Arbeitsbedingungen der Korrespondenten
In der Diskussion über den „Dritten Korb" — egal, wo sie stattfindet, in der Öffentlichkeit oder in einem internen Gespräch — ruft das Problem der Arbeitsbedingungen ständiger Ausländskorrespondenten oder Sonder-korrespondenten sicherlich viele Emotionen und auch polemisches Engagement hervor.
Die Anhänger der bürgerlichen Demokratie setzen sich gewöhnlich bei einer solchen Diskussion bequem auf einen sehr hohen Stuhl, überzeugt davon, daß sie nur lauter Trümpfe in der Hand haben. Ihre Meinung: Auf der einen Seite der ideologischen Barriere völlige Pressefreiheit und großzügiger Zugang zu allen Informationen, auf der anderen Seite fast überall vorgeschobene Riegel vor den Türen zur Information. Haben ausländische Korrespondenten tatsächlich triftige Gründe, sich über den Mangel an Gastfreundschaft in den sozialistischen Staaten zu beklagen? Gibt es wirklich So große Unterschiede in den Arbeitsbedingungen der Korrespondenten zwischen den politischen Systemen?
Man könnte an nicht sehr weit zurückliegende Zeiten erinnern, wo die Ankunft eines neuen bundesdeutschen Korrespondenten in Warschau oder eines Warschauer Journalisten in Bonn schon zu einem Ereignis wurde. Heute interessiert es nur die Fachkollegen. Die Veränderungen, die in bezug auf Visa-beschaffung, Akkreditierung und angemessene Arbeitsbedingungen der Korrespondenten bis heute stattgefunden haben, sind von einer so wesentlichen Art, daß es ein Anachronismus wäre, weiterhin ein Problem aus dieser Sache zu machen.
Fangen wir mit unseren Betrachtungen an bei dem größten Zentrum ausländischer Korrespondenten im sozialistischen Europa, nämlich bei der Sowjetunion. In Moskau sind ständig über 250 Ausländskorrespondenten aus 46 Ländern akkreditiert, die 180 Nachrichtenagenturen, Rundfunk und Fernsehen wie auch Zeitungen vertreten. Wie der Leiter der Presseabteilung des Außenministeriums der Sowjetunion, W. Sofinskij, in einem Interview für „Literaturnaja Gazieta" bekanntgab, veranstaltete man 1976 über 80 Pressekonferenzen und andere Treffen mit Journalisten.
Außerdem organisierte die Presseabteilung allein 1975 über 30 Gruppenreisen. Korrespondenten weilten in den Regionen Krasnojarsk, Primorje, Chabarowsk, in den Gebieten Murmansk, Irkutsk und anderen. Sie benutzten bei ihren Reisen Eisenbahn, Hubschrauber und Flugzeuge, Geländewagen, Eisbrecher. Es muß ferner gesagt werden, daß die Journalisten außer Gruppenreisen auch zahlreiche individuelle Fahrten durch die Sowjetunion unternahmen. So gab es im Jahre 1975 über 400 solche Fahrten. Leider fand man in den westdeutschen Massenmedien nur sehr, sehr selten eine Spur von diesen Pressekonferenzen und Gruppenfahrten.
Nach der Konferenz von Helsinki führte man in der Sowjetunion eine Reihe weiterer Erleichterungen für ausländische Korrespondenten ein: Die dort akkreditierten Journalisten und deren Familienangehörige erhielten Mehrfach-Visa. Außerdem wurden die Journalisten in bezug auf die Bewegungsmöglichkeiten in der Sowjetunion dem Diplomatischen Korps gleichgestellt. Das Fernsehen, bisher bei den Dreharbeiten auf Hilfe des sowjetischen technischen Personals angewiesen, kann jetzt eigenes Personal engagieren. Manches Fernsehteam brennt jedoch gar nicht darauf, weil eigenes Personal zwar die Arbeit erleichtert, gleichzeitig aber eine finanzielle Belastung bedeutet. Die bisherige Pflicht, jede Auslandsreise des Korrespondenten ein paar Tage vor Reisebeginn der Presseabteilung des AA zu melden, wurde in der UdSSR abgeschafft. Außerdem können Korrespondenten unmittelbar Kontakt mit dem sie interessierenden Ministerium oder einer anderen Behörde anknüpfen, ohne, wie früher gezwungen zu sein, sich des Außenamtes als Vermittler zu bedienen. Wie dpa am 20. Juli 1976 meldete, sehen westliche Korrespondenten in diesen Entscheidungen einen weiteren praktischen Schritt der sowjetischen Behörden zur Arbeitserleichterung für die ausländischen Journalisten.
Der Moskauer Korrespondent des „Spiegel" drückte sich in der sowjetischen Zeitschrift „Der Journalist" Nr. 7/75 positiv über seine Arbeitsbedingungen aus. Er stellte unter anderem fest, daß „die Presseabteilung des AA den Journalisten hilfsbereit gegenübersteht. Sie veranstaltet spezielle Studienreisen, Film-vorführungen, Pressekonferenzen." Auf die Frage, ob alle Möglichkeiten ausgeschöpft wurden, antwortete er: „Ich meine, nein. Wir hätten gern eine Vereinfachung des Verfahrens bei Interviews mit wichtigen sowjetischen Persönlichkeiten und freiere Bewegungsmöglichkeiten gesehen." Mittlerweile wurden diese Wünsche größtenteils erfüllt.
Die tatsächlichen Reisebedürfnisse der Journalisten, die Sowjetunion umfassend kennenzulernen, stehen außerdem im umgekehrten Verhältnis zu dem vorgegebenen Interesse. Selten hat ein Korrespondent Zeit und Möglichkeit, sich für mehrere Tage von den Ereignissen in der Hauptstadt zu lösen. Solche Reisen sind mit erheblichen Kosten verbunden. Indem die Presseabteilung des AA diese Exkursionen aus eigenen Mitteln bezahlt, gibt sie den Korrespondenten eine Chance, für die manche ausländische Redaktion niemals eigene Mittel finden würde. Der Verein der Ausländischen Presse in der Bundesrepublik Deutschland bot uns 1976 insgesamt acht Ausflugsmöglichkeiten außerhalb Bonns an, die jedoch alle auf zwei Tage und nur auf 30 bis 40 Kollegen begrenzt waren. Bei 280 Mitgliedern des Vereins ist das keine imponierende Zahl. Der Verein der Ausländischen Journalisten in Paris veranstaltet noch weniger Fahrten dieser Art: lediglich zwei bis drei jährlich.
Es ist bedauerlich, daß die durch die sozialistischen Staaten viel öfter als im Westen vermittelten Reisen einen so geringen Widerhall in den westlichen Massenmedien finden. In der westdeutschen Presse, deren überwiegende Mehrheit weiterhin das Thema des Mangels an Fortschritten auf dem Wege der Konferenz von Helsinki bevorzugt, erschienen fast keine Notizen über all die oben erwähnten Erleichterungen für Journalisten. Als die Sowjetunion und die USA eine bilaterale Vereinbarung über eine Reihe Erleichterungen für die Korrespondenten beschlossen haben, fanden nur wenige überregionale westdeutsche Zeitungen diese Information erwähnenswert (29. Februar 1975), von der lokalen Presse ganz zu schweigen.
In der Tschechoslowakei sind über 100 ausländische Journalisten akkreditiert. Jährlich veranstaltet man für sie ungefähr 80 Presse-konferenzen,was — zählt man die Urlaubs-monate und Feiertage ab — durchschnittlich zwei Konferenzen pro Woche bedeutet. Die tschechoslowakischen Behörden organisieren für die Journalisten ungefähr 800 Individualreisen pro Jahr. Jeder Korrespondent kann sich im Lande frei bewegen und von einem Mehrfachvisum Gebrauch machen. Jährlich besuchen die CSSR etwa 4 000 Journalisten, davon 250 bis 300 aus kapitalistischen Ländern. Außerdem kommen Hunderte westliche Journalisten auch als Touristen.
Polen empfängt jährlich ca. 1 500 ausländische Journalisten. Für die akkreditierten Korrespondenten veranstaltet man pro Jahr IOC Pressekonferenzen und andere Treffen. Durchschnittlich einmal pro Monat werden kostenlose Reisen durch das Land organisiert. 1974 besuchten Polen 300 Journalisten aus dei Bundesrepublik Deutschland. Im Jahre 197! waren es fast 400. Wenn es nicht mehr gewe sen sind, dann deshalb, weil sie dafür kein In teresse zeigten. Man müßte sein Gedächtnii wirklich anstrengen, um sich der Zurückwei sung eines Visumantrages zu erinnern. Nach Angaben der DDR haben 1976 übe 4 500 Journalisten aus 65 Ländern die Repu blik besucht, davon 1 800 Journalisten aus ka pitalistischen Staaten. Unter ihnen waren 68 aus der Bundesrepublik und West-Berlin, un abhängig von den ständigen Korrespondentei der Bundesrepublik. Uber dieses fast unglaub liehe Ausmaß der Journalisteninvasion kam man leider nur etwas aus den Kommunique von ADN erfahren. Von den 3Ö westdeutsche’ Redaktionen, die eine Zustimmung der DDR Behörden erhalten haben, ihre Vertreter i Berlin zu akkreditieren, nahmen nur 16 dies Möglichkeit wahr. Die Hälfte nützte dies Gelegenheit nicht aus, obwohl man sich voi her mit großem Nachdruck darum bemüh hatte. Noch vor ein paar Jahren hatte kein westdeutsche Zeitung ein Korrespondenter büro in der DDR, aber nur deshalb, weil ma die DDR boykottierte und sich dort nid akkreditieren wollte.
Andere westliche Publikationen haben eber falls jederzeit die Möglichkeit, ihre ständige Vertreter zu entsenden. Diese Gelegenhe nehmen sie aber selten wahr. Man versuch dies unter anderem mit den angeblich ei staunlich hohen Aufenthaltskosten zu en schuldigen. Es wird dabei übersehen, daß Vie le Redaktionen sich desselben Korrespondei ten auch für West-Berlin bedienen und ddurch sich di Unterhaltung eines zweiten Büros in West-Berlin ersparen können.
Als ein weiteres Beispiel von Verständnis für die journalistische Arbeit in der DDR kann die Tatsache dienen, daß über 700 amerika-
Journalisten die DDR besucht haben, nische ehe das State Departement endlich 1973 den ersten DDR-Journalisten aus Anlaß des Angela-Davis-Prozesses eine Genehmigung zur Einreise in die USA gab. Ähnlich wie in der Sowjetunion führte man auch in der DDR 1976 weitere Erleichterungen ein: etwa das Recht, sich unmittelbar an verschiedene Ministerien, ohne Vermittlung der Presseabteilung des AA, zu wenden, sowie die Vereinfachung der Formalitäten für das überschreiten der Grenze nach West-Berlin, die Familienangehörigen inbegriffen. Ohne längeren Zeitaufschub erledigt man auch Anträge für journalistische Dienstreisen innerhalb der DDR.
Die Konsulate der sozialistischen Länder erledigen die Visaanträge der Journalisten im allgemeinen schnell und unbürokratisch. Auch auf diesem Gebiet ist also ein Fortschritt nach Helsinki zu beobachten. Eine Zurückweisung von Visaanträgen kommt sehr, sehr selten vor. In die Sowjetunion zum Beispiel reisen jährlich allein aus der Bundesrepublik Deutschland einige hundert Journalisten. Den sowjetischen Behörden in Bonn sind Fälle einer Visumsverweigerung seit der Konferenz von Helsinki nicht bekannt.
Seit 1973, als eine Vereinbarung zwischen der DDR und der Bundesrepublik über die Erleichterung der Journalistenarbeit unterzeichnet wurde, gab es zwei Fälle von Ausweisungen westdeutscher Korrespondenten. Außerdem erhielten 1976 Vertreter der Deutschen Welle und des Deutschlandfunks keine Akkreditierung bei der Leipziger Messe. Im Falle des ersten ausgewiesenen Journalisten hatten die DDR-Behörden ein begründetes Recht festzustellen, daß der „Spiegel" -Korrespondent die Grenzen der Gastfreundschaft überschritten hat. Er veröffentlichte eine sensationelle Nachricht über den Entzug von Elternrechten von Personen, die die DDR illegal verlassen haben und ihre Kinder dort zurück-ließen. Für bestimmte westdeutsche Kreise wurde diese Nachricht als Vorwand genutzt, um eine neue Kampagne gegen die DDR zu entfesseln.
Die Angelegenheit wurde sogar zu einem Thema im Bundestag, über den Verlauf dieser Debatte schrieb die Frankfurter Rundschau am 31. Januar 1976, daß der Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen mit den Unions-Rednern ins Gericht gegangen sei: „Im Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen habe ich dieses Problem an vielen Einzelbeispielen erläutert. Kein teilnehmender Kollege hat nach dieser Information den Begriff , Zwangsadoption'mit den zur Diskussion stehenden Fällen aufrechterhalten können. Zum Teil spielten bei diesen Fällen kriminelle Gesichtspunkte eine Rolle, die bei uns genauso dazu führen würden, den Eltern das Erziehungsrecht abzusprechen." Die Opposition nahm das zur Kenntnis. Es gab auch keinen Widerspruch, als Franke erklärte: „Nennen Sie mir einen Fall, in dem es in Verbindung mit Flucht aus der DDR oder einem Fluchtversuch zu einer Zwangsadoption gekommen ist!“
Man wird zustimmen müssen, daß die Entscheidung der DDR-Behörden über die Ausweisung des Korrespondenten einer Zeitung, die einen solch unglaubwürdigen Vorwurf in Umlauf setzte, richtig war. Kurze Zeit danach erhielt der „Spiegel" die Erlaubnis für die Akkreditierung eines neuen Korrespondenten. Die Rücknahme der Akkreditierung für den ARD-Korrespondenten Lothar Loewe Ende 1976 kann keinesfalls als dem Geiste und dem Buchstaben der KSZE-Schlußakte zuwiderlaufend angesehen werden. Wenn ein Korrespondent, den die DDR-Behörden schon mehrmals darauf hingewiesen haben, daß er seine journalistische Tätigkeit mit einer Verleumdungskampagne gegen die Sozialistische Republik verwechselt, in der Tagesschau feststellt: „Die Grenzeinheiten der DDR haben einen ausdrücklichen Befehl, auf Menschen wie auf Kaninchen zu schießen", kann man sich nicht wundern, wenn die DDR-Behörden ihn als Persona non grata betrachten. Nach einer Mitteilung des „Spiegels" zeigte man sogar in höheren Bonner Regierungskreisen Verständnis für die Entscheidung der DDR. Um so mehr, schrieb das Wochenblatt, als die Entscheidung mit der Gesetzgebung der DDR und mit der Vereinbarung beider deutschen Staaten über die Arbeitsbedingungen der Journalisten in Einklang stand.
Auf eventuelle Einwände der anderen Seite, daß man doch den Journalisten aus den sozialistischen Ländern die Akkreditierung nicht entzieht, darf ich folgendes antworten: Den Regierungen, bei denen sie akkreditiert sind, geben diese Journalisten keinen Anlaß für solch einen Schritt. Wenn sie auch manchen negativen Erscheinungen dieses Landes den größeren Teil ihrer Aufmerksamkeit schenken, so ist das noch kein Grund für eine Ausweisung. Die westlichen Journalisten werden auch nicht deswegen ausgewiesen, weil sie kritisch berichten, sondern weil sie Verleumdungen über die sozialistischen Staaten verbreiten.
Wenden wir uns nun dem Fall einer Akkreditierungsverweigerung zu. Ich verstehe, daß jeder seine Interessen verteidigt; die westdeutsche Seite hat selbstverständlich auch volles Recht darauf. Es ist dabei jedoch nicht ganz fair, wenn wegen einer Akkreditierungsabsage dreier westdeutscher Korrespondenten hier Lärm geschlagen wird. Man suggerierte dabei der öffentlichen Meinung, als ob dieser Fall die totale Lahmlegung der Arbeit westdeutscher Korrespondenten durch die DDR bedeute. Es wurde dabei verschwiegen, daß zu derselben Zeit im Leipziger Pressezentrum 284 Journalisten aus den kapitalistischen Ländern akkreditiert gewesen sind, davon 152 aus der Bundesrepublik und 20 aus West-Berlin. Noch nie ist die Zahl der akkreditierten Journalisten in Leipzig so groß gewesen wie damals. ’ Es scheint, als ob manche politischen und journalistischen Kreise, die sich lautstark auf Helsinki berufen, eine Atmosphäre schaffen möchten, in der jede einzelne Reiseverweigerung für Journalisten als skandalös oder sogar gesetzwidrig empfunden wird. Die öffentliche Meinung würde aber dadurch irregeführt, weil eine Visumverweigerung — und das, ohne dabei die Gründe zu nennen — auch nach Helsinki ein souveränes Recht jedes Staates bleibt. Es wird übrigens von jedem Land — auch von der Bundesrepublik — praktiziert. Die Tatsache beispielsweise, daß zwölf sowjetischen Journalisten, die einen Besuch bei den Olympischen Spielen in Montreal beabsichtigten, von den kanadischen Behörden keine Einreisegenehmigung erteilt wurde, erregte in der Bundesrepublik kein Interesse. Als jedoch die tschechischen Behörden dem Journalisten Matthias Walden (es ist nicht leicht, einen noch mehr anti-sozialistisch eingestellten Publizisten zu finden) die Einreise nicht genehmigten, wurde dies gleich an die große Glocke gehängt.
Jeder vernünftig denkende Mensch ist sich bewußt, daß das Anwenden zweierlei Maßstäbe der Entwicklung einer konstruktiven Zusammenarbeit nicht förderlich ist. Als im November 1976 das britische Foreign-Office unter dem Druck der CIA die Ausweisung des amerikanischen Journalisten Mark Hosenball veranlaßte, welcher CIA-kompromittierende Schriften veröffentlichte, hinterließ diese Angelegenheit in den westdeutschen Medien keine große Spur. Wenn jedoch westliche Journalisten in einem sozialistischen Land beruflichen Ärger haben, so hört man gleich das Wort „ungeheuerlich". Die Gründe einer für den Journalisten unangenehmen Entscheidung läßt man dabei beiseite. Jährlich überschreiten Hunderte von Journalisten die Grenze der DDR, um durch die Repulbik zu reisen. Es ist jedoch noch nicht vorgekommen, daß die Grenzbehörden der DDR sich diesen Journalisten gegenüber so verhalten haben, wie die westdeutschen Grenzbehörden es bei dem „Berliner Zeitung" -Journalisten Hartmut Kohlmetz getan haben. Auf seinem Rückweg aus der Bundesrepublik unmittelbar vor Weihnachten 1976 wurde er auf einem bayerischen Grenzpunkt mitten in der Nacht aus dem Zug heraus gebeten, zu einem Polizeirevier gebracht, wo man ihn wie einen Kriminellen behandelte. Es ist nicht schwer zu erraten, daß dieses rechtswidrige Handeln kein großes Aufsehen in den westdeutschen Medien erregte.
Wer hat was nac> hzuholen?
In einer kritischen Korrespondenz für die Frankfurter Rundschau (22. März 1976) über die Arbeitsbedingungen der Journalisten gibt der Wiener Korrespondent Harry Schleicher zu, daß Journalisten bei der Einreise nach Jugoslawien, Bulgarien und Rumänien ein Visum am Grenzübergang erhalten können. Fügen wir hinzu, daß dies auch für Ungarn gilt. Der Autor stellte sich jedoch nicht die Frage, wie Journalisten aus den sozialistischen Ländern in den Westen reisen. Nirgendwo können sie ihr Visum sofort erhalten. Auch auf die ständige Akkreditierung müssen sie viel länger warten, als ihre westlichen Kollegen auf die Einreise nach Osteuropa. Polnische Journalisten, die nach Großbritannien reisen — ständige Korrespondenten inbegriffen—, erhalten von den britischen Behörden nur ein einmaliges Visum. Anders englische Journalisten in Polen. In dieser Beziehung besteht also für die westlichen Länder ein Nachholbedarf.
Der Leiter der Presseabteilung des sowjetischen Außenministeriums, W. Sofinskij, erinnerte in dem schon erwähnten Interview, daß in soldien Ländern wie den USA, England oder Frankreich die Visaerteilung für einen sowjetischen Journalisten sich über Monate hin-auszieht. Oft werden die Anträge zurückgewiesen. Manche westliche Länder begrenzen sogar generell die Zahl der sowjetischen Bürger, darunter auch Journalisten, die sich in dem Land aufhalten dürfen. Meine ungarischen Kollegen aus Bonn sagten mir im Sommer 1976, daß sie nach Helsinki noch länger auf das Erledigen von Visaformalitäten durch die Bundesbehörden warten müssen, als in der Zeit zuvor. Mit dieser Materie vertraute polnische Kollegen erzählten mir wiederum 1976, daß, wenn polnische Journalisten mit einer Regierungsdelegation ins westliche Ausland fahren, die Gastgeber schon lange vorher von den Polen alle möglichen Personaldaten und das Ausfüllen bestimmter Fragebogen verlangen. Andernfalls wird ihnen kein Visum erteilt, auch wenn es sich um Berichterstatter handelt, die praktisch der offiziellen Delegation angehören. Polnische Behörden sind dagegen unvergleichbar toleranter. Als der französische Präsident Giscard D'Estaing zu einem offiziellen Besuch nach Polen kam (eines von mehreren Beispielen), erschienen auf dem Warschauer Flughafen französische Journalisten, die vorher überhaupt nicht avisiert waren. Trotzdem wurden sie eingelassen, ohne daß man ein Problem daraus machte.
Nicht nur die formalrechtliche Seite, die Visa-und Akkreditierungsfragen, ist in den Hauptstädten der sozialistischen Länder im allgemeinen zur Zufriedenheit der Journalisten geregelt. Einige Presseinstitutionen treffen auch miteinander Vereinbarungen, die über die Grenzen des eigenen Landes hinausgehen. Im Sommer 1976 unterschrieb man in Paris ein Übereinkommen zwischen den Presseagenturen der UdSSR und Frankreich — TASS und AFP — über eine Erweiterung des Informationsaustausches. Diese Vereinbarung stimmt mit den Prinzipien der Schlußakte von Helsinki überein. Der WDR unterschrieb 1976 eine Vereinbarung mit dem sowjetischen Komitee für Rundfunk und Fernsehen über eine weitere Vertiefung der Zusammenarbeit. Die polnische Presseagentur PAP hat mit zahlreichen Presseagenturen in aller Welt Vereinbarungen über Zusammenarbeit, Informations-und Erfahrungsaustausch geschlossen. Gegenseitige Besuche der Vertreter von Presseagenturen finden statt. Die Berufsorganisation der Polnischen -Journalisten (SDP) hat mehrere Vereinbarungen mit verwandten Organisationen in verschiedenen Ländern unterschrieben. Zur Zufriedenheit beider Seiten kommt es zum Beispiel auf dieser Basis mit Finnland und Dänemark zu einem ständigen Journalisten-Austausch.
Die polnische Seite ist des öfteren Organisator oder Initiator verschiedener Journalisten-treffen am runden Tisch, wobei die Initiativen zu solchen Zusammenkünften oft von der westlichen Seite nicht erwidert werden. Aus den sich laufend vermehrenden positiven Beispielen der Zusammenarbeit zwischen Ost und West kann man vor allem die Kooperation des polnischen und französischen Rundfunks erwähnen. 1976 unterschrieb man in Paris eine Vereinbarung über Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Fernsehens zwischen dem polnischen und dem Dritten Programm des französischen Fernsehens. Diese Abmachung bezieht sich vor allem auf Programmaustausch, Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Fernsehfolgen, Unterstützung von Korrespondenten und Austausch der Fernseh-Teams. Vorher war eine ähnliche Zusammenarbeit mit dem ersten und zweiten französischen Fernsehprogramm beschlossen worden.
Zwischen Frankreich und Polen besteht auch ein Übereinkommen über den Austausch von jährlich zehn Journalisten. Auf französischer Seite bedarf es aber einiger Bemühungen, um so viele reisefreudige Journalisten zu finden. Wenn die französischen Rundfunk-und Fernsehanstalten bisher keinen ständigen Korrespondenten in Polen haben, so liegen die Hindernisse nicht auf unserer Seite. Wenn in den sozialistischen Ländern das eine oder andere westliche Blatt nicht vertreten ist, liegt das nicht am Mangel an Gastfreundschaft dieser Länder.
Die bisherigen Erfahrungen im Bereich des Austausches von Journalisten sind für beide Seiten dennoch nicht enttäuschend. Nichts aber sollte der Erweiterung durch den Abbau von Vorurteilen und Mißtrauen im Wege stehen. Die Tatsache, daß es nicht überwiegend die westlichen Journalisten sind, die nach einer Einreisemöglichkeit in die sozialistischen Länder suchen, sondern daß manchmal vom Osten aus erfolglos nach Reisewilligen gesucht wird, kann dem westlichen Leser vielleicht etwas unerwartet vorkommen. Das Interesse für die sozialistischen Länder ist im Westen gar nicht so groß, wie manche dort versichern, wenn sie sich über Schwierigkeiten bei der Befriedigung des Informationsbedürfnisses beklagen.
Als beispielweise Anfang Juli 1976 der Verein der Auslandspresse in Bonn ein Treffen mit dem sowjetischen Botschafter Falin veranstaltete, nahmen an dem Gespräch nur zwölf westliche Korrespondenten teil. Dies geschah, obwohl diese Veranstaltung zu einem sehr interessanten Zeitpunkt stattfand, nämlich zwei Tage nach der Beantwortung einer Erklärung von TASS durch die Bundesregierung zum Thema „Deutschlandpolitik“. Ich meine, daß die Möglichkeiten, Informationen und Pressematerial zu erhalten, heutzutage überall viel größer sind, als die Möglichkeiten ihrer Verwertung durch die Journalisten. Als ein Beweis der Realisierung journalistischer Erwartungen von Helsinki kann die Konferenz der kommunistischen und Arbeiterparteien dienen, die im Sommer 1976 in Berlin stattfand. Alle 500 angemeldeten Journalisten wurden zugelassen. Trotz einem bei einer so großen Veranstaltung verständlichen Platzmangel wurden hundert Journalisten sogar in den Beratungssaal zugelassen. Ein Korrespondent der Süddeutschen Zeitung schrieb am 30. Juni 1976: „Obgleich nur eine beschränkte Zahl von Journalisten, vornehmlich Bildreporter und Vertreter von KP-Zeitungen, direkten Zugang zum Sitzungssaal hat, ist es auch für die übrigen Reporter nicht schwer, sich ein ziemlich genaues Bild vom Ablauf der Konferenz zu machen. Nur einige hundert Meter vom Tagungsort entfernt Organisatoren die in der Kongreßhalle am Alexanderplatz ein Pressezentrum geschaffen, das den Vergleich mit entsprechenden Einrichtungen bei westlichen Großveranstaltungen nicht zu scheuen braucht. Die Übertragung der Diskussionsbeiträge über ein hauseigenes Fernsehen, Kommuniques in allen gängigen Sprachen und die veröffentlichten Redetexte gewährleisten eine weitgehende Transparenz. Wohl nie zuvor hat es im Ostblock ein Kommunistentreffen gegeben, bei dem soviel frei lag für den Blick der Öffentlichkeit."
Die Berliner Konferenz fiel zeitlich mit der Konferenz der größten wirtschaftlichen Mächte in Puerto Rico zusammen. Die Regierungschefs und ihre Delegationen debattierten dort hinter dicht geschlossenen Türen, die besten Vorbilder der Geheimdiplomatie pflegend. Die Presse wurde ferngehalten, ihre Neugier nur mit lakonischen Kommuniques gestillt.
Ich führe diese Beispiele nicht deswegen an, um die Leser auf den Gedanken zu bringen, im Osten liefe alles gut, im Westen dagegen alles schlecht. Ich wollte damit sagen, daß es an der Zeit ist, sich hier von einem umgekehrten Denkschema zu befreien. In den sozialistischen Ländern existiert keine Nachrichten-zensur für die Ausländskorrespondenten, Dies, obwohl man weiß, daß die Korrespondenten nicht selten Nachrichten vermitteln, die aus der Luft gegriffen oder derart verzerrt sind, daß die Presseabteilung des Außenministeriums keine Schwierigkeiten hätte, es ihnen zu beweisen und sie aus dem Lande hinauszukomplimentieren. Trotzdem kam es in den letzten Jahren nur zu vier Fällen von Ausweisungen westlicher Korrespondenten — drei Westdeutschen (zwei aus der DDR und einer aus der CSSR) und einem Amerikaner. Ich möchte natürlich nicht widersprechen, daß die Unzufriedenheit eines Journalisten über die von einem Politiker oder einer Institution erhaltene Information oft begründet ist. In welchem Lande aber ist der Journalist mit dem von ihm geführten Gespräch immer zufriedengestellt? Eine gewisse Zurückhaltung von Politikern sozialistischer Staaten bei Kontakten mit westlichen Journalisten ist verständlich im Lichte der im Westen praktizierten Methoden. Es existiert nämlich die durch unzählige Fälle bestätigte Befürchtung, daß ein unter dem Druck der kapitalistischen Presse arbeitender Journalist sich an die vereinbarte Diskretion nicht immer hält oder daß er eine Aussage verzerrt wiedergibt und die erhaltene Information so darstellt, daß aus einer Mücke ein Elefant wird. Um nicht leere Behauptungen aufzustellen, sei dazu ein Beispiel genannt, das mit der spektakulären Bundeswehraffäre in Verbindung steht, welche die Demission zweier Luftwaffengenerale nach sich gezogen hat. „Die Welt" veröffentlichte den Text einer angeblichen Regierungserklärung zu diesem Thema, die der Verteidigungsminister Leber erst an demselben Tage im Bundestag abgeben wollte. Seine plötzliche Erkrankung verhinderte dies aber. Währenddessen erklärte der Regierungssprecher, daß der veröffentlichte Text, den die Redaktion auf nur ihr bekanntem Wege erhalten hat, gar nicht die Erklärung war, die Leber im Bundestag hatte abgeben wollen. Idi könnte zahlreiche weitere Beispiele anführen, die von der Verletzung guter journalistischer Sitten und von der Manipulation mit Informationen zeugen würden. Man muß hier aber hinzufügen, daß es im Westen ebenfalls viele Journalisten gibt, die ihren Beruf gewissenhaft ausüben. Jedoch, wie man so sagt, es ist schwer, die Spreu vom Weizen zu trennen — und darum die Enthaltsamkeit sozialistischer Politiker gegenüber westlichen Journalisten.
In der DDR können westliche Korrespondenten filmen, ohne um vorherige Dreherlaubnis zu bitten. Unterdessen unterliegt zum Beispiel in Italien jeder Fernsehkorrespondent einem noch nicht annullierten Gesetz aus der Mussolini-Zeit, das die Filmerlaubnis von der Zustimmung zweier Ministerien abhängig macht. Darüber berichtete Franca Magnani, die für die ARD arbeitet, in der Frankfurter Rundschau im Oktober 1975: „Auf eine Erlaubnis für Dreharbeiten muß man bis zu drei Wochen warten. Damit ist die Sache aber noch nicht erledigt. Als wir in Neapel Aufnahmen für den Fernsehfilm . Römische Skizzen'machen wollten, wurde das Fernseh-Team mit einer Direktive des Stadtpräsidenten aus dem Jahre 1957 konfrontiert, wo es heißt: , Das Vorführen von Szenen, die die Stadt oder die Provinz Neapel in ihrer Würde verletzen können, ist verboten.'Es ist auch schwer, italienische Politiker vor die Kamera zu bekommen. Verhandlungen mit dem damaligen Vorsitzenden der Democrazia Cristiana, Fanfani, zogen sich wochenlang hin, und das ohne Erfolg.“ So weit Franca Magnani. Italien ist sicherlich nicht das einzige Land, wo dem Korrespondenten Aufnahmen nur mit Erlaubnis gestattet werden. Aus einer Dokumentation des „Auslandjournals", vom ZDF am 6. Juni 1975 ausgestrahlt, folgte ausdrücklich, daß sich auch in anderen kapitalistischen Ländern Korrespondenten über ihre Arbeitsbedingungen beklagen.
Es ist weder eine offene, noch eine versteckte Absicht dieser Abhandlung, die polnischen Massenmedien zu loben, über die wir selbst oft kritisch berichten. Der Streit darüber, wessen Presse nun besser ist, wäre außerdem unfruchtbar. Wenn ich im Zusammenhang mit Helsinki und Belgrad das Thema der Arbeitsbedingungen der Korrespondenten aufgreife, tue ich das nicht, um diese Probleme zu bagatellisieren. Ich selbst bin ein Korrespondent und weiß, daß dieses Problem existiert und überall aktuell bleiben wird. Dies liegt schon an dem Charakter unseres Berufes. Mich berührt nun unangenehm die Überheblichkeit und Selbstsicherheit eines Teils der Journalisten in den kapitalistischen Ländern, die lässig mißbilligende Urteile über ihre ideologischen Gegner fällen und gleichzeitig unerschütterlich von der eigenen Makellosigkeit überzeugt sind.
Mehr Konferenzen als Informationen
in der Auseinandersetzung um die Arbeitsbedingungen der Journalisten, die als Ausländskorrespondenten tätig sind, begegne ich oft der Meinung, daß diese im Westen — im Gegensatz zum Osten — musterhaft seien. Ich glaube, daß es sich lohnt, diesem Thema mehr Platz einzuräumen, um dem tatsächlichen Stand der Dinge auf den Grund zu gehen. Aufgrund meiner Gespräche mit Fachkollegen kann ich sagen, daß die Bundesrepublik den umfangreichsten und in technischer Hinsicht vollkommensten Mechanismus des Pressedienstes besitzt. Das Presseviertel in Bonn umfaßt eigen ganzen Komplex von Gebäuden und liegt in unmittelbarer Nachbarschaft der Regierungsorgane und des Bundestags. Dort unterhält auch meine Presseagentur — die Polnische Presseagentur PAP — ein Büro. Aus den Papierkörben des Bonner Pressezentrums, das für die 400 westdeutschen und über 280 ausländischen Pressekorrespondenten eine Journalistenbörse darstellt, holt die städtische Müllabfuhr täglich etwa eine Tonne Altpapier. Die emsig auf Schreibmaschinen geschriebenen Pressematerialien verlieren manchmal schon nach wenigen Stunden ihre Aktualität, ja, es kommt vor, daß das Material noch beim Schreiben inaktuell wird. Der im Bonner Pressezentrum arbeitende Ausländskorrespondent hat hier in der Tat die besten Arbeitsbedingungen — und zugleich die schlechtesten: Er wird laufend mit Pressematerial aller Art versorgt, nach dem sich seine Kollegen in anderen westlichen Hauptstädten oft vergebens die Füße wundlaufen. Eine Legion von Boten, die wie Ameisen zwischen dem Bonner Pressezentrum und den Bonner Ministerien, den Parteizentralen und anderen Institutionen hin-und hereilen, füllt täglich die Briefkästen der Ausländskorrespondenten mit einer Flut von Mitteilungen und Druckerzeugnissen, die am selben Tag die Schreibstuben der Bonner Pressebüros verließen — und diese arbeiten auf hohen Touren. Das Pressezentrum wird mit Meldungen und Gegendarstellungen förmlich überhäuft. Jede der Bonner Dienststellen hat nicht nur den Ehrgeiz, zu beweisen, daß sie kein untätiges Dasein fristet, sondern auch ein ausdrückliches Bedürfnis, anderen etwas mitzuteilen und von anderen respektiert zu werden.
Neben der Flut von Mitteilungsblättern stellen die Pressekonferenzen einen weiteren breiten Kanal der Information dar. Außer den dreimal in der Woche vom Pressesprecher der Bundesregierung, Klaus Bölling, und seinem Stellvertreter, Armin Grünewald, einberufenen Konferenzen laden oft Parteibüros, Ministerien und andere Institutionen zu Sonderpressekonferenzen ein. Es gibt Wochen, in denen mehr als ein Dutzend solcher Konferenzen abgehalten werden.
Gesprächsfreudig sind nicht nur Pressesprecher, auch die Bonner Politiker machen viele Worte. Sie geben pausenlos Interviews, zeigen sich immer wieder im Fernsehen. Sie leben dabei aber zugleich in einem Dauer-Streß und wachen emsig darüber, daß ihre Gegner sie nicht an Popularität überflügeln.
Dieser ganze Strom überflutet die Journalisten, die sich durch das Gesprochene und Geschriebene nun hindurchkämpfen müssen, um das Korn von der Spreu zu trennen. Da die Journalisten sich keineswegs darüber einig sind, was Korn und was Spreu ist, kann man sich leicht vorstellen, daß der Leser die Folgen einer solchen Auswahl zu spüren bekommt. Die Auswahl unter den Bedingungen Bonner besonders zeitaufwendig und mit verschiedenen Risiken behaftet, weil die erbarmungslose Konfrontation zwischen Regierung und Opposition viele Nebenprodukte in Form von durch beiden Seiten verteilte Texte anfallen läßt.
Die Journalisten klagen nicht nur über die Inflation des Wortes. Sie bemängeln, daß sie oft auch die von den beiden Regierungssprechern durchgeführten Pressekonferenzen unverrichteter Dinge wieder verlassen müssen. Auf den offiziellen Pressekonferenzen wird man im-B mer öfter mit immer mangeren Informationen abgespeist. Die Presse versucht daher mehr zu erreichen, indem sie die Politiker zu persönlichen Treffen einlädt. Nehmen an einer solchen Begegnung mehrere Personen teil, werden die Antworten des betreffenden Politikers von dem Vorsitzenden der Gesprächsrunde als „off-the-record" bezeichnet, d. h., daß man sich auf diese Worte nicht offiziell berufen oder sie unter Quellenangabe zitieren darf. (Es passiert oft, daß sich ohnehin nichts daraus zitieren ließe.) Es formen sich auch enge Kreise der wahrhaft Eingeweihten, nämlich Zusammenkünfte ausschließlich für die bundesdeutschen Journalisten oder gar nur für wenige ausgewählte von ihnen. Unter dieser Gruppe von Journalisten hat sowohl die Koalition als auch die Opposition ihre Favoriten. Daß die ausführlicheren Informationen und Erklärungen, die tatsächlich etwas erklären, immer öfter auf einer höheren Einweihungsstufe gegeben werden, darauf machte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" in ihrer Ausgabe vom 24. März 1975 aufmerksam: „Die Bonner Pressekonferenzen leiden auch deshalb an Auszehrung, weil fast jeder Bonner Journalist, der etwas auf sich hält, einem Kreis angehört. Politiker wiederum, die etwas auf sich halten, geben keine Pressekonferenzen mehr, sie bitten nur noch zum Hintergrundgespräch. Dadurch entsteht manchmal ein merkwürdig wissendes Schweigen, ein andeutender Stil. Man weiß etwas, doch man ist zugleich an sein , Hintergrund-Wissen'gebunden. Die Bonner Kreisbildung, die nach der Aussage länger ortsansässiger Korrespondenten seit 1969 zunahm und zu parteipolitisch gefärbten Klubbildungen unter Bonner Korrespondenten geführt hat, nötigt beispielsweise Regierungssprecher Bölling, im Monat zehn-bis zwölfmal in Bonner Kreisen mittags und abends zu speisen. , Bonner Kreise'sind also nicht Sprachfloskel, sie gibt nur eine es wirklich.“
Die „Welt" vom 24. April 1976 nannte etliche solcher engen Kreise, Journalistenclans, die zuweilen nur ein Dutzend Personen oder weniger zählen.
Es erübrigt sich die Erklärung, daß die Journalisten aus sozialistischen Ländern, aber auch viele aus den westlichen Ländern, keinen Zugang zu diesen Kreisen und Klubs haben. Mit der Offenheit der Informationskanäle für alle Journalisten soll man also nicht übertreiben. Die Trennungslinien werden hier ziemlich oft und sehr fein gezogen. Es kommt vor, daß die polnischen Korrespondenten in Bonn keine Einladung zu Pressekonferenzen über Familienzusammenführungen oder anläßlich der Abreise der Delegation des Deutschen Roten Kreuzes nach Polen erhalten. Ich will mich hier nicht beschweren; ich möchte nur, daß man mir nicht einredet, daß ich hier auf gleicher Stufe mit anderen stehe, was den Zugang zu Informationsquellen betrifft.
Der von mir hier beschriebene Mechanismus des westdeutschen Informations-und Pressedienstes zeigt anschaulich, welch gigantischer Apparat in Gang gesetzt wird, um die öffentliche Meinungsbildung zu beeinflussen. Daraus ist auch ersichtlich, daß ein Ausländskorrespondent nur wenig Nutzen davon haben kann, es sei denn, daß er einem der Clans der Eingeweihten angehört. Die dritte Schlußfolgerung ist die, daß der westdeutsche Informations-und Pressedienst kein typisches Modell für die westliche Pressefreiheit darstellt, weil er in anderen westlichen Ländern nichts Vergleichbares hat.
Die tagtäglichen Begegnungen der Presse z. B.
mit dem Pressesprecher des französischen Staatspräsidenten oder des britischen Premiers beschränken sich auf eine formelle Weiterleitung von Mitteilungen über die beabsichtigten Gespräche oder Reisen von Politikern; daher finden sie unter den Journalisten nur wenig Beachtung. Viele Hauptstädte der kapitalistischen Länder kennen keine regelmäßig stattfindenden Pressekonferenzen und keine Pressezentren, doch niemand zieht daraus für den Westen gleich weitgehende Schlußfolgerungen. Die in Bonn für die Presse Verantwortlichen versichern, daß es nirgendwo in der Welt solch breite Informationskanäle gäbe, wie dies in Bonn der Fall sei. Derartige Versicherungen betrachte ich aber mit Skepsis. Ich erblicke in diesem Informationsmechanismus eher eine Fassade und Schein-bild, denn dies hat mit einer Information aus erster Hand wenig zu tun. Was die Journalisten aus den offiziellen Verlautbarungen erfahren, stimmt genau mit den Interessen der Informanten überein, bedeutet aber keineswegs, daß sie eine volle Information erhalten. Schuld daran sind zum Teil die Journalisten selbst, die es nicht immer fertigbringen, durch gezielte und präzise Fragestellungen die Sprecher der Bundesregierung oder anderen Institutionen zu einer differenzierten Auskunft zu zwingen. In einer solchen Situation haben es die Bonner Dienststellen relativ leicht, ihre „Weltoffenheit" zu preisen, womit der Eindruck erzeugt werden soll, daß man nichts vor der Weltöffentlichkeit zu verbergen hat — und dabei mit Überheblichkeit ringsherum schaut.
Bei einem Vergleich der in den kapitalistischen und in den sozialistischen Staaten bestehenden Nachrichtenquellen für die Ausländskorrespondenten muß noch ein wesentlicher Faktor mit in Betracht gezogen werden. Zum Beispiel findet man in der Presse der Bundesrepublik — die in erster Linie die spezifischen Bedürfnisse der Leser, der Marktwirtschaft und die Anforderungen der Zeitungsinhaber zu befriedigen hat — im allgemeinen nicht viele in einer zugänglichen Form geschriebene Informationen über das Wirtschafts-und Sozialleben dieses Landes. Die Grundquelle von Informationen für die Ausländskorrespondenten sind daher Presse-konferenzen, verschiedene Bulletins wie auch Begegnungen mit Politikern, mit deren Hilfe sich der Korrespondent ein breiteres Bild des Geschehens machen kann.
In den sozialistischen Ländern dagegen bringt die Presse unvergleichlich mehr Material über wirtschaftliche, soziale, erzieherische und ähnliche Themen. Ein in den sozialistischen Ländern akkreditierter Ausländskorrespondent kann dieser Presse eine Fülle von Fakten, Einschätzungen und Schlußfolgerungen über sein Gastland als Ganzes entnehmen. Die Pressekonferenzen, Begegnungen aller Art usw. spielen nur eine ergänzende Rolle. Es scheint mir, daß beim Vergleich der Mechanismen der Presseinformation im Westen und im Osten diesem Sachverhalt mehr Aufmerksamkeit als bisher geschenkt werden muß. Die Differenzen in den Gesellschaftsordnungen verursachen eben auch die Unterschiede bei den Informationsmechanismen. Lassen wir es dahingestellt sein, wer das bessere System besitzt. Um einen konstruktiven Dialog zwischen Journalisten zu führen, braucht man sich nicht gegenseitig zu übertrumpfen — allein die Tatsachen zählen.
Audiatur et altera pars, oder: Mehr Wohlwollen für das Thema KSZE
Bekanntlich werden die sozialistischen Länder von den westlichen Massenmedien beschuldigt, den in Helsinki übernommenen Verpflichtungen nicht nachzukommen. Indessen gelangen Informationen über die zahlreichen Initiativen der sozialistischen Länder oder über Erleichterungen für die westlichen Journalisten nicht an die hiesigen Leser. Im besten Falle werden diese Meldungen durch die amtlichen Nachrichtenagenturen vermerkt.
Nehmen wir ein anderes Beispiel: Angesichts der endlosen Angriffe und kritischen Stimmen gegen die CSSR im Zusammenhang mit dem Dritten Korb von Helsinki stellte die tschechoslowakische Botschaft in Bonn eine Tatsachendokumentation zusammen, die diese Anschuldigungen widerlegt. Diese Dokumentation hat die CSSR-Botschaft am 12. Mai 1976 an über 500 Empfänger, darunter an die Zentralredaktionen der bundesdeutschen Zeitungen, übersandt, im Bonner Pressezentrum ausgelegt und allen führenden Politikern zugestellt. Alle Empfänger hielten es jedoch für angebracht, dieses Material der Öffentlichkeit vorzuenthalten. Nicht einmal eine Kurzmeldung ist darüber erschienen. Dasselbe Los ist fast allen Materialien aus anderen sozialistischen Ländern beschieden, die die Verwirklichung der Bestimmungen der KSZE belegen. Die Agentur Novosti brachte 1976 in Moskau die Publikation „Die Wahrheit über den Kulturaustausch", also über die Verwirklichung der Schlußakte von Helsinki im Bereich des Dritten Korbes, auch in deutscher Sprache heraus. Diese Publikation wurde in Massen-auflage in der Bundesrepublik verteilt, fand aber keinerlei Echo, und ähnlich verhielt es sich damit auch in anderen westlichen Ländern. Es ist offensichtlich, daß wir es in allen erwähnten Fällen nicht mit einem Verschweigen, sondern mit einer Verschwörung zum Totschweigen zu tun haben. Es geht darum, vor der eigenen Gesellschaft die Wahrheit über den tatsächlichen Inhalt des Dritten Korbes und über den Beitrag der sozialistischen Länder zu seiner Verwirklichung zu verbergen, um den Dialog von einer bequemen, zugleich jedoch unehrlichen Position aus fortsetzen zu können.
Sicher wäre es übertrieben, zu beanstanden oder seiner Verwunderung Ausdruck zu geben, daß diese oder jene Meldung unbemerkt blieb. Gerade ein Journalist, der den Mechanismus der Redaktionsarbeit kennt, wird keinen derartigen Vorwurf erheben. Wenn wir es jedoch mit einem ganzen Paket eindeutiger Fakten, Verschweigungen, wenn wir es mit einem regelmäßigen übersehen von Informationen, die eine optimistische Wahrheit über die KSZE aussprechen, zu tun haben, gibt es wohl Veranlassung dazu, sich über die Merkwürdigkeit und über die objektive Aussage derartiger Praktiken Gedanken zu machen.
Diesen Praktiken fallen nämlich auch die westlichen Politiker zum Opfer. Anläßlich des ersten Jahrestages der KSZE gaben die Staatsmänner der sozialistischen und kapitalistischen Staaten (Leonid Breschnew, Urho Kekkonen, Helmut Schmidt, Valery Giscard d’Estaing, die Außenminister Österreichs und Frankreichs, die Premierminister Dänemarks, Luxemburgs, Großbritanniens, der österreichische Bundeskanzler und andere) zahlreiche Interviews und Stellungnahmen vor Vertretern der Presse. Diese kamen auf Initiative der Journalisten aus sozialistischen Ländern zustande. In den bundesdeutschen Massenmedien wurden sie verschwiegen. Die britische Presse, mit Ausnahme der kommunistischen Zeitung „Morning Star”, zeigte sich derart desinteressiert, daß sie nicht einmal das Interview erwähnte, welches der britische Premier Callaghan der sowjetischen Nachrichtenagentur TASS gegeben hatte.
Man kann wahrhaft nicht behaupten, daß die meisten westlichen Massenmedien die Thematik der KSZE mit Wohlwollen aufgreifen. Und doch ist ihre Einstellung nicht ohne Bedeutung für die Weiterentwicklung der Ideen von Helsinki. Es kam wohl nicht von ungefähr, daß der französische Staatspräsident Valery Giscard d’Estaing nach seiner Rückkehr aus Helsinki öffentlich seiner Verwunderung Ausdruck gab, daß die französische Presse die KSZE stiefmütterlich behandelte. Es scheint mir, daß jene verhältnismäßig starke Dosis an Pessimismus, die westliche Massenmedien der Öffentlichkeit im Zusammenhang mit dem ersten Jahrestag der KSZE verabreichten, in erster Linie aus der oberflächlichen Bilanz herrührte, die die Kommentatoren bei diesem Anlaß gezogen haben. Von dem allgemein düsteren Ton in der britischen Presse setzte sich lediglich die Londoner Times ab, die in ihrem Kommentar vom 30. Juli 1976 mit mehr Bedächtigkeit und Ausgewogenheit über die KSZE schrieb. Der Autor des Kommentars bemerkte dabei eine Reihe kleiner Fortschritte, die „es bestätigen, daß die KSZE keine Zeitvergeudung bedeutete". Der Autor berichtete im einzelnen über die von den sozialistischen Ländern unternommenen Schritte, erwähnte aber — wie alle anderen — mit keinem Wort die Tatsache, daß alle Teilnehmer der KSZE zur Verwirklichung ihrer Bestimmungen beitragen sollten.
Am schwersten läßt sich ein sinnvoller Dialog mit denjenigen Kommentatoren führen, die statt Fakten kräftige Worte vorziehen. Für den „Daily Telegraph" vom 2. August 1976 war Helsinki „ein großer Schwindel", und das zurückliegende Jahr habe „die schlimmsten Voraussagen der Pessimisten bestätigt". Selbstsicher, auf hohem Roß sitzend und die Fakten ignorierend zeigte sich auch „Der Spiegel", der am 19. Mai 1975 in einem Interview Frigyes mit dem ungarischen Außenminister Puja folgende Frage stellte:
„SPIEGEL: Sehen Sie im freien Fluß der Ideen und Menschen über die Grenzen einen Fortschritt oder ein Werkzeug, mit dem der Westen die sozialistischen Länder untergräbt?
PUJA: Der freie Fluß sieht so aus, daß die ungarischen Behörden innerhalb von zwei Tagen ein Visum erteilen, und auf dem Budapester Flughafen Ferihegy oder an der Grenze innerhalb von zehn Minuten. Wir haben bei diesem Verfahren Gegenseitigkeit vorgeschlagen, aber die großen westlichen Länder machen nicht mit. Wer will, der kann bei uns auch westliche Sender hören. Das österreichische Fernsehen bestrahlt etwa die Hälfte des Landes.“
Daß die westlichen Massenmedien die Thematik von Helsinki, besonders jene positiven Akzente über die Bedeutung des Treffens von 35 Regierungschefs und führenden Staatsmännern in Helsinki, an den Rand verdrängen, fällt mit einer um so krasseren Deutlichkeit auf, als sich in ihren Mitteilungen genug Platz findet für dritt-und fünftrangige Informationen. An exponierter Stelle erscheinen dagegen negative Informationen über die sozialistischen Länder. Verschiedene „Dokumente" einer Handvoll von Dissidenten werden im Wortlaut gedruckt, obwohl bekannt ist, daß sie allesamt weit über das Interesse des westlichen Lesers hinausgehen.
Angesichts der Lücken in der westlichen Information in bezug auf Helsinki kann man sich eine allgemeinere Frage stellen: Welches Bild des Auslandes macht sich der Leser anhand der Informationen, die ihm die Presse ins Haus liefert — im Westen und im Osten? Eine Antwort auf diese Frage zu geben, die treffend und stichhaltig wäre, ist äußerst schwierig — ein Thema übrigens, das eher für Pressedokumentaristen geeignet ist, weil man dazu einen Vergleich zumindest eines Jahrgangs mehrerer Presseorgane durchführen müßte. Als ich mir am Morgen des 23. August 1976 den „Daily Express" in Dover kaufte, um mich über die neuesten Nachrichten in der Welt zu erkundigen, fiel mir nach der Lektüre ein, einen solchen Vergleich mit anderen Zeitungen zu machen. Am Nachmittag desselben Tages kaufte ich in Paris ein Exemplar des „Figaro". Verständlicherweise kannte ich damals noch nicht den Inhalt der Auslandsrubriken von „Zycie Warszawy" gleichen Datums. Es kann also keine Rede davon sein, daß ich Titel und Datum ausgewählt habe, damit der Vergleich für Polen günstig ausfällt. Hier die Ergebnisse: „Zycie Warszawy": Umfang acht Seiten, jedoch kleineren Formats als die anderen zwei Zeitungen, 23 Auslands-nachrichten auf zwei Seiten. „Figaro“: Umfang zwölf Seiten, 20 Auslandsnachrichten auf eineinhalb Seiten. „Daily Express": Umfang zwölf Seiten, sechs Auslandsnachrichten auf eineinhalb Seiten. Die beiden westlichen Zeitungen brachten an diesem Tage jeweils nur eine Information über die sozialistischen Länder. In den Spalten von „Zycie Warszawy" dagegen bezogen sich 14 Themen auf die nicht-sozialistische Welt.
Die polnischen Kulturzeitschriften drucken sehr oft Gespräche und Interviews mit Wissenschaftlern und Künstlern des Westens. Sie übernehmen auch oft direkt Texte aus den westlichen Zeitungen. Ich bin demgegenüber nicht einem Fall begegnet, daß sich irgendeine westdeutsche Wochenzeitung näher für eine Persönlichkeit der Kultur und Wissenschaft aus Polen oder anderen sozialistischen Ländern interessiert hätte. Der westdeutsche Rundfunk bringt täglich eine internationale Presseschau; eine Stimme aus den sozialistischen Ländern in dieser Übersicht zu hören, käme einem Flauptgewinn im Lotto gleich. Indes müßte man mehrere Schreibmaschinenseiten füllen, wenn man sich die Mühe machen würde, allein die Daten der Sendungen des polnischen Rundfunks aufzu13 zählen, in denen er auf die Stimmen der westlichen Presse Bezug nahm.
Man kann nicht bestreiten, daß die westlichen Massenmedien viel weniger über die Staaten der sozialistischen Gemeinschaft berichten (ich abstrahiere hier davon, wie berichtet wird — positiv oder negativ), als es auf der anderen Seite der Fall ist, wenn auch heute diese Diskrepanz nicht mehr so groß ist wie früher, was nicht zuletzt eben der KSZE zugeschrieben werden muß. Die Zahl der westdeutschen Journalisten, die Polen besuchen, übersteigt innerhalb eines Jahres um ein Vielfaches die Zahl der polnischen Journalisten, die in die Bundesrepublik reisen. Doch die letzteren veröffentlichen nach ihrer Rückkehr viel mehr Berichte als ihre deutschen Fachkollegen über Polen.
Mit Platz für Informationen aus anderen Ländern geizt auch das westdeutsche Fernsehen. Machmai vergehen Wochen, ehe in den beiden Programmen eine ausführlichere Information über die sozialistischen Länder zu sehen ist. Im Jahre 1975 übernahm die „Intervision" 3 540 Informationsmaterialien (shots) der „Eurovision", wovon 75, Prozent ausgestrahlt wurden. Die „Eurovision" bezog 4 136 Materialien der „Intervision", sendete jedoch da-, von nur etwa 5 Prozent. Im Jahre 1974 strahlte das polnische Fernsehen in einer Woche durchschnittlich zweieinhalb Stunden Informationen und Programme aus den USA und drei Stunden aus Frankreich aus. In der gleichen Zeit schloß die Bilanz der polnischen Sendungen in den USA mit vier Stunden 40 Minuten und in Frankreich mit lediglich vier Stunden ab — und das im ganzen Jahr! Die Auslands-programme nehmen im polnischen Fernsehen doppelt soviel Platz als in Frankreich, im ungarischen Fernsehen fast dreimal soviel Platz als in Italien, und in der Sowjetunion strahlt das Fernsehen das Zehnfache an Auslandsprogrammen aus im Vergleich mit den USA.
Die Ausgangspunkte für die Vergleiche und die Vergleichsmethoden sind natürlich unterschiedlich; die Vergleichsergebnisse beweisen jedoch das Bestehen einer bedeutenden Disproportion. So strahlt das DDR-Fernsehen 90 Prozent der von der „Eurovision" übernommenen Sendematerialien (so der Direktor des Staatlichen Fernsehkomitees der DDR, H. Adameck, am 20. Januar 1976) aus, während das Fernsehen der Bundesrepublik nur zehn Prozent des Sendematerials der Intervision zur Ausstrahlung bringt. Der Sendeleiter der „Tagesschau" in der Bundesrepublik bestätigte die Richtigkeit der von H. Adameck angegebenen Zahlen („Bonner Rundschau“ vom 30. Januar 1976), erklärte dazu jedoch, das DDR-Material sei für die Fernsehteilnehmer in der Bundesrepublik wenig interessant, was wohl diskutabel ist.
Es muß zugegeben werden, daß von den westdeutschen Medien das Fernsehen den verhältnismäßig größten Raum den mit Polen zusammenhängenden Themen widmet. Zum Beispiel strahlte die ARD im Sommer 1976 eine vierteilige Sendereihe über die polnische Kunst (Titel: „Wege zur Kunst") aus. Der erste Farbfilm unter dem Titel „Von Poznan nach Warschau" vermittelte den Zuschauern die interessantesten und historischen Kultur-denkmäler. Die Schöpfer dieses Films, D. Fambach und J. Böttcher, zeigten Polen als ein Land kultureller Lebendigkeit. Der Moderator dieser Sendereihe unterstrich, daß Polen keine finanziellen und organisatorischen Aufwendungen scheut, um die in den Jahren des Krieges und der deutschen Okkupation zerstörten Kultur-und Architekturdenkmäler wiederherzustellen. Dieser Film, gehalten in einem wohlwollenden und objektiven Ton, brachte sicherlich die reiche polnische Kultur und Kunst sowohl aus alten Zeiten als auch der Gegenwart einem breiten bundesdeutschen Fernsehpublikum näher.
Es erübrigt sich sicher, darüber zu sprechen, welch wichtige Rolle das Fernsehen bei der Stärkung des Vertrauens zwischen den Völkern spielen kann. Es zeigt sich aber, daß die Sache gar nicht so einfach ist. Das polnische Institut für internationale Angelegenheiten und das Schweizer Institut für Internationale Studien veranstalteten gemeinsam im Mai 1976 in Krakau ein Fachsymposium zum Thema „Der Austausch von Fernsehinformation zwischen Staaten mit unterschiedlicher Gesellschaftsordnung im Lichte der Schlußakte der KSZE". An diesem Symposium nahmen Vertreter von 15 Ländern teil. Die polnische Wochenzeitung „Polityka" berichtete am 10. Juli 1976 über dieses Symposium folgendes: „Während des Symposiums in Krakau wurde erstmalig nach Helsinki der Versuch unternommen, den tatsächlichen Ursachen dieses Sachverhalts auf den Grund zu gehen und die Möglichkeiten der Beseitigung der krassesten Disproportionen entsprechend der KSZE-Schlußakte festzustellen. Die Teilnehmer verwiesen auf verschiedene Hindernisse, die einen ausgewogenen Austausch auf dem Gebiet des Rundfunks und Fernsehens erschweren: die bestehenden Differenzen technischer Natur, den Mangel bzw. die ungenügende Zahl der menschlichen Kontakte, die unterschiedlichen organisatorischen Strukturen, die unterschiedliche Auslegung von Begriffen. Erneut griff man zu der im Westen geläufigen Version, strukturellen wonach die Unterschiede, die sich aus dem Privateigentum der Massenmedien im Westen und dem gesellschaftlichen Eigentum dieser Medien in den sozialistischen Ländern ergeben, die wichtigsten Barrieren für den freien Informationsfluß in beiden Richtungen darstellen. Die sozialistischen Länder sollten demnach bei dem internationalen Informationsaustausch die Regeln des kapitalistischen Marktes berücksichtigen, auf dem sich das Interesse an der Information — wie an jeder anderen Ware — nach den marktüblichen Kategorien des Angebots, der Nachfrage und des Gewinns gestaltet. Diesem Konzept liegt das Prinzip einer unausgewogenen Verantwortlichkeit zugrunde, die auf der Seite der sozialistischen Länder, wo die Gesellschaft Disponent aller Medien ist, höher sein muß. Weniger Verantwortung — oder gar keine — haben dagegen die kapitalistischen Länder zu tragen, wo die Eigentumsformen stark differenziert sind und wo das Eigentum private überwiegt. Es lohnt sich an dieser Stelle zu vermerken, daß auch im Westen der staatliche Interventionismus im Rundfunk-und Fernsehbereich zur Zeit ziemlich stark ausgeprägt ist, selbst wenn der Status dieser Institutionen in formeller Hinsicht auf dem Prinzip der Unabhängigkeit gegründet ist. Wer jedoch denkt, daß in jenen westlichen Ländern, wo das Fernsehen staatliches Eigentum ist oder vom Staat kontrolliert wird, der Informationsaustausch mit den Fernsehanstalten der sozialistischen Länder unter Beachtung des Prinzips der gleichberechtigten Partnerschaft entwickelt wird, irrt sich."
Die Vorstellungen über Osteuropa gestalten hauptsächlich die Massenmedien
Äußerst wichtig ist zur Zeit die Intensivierung der Entspannungsbemühungen in Übereinstimmung mit den Abmachungen von Helsinki, wozu die Massenmedien in erheblichem Maße beitragen können. Sie können aber auch bewirken, daß die Fortschritte nur schleppend vor sich gehen. Diese These werde ich am Beispiel des Normalisierungsprozesses der Beziehungen zwischen Polen und der Bundesrepublik begründen. Die Regierungstellen der Bundesrepublik, Gesellschaftsorganisationen, Kultur-und Jugendzentren haben gewisse Fortschritte auf diesem Wege zu verzeichnen, ja sie kommen auf diesem Wege mitunter schnell voran. Es läßt sich jedoch kaum behaupten, daß auch die Massenmedien, als ganzes genommen, an dem Fortgang dieses Normalisierungsprozesses einen gewichtigen Anteil haben. Ich möchte richtig verstanden werden: Teils kann auch das Gegenteil zutreffen, d. h., daß ein evidenter Erfolg zu verzeichnen ist, doch bei weitem nicht alle Massenmedien tragen dazu bei und nicht in dem Grade, wie sie es tun könnten.
Ich denke hier an die Möglichkeiten der Einflußnahme auf die Gedanken und Empfindungen der Gesellschaft, denn im Prozeß der Normalisierung müssen dabei doch Veränderungen eintreten. Das Bewußtsein über die Veränderungen entwickelt sich nicht so schnell wie die Veränderungen selbst, übrigens: In der deutsch-polnischen Normalisierung treten diese Veränderungen zu langsam ein. Die polnischen und westdeutschen Experten sind sich darüber einig, daß in bezug auf das Wissen, den Grad der Interessierheit und der Stichhaltigkeit des Urteils im Bereich der polnisch-deutschen Probleme der Durchschnitts-pole den Bundesdeutschen eindeutig überlegen ist. Der Durchschnittsbürger der Bundesrepublik weiß über Polen erschreckend wenig, obwohl sein Wissen jetzt etwas größer ist als zur Zeit des Kalten Krieges. Die Verbesserung steht aber in keinem Verhältnis zu den Normalisierungsanstrengungen der Jahre 1970— 1976. Es käme dem Einrennen von offenen Türen gleich, diese Feststellung mit Beispielen und Beweisen zu belegen, denn das Defizit dieses Wissens ist bereits viele Male von kompetenten Stellen in der Bundesrepublik bestätigt worden. Kann diesem Zustand allein durch die Steigerung der zwischenmenschlichen Kontakte und des Reiseverkehrs zwischen der Bundesrepublik und Polen abgeholfen werden? Was das anbetrifft, bin ich skeptisch, das heißt aber nicht, daß ich gegen die weitere Entwicklung des Reiseverkehrs bin. Meine Skepsis werde ich an dem mehr transparenten Beispiel der Kontakte zwischen den beiden deutschen Staaten erläutern. Schon seit vielen Jahren besuchen Millionen von Bundesbürgern die DDR und ihre Hauptstadt Berlin. In umgekehrter Richtung reisen etwa 1, 5 Millionen DDR-Bürger jährlich in die Bundesrepublik. Diese in bilateraler Beziehung zwischen Staaten einmalige Intensität von Kontakten findet auch ihre Widerspiegelung in der Zahl von 20 000 täglichen Telefongesprächen, 200 Millionen Briefen und 40 Millionen Päckchen und Paketen im Jahr. Und doch hat das Unwissen eines durchschnittlichen Bundesbürgers über den zweiten deutschen Staat erstaunliche Ausmaße. Der Ständige Vertreter der Bundesregierung in der DDR, Günter Gaus, äußerte in einem Gespräch mit der „Bonner Rundschau" am 23. Mai 1975 die Ansicht, daß der Durchschnitts-bürger der Bundesrepublik die tatsächliche Situation in der DDR nicht kennt. Offenbar erfüllen hier die Massenmedien die Aufgaben, die ihnen obliegen, nicht ganz. Die Ausmaße dieses Unwissens machte unter anderem eine Sendung des Zweiten Deutschen Fernsehens Mitte Januar 1976 publik, in der die Ergebnisse einer durch das Allensbacher Institut durchgeführten Umfrage über die DDR mitgeteilt wurden. Den Befragten wurde eine einfache Frage, wie schon zehn Jahre zuvor, gestellt. Es zeigte sich, daß in dieser Materie sich das Unwissen der Bürger der Bundesrepublik noch vertieft hatte.
Muß nun das Unwissen über Polen zugleich als Beweis für mangelndes Interesse gelten? Ich meine nicht. In der Bundesrepublik wird ein verhältnismäßig großes Interesse an Unserem Land registriert. Die polnische Kultur nach dem Zweiten Weltkrieg kennt man hier unvergleichlich besser als den wirtschaftlichen Aufstieg Volkspolens, der immer wieder in den Schatten gestellt wird mittels Aufbauschung der Wachstumsschwierigkeiten und Verbreitung des traditionellen Klischees über Polen als Agrarland. Die zahlreichen Besucher, die die polnische Industrieausstellung in Essen 1974 und andere polnische Ausstellungen in Dortmund, Hamburg und Hannover im Jahre 1975 besichtigt haben (ohne die vielen kleineren Veranstaltungen in den letzten Jahren mitzurechnen), bestätigten eindeutig ihr Interesse für Polen, und zwar ein positives, wohlwollendes Interesse, weil alle erwähnten Veranstaltungen ohne wesentliche Zwischenfälle abgelaufen sind, abgesehen von sporadischen Fällen der Entfernung von Plakaten und der Verteilung von Flugblättern durch Rechtsextremisten. Äußerst selten hat es auch Störaktionen bei den Hunderten Seminaren und Vortragsabenden mit den Gästen aus Polen in den letzten Jahren gegeben.
Eine Antwort auf die Frage, inwieweit das Bewußtsein der sich im Prozeß der Normalisierung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Polen vollziehenden Veränderungen verbreitet ist, macht um so größere Schwierigkeiten, als jemand, der von polnischen Städten nur Warschau zu nennen vermag, mitunter ein fundiertes Wissen über das polnische Plakat haben kann. Ein anderer Bundesbürger freut sich über jeden neuen polnischen Film, ist gleichzeitig aber überzeugt, daß die Gebiete hinter der Oder-Neiße-Linie keineswegs entgültig verloren sind und glaubt, daß die Kommunisten ein minderwertiger Menschenschlag sind, die Bonner Ostpolitik eine Kette von Zugeständnissen seitens der Bundesrepublik sei, die als Gegenleistung nichts, aber auch gar nichts erhält. Der Eisberg der Vorurteile und falschen Vorstellungen ist noch allzu groß und schmilzt allzu langsam.
Was sind die Ursachen dafür? Die Umfragen der bundesdeutschen Institute für Meinungsforschung aus den letzten Jahren ergaben, daß die Ostpolitik der Bundesregierung bei der Bevölkerung an Popularität verliert. Unmittelbar nach 1970 bestanden in bezug auf diese Politik großer Optimismus und Zufriedenheit. Ende 1971 drückten allerdings schon 43 Prozent der durch das Demoskopische Institut Allensbach Befragten ihre Enttäuschung über die Ergebnisse der Ostpolitik aus. Im August 1974 war der Anteil der Enttäuschten bereits auf 57 Prozent angewachsen. Nach den Angaben des Instituts „Emnid" forderten im Frühjahr 1976 sogar 70 Prozent der Befragten eine „härtere" Politik der Bundesrepublik gegenüber den sozialistischen Staaten. Noch im Jahr 1969 betrug dieser Prozentsatz nach „Emnid" nicht mehr als 32 Prozent der Bevölkerung, 1974 dann schon 47 Prozent und 1975 war er sogar auf 63 Prozent angewachsen. Die schnell anwachsende Unzufriedenheit zeigt, wie weit bestimmte Informationsmedien in ihrer Kasuistik gegangen sind. Die Dinge werden auf den Kopf gestellt; die Bilanz der langjährigen Ostpolitik der Bundesregierung und die Kontroversen zwischen der Bundesrepublik und den sozialistischen Staaten werden so dargestellt, als befände sich die Bundesrepublik im Endergebnis auf der Position des Verlierers und als hätten allein die sozialistischen Länder Vorteile daraus gezogen. Würde man aber nach den konkreten Gründen der Unzufriedenheit fragen, so könnten die meisten „Unzufriedenen" nichts Konkretes angeben. Die Vorteile Bonns liegen nämlich auf der Hand. Ohne ihre Beziehungen mit den sozialistischen Ländern normalisiert zu haben, hätte die Bundesrepublik niemals ihre heutige internationale Position erlangt.
Die Leiter der Außenpolitik Polens und der Bundesrepublik appellierten in ihren Tischreden zum Abschluß des Besuchs des polnischen Außenministers Stefan Olszowski im April 1976 in Bonn an die Presse, sich verstärkt für die Beseitigung der Hindernisse auf dem Wege der Normalisierung einzusetzen. Ich meine, daß die Minister damit auf ein bisher ernstlich vernachlässigtes Gebiet hingewiesen haben. Eben dieses Problem nämlich entzieht sich dem Blickfeld vieler Teilnehmer am Ost-West-Dialog. Es wurden zwar verschiedene Arbeitsgruppen ins Leben gerufen, Ausschüsse für Angelegenheiten des Warenaustausches und der wirtschaftlichen Zusammenarbeit gebildet, die Möglichkeiten eines wissenschaftlich-technischen Erfahrungsaustausches werden sorgfältig analysiert, man bemüht sich um eine Schulbuchrevision, eine Vereinbarung über den kulturellen Austausch befindet sich in Erarbeitung — bisher jedoch interessiert sich niemand dafür, in welchem Maße die Massenmedien allen diesen Unternehmungen dienen bzw. schaden.
Minimalprogramm muß die Einhaltung elementarer Grundsätze des Anstands des Journalisten und der Redlichkeit der Informationen sein. Daran halten sich leider bei weitem noch nicht alle westlichen Zeitungen und Rundfunksender. Manche können oder wollen sich nicht von den überlebten Gewohnheiten trennen und unterstützen lautstark bestimmte politische Kräfte in ihren Kampagnen gegen die sozialistischen Länder.