Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

70 Jahre Sozialistische Jugendinternationale | APuZ 35/1977 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 35/1977 Ist parteiliche Wissenschaft noch Wissenschaft? — Eine Streitschrift — Zur politischen Philosophie des Kritischen Rationalismus Mein Popper, Dein Popper oder: was Philosophie mit Politik zu tun hat 70 Jahre Sozialistische Jugendinternationale

70 Jahre Sozialistische Jugendinternationale

Wolfgang Uellenberg/Heinrich Eppe

/ 25 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Nur wenige Jahre nach der Gründung der Arbeiterjugendorganisationen in den meisten europäischen Staaten schlossen sich diese nationalen Verbände 1907 in Stuttgart zu einer internationalen Organisation zusammen. Durch ihre lose Organisationsform konnte sie keine wesentlichen zentralen politisch-organisatorischen Aufgaben übernehmen, wirkte jedoch durch ihre Beschlüsse zur Aufgabenstellung sozialistischer Arbeiterjugendorganisationen (Antimilitarismus, sozialistische Erziehung der Arbeiterjugend, Forderungen zur Jugendarbeitsschutzgesetzgebung) in die nationalen Organisationen hinein. An der Frage nach der Stellung im I. Weltkrieg zerbrach die politische Einheit. Nach dem Krieg vollzog sich in weitgehender Parallelität zur Entwicklung in den Internationalen der sozialistischen Parteien die Spaltung der internationalen Jugendorganisationen. Die in Hamburg 1923 gegründete Sozialistische Jugendinternationale (SJI), die die unabhängigen sozialdemokratischen und mehrheitssozialdemokratischen Jugendorganisationen vereinigte, mußte angesichts der Weltwirtschaftskrise und des Siegeszuges des Faschismus kapitulieren. Nach langen Vorbereitungen wurde 1946 in Paris als Nachfolgeorganisation der SJI die . International Union of Socialist Youth'(IUSY) gegründet, die im Gegensatz zur SJI eine weltweite Organisation wurde. Politisch suchte sie den dritten Weg zwischen sowjetischem Kommunismus stalinistischer Prägung und westlichem Kapitalismus.

Vom 18. — 27. August 1977 wurde in Stuttgart zur 70. Wiederkehr der Gründung der Sozialistischen Jugendinternationale ein internationales Jugend-Camp der IUSY (International Union oi Socialist Youth) veranstaitet, zugleich landen der 12. Kongreß der IUSY und ein internationaler Arbeiterjugendtag (27. 8.) statt. Der IUSY gehören aus der Bundesrepublik Deutschland drei Jugendverbände an:

die Jungsozialisten in der SPD die Sozialistische Jugend Deutschlands — Die Falken und der Sozialistische Hochschulbund (SHB).

Der nachfolgende Beitrag will einen kurzen Überblick über die 70jährige Entwicklung dieser Internationale geben und so einen Beitrag zum politischen Verständnis sozialistischer Jugendorganisationen leisten.

Die Geschichte einer internationalen sozialistischen Jugendorganisation zu schreiben, stößt auf einige Schwierigkeiten, die hier eingangs genannt werden sollen, um die wissenschaftliche Reichweite der nachfolgenden Darstellung kritisch einschätzen zu können: Die Hauptschwierigkeit liegt in der heute noch sehr ungesicherten und lückenhaften Quellenlage. Während für die Gründungsphase — bis zur Spaltung der Jugendinternationale nach dem I. Weltkrieg — dank der publizistischen Tätigkeit von Richard Schüller Georgij Tschitscherin Willi Münzenberg Aufarbeitungen von damals vorhandenem Quellenmaterial vorliegen, läßt sich die orga nisatorische Entwicklung der Sozialistischer Jugendinternationale von 1923 bis 1933 nui schwer nachvollziehen; Akten, unveröffent lichte Protokolle u. ä. fehlen.

Noch unzulänglicher ist die Materiallage füi die Zeit nach 1933, als das Sekretariat der SJ 1 zunächst in Prag, dann in Paris untei schwierigsten Bedingungen quasi im Exil arbeiten mußte. Während des II. Weltkrieges bestand keine Jugendinternationale und ersl die Zeit von 1945 bis zum Jahre 1963 — alsc die ersten zwei Jahrzehnte der Internationalen Union der Sozialistischen Jugend (IUSY) ist mit der Arbeit von Radomir Luza wieder ziemlich exakt rekonstruierbar. Akten und Protokolle der IUSY aus den 60er und 70er Jahren sind einer historischen Bearbeitung noch nicht zugänglich und können deshalb erst zu einem späteren Zeitpunkt aufgearbeitet werden.

Eine weitere Schwierigkeit bei der Darstellung des Themas besteht darin, daß die Geschichte einer Internationalen Organisation meist die Geschichte ihrer Konferenzen, Tagungen und Proklamationen ist. In ihnen spiegeln sich zwar die allgemeinen ökonomischen, politischen und ideologischen Entwicklungen wider, nicht jedoch notwendigerweise die der Mitgliederverbände. Doch selbst die prägnanteste Resolution und der richtungsweisendste Beschluß bleibt Papier wenn sie nicht Grundlage der politischen Umsetzung der Mitglieder in den nationalen Organisationen werden. So muß bei der Betrachtung der Geschichte der Sozialistischen Jugendinternationale nicht nur der „überbau“ sondern auch die „Basis" im Blick behalten werden.

Bleibt die dritte Schwierigkeit: die Geschichte der sozialistischen Jugendbewegung ist zugleich eine Geschichte der internationalen Sozialdemokratie, deren differenzierende Bewertung sich zwangsläufig in einer Darstellung der Jugendinternationale widerspiegeln muß.

I. Die Gründung der Internationalen Verbindung sozialistischer Jugendorganisationen in Stuttgart 1907

Eine der wesentlichen Ursachen für die Gründung einer Internationalen der Arbeiterjugendorganisationen muß in der vergleichbaren sozialen Situation gesehen werden, in der sich Arbeiterjugendliche der wichtigsten westeuropäischen Länder zu Beginn des 20. Jahrhunderts befanden. Das russische Reich und die iberische Halbinsel ausgenommen, hatte sich die kapitalistische Produktionsweise durchgesetzt. Großkonzerne der Kohle-und Stahlindustrie, der Elektro-und chemischen Industrie entstanden. Eine immer weiter verfeinerte arbeitsteilige Produktion ermöglichte den Einsatz gering qualifizierter Arbeitskräfte. Gezwungen, so schnell wie möglich die schlechte finanzielle Situation, die das Leben der Arbeiterfamilien belastete, durch eigenen Verdienst aufzubessern, drängten immer mehr Jugendliche in die Fabriken. Hier hatten sie i. d. R. ebenso wie ihre älteren Kollegen 10— 12 Stunden täglich zu arbeiten, erhielten jedoch einen geringeren Lohn als diese. Der frühe Eintritt ins Berufsleben entfremdete die Arbeiterjugendlichen immer mehr ihren Eltern und ließ sie schnell erwachsen werden. So drängten sie bald nach dem Recht auf persönliche Selbstbestimmung, so daß die Voraussetzungen für die Gründung von Arbeiterjugendorganisationen gegeben waren. Neben den jugendlichen Fabrikarbeitern waren es Handwerkerlehrlinge, die sich in Selbstschutzorganisationen zusammenschlossen, um sich gegen Rechtlosigkeit und Ausbeutung durch die um ihre eigene wirtschaftliche Existenz bangenden Handwerksmeister zu schützen. Durch den starken Konkurrenzdruck der sich rasch ausbreitenden Großbetriebe und Großkaufhäuser war das Handwerk ebenso wie der Klein-und Einzelhandel in eine wirtschaftliche Krise geraten. Nur durch schonungslose Ausnutzung der Lehrlinge konnten sich weite Teile des Handwerks überhaupt noch am Leben erhalten. Die Ausbeutung im Handwerk und in der Industrie anzuprangern, die Organisation der erwachsenen Arbeiterschaft auf die Lage der Arbeiter-jugend aufmerksam zu machen, für gesetzliche Reformen — aber auch für die Beseitigung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung — zu kämpfen und zugleich den Bildungsstand der Arbeiterjugend zu heben, all diese Motive kamen bei der Gründung der Arbeiterjugendvereine in den westeuropä-

ischen Ländern zusammen. Diese mehr gewerkschaftlich motivierte Strömung der Arbeiterjugendbewegung fand, sowie dies aufgrund der politischen Verhältnisse möglich war, ihre Ergänzung in einer stärker politisch motivierten Strömung, die vor allem in der belgischen, französischen und süddeutschen Arbeiterjugendbewegung vorherrschte.

Neben der allgemeinen Bildungs-und Erziehungsaufgabe der Arbeiterjugendbewegung richteten diese ihre politische Agitation vornehmlich gegen den Militarismus. Der Kampf um Märkte und Kolonien hatte die europäischen Großmächte in einen immer schärferen Wettstreit — und Rüstungswettlauf — getrieben. Die bürgerliche Jugend ließ sich für eine vormilitärische Jugenderziehung begeistern, während sich staatliche und halbstaatliche Organisationen insbesondere in Deutschland und Frankreich darum bemühten, die schulentlassene Jugend für eine militärische Jugendpflege zu begeistern. Ohne den gewünschten Erfolg freilich, da für die Arbeiter-jugend das Militär Drill, Schikane, Mißhandlung und der Zwang zur Niederschlagung von Streiks und Demonstrationen bedeutete.

Die wachsende Kriegsgefahr in Europa, die Einsicht in die Notwendigkeit verstärkter Anstrengung der internationalen Arbeiterbewegung zur Wahrung des Friedens, hatte schon den internationalen Sozialistenkongreß im Jahre 1900 in Paris bewogen, eine Resolution zu verabschieden, in der die sozialistischen Parteien aller Länder aufgefordert wurden, „überall die Erziehung und Organisierung der Jugend zum Zwecke der Bekämpfung des Militarismus in Angriff zu nehmen und mit größtem'Eifer zu betreiben"

Ausbeutung, Unterdrückung und Militarismus führten jedoch nicht von selbst zur Entstehung von Arbeiterjugendorganisationen. Vielmehr bedurfte es vielerorts der Initiative und des anleitenden Vorbildes von Mitgliedern oder Teilen der Erwachsenenorganisationen.

Den unterschiedlichsten Flügeln der Sozialdemokratie zugehörig, hatten sie erkannt, daß die Haltung der vornehmlich mit der Sicherung der eigenen Organisation beschäftigten Gewerkschaften und Parteiführungen, Probleme der Jugend zu vernachlässigen, überwunden werden mußte. Ludwig Frank, der zu jenen süddeutschen SPD-Landtagsabgeordneten gehörte, die den Etats der Länderregierungen zustimmten, Eduard Bernstein, der Begründer zu Pari» des „Revisionismus“, besonders aber der linke Flügel um Clara Zetkin und Karl Liebknecht ermunterten die Jugendlichen, ihre Organisationen zu gründen, gaben ihnen organisatorische und ideologische Hilfestellungen, setzten die „Jugendfrage" auf die Tagesordnung der Parteitage und standen auch Pate, als am 30. September 1906 der süddeutsche Arbeiterjugendverband eine internationale Jugendkonferenz forderte. Ein Büro, bestehend aus Karl Liebknecht, Ludwig Frank und dem Belgier Hendrik de Man begann im April 1907 mit der Vorbereitung der Konferenz, die dann vom 24. — 26. August im Anschluß an den Kongreß der II. Internationale in Stuttgart zusammentrat. Der Anfang nahm sich bescheiden aus. Erschienen waren 20 Delegierte der Jugendorganisationen aus 13 Ländern, die rund 60 000 Mitglieder vertraten. Als organisatorische Voraussetzung für die Zusammenarbeit wurde ein 5köpfiges Büro gebildet, in das der Österreicher Robert Danneberg als Sekretär gewählt wurde. Er sah seine Aufgabe in den folgenden Jahren vor allem in der Unterstützung des gegenseitigen Informationsaustausches und weniger in der Entwicklung einer engeren Zusammenarbeit zwischen den Organisationen. Behindert wurde eine starke organisatorische Kooperation der sozialistischen Jugendverbände auch durch das ungeklärte Verhältnis zur II. Internationale, der sich die Jugendinternationale gern zugeordnet hätte. Vor allem die dem lin-ken Flügel der Sozialdemokratie zuneigenden französischen, italienischen und schweizerischen Jugendorganisationen wehrten sich jedoch gegen solche Bestrebungen. Bedeutsamer und zukunftsweisender fielen jedoch die inhaltlichen Beschlüsse der Konferenz aus. So verständigten sich die Delegierten auf gemeinsame . Thesen über die sozialis tische Erziehungs-und Bildungsarbeit', in dei sie die „Vorbereitung von Wissen, in erstei Linie von Wissen, das dem Proletariat unent behrlich ist, um den Klassenkampf mit vollen Nachdruck führen zu können," aber auch „Stärkung der sittlichen Eigenschaften, wie Solidarität, demokratische Gesinnung, Disziplin, Selbstbewußtsein, Opferwilligkeit und Kühnheit", zur Aufgabe der internationaler Arbeiterjugendbewegung erklärten Welch aktuellen Bezug jene Beschlüsse auch heute noch haben, zeigt am deutlichsten die . Resolution über den wirtschaftlichen Schutz dei Lehrlinge und jugendlichen Arbeiter'die das „Verbot der Beschäftigung jugendlicher Arbeitskräfte vor vollendetem 16. Lebensjahr unter gleichzeitiger Ausdehnung der Schulpflicht bis zu diesem Alter" forderte — eine Forderung, die beispielsweise in der Bundesrepublik 70 Jahre später noch nicht verwirklicht ist.

Vor dem Hintergrund der immer weiter um sich greifenden nationalistischen Verhetzung der Jugend gewann die Forderung der Stuttgarter Konferenz 1907 nach Bekämpfung des Militarismus eine besondere Bedeutung. Eine kritische Einschätzung der Stuttgarter Konferenz und der Geschichte der von ihr gegründeten . Internationalen Verbindung sozialistischer Jugendorganisationen'wird zu dem Ergebnis kommen, daß der Geist des . proletarischen Internationalismus'd. h. das Bewußtsein der Notwendigkeit internationaler Zusammenarbeit, der gemeinsamen Ziele und Arbeitsprinzipien, der Wille zur brüderlichen Solidarität in zahlreichen Demonstrationen, Begegnungen, Resolutionen usw. lebendig war, daß die organisatorische Zusammenarbeit jedoch in den Anfängen stecken geblieben war.

II. Die Jugendinternationale im I. Weltkrieg

Geschichte von Jugendorganisationen, besonders solcher mit einer erklärten politischen Zielsetzung, vollzieht sich nie unabhängig von der Entwicklung der Erwachsenenorganjsationen, mit denen sie nicht nur durch ihr gemeinsames Ziel, sondern auch durch zahlreiche personelle und organisatorische Verflechtungen verbunden sind. Der Zusammenbruch der II. Internationale, das Einschwenken der deutschen, französischen und österreichischen Sozialdemokratie auf die Kriegspolitik ihrer Regierungen, der Politik des . Burgfriedens und des Klassenverrats', zog dieselbe Entwicklung in den Arbeiterjugendorganisationen nach sich, wenngleich sich der Prozeß weniger dramatisch abspielte als in der Erwachsenen-Arbeiterbewegung. Mit einer Postkarte an alle Mitgliedsverbände teilte der Sekretär Danneberg die Einstellung der Tätigkeit der sozialistischen Jugendinternationale mit. Nachdem der erste Schock, den der Zusammenbruch aller Ideale des Internationalismus ausgelöst hatte,, überwunden war, die ersten Enttäuschungen über das Ausbleiben des . Sieges im Felde'eintraten, die ersten Opfer zu beklagen waren und immer mehr Jugendliche in den Rüstungsfabriken lebensgefährliche und gesundheitsgefährdende Arbeit leisten mußten, breitete sich schnell Kriegsverdrossenheit und besonders in der Arbeiterjugend Oppositionsgeist gegen die . opportunistische’ Burgfriedenspolitik aus. Angefacht wurde er durch diejenigen Sozialdemokraten, die von Bernstein über Liebknecht bis hin zu Lenin die Haltung der Parteiführer, besonders der deutschen Sozialdemokratie bekämpften. So gelang es Willi Münzenb'erg einem deutschen Emigranten, der Sekretär des schweizerischen sozialistischen Jugendverbandes geworden war, schon knapp acht Mo-nate nach Kriegsausbruch am 4. April 1915 in Bem eine internationale Jugendkonferenz zustande zu bringen, an der 14 Delegierte aus 10 Ländern anwesend waren. Sie vertraten Jugendorganisationen oder oppositionelle Jugendgruppen u. a. aus Norwegen, Schweden, Dänemark, der Schweiz und Deutschland; die italienische Delegation durfte nicht ausreisen, aus Frankreich trafen Solidaritätsadressen ein. Die Berner Konferenz hatte sich vor al-lem die politisch und organisatorische Zusammenfass Ländern anwesend waren. Sie vertraten Jugendorganisationen oder oppositionelle Jugendgruppen u. a. aus Norwegen, Schweden, Dänemark, der Schweiz und Deutschland; die italienische Delegation durfte nicht ausreisen, aus Frankreich trafen Solidaritätsadressen ein. Die Berner Konferenz hatte sich vor al-lem die politisch und organisatorische Zusammenfassung der linken oppositionellen Jugend über Ländergrenzen hinweg zum Kampf gegen den Krieg zum Ziel gesetzt. Noch vor der Erwachsenen-Arbeiterbewegung (die Konferenz der Zimmerwalder Linken 9) fand erst ein Jahr später statt) gelang es ihr auf Betreiben Münzenbergs, durch eine rege konspirative Kommunikation dieses Ziel zu verwirklichen. Eine überragende Rolle spielte dabei eine Zeitung, die vierteljährlich mit einer Auflage von 50 000 in einer deutschen, italienischen und skandinavischen Ausgabe erschien und im Deutschen Reich von Polizei und Sozialdemokratie gleichermaßen gehaßt wurde: „Die Jugendinternationale". Ihr heute im Faksimile erhältlichen 10 Kriegsnummern dokumentieren den eindeutigen Willen von Arbeiterjugendlichen aller Länder, trotz Not und Verfolgung Widerstand gegen den Krieg zu leisten. Wird dieser Widerstand auch oft aus den Geschichtsbüchern aus leicht durchschaubarer Absicht heraus verdrängt, so waren doch die zahlreichen Streiks, die zunehmenden Proteste der Jugendlichen, die in al-len Ländern am Anti-Kriegstag jährlich durchgeführten Demonstration so unüberhörbar, daß hohe Zuchthausstrafen verhängt wurden, um dieser Bewegung Herr zu werden. Münzenberg und die Jugendinternationale wandten sich schnell dem sich abspaltenden linken Flügel der Arbeiterbewegung, der Gruppe um Lenin, Trotzki, Liebknecht und Luxemburg zu, ohne sich jedoch dieser Gruppe unterzuordnen. Als im März 1917 in Rußland das zaristische Regime gestürzt wurde, im Oktober die Bolschewiki endgültig die sozialistische Revolution vollzogen und im November 1918 Arbeiter und Soldaten in Deutschland, Österreich und Ungarn die alten Monarchien verjagten, kämpfen überall Jugendliche mit, die von der „Jugendinternationale" beeinflußt waren. Münzenberg eilte nach Stuttgart, nahm dort an den revolutionären Ereignissen teil, erlebte in Berlin den Pakt der Sozialdemokratie mit den alten Mächten, die Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, ging in den Untergrund und suchte während all dieser Ereignisse, verfolgt von Polizei und Freischärlergruppen, die Jugendinternationale neu zu organisieren. Am 20. November 1919 wurde im Hinterzimmer eines Lokals in Berlin-Neukölln die „Kommunistische Jugendinternationale" von 20 Delegierten aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, der skandinavischen Länder, Rußland, Polen, Ungarn und Rumänien gegründet. In ihrem ersten Programm erklärte sie: „Die Arbeiterjugend ist der aktivste und revolutionärste Teil des Proletariats. Die wichtigste Aufgabe der kommunistischen Jugendorganisation ist gegenwärtig eine unermüdliche politische Agitation unter den breiten Massen der Arbeiter, die Organisation und die Durchführung politischer Aktionen, der unmittelbare Kampf für den Kommunismus, die Teilnahme an der Niederwerfung der kapitalistischen Herrschaft und die Erreichung und Erbauen der kommunistischen Gesellschaft." 10) Ihr Verhältnis zu den kommunistischen Parteien bestimmt sie als das einer „politischen Kampfgemeinschaft“, was zwar die „Anerkennung des politischen Programms", aber nicht die „Anerkennung der Politik und Taktik der betreffenden Partei" bedeutete Das Versagen der Arbeiterparteien 1919, die anfänglich nur sehr zaghaften Aktionen der Linken, die Erfolgserlebnisse im Kampf gegen den Krieg — all diese bestimmte den Unabhängigkeitswillen und das Selbstbewußtsein der kommunistischen Jugendinternationale, in der rund 200 000 Jugendliche zusammengeschlossen waren. Beim Zusammenbruch der Revolution in Mitteleuropa in den Jahren 1919 bis 1923 sah sich die KJI gezwungen, nicht ohne Druck von Seiten der kommunistischen Partei der Sowjetunion und dem Exekutivkomitee der kommunistischen Internationale (EKKI), in Moskau ihre Heimstatt zu suchen. Münzen-berg wehrte sich gegen diese Entwicklung; er suchte der KJI ihre Selbständigkeit zu erhalten. Als jedoch die Polizei im April 1920 den II. Weltkongreß der KJI in Jena bzw. Berlin zu sprengen drohte, vertagte sich dieser und trat danach in Moskau erneut zusammen.

In den folgenden Jahren wurde die Kommunistische Jugendinternationale mehr und mehr zum Anhängsel der Komintern. Obwohl in ihren Reihen oft klassenbewußte und entschlossene Jugendliche kämpften, verlor sie zunehmend an Einfluß, da sie jede politische Positionsveränderung der Komintern nachzuvollziehen hatte, ihre Führung jeder Säuberung zum Opfer fiel, schließlich ebenso wie die Komintern zum Hilfsorgan der Außenpolitik der Sowjetunion wurde. Trotz dieser Entwicklung kommt der „Jugendinternationale'ebenso wie der KJI von 1915 bis 1920 als ein-zigster Organisation das Verdienst zu, den internationalen Geist in der Arbeiterjugend getragen und organisatorisch konsequent umgesetzt zu haben.

III. Die Entstehung der Sozialistischen Jugendinternationale

Während in den durch Revolution und Konterrevolution geprägten Jahren von 1917 bis 1923 überall in Europa Sozialisten für eine sozialistischen Revolution kämpften, zahlreiche von ihnen verfolgt und viele ermordet wurden, bemühten sich in Holland, Deutschland, Belgien und den skandinavischen Ländern sozialdemokratische Jugendführer, Jugendlichen das zu geben, was viele von ihnen in den Jahren des Krieges und der Entbehrung vermißt hatte: Ein neues Freiheits-und Zusammengehörigkeitsgefühl. Wandern, Singen, Volkstanz, Laienspiele standen auf dem Programm. Die neue sozialistische Lebensgemeinschaft, die von der Mehrheit sozialdemokratischer Jugendorganisationen angestrebt wurde, verstand sich weitgehend als kulturelle Bewegung, die starke ideologische Anleihen bei der bürgerlichen freideutschen Bewegung gemacht hatte. Das . Heraushalten der Jugend aus den politischen Tageskämpfen’ und das Verständnis der sozialistischen Arbeiterjugendbewegung als eine reine Kultur-bewegung, dessen deutlichster Ausdruck der Weimarer Jugendtag im August 1920 gewesen war, entsprach nicht den Zielen, die die Sozialdemokratie mit ihrer Jugendorganisation verband. Sie versuchte deshalb die an der bürgerlichen Jugendbewegung orientierte Arbeit, die letztlich eine klassenversöhnende Volksgemeinschaft zum Ziele hatte, zurückzudrängen und aus den Arbeiterjugendvereinen eine politische und organisatorische Vorschule für die Sozialdemokratie und ihre Gewerkschaft zu machen.

Auf der Basis gemeinsamer politisch-pädagogischer Zielsetzungen und Arbeitsformen, aber auch auf dem Hintergrund der Reorganisation der Internationale der Sozialdemokratischen Parteien wurde auf der Konferenz vom 12. /13. Mai 1921 in Amsterdam die Arbeiterjugendinternationale durch Vertreter der deutschen, belgischen, dänischen, französischen, schwedischen und holländischen Arbeiterjugendvereine vollzogen. Neben dem Willen, den kommunistischen Einfluß in der Jugend zurückzudrängen, sah sie ihr Hauptziel in der Koordination des Erfahrungs-und Informationsaustausches zwischen den Mitgliedsverbänden. Sie verzichtete ausdrücklich auf zentrale Leitungskompetenzen wie auch auf politische Selbständigkeit gegenüber der neugegründeten II. Internationale. Will man die Amsterdamer Arbeiterjugendinternationale mit einigen wenigen Worten charakterisieren, so kann man sie als Arbeitsgemeinschaft mit erklärtermaßen antikommunistischem Ziel, basierend auf den Idealen einer apolitischen Arbeiterjugendkultur, durchweht von pazifistischem Geist kennzeichnen.

Das hier sehr dezidiert festgelegte Bild einer Arbeiterjugendbewegung erschwerte denn auch die Verhandlungen mit den in der Zweieinhalbten — der Wiener — Jugendinternationale zusammengeschlossenen Organisationen sehr. Diese war aus Jugendorganisationen hervorgegangen, die sich politisch den nichtkommunistischen, linkssozialdemokratischen Parteien verbunden fühlten. Sie begrüßten die russische Oktoberrevolution, weigerten sich jedoch, das Prinzip des demokratischen Zentralismus der kommunistischen Parteien zu übernehmen, sowie die Arbeiterbewegung um jeden Preis zu spalten. Während Münzenberg bestrebt war, diese Organisationen in die Kommunistische Jugendinternatio-B nale mit zu übernehmen, vor allem die sehr starke . Sozialistische Jugend Österreichs'und die . Sozialistische Proletarierjugend'(SPJ) in Deutschland, drängten in der KJI vor allem die sowjetischen Vertreter auf eine ideologisch geschlossene Organisation. Der Versuch, diese , zentristischen'Organisationen zu spalten, gelang zwar, jedoch versuchten die in Österreich und in den baltischen Ländern noch recht beachtlichen Reste, einen eigenen Weg zwischen Mehrheitssozialdemokratie und Kommunismus auch auf internationaler Ebene zu gehen. Als sie am 25. Februar 1921 in Wien daran gingen, eine Jugendinternationale zu gründen, erlebten sie jedoch, daß die der KJI zuneigenden Organisationen die Mehrheit hatten. Als schließlich sechs Jugendorganisationen ein anderes Tagungslokal gefunden hatten-, wurde die 21/2 Jugendinternationale gegründet — mehr eine Verlegenheitslösung, eingeklemmt zwischen immer weiter auseinanderstrebender sozialdemokratischer und kommunistischer Arbeiterbewegung, behaftet mit der Illusion, in der Jugend die feindlichen Brüder vereinen zu können. Ihre politische und pädagogische Zielsetzung war es, die Arbeiterjugend zum Klassenkampf zu erziehen, sie in die tagespolitischen Auseinandersetzungen einzubeziehen, an der Selbständigkeit gegenüber den Erwachsenenorganisationen festzuhalten. Ihre Arbeit entsprach weitgehend den Grundthesen der Stuttgarter Konferenz von 1907. Ihre organisatorische Schwäche war jedoch offensichtlich. Als sich Ende des Jahres 1922 die Unabhängige Sozialdemokratische Partei (USPD) und die Mehrheitssozialdemokratie in Deutschland vereinigten und auf internationaler Ebene die Sozialistische Arbeiterinternationale (SAI) gründeten, blieb auch der 21/2 Jugendinternationalen keine andere politische Alternative, als mit der Amsterdamer Arbeiterjugendinternationalen zu verhandeln. Diese — sich ihrer organisatorischen Stärke bewußt — suchte den Einfluß der Wiener Jugendinternationalen möglichst klein zu halten. Sie lehnte eine Politisierung der Jugend entschieden ab, so daß Otto Felix Kanitz (Vertreter der Sozialistischen Jugend Österreichs) auf dem Hamburger Gründungskongreß der SJI — der Sozialistischen Jugendinternationalen — klagte, vor allem die deutschen Arbeiterjugendvereine sähen vor lauter Wandern die Notwendigkeit des politischen Kampfes für die Jugend nicht mehr Interessenvertre-tung des jungen Proletariats auch unter internationaler Anleitung hier — Kulturbewegung auf internationaler Ebene als unverbindliche Arbeitsgemeinschaften untereinander eher durch ein diffuses Zusammengehörigkeitsgefühl als durch gemeinsam politischen Kampf verbunden dort, dies waren die grundsätzlichen Unterschiede, die in der Konferenz vom 24. bis 26. Mai 1923 die Gründung der SJI in Hamburg beinahe verhindert hätte. Der objektive Zwang zur Einigung ließ Kompromißformeln entstehen, die jedoch die faktische Vorherrschaft der Amsterdamer Arbeiterjugendinternationalen nur verschleierten. Sie setzte auch durch, daß das Sekretariat der SJI nach Berlin verlegt wurde und Erich Ollenhauer zum ersten und einzigen Sekretär gewählt wurde, der die SJI zwar organisatorisch zusammenhielt, sie politisch jedoch zu einem Anhängsel der deutschen Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ) machte, die in ihrer Mehrheit dem rechten Flügel der SPD nahe stand. Trotz der nicht entschiedenen politischen Auseinandersetzung erlebten sie in den folgenden Jahren, begünstigt durch die relative Stabilisierungsphase des westeuropäischen Kapitalismus und den Zulauf zur reformistischen Sozialdemokratie einerseits sowie die inneren Auseinandersetzungen in der Komintern andererseits einen ungeheuren Aufschwung. Ihr gehörten Arbeiterjugend-und Studentenorganisationen aus fast allen west-, mittel-und nordeuropäischen Ländern mit bald über 1 80 000 Mitgliedern an. Die Sozialistische Jugendinternationale entwickelte in jenen Jahren verschiedene Formen internationaler Jugendarbeit: — Am eindrucksvollsten waren die internationalen Jugendtage, die 1926 mit 5 000 Jugendlichen aus 16 Ländern vor den Toren Amsterdams und 1929 mit über 50 000 Jugendlichen in Wien stattfanden.

— In der ersten Oktoberwoche fand alljährlich in allen Ländern eine „Rote Jugendwoche" der Internationalen Solidarität statt.

— In gemeinsamen Aufrufen zum l. Mai und zum Anti-Kriegstag am 1. August manifestierte sich der internationale Charakter gegen Militarismus und für Sozialismus. — Die Jugendorganisationen benachbarter Länder trafen sich zu Grenzlandtreffen.

Darüber hinaus gelang es 1925 in Hamburg gemeinsam mit der SAI und dem Internationalen Gewerkschaftsbund, ein Programm zur Verbesserung der sozialen und ökonomischen Situation der berufstätigen Jugend zu verabschieden, das gemeinsame Aktionen in allen kapitalistischen Ländern sichern wollte. Trotz dieser vielfältigen Aktivitäten wurde die Sozialistische Jugendinternationale in jenen Jahren durch drei Probleme stark behindert, die immer wieder Konflikte aufbrechen ließen: a) Die Dominanz der deutschen, skandinavischen und belgisch/niederländischen Jugendverbände, die einer Politisierung der Jugend nach wie vor mißtrauisch gegenüberstanden, b) Die absolute Unterordnung der SJI unter den Willen der Sozialistischen Arbeiterinternationale, die von der SPD dominiert wurde und einen reformistisch-pazifistischen Kurs verfolgte und der Koalition mit den bürgerlichen politischen Kräften den Vorrang vor einer Einigung der Arbeiterbewegung gab.

c) Das Verhältnis zur KJI und zur Sowjetunion. Mitglied der Sozialistischen Jugendinternationale waren auch russische und georgische Exilorganisationen, die in ihrer Heimat grausam verfolgt der Sozialistischen Jugendinternationale einen deutlich anti-kommunistischen Kurs aufzwangen, der eine kritisch« und offensive Diskussion und Auseinander Setzung mit der Sowjetunion zugunsten eine totalen Abgrenzungspolitik verhinderte, di die Sozialistische Jugendinternationale of unglaubwürdig werden ließ. Dies war um s verhängnisvoller, als die SJI bis auf dei schwachen US-amerikanischen und argentini sehen Jugendverband keine außereuropä ischen Mitglieder hatte, der Einfluß der KJ in den Jugendorganisationen des Nahen uni Fernen Ostens jedoch relativ stark anwuchs Der Wiener Jugendtag im August 1929 ihm anschließende 3. Kongrel und der sich der Sozialistischen Jugendinternationalen do kumentierten den Höhepunkt einer organisa torischen Entwicklung der SJI, getragen von internationalen Geist, nicht jedoch gekrön von echter Zusammenarbeit. Allerdings war fen die Weltwirtschaftskrise und der aufkom mende Faschismus ihre drohenden Schatter schon voraus.

IV. Kampf gegen Weltwirtschaftskrise und faschistische Diktatur — die SJI 1929— 1940

Hatten die 50 000 Teilnehmer des Wiener Jugendtages auf die rasche friedliche Errichtung einer demokratischen und sozialistischen Gesellschaftsordnung in Westeuropa gehofft, so zerschellten diese Illusionen schnell an den Realitäten der Weltwirtschaftskrise. Der Zusammenbruch der New Yorker Börse am 26. Oktober 1929 bedeutete für die Arbeiterklasse in der ganzen Welt — ausgenommen der in der Sowjetunion — den Beginn eines beträchtlichen sozialen Elends. Im deutschen Reich erreichte die Arbeitslosigkeit mit 6 Millionen im Jahre 1933 ihren Höchststand. Gleichzeitig konnten über 200 000 Jugendliche nach ihrem Schulabschluß keine Lehrstelle finden. Die Mitgliedsorganisationen der SJI waren auf zweierlei Art von der Weltwirtschaftskrise betroffen.

1. Zum einen waren ihre Bemühungen um Jugendrechts-Und Jugendschutzprogramme, ihre Forderungen nach menschenwürdigen Arbeitsbedingungen für die Jugend in den kapitalistischen Ländern, die sie mit Hilfe der Gewerkschaften und der sozialdemokratischen Parlamentsfraktionen durchzusetzen hofften, angesichts der Wirtschaftskrise nahezu bedeutungslos geworden. Die jugendlichen Arbeitslosen nahmen jede Arbeitsstelle an, auch unter den miserabelsten Bedingungen. Vom Kampf um Reformen war nicht mehr die Rede. 2. Die Organisationen selbst waren in ihren Bestand gefährdet, da oft mehr als 60 °/o de: Mitglieder einer sozialistischen Arbeiterju gendorganisation arbeitslos und folglich kaum in der Lage waren, Beiträge zu entrich ten. Außerdem wurden, wie z. B. im Deut sehen Reich, die staatlichen Unterstützung« rigoros zusammengestrichen. So waren viele Funktionäre froh, die Organisation halbwegs unversehrt durch die Wirtschaftskrise steuert zu können. Gleichzeitig radikalisierten siel große Teile der Jugend. In Deutschland, abei auch in Österreich, Frankreich und der CSSR konnten kommunistische wie auch rechtsradikale Jugendorganisationen und Parteien einen starken Mitgliederanstieg verzeichnen Während die Arbeiterjugendlichen eher zui Kommunistischen Jugend gingen, schlosser sich Schüler und Studenten, die zum großer Teil aus der bürgerlichen Jugendbewegung kamen, zunehmend rechtsradikalen und faschistischen Organisationen und Parteien an Aber nicht nur sie, sondern auch große Teile der Mittelschichten, der um ihre Existenz und Privilegien bangenden Beamten und Intellektuellen, eilten unter die Fahnen Hitlers, des österreichischen Kanzlers Dollfuß und der rechtsradikalen französischen Organisation.

Die SJI reagierte auf diese kurzfristig in allen Ländern eingetretene veränderte Situation mit einer Reihe von Appellen und Aufrufen, ohne jedoch ein einheitliches Vorgehen der sozialistischen Jugendverbände in der Auseinandersetzung mit der Krise und der Gefahr des Faschismus zu erreichen. In festem Vertrauen auf die Stärke der sozialdemokratischen Organisationen, der Parteien und Gewerkschaften, überging man die eindringlichen Warnungen der 1925 von Mussolini aufgelösten Italienischen Sozialistischen Jugend. Im Gegenteil: das SJI-Sekretariat suchte jegliche Politisierung der Jugend zu verhindern und den Kultur-, Sport-und Wanderbetrieb wie bisher aufrecht zu erhalten. Die ihr als Internationale zu Verfügung stehenden Informationen wurden nicht zu einer politischen Orientierung der Mitgliederorganisationen ausgewertet. Der Kongreß der SJI in Prag 1932 verabschiedete wortradikale Resolutionen, stritt über die Stellung zur KJI, war jedoch nicht bereit, den in einigen Mitgliedsorganisationen sichtbar werdenden politischen und kämpferischen Tendenzen Rechnung zu tragen.

Am 30. Januar 1933 wurde in Deutschland Adolf Hitler Reichskanzler, am 22. Februar 1934 zerschlugen die Heimwehrverbände des Österreichischen Kanzlers Dollfuß im Namen von Kirche und Ständestaat in blutigen Kämpfen die österreichische Arbeiterbewegung, am 18. Juli 1936 führte in Spanien der Putsch General Francos, zum spanischen Bürgerkrieg, am 1. September 1939 überfiel Deutschland Polen. Obwohl die deutsche und österreichische Mitgliederorganisation der Sozialistischen Jugendinternationale zerschlagen worden war, erlebte die SJI in den 30er Jahren einen Mitgliederzuwachs bis auf einen Stand von 287 929 am 31. Dezember 1938 Auch erhielt das Sekretariat, das zunächst in Prag war und von dort aus 1938 nach Paris verlegt wurde, über die bloße Verwaltung hinaus eine echte politische Aufga-be: Es faßte die im Exil lebenden Mitglieder zusammen, organisierte, koordinierte, übernahm den Schmuggel von Propagandamaterial nach Deutschland und Österreich und initiierte 1936 zahlreiche Hilfsaktionen für die spanische sozialistische Jugend und die zahlreichen jungen Sozialisten aus aller Welt, die in den Internationalen Brigaden gegen die Truppen Francos kämpften.

Die Solidaritätsaktion mit Spanien war auch der Anlaß für das erste und einzige offizielle Zusammentreffen von Vertretern der SJI und der KJI am 5. Juli 1937 in Valencia. Vermittler war der Generalsekretär der Spanischen Sozialistischen Jugend Santiago Carillo Die Delegation der SJI, die von Erich Ollenhauer geleitet wurde, vereinbarte mit der KJI die Verstärkung ihrer Hilfestellungen und Solidaritätsaktionen für Spanien auch durch gemeinsame Aktivitäten. Die Gemeinsamkeit fand ihr Ende 1938, als Santiago Carillo die Vereinigte Spanische Sozialistische Jugend der KP Spaniens faktisch unterstellte und seine Organisation aus der SJI deshalb ausgeschlossen wurde.

Der Hitler-Stalin Pakt vom August 1939, der Überfall der Sowjetunion auf Finnland waren dann für die SJI Anlaß genug, auf ihrer letzten Bürositzung am 27. Februar 1940 in Brüssel die Sowjetunion scharf zu verurteilen. Dies war die letzte Aktivität der SJI, denn am 10. Mai 1940 überfielen deutsche Truppen Belgien, Holland und Frankreich. Ollenhauer flüchtete nach England, die Arbeiterjugend in den europäischen Ländern mußte wieder in den Krieg ziehen. Zuvor hatte auf dem letzten Kongreß der SJI im August 1939 in Lille Torsten Nilsson, Vorsitzender der schwedischen Sozialistischen Jugend, selbstkritisch festgestellt: „Zum gegenwärtigen Zeitpunkt wird die SJI als das betrachtet, was sie ist, d. h. ein Informationsbüro, welches eine bedeutende Verbindung zwischen den Parteien und den Jugendorganisationen darstellt.“ Für die SJI traf — mit einigen Einschränkungen — immer noch das Wort von Karl Kem, dem Vertreter des Tschechoslowakischen Sozialistischen Jugendverbandes von einem „Wortund Kongreßinternationalismus’ zu.

V. Der dritte Weg — die IUSY von 1946— 1977

Der Zweite Weltkrieg war beendet. Deutschland und Japan niedergeworfen. Die Jugend der Welt machte sich an den Wiederaufbau, auch den Wiederaufbau ihrer Organisationen. Er sollte nach dem Willen nicht nur der kommunistischen, sondern auch zahlreicher liberaler, christlicher und marxistischer Jugendorganisationen gemeinsam erfolgen und überall die Erkämpfung von sozialer Gleichheit, politischer Freiheit und Demokratie zum Ziele haben In jedem Land sollte es nur eine Jugendorganisation geben, in der die unterschiedlichen ideologischen Strömungen mit Ausnahme der faschistischen, zum Tragen kommen sollten. Die Weltjugendkonferenz, die vom 31. Oktober bis 10. November 1945 in London tagte, formulierte diese Ziele und gründete den Weltbund Demokratischer Jugend (WBDJ). Da seine Gründung hauptsächlich von der kommunistischen Jugendorganisation initiiert war, kann er einerseits als Nachfolgeorganisation der KJI gesehen werden, andererseits waren jedoch auch Jugendorganisationen mit anderer ideologischer Einstellung vertreten. Erich Ollenhauer hatte sich von Anfang an der Gründung einer weltweiten einheitlichen Jugendinternationale widersetzt, weil er ebenso wie zahlreiche sozialdemokratische Führer eine kommunistische Dominanz im Weltbund Demokratischer Jugend befürchtete. Er strebte eine Neugründung der Sozialistischen Jugendinternationalen an, mit dem erklärten Ziel, ein Bollwerk gegen den kommunistischen Einfluß in Europa zu errichten. Während des Krieges scheiterten seine in diese Richtung gehenden Bemühungen nicht zuletzt an seiner deutschen Herkunft. Nach dem Krieg fand er jedoch ein offenes Ohr vor allem bei den skandinavischen Jugendorganisationen. Zur gleichen Zeit versuchten die französischen, exilspanischen und belgischen sozialistischen Jugendorganisationen, die SJI wieder zu gründen. Diese Organisationen verstanden sich als marxistische Organisationen und versuchten, der neuen Internationalen ein klares sozialistisches Programm zu geben. Sie fürchteten, zurecht, wie sich später herausstellte, die Übermacht der finanzstarken skandinavischen Organisationen, die jugendpflegerisch orientiert arbeiteten, und ideologisch pluralistisch ausgerichtet waren. Erst nach langen Auseinan17) dersetzungen zwischen „Marxisten" und „Reformisten" fand der erste Kongreß der IUSY vom 29. März bis 6. April 1946 im Rathaus von Montrouge/Paris statt. Sozialistische Jugendorganisationen aus 17 Ländern repräsentierten dort 730 000 Mitglieder, darunter aus Polen und Rumänien. Kernpunkte der Auseinandersetzung auf dem Kongreß waren einmal die unterschiedlichen politischen Standpunkte der Delegationen — der Gegensatz zwischen Marxisten und Reformisten — und die Frage, ob die IUSY eine zentrale Führungsaufgabe erhalten oder eine förderative Arbeitsgemeinschaft werden sollte. Da die reformistischen Organisationen, d. h. die englischen, skandinavischen und holländischen Organisationen eine knappe Mehrheit hielten, entstand eine pluralistische, förderative Internationale, ohne wirkungsvoll arbeitende Zentrale, ohne die Möglichkeit, verbindlich zentrale Beschlüsse zu fassen. Ein wichtiger Streitpunkt war die Aufnahme der drei deutschen sozialistischen Organisationen (die . Sozialistische Jugendbewegung — Die Falken', , die Jungsozialisten’, der . Sozialistische Deutsche Studentenbund'). Insbesondere auf Druck der polnischen Organisationen wurde den deutschen Organisationen bei diesem Kongreß nur ein Beobachterstatus zuerkannt; zwar wehrten sich die marxistisch-orientierten Verbände entschieden dagegen, konnten sich aber nicht durchsetzen

Kurz nach der Gründung der IUSY nahm das Verhältnis zwischen den USA und Westeuropa auf der einen und der Sowjetunion auf der anderen Seite die Form des „Kalten Krieges“ an. Die Arbeiteraufstände in Prag, Warschau und Bukarest verwandelten diese Länder in sog. Volksdemokratien; zugleich wurden die sozialdemokratischen Parteien entmachtet und mit den kommunistischen vereinigt. Ebenso wurden die sozialistischen Jugendorganisationen, die der IUSY angehörten, faktisch aufgelöst. Die berechtigte Kritik der IUSY an der stalinistischen Entartung des Sozialismus in den sozialistischen Ländern mündete allerdings oft in blanken Antikommunismus und die Aufdeckung der finanziellen Unterstützung der IUSY in den 60er Jahren durch amerikanische Stiftungen, die mit dem CIA in Verbindung standen, zeigte, daß man sich falscher Freunde nicht zu erwehren wußte. Die Ende der sechziger Jahre einsetzende Entspannungspolitik, die vor allem von den sozialdemokratischen Parteien gefördert und vorangetrieben wurde, wandelte den Antikommunismus der IUSY in eine differenziertere und inhaltliche Auseinandersetzung gegenüber der Position der kommunistischen Jugendorganisation in den osteuropäischen Ländern. Die Teilnahme einer IUSY-Delegation an den 10. Weltjugendfestspielen 1973 in Ost-Berlin sowie 1976 an der Konferenz in Warschau (Europäische Jugendkonferenz) stand nicht mehr im Zeichen der Konfrontation, sondern der sachlichen Kontroverse mit dem Ziel, den Jugendaustausch, die direkte Begegnung mit der Jugend in den sozialistischen Ländern zu suchen, Informationen auszutauschen und über Wege zur Durchsetzung von Abrüstung und Frieden zu diskutieren.

Entsprach der „Dritte Weg“ zwischen Kapitalismus und Kommunismus der Tradition der Sozialistischen Jugendinternationale, so wurde in den 50er Jahren in der Arbeit der IUSY ein neuer Aspekt bedeutsam. Sie wurde im Gegensatz zur SJI eine weltweite Organisation. Durch zahlreiche Kontakte, Begegnungen und Sommerschulen mit zumeist in England studierenden Jugendlichen aus Afrika, Asien und Lateinamerika machte sich die IUSY mit den Problemen der nationalen Unabhängigkeit der immer noch kolonialisierten Völker vertraut. Nachdem diese in teilweise blutigen Kämpfen für ihre Unabhängigkeit gekämpft hatten, versuchen manche von Ihnen einen „Dritten Weg" zwischen Kapitalismus und Kolonialismus zu gehen, der auch nationalen Besonderheiten in der Entwicklung zum Sozialismus Rechnung tragen kann.

Ihre Führer, von denen viele Sommerschulen der IUSY besucht hatten, verkündeten einen wie auch immer gearteten Sozialismus. Die IUSY suchte diese Länder zu stützen, bei der Gründung nationaler Jugendorganisationen behilflich zu sein und sich bei der Sozialistischen Internationale (SI) für deren Belange einzusetzen. Allerdings stieß die IUSY hierbei schnell an ihre Grenzen, da sie damit auch mit den sozialdemokratischen Parteien, die zum Teil die Kolonialpolitik der westeuropäischen Staaten stützte, in Konflikt kam. Der tiefgreifendste Konflikt, der die Existenz der IUSY selbst gefährdete, brach aus, als sich die IUSY vorbehaltlos hinter den Befreiungskampf des algerischen Volkes stellte und diesen propagandistisch und finanziell unterstützte. Guy Mollet, Generalsekretär Section Frangaise de l’Internationale Ouvriere (Französische Sektion der Arbeiterinternationale), die in der französischen Regierung der IV. Republik für die Algerienpolitik mitverantwortlich war, warf der IUSY vor, kommunistisch und trotzkistisch unterwandert zu sein. Er versuchte, über die Sozialistische Internationale Druck auf die IUSY auszuüben. Erst der Sieg des algerischen Volkes 1962 beendete diesen Konflikt. Hätte die IUSY nachgegeben und ihre Unterstützung für die algerische Befreiungsfront eingestellt, hätte sie auch jeden Kredit in der Dritten Welt eingebüßt. Seit den sechziger Jahren ist die IUSY in ihrer politischen Bedeutung gegenüber anderen Organisationsstrukturen der Jugendverbände immer mehr in den Hintergrund gerückt.

Ihr Wirken vollzog sich weitgehend auf institutioneller Ebene, in Konferenzen, Kongressen, Bürositzungen, Komitees usw. Es hatte für die ihr angeschlossenen nationalen Jugendorganisationen nur eine sehr geringe Bedeutung.

Die Krise der Wirtschaft in der westlichen Welt, die seit 1972 überall die Jugendarbeitslosigkeit ansteigen ließ, die Bildungsmisere der lernenden Jugend, die Entstehung von Repressionsmechanismen als Antwort auf wachsende Systemkritik, die Möglichkeiten, die sich mit dem Eurokommunismus und möglichen Linksregierungen in Frankreich und Italien ergeben könnten, die Ablösung der Diktaturen in Griechenland, Spanien und Portugal, diese Probleme wurden von der internationalen sozialistischen Jugendorganisation bislang kaum aufgegriffen und in keine politische Strategie eingebaut.

Als Zusammenschluß von Organisationen und nicht von Mitgliedern ist es sicher nicht ihre primäre Aufgabe, die Probleme der internationalen Politik, den Gedanken der internationalen Solidarität den Jugendlichen direkt nahe zu bringen. Sie muß jedoch als Forum internationaler Diskussionen, als Koordination internationaler Solidaritätsaktionen, als Katalysator politischer Einheit zwischen ihren Mitgliedsorganisationen ihren bedeutsamen Teil dazu beitragen. Dies sind u. a. die Aufgaben, die sich der IUSY-Kongreß vom 18. bis 20. August in Stuttgart stellte. Das zum 70jährigen Bestehen der Internationalen Union der Sozialistischen Jugend stattfindende Camp sowie der Internationale Jugendtag soll nach dem Wunsch der Veranstalter zur Stärkung des Zusammenhaltes der Sozialistischen Jugend aller Länder beitragen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Richard Schüller, Von den Anfängen der proletarischen Jugendbewegung bis zur Gründung der KJI, Berlin 1929, als Bd. I der Geschichte der Kommunistischen Jugendinternationale, München 1970 nachgedruckt.

  2. Georgij Tschitscherin, Skizzen aus der Geschichte der Jugend-Internationale Berlin, o. J., Heft 14 der Internationalen Jugend-Bibliothek, Nachdruck als Georgij Tschitscherin, Aus der Geschichte der revolutionären Jugendbewegung, Erlangfen 1971.

  3. Willi Münzenberg, Die Sozialistische Jugend-Internationale, Berlin 1919, Heft 3 der Internationalen Sozialistischen Jugendbibliothek; Willi Münzenberg, Die dritte Front. Autobiographische Aufzeichnungen, Berlin 1931, Nachdruck Frankfurt/M. 1972.

  4. Radomir Luza, History of International Socialist Youth Movement, Leyden 1970.

  5. Internationaler Sozialistenkongreß 1900, Berlin 1900, S. 27 f.

  6. Richard Schüller, a. a. O., S. 211— 213.

  7. Richard Schüller, a. a. O., S. 210 f.

  8. Zur Biografie Münzenbergs s.seine autobiografische Aufzeichnungen: „Die dritte Front“, a. a. O., und Babette Gross, Willi Münzenberg. Eine politische Biografie, Stuttgart 1967.

  9. Das erste Programm der Kommunistischen Jugendinternationale in: Alfred Kurella, Gründung und Aufbau der KJI Berlin 1929/31, erschienen als Bd. II der Geschichte der Kommunistischen Jugendinternationale, München 1970, S. 194.

  10. Alfred Kurella, a. a. O., S. 36.

  11. Internationaler Sozialistischer Jugendkongreß in Hamburg vom 24. -26. Mai 1923. Die Verhandlungen und Beschlüsse der Tagung, Berlin o. J., S. 49 f. a

  12. Sozialistische Jugendinternationale (Hrsg.) Rote Fahnen über Wien. Das Buch vom 2. Internationalen Sozialistischen Jugendtreffen 12. — 14. Jul 1929, Berlin und Wien 1929.

  13. Der heutige Generalsekretär der KP Spaniens.

  14. Zit. nach Radomir Luza, a. a. O., S. 54.

  15. Sozialistische Jugendinternationale (Hrsg.), Die Sozialistische Jugendinternationale — ihre Entwicklung und ihre Tätigkeit in den Jahren 1935— 1938. Arbeitsbericht des Sekretariates, Paris 1939.

  16. Statuten des WBDJ s. Erwin Breßlein, Drushba — Freundschaft? Von der Kommunistischen Jugendinternationalen zu den Weltjugendfestspielen, Frankfurt/M. 1973, S. 200— 207.

  17. Kurt Schmidt, Reisebericht über die Konferenz der SJI vom 29. 9. — 6. 10. 1946 in Paris, hektogra-fiertes Manuskript 1946. Ausführlichere Darstel-lungere der Gründungsentwicklung bei Radomir Luza, a. a. O., und Heinrich Eppe/Wolfgang Uellen-berg, 70 Jahre Sozialistische Jugendinternationale. Zur Geschichte der internationalen sozialistischen Kinder-und Jugendorganisationen, Hrsg. SJD -Die Falken, Bonn 1976.

Weitere Inhalte

Wolfgang Uellenberg, geb. 15. 11. 1950; Studium der Geschichte und Philosophie von 1970— 1976 in Köln; 1. Staatsexamen, z. Zt. Promotionsstudium im Fach Geschichte. Heinrich Eppe, Dipl. Psychologe, geb. 13. 7. 1943; Studium der Pädagogik und Psychologie in Esslingen, Hamburg, Wien und Bochum; seit 1971 hauptamtlicher Mitarbeiter bei der Sozialistischen Jugend Deutschlands — Die Falken.