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Probleme der Organisation und Koordination bei der Terroristen-Bekämpfung in der Bundesrepublik | APuZ 41/1977 | bpb.de

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APuZ 41/1977 Artikel 1 Staatsbewußtsein, Staatsbeamte, Lehrerschaft Terrorismus -Ermittlungsversuch zu einer Herausforderung Probleme der Organisation und Koordination bei der Terroristen-Bekämpfung in der Bundesrepublik

Probleme der Organisation und Koordination bei der Terroristen-Bekämpfung in der Bundesrepublik

Karl-Heinz Krumm

/ 22 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Es begann 1968 mit der Frankfurter Kaufhausbrandstiftung und führte über zahlreiche Bombenanschläge zu den Morden an Siegfried Buback und Jürgen Ponto. In dem Bericht wird die Entwicklung „der drei Generationen“ bundesdeutscher Terroristen untersucht und bemängelt, daß die Erforschung der Ursachen bislang wenig vorankam. Ausführlich beschäftigt sich der Autor mit den Schwierigkeiten und Problemen polizeilicher Fahndung und Ermittlung und beweist anhand zahlreicher Beispiele, welche Hindernisse dabei durch das föderative System der Polizei entstanden. Schlußfolgerung des Autors: Es gab niemals eine Krise des Rechtsstaates, wohl aber einen ständigen Ermittlungsnotstand.

Während einer Tagung im Wiesbadener Bundeskriminalamt (BKA) empfahl der Präsident des Amtes, Dr. Horst Herold, seinen promi-neten Zuhörern aus Polizei und Justiz einen raschen und konzentrierten „Datenverbund" zwischen den Erkenntnissen der Justiz und der Polizei. In den Aktenbergen der Justiz, sagte er, lägen gewaltige Mengen von zuverlässigen Daten, die es endlich systematisch auszuwerten gelte, um die Ursachen für menschliches Fehlverhalten besser als bisher ergründen zu können.

Herolds Vorschlag verhallte — wie so viele andere naheliegende Empfehlungen — ungehört. Und ungehört blieben auch so einfache Erkenntnisse, wie sie etwa der Präsident des Hamburger Verfassungsschutzamtes, Hans Josef Horchern, während einer Podiumsdiskussion formulierte. „Das Motiv steht nicht von Anfang an fest", sagte Horchern, es entwickle sich allmählich. Sowohl Herold als auch Horchern zielten in ihren Überlegungen nicht zuletzt auf eine erfolgreiche Bekämpfung des bundesdeutschen Terrorismus. Öffentlichkeit und Politik verzichteten aber bisher weitgehend darauf, systematisch auf eine Erforschung der Ursachen und Motive zu drängen, sondern konzentrierten sich in all den Jahren fast ausschließlich darauf, über Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus zu diskutieren: Änderungen zahlreicher Gesetze, der Ruf nach härteren Strafen, Verbesserung der polizeilichen Arbeit. Im Kampf gegen das Phänomen Terrorismus hat sich das Interesse nur auf die Wirkungen und kaum auf die Ursachen festgelegt.

Dabei gab schon der erste Fall eines bundesdeutschen Terroraktes, nämlich die Kaufhaus-Brandstiftungen in Frankfurt 1968 durch Gudrun Ensslin, Andreas Baader, Thorwald Geringfügig veränderter Vorabdruck aus dem im Herbst 1977 erscheinenen Band „Terrorismus — Untersuchungen zur Struktur und Strategie revolutionärer Gewaltpolitik.“ Das Manuskript dieses Aufsatzes wurde im Frühjahr 1977 abgeschlossen.

Proll und Horst Söhnlein, bemerkenswerte Hinweise, die näher zu ergründen noch immer sinnvoll wären. So betonte der Verteidiger der Gudrun Ensslin, Professor Heinitz, die politischen Vorstellungen der Angeklagten, das vorauszusehende Scheitern mit ihrer Dissertation und die persönliche Entfremdung von ihrem Verlobten hätten zu einem „explosiven Gemisch" geführt. Auch das Gericht mochte nicht ausschließen, daß „die Angeklagten ihre Situation weitgehend aus gesellschaftlichen Widersprüchen zu verstehen, zu erklären und schließlich auch zu rechtfertigen suchen, um vor sich selbst ein Alibi zu haben." Ideelle Motive wollte denn auch die Kammer den Brandstiftern nicht absprechen.

Die vier Angeklagten wurden damals zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt. Angesichts einer längeren Untersuchungshaft sind sie jedoch auf freien Fuß gesetzt worden und leisteten danach eine auch vom Frankfurter Jugendamt als positiv beurteilte Arbeit in Lehrlingskommunen. Als der Bundesgerichtshof die Revision gegen die Urteile verwarf, reichten sie beim hessischen Justizminister Hemfler ein Gnadengesuch ein. Als Hemfler es ablehnte, die Rest-strafen zur Bewährung auszusetzen, gingen die vier Brandstifter in den Untergrund. Baader wurde schließlich in Berlin gefaßt und dann von seinen Gesinnungsfreunden mit Gewalt befreit. Erst dann kam es zur Bildung der so-genannten „Baader-Meinhof-Gruppe“, zur Bildung der „Rote-Armee-Fraktion“, die mit Gewalt das politische System der Bundesrepublik verändern wollte.

Es ist sicherlich müßig, darüber zu streiten, ob Andreas Baader und Gudrun Ensslin überhaupt zu Terroristen geworden wären, hätte damals ihr Gnadengesuch Erfolg gehabt. Horst Herold jedenfalls scheint es zu schlicht, wenn nicht gar irreführend zu sein, die Ursachen des Terrorismus allein bei den Terroristen zu suchen. Wie ein Blick auf die übrigen westlichen Staaten zeigt, wäre die Bundesrepublik so oder so kaum von terroristischer Gewalt verschont ge-blieben. Was aber die rasche Entwicklung der Baader-Meinhof-Gruppe von einer zunächst nur ideologisierenden Vereinigung zu einer operierenden angeht, so mag die interne Erkenntnis des damaligen medizinischen Gutachtens im Brandstifter-Prozeß durchaus von Interesse sein. Allein bei Baader, glaubte der Sachverständige zu erkennen, sei eine „kriminelle Vorprogrammierung'erkennbar. Wie man aus den Aussagen später abgesprungener Terroristen, etwa von Karl-Heinz Ruland, weiß, hat die Gruppe nach ihrer Formierung tatsächlich immer weniger „theoretisch" ihre Zielsetzungen formuliert und begründet. Nur noch die Aktion und ihre Planung standen im Vordergrund. Die kriminelle Energie Baaders, so eine der Schlußfolgerungen aus dem Stammheimer Prozeß, hatte sich durchgesetzt, die Intelligenz und die politischen Begründungsversuche einer Ulrike Meinhof traten immer mehr in den Hintergrund.

Gleichwohl bleibt die Frage nach dem rationalisierbaren und rezipierbaren aktuell . Warum?'

auf der Tagesordnung. Nach sieben Jahren terroristischer Aktivität, nach Kenntnissen über einige hundert Täter und Helfer haben sich immerhin einige grundsätzliche Erkenntnisse herausgebildet, die nachdenklich stimmen. Die meisten Terroristen entstammen gutbürgerlichen Verhältnissen, wuchsen ohne materielle Bedrängnisse auf. Bei allen aber sind jedoch in vielfacher Form schwerwiegende persönliche Probleme feststellbar: familiäre, sexuelle und berufliche Disharmonie, Sorgen um sich selbst und Zukunft. Dazu gesellte sich oft die ein . Schlüsselerlebnis“ politischer oder gesellschaftlicher Art, etwa die Empörung über den Vietnamkrieg. Die einzige solide Untersuchung, die vorliegt, nämlich die Arbeit des Psychologen Grossarth-Maticek, die während der ersten Aktionsphase der RAF nach Äußerungen von Anhängern des „Bewaffneten Kampfes“ unter Heidelberger Studenten zusammengestellt wurde, kam deshalb auch zu dem Ergebnis, daß sich bei bundesdeutschen Anarchisten die „revolutionäre Tat“ fast immer auch als ein Akt der persönlichen Befreiung darstellt: „Die Angst kann man nur loswerden,“ lautet ein typisches Zitat, „indem man Angst denen macht, die einem selbst Angst machen.“ Andere meinten, es sei besser, im revolutionären Kampf zu Tode verfolgt zu werden, als im bürgerlichen Alltag in Beklemmung und Lustlosigkeit zu leben. In persönlichen „kaputten Situationen" fällt es also manchen jungen, enttäuschten Menschen leicht zu glauben, allein eine kranke Gesellschaft sei schuld an ihren persönlichen Kümmernissen, nicht aber sie selbst oder ihr eigenes Umfeld.

Die politischen Motive mancher Terroristen scheinen also in vielen Fällen „nachgeschoben" zu sein. Ein junger Mensch, so zitiert Verfassungsschutzpräsident Horchern aus dem „Steppenwolf“ von Hesse, „der zwischen die Zeiten geworfen ist, der keine Religion, keine Bindung, keine Kultur und keine Tradition hat, ist verloren". Irgendwann entsteht dabei im einzelnen ein Gefühl, daß alles „Scheiße ist", ein Gefühl, das manche junge Menschen zu Schlaftabletten, Drogen oder Alkohol, andere aber zu Pistolen und Sprengstoff greifen läßt, um einem sinnlos anmutenden Leben doch noch einen Sinn zu geben.

In der Endphase solcher Entwicklungen entsteht so, was Bundeskanzler Schmidt eine „geistige und charakterliche Deformation“ nennt. Die Bewunderung für einen Che Guevara wird auf Andreas Baader übertragen, die Zerstörung von Leben erhält unter Berufung auf eine andere Weltordnung eine untergeordnete Bedeutung. Der Sturz in ein Abenteuer verbindet sich mit Größenwahn, die Flucht aus dem Alltag Langeweile einer zusammengeflickten der mit Ideologie, die sich aus Teilen des Marxismus, der Logik der historischen Dialektik und bestimmten Elementen des Anarchismus, des Aufbäumens des Individuums gegen jeden Zwang und jede Hierarchie, zusammensetzt. Dazu kommt in jedem Falle die Sehnsucht nach Bindung in einer Gruppe, die Geborgenheit und Sinn vermittelt.

Konservative Politiker begründen die Entstehung und Ausdehnung des Terrorismus in der Bundesrepublik in erster Linie mit der außer-parlamentarischen Opposition (Apo) der sechziger Jahre, in denen es, so meinte auch der inzwischen ermordete Generalbundesanwalt Buback, „schick" war, Gesetzesverstöße einer unruhigen Jugend für verständlich zu erklären. Nachdenkliche Praktiker, wie BKA-Präsident Herold, halten indes auch den bundesdeutschen Terrorismus für eine weltweite Agressionsentladung, für einen Guerillakrieg, einen „Volkskrieg“, der den großen Krieg ersetzt. Welche dieser Thesen und Vermutungen auch immer richtig sein mag, die Diskussion über Gewalt und ihren Sinn hat sich auch innerhalb der Terrorgruppen im Laufe der Jahre gewandelt. Immerhin erklärte Ulrike Meinhof nach der gewaltsamen Befreiung Baaders, bei der ein Institutsangestellter angeschossen wurde, daß »wir natürlich nicht geschossen hätten, wenn wir gewußt hätten, daß der Mann verletzt wird.“ Später freilich schrieb dieselbe Ulrike Meinhof, daß „auf Bullen natürlich geschossen werden darf". Und die dritte Generation bundesdeutscher Terroristen scheint sich ohne Rücksicht auf die anfänglich erhoffte Solidarisierung der Massen mit ihren Gewaltaktionen allein noch auf ein Wort zu berufen, das man Horst Mahler zuschreibt: „Wir bestrafen einen und erziehen Hunderte."

Die Terroristen, die sich beharrlich als Soldaten bezeichnen, als Gegenstaat, der das rechtmäßige Gewaltenmonopol der staatlichen Exekutive in Frage stellt, begründen ihre Mordanschläge stets mit der Bestrafungstheorie. Wer ihren Forderungen nachgibt, wird belohnt, wer sich weigert, wird bestraft. Schon die Namensnennung der Gruppe „ 2. Juni“, die sich auf die Erschießung des Berliner Studenten Benno Ohnesorg bezieht, dokumentiert dieses Bestrafungselement unübersehbar. Mit gleicher Konsequenz wird, wie die Erschießung von Schmücker in Berlin lehrt, jeder „Verräter“ rigoros bestraft.

Freilich sind all diese Erkenntnisse über Hintergründe und Motivationen Stückwerk — Thesen und Rückschlüsse oft punktuelle Informationen, die noch längst keinen festen Boden für die Grundlagenforschung abgeben. Erst jetzt beginnt das Bundesjustizministerium damit, die bisherigen Fälle von Terrorismus auf Ursachen und Zusammenhänge hin zu erforschen. Inwieweit dabei systematisch vorgegangen wird, bleibt abzuwarten.

An Detailkenntnissen fehlt es nicht. Ganz gewiß gab es seit den ersten Bombenanschlägen der Baader-Meinhofs niemals eine Krise des Rechtsstaates, höchstens eine Krise der Rechtspolitik, die erschrocken und allzu eilig immer wieder aktuelle Ereignisse zum Anlaß nahm, um neue Gesetze gegen den Terrorismus zu produzieren und dabei häufig nur mehr Staat, aber kaum mehr Sicherheit schuf. Hingegen darf aber in den Anfangsjahren bundesdeutscher Terroraktivität von einem Ermittlungsnotstand gesprochen werden, denn die Polizei war auf diese Form politischer Kriminalität genauso wenig vorbereitet wie der Verfassungsschutz, der bis in die jüngste Zeit hinein bei seiner Vorfeldarbeit ausschließlich auf die bekannten geheimdienstlichen Muster von Agententätigkeit programmiert war. Das oft masochistisch anmutende Verlangen von Terroristen, verfolgt zu werden, die militante Form der Kriminalität, konspirativ und kaum ausrechenbar vorbereitet und in der Aktion wie ein verdeckter Guerillakampf geführt, stellte die Polizei deshalb vor kaum lösbare Aufgaben.

Inzwischen spricht man von der „dritten Generation“ von Terroristen — eine Erkenntnis, auf die sich auch die Fahnder weitgehend eingestellt haben. Mahler, Baader und Meinhof galten noch als eine feste Gruppe, die meist geschlossen durch die Lande zog, gemeinsam ihre Aktionen plante und auch ausführte. Sie gingen deshalb ein hohes Risiko ein, ganz einfach, weil die Illegalität in einer großen Gruppe die Mobilität behindert und ständige Risiken bedeutet — bei der Beschaffung von Kraftfahrzeugen, Geld, Waffen und Sprengstoff sowie beim Anmieten von Wohnungen.

Nach der Verhaftung des „harten Kerns“ sprachen auch die Experten optimistisch von einer zweiten Phase, in der nur noch kleine versprengte Grüppchen ohne zentralen Kopf als „Feierabendbastler" wirkten. Freilich fiel in diese Zeit auch die intensive Besorgnis, daß Baader, Meinhof und die anderen führenden Terroristen aus den Gefängniszellen heraus neue Aktionen steuerten, wobei einige Anwälte als organisatorisches Bindeglied wirkten. Inzwischen, das weiß man sehr genau, ist aber die Entwicklung weiter fortgeschritten: Neue Anführer haben sich herangebildet; bundesdeutsche Terroristen haben immer mehr und immer engeren Anschluß an die internationale Terroristenszene gefunden und damit auch an Gefährlichkeit gewonnen. Geblieben ist allerdings die Unsicherheit staatlicher Stellen über Struktur und Zusammensetzung der einzelnen Gruppen, die traditionell denkende Ermittler und Politiker lange Zeit fälschlicherweise wohl eher nach dem deutschen Vereinsrecht zu beurteilen schienen: Mit einer bestimmten Hierarchie, mit Vorsitzendem, Vertreter und anderen Funktionären. Tatsächlich aber wird eher das Bild stimmen, das der Präsident des Bundeskriminalamtes, Herold, schon vor Jahren zeichnete: „Sie wandern wie Eisenspäne in einem Magnetfeld."

Immerhin haben staatliche Anstrengungen in der Bekämpfung des Terrorismus nicht nur zu mehr als hundert Urteilen und mehr als 200 Verhaftungen Ein geführt. verfeinertes System der Sammlung von Erkenntnissen, ein neu organisiertes Fahndungsnetz und weitgefächerte Kontrollen haben detaillierte Informationen gebracht, die ziemlich lückenlos zu sein scheinen. Schon in den Jahren der intensiven Suche nach Baader und Meinhof und den übrigen Mitgliedern des „harten Kerns“ wurde das Prinzip der „Zielfahndung" entwickelt. Dabei fahnden vier besonders ausgewählte Kriminalbeamte mit allen Vollmachten und allen Kenntnissen über Gewohnheiten, Freunde und Örtlichkeiten allein nach einer Person. Daneben gibt es auch die sogenannte „beobachtende Fahndung", bei der ein größerer Personenkreis von Zeit zu Zeit überprüft wird. Diese Art der Fahndung gewährleistet, daß Grenzübertritte dieser Personen und Verbindungen verdächtiger Personen untereinander bekannt werden. So stapeln sich im Laufe der Jahre bei den Terroristenfahndern, vor allem im Bundeskriminalamt, Hinweise und Erkenntnisse von bemerkenswerter Quantität. Es ist daher gewiß kein Zufall, daß nach allen Terroranschlägen in den vergangenen Jahren niemals „Unbek*annte als Täter ermittelt wurden: Ob Hans-Joachim Klein beim OPEC-Überfall in Wien, ob Wilfried Böse bei der Entführung des Flug-zeugs nach Entebbe, ob Sonnenberg, Folkerts und Klas als mutmaßliche Buback-Mörder —• stets waren diese Täter vorher in den Erkenntnissen der Fahnder als „vorprogrammiert" bekannt, freilich im Sinne eines Verdachts, der nicht gerichtsverwertbar erschien.

Diese Entwicklung kann kaum überraschen. Denn sowenig eine Frau spontan beschließt, der Prostitution nachgehen zu wollen, sowenig gibt es auch die Bereitschaft zum Terrorismus aus dem Augenblick heraus. Auch terroristischen Aktivitäten geht beim einzelnen eine längere Entwicklung voraus. So fallen viele jener jungen Leute, die im Laufe der Zeit als Bombenleger oder Attentäter ermittelt werden, vorher bereits als Hausbesetzer, als aktive Figuren in der Roten Hilfe oder im Gefangenen-rat auf. Und so lassen sich auch die Zahlen erklären, die oft ohne fachliche Erläuterung in der bundesdeutschen Öffentlichkeit herumvagabundieren. 30 Terroristen, heißt es etwa, werden noch per Haftbefehl gesucht. Das ist förmlich in Ordnung, doch zählen zu diesen 30 ein Dutzend aktiver Helfer, über die es schon seit Jahren keinerlei neue Erkenntnisse mehr gibt. Ähnlich verhält es sich mit den Meldungen, daß die Fahnder 300 Terroristen im Bundesgebiet diese Zahl vermuten. ist eine Schätzung der Experten über Leute, denen aktive Verbindungen zu bekannten Terroristen unterstellt werden müssen und deshalb auch ernstliche Befürchtungen gerechtfertigt sind. Die Zahlen über Helfer und Sympathisanten schwanken ohnedies. Hierbei handelt es sich überwiegend um Leute, deren Sympathien für den Terrorismus und damit ihr Haß auf die bestehende Gesellschaftsordnung bekannt sind: Sie erscheinen also für die Ermittler prädestiniert, irgendwann auch in einen gefährlichen Aktionismus umzukippen.

An Erkenntnissen über die Terrorszene in der Bundesrepublik fehlt es also längst nicht mehr, allerdings vielfach an praktischen Schlußfolgerungen, die so manchen Terrorfahnder schon zu der resignierenden Feststellung veranlaßten, daß Politik und Gesellschaft nicht in der Lage sind, über den Tag hinaus langfristige Konzeptionen zu entwickeln. Dabei haben vor allem die Praktiker der Terrorismusbekämpfung in den vergangenen Jahren stapel-weise Vorschläge auf den Tisch gelegt, aber nur spärliche Verbesserungen in dem Wirr-war von Interessen und Kompetenzen erreichen können. Auch nach der Ermordung von Generalbundesanwalt Buback hat sich zunächst an diesem Zustand nicht allzuviel verändert. Zuständig für die Aufklärung dieses Falles ist das Bundeskriminalamt, das vom Bundesinnenminister beauftragt wurde. Zuständig ist aber auch die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe als oberste Anklagebehörde, und zuständig fühlt sich wohl auch das Innenministerium von Baden-Württemberg, weil in seinem Bereich der Mordanschlag geschah. Nach der Verhaftung der beiden Terroristen Sonnenberg und Verena Becker gab dann auch nicht zufällig der Innenminister des Landes Baden-Württemberg, Karl Schieß, Details des blutigen Ereignisses in Singen bekannt. Zur gleichen Stunde führten in Wiesbaden Beamte des Bundeskriminalamtes die in Singen sichergestellten Beweisstücke vor. Einige Tage später bewies die Festnahme zweier weiterer Verdächtiger erneut den Anspruch der beteiligten Behörden: Innerhalb weniger Stunden wurde die Festnahme sowohl vom Stuttgarter Innenministerium, vom Bundesjustizminister und schließlich von der Bundesanwaltschaft bekanntgegeben. Solche Erfahrungen sind allerdings den Terroristenfahndern nicht unbekannt. Als nach dem Karlsruher Attentat BKA-Präsident Herold dem Innen-und Rechtsausschuß des Deutschen Bundestags über Tatplanung und Tathergang berichtete und dabei auch die jüngsten Erkenntnisse über die bundesdeutsche Terror-szene erläuterte, planten er und sein Dienstherr, Bundesminister Maihofer, diese wichtige Sachaufklärung anschließend auch der Bundes-pressekonferenz zu geben. Die Karlsruher Bundesanwaltschaft aber, eine Minibehörde mit nur 14 Bundesanwälten, denen häufig schon aus Zeitgründen die Kenntnis der aktuellen Details fehlt, untersagte diese öffentliche Information, weil sie angeblich die Ermittlungen stören könne. Die Bonner Journalisten und damit die Öffentlichkeit bezogen deshalb an diesem Tage ihre Informationen von einigen mitteilungsfreudigen Parlamentariern, die aus zweiter Hand den Herold-Bericht Weitergaben. Ein anderes Beispiel: Nach der überraschenden Festnahme von Rechtsanwalt Haag im Januar 1977 stritten sich die Experten von Polizei und Bundesanwaltschaft in Bonn solange um den Text einer Fahndungsmeldung, daß sie den Redaktionsschluß aller Wochenendausgaben verpaßten und daher zu mitternächtlicher Stunde nur noch die Zuschauer der letzten Fernsehnachrichten davon Kenntnis bekamen. Bevor freilich der Generalbundesanwalt die Alleinzuständigkeit für die Verfolgung terroristischer Taten erhielt, war der Kompetenzwirrwarr zwischen juristischen und polizeilichen Dienststellen noch größer. Selbst wenn der Bundesinnenminister dem Bundeskriminalamt in einem bestimmten Fall die Ermittlungen übertrug, so daß alle Welt annahm, damit sei der höchste Grad von Zentralisierung erreicht, hatten es die Wiesbadener Fahnder mit Dutzenden von Staatsanwaltschaften zu tun, weil die Terroristen im ganzen Bundesgebiet tätig gewesen waren.

Aber gerade eine gezielte und sachliche Öffentlichkeitsarbeit, meinen die Experten, eine emotionsfreie Aufklärung der Bürger, ist für den Erfolg im Kampf um den Terrorismus unerläßlich. Nur eine solche Aufklärung, das zeigen viele Beispiele, gibt den Fahndern die Chance auf aktive Mithilfe der Bevölkerung und erzeugt zugleich einen wichtigen psychologischen Drude auf die Terroristen, verunsichert sie, läßt sie verhängnisvolle Fehler machen. Denn unabhängig davon, wie im einzelnen die Auswirkung einer langen und besonderen Form der Untersuchungshaft auf Baader und die anderen bewertet werden mag: Baader und die übrigen Mitglieder des harten Kerns der ersten Terroristengeneration waren nach zweijähriger intensiver Fahndung körperlich und psychisch am Ende, weil auch robuste Naturen eine solche Belastung, eine ständig geforderte Wachheit nicht ohne Erschöpfung überstehen.

Es ist bestimmt kein Zufall, sondern allein erklärbar durch den harten, psychologischen Druck, daß dem mutmaßlichen Buback-Mörder Sonnenberg und seiner Begleiterin Verena Becker in Singen mehrere schwere Fehler unterliefen, bis beide im wortwörtlichen Sinne in einer Sackgasse landeten.

Die zuständigen staatlichen Stellen, und es gibt viele davon, taten sich allerdings schon immer schwer mit öffentlicher Aufklärung.

Jede öffentliche Information, so lautete die entschuldigende Devise, bedeutet zugleich ein Offenlegen von Erkenntnissen. Dazu kamen häufig juristische Bedenken. Als nach dem Drenckmann-Mord in Berlin Bundesinnenminister Maihofer die Dokumentation der Öffentlichkeit übergeben wollte, in der am Beispiel vieler Kassiber die konspirative Hilfe einiger Verteidiger aufgezeigt werden sollte, erhob Bundesjustizminister Vogel Bedenken, weil diese Kassiber und Zellenzirkulare wichtige Beweismittel in den Ermittlungsverfahren gegen diese Anwälte darstellten.

Inzwischen haben Bund und Länder in der Einsicht, daß eine weitschauende Öffentlichkeitsarbeit für die Bekämpfung des Terrorismus unerläßlich ist, eine besondere Kommission gebildet und ihr den Auftrag erteilt, diese Information konzentriert zu vermitteln. Als Ergebnis dieser zusätzlichen Anstrengung ist allerdings nur bekannt, daß diese Gruppe einen Sprecher erkor, nämlich Ministerialdirigent Stümper vom Stuttgarter Innenministerium, der sich nun aus aktuellem Anlaß jedenfalls häufig zu Wort meldet — neben all den anderen, häufig nicht koordinierten Berichten anderer beteiligter Behörden. Aber es ist nicht nur eine verworrene Informationspolitik, die den Kampf gegen den Terrorismus oder zumindest seine Intensivierung behindert, der polizeiliche Alltag und die Vielfalt ungeklärter Kompetenzen beeinträchtigen diesen Kampf oft ebenso stark. Im Mittelpunkt all dieser Schwierigkeiten steht die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern; die Möglichkeiten des Bundes sind gering, weil die Polizei nun einmal in erster Linie Ländersache ist. Bund und Länder haben deshalb seit Beginn der Baader-Meinhof-Aktivitäten immer wieder, vor allem auf den ständigen Konferenzen der Innenminister, um die Aufgabenverteilung gerangelt, mit vielen verbindlichen Worten zumeist, doch mit eher mageren Ergebnissen. Dabei waren die traditionellen Mißverständnisse offenbar nicht zu überwinden: Während die Bundesländer vom chroni-sehen Verdacht geplagt werden, der Bund strebe auch hier einen Einbruch in ihre sorgfältig gehütete föderative Kompetenz an, beteuerte der Bund, ihm ginge es nur um klare Regelungen und um nichts anderes.

Erst im Jahre 1969 wurde durch eine Gesetzesnovelle der Aufgabenbereich des Bundeskriminalamtes erweitert und ihm eine zentrale Steuerungsaufgabe zugewiesen. Wörtlich heißt es: „Das Bundeskanzleramt kann zur Unterstützung der Länder eigene Experten an den Tatort schicken." Vor allem im Hinblick auf die kurz danach einsetzende Bekämpfung des Terrorismus erwies sich dies als ein wichtiger Schritt nach vorn. Bei der Auffindung einer konspirativen Wohnung etwa hatten nämlich zuvor die Wiesbadener häufig die Erfahrung machen müssen, daß die problemunkundigen Beamten vor Ort wichtige Indizen übersahen oder — eine aufwendige Alternative — kurzerhand alle Gegenstände und Funde auf einen Lastwagen luden und ins Bundeskriminalamt nach Wiesbaden schickten, wo nun eine zeitraubende Arbeit des Registrierens und Sortierens begann.

Erst auf dem Höhepunkt der Baader-Meinhof-

Aktivitäten wurde bestimmt, daß das BKA bei „politisch motivierten Straftaten gegen Verfassungsorgane selbständig ermitteln kann, wenn dies der Bundesminister des Innern aus schwerwiegenden Gründen anordnet". Das Problem der Vielfalt von juristischen Zustän. digkeiten blieb damals freilich ungelöst. Dieses Prinzip eines zögernden Wenn und Aber erlebte 1972 für kurze Zeit eine neue Variante.

Unter dem schockierenden Eindruck einer lange Zeit ergebnislosen Fahndung nach den Baader-Meinhof-Terroristen erhielt das Bundeskriminalamt nun eine direkte Weisungsbefugnis über die örtlichen Sonderkommissionen der Polizei. Doch wurde nach dem Erfolg diese umstrittene Erlaubnis sofort wieder revidiert. Im gequollenen Juristendeutsch hieß es nun wieder: „Das BKA bittet über den Bundesminister die Innenminister der Länder um Durchführung der nach vorangegangener Beratung und gegenseitiger Abstimmung festgelegten Maßnahmen." Für operative Einsätze der Wiesbadener Beamten blieb also wiederum nur der lange Draht.

Erst im April 1975, wenige Wochen nach der Entführung von Peter Lorenz, rangen sich die Innenminister der Länder nach langen quälenden Debatten zu einer Lösung durch, die der Bonner Chef des Innenressorts, Werner Maihofer, zufrieden als Erfolg eines kooperativen Föderalismus“ kommentierte. Nun endlich erhielt das BKA die Aufgabe, alle Informationen über Terrorismus zentral zu sammeln und zu speichern, und die Bundesländer unterwarfen sich, wie es hieß, einer Selbstbindung.

Im Beschluß vom 11. April wurde vereinbart, „die Bundesländer verpflichteten sich, daß Ersuche, Hinweise und Empfehlungen des Bundeskriminalamtes von ihren Polizeistellen durchgeführt werden". Doch auch diese kluge Formel erwies sich unter dem Druck des All-I tags häufig als lückenhaft. Die Skepsis blieb.

So schlug Bundesinnenminister Maihofer Anfang 1977 nur eisige Ablehnung entgegen, als er nach mehreren spektakulären Fällen von Geiselnahme die Aufstellung von Spezialgruppen beim Bundeskriminalamt empfahl. Die bisherige Orgnisationsform der Polizei, befanden fast alle Innenminister, habe sich bewährt. Daß die Praxis nach wie vor Mängel zeigte, daß es nach wie vor mühselig war, das Bündel von Erkenntnissen und Informationen des BKA in rasches und sinnvolles Handeln umzusetzen, blieb unerörtert — dies, obgleich schon Ende 1974 das Bundeskriminalamt über 10 000 Blatt Unterlagen, Dokumente und mehr als 700 Gerichtsblätter verfügte und letztere über einen großen Verteiler bundesweit verschickte. Die meisten Bundesländer konzentrierten ihre Aufmerksamkeit in der Vergangenheit vornehmlich auf eigene Initiativen. So gab es auch folgerichtig häufig erheblichen Ärger, etwa, als der damalige Mainzer Innenminister Schwarz kurz vor einer bundesweit geplanten Fahndungsaktion im Alleingang eine höchst eigenwillige Dokumentation über den Terrorismus herausbrachte, in der es beispielsweise hieß, „Ziel der Anarchisten ist die sozialistische Gesellschaft“. Nach Ansicht der Bonner Experten handelte es sich bei dieser Dokumentation um einen „Fleckerlnteppidi“, der aus alten und überholten Unterlagen zusammengestückelt war. Mehr sinnlose Konkurrenz als sinnvolles Miteinander bescherte auch die Einrichtung von polizeilichen Spezialeinheiten. So schufen sich die Bundesländer nach und nach mobile Einsatzkommandos, während Bonn die Spezial-truppe GSG 9 ausbildete, die noch nicht ein-B gesetzt werden konnte, weil sie von den Ländern bisher in keinem Fall angefordert wurde. Ein namhafter Experte spottet denn auch über diese im Westerwald stationierte Elitetruppe: . Mit der GSG 9 ist es wie mit der Armee von Formosa. Sie trainieren seit vielen Jahren für den Ernstfall, werden immer älter und kommen nie zum Zuge. Ein Teufel in der Flasche ..

Auch die technische Kapazität des BKA wird von den Bundesländern nur zögernd genutzt. So haben sich zwar auch die Länder längst Computer zur Speicherung wichtiger Kriminalitätsdaten angeschafft, doch wählten viele von ihnen andere Systeme als das Bundeskriminalamt, so daß ein nahtloser Informationsverbund nicht erreicht werden konnte.

Intern konzentriert sich daher auch das Interesse vieler Experten auf eine Änderung des Gesetzes über das Bundeskriminalamt. Dort steht nämlich noch immer geschrieben, daß das BKA in bestimmten Fällen die zuständigen oder die obersten Landesbehörden zu unterrichten hat, wobei offenbleibt, welche Behörden damit gemeint sind. Elf verschiedene Polizeigesetze schaffen zusätzlich einen Zustand, der etwa die Beamten des Bundesgrenzschutzes dazu nötigt, bei ihren Einsätzen mit einem Bündel von Vorschriften unter dem Arm loszufahren — Verwirrung überall.

Im BKA-Gesetz befindet sich ferner der lapidare Satz, daß das Bundeskriminalamt »eine Kriminaltechnik einzurichten“ hat; ungesagt bleibt jedoch, für was und für wen diese Technik arbeiten soll. So kann passieren, daß die Länder mit Millionenkosten die Anschaffung eines eigenen Elektronenmikroskopes planen, obwohl ein solches Gerät in Wiesbaden steht. Es ist vorgekommen, daß Landesbehörden an die empfindliche Kriminaltechnik nach -Wies baden einen toten Hund schichten mit der Bitte, die Todesursache festzustellen. Auch 20 Schriftproben von einer Schulklasse trafen dort schon ein, damit das BKA prüfe, welche Schülerin ihre Lehrerin eine „Zimtzicke“ nannte.

Ein anderes Stichwort, das die Praktiker der Terroristenfahndung seit Beginn ihrer schweren Aufgabe immer wieder nennen, lautet „Logstik" Sie sagen, wenn es durch geeignete Maßnahmen gelingt, die Logistik der Terroristen, also die Beschaffung von Wohnungen, Waffen, Autos, Geld und Dokumenten, entscheidend zu stören, wird der Kampf gegen Terrorismus effektiver. Allein im Jahr 1976 wurden 635 Diebstahlfälle von amtlichen Dokumenten und amtlichen Siegeln gemeldet. Mehr als 15 000 Blanko-Personalausweise und 700 000 Blanko-Pässe sind zur Fahndung ausgeschrieben, mehr als 71 000 Ausweise und Pässe wurden als gestohlen gemeldet. Doch die Bemühungen der Länder-Innenminister, die kommunalen Behörden zum sorgfältigeren Umgang mit Pässen und Dokumenten anzuhalten, erwiesen sich als vergeblich. Es gibt einige Bürgermeistereien und Landratsämter, in denen schon mehrmals eingebrochen wurde, ohne daß Konsequenzen gezogen wurden.

Als unüberwindbar stark erwies sich die Lobby auch bei Banken und Geldinstituten. BKA-Präsident Herold hat errechnet, daß Terroristen und ihre Helfer bisher 8 Millionen DM bei Banküberfällen erbeutet haben. Schon 1971 beriefen deshalb der damalige Bundesinnenminister Genscher und sein Hamburger Kollege Ruhnau eine Arbeitsgruppe zur besseren Bekämpfung von Banküberfällen ins Leben. Der einfache Vorschlag der Polizei-Experten, durch Änderung der Unfallvorschriften eine bessere Bankensicherung zu erreichen, indem die Berufsgenossenschaften künftig nur noch den Schaden ersetzen, wenn die Geldinstitute bestimmte Sicherungseinrichtungen vorweisen können, hatte in der weitgefaßten Runde keine Chance. Immerhin einigte man sich in der Gruppe darauf, daß Banken und Sparkassen künftig durch Film-und Fernsehkameras überwacht werden sollen. Im Abschlußbericht heißt es dazu: „Eine optische Raumüberwachung ist als taugliches Mittel zur Verbesserung des Bankenschutzes und der Aufklärung bei Banküberfällen anzusehen. Die Spitzenverbände der ihren Kreditwirtschaft erklären sich bereit, Mitgliedern die Installation solcher Anlagen nahezulegen“. Geschehen ist freilich seit damals wenig oder nichts. Und auch über die von den Experten geforderte Einführung fälschungssicherer Autokennzeichen wurde bislang nur geredet. 2 500 Kraftfahrzeuge, so schätzt man, stehen direkt oder indirekt den Terroristen und ihren Helfern zur Verfügung, und dies hauptsächlich dank der „Dubletten" -Methode. Die Terroristen beschaffen sich in solchen Fällen das Doppel eines Fahrzeugs und statten es mit den Dokumenten für seinen tatsächlichen Besitzer aus — mit dem Ergebnis, daß nun zwei gleiche Wagen mit gleichen Papieren unerkannt durch die Lande fahren und jede polizeiliche Routinekontrolle anstandslos passieren.

Politiker Die Praktiker, auf die sich aller Gruppierungen seit dem Mord an Generalbundesanwalt Buback berufen, sind angesichts dieser Erfahrungen eher skeptisch. Obwohl zum Beispiel jene Bankenkommission auch empfahl, „die nach Landesrecht bestehende Möglichkeit zu beseitigen, unbeschränkt mit einem Jagdschein Faustfeuerwaffen erwerben zu können", obwohl sich die Notwendigkeit fälschungssicherer Ausweise aufdrängt und obwohl schließlich allein die Beamten des Bundeskriminalamtes 100 000 Überstunden bei der Terroristenbekämpfung leisteten, ohne daß sich das amtliche Bonn zu einem Ausgleich bereitfinden konnte, bewegt sich wie schon in früheren Jahren die Diskussion eher in vordergründigen rechtspolitischen, in eher emotionalen Bereichen. Eine Fülle von Gesetzesänderungen, Begrenzung der Verteidigung etwa, Überwachung des schriftlichen Verkehrs zwischen der Verteidigung und Mandaten und verschiedene andere Korrekturen, haben deshalb immer mehr Kritiker zu der düsteren Schlußfolgerung veranlaßt, daß die Baader-Meinhof-Bande, solange sie in Freiheit war, außer ihren kriminellen Taten nichts bewirkte, nun aber als Häftlinge auf subtile Weise unser Rechtsgefüge verunsichert. Viele dieser Kritiker befürchten deshalb auch, wenn die Tendenz in dieser Richtung anhält, daß ein verunsicherter Staat den Terroristen gewissermaßen die zu Beginn ihres Handelns nicht existenten Begründungen nachreicht, indem er sich mehr und mehr als ein „System der Unterdrückung" darstellt.

Gewiß, Ansätze zu besseren Einsichten sind durchaus spürbar, auch im Bereich der Justiz. Noch vor Beginn des Stammheimer Verfahrens, dem dreijährige mühsame Vorarbeiten vorangingen, lehnte Bundesjustizminister Vogel eine Beschränkung der Anklage auf einige gravierende Vorwürfe ab. Begründung: Man könne nicht nur zwei oder drei Morde anklagen, die anderen aber ungesühnt lassen; das würden die Angehörigen der Opfer nicht verstehen. Inzwischen befürworten Politiker aller Fraktionen zur Beschleunigung der Gerichtsverfahren eine Beschränkung auf die schwerwiegenderen Anklagen. Inwieweit sich solche Überlegungen auch In praktische Ergebnisse umsetzen lassen, bleibt abzuwarten.

Wenig Optimismus vermögen die bisherigen Kampf Bemühungen zu erzeugen, den gegen den Terrorismus international zu koordinieren. Zwar gaben Vereinbarungen und Absprachen mit Großbritannien, Frankreich und Holland Anlaß zu schüchternen Hoffnungen, doch lehrte auch hier die Praxis, daß im konkreten Fall nationale Interessen und Eigenwilligkeiten alle guten Absichten torpedieren. So schoben etwa die französischen Behörden den späteren Entebbe-Entführer Wilfried Böse, als sie ihn in Paris in der Wohnung eines Carlos-Freundes mit einem falschen Paß erwischten, ohne Verständigung ihrer deutschen Kollegen kurzerhand über die Grenze ab, wo Böse dann von einem ahnungslosen Richter in Saarbrük ken auf freien Fuß gesetzt wurde. So konnten deutsche Experten beim OPEC-Überfall in Wien vom verletzten deutschen Mittäter Hans-Joachim Klein gewissermaßen nur unter der Bettdecke die aufklärenden Fingerabdrücke entnehmen. So weigerten sich anschließend die Algerier, obwohl Interpol angeschlossen, nähere Erkenntnisse über die Wiener Attentäter zu übermitteln. Auch als sichere Hinweise vorlagen, daß der berüchtigte internationale Terrorist Carlos in Begleitung Kleins später unter sehr merkwürdigen Umständen in Belgrad auftauchte, reagierten die Jugoslawen alles andere als kooperativ.

Der bundesdeutsche Kampf gegen das Phänomen Terrorismus steckt also trotz aller Erfolge noch in den Anfängen. Er wird aber nur dann sicher zum Ziel führen, wenn die Politiker mehr als bisher der Gefahr widerstehen, emotional und vordergründig zu reagieren, weil der Blick auf das, was das Publikum wünscht, eben nicht immer zu den besten Resultaten verhilft. Im Vordergrund aller Überlegungen müssen deshalb eine verstärkte Koordinierung polizeilicher Arbeit, Verzicht auf Eigenbrötelei und die Durchsetzung längst erkannter praktischer Notwendigkeiten stehen. Nur solche Maßnahmen bringen mehr Sicherheit, ohne allzu sorglos in weitere Bürgerrechte einzugreifen. Tröstlich stimmt dabei allein die Beob achtung, daß sich allmählich auch beim Gesetzgeber die Einsicht durchsetzt, daß nur eine hohe Aufklärungsquote tatsächlich weitere Täter abschrecken kann. Wichtigste Vorausset zung aber für eine erfolgreiche Bekämpfung des Terrorismus ist die Bereitschaft aller Beteiligten, intensiver als bisher die Frage zu erforschen, warum junge Leute morden oder Bomben werfen. Jetzt haben auch die Experten nur das Ende des langen Fadens in ihren Hän-den, der zur Kernfrage zurückführen muß, die der Hamburger Verfassungsschutzpräsident Horchern formulierte: „Ohne Erkenntnisse über die Grundlagen und Motive der Terroristen ist eine Bewertung und damit eine Bekämpfung des Terrorismus nicht möglich.“

Fussnoten

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Karl-Heinz Krumm, geb. 1930, gehörte als junger Journalist der Norddeutschen Zeitung in Schwerin zu der innerhalb der sowjetzonalen LDP von Arno Esch und dem späteren Generalsekretär der FDP, Karl Hermann Flach, gegründeten sozialliberalen Gruppe; er Wurde 1949 von der sowjetischen Geheimpolizei verhaftet und zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt; nach der Rückkehr aus Workuta arbeitete Krumm zunächst bei einer Lokalzeitung in Nordhessen; seit 1962 ist er, zunächst als Gerichtsreporter, dann als politischer Reporter Redaktionsmitglied der Frankfurter Rundschau; für Arbeiten über das politische Strafrecht (1964) und eine Reportage über den deutsch-deutschen Grenzverkehr (1974) erhielt er den Theodor-Wolf-Preis.