Die unterschiedlichen Auffassungen von Gewerkschaften und Arbeitgebern werden am deutlichsten, wenn man die Zielsetzungen miteinander vergleicht, die mit vermögenspolitischen Maßnahmen erreicht werden sollen. Die Arbeitgeber sehen in der Vermögenspolitik ein wirksames Instrument, dem einzelnen zu einem individuellen Vermögen zu verhelfen, um ihn dadurch wirtschaftlich unabhängiger zu machen und vor den Risiken des Lebens besser abzusichern. Neben diesen rein sozialen Gesichtspunkten sind auch noch wirtschaftspolitische Ziele zu berücksichtigen: „Gesellschafts-, investitionsund beschäftigungspolitische Erwägungen gebieten es, den Zusammenhang zwischen Einkommens- und Vermögenspolitik auch in Zukunft zu wahren und so eng wie möglich zu gestalten. Der Tarifvertrag ist wie kein anderes Instrument in der Lage, diesen Zusammenhang zu sichern."
Vermögen auf Arbeitnehmer übertragen und dennoch deren Einkommen nicht verbessern, bedeutet konsequent das Verbot, die Vermögenswerte jeweils zu veräußern. In der Tat war dieser Gedanke in der ursprünglichen Konzeption des DGB auch so fixiert: „Die yerteilungs-und die gesellschaftspolitischen Ziele der Vermögenspolitik können nur auf dem Wege über in der Regel ewige Sperrfristen erreicht werden.“
Offenbar dann aber aus der Furcht, mit diesem Konzept bei ihren Mitgliedern kein Verständnis zu finden, wurde später ein Verkauf der Zertifikate nach Ablauf einer nicht näher bezeichneten Sperrfrist gestattet. Dies ist aber insofern ein Widerspruch zum erklärten vermögenspolitischen Ziel, als der Arbeitnehmer dadurch seine Einkommenssituation doch verbessern kann. Lediglich die Absicht, die Zertifikate unverzinslich zu lassen, zeigt noch eine gewisse Konsequenz. (So in Welt der Arbeit vom 30. März 1973: „Gewinne aus den Unternehmensbeteiligungen werden nicht ausgeschüttet; die Fonds sollen sie zur Finanzierung von Infrastruktur-Investitionen im öffentlichen Bereich zur Verfügung stellen.)
Doch schon entsteht ein neuer Widerspruch. Selbstverständlich werden die Arbeitnehmer ihre unattraktiven unverzinslichen Wertpapiere nach Ablauf der Sperrfrist an den Fonds verkaufen wollen. Das ist aber nur unter enormen Kursverlusten möglich. Denn nach dem Willen des DGB sollen den Fonds aus den Unternehmen keine Barmittel zufließen, sondern lediglich buchmäßige Überschreibungen von Unternehmenseigentum. Die daraus fließenden Kapitalrenditen können selbstverständlich bei weitem nicht ausreichen, die von den Arbeitnehmern den Fonds angebotenen Zertifikate zurückzukaufen. Folglich müssen die Kurse gegen Null tendieren. Was dann bleibt, ist ein reiner gewerkschaftlicher Funktionärsfonds ohne Arbeitnehmervermögen. Damit wäre gewerkschaftliche Übermacht auf ganz legale Weise installiert.
Auch wenn der DGB noch so sehr betont, mit seinem überbetrieblichen Fondsmodell nur eine Gegenmacht zur angeblich bestehenden Wirtschaftsmacht aufzubauen, ist das schlicht falsch. Wie bereits im Aufsatz „Probleme der Vermögensbildung aus der Sicht der Arbeit-* geber" kurz angedeutet, würden die Fonds durch die zwangsweise jährliche Abgabe von Unternehmenseigentum nach relativ kurzer Zeit die Kapitalmehrheit aller abgabepflichtigen Unternehmen auf sich vereinigen, wodurch nicht mehr eine Gegenmacht, sondern eine gigantische Übermacht entstehen würde mit der Folge, daß nunmehr die Mammutfonds die bisherigen freien Unternehmensentscheidungen ablösen und eine eigene Unternehmenspolitik betreiben würden.
So schreibt Hermann Adam an anderer Stelle: „Es besteht kein Zweifel, daß die kollektive Lösung der überbetrieblichen Gewinnbeteiligung einer teilweisen Sozialisierung sehr nahekommt."
Diese Offenheit spricht für sich; sie bedarf keines weiteren Kommentars.
Eine solche Zielsetzung bedingt zwangsläufig eine ablehnende Haltung zu allen Formen betrieblicher Vermögensbeteiligung. Denn es versteht sich von selbst, daß im Falle einer bundesweiten betrieblichen Vermögensbeteiligung eine jährliche überbetriebliche Gewinnabgabe wirtschaftlich unvertretbar und politisch nicht durchsetzbar wäre. Die seit Jahren immer wieder vorgetragenen Einwände der Gewerkschaften gegen die betriebliche Beteiligung sind daher weitgehend Scheinargumente. Dieser Verdacht drängt sich auf, weil die Gewerkschaften mit einigen Argumenten gegen die betriebliche Lösung inzwischen offene Türen einrennen und nicht zur Kenntnis nehmen, daß diese Einwände durch Theorie und Praxis bereits überholt sind.
Dies gilt z. B. für den Einwand Adams, die Arbeitnehmer tragen ein doppeltes Risiko, weil im Falle eines Konkurses sie nicht nur ihren Arbeitsplatz, sondern auch ihr Vermögen verlieren würden. Natürlich ist ein solcher Zusammenhang nicht zu bestreiten. Nur ist es merkwürdig, daß die Gewerkschaften dann nicht die Absicht der BDA mit Befriedigung zur Kenntnis nehmen, das Vermögensrisiko des Arbeitnehmers abzusichern. In den „Grundsätzen für eine weiterführende Vermögenspolitik'betont die BDA: „Es wird anerkannt, daß sich bei einer Anlage im arbeitgebenden Unternehmen das Problem der Kumulierung von Arbeitsplatzund Kapitalrisiko stellen kann. Es ist zu prüfen, wie dem in geeigneter Form begegnet werden kann. Dafür kämen gemeinsame Einrichtungen der Tarifpartner in Betracht, die im Umlageverfahren, nicht im Kapitaldeckungsverfahren, finanziert werden sollten.“
Auch der Einwand, durch die betriebliche Beteiligung würde die Mobilität der Arbeitskräfte eingeschränkt werden, ist leicht zu entkräften. Zwar war es in der ersten Entwicklungsphase der betrieblichen Vermögensbeteiligung in den fünfziger Jahren so, daß im Falle eines Arbeitsplatzwechsels der Arbeitnehmer seine Kapitalbeteiligung verlor; aus diesen Gründen unterblieb vielfach ein Arbeitsplatzwechsel. Inzwischen jedoch hat sich die betriebliche Vermögensbeteiligung dahin gehend entwickelt, daß grundsätzlich der Arbeitnehmer seine Kapitalbeteiligung bei Aufgabe des Arbeitsplatzes nicht mehr verlieren kann. Außerdem gehen in jüngster Zeit Nicht-Aktiengesellschaften immer mehr dazu über, ihre Beteiligungen ähnlich fungibel wie Aktien zu machen, z. B. durch die Bildung innerbetrieblicher Börsen.
Schließlich noch eine kurze Antwort auf das Argument der ungleichen Behandlung der Arbeitnehmer. Dieser Einwand weist darauf hin, daß Mitarbeiterbeteiligungen in der Regel nur in gewinnstarken Unternehmen möglich sind und alle anderen Arbeitnehmer — insbesondere in dem nichterwerbswirtschaftlichen Be-reich — von einer derartigen Vermögensbildung ausgeschlossen sind. Ein solches Argument, das sich praktisch gegen die Differenzierung der Einkommen richtet, ist ebenfalls nicht durchschlagend. Denn die Löhne zwischen den einzelnen Branchen und den Unternehmen sind ohnedies stark differenziert. In einem Wirtschaftssystem, das im wesentli-eben auf dem Leistungsgedanken aufgebaut ist, sind also unterschiedliche Einkommens-zahlungen — und dazu gehört auch die Mitarbeiterbeteiligung — durchaus marktkonforme Maßnahmen. Derartige Ungleichheiten sind sogar in einer dynamischen Wirtschaft nicht nur unvermeidbar, sondern geradezu notwendig, um die Antriebskräfte des Fortschritts zu mobilisieren.
Auf weitere Argumente einzugehen, kann verzichtet werden, da im Rahmen dieser Antwort nur Schwerpunktfragen behandelt werden konnten. Insgesamt ist folgendes festzuhalten: Trotz der scheinbar unüberbrückbaren Gegensätzlichkeit in der vermögenspolitischen Zielsetzung zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern besteht dennoch begründete Aussicht, daß in der Praxis realisierbare Lösungen angestrebt werden. Denn stärker als die ideologische Haltung ist die Furcht der Gewerkschaften, daß eine vermögenspolitische Entwicklung an ihnen vorbeiläuft.
So könnte man die Worte von Hermann Adam, daß die Gewerkschaften sich bemühen, die derzeitigen Initiativen von Regierung und Gewerkschaften in gewerkschaftspolitisch akzeptable Bahnen zu lenken, durchaus als denkbare Möglichkeit interpretieren, mit den Arbeitgebern doch noch eine realistische Vermögenspolitik zu praktizieren.