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Reformpolitik und Sozialwissenschaften Wo entstehen staatliche Innovationsprogramme und wie können die Sozialwissenschaften zu ihrer Entwicklung beitragen? | APuZ 39/1977 | bpb.de

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APuZ 39/1977 Politische Wissenschaft und politische Praxis Reformpolitik und Sozialwissenschaften Wo entstehen staatliche Innovationsprogramme und wie können die Sozialwissenschaften zu ihrer Entwicklung beitragen? Ideenpolitische Grundlagen der Christlich Sozialen Union

Reformpolitik und Sozialwissenschaften Wo entstehen staatliche Innovationsprogramme und wie können die Sozialwissenschaften zu ihrer Entwicklung beitragen?

Wolfgang Hesse

/ 26 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Ausgangspunkte sind die Notwendigkeit staatlicher Innovationspolitik und die Struktur, in der Innovationsprogramme in der Bundesrepublik Deutschland entwickelt werden müssen. Dabei steht hier die Ministerialbürokratie im Mittelpunkt des Interesses. Die Bedingungen werden benannt, die für ihre Arbeit bestimmend und damit gleichzeitig für den dort festzustellenden Mangel an Experimentierfreude und risikobereiter Innovationssuche ausschlaggebend sind. Auch für den Fall, daß seine Forderung nach verstärkter Einbeziehung der Sozialwissenschaften in Prozesse einer innovativen Programmentwicklung erfüllt würde, könnte der Autor eine gewisse Skepsis hinsichtlich der Chancen für die Realisierung von Innovationen nicht ablegen. Gleichwohl sind von neuen Kooperationsformen zwischen der Ministerialbürokratie und den Sozialwissenschaften lohnende Ergebnisse zu erwarten, weil dadurch die Voraussetzungen für die Entwicklung von Innovationsanstößen verbessert werden können. In diesem Sinne stellt der Autor seinen Ansatz für ein Kooperationsmodell zwischen Ministerialbürokratie und Sozialwissenschaften zur Diskussion.

I. Notwendigkeit staatlicher Innovationspolitik

Der Umfang der Staatsfunktionen hat sich, insbesondere seit dem Ende des letzten Jahrhunderts, stark ausgeweitet. Zu den klassischen Aufgaben, Sicherheit nach außen zu garantieren und für Ordnung im Innern zu sorgen, hat der Staat zunehmend wirtschaftspolitische Verantwortlichkeit übertragen erhalten und in wachsendem Ausmaß Wohlfahrtsfunktionen übernommen. Man kann bereits von einer Tendenz zur Allzuständigkeit des Staates sprechen: „Zwar werden Sozial-chancen auch heute noch weitgehend durch Zuteilungsmechanismen des Marktes und der Konkurrenz bestimmt, aber im Prinzip ist jede solche Zuteilung korrigierbar geworden durch politische Aktion, die den Katalog der Staats-aufgaben inhaltlich bestimmen und verändern kann. Grundsätzlich ist der moderne demokratische Staat im wirtschaftlich-sozialen Bereich allzuständig geworden." Diese These findet speziell in Zeiten wirtschaftlicher Rezession immer wieder eindrucksvolle Bestätigung, wenn der Ruf nach staatlicher Hilfe gerade auch von denjenigen überlaut wird, die ansonsten ideologisch motivierte Frontstellungen gegen das Eindringen des Staates in immer mehr Lebensbereiche einnehmen.

Die an den jeweiligen akuten Problemen ansetzende reaktive und kompensatorische Politik kann allerdings nur unzureichende und verspätete Lösungen anbieten. Sie hat zur Folge, daß die ungelösten Probleme sich verschärfen und ausweiten und damit langfristig immer mehr Ressourcen für ihre Lösung erforderlich werden. Die Umweltproblematik ist hierfür ein eindrucksvolles Beispiel. Wir müssen deshalb konstatieren, daß „das nachträgliche Krisenmanagement ... sich als unverhältnismäßig viel teurer (erweist), als es eine antizipierende Regelung und Steuerung der zugrunde liegenden sozio-ökonomischen Prozesse selbst wäre". *

Um Mißverständnissen vorzubeugen, sei hier deutlich gemacht, daß ich Innovationspolitik zwar auch unter technokratischen Machterhaltungsgesichtspunkten für unverzichtbar halte — die tiefere Notwendigkeit sehe ich jedoch darin, daß aktive Reformpolitik nur über den Weg ständiger Suche nach Innovationsmöglichkeiten die gesellschaftliche Wirklichkeit in die gewünschte humanere Richtung fortentwickeln kann. Machterhaltung kann hierfür eine notwendige Bedingung sein.

Bei der vorliegenden Untersuchung werde ich von der hier nicht weiter zu diskutierenden Voraussetzung ausgehen, daß es in unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit noch Raum für staatlich eingeleitete Innovationen gibt, der unter den gegebenen Planungs-und Entscheidungsstrukturen bisher nicht ausgeschöpft wird. Dabei unterstelle ich natürlich nicht, daß die Beziehung zwischen den Sozial-wissenschaften und der politischen Praxis der einzige Problempunkt bei einem solchen Reformprozeß ist; es gibt andere Restriktionen von mindestens gleicher Bedeutung Jedoch meine ich, daß es sich hier um einen wichtigen Engpaß handelt, den anzugehen es lohnt. Dies scheint mir ein möglicher Weg zu sein, um die bislang ungenügende Ausschöpfung vorhandener Handlungs-und Innovationspotentiale durch staatliche Institutionen zu beheben

II. Die Programmentwicklungsstruktur

Uber den empirischen Befund eines ständigen Aufgabenzuwachses des Staates herrscht — unabhängig von seiner Bewertung — wohl weitgehende Übereinstimmung Mit diesem Aufgabenzuwachs geht jedoch keine parallele Erhöhung der staatlichen Problemlösungsfähigkeit einher. Hieraus entwickelt sich der oft beklagte wachsende Problemdruck, der aber nicht als eine objektive Größe feststeht, sondern zum großen Teil der politischen Beurteilung unterliegt. Die Problemdefinition ist maßgeblich abhängig zum einen vom Entwicklungsstand einer Gesellschaft und dabei — neben dem kulturellen und zivilisatorischen Stand — primär von ihren ökonomischen Möglichkeiten und zum anderen von den normativen Maßstäben des Urteilenden. Die Analyse und Bewertung der Probleme, die Beurteilung der Notwendigkeit von Problemverarbeitung und die angestrebte Richtung der Problemlösung sind Inhalt des politischen Prozesses auf den verschiedensten Ebenen.

Erhebt man nun, wie Sozialdemokraten es tun, den Anspruch, eine aktiv-steuernde Reformpolitik betreiben zu wollen, so muß man als wichtige Bedingung hierfür zunächst einmal sicherstellen, daß die entsprechenden Programmentwicklungsprozesse realisiert werden können.

Die Hauptbeteiligten dafür sind in unserem politischen System die Organe der Exekutive (Ministerien, Kabinett, Kanzler), der Legislative (Bundestag, Ausschüsse, Fraktionen, Bundesrat), der Judikative (über die Einbeziehung höchstrichterlicher Entscheidungen wie z. B.der Vorgabe des Bundesverfassungsgerichtes, bis 1984 die Rentenversorgung der Witwen und Witwer neu zu regeln), die Parteien, die Verbände (Wirtschaftsverbände und andere Partikularinteressenverbände) die Gewerkschaften, die Medien sowie als relativ neue Erscheinung auch Bürgerinitiativen und schließlich die Wissenschaft. Diese Aufzählung soll in keiner Weise den Versuch einer wertenden Reihenfolge im Hinblick auf die Bedeutung der einzelnen Beteiligten darstellen, zumal das jeweilige Gewicht je nach den politischen Umständen extrem variieren kann. Eine Unterscheidung kann jedoch insofern vorgenommen werden, als nur die genannten Organe der Exekutive und Legislative für den formalen politischen Prozeß von Bedeutung sind, d. h. verbindliche staatliche Programm-entscheidungen können nur auf dem Weg über diese Instanzen herbeigeführt werden. Damit müssen sie natürlich nicht zugleich für die inhaltliche Programmentwicklung einen hervorragenden Platz einnehmen.

Von den mit der genannten formalen Kompetenz ausgestatteten Organen auf Bundesebene sind in der Regel die Ministerien die auch von den übrigen Instanzen anerkannten Träger der Programmerarbeitung; von ihnen wird die Vorlage von Gesetz-und Verordnungsentwürfen und Ausgabeplänen erwartet, die dann von den anderen formal verantwortlichen Gremien weiterbehandelt werden.

Die Struktur der Ministerialorganisation kann grob interpretiert werden „als eine nicht völlig durchsystematisierte Kombination hierarchischer Organisationsprinzipien mit Elementen der Matrix-Organisation" Die hierarchische Kette reicht von den Referaten als den Basiseinheiten der Ministerien über die Unterabteilungsleiter (in einigen Fällen Gruppenleiter), die Abteilungsleiter, die Staatssekretäre (beamtete und parlamentarische) bis zum Minister als dem für die gesamte Tätigkeit „seines Hauses” letztlich Verantwortlichen. Elemente der Matrixorganisation kommen insofern hinzu, als die Verwaltung der Verwaltung in — der Zentralabteilung unterstehenden — Querschnittseinheiten wahrgenommen werden. Weitere Funktionen, wie z. B. die Forschungskoordinierung und Justitiaraufgaben, können außerdem in der Z-Abteilung angesiedelt sein. Darüber hinaus können Grundsatzreferate in den Fachabteilungen und/oder Planungsgruppen/Planungsabteilungen bestehen. Ohne deren Bedeutung zu schmälern — denn sie stellen einen wichtigen Versuch zur Lösung des Koordinationsproblems dar — muß jedoch festgestellt werden, daß die Fachreferate nach wie vor die tragenden Einheiten im organisatorischen Aufbau eines Ministeriums geblieben sind. Dort entstehen die in der ersten Phase auch offiziell als „Referentenentwürfe" bezeichneten Programme der Ministerien. Damit soll keineswegs behauptet werden, daf nun die gesamte Politik durch die Arbeit dei Referate programmiert werde. Als nicht mit der Realität übereinstimmend betrachte ich jedoch das von der Verwaltung oftmals selbst postulierte Modell „legislatorischer Programmsteuerung", das streng unterscheidet zwischen der Willensbildung durch die politischen Instanzen und der Ausführung der fertigen Vorgaben durch die Verwaltung Inwieweit dies für große Teile der Exekutive der Länder und Kommunen gelten mag, kann hier unentschieden bleiben; für den Bereich der Ministerialbürokratie des Bundes als planende Verwaltung muß uneingeschränkt dem Resümee von Friedrich zugestimmt werden:

„Als Hilfs-und Vollzugsorgan der Leitung der Exekutive ist die Verwaltung nicht nur an der Vorbereitung von Entscheidungen beteiligt, sondern greift aktiv in die politische Planung und ihre Durchsetzung ein, indem sie (beispielsweise) mit den wichtigen Gruppen und Personen des politischen Raumes verhandelt und alles versucht, ihre ... erarbeiteten Entwürfe in den Entscheidungsgremien des Bundestags und des Bundesrats durchzubringen."

Damit bleibt als Ergebnis ein Modell wechselseitiger Beeinflussung zwischen der politischen Spitze (Minister und auch Staatssekretäre) und den Angehörigen der Fachreferate (neben den jeweiligen Referenten sind in unterschiedlicher Anzahl akademisch ausgebildete Hilfsreferenten und auch die Sachbearbeiter in den Programmentwicklungsprozeß einbezogen) über die . Transmissionsebenen’ der Unterabteilungsleiter/Gruppenleiter und Abteilungsleiter.

Für den faktischen Ablauf gilt dabei, daß die politische Spitze notwendigerweise zum Engpaß wird. Denn „ihre Informationsaufnahmeund Verarbeitungskapazität findet ihre Grenze am Arbeitstag des Regierungschefs, Ministers ... und diese Grenze wird um so einschränkender, je mehr Politik und Verwaltung auf komplexe gesellschaftliche Sachverhalte differenziert reagieren und einwirken müssen" Die Referatsstruktur war und ist in dieser Beziehung sensibel und liefert — jedenfalls soweit es sich um bereits als politisch wichtig erkannte Sektoren und teilweise auch Regionen der sozio-ökonomischen Umwelt handelt — ein relativ weitgehendes Spiegelbild der gesellschaftlichen Realität. Eine Schwierigkeit bedeutet jedoch die mangelnde Fähigkeit zur übergreifenden Problem-sicht. Aber selbst wenn dieses Defizit durch eine verbesserte Koordination gemildert werden könnte, bliebe m. E.der auf eine reform-willige politische Leitung wohl frustrierend wirkende Mangel an Experimentierfreude und risikobereiter Innovationssuche innerhalb der Ministerialbürokratie bestehen. Die Gründe hierfür sind sicherlich nur in Ausnahmefällen in „politischer Böswilligkeit" von Mitarbeitern zu suchen; als ausschlaggebend sehe ich vielmehr die weiter unten skizzierten Bedingungen an, die für die Arbeit in den Ministerien bestimmend sind.

III. Reaktive und konservative Programme

Die in den ca. 1 200 Referaten der Bonner Ministerialbürokratie stattfindende dezentrale Programmentwicklung muß — was im folgenden zu begründen ist — als tendenziell raktiv und konservativ eingeschätzt werden. Um den Unterschied zwischen „aktiver" und „reaktiver" Politik zu verdeutlichen, sei auf das folgende, von Mayntz/Scharpf entwickelte Schema von Gegensatzpaaren Bezug genommen. mehr „reaktiv" mehr „aktiv"

Programmentstehung heteronom bestimmt autonom bürokratiebestimmt leitungsbestimmt Reichweite begrenzt umfassend kurzfristig längerfristig Zielsetzung umweltanpassend umweltverändernd konfliktfähige auch nicht konflikt-fähige Interessen Man muß gar nicht von dem Extremfall einer „Kolonisierung“ der Ministerialorganisation durch externe Interessen ausgehen, um zu belegen, daß die Programmentstehung tendenziell heteronom bestimmt ist (wobei die Möglichkeit einer autonomen Programmentwicklung selbstverständlich nicht ausgeschlossen werden soll Da jedes Referat für exakt bestimmte Ausschnitte der Umwelt zuständig ist, ist es seine Aufgabe, diesem Bereich seine volle Aufmerksamkeit zu widmen. Das Referat handelt rational, wenn es sich dem hieraus resultierenden „Gesetz der selektiven Wahrnehmung“ fügt und eine entsprechende Interessenorientierung entwickelt. Denn nur auf dem Wege einer möglichst weitgehenden Anpassung an die Bedürfnisse seines Umwelt-ausschnittes — und damit sind wir bereits bei einem weiteren Gegensatzpaar — können Konflikte minimiert und die Chance auf Anerkennung bei der Leitung des Ministeriums und damit zusammenhängend die Chance auf Beförderung maximiert werden. Denn von wenigen politisch gewünschten Konflikten abgesehen, kann der Leitung wegen der „Knappheit der Zeit" in der Regel nicht zugemutet werden, in den vielen zur Entscheidung anstehenden Fragen die konfligierenden Interessen im Detail abzuwägen und daraus die begründete Bereitschaft zum Konflikt in vielen Einzelpunkten und gegen viele Interessenten zu entwickeln. Erwünscht sind vielmehr „abgestimmte" Entwürfe, die möglichst reibungslos „laufen". Hieraus ergibt sich gleichzeitig, daß in der Mehrzahl der Fälle von einer tendenziell bürokratiebestimmten Programmentstehung auszugehen ist.

Da der politische Prozeß — vergleichbar einer Membrane — sich in die Richtung bewegt, die aus der Resultante des Druckes bestimmt wird, der durch die daran Beteiligten ausgeübt wird, werden nicht konfliktfähige Interessen benachteiligt Von der bestehenden Programmentwicklungsstruktur ist hier kein Gegengewicht zu erwarten, da nicht konfliktfähige Interessen — wenn überhaupt — nur Berücksichtigung finden, wenn die etablierten Interessen, gegenüber denen (und meist auch mit denen) ein Programm abge-stimmt sein muß, hierdurch nicht negativ tangiert werden.

Die Reichweite der Programme ist in der Regel auf den Zuständigkeitsbereich des einzelnen Referates begrenzt. Denn jedes Referat ist nur für das ihm übertragene Spezialgebiet verantwortlich und konzipiert Programme, um die hier wahrgenommenen Probleme zu verarbeiten. Wenn es dabei durch die in der sozio-ökonomischen Realität bestehenden Interdependenzen unumgänglich wird, das Programm umfassender anzulegen, so werden die betroffenen übrigen Referate durch den Abstimmungsprozeß der „defensiv negativen Koordination" dafür Sorge tragen, daß in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich keine negativen Auswirkungen entstehen. Hieraus ergibt sich, daß, „obwohl die im politischen System insgesamt verfügbaren Handlungsmöglichkeiten und Mittel für problemadäquate Maßnahmen ohne weiteres ausreichen mögen, ... diese Gesamtheit der Handlungsmöglichkeiten in realen Entscheidungsprozessen kaum jemals verfügbar (ist). Insbesondere ist es in der Regel nicht möglich, die Probleme eines bestimmten Bereichs durch Maßnahmen in einem anderen Zuständigkeitsbereich zu lösen.“

Da die Erarbeitung längerfristiger Programme einen bedeutend höheren Informationsverarbeitungsaufwand erfordert als die auf kurzfristige Regelungen abzielende Reaktion auf akute Problemfragen, kann es nicht verwundern, daß die kleinen Referatseinheiten unter den gegebenen Bedingungen unelastischer Arbeitskapazität hierzu nicht in der Lage sind.

Als Ergebnis müssen wir festhalten, daß von den in den Ministerien erarbeiteten Programmen unter allen genannten Aspekten eher ein reaktiv-kompensatorischer als ein aktiv-steuernder Einfluß auf die Politik ausgeht. Dieser strukturelle Konservatismus muß von mehreren Seiten angegangen werden. Als Ansätze werden auf Bundesebene z. T. schon seit längerem diskutiert und teilweise praktiziert: Eine Veränderung der Ablaufplanung (Mc Kinsey-Untersuchung über das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten), eine Veränderung der Aufbaustruktur (Scharpf-Studie über das Bundesministerium für Verkehr), eine intensive Personalweiterbildung (die Bundesakademie für die öffentliche Verwaltung macht einen Versuch in diese Richtung, indem sie eine breite Palette von Fortbildungsveranstaltungen für die Mitarbeiter der Bundesministerien anbietet), eine veränderte Personalrekrutierung und schließlich eine Veränderung der Inhaltsplanung. Mich interessiert hier vor allem der letztgenannte Ansatz. Dabei will ich aus Platzmangel nicht die Effektivität der insbesondere mit Bildung der ersten Asozial-liberalen Koalition verstärkt für innovative Inhaltsplanungen eingesetzten Planungsstäbe, Planungsgruppen und Planungsabteilungen untersuchen. Statt dessen möchte ich meinen Blick auf die Sozialwissenschaften richten und fragen, welchen Beitrag wir von ihnen bei dem Versuch, den festgestellten strukturellen Konservatismus zu überwinden, erwarten können, d. h. konkret, wie sie besser in innovationsgerichtete Programmentwicklungsprozesse einbezogen werden können. Hierbei sehe ich ihre Funktion vor allem darin, immer wieder neue problembezogene und umsetzungsorientierte Innovationsanstöße für die Arbeit der Ministerialbürokratie zu liefern.

IV. Eingeschränkte Leistungsfähigkeit der Sozialwissenschaften

Von der finanziellen Seite her betrachtet, wird unmittelbar deutlich, welch große Bedeutung der Wissenschaft insgesamt von un-serer Gesellschaft gegenwärtig beigemessen wird: „Im Jahr 1974 wurden . in der Bundesrepublik von Staat und Wirtschaft 24, 6 Milliarden DM für Forschung und Entwicklung ausgegeben . .. Hierzu kommen weitere, nahezu ausschließlich von der öffentlichen Hand zur Verfügung gestellte Mittel in Höhe von 9, 6 Milliarden DM für Lehre an den Hochschulen und für Studienförderung. Diese Zahlen sollen nur eine Vorstellung von der Größenordnung der von der Gesellschaft der Wissenschaft übertragenen Ressourcen vermitteln. Der Löwenanteil hiervon entfällt selbstständlich auf die Naturwissenschaften und die Förderung der technischen Entwicklung.

Angesichts dieser Dimension kann — auch in Zeiten extremer Finanzknappheit — von der Möglichkeit ausgegangen werden, gesellschaftlich als sinnvoll und notwendig erkannte Bereiche verstärkt zu fördern über einen entsprechenden Anspruch der Sozialwissenschaften herrscht breite übereinstim-mung Die mit dem ihnen zuerkannten Stellenwert verknüpften Erwartungen können die Sozialwissenschaften jedoch z. Zt. nur bedingt erfüllen. Dies gilt — wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß — sowohl für den Hochschulbereich als auch für die Trägerorganisationen die Bundes-und Landesforschungseinrichtungen und die privaten Forschungseinrichtungen. Die für eine Unterstützung aktiver Innovationspolitik notwendige Anwendungsbezogenheit ist nicht leicht herstellbar, denn die meisten Institute sind ziemlich klein und überwiegend monodisziplinär besetzt. Außerdem haben die dort arbeitenden Wissenschaftler sich häufig fachlich hoch spezialisiert Hinzu kommt, daß die Kapazitäten der Hochschullehrer durch Lehr-und Selbstverwaltungsaufgaben in hohem Maße beansprucht und Forschungsfreisemester nur in großen zeitlichen Abständen gewährt werden. Schließlich fehlen wichtige Service-Einrichtungen für die empirische Sozialforschung, so daß insgesamt das Interesse an ausschließlich theoretischen Problemen zuungunsten anwendungsbezogener und empirisch angelegter Fragestellungen gefördert wird

Diese Defizite sind erkannt; Maßnahmen zu ihrer Behebung werden diskutiert oder sind bereits eingeleitet Auf die weiteren Ent

Wicklungsmöglichkeiten bezogen, kann jedenfalls ein auf breitem Konsens beruhendes positives Gesamturteil festgehalten werden: „Die Voraussetzungen für einen nachhalügen Entwicklungssprung der sozialwissenschaftlichen Forschung in der Bundesrepublik sind heute gegeben. Qualifiziertes Personal steht in ausreichendem Maße zur Verfügung. Der Theoriebestand ist in vielen Zusammenhängen tragfähig. Die methodologischen Rückstände und technologischen Lücken im Vergleich zur internationalen Forschung beginnen sich zu schließen.“

Auch von Kritikern der . bürgerlichen Wissenschaft' wird deren Bedeutung als Informationsquelle des politischen Systems gesehen ihre praktische Funktion für eine politische Steuerung der sozio-ökonomischen Entwicklung wird jedoch weitgehend in Zweifel gezo gen, da sie sich auf die Basis . kapitalistische: Produktionsweise'einlasse, ihrer Logik folgt und sich damit von der Totalität wie von ih rer konkreten Basis abschneide, d. h. ober flächlich werde. Dieser Argumentationslinit kann auf pragmatische Weise entgegnet wer den, daß wir wohl auch zukünftig mit diese Wissenschaft werden arbeiten und natürlicl uns auch auseinandersetzen müssen.

Als Ergebnis möchte ich festhalten, daß di Sozialwissenschaften als Stütze innovative Politik wichtig und daß die für diese Aufgab erforderlichen Mittel beschaffbar sind. Di Notwendigkeit einer „Verwissenschaftlichun der Politik“ wie auch einer „Praxisbezc genheit der Sozialwissenschaften" ist jeden falls überdeutlich. Denn „sinnvolle und ei folgreiche staatliche Planung in unserer hochkomplexen gesellschaftlichen und wirf schaftlichen System wird . . . immer meh und vielfältigeres Wissen erfordern, als ir Behördenapparat selbst vorhanden sein kam Auf Beratung durch Spezialisten, in der Reg« Wissenschaftler, wird .... in zunehmende; Maße zurückgegriffen werden müssen."

V. Bei einer Einbeziehung der Sozialwissenschaften zu beachtende Probleme und zu erfüllende Bedingungen

Um falschen Interpretationen vorzubeugen, sei hier festgestellt, daß wir von einer noch so intelligenten Einbeziehung der Sozialwissenschaften in den politischen Prozeß keine Innovationswunder erwarten dürfen. Das Ziel kann nur sein, die Bedingungen für Reformen zu verbessern, d. h. Innovationen wahrscheinlicher zu machen. Dies kann allerdings, unter vielen anderen Faktoren, durch mit Hilfe der Sozialwissenschaften verbesserte Programmentwicklungsprozesse angestrebt werden. Die Sozialwissenschaften können — ungeachtet der notwendigen Verbesserungen in der sozialwissenschaftlichen Forschung selbst — dazu beitragen, die verengte Problemwahrnehmung der Ministerialbürokratie zu überwinden und damit den Informationsgehalt und das „Wertberücksichtigungspotential’ der Programme zu erhöhen.

Formal könnte dagegen argumentiert werden, daß sich durch die verstärkte Einbeziehung der Sozialwissenschaften in den Prozeß der Programmentwicklung die Anzahl der Akteure erhöht, weitere Vorstellungen eingebracht werden und damit die Konflikthaftigkeit steigt. Hieraus könnte sich die Gefahr einer Überforderung des politischen Systems, das insbesondere in wirtschaftlichen Krisenzeiten die Grenzen seines Konfliktverarbeitungspotentials erreicht zu haben scheint, ergeben. Meines Erachtens ist jedoch das genaue Gegenteil zu erwarten: Unter dem Aspekt der Langfristplanung können Sozialwissenschaften z. B. helfen, das Problemvorhersageniveau zu erhöhen.

Die Tatsache, daß diese Fähigkeit z. Z. noch viel zu wenig entwickelt ist, ist kein Gegenbeweis. Denn wenn es überhaupt Institutionen gibt, die in der Lage sind, dies zu leisten, so gehören dazu auf jeden Fall die Sozialwissenschaften. Denn sie beschäftigen sich professionell mit dieser Aufgabe, sie entwickeln die notwendigen Methoden und sie haben am ehesten die kritische Distanz, die nötig ist, um die gesellschaftlichen Zusammenhänge und Entwicklungen objektiv aufzuzeigen. Damit kann die Möglichkeit für das politische System eröffnet werden, sich frühzeitig auf analysierte Problemlagen einzustellen und Lö-27 sungsstrategien einzuschlagen, die auf längere Frist wirken, demzufolge auch weniger einschneidend als mitten in Krisensituationen erarbeitete Konsolidierungsprogramme zu sein brauchen.

Selbst wer die Realisierbarkeit innovativer Langfristplanung bezweifelt und von einem Immobilismus-Krisen-Zyklus ausgeht muß Langfristplanung in der Form des Instruments der Eventualplanung als sinnvoll akzeptieren. Scharpf formuliert hierzu die These: „Innovative Politik mit hohem Konsensbedarf wird dagegen nicht schon dann möglich, wenn Wissenschaftler, , look out institutions'oder Planungsstäbe ein Problem identifiziert und Lösungsvorschläge entwickelt haben. Politisch lösbar wird ein solches Problem erst dann, wenn entweder Krisendruck oder weitgehend autonome Prozesse der Problemartikulation, Politisierung und Konsensbildung den Widerstand gegen tiefgreifende Änderungen vermindert haben." Er schlägt hierfür vor, das richtungslose „muddling through“ durch eine überlegte Krisennutzung, die mit langfristig vorab aufgestellten Eventualplanungen operiert, zu ersetzen. Ein anderer Lösungsweg kann in einer Reduktion des Konsensbedarf liegen. Stark kontroverse Innovationen haben nämlich langfristig nur dann eine Durchsetzungschance, wenn über den Politikinhalf nach einem strategischen Konzept in — vom öffentlichen Bewußtsein jeweils akzeptierbaren — Teileinheiten sukzessive politisch entschieden wird. Denn — wie es Gustav Heinemann in der Rede nach seiner Wahl zum Bundespräsidenten formuliert hat — „das Geheimnis auch der großen und umwälzenden Aktionen besteht darin, den kleinen Schritt herauszufinden, der zugleich ein strategischer Schritt ist, indem er weitere Schritte in Richtung einer besseren Wirklichkeit nach sich zieht".

Damit eine solche Politik der kleinen Schritte nicht zur „Echternacher Springprozession" wird, sondern auch tiefgreifende Reformen „erwandern" kann, muß keine gradlinige Schneise geschlagen und planiert werden; es muß jedoch die Richtung bekannt und ein Kompaß vorhanden sein und es sollte das zu durchquerende Terrain vorab möglichst sorgfältig sondiert und — soweit dies aus der Dt28 stanz möglich ist — überlegt worden sein, wie die zu erwartenden Hindernisse überwunden werden können. Hierbei können die Sozialwissenschaften wichtige Hilfestellung leisten.

Das mit Langfristplanung zwangsläufig verbundene demokratietheoretische Problem, daß mit der Entfernung von den aktuellen Bedürfnissen derjenigen, über deren Zukunft geplant wird, die Planung sich in gleichem Ausmaß von einem der wichtigsten Korrekturmechanismen unserer Demokratie — nämlich der Reaktion der Betroffenen — löst, kann auch von den Sozialwissenschaften nicht aus der Welt geschafft werden Sie können jedoch mithelfen, diese Problematik auf zweierlei Weise etwas zu entschärfen. Zum einen muß von den Sozialwissenschaften gefordert werden, daß es ihr Ziel sein sollte, diese politischen Inputs bei der Programmerarbeitung zu antizipieren und dabei sogar mehr zu leisten als der reale politische Prozeß, indem sie nämlich auch die nicht artikulationsfähigen und nicht durchsetzungsfähigen Interessen mit einbeziehen. Da aber auch bei gewissenhaftester Befolgung dieses Ziels das Risiko bestehenbleibt, daß an den tatsächlichen Bedürfnissen der zukünftig Betroffenen vorbeigeplant wird, muß zum anderen die Maxime gelten, möglichst viele Optionen für spätere Entscheidungen offenzuhalten

Das für die USA festgestellte Problem, daß die Administration extensiven Gebrauch von der Möglichkeit macht, die vom wissenschaftlichen Beratungssystem erteilten Ratschläge als vertraulich einzustufen darf bei uns nicht kopiert werden. Vielmehr soll durch die Einbeziehung der Sozialwissenschaften in den Programmentwicklungsprozeß eine zusätzliche Rationalitätsreserve für das politisch-administrative System erschlossen und damit seine Legitimationskraft erhöht werden. Hierfür ist die Möglichkeit öffentlicher Diskussion über die Programmalternatiyen zwingend erforderlich. Für die Phase der Entwicklung innovativer Programme muß jedoch eine möglichst große Vertraulichkeit gewährleistet sein

Unter dem Koordinierungsaspekt kann ein problemorientierter Einsatz der Sozialwissenschaften globalere Lösungsstrategien möglich machen, da der bereits erwähnte Referatsegoismus entfällt. Die Schwierigkeit wird dabei sein, eine aus der Autonomie des Wissenschaftsprozesses keinesfalls selbständig erwachsende, problemorientierte Multidisziplinarität der Forschung zu organisieren Daß die wenigen in diese Richtung bisher unternommenen Versuche nicht sehr fruchtbar waren, kann nicht als Beweis der Unmöglichkeit anerkannt werden. Angesichts des dringenden Bedarfs an sozialwissenschaftlicher Unterstützung müssen sie vielmehr als eine Herausforderung nach weiteren, besser durchdachten und abgesicherten Ansätzen angesehen werden.

VI. Notwendigkeit neuer Kooperationsformen

Wenn eine innovationsorientierte politische Praxis in immer größerem Ausmaß sozialwissenschaftliche Unterstützung benötigt und wenn zusätzlich die Forderung aus den Rei-hen der Wissenschaftler immer lauter wird, daß die Sozialwissenschaften sich verstärkt auch um praktische Probleme kritisch kümmern sollen, dann muß überlegt werden, wie die Beziehungen zwischen diesen beiden Bereichen verbessert werden können. Dies bedeutet auf dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen, daß zu fragen ist, wie die Erkenntnisse, Kritiken und Innovationsanstöße der Sozialwissenschaften besser in die Verwaltungspraxis der Ministerialbürokratie hineingebracht werden können. Zwischen diesen beiden Bereichen existieren selbstverständlich bereits vielfältige Verbindungen: Die Mitarbeiter des sog. höheren Dienstes haben fast alle eine akademische Ausbildung und könnten also — bei entsprechenden curricularen Voraussetzungen — sozialwissenschaftliches Wissen in die Verwaltung einbringen. Sie könnten ferner über Fortbildungsveranstaltungen oder sogar durch ein zeitlich befristetes Uberwechseln in den akademischen Bereich (z. B. eine Freistellung zur Promotion) neues sozialwissenschaftliches Wissen erwerben.

Es gibt bereits ein ausgedehntes Beratungswesen: aus einer Vielzahl von Gremien bezieht die Verwaltung zu jeweils definierten Spezialgebieten u. a. auch sozialwissenschaftliche Erkenntnisse.

Die Verwaltung erteilt zu den verschiedensten Fragen Forschungsaufträge an die Sozial-wissenschaften. Es gibt eine Reihe weiterer Verbindungen, wie z. B. die temporäre Beschäftigung von Sozialwissenschaftlern in der Verwaltung (meist über sog. Honorarverträge) oder auch die sozialwissenschaftliche Literatur, die von Verwaltungsbeamten stärker zur Kenntnis genommen werden könnte (was bei vielen engagierten Ministerialbeamten in zwangsläufig begrenztem Ausmaß auch der Fall ist).

Diese Verbindungen sind alle sehr wichtig; mit jeder einzelnen ist intensive Beschäftigung erforderlich, um die jeweils bestehenden Verbesserungsmöglichkeiten auszuloten. Ich möchte an dieser Stelle jedoch nicht versuchen, die verschiedenen bestehenden Beziehungsstränge systematisch zu analysieren und zu bewerten. Angesichts der Bedeutung, diese Beziehung insgesamt zu verbessern, halte ich es aber für nötig, nach weiteren Verknüpfungsmöglichkeiten Ausschau zu halten, mit denen vielleicht neue Perspektiven eröffent werden können. Den im folgenden grob skizzierten Ansatz möchte ich in diesem Sinne zur Diskussion stellen.

Von den beiden zur erfolgreichen Reformpolitik gehörenden Hürden „Innovation" und „Konsensbildung'1 habe ich mich in diesem Aufsatz auf die Innovation konzentriert. Meine Überlegungen betreffen die Frage, wie es wahrscheinlicher gemacht werden kann, daß innovative Politikprogramme überhaupt erst einmal den Konflikt-/Konsensprezeß erreichen. Dabei bin ich mir im klaren, daß diese beiden Bereiche zwei Seiten einer Medaille sind. Eine strenge Trennung und Hintereinanderschaltung kann als analytisches Hilfsmittel sinnvolle Dienste leisten, die Realität bringt diese Ordnung allerdings schnell durcheinander. So werden zweifellos auch während des Konflikt-/Konsensprozesses ständig neue Ideen und neue Lösungsmöglichkeiten entwickelt. Die Konflikt-/Konsensprozesse benötigen jedoch Anstöße, sei es nun durch irgendwelche Formen der Problematisierung oder durch das Anbieten von Lösungswegen oder auch durch beides gleichzeitig. Diese Funktion wird noch zu wenig auf systematische und professionell durchdachte Weise wahrgenommen, was ich für den für die Erarbeitung staatlicher Programme äußerst bedeutsamen Bereich der Ministerialbürokratie zu zeigen versucht hatte. Deshalb sollte überlegt werden, wie durch Einbeziehung der Sozialwissenschaften in diese Funktion Innovationszentren geschaffen werden könnten, die in der Lage sind, dem Konflikt-/Konsensprozeß neue, kreative Anstöße zu bieten. Für das von mir im folgenden skizzierte Kooperationsmodell bedeutet dies, daß die Konsensbildungsfunktion sekundäre Bedeutung hat. Das heißt, daß die Beratungsergebnisse bei günstiger politischer Machtkonstellation wenigstens eine gewisse angebbare Realisierungschance haben müssen. Dabei möchte ich dafür plädieren, diesen Rahmen möglichst weit zu fassen, da innovationsfeindliche Programmzurückweisungs-und -reduktionsmechanismen ohnehin innerhalb der Verwaltung in mehr als ausreichendem Ausmaß vorhanden sind.

Um die gewünschte innovationsfreundliche und zugleich umsetzungsorientierte Kooperation innovativen und programmatischen Denkens herzustellen, sind folgende wesentlichen Bedingungen zu erfüllen:

1. An dem Kooperationsprozeß müssen sowohl Sozialwissenschaftler als auch Verwaltungspraktiker teilnehmen. Nur so ist die Chance gegeben, daß in jeder Arbeitsphase von seifen der Wissenschaftler unkonventionelle Ideen eingebracht als auch von Seiten der Praktiker jeweils Überlegungen zu den Realisierungsmöglichkeiten beigesteuert werden können 2. Bei der Arbeit in der Kooperationsgruppe muß es sich um die Haupttätigkeit der Gruppenmitglieder handeln. Dies hat zum einen den Grund, daß hierdurch ein reibungsloser und effektiver Arbeitsprozeß erleichtert wird. Zum anderen kann so das Verantwortlichkeitsgefühl der Gruppenmitglieder für ihre Tätigkeit und damit auch ihr Einsatz maximiert werden.

3. Die Kooperationsgruppe muß über einen längeren Zeitraum zusammenarbeiten. Erst wenn die notwendigen gruppendynamischen Prozesse stattgefunden haben und sich die Gruppe als ein Team fühlt, das gemeinsam eine bestimmte Aufgabe bewältigen will, kann die Bereitschaft der Gruppenmitglieder erwartet werden, ihre jeweiligen Kenntnisse und Fähigkeiten — u. U. auch gegen die Interessen oder Usancen ihrer originären beruflichen Gruppen — für ihre Aufgabe fruchtbar einzusetzen. Dies ist auch insofern unbedingt nötig, um die zwischen Wissenschaftlern und Praktikern bestehenden Kommunikationsschwierigkeiten zu überwinden.

4. Der Kooperationsgruppe dürfen nicht mehr als fünf bis sieben Mitglieder angehören. Damit soll der von der Kleingruppenforschung erkannten Voraussetzung optimaler Gruppen-arbeit Rechnung getragen werden. Reicht die Arbeitskapazität der Gruppe nicht aus für die zu verarbeitende Komplexität, so ist zunächst zu überlegen, welche Interdependenzen wegen relativer Bedeutungslosigkeit unberücksichtigt bleiben können. Wenn die Gruppe trotzdem überfordert bleibt, müssen hochinterdependente Teilbereiche gesonderten Kooperationsgruppen zur Bearbeitung übertragen werden.

5. Die Kooperationsgruppe muß in einem Gebäude untergebracht sein, das weder in den Wissenschafts-noch in den Ministerialbereich integriert ist. Andernfalls bestände die Gefahr, daß die Gruppe zu einem Appendix des betreffenden Bereichs würde — mit der Konsequenz einer überwiegenden Wissenschafts-oder Verwaltungsorientierung.

6. Der Kooperationsprozeß muß möglichst weitgehend von der aktiven Einwirkungsmöglichkeit der verschiedenen Interessenvertreter abgeschottet werden. Damit sind sowohl die institutionellen Interessen innerhalb der Bürokratie als auch die Interessen der Betroffenen von außerhalb gemeint. Dazu ist es notwendig, während der Kooperationsphase die Untersuchung als vertraulich zu behandeln, damit den genannten Interessenvertretern keine Ansatzpunkte für Pressionen geboten werden.

Diese Forderung zielt nicht auf eine Verwissenschaftlichung der Politik ab als Objektivierung im Sinne einer sich aus den sog. Sachzwängen ergebenden „einzig richtigen Lösung", die nur erkannt werden muß; dies wäre zutiefst undemokratisch. Der Konflikt-Konsensprozeß soll jedoch nicht zu früh ansetzten, weil sich andernfalls das Denken von vornherein in den von den bestehenden Machtkonstellationen bestimmten Bahnen bewegt und Entwürfe, die über diese abgesteckten Linien hinausreichen, nur schwer entwikkelt werden können.

7. Die Finanzierung der Kooperationsgruppe und die Entscheidung über ihre Bildung muß durch ein Ministerium oder das Bundeskanzleramt erfolgen. Einerseits scheint es verfassungsmäßig naheliegend, daß diese Innovationszentren der Exekutive zugeordnet werden; andererseits wird nur auf diesem Wege die Aufgeschlossenheit der Ministerien erreichbar sein, die notwendig ist, um qualifizierte Praktiker für die Mitarbeit in der Kooperationsgruppe zu gewinnen und um wohlwollendes Interesse für die Aufnahme der Ergebnisse entstehen zu lassen.

Für die kontrollierende Begleitung der Umsetzungsarbeit, d. h.der „wasserdichten" Formulierung von Gesetz-und Verordnungsentwürfen sowie von Ausgabeprogrammen, die sich aus den Ergebnissen der Kooperationsgruppe herleiten, scheinen mir die Verwaltungspraktiker, die der Gruppe angehörten, prädestiniert zu sein.

Von der Einführung eines solchen Kooperationsmodells erwarte ich keinen plötzlichen Innovationsschub. Innovationen, zumal solche, die größere reformerische Veränderungen bewirken, werden durch keine technokratischen Tricks herbeigezaubert oder wissenschaftlich logisch abgeleitet; vielmehr wird die Politik mit Sicherheit weiterhin das geduldige Bohren harter und dicker Bretter bleiben. Ob es zu einer Umsetzung der Ergebnisse der Kooperationsgruppen kommt, hängt nur zu einem geringen Teil von der Intelligenz der Vorschläge ab — insofern werden die Mitglieder der Kooperationsgruppen ein hohes Maß an Frustrationstoleranz aufbringen müssen —> aber es hängt eben auch hiervon ab. Aus diesem Grund halte ich es für unerträglich, wenn mangels Vorstellung über das zu Erreichende an die Durchsetzung politischer Reformen gar nicht erst gedacht wird. In diesem Sinne könnte das Kooperationsmodell vielleicht mithelfen, hierfür „die Bedingung der Möglichkeit" zu schaffen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. H. Ehmke, Demokratischer Sozialismus und demokratischer Staat, in: ders. (Hrsg.), Politik als Herausforderung. Reden, Vorträge, Aufsätze 1968-1974, Karlsruhe 1974, S. 203.

  2. R. Mayntz, F. W. Scharpf, Kriterien, Voraussetzungen und Einschränkungen aktiver Politik, in: dieselben (Hrsg.), Planungsorganisation. Die Diskussion um die Reform von Regierung und Verwaltung des Bundes, München 1973, S. 115 f.

  3. Als eine solche Restriktion im institutionellen Bereich wird unter der bestehenden parteipolitischen Konstellation neben dem Bundestag zusehends das Bundesverfassungsgericht ins Spiel gebracht. Wenn sich dieses als letzte Appellationsinstanz konzipierte Gremium zu weit in den politischen Machtkampf hineinbegibt und selbst beginnt, unter dem Rubrum der Verfassungswahrung politische Wertentscheidungen den verfassungsmäßig dafür vorgesehenen Instanzen aus der Hand zu nehmen, so besteht langfristig die Gefahr, daß sich das Gericht seine unbedingt notwendige Legitimationsbasis selbst entzieht.

  4. Vgl. zur Analyse dieses Engpasses auch den Orientierungsrahmen '85 der SPD, Ziffer 2. 4. 6., Bonn 1975.

  5. Zu den verschiedenen wissenschaftlichen Umschreibungen des damit zusammenhängenden Funktionswandels der staatlichen Bürokratie vgl. G. Schmid, H. Treiber, Bürokratie und Politik — Zur Struktur und Funktion der Ministerialbürokratie in der Bundesrepublik Deutschland, München 1975, S. 13 f.

  6. F. W. Scharpf, Politische Durchsetzbarkeit inne rer Reform im pluralistisch-demokratischen Ge meinwesen der Bundesrepublik, Schriftenreihe de Kommission für wirtschaftlichen und sozialet Wandel, Göttingen 1974.

  7. Vergleiche die Analyse und Kritik dieses Mo-dells bei R. -R. Grauhan, Modelle politischer Verwaltungsführung, in: Politische Vierteljahresschrift, 10. Jg., 1969, S. 269 ff.

  8. H. Friedrich, Staatliche Verwaltung und Wissenschaft. Die wissenschaftliche Beratung der Politik aus der Sicht der Ministerialbürokratie, Frankfurt 1970.

  9. Vgl. auch Schmid/Treiber, a. a. O., S. 186 ff.

  10. F. W. Scharpf, Die planende Verwaltung in der Demokratie, in: ders., Planung als politischer Prozeß. Aufsätze zur Therorie der planenden Demokratie, Frankfurt 1973, S. 116.

  11. R. Mayntz, und a. a. O., S. 123. F. W. Scharpf, Kriterien, Voraussetzungen aktiver Politik,

  12. Dies war z. B. bei dem sog. Leber-Plan der Fall, der ohne Einschaltung externer Kontakte von einer speziell hierfür vom Minister aus Mitarbeitern seines Hauses zusammengesetzten Projekt-gruppe entworfen wurde. Vgl. J. Kussau, L. Oertel, Der Prozeß der Problemverarbeitung in der Ministerialverwaltung: Das verkehrspolitische Programm für die Jahre 1968— 1972, in: P. Grottian, A. Murswieck (Hrsg.), Handlungsspielräume der Staatsadministration, Hamburg 1974.

  13. Sind Interessen sogar nicht einmal artikulationsfähig, so entsteht das „Non-Decision-Making: Problem", d. h. solche Interessen finden erst gar keinen Eingang in den politischen Prozeß.

  14. F. W. Scharpf, Komplexität als Schranke der politischen Planung, in: ders., Planung als politischer Prozeß, a. a. G., S. 82. Eine Ausnahme bildet hier z. B.der bereits erwähnte „Leber-Plan“, der Probleme der Bundesbahn auf Kosten des Straßengüterverkehrs lösen wollte. Vgl. F. Wilkenloh, Das verkehrspolitische Programm der Bundesregierung für die Jahre 1968 bis 1972 im Spiegel der Verwaltungsarbeit, in: Die Verwaltung, Bd. 2 /1969, S. 65 ff.

  15. Hierzu gehört vor allem der Abbau des auch in der planenden Verwaltung traditionell bestehenden Juristenmonopols (vgl. z. B. die theoretisch begründete Kritik bei F. W. Scharpf, Politische Durchsetzbarkeit innerer Reformen, a. a. O., S. 84 ff., sowie die empirisch untermauerten Ausführungen bei G. Schmid, H. Treiber, Bürokratie und Politik, a. a. O., S. 204 ff.). Was die Mobilität der Ministerialbürokraten betrifft, so ist festzustellen, daß der seit zwei Jahren bestehende formale Zwang zur jährlichen Reduktion der Anzahl der Planstellen aller Häuser praktisch einen Einstellungsstopp bewirkt hat. Die Auswirkungen werden noch verstärkt durch den aus merklich geringeren Beförderungsmöglichkeiten (wegen fehlender Planstellen) resultierenden hausinternen Druck zur Abkapselung gegen fremde Bewerber auf Positionen über den jeweiligen Eingangsstufen. Da dies für alle Ministerien gleichermaßen gilt, ist der Personalaustausch zwischen den Häusern (und natürlich auch von außerhalb und nach außen — denn in anderen Organisationen ist die Stellensituation meist auch nicht besser) außerordentlich erschwert. Damit kann eine Tendenz zur Verfestigung des „institutionellen Immobilismus', d. h. einer sich aus intensiver Identifikation (über die dauerhafte Realisierung von Lebenschancen in ein und derselben Organisation) ergebenden Ressortborniertheit konstatiert werden. Vgl. hierzu F. W. Scharpf, Planung all politischer Prozeß, a. a. O.,

  16. V. Hauff, F. W. Scharpf, Modernisierung der Volkswirtschaft. Technologiepolitik als Strukturpolitik, Frankfurt-Köln 1975, S. 73 f.

  17. Dies kann z. B. zu Lasten obsolet gewordener Schwerpunktförderungen geschehen. Entsprechende Reserven scheinen zu bestehen, wie der Fünfte Forschungsbericht der Bundesregierung (S. 40) zwischen den Zeilen zu erkennen gibt: „Zu Beginn der Schwerpunktförderung fehlt es oft an ausreichend qualifiziertem Personal, das erst ausgebildet wird und dann zum Überangebot an Forschern einer bestimmten Fachrichtung oder Spezialisierung führen kann. Hierdurch tritt eine Verfestigung des Schwerpunkts ein, so daß dessen Abbau schwierig wird.“ In diesem Zusammenhang werden die aufwendigen Versuchseinrichtungen CERN II sowie HELIOS A und B genannt.

  18. Die Förderung der Sozialwissenschaften wird von der Bundesregierung als ein Schwerpunkt ihrer Forschungsförderung angesehen (vgl. Fünfter Ferschungsbericht der Bundesregierung, S. 24 f. und S. 39 ff.). Die DFG nennt drei Gründe für eine Ausdehnung der Förderung der Sozialwissenschaften: „Die Ansprüche an die Sozialwissenschaften ergeben sich erstens aus dem rasch wachsenden Bedarf der Gesellschaft an sozialwissenschaftlichen Analysen, an Dauerbeobachtung, an Planungshilfe und Erfolgskontrolle für politische Maßnahmen; zweitens aus den Ansprüchen anderer Fächer auf die Klärung ihrer gesellschaftlichen und politischen Voraussetzungen sowie auf interdisziplinäre Kooperation; drittens aus den Ansprüchen auf die Einbeziehung der Sozialwissenschaften in zahlreiche staatlich geregelte Ausbildungsgänge wie die Mediziner-, die Juristen-und die Lehrerausbildung." (Grauer PlanV der DFG, S. 68.)

  19. Z. B. Max-Planck-Gesellschaft (MPG), Fraunhofer-Gesellschaft (FhG) und Wissenschaftszentrum Berlin fWZB).

  20. Vgl. hierzu: Fünfter Forschungsbericht der Bundesregierung, S. 41.

  21. Vgl. hierzu R. Mayntz, DFG Sonderförderungsprogramm für die empirische Sozialforschung, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Heft 1/1976.

  22. Vgl. Fünfter Forschungsbericht der Bundesregierung, S. 18 ff. und S. 39 ff., sowie Grauer Plan V der DFG, S. 39 ff. und S. 68 ff.

  23. Grauer Plan V der DFG, S. 69.

  24. V. Ronge, G. Schmieg, Restriktionen poW scher Planung, Frankfurt 1973, S. 58 f. und 64 f.

  25. Daß ich dies nicht im Sinne einer „Technokr tisierung" meine, geht — so hoffe ich jedenfäll — aus meinen Ausführungen deutlich hervor.

  26. H. Ehmke, Planung im Regierungsbereich • Aufgaben und Widerstände, in: F. Naschold, ) Väth (Hrsg.), Politische Planungssysteme, Köl Opladen 1973, S. 315.

  27. Auf das „Non-Decision-Making-Problem" im Sinne der ungleich verteilten Möglichkeiten von Problemartikulation wurde bereits hingewiesen. Um die durch organisierte Interessen nicht repräsentierten Werte zu berücksichtigen, wird es nötig sein, daß die Sozialwissenschaften die „AdvocacyPlanning-Funktion" mit übernehmen.

  28. Vgl. K. W. Deutsch, Politics and Government: How People Decide Their Fate, Boston 1970, S. 52 ff.

  29. F. W. Scharpf, Planung als politischer Prozeß, a. a. O„ S. 71.

  30. Vgl. hierzu F. W. Scharpf, Demokratietheorie zwischen Utopie und Anpassung, 1975, S. 85 ff.

  31. Bei diesen Überlegungen sollte auch berücksichtigt werden, daß die Großorganisationen der Wirtschaft durch keine demokratietheoretischen Skrupel geplagt werden: Sie planen langfristig und schaffen damit Fakten, die in der Zukunft als nur sehr schwer änderbare Größen in staatliche Planungen einbezogen werden müssen. Hieraus ergibt sich das Problem der Ausbeutung der nicht planenden Sektoren durch die langfristig planenden. Ein Interesse des ökonomischen Systems an staatlichen Langfristplanungen, die dessen Rahmenbedingungen — und damit ist vor allem das Kriterium der Gewinnmaximierung gemeint —-akzeptieren, kann jedenfalls unterstellt werden. Denn warum sollte die Industrie nicht gern bereit sein, ihre Produktionsplanung auf staatlich fixierte Zukunftsprogramme abzustellen, da hiermit ja eine auf dem Markt gar nicht erreichbare Nachfragesicherheit verbunden ist?

  32. Vgl. M. L. Perl, Das wissenschaftliche Beratungssystem: Einige Beobachtungen, in: B. Badura (Hrsg.), Seminar: Angewandte Sozialforschung. Studien über Voraussetzungen und Bedingungen der Produktion, Diffusion und Verwertung sozialwissenschaftlichen Wissens, Suhrkamp Taschenbuch 1976, S. 128 ff.

  33. Zur Begründung vgl. weiter unten Kap. VI.

  34. Vgl. F. W. Scharpf, Politische Durchsetzbarkeit innerer Reformen ..., a. a. O., S. 92.

  35. Ich stimme deshalb Adam Yarmolinsky zu, der schreibt: „Program planners like to talk about the need to think programmatically, and they tend to measure the value of an innovator by his ability to do so. In a sense they are wrong, because the idea must precede the program, and without new ideas there will be no new programs. But they are right too, in the sense that before an idea can be used, someone must think about it programmatically, determining the resources needed to accomplish the objective and measuring the value of the resources against the results." A. Yarmolinsky, Ideas into Programs, in: T. E. Cronin and S. D. Greenberg (eds), The Presidential Advisory System, New York, Evanston and London, S. 97 f.

  36. Je nach der zu bearbeitenden Thematik wird dies von mehreren Wochen bis zu einigen Mona-ten variieren.

Weitere Inhalte

Wolfgang Hesse, geb. 1949, Diplom-Verwaltungswissenschaftler; Mitarbeit in der Planungsabteilung des Bundeskanzleramtes, seit 1975 Persönlicher Referent des Parlamentarischen Staatssekretärs im Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit.