wechsel zwischen den Arbeitsplätzen durchgeführt wurde und kein Arbeiter länger als einen Tag am gleichen Arbeitsplatz verbrachte. Friedmann berichtet, daß auf diese Weise die Arbeiter erheblich weniger Unlust gegenüber ihren Aufgaben verspüren, „deren jede einzelne für sich allein und auf die Dauer monoton war".

Es ist weiter zu bedenken, daß rein physiologisch die einseitige Belastung an sehr vielen Arbeitsplätzen Menschen frühinvalide macht, ferner, daß die vom Betrieb zu finanzierende Anlernung oder gar Weiterbildung von Arbeitern für eine größere Zahl von Tätigkeiten eine Steigereung der Qualifikation der Arbeiter bedeutet und sie innerbetrieblich vergleichsweise „krisenfester“ macht. Schließlich sei darauf hingewiesen, daß systematischer Aufgabenwechsel auch einen solidarisierenden Effekt haben kann, weil die Konkurrenz unter den um den „Besitz" des relativ günstigsten Arbeitsplatzes vermindert wird und unmittelbare, häufig besonders autoritäre Vorgesetzte des Machtmittels verlustig gehen, Zuteiler von besseren oder schlechteren Arbeitsplätzen zu sein.

Ergänzend zu diesen für den Arbeitnehmer sichtbaren Vorteilen weist Eberhard Ulich darauf hin, daß auch für den Unternehmer Vorteile entstehen. Zwar steigen die Kosten für Anlernung und Einarbeitung, eventuell entsteht auch eine relative Einbuße an Routine, andererseits entsteht eine gesteigerte Leistungsbereitschaft durch den Fortfall der Monotoniebeschwerden. Ulrich berichtet über unterschiedliche Formen des Arbeitswechsels in amerikanischen, französischen und skandinavischen Firmen. Er weist darauf hin, daß bei einigen Beispielen in Schweden und Norwegen auch bestimmte Kontrollfunktionen in das Verfahren einbezogen wurden und daß teilweise die arbeitenden Gruppen ihren Rotationsrhythmus selbst bestimmen konnten. Unter solchen Bedingungen (Ersetzung der Fremdkontrolle durch Selbstkontrolle sowie Schaffung von Ansätzen einer Gruppenautonomie) ist Arbeitswechsel unstreitig ein Ansatzpunkt struktureller Humanisierung b) Auigabenerweiterung (Job Enlargement)

Auch diese zweite Stufe basiert auf der Voraussetzung, daß am Anfang eine erhebliche Ausweitung der Anlernprozesse stehen muß. Zusätzlich werden hier jedoch Investitionen zu einer Umstellung des ganzen Produktionsablaufes notwendig, um den hohen Zerlegungsgrad der Arbeit reduzieren zu können und dem einzelnen komplexere Arbeitsvollzüge zu ermöglichen. Auf dieser Stufe werden jedoch lediglich struturell gleichartige oder ähnliche Tätigkeiten zusammengefaßt, womit allerdings für den einzelnen bereits eine Vergrößerung des Arbeitsumfanges verbunden ist. Bei Philips (Eindhoven) wurde z. B. in einem größer angelegten Versuch die Fließbandarbeit bei der Herstellung von Fernsehgeräten abgeschafft, statt dessen arbeiten pro Werkstatt vier bis sieben Beschäftigte an der Gesamtmontage von Farbfernsehern. Nach den bisher bekanntgewordenen Ergebnissen ist bei diesen Gruppen sowohl die „Freizügigkeit" (z. B. individuelle Pausen) wie die Quantität und Qualität der Arbeit gegenüber derjenigen an den Bändern erheblich gestiegen. Die anfangs recht erheblichen Umstellungs-Investitionen haben sich nach einer Anlaufzeit durchaus bezahlt gemacht.

Grundlegende Funktionsbedingung für solche Formen der Aufgabenvergrößerung ist jedoch ein neues Lohnsystem. Das in der Bundesrepublik stark verbreitete System der analytischen Arbeitsbewertung mit seinen starr auf bestimmte, eng begrenzte Tätigkeiten festgelegten Lohngruppen erweist sich notwendigerweise als Hemmschuh. Ein neues Lohnsystem müßte nicht nur die Anzahl der Lohngruppen vermindern, sondern darüber hinaus von dem Prinzip ausgehen, daß innerhalb einer Gruppe, die ein Teilsystem zusammenbaut, alle Beschäftigten die gleiche Lohneinstufung erhalten.

Und schließlich entsteht die weitere Funktionsbedingung, jedem Arbeiter die Teilnahme an innerbetrieblichen Programmen zur Weiterbildung und damit die Qualifikation für höher bezahlte Tätigkeiten zu ermöglichen, da andernfalls von Gruppe zu Gruppe die gleichen Rivalitäten erzeugt würden, wie sie üblicherweise innerhalb einer traditionell arbeitenden Gruppe ohnehin bestehen. Daß auf diesem Felde der betrieblichen Weiterbildung ein neuer Konfliktbereich entstehen kann, zeigen Berichte über Olivetti in Italien, wo Fließbänder abgeschafft und über 110/0 des Kontrollpersonals eingespart werden konnten, den Arbeitern jedoch Anpassungen in Berufs-kategorien und Lohnansätzen erst nach gewerkschaftlich organisierten Auseinandersetzungen gewährt wurden. c) Aufgabenbereicherung (Job Enrichment) Diese dritte Stufe baut auf der vorangegangenen auf, geht aber einen qualitativen Schritt darüber hinaus; denn während in der vorigen Stufe die Wartung und Einrichtung der Maschinen sowie die Kontrolle der Produkte noch in der Verantwortung von gruppen-ex fernen Personen lagen, werden diese Funktionen jetzt in den Aufgabenbereich der Gruppe mit hereingenommen. Die Strategie zielt auf eine Änderung der Arbeitsorganisation im Bereich der direkten, unmittelbar arbeitsplatz-bezogenen Partizipation. Sie kommt dem Bedürfnis des einzelnen nach Selbstgestaltung und Eigenverantwortlichkeit nach und vermag Fremdbestimmung zurückzudrängen. Wer .seine'Arbeitsmittel selbst betreut, über den Arbeitsablauf mitbestimmt, die Entstehung des Arbeitsergebnisses wieder bewußt miterlebt und das Geleistete teilweise selbst nachprüft, dessen Status verändert sich vom mechanischen Bestandteil zum tätigen Subjekt Insofern erhält auch der Begriff der . Bereicherung'(enrichment) des Arbeitsinhalts einen gewissen Sinn.

Eberhard Ulrich berichtet, daß bereits in den frühen fünfziger Jahren im Werk Endicott von IBM damit begonnen wurde, die hierarchische Zwischenstufe zwischen den Meistern und den Arbeitern erheblich zu verkleinern, indem die Aufgaben weitgehend der Arbeitsgruppe selbst übertragen wurden Das Ergebnis war positiv sowohl vom Standpunkt der Unternehmerseite, denn es ergab sich eine erhebliche Kostensenkung nicht zuletzt durch eine Qualitätsverbesserung der Produkte (durch die Selbstkontrolle der Produkte), als auch vom Standpunkt der Arbeitnehmer seite, bedingt durch höheres Lohnniveau einerseits und größere Arbeitszufriedenheit andererseits. Es wird bei Ulich weiter berichtet, daß aufgrund dieser positiven Erfahrung bei IBM mehrere andere amerikanische Firmen ebenfalls Versuche mit Aufgabenbereicherung begannen, die alle zum Erfolg führten. Aus der Analyse eines entsprechenden Versuches in einer Fabrik zur Herstellung medizinischer Geräte zieht Ulich die Konsequenz, daß überall dort, wo solche Abschaffung extremer Arbeitszerlegung möglich ist, ein in vier Punkten zusammenfaßbares Ergebnis sichtbar wird:

1, Größere Beweglichkeit und Anpassungsfähigkeit im Produktionsprozeß, 2. Kosteneinsparung von Kontrolleuren, Ein-richtern usw., 3. Mängel in der Arbeit oder in der Qualität der Produkte werden von den Arbeitern selbst erkennbar und damit abstellbar, 4. die größere Arbeitsaufgabe bringt eine veränderte Einstellung zur Arbeit mit sich, insbesondere mehr Bereitschaft zu Eigenverantwortlichkeit

Wichtig ist die Zusammenfassung zahlreicher Experimenterfahrungen bei Ulich: positive Ergebnisse sind nur dann erzielbar, wenn mindestens folgende Voraussetzungen erfüllt werden: Für die Vorbereitung derartiger Maßnahmen ist nach den bisherigen Erfahrungen mit einem Zeitraum von mindestens einem Jahr, eher jedoch von zwei Jahren zu rechnen; Vorbereitung und Einführung derartiger Maßnahmen müssen mit allen Betrolfenen gemeinsam werden; der Einführung bei derartiger Maßnahmen sollte quasi experimentell vorgegangen werden. D. h. die Einführung sollte zunächst in einer Arbeitsgruppe bzw. in einer Abteilung vorgenommen werden, und den Betroffenen sollte die Möglichkeit eröffnet werden, gegebenenfalls wieder zur ursprünglichen Arbeitsform zurückzukehren; bei der Einführung derartiger Maßnahmen sollte für einen ausreichenden Zeitraum eine Lohngarantie gegeben werden. d) Bildung . teil-autonomer Gruppen“: Skandinavische Erfahrungen Teilautonome Gruppen können (nach Karlsson) in nach Umfang und Entscheidungsniveau unterschiedlichem Grad an Selbststeue-rung eingeteilt werden: „Die Gruppe übernimmt die Entscheidung in a) elementaren Fragen (Arbeitsakt, Arbeitsplanung, Arbeitszeit), b) Personalfragen (Einstellungen, Arbeitsteilung, Entlassungen), c) Produktionsfragen (Produktionsmethode), d) Produktfragen (Produktionsprogramm), e) ökonomische Fragen (Investitionsplan)" Mit zunehmenden Entscheidungsniveau von a) nach e) in der arbeitsteiligen Produktion geht das Selbstbestimmungsrecht der Gruppe in ein Mitbestimmungsrecht über.

Im Gegensatz zu Ländern wie USA, Italien und die Niederlande, in denen vom Management angeregte Experimente mit „autonomen Gruppen" stattfanden, wurden die skandinavischen Experimente expliziten Zielsetzung der durchgeführt, mit dem Modell der „selbststeuernden Gruppen" zur Entwicklung einer „industrial democracy" beizutragen. Unter der Leitung des norwegischen Arbeitswissenschaftlers Einar Thorsrud und einer Forschergruppe des Londoner Tavistock-Institut wurde in Zusammenarbeit von Gewerkschaften und Unternehmensführungen systematisch nach Verbesserungen der alltäglichen Arbeitssituation gesucht, nach dem man aus seit 1962 in Norwegen laufenden Programmen die begrenzten Möglichkeit der traditionellen Interessenvertretungen der Arbeitnehmer auf der Unternehmensebene erkannt hatte. Ausgehend von dem schon zitierten sechsstufigen Katalog von Mindestanforderungen an industrielle Arbeitsbedingungen wurden nach verschiedenen analytischen Vorarbeiten unter maßgeblicher Beteiligung von sogenannten „Aktionsausschüssen“ — paritätisch Arbeitnehmer- und Kapitalvertretern besetzt — unter Verwendung des Modells der „selbststeuernden Gruppen" Programme für experimentelle Veränderungen mit u. a. folgenden Maßnahmen erstellt:

— Verbreiterung des Ausbildungsgrades der Arbeiter, so daß sie zwischen verschiedenen Arbeitsrollen wechseln können;

— Verlagerung der Kontrolle von einer entfernteren Ebene weg auf die jeweilige Gruppe selbst;

— Zuweisung von Reparaturbeauftragten, um den Arbeitern die Ausführung der Kontrollen zu erleichtern; — Einrichtung regelmäßiger Arbeitsgruppen-besprechungen zwecks Erfahrungsaustausch; — Schulung der Werkmeister im Hinblick auf ihre neue Rolle, Funktionen der mittleren Führungsebene zu übernehmen;

— Einführung eines gruppenbezogenen Prämiensystems. Die in Skandinavien durchgeführten praktischen Versuche mit teilautonomen Gruppen zeigen, daß diese sehr anspruchsvollen Modelle struktureller Humanisierung durchaus nicht als „unbezahlbare" Reformutopie abgetan, sondern im Gegenteil in Übereinstimmung mit den Produktivitätsinteressen verwirklicht werden können, andererseits aber auch zu mehr Souveränität und Gegenmacht der Arbeitnehmer führen

Besonders bemerkenswert ist — um mit einem Ausblick in die Praxis zu schließen —, daß vor allem mit Hilfe des Matthöferschen Forschungsprogramms „Humanisierung des Arbeitslebens" nun endlich auch in der Bundesrepublik mehr Initiativen zur Aufgabenerwei-terung und Bildung teilautonomer Gruppen bestehen. Hans Matthöfer berichtete bereits im Frühjahr 1976: „Auf dem Gebiet der Arbeitsorganisation hat es nach etwas zögerndem Beginn 1974 um die Mitte des Jahres 1975 offenbar einen psychologischen Durchbruch gegeben, und ich habe Gründe anzunehmen, daß das Programm der Bundesregierung hierzu beigetragen hat. Gegenwärtig laufen in 18 Werken Projekte, deren Gegenstände von der Abschaffung der Fließbandarbeit über Gruppenarbeitsversuche, die Kontrolle, Disposition und Reparaturen einschließen, bis hin zu dem Versuch, bereits eingeführte Automatisierungen im Interesse eines sinnvolleren Arbeitsinhaltes wieder zu revidieren. Wir haben auch Projekte, die zu einer Neukonstruktion des Produkts führen, um dadurch eine menschengerechtere Montage möglich zu machen. Alle Vorhaben werden durch wissenschaftliche Projektbegleiter unterstützt — je nach Gegenstand und Bedarf sind dies arbeitswissenschaftliche, sozialwissenschaftliche, arbeitspädagogische und ingenieurwissenschaftliche Forschergruppen."

III. Vorurteile von „rechts" und „links" gegen Konzepte der Arbeitshumanisierung und Wirtschaftsdemokratie

Mitbestimmungsebenen — Darstellung der jeweiligen Mitbestimmungsinhalte und -formen

Selbstverständlich gibt es eine erhebliche Zahl von Einwänden gegen Teile oder das Ganze des hier vorgestellten integralen Konzepts der Arbeitshumanisierung. Sie sind sehr ernst zu nehmen — ich kann und will sie hier nicht vorwegnehmen, sondern hoffe auf das Ingangkommen einer fruchtbaren Diskussion. Dagegen möchte ich versuchen, einige der Vor-Urteile abzubauen, die immer wieder von „rechts" und „links" gegen die hier vorgetragenen Konzepte in Umlauf gesetzt werden. Denn in der Tat drohen die wichtigen theoretischen wie praktischen Ansätze einer Humanisierung und Demokratisierung der Arbeitswelt von konservativen wie orthodox-marxistischen Ideologen zerredet zu werden.

1. Vor-Urteile von rechts Der Chefredakteur der Zeitschrift „Psychologie heute", Siegfried Brockert, hat einige der immer wiederkehrenden konservativen Abwehrideologien gegen Demokratisierungsbestrebungen in Betrieb und Wirtschaft aufgespießt und mir in einem ausführlichen Gespräch (veröffentlicht in der Ausgabe vom Februar 1975) Gelegenheit zu Stellungnahmen gegeben, deren Hauptpunkte als Konzentrat notwendiger Ideologiekritik hier wiedergegeben werden können; gerade die etwas gelok-kerte „Gesprächs-Sprache" ist besonders geeignet, die gesellschaftspolitischen Positionen und Gegenpositionen zu einer recht plastischen Form zu verdeutlichen. a) „Humanisierung der Arbeitswelt verträgt sich nicht mit Gegenmachtbildung'

Brockert: „Bei der Diskussion um die Humanisierung des Arbeitslebens hat sich zur Zeit der DGB am stärksten in der Frage der Mitbestimmung engagiert. Gewerkschafter haben deutlich erklärt, daß es ihnen hier um eine Machtfrage geht. Auch Sie sprechen in Ihrer Demokratisierungs-Strategie vom . Organisieren von Gegenmacht'. Welcher Arbeitnehmer versteht hier noch, daß es bei all dem um die menschlichere Ausgestaltung seines eigenen Arbeitsplatzes geht?“

Vilmar: „Bei der ganzen Geschichte der Demokratie ist der Abbau inhumaner Hen-Schaftsmacht nie ohne Gegenmachtbildung von unten möglich gewesen. Aber ich möchte das Prinzip der Gegenmacht auch nicht verabsolutieren. Ich würde z. B. das Gegenmachtskonzept nicht primär im Zusammenhang mit Strategien des job enrichment empfehlen; hier kommt es zwar auch auf Druck von unten an, aber dann vor allen auf Kooperation der Beteiligten. Allgemein muß man aber nach meinen Erfahrungen und Forschungen ganz nüchtern erkennen: Es gibt Humanisierungsstrategien, die nur über eine neue Machtverteilung zu verwirklichen sind. Und zwar ist das immer dort der Fall, wo Inhumanität nicht in einer nur disfunktionalen Arbeitsorganisation, sondern schlicht darin besteht, daß Produktionsmittelbesitzer (bzw.deren Beauftragte) allein über Produktionsprozesse, über Investitionsentscheidungen und über die Art und Weise, wie Leute eingesetzt und bezahlt werden, entscheiden wollen. Hier heißt . Humanisierung'ganz hart: Brechung der Alleinherrschaft der heute vorhandenen Machteliten mit Hilfe von Gegenmachtbildung der , Basis', die sich natürlich gewaltfrei durchsetzen muß und sich oft auch über neue parlamentarische Mehrheitsbildung durchsetzen kann. Es gibt aber auch Bereiche, in denen die Humanisierungsfrage nicht primär eine Machtfrage ist, sondern vor allem eine Frage besserer Einsicht in durchaus hier und jetzt realisierbare humanere Arbeitsstrukturen. Beides muß man sehen.“ b) . Die Arbeiter haben andere Sorgen als die um Humanisierung und Mitbestimmung'

Brockert: „Ist es bei der heutigen wirtschaftlichen Lage überhaupt noch angebracht, von Demokratisierung’ zu sprechen? Rund eine Million Arbeitnehmer haben gar keinen Arbeitsplatz mehr, der humanisiert oder demokratisiert werden kann, und die Arbeitgeber-seite wird unter der aktuellen Forderung nach . Sicherung der Arbeitsplätze'sicher das Gegenteil von . Humanisierung'und . Demokratisierung'verstehen. Ist Ihrer Meinung nach hier ein Ansatzpunkt, um verwirklichte oder noch umkämpfte Reformwerke aus den Angeln zu heben?"

Vilmar: „Ich hoffe, daß sich auch bei uns zei-gen wird, was sich schon seit vielen Jahren unter negativeren Arbeits-und Beschäfti-gungsbedingungen in Italien, Frankreich, Eng-land, Schweden und den USA gezeigt hat: Dort gibt es innerhalb der Arbeiterschaft und ihrer Organisationen zunehmende Minderheiten (die auch zum Teil eine wichtige Rolle als Funktionäre in Betrieben spielen), die nicht mehr bereit sind, sich wie Untertanen und dressierte Affen behandeln zu lassen. Auch in der — nach Meinung mancher Linker so .friedlichen'und verkleinbürgerlichten — westdeutschen Arbeitnehmerschaft gibt es zumindest ein starkes Gefühl für die Selbstverständlichkeit bestimmter, in Konjunkturzeiten . gewährter', .freiwilliger'betrieblicher Sozialleistungen. Bereits in der Rezession von 1966/68 hatten wir viele Dutzende von spontanen Arbeitsniederlegungen (obwohl Krisenzeit war, obwohl Arbeitslosigkeit drohte), als manche Arbeitgeber die .freiwilligen, jederzeit widerrufbaren'Sozialleistungen abbauen wollten ...“ c) „Den Arbeitern nützt nur die Mitbestimmung am Arbeitsplatz, nicht aber die Mitbestimmung der Funktionäre'

Brockert: Das Konzept der Mitbestimmung am Arbeitsplatz, das die Union vertritt, räumt den Arbeitnehmern mehr Rechte in ihrem ureigenen, von ihnen auch überschaubaren Bereich ein. Es muß nicht mit einer Konfliktstrategie verwirklicht werden. Es könnte zudem von der immer breiter werdenden Mehrheit der Unionsparteien in der Bevölkerung mitgetragen werden.“

Vilmar: „Das ist in der Tat ein außerordentlich interessanter Prozeß. Die Unternehmer und auch die konservativen Kräfte in der CDU haben ja seit langem versucht, die Forderung nach Mitbestimmung am Arbeitsplatz aufzugreifen und sie als ihre Alternative anzubieten in einer Konzeption, ich würde sagen , Ideologie’, der sogenannten funktionsgerechten Mitbestimmung. Auf gut deutsch heißt aber das . funktionale'Mitbestimmungsmodell der Unternehmer: für Leute mit kleinen Funktionen kleine Mitbestimmung am Arbeitsplatz; für Leute mit mittleren Funktionen entsprechend etwas mehr: Mitarbeitergespräch und dergleichen (Harzburger Modell); und für diejenigen, die die großen Funktionen innehaben, eben auch die . große'Mitbestimmung, die dann deckungsgleich ist mit Alleinbestimmung.

Diese Ideologie der . funktionsgerechten Mitbestimmung'geht davon aus, daß der Arbeiter zu dumm sei, um in den großen betrieblichen und unternehmerischen Fragen mitzubestim-men, was im Grunde genommen eine Unverschämtheit ist, weil seit 25 Jahren, seit es nämlich die Montanmitbestimmung gibt, bewiesen ist, daß die organisierte Arbeitnehmerschaft sehr wohl aus ihren Reihen Repräsentanten hervorbringt, die in der Lage sind, in Aufsichtsräten eine konstruktive Rolle zu spielen und als Arbeitsdirektoren auch im Management mitzuwirken. Allerdings — die Ideologie der . funktionalen Mitbestimmung'wirkt — und damit kommt die Brisanz dieses Problems zur Sprache — arbeiternah. Es macht sich sehr gut, wenn man sagt, wir sind der Meinung, daß nicht die Funktionäre mitbestimmen sollen, sondern jeder einzelne Arbeitnehmer. Und es macht sich ebenso ausgezeichnet, wenn Unternehmer sagen: Wir wollen jetzt den Arbeitsplatz des einzelnen Arbeitnehmers besser gestalten. Wir wollen ihm eine gewisse Gewinnbeteiligung geben. Wir wollen ihm Aufstiegschancen geben. Wir wollen den . Führungsstil'vermenschlichen und die . Menschenführung'verbessern.

Das große Dilemma der Gewerkschaftspolitik besteht in diesem Zusammenhang zur Zeit darin, daß sie nicht rechtzeitig erkannt hat, daß diese basisnahen Konzepte einer Erweiterung des Handlungsspielraums und des Freiheitsspielraums — also Mitbestimmung am Arbeitsplatz, job enlargement, teilautome Gruppen, Delegation von Verantwortung, kollegiale Entscheidungsgremien und dergleichen mehr — durchaus in einem Gesamtkonzept von Humanisierung, von Mitbestimmung, von Kontrolle wirtschaftlicher Großmacht, von Stabilitätspolitik in der gesamten Volkswirtschaft ein wesentlicher Beitrag sein können. Ebensowenig wurde erkannt, daß an der Basis eine latente Unzufriedenheit darüber herrscht, daß sich im betrieblichen Alltag durch die Mitbestimmung auf den höheren Ebenen anscheinend — oder scheinbar —-nicht sehr viel verändert. d) „Industrielle Demokratie geht von einem utopischen Menschenbild aus"

Brockert: Das Modell der Industriellen Demokratie, das Sie bisher aus gesellschaftspolitischen Erwägungen abgeleitet haben, setzt ein bestimmtes Menschenbild voraus. Sie haben selbst einmal geschrieben, daß man allerhöch-stens damit rechnen könne, daß fünf Prozent der Bevölkerung sich in politischen Entscheidungsgremien engagieren würden. Wenn man die Industrielle Demokratie wagen, und wenn man sie mit Leben erfüllen wollte, müßte sich ein ungleich höherer Prozentsatz an Menschen für Aufgaben in Gremien, Versammlungen etc. engagieren. Aufgaben, die neue Fähigkeiten und Kenntnisse erfordern, für die man sich also nur durch einen mühevollen Lernprozeß qualifizieren kann ... Gehen Sie bei diesen Gegebenheiten nicht von einem utopischen Menschenbild aus?“

Vilmar: „Es ist zweifellos so, daß Menschen, die seit ihrer frühen Kindheit autoritär erzogen worden sind, sozusagen pathologisch autoritätssüchtig werdeh. Das bedeutet ein Doppeltes, nämlich einerseits: süchtig und bedürftig sich einer Autorität zu fügen, weil man selbst nicht genügend Kräfte (, Ich-Stärke ) der Eigenentscheidung, Selbstverantwortung, Phantasie und Flexibilität, auf Lebenssituationen zu reagieren, zu entwickeln gelernt hat. Andererseits bedeutet . autoritätssüchtig'aber auch, daß man — wo immer es möglich ist — selber autoritär reagiert. Allerdings dürfen apathische, autoritätssüchtige Verhaltensweisen nicht anthropologisch als quasi naturhaile Gegebenheiten angesehen werden, wie das alle Elite-Masse-Theorien machen. Es handelt sich hierbei vielmehr um in der Geschichte des einzelnen und der Gesellschaft ausgeformte Verhaltensweisen. Deshalb ist es inhuman, wenn man Menschen, nur weil sich diese im Lauf ihrer Entwicklung an Fremdbestimmtheit und Monotonie gewöhnt haben, quasi eine mit dieser Situation zufriedene . Natur'zuschreibt. Allenfalls kann man sagen, daß es Menschen gibt — vor allem in der Altersgruppe ab 40 —, bei denen die Prägung durch eine monotone Arbeitswelt schon so lange gedauert hat, daß bei ihnen ein Umdenken und ein freieres Verhalten-nur noch selten möglich ist. Das Verlangen nach Mitbestimmung ist bei jüngeren Menschen sicher stärker ausgeprägt. In einer Untersuchung, die ich an der Gesamthochschule Kassel über das Verhalten von Arbeitern durchgeführt habe, hat sich das sehr deutlich bei den 20-bis 30jährigen gezeigt. Aber es ist geradezu eine Unverantwortlichkeit, wenn man — aufgrund von viel zu kurzfristigen Befragungen und Untersuchungen sehr kleiner Gruppen — glaubt, gewisse Lehrsätze und Leitsätze darüber aufstellen zu können, welche oder gar wieviel Prozent von Personen interessiert sind an bereicherten und erweiterten Arbeitsaufgaben und wieviel nicht." 2. „Linke" Vor-Urteile a) Verabsolutierung des „Gegenmacht“ -Konzepts Die Auseinandersetzung mit der Kritik von links hat vor allem an dem „antireformistischen " Dogma anzusetzen, die Idee der Industriellen Demokratie nur insoweit zu bejahen, als sie Strategien der Gegenmachtbildung beinhalte: organisierte defensive Eingriffe „von außen" zur Begrenzung oder Vereitelung kapitalistischer Willkür in der Arbeitswelt. Eine offensive Durchsetzung humanerer Arbeitsbedingungen (z. B. in Italien: Verminderung von Lohngruppen, Abbau von Fließbandstreß und -Organisation, tarifliche Absicherung teilautonomer Gruppen) könne nur akzeptiert werden, sofern sie sich nicht als eine institutionalisierte Mitverantwortung im Rahmen kapitalistischer Unternehmenspolitik in Form von Mitbestimmungsgremien „integrieren" läßt.

Ich verkenne keineswegs die Gefahr (der westdeutsche Betriebsräte und Arbeitsdirektoren wie auch österreichische Betriebsobleute tatsächlich nicht selten erliegen), daß inkonsequente Mitbestimmungs-sowie Arbeitsbereicherungskonzepte ä la Volvo Repräsentanten der Abhängigen und auch diese selbst dazu verführen können, sich der Rationalität kapitalistischer unternehmenspolitischer Entscheidungen zu unterwerfen, und zwar in, illusionärer Einschätzung ihrer begrenzten Beteiligung an der Entscheidungsbildung. Aber die negative Beurteilung institutionalisierter Mitbestimmungsformen seitens vieler romanischer und britischer Theoretiker wie Gewerkschafter beruht gleichwohl auf m. E. falschen Annahmen, die zumeist durch dahinterstehende orthodox-marxistische Systemvorstellungen präformiert sind; zum Beispiel:

— auf der falschen Annahme, Arbeiter oder Gewerkschafter würden aufgrund ihrer beschränkten Mitbestimmungsrechte in ihrer Mehrheit den fremdbestimmten kapitalistischen Charakter der Unternehmenspolitik nicht mehr erkennen und zu konsequenter Gegenmachtpolitik (Streiks etc.) nicht mehr bereit sein;

— auf der falschen Annahme, „konfliktorisehe“ Konzepte des Einflußnehmens und Eingreifens lediglich „von außen“ würden nicht ebenfalls zunehmend als reformistische Politik von den Arbeitern (an) erkannt, die auf graduelle Humanisierung und Demokratisierungserfolge, nicht aber auf eine dramatische revolutionäre Umwälzung hinorientiert ist;

— auf der Verkennung des gesellschaftspolitischen Lernprozesses, der nur in instilutionalisierten Mit-und Selbstbestimmungsstrukturen, nicht aber in bloßen Gegenmacht-Organisationen von außen verwirklicht werden kann: Arbeitnehmers-Vertreter) betrachten Teilnahme an betrieblichem und unternehmerischem Entscheidungshandeln, wenn auch vorerst noch auf unterem und mittlerem Niveau, zunehmend als ihr selbstverständliches Recht und lernen derart bereits unter kapitalistischen Verhältnissen ihre Angelegenheilen im Betrieb mehr und mehr selbst in die Hand zu nehmen, T auf der nach allen empirischen Befunden yusionären, sozusagen naiv-revolutionären orstellung, wenn man „die Arbeiterklasse“ nur lange und unbeirrbar genug — in Widerspruch zur eigenen de facto reformistischen Politik! — auf totale Konfrontation und Gegenmachtideologien einschwöre, könne man am Tage X einer hinreichend „reifen" revolutionären Situation doch noch die große sozialistische Machtübernahme — nach dem Motto: Von der Besetzung einer Fabrik zur Besetzung aller Fabriken — mit einem derart ausgerichteten Proletariat praktizieren.

Diese Zurückweisung orthodox-marxistischer Kritik an den systemimmanenten Demokratisierungs-und Humanisierungskonzepten bedeutet natürlich keineswegs eine Abwertung der statt dessen empfohlenen Gegenmachtstrategie; diese wird nur nicht als ausschließliches, alternatives, sondern als ergänzendes Realisierungsprinzip von Industrieller Demokratie neben dem der institutionalisierten Mitbestimmungsrechte und Humanisierungskonzepte verstanden. Ich darf hier auf meine detaillierte Erörterung der Stärken und Schwächen beider Strategien verweisen b) Humanisierung als neue Ausbeutungstechnik? Aufgrund eines dogmatischen Feindbildes vom Kapitalismus im allgemeinen und der kapitalistischen Unternehmerfunktion im besonderen erscheint es manchem Linken als denkunmöglich, Humanisierungsmodelle im Kapitalismus als solche — insbesondere wenn sie von Unternehmensleitungen akzeptiert oder gar eingeführt werden — anzuerkennen. Sie werden daher in Bausch und Bogen abgewertet als Methoden, die ja „nichts anderes" sein können als lediglich die neuesten Methoden zur „Intensivierung“ der Arbeit Diese so-zusagen „a priori“ negative Einschätzung ist vor allem aus drei Gründen unhaltbar:

1. Es gibt eine erhebliche Reihe von Topmanagern und auch Angehörigen des „middle managements", die auch von sich aus, sei es aus gesellschaftspolitischen, humanitären oder „betriebsklimatischen" Gründen, Arbeitserleichterungen einzuführen versuchen, wenn sie nur irgendwie mit den Leistungsund Kostenerfordernissen des Unternehmens vereinbar sind — also auch ohne daß diese Maßnahmen arbeitsintensivierend wirken.

2. Wie bereits ausgeführt, gibt es im Betrieb einen Bereich der „antagonistischen Kooperation" zwischen Unternehmern und emanzipatorisch gesonnenen Gewerkschaftern, Wissenschaftlern und Belegschaften. Er liegt dort, wo sich tatsächlich zeigt (und inzwischen durch eine Fülle von empirischen Versuchen belegt werden kann), daß demokratischere, mehr Freiheitsspielraum und weniger autoritäre Herrschaft bedingende Arbeitsorganisationen tatsächlich oft zugleich die effektiveren sind, und zwar ohne Arbeitsintensivierung! Ein unerwarteter Tatbestand, den doktrinäre Linke ebensowenig wahrhaben wollen wie doktrinäre Unternehmer: daß, um es ganz praktisch zu sagen, eine teilautonome Arbeitsgruppe mit einem hohen Grad an selbständiger Regelung der Arbeitsaufgaben auch die produktivere Arbeitsgruppe ist (im Verhältnis zur Gruppe mit monotonen, total fremdbestimmten Arbeiten).

Selbstverständlich bleiben jenseits dieses Bereiches antagonistischer Kooperationsmöglichkeiten die Notwendigkeiten der Konfliktaustragung bestehen (deshalb ist es auch unrealistisch und entspricht dem oben erwähnten antireformistischen Kapitalismus-Feindbild, wenn man Gewerkschaftspolitik schlicht alternativ in „kooperative" oder „konflikto-rische" auseinander zu dividieren versucht!). 3. Die linksdogmatische Negation aller Versuche, hier und jetzt Freiheits-und Entscheidungsspielräume für die Arbeitnehmer zu vergrößern, ist sozialtheoretisch wie gesellschaftspolitisch deshalb so falsch, weil die Arbeiterbewegung hier selbst vor einem großen Lernprozeß steht. Insbesondere die Gewerkschaften haben erst in jüngster Zeit begonnen, sich um eine systematische, umfassende Strategie der Humanisierung der Arbeitsorganisation zu kümmern; man ist zuvor bei Einzelkonzepten wie dem der Mitbestimmung oder der Arbeitssicherheit oder der Arbeitspausen oder der betrieblichen Gewerkschaftsvertretungen stehengeblieben — Konzeptionen, die meist an der Struktur der Arbeitsvorgänge wenig oder nichts geändert haben. (Auch die sozialistischen und kommunistischen Parteien haben in dieser Richtung weder in Westnoch in Osteuropa etwas Beachtliches geleistet; nur in China gab es radikale Ansätze zur strukturellen Veränderung der Arbeitsorganisation.) Man kann von einem eklatanten Mangel in der Arbeiterbewegung an betriebssoziologischer, arbeitsorganisatorischer Phantasie sprechen. Er zeigt sich zum Schaden für die gesamte westeuropäische Arbeiterbewegung nicht zuletzt darin, daß es kaum einen einzigen den Gewerkschaften oder linken Parteien gehörenden Betrieb gibt, in dem vorbildliche Konzepte der Mitbestimmung am Arbeitsplatz, der Arbeitsaufgabenerweiterung, der Gleitzeit oder dergleichen modellhaft ent-worfen und ausprobiert wurden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. In wesentlichen Teilen stellt der folgende Text eine Zusammenfassung und Aktualisierung von Detailstudien des Autors dar, auf die an Ort und Stelle verwiesen wird. Erwähnt seien hier nur: Die Welt des Arbeiters, Frankfurt/Mäin 1963; Mitbestimmung am Arbeitsplatz, Neuwied 1971; Menschenwürde im Betrieb I und II (Bd. II unter dem Titel: Industrielle Demokratie in Westeuropa), Rowohlt aktuell, Reinbek 1973 und 1975; Strategien der Demokratisierung, 2 Bde., Luchterhand, Darmstadt 1973; Industrielle Arbeitswelt. Grundriß einer kritischen Betriebssoziologie, Laetare V. Stein b. Nürnberg 1974; Politik und Mitbestimmung: Kritische Zwischenbilanz - integrales Konzept, Athenäum TB, Kronberg 1977. An dem vorliegen-den Text hat Rainer Ledegank, vor allem aber Herbert Krümpelmann aktiv mitgearbeitet. Vgl. u. a. Günter Friedrichs (Hrsg.), Aufgabe Zukunft. Qualität des Lebens, Beiträge zur vierten internationalen Arbeitstagung der Industriegewerkschaft Metall für die Bundesrepublik Deutschland, 11. bis 14. April 1972 in Oberhausen, Band 8, Frankfurt 1973; Werner Maihofer, Liberale Gesellschaftspolitik. Menschenwürde durch Selbstbestimmung, in: Karl-Hermann Flach, Werner Maihofer, Walter Scheel, Die Freiburger Thesen der Liberalen, Reinbek 1972, S. 30; Werner Vitt (stellvertr. Vors.der IG Chemie, Papier, Keramik), Humanisierung der Arbeit durch Mitbestimmung, Vortrag, gehalten auf dem DGB-Kongreß „Humanisierung der Arbeit als gesellschaftspolitische und gewerkschaftliche Aufgabe", München, 16. /17. Mai 1974; Erhard Eppler, Maßstäbe für eine humane Gesellschaft. Lebensstandard oder Lebensqualität?, Stuttgart 1974, S. 21 f„ 45 f., 63; „Trauriger Blick zurück in die Pionierzeit. Zwischenbilanz aus der Werkstatt der bayerischen CSU“, in: Frankfurter Rundschau, 22. 8. 1974, S. 8, insbesondere Abschnitte V und VI; Elmar Pieroth, Von der Fließbandmonotonie zum modernen Arbeitsplatz, in: Berliner Rundschau, 29. 8. 1974, S. 8; Für eine humane Gesellschaft. Konkretes Programm der Jungen Union zur Humanisierung der Arbeitswelt, in: Gesellschaftspolitische Kommentare Nr. 23, 1. Dez. 1974, S. 237; Bundes-vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) (Hrsg.), Humanisierung der Arbeitswelt: Hinweise für die Praxis, Köln 1975; Institut der deutschen Wirtschaft (Hrsg.), Die Humanisierung. Industriearbeit im Wandel, Köln 1976.

  2. Rober Jungk, Krise der Arbeitsmoral, Krise der Epoche. Humanisierung der Arbeitswelt ist gesellschaftliche Notwendigkeit, in: manager-magazin 9/1974, S. 98.

  3. Man entdeckte, daß die Bedürfnisse der Arbeitenden nicht länger so plump-materialistisch zu befriedigen sind, wie viele bis dahin angenommen hatten. Der amerikanische Psychologe Maslow entwickelte die Theorie von der Hierarchie der Bedürfnisse, wobei die jeweils höheren existenziellen Bedürfnisse drängender in den Vordergrund treten, sobald die elementaren einigermaßen befriedigt sind. Er beschrieb diese Hierarchie der Bedürfnisse wie folgt: Physiologische Bedürfnisse — Sicherheitsbedürfnisse — Achtungsbedürfnisse (Selbstachtung, Achtung durch andere) — Bedürfnisse nach Selbstverwirklichung. Andere amerikanische Betriebspsychologen wie McGregor und Herzberg wandten diese und ähnliche Bedürfnistheorien auf die Arbeitsmotivation an: Vgl. dazu die gut zusammenfassende Darstellung in der Arbeit von A. Brüggemann, P. Groskurth, E. Ulich, Arbeitszufriedenheit, Bem 1975, S. 20— 37.

  4. BDA, a. a. O„ S. 1.

  5. RKW-Kongreß „Menschengerechte Arbeit. Erfahrungsaustausch zwischen Forschung und betrieblicher Praxis“ in Essen, April 1976; dort stellte die Siemens Elektrogeräte IG (Berlin) „Arbeitssysteme mit neuer Arbeitsstrukturierung" vor. Es kam ihnen dabei an auf: „Optimierung des Materialflusses, verbesserte Qualität, marktorientierte Flexibilität, wirtschaftliche Kapazitätsausnutzung“ (zitiert nach: Monika Böhme, Humanisierung unter dem Primat der Rentabilität — die Sicht der Arbeitgeberseite, in: Stimme der Arbeit, 18. Jg., 1976, Nr. 1).

  6. Georges Friedmann, Le travail en muettes (deutsch: Grenzen der Arbeitsteilung, Frankfurt 1959); F. Herzberg, B. M. Mausner, B. B. Synder-mann, The motivation to work, New York 1969; E. Thorsrud, Socio-Technical Approach to Job Design and Organizational Development, in: Management International Review 4— 5/1968, S. 120— 131.

  7. Entgegen einer weitverbreiteten falschen Schreibweise muß es nicht dys-, sondern disfunktional heißen, da vor das lateinische Wort passender-weise auch die lateinische und nicht die griechische Vorsilbe gehört.

  8. Vgl. H. P. Bahrdt, Automation — Konsequenzen der veränderten Berufsstruktur, in: Automation — Risiko und Chance, Bd. II, hrsg. von G. Friedrichs, Frankfurt 1965, S. 104 f.

  9. Erschienen in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 19/1974, S. 17. Vgl. zur . Meisterkrise" F. Vilmar, Industrielle Arbeitswelt. Grundriß einer kritischen Betriebs-soziologie. Unter Mitarbeit von Klaus Gülden, Stein b. Nürnberg (Laetare V.) 1974, S. 97 ff.

  10. Adolph Jungbluth, Ein Beitrag zur Geschichte und Entwicklung der menschlichen Arbeit, in: Das Mitbestimmungsgespräch, 1/1973, S. 3; ferner: Mensch und Arbeit, in: gdi topics, Zeitschrift des Gottlieb-Duttweiler-Instituts, Nr. 6, 1973, insbesondere die Beiträge: Werner Corell: Arbeit als Lernprozeß, S. 11 ff.: gdi — Forum, Erziehung zur Arbeit, S. 33 ff.

  11. G. Wöhe, Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, München 1973 n, S. 24.

  12. Vgl. als exemplarischen Fall die Arbeit von H. Grothus (Leiter eines „Instituts für Soziotechnik“), Motivation durch Arbeitsbereicherung, in: Industrial Engeneering, 2/1970, S. 261— 272, wie auch sein (im Selbstverlag erschienenes) Buch „motiviert — engagiert •— produktiv", das, wiewohl gut gemeint, durch seinen einseitig manageriellen „Motivations" -Ansatz das gesamte Job-Enrichment-Konzept zu diskreditieren droht. Zum „Harzburger Modell'vgl. R. Höhne, Führungsbrevier der Wirtschaft, Harzburg 1968.

  13. Vgl. Konrad Thomas, Die betriebliche Situation der Arbeiter, Stuttgart 1964.

  14. Vgl. hierzu insbesondere E. Fromm, Der moderne Mensch und seine Zukunft, Frankfurt 1960, S. 262 f. S. auch G. Friedmann, Grenzen der Arbeitsteilung, Frankfurt 1959, S. 155 f.

  15. Vgl. Fußnote 58 dieser Arbeit.

  16. Mit Recht schreibt Erich Fromm: „Die psychoanalytische Erfahrung lehrt deutlich, daß das Gefühl des Unglücklich-und Unbefriedigtseins sehr tief verdrängt werden kann. Ein Mensch kann sich bewußt durchaus zufrieden fühlen, und nur seine Träume, psychosomatische Erkrankungen, Schlaflosigkeit und viele andere Symptome mögen seiner tieferliegenden unglücklichen Grundstimmung Ausdruck geben. Die Tendenz, den Mangel an Glücksgefühl und Befriedigung zu verdrängen, wird stark unterstützt durch das weitverbreitete Gefühl, Unzufriedenheit mit dem Leben bedeute, man sei . mißraten’, ein Sonderling, erfolglos und so fort... Aber sogar die Unterlagen bezüglich bewußter Ar-beitsbefriedigung verraten viel. In einer entsprechenden Studie auf nationaler Ebene drückten 85 % der Angehörigen freier Berufe und leitender Angestellter, 64 % der Angestellten und 41 °/o der Fabrikarbeiter Befriedigung mit ihrer Tätigkeit aus ... Wenn wir den unbewußten Mangel an Befriedigung berücksichtigen könnten, wäre der Prozentsatz beträchtlich höher.“ (E. Fromm, Der moderne Mensch und seine Zukunft, a. a. O., S. 262 f.).

  17. Hier sei insbesondere auf die Sterilität des — immerhin paritätisch verwalteten — RKW (Rationalisierungskuratorium der Deutschen Wirtschaft) in dieser Hinsicht verwiesenl

  18. Vgl. die ausführliche Kritik des statischen System-Begriffs in: F. Vilmar, Strategien derDemokra-usierung, Bd. I, Darmstadt 1973, S. 216— 230.

  19. Vgl. H. Grothus, a. a. O.

  20. Vgl. Anmerkung 3.

  21. In diesem Sinne: B. Schulte, Der Mensch in der Arbeitwelt, REFA-Nachrichten 5/1974; Schulte glaubt an die grundsätzliche psychische Konditionierung und mißt ihr mehr Bedeutung bei, als der nach seiner Meinung überwiegend technikoriennerten „Humanisierung der Arbeit".

  22. Helmut Haussmann, Unternehmensordnung und Selbstbestimmung. Organisatorische Ansätze direkter und indirekter Partizipation, Dissertation, Erlangen-Nürnberg 1975, S. 22.

  23. Nach Mario Helfert, Ziele und Durchsetzung der Humanisierung der Arbeit. Zusammenfassung gewerkschaftlicher Forderungen, in: WSI-Mitteilun-gen, Zeitschr. d. Wirtsch. — und Sozialwissensch. Instituts des DGB, 5/1975, S. 248.

  24. Hans Matthöfer, Schaffung menschengerechter Arbeitsbedingungen: ein Ziel staatlicher Forschungsförderung in: RKW Menschengerechte Arbeit — Erfahrungsaustausch zwischen Forschung und betrieblicher Praxis. Dokumentation zum RKW-Kongreß am 6. und 7. April 1976 in Essen, Frankfurt 1976, S. 14. Vgl. Eberhard Ulich u. a., Neue Formen der Arbeitsgestaltung. Möglichkeiten und Probleme einer Verbesserung der Qualität des Arbeitslebens, Frankfurt 1973, bes. S. 64 ff.

  25. Vgl. dazu Wolfgang Harich, Kommunismus ohne Wachstum, Reinbeck 1975.

  26. Grundsatzprogramm des DGB von 1963, in G. Leminsky/B. Otto, Politik und Programmatik des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Köln 1974, S. 45— 62. Vgl. dazu die detaillierte Darstellung bei Fritz Vilmar, Wirtschaftsdemokratie. Theoretische und praktische Ansätze, entwickelt auf der Basis des DGB-Grundsatzprogramms, in: ders. (Hrsg.), Industrielle Demokratie in Westeuropa, Reinbek 1975, S. 26— 78.

  27. In Frankreich z. B. wurden die vergesellschafteten Renault-Werke durch die außerordentlich großzügige Urlaubsregelung zum Schrittmacher für die gesamte französische Industrie. Im staatlichen Salzgitter-Konzern wurde durch ein ergonomisches Zentrum vorbildhaft die Verpflichtung großer Unternehmen, systematisch an der menschenwürdigen Gestaltung von Arbeitsplätzen zu arbeiten, in Angriff genommen (vgl. „Menschenwürde im Betrieb", a. a. O„ S. 78 ff.)

  28. Vgl. dazu unten S. 31, 32 dieser Arbeit.

  29. In meinem Sammelband über „Industrielle Demokratie in Westeuropa“ (Reinbek 1975) werden die Ziele, Instrumente, alternativen Konzepte und Probleme dieser drei tragenden Säulen der Wirtschaftsdemokratie: Rahmenplanung, Kontrolle wirtschaftlicher Großmacht, Mitbestimmung, im einzelnen zusammenfassend dargestellt (S. 26— 78). Aufgrund der negativen Erfahrungen mit den osteuropäischen Planwirtschaften hat sich in der westeuropäischen Linken weithin ein Sozialisierungskonzept entwickelt, das durch folgende „liberal-sozialistische" Grundsätze bestimmt ist: — statt „Verstaatlichung“ (Überführung in zentral verwaltete „Regiebetriebe") wird „Vergesellschaftung“ angestrebt: dezentrale und hochgradig autonome Unternehmensführung unter — lediglich die Rahmenbedingungen festlegender — öffentlicher oder auch drittelparitätischer Kontrolle; — Begrenzung von Sozialisierungskonzepten auf marktbeherrschende Großunternehmen; — Bejahung verschiedener eigentumsrechtlicher Yergesellschaftungsformen (z. B. Genossenschaften, öffentliche Beteiligung; Bundes-, Landes-oder Kommunaleigentum; öffentlich-rechtlich kontrollierte Unternehmen; frei-gemeinwirtschaftliche Unternehmen, -Stiftungsunternehmen [Kapitalneutralisierung]); —maßgebliche Mitbestimmung der Beschäftigten in den vergesellschafteten Unternehmen.

  30. Vgl. dazu Rudolf Kuda, Wirtschaftsund tarifpolitische Konzepte gegen die Arbeitslosigkeit, in: Frankfurter Hefte, 11/1975, S. 18.

  31. Die detaillierte Darstellung des im folgenden skizzierten Konzepts findet sich in meinem Aufsatz: „Notwendig: Systematische Arbeitszeitverkürzung“, in: Michael Bolle (Hrsg.), Arbeitsmarkt-theorie und Arbeitsmarktpolitik, Opladen 1976.

  32. Einen besonderen Beitrag zu dieser Verwirrung und Verunsicherung hinsichtlich des Konzepts der Arbeitszeitverknappung leisten Hans Adam und Bernd Buchheit („Reduktion der Arbeitslosigkeit durch Arbeitszeitverkürzung?“, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 11/77). Nur die wichtigsten der von den Autoren in die Debatte getragenen Irrtümer, falschen Voraussetzungen etc.seien hier, soweit im Text nicht bereits behandelt, genannt — eine ausführliche Auseinandersetzung muß an anderer Stelle geleistet werden. 1. Grundlegend falsch ist die Unterstellung der Autoren, das Konzept unter dem Aspekt kurzfristiger Wiederherstellung der Vollbeschäftigung (S. 6; 13) zu kritisieren: Keiner der Verfechter ist so naiv, dies anzunehmen. 2. Mein Zahlenbeispiel ist von den Autoren nicht begriffen worden, da selbstverständlich die Rechnung auf der „Makroebene" ebenso wie auf der „Mikroebene" stimmt — vgl. mein Zahlenbeispiel. Die dabei um 25 °/o steigenden Sozialabgaben können sehr wohl vernachlässigt werden, insofern sie teilweise durch die bei Arbeitszeitverkürzungen höhere Produktivität der Arbeit ausgewogen werden, teilweise in dem tarifpolitischen Forderungspaket als mit einbezogen gelten können. Die Autoren machen sich in jedem Falle unglaubwürdig, wenn sie einerseits die Nichteinbeziehung minimaler Zusatzkosten reklamieren, andererseits (S. 10 ff.) aber wortstark fordern, daß das Kostenproblem nicht auf dem Rücken der Arbeitnehmer gelöst werden dürfe. 3. Die Hauptverwirrung produzieren die Autoren, indem sie „vollen Lohnausgleich" entgegen jeder bisherigen gewerkschaftlichen Praxis so definieren, als bedeute dieser Begriff die Beibehaltung einer bestimmten Gesamt-Lohnsteigerungsrate vollkommen unabhängig von der verminderten Stunden-zahl. In Wahrheit haben die Gewerkschaften den Arbeitern stets eine doppelte Rechnung aufgemacht: Die Reallohnsteigerung pro Monat und die Reallohnsteigerung pro Stunde. 4. Mehr als verwunderlich ist die plötzliche Zuflucht der Autoren zu Arbeitgeberargumenten, um ihre Abneigung gegen Arbeitszeitverkürzungen zu begründen — S. 11: „(ES) ist...fraglich, ob Arbeitszeitverkürzung tatsächlich zur zusätzlichen Einstellung von bisher Arbeitslosen führen wird. Der Hinweis des „Instituts der deutschen Wirtschaft", daß in der Vergangenheit in kürzerer Arbeitszeit annähernd die gleiche Produktionsmenge wie vorher erzeugt werden konnte, demonstriert die Gegenstrategie.“ AIs wenn nicht auch ohne Arbeitszeitverkürzung durch Rationalisierung stets mit weniger Arbeitskräften das Gleiche produziert worden wäre. Der qualitative Unterschied ist eben der, daß ohne Arbeitszeitverkürzung die durch Rationalisierung überflüssig werdenden Arbeiter arbeitslos werden! — Leicht ist zu erkennen, was hinter den vorgetragenen Scheinargumenten von A. und B. steht: das Unbehagen einer links-akademischen Orthodoxie, es könnte durch geeignete Reformstrategien doch gelingen, mit den Strukturkrisen des Kapitalismus fertig zu werden. Im übrigen bestreitet kein progressiver Wirtschaftstheoretiker ihre Forderung nach Investitions-, Rahmenplanungs-und ähnlichen wirtschaftsdemokratischen Lenkungsinstrumenten — nur sind das komplementäre, nicht aber alternative Strategien)

  33. Wirtschaftsabteilung der IG Metall (Frankfurt, April 1975): „Die Lage der Automobilindustrie in der BRD": Um die Freisetzung von Arbeitskräften bei gedrosseltem Wachstum, aber weitergehendem technischen Fortschritt so gering wie möglich zu halten, muß die Arbeitszeit herabgesetzt werden. Nur auf diese Weise läßt sich die verbleibende Nachfrage nach Arbeitskraft auf mehr Beschäftigte als bisher verteilen, läßt sich der Arbeitsmarkt in einer einigermaßen angespannten Verfassung halten, und die drohende Arbeitslosigkeit vermeiden. Zur Ausschöpfung dieser Möglichkeiten müßte bei kommenden Tarifverhandlungen innerhalb der Forderungspakete bei gegebenem Belastungsrahmen (!) ein größeres Gewicht auf die Forderungen nach Verlängerung des Urlaubs gelegt werden." (Hervorhebung von mir F. V.)

  34. Vgl. meine Zitate über den regierungsoffiziellen Wachstumsfetischismus: „Notwendig: Systematische Arbeitsverkürzung“, in: M. Bolle (Hrsg.), Arbeitsmarkttheorie und Arbeitsmarktpolitik, a. a. O., S. 199.

  35. Vgl. dazu unten S. 22.

  36. Michael Kittner, Mitbestimmung der Arbeitnehmer über die Arbeitsorganisation und über die Ausgestaltung und Umgebung des Arbeitsplatzes, in: WSI-Mitteilungen, 5/1975, S. 265.

  37. Vgl. Norbert Maier, Teilautonome Arbeitsgruppen. Möglichkeiten und Grenzen eines Modells zur Humanisierung der Arbeit, Meisenheim 1977, S. 95 ff.

  38. Heinz O. Vetter, Humanisierung der Arbeitswelt als gewerkschaftliche Aufgabe, in: Gewerksch. Monatshefte 1/73, S. 1— 11. Dieser Aufsatz kann als ein »Signal“ ein frühes, grundlegendes Dokument für die Ingangsetzung der gewerkschaftlichen Diskussion in der Frage der Arbeitshumanisierung betrachtet werden und verdient insofern besondere Beachtung.

  39. Vgl. dazu: Punkte für den Monatslohn, in: Der Gewerkschafter, Zeitschrift für die Funktionäre der IG Metall, 11/1976.

  40. »Bizarrer Verlauf“, in: Der Spiegel, Nr. 50/1976, S. 75.

  41. Siehe dazu: R. Meyer-Harter, Die Stellung der Frau in der Sozialversicherung, Berlin 1974.

  42. In der italienischen Eisen-und Stahlindustrie haben sich die Arbeiter in ihrem Kampf um eine einheitliche Tarifskala auf sechs Lohn-und Gehaltsgruppen geeinigt Vgl. Antonio Lettieri, L’Usine et l’Ecole, in: Les Temps Modernes, Paris, Heft 301/302, 1971, zitiert nach Andre Gorz, Ökologie und Politik. Beiträge zur Wachstumskrise, Reinbek 1977.

  43. Die Gewerkschaft Nahrung, Genuß, Gaststätten (NGG) handelte für die Brauerei-, Zucker-und Zigaretten-Industrie einheitliche Tarifverträge aus, in denen von Angestellten beziehungsweise Arbeitern nicht mehr die Rede ist. Vgl. Meldung im Spiegel, Nr. 50/1976, S. 77. Einen erstenSchritt in Richtung einheitlicher Einkommenstarifverträge stellt der Manteltarifvertrag der IG Metall in Nordrhein-Westfalen dar, in dem die allgemeinen Arbeitsbedingungen für Arbeiter und Angestellte in der Eisen-und Stahlindustrie in einem gemeinsamen Manteltarifvertrag geregelt wurden. Vgl. Der Gewerkschafter, 11/1976. S. 27.

  44. Vgl. hierzu die im baden-württembergischen Tarifvertrag der IG Metall durchgesetzten Regelungen, daß Arbeitnehmer über 53 Jahre nur'noch bei wichtigem Grund gekündigt werden können und Arbeitnehmer über 55 Jahre im Leistungslohn eine dynamische Verdienstsicherung haben.

  45. Hans Mayr, Humanisierung der Arbeit durch gewerkschaftliche Tarifpolitik, in O. Vetter (Hrsg.) und Balduin (red.), Humanisierung der Arbeit als gesellschaftspolitische und gewerkschaftliche Aufgabe, Frankfurt/Köln 1974, S. 155.

  46. Vgl. dazu das Vorbild der italienischen Arbeiter beim Stahlwerk Italsider, die in ihrem Kampf im Herbst 1970 gegen die analytische Arbeitsplatzbewertung als Vorschlag für eine neue Lohnfindung und -einstufung u. a. die Möglichkeit des Aufstiegs von einer Lohn-oder Gehaltsgruppe zur anderen aufgrund der individuellen oder kollektiven Aneignung der Fähigkeit zum Eingreifen in den Produktionsprozeß forderten. Vgl. Detlev Albers, Streik für humanere Arbeitsbedingungen bei Alfa Romeo, in: Fritz Vilmar (Hrsg.): Menschenwürde im Betrieb, Einbek 1973, S. 213 ff.

  47. Einzelheiten sind von der Verwaltung der Porst-Gruppe zu erfahren (854 Schwabach bei Nürnberg, Fallenholzweg). Vgl. insbesondere Fritz Breding, Die analytische Stellenbewertung in der Porst-Gruppe, Manuskr. 1977.

  48. Michael Kittner, Mitbestimmung der Arbeitnehmer über die Arbeitsorganisation und über die Ausgestaltung und Umgebung des Arbeitsplatzes, in: WSI-Mitteilungen, 5/1975, S. 266, Anm. 55.

  49. M. Kittner, a. a. O., S. 266, Anm. 57.

  50. Vgl. Fitting-Auffahrt, Kommentar zum BetrVG, 11. Auflage 1974, § 87, Anm. 60.

  51. Vgl. Fitting-Auffahrt, a. a. O., § 87 Anm. 55.

  52. Die Notwendigkeit einer solchen „Lohngarantie“ zeigt sich bei den skandinavischen Experimenten mit „Teilautonomen Gruppen". Bei der norwegischen Firma Norsk Hydro wurde ein für alle Gruppenmitglieder gleicher Festlohn gezahlt, der mit einem vom Ergebnis abhängigen Leistungslohn für erreichte Quantität oder für Qualität und einem Bonus für „beherrschte Tätigkeiten“ gekoppelt wurde. Diese Lohnfindungskriterien waren notwendig, um zu vermeiden, daß sich die Gruppenmitglieder zu stark auf das Produktionsergebnis konzentrieren und die Ausweitung ihrer Kenntnisse vernachlässigen. Vgl. Gulowswn, The Norwegian Participation Project: The Norsk Hydro Fertilizer Plant, AL doc. 14/74 (zitiert nach Norbert Maier, a. a. O. S. 96).

  53. Ein solches Gesamtkonzept, das in diesem Text nur kurz umrissen werden kann, habe ich an anderer Stelle kürzlich ausführlicher entwickelt: Fritz Vilmar, Politik und Mitbestimmung: Kritische Zwischenbilanz — integrales Konzept, Kronberg 1977.

  54. Vgl. im einzelnen dazu Fritz Vilmar, Mitbestimmung am Arbeitsplatz. Basis demokratischer Betriebspolitik, Neuwied 1971.

  55. R. Hoffmann, Rechtsfortschritt durch gewerkschaftliche Gegenmacht, Frankfurt 1968; vgl. auch die bei R. Birkwald zu findende Auflistung der in diesem Tarifvertrag erzielten Humanisierungsfortschritte: Gestaltung der Arbeit durch Tarifvertrag, in: AGP (Hrsg.), Humanisierung der Arbeitswelt, Köln 1975, S. 190.

  56. Für die Bundesrepublik sei auf das Modell der Glashütte Süßmuth GmbH verwiesen, die seit 1970 in Anlehnung an das jugoslawische Selbstverwaltungsmodell von der Belegschaft verwaltet wird (vgl. F. Fabian [Hrsg. ]), Arbeiter übernehmen ihren Betrieb oder Der Erfolg des Modells Süßmuth, Reinbek 1972). In Frankreich ist die Genossenschaftsbewegung bereits zu einem beachtlichen ökonomischen Faktor geworden, vgl. A. Antoni, La Cooperation de Production, hrsgg. von der Confederation General des S. C. O. P. (Socits Cooperatives Ouvriere des Production, 75017 Paris 37, rue Jean Ledaire, 1972.

  57. Gudrun Leman, Das jugoslawische Modell, Frankfurt-Köln 1976. Vgl. F. Vilmar, Politik und Mitbestimmung" a. a. O., S. 65 ff.

  58. Zur Einführung sei auf folgende Arbeiten verwiesen: John Humble, Praxis des Management by Objectives, München 1972; Eric Rhenman, Industrial Democracy and Industrial Management. Technology and democratic Society, Tavistock, London 1968; Veröffentlichung der Walter-Raymond-Stiftung, Führung in einer freiheitlichen Gesellschaft, Band 11, Köln und Opladen 1969; Herbert Wiedemann, Das Unternehmen in der Evolution (Reihe Wirtschaftsführung — Kybernetik — Datenverarbeitung), Bd. 7, Neuwied 1971.

  59. Vgl. hierzu die ausführlichere Darstellung in: F. Vilmar, Politik und Mitbestimmung, a. a. O., S. 142— 150.

  60. Da in der Arbeitswelt gegenwärtig aus Gründen der Existenzsicherung und Qualifikation Abwahl und Rotation der Ämter kaum durchführbar ist, muß zumindest eine periodische Bewertung der Führenden durch die Geführten ermöglicht werden. Vgl. dazu die — weitergehenden — Modelle bei Körber (Stufenselektion) und Porst (Vorgesetzten-bestätigung).

  61. Ausführlich dazu: F. Vilmar, Industrielle Arbeitswelt. Grundriß einer kritischen Betriebssoziologie, a. a. O., S. 54 ff.

  62. Zur Bedeutung der Arbeitswissenschaften für die Gestaltung der Arbeitsplätze siehe Gerhard Leminsky, Gewerkschaftliche Ansatzmöglichkeiten zur Humanisierung der Arbeit in: WSI-Mitteilungen 2/1974, S. 59.

  63. Zitiert nach M. Schweres, Das Arbeitswissenschaftliche Team der Salzgitter Hüttenwerke, in: Menschenwürde im Betrieb, a. a. O., S. 79.

  64. Adolf Jungbluth, Anwendung der Ergonomie in der Industrie, in: Arbeit und Leistung 22 (1968), 6-S. 98.

  65. A. Jungbluth, Arbeitswissenschaftliche Gesichtspunkte für die Gestaltung industrieller Anlagen und für den Personaleinsatz. Ein Katalog als Leitfaden für Planung, Beschaffung und Modernisierung, Mainz 1964.

  66. Wie schwierig es ist, allgemein anerkannte Definitionen menschengerechter Arbeitsverhältnisse zu sichern, zeigt die Auseinandersetzung zwischen dem DGB und den Arbeitgeberverbänden in dieser Frage: DGB, OGB und der schweizerische Gewerkschaftsbund hatten gemeinsam eine Broschüre über menschengerechte Arbeitsbedingungen (Menschen-gerechte Arbeitsgestaltung, 1. Informationsschrift, Düsseldorf, 1972) herausgegeben. Diese wurde von dem Institut für angewandte Arbeitswissenschaft (Dr. Wall) als einseitig und zu weitgehend in Frage gestellt.

  67. Vgl. dazu die These 1 der Arbeitsgruppe 2 der DGB-Konferenz „Humanisierung der Arbeit als gesellschaftspolitische Aufgabe, in H. O. Vetter (Hrsg.) und Balduin (red.), a. a. O., S. 210.

  68. Vgl. die Ausführungen von M. Helfert, Ziel und Durchsetzung der Humanisierung ..., a. a. O., S. 251 ff.

  69. Vgl. M. Kittner, Mitbestimmung der Arbeitnehmer ..., a. a. O., S. 259.

  70. M. Kittner, a. a. O., S. 259.

  71. Vgl. Fitting-Auffahrt, a. a. O., § 91 Anmerkung 5.

  72. Werner Roth, Praxis-Report Gleitzeit. Vor-und Nachteile flexibler Arbeitszeiten. Verlag Gesellschaftspolitik, 3257 Springe, P. f. 1229. Das Buch ist insbesondere auch interessierten Praktikern, Betriebsräten etc. zu empfehlen, weil es präzise Anleitungen für die Einführung der Gleitzeit in einem Betrieb enthält, einschließlich einer Muster-Betriebsvereinbarung des DGB, S. 64— 69.

  73. Vgl. „Der Saarländische Arbeitnehmer“, Monatsschrift der Arbeitskammer des Saarlandes, Nr. 1/1971. Genaueres zur defrustorischen Abgrenzung der verschiedenen Konzepte bei Roth, a. a. O., S. 8 ff.

  74. Werner Roth, a. a. O., S. 102.

  75. Vgl. dazu die ausgezeichnete zusammenfassende Darstellung und Dokumentation der Situation sowie der familiären, sozialen, gesundheitlichen Folgen der Schichtarbeit und der gewerkschaftlichen wie politischen Stellungnahmen dazu von habener, Borsch u. ä., in: Stimme der Arbeit, 6/1974 hu beziehen über die Redaktion R. Weiser, Evan-9elische Akademie Bad Boll). Nach Habener la. a. 0.) ist die Zahl der Schichtarbeiter in der undesrepublik in einer GesamtarbeitnehmersChaft von 21, 8 Millionen (1972) zwischen 1965 und 72 von 2, 4 auf 3, 8 Millionen angewachsen.

  76. Vgl. M. Kittner, a. a. O„ S. 267.

  77. Vgl. M. Kittner, a. a. O„ S. 254

  78. Vgl. Anmerkung 6.

  79. Vgl. Fritz Vilmar, Industrielle Arbeitswelt, a. a. O., Kapitel 6: Pseudointegration: Betriebliche Sozialpolitik als Neofeudalismus (S. 112— 129). Ausführlicher in: derselbe, Zur Kritik betrieblicher Sozialpolitik, Arbeitsheft 012 der IG Metall, Frankfurt 1970, S. 14— 82.

  80. Vgl. dazu E. L. Trist, G. W. Higgin, H. Murray, A. B Pollock, Organizational choice, London (Travistock) 1963; P. G. Herbst, Autonomous Group Functioning, London (Tavistock) 1962 und 1968; L. E. Davis, J. C. Taylor (Hrsg.), The Design of Jobs, London (Penguin Books) 1972.

  81. Vgl. Einar Thorsrud, Demokratisierung der Arbeitsorganisation, in: F. Vilmar (Hrsg.), Menschenwürde im Betrieb, a. a. O., S. 131 f.

  82. Hans Matthöfer, a. a. O., (s. Anm. 26), S. 19

  83. Ulich-Großkurth-Brüggemann, Neue Formen der Arbeitsgestaltung, Frankfurt 1973, S. 64 ff.

  84. Vgl. A. Rich, Mitbestimmung - Eine 5oz 14 ethische Orientierung, 1973, S. 143 f.

  85. Ulich, a. a. O„ S. 69. . ,

  86. Ulich, a. a. O., S. 83; L. E: Karlsson, Rapport fram rot Studie: Arvika, Stockholm, 1970.

  87. Zitiert nach G. Bihl, Von der Mitbestimmung zur Selbstbestimmung. Das skandinavische Me 11 der selbststeuernden Gruppen, München 197 9. Besonders hingewiesen sei auf die Arbeit von Norbert Maier, Teilautonome Arbeitsgruppen, a. a. O., welche die bisher beste Darstellung der skandinavischen Versuche enthält.

  88. Vgl. J. H. Mendner, „Humanisierung“ oder Automatisierung? Zur Zukunft der kapitalistischen Arbeit, in: Kursbuch 43, Berlin 1976, S. 138.

  89. Hans Matthöfer auf dem RKW-Kongreß 1976, a. a. O. (s. Anm. 26), S. 20.

  90. Vgl. „Strategie der Demokratisierung“, a. a. O., Bd. I, S. 127— 137.

  91. Ist die theoretische Auseinandersetzung zwischen tendenziell „revolutionären" und „reformistischen" Ansätzen der Industriellen Demokratie durch ehrliche Überzeugungen legitimiert, so entartet eine pseudolinke antireformistische Polemik insbesondere bei DKP-marxistischen Parteigängern zur blanken Diffamierung. Als Beispiel sei hier nur auf den in der DKP-hörigen Monatszeitschrift „Blätter für deutsche und internationale Politik" (Heft 6 u. 7/74) publizierten Text von Volpert verwiesen: „Die . Humanisierung der Arbeit'und die Arbeitswissenschaft“. Nach bewährtem Stamokap-Muster werden Reformbemühungen um Humanisierung und Demokratisierung der Arbeitswelt in „Systemstabilisatoren" uminterpretiert. Diejenigen, die sie gleichwohl als wichtige Elemente betriebsdemo-kratischer Reformpolitik vertreten, werden als „bürgerliche Arbeitswissenschaftler“, als Antisozialisten und Gewerkschaftsfeinde (vgl. a. a. O , S. 710 ff.) beschimpft. Die besondere Dimension solcher. Diffamierung liegt darin, daß Volpert bei seinen eigenen Empfehlungen für eine angemessene Humanisierungsstrategie in nicht weniger als sechs (I) zentralen Punkten (Notwendigkeit der Aktion von unten; Salzgitter-Modell; § 90/91 BetrVG; Kampf für Arbeiter-Kontrolle in Westeuropa; italienische Vorbilder; arbeitsplatznahe Mitbestimmung) genau das aufgreift, was ich ein Jahr zuvor bereits, neben anderem, in „Menschenwürde im Betrieb“ als richtungweisend publiziert hatte, selbstverständlich ohne dies zu zitieren. Ohne selbst auch nur ansatzweise eine integrale arbeitsorganisatorische Alternativkonzeption (etwa aus der DDR?) anbieten zu können, werden die im Betrieb und in betriebsdemokratischer Bildung emanzipatorisch arbeitenden Kräfte, die tatsächlich über den Taylorismus und die - auch in Osteuropa noch vorherrschende - autoritäre Betriebsorganisation hinausführende Modelle erproben, schlechtgemacht, u. a. weil sie, wie Eberhard Ulich, auf den höchst wichtigen Tatbestand verweisen, daß „Humanisierung der Arbeit und Wirtschaftlichkeit sich keineswegs ausschließen" (S. 710). So schlägt in links-akademischen Texten, die alle pragmatischen Ansätze zur Erweiterung von Handlungs-und Entscheidungsspielräumen im Arbeitsleben als systemstabilisierend abtun, angebliche Kritik in Konservierung des Status quo um: Was nicht als „Aktion der Arbeiterklasse“ sich legitimieren kann, verfällt dem orthodoxen Ketzergericht.

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Fritz Vilmar, Dr. phil., geb. 1929, Soziologiestudium, praktische Arbeit seit 1954 in der Erwachsenenbildung, seit 1960 besonders in der Bildungsabteilung der IG Metall. Seit 1970 Forschungsaufträge zu Problemen der Industriellen Demokratie; 1971 bis 1974 Lehrauftrag an der Gesamthochschule Kassel; seither Professor am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin. Veröffentlichungen u. a.: Die Welt des Arbeiters, Frankfurt 1963 (mit H. Syma-nowski); Rüstung und Abrüstung im Spätkapitalismus, Frankfurt 1965, 6. neu bearbeitete Auflage Reinbek 1973; Mitbestimmung am Arbeitsplatz, Neuwied 1971; Sozialistische Friedenspolitik für Europa, Reinbek 1972 (mit W. Möller); als Herausgeber und Mitautor: Menschenwürde im Betrieb, Reinbek 1973, sowie: Industrielle Demokratie in Westeuropa, Reinbek 1975; Strategien der Demokratisierung (2 Bde.), Darmstadt 1973; Industrielle Arbeitswelt — Grundriß einer kritischen Betriebssoziologie, Nürnberg 1974; Politik und Mitbestimmung — Kritische Zwischenbilanz — integrales Konzept, Frankfurt 1977.