Zusammenfassung
Eckart Busch: Verfassungsfragen des Bundesrates und der kommunalen Ebene
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Eckart Busch: Verfassungsfragen des Bundesrates und der kommunalen Ebene
Die verfassungsgeschichtliche Ausgangstage Der Abschnitt des Grundgesetzes über den Bundesrat gehörte im Parlamentarischen Rat zu den umstrittensten Teilen der Verfassung. Der Bundesrat ist das Verfassungsorgan, an dessen Ausgestaltung sich eines der Hauptprobleme der deutschen Verfassungsgeschichte entscheidet: das Verhältnis von Föderalismus und Zentralismus. Die staatlichen Strukturen im deutschen Raum waren stets föderativ geprägt; die politischen und rechtlichen Gewichtungen zwischen den zentripetalen und den zentrifugalen Kräften waren entscheidende Bestimmungsfaktoren unserer Verfassungsgeschichte. Mit der Schaffung von Volksvertretungen im konstitutionellen System traten neben die dynastischen Gewalten die parlamentarischen Kräfte, die sich stärker zum Motor unitarischer Bestrebungen und Tendenzen entwickelten. Auf diesem Hintergrund ist vor allem die Verteilung der Kompetenzen zwischen dem parlamentarischen Organ des Bundes/Reichstages und dem föderativen Organ des Bundes/Reichsrates maßgebender Indikator für eine eher föderative oder unitarische Ausgestaltung der Verfassung. Die Bandbreite der Möglichkeiten bewegt sich dabei zwischen der völligen Gleichberechtigung beider Organe bis hin zur Einräumung bloßer Mitwirkungsrechte der einen Körperschaft an den Kompetenzen der anderen. Die Gleichberechtigung kennzeichnete das Verfassungswerk Bismarcks; nach der Reichsverfassung von 1871 war die Übereinstimmung der Mehrheitsbeschlüsse von Bundesrat und Reichstag zu einem Reichsgesetz erforderlich und ausreichend. Die Einführung des parlamentarischen Systems in der Weimarer Republik brachte eine stärkere Zentralisierung mit sich. Das Verhältnis von Reichstag und Reichsrat war dadurch gekennzeichnet, daß dem letzteren nur ein Einspruchsrecht gegen den parlamentarischen Gesetzesbeschluß zustand, der durch Zweidrittelmehrheit des Reichstages oder durch ei-nen Volksentscheid auf Anordnung des Reichspräsidenten überwunden werden konnte. Damit war das politische und rechtliche Übergewicht des Reichstages über den Reichsrat abgesichert. Im Kaiserreich dagegen lag das Schwergewicht der Kompetenzfülle bei dem Fürstenkollegium des Bundesrates, gegen das sich der Reichstag indes spätestens seit der Jahrhundertwende politisch stärker zu behaupten wußte.
Die Entscheidung des Parlamentarischen Rates Die verfassungsrechtliche Zuordnung von Bundestag und Bundesrat, die der Parlamentarische Rat vornehmen mußte, war ein Schlüsselproblem für die Ausgestaltung der föderativen Ordnung. Diese sollte für die Bundesrepublik Deutschland nach den Vorstellungen der Deutschen und der Alliierten konstituierend sein. Die bundesstaatlichen Vorstellungen hinsichtlich der Balance zwischen Unitarismus und Föderalismus, die die einzelnen Parteien entwickelten, schlugen sich auch in ihren Überlegungen hinsichtlich der zweiten Kammer nieder. Im Vordergrund dieser Erwägungen stand dabei deren Zusammensetzung: Hierbei wurden einer Senatslösung, die anfänglich von der SPD favorisiert wurde, die Bundesratslösung gegenübergestellt, die von der Deutschen Partei und vom Zentrum vertreten wurde. Die erstere sah die Zusammensetzung des Bundesrates aus Senatoren vor, die vom Volk in den Ländern oder von den Landtagen gewählt werden sollten; bei der letzteren sollte das föderative Organ aus Mitgliedern der Landesregierungen bestehen. Die CDU und die FDP sprachen sich für ein Mischmodell aus, bei dem die Hälfte der Mitglieder der zweiten Kammer aus Mitgliedern der Landesregierungen und die andere Hälfte aus gewählten Senatoren bestehen sollte. Erst im Laufe der späteren Verhandlungen verständigten sich SPD und CDU auf die Bundesratslösung, wobei ihr jeweiliger politischer Besitzstand in den Landeshauptstädten auch eine bestimmende Einflußgröße war. Die Zustimmung der SPD zur Bundesratslösung wurde ausgehandelt gegen die Einräumung von differenzierten Mitwirkungsbefugnissen für dieses Verfassungsorgan im Gesetzgebungsverfahren unter Absehung der vollen Gleichberechtigung mit dem Bundestag. Die Stimmenverteilung zwischen drei und fünf Stimmen für die einzelnen Bundesländer je nach Bevölkerungszahl stellte sich als Kompromiß zwischen der grundsätzlichen Gleichran-gigkeit der Länder und ihren tatsächlich vorhandenen Unterschieden dar. Im übrigen verbargen sich auch hier nüchterne Überlegungen der Parteien hinsichtlich ihres politischen Besitzstandes in den einzelnen Ländern. Maßgebender föderaler Gesichtspunkt für die Bundesratslösung war, daß eine wirksame Kontrolle der Bundesverwaltung nur durch die Länderbürokratie als möglich angesehen wurde. Vorschläge, die neben Bundestag und Bundesrat auch einen Länderrat auf der verfassungsrechtlichen Ebene zwischen Bund und Ländern (sogenannte Dritte Ebene) vorsahen, wurden nicht weiterverfolgt.
wurde der Bundesrat — „Gelenkstück des das Grundgesetzes“ — als entscheidender Erfolg für den föderalen Gedanken angesehen.
Ansatz und Ergebnis der Enquete-Kommission Verfassungsreform Mit den vorstehenden Positionen im Parlamentarischen Rat hinsichtlich des Bundesrates ist zugleich die Bandbreite abgesteckt, in der sich seitdem die Reformüberlegungen bewegen. Hierbei geht es entscheidend zum einen um die Zusammensetzung dieses Verfassungsorgans und zum anderen um die Ausgestaltung seiner Kompetenzen gegenüber dem Bundestag. Diese beiden Problemkreise waren auch die Hauptberatungsgegenstände in der Enquete-Kommission Verfassungsreform. Deren Reformüberlegungen kreisten vor allem um die Frage, welche Verbesserungen im Interesse der Funktionsfähigkeit des bundesstaatlichen Systems möglich und notwendig sind, wobei die Sorge um die Erhaltung und Sicherung der Kompetenzen der Landesparla-mente im Vordergrund stand. Anlaß für die Aufnahme des Bundesrates in den Kreis der Beratungsgegenstände war auch das verstärkte politische und rechtliche Interesse, das dieses Verfassungsorgan auf sich gezogen hat, seitdem die Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat politisch differieren. Da parteipolitische Gesichtspunkte legitime Kriterien der Mehrheitsbildung auch im föderativen Organ sind, akzentuiert die unterschiedliche Mehrheitskonstellation in den beiden Verfassungsorganen deren systemimmanente Konflikts-möglichkeiten.
Als Ergebnis ihrer Beratungen hat die Kommission folgende Empfehlungen beschlossen: a) Das Bundesratsprinzip des Grundgesetzes soll beibehalten werden; eine Ergänzung der von den Landesregierungen entsandten Bundesratsmitglieder durch Landesparlamentarier oder durch innerhalb der Länder zu wählende Senatoren wird nicht befürwortet.
b) Die derzeitige Verteilung der Stimmen auf die Länder im Bundesrat nach Artikel 51 Abs. 2 GG soll beibehalten werden.
c) Eine Erweiterung der Aufgabe des Bundes-rates zur Wahrnehmung der Länderkooperation (sogenannte Dritte Ebene), etwa durch einen Länderrat, wird nicht befürwortet.
d) Eine unmittelbare Beteiligung der Länderparlamente Grundgesetzänderungen (Erfordernis der Genehmigung durch zwei Drittel der Länderparlamente) empfiehlt sich nicht.
e) Eine ausdrückliche Bestimmung des Grundgesetzes über das Befassungsrecht der Länderparlamente mit Angelegenheiten des Bundesrates ist nicht erforderlich. Die Beratungsfrist des Bundesrates nach Artilel 76 Abs. 2 GG soll bei Grundgesetzänderungen auf drei Monate verlängert werden, damit den Volksvertretungen der Länder ausreichend Zeit zur Beratung hierüber zur Verfügung steht. Artikel 76 Abs. 2 GG ist um folgenden Satz 4 zu ergänzen:
„Bei Vorlagen zur Änderung dieses Grundgesetzes beträgt die Frist drei Monate.“
Die drei Sondervoten zu diesem Berichtskapitel verdeutlichen, daß die Auffassungen in der Kommission vor allem zur Zusammensetzung und zu den Mitwirkungsbefugnissen des Bundesrates kontrovers waren. Auf dem Hintergrund der verfassungsgeschichtlichen Dimensionen dieses Verfassungsorgans an der Nahtstelle zwischen Föderalismus und Unitarismus war dies zu erwarten.
Zur Legitimationsfrage Die Frage nach der Legitimation des Bundes-rates war Ausgangspunkt der Kommissionsüberlegungen für die Struktur-und Kompetenzprobleme dieses Verfassungsorgans. Während der Bundestag über eine unmittelbare und unabgeleitete, aus direkten Wahlen hervorgehende Legitimation seitens des Wählers verfügt, besitzt der Bundesrat als Kollegium von Regierungsmitgliedern der Länder nur eine mittelbare Legitimation, da die Mitglieder des Bundesrates nicht vom Volk in den Ländern gewählt, sondern von den Landesregierungen bestimmt werden. Diese mittelbare Legitimation des Bundesrates ist der entscheidende Hinderungsgrund für seine Aufwertung zu einer echten zweiten Kammer, die gleichberechtigt neben dem Bundestag im Gesetzgebungsverfahren ist. Dies wurde vom Parlamentarischen Rat bewußt so gewollt: Der Bundesrat sollte das Bundesorgan werden, das die Länderinteressen in die Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes einbringt. Die gesamtstaatliche Artikulation der Belange eines Landes und seine Mitwirkung im Bundesstaat ist indes Sache seiner Regierung. Eine Parlamentarisierung des föderativen Organs hätte zudem den Unterschied zum Bundestag verwischt und der Einheitlichkeit der Repräsentation der Länderinteressen Abbruch getan. Die Kommission hat diese mittelbare Legitimation des Bundesrates für demokratisch ausreichend angesehen, da die Landesregierungen ihrerseits über eine unmittelbare Legitimation auf Grund der Landtagswahlen verfügen. Sie hat deshalb allen Überlegungen, die Zusammensetzung des Bundesrates unter dem Gesichtspunkt der Legitimationsverstärkung zu verändern, eine Absage erteilt. In einem Senat würde die Bevölkerung eines Landes nicht besser, sondern allenfalls doppelt repräsentiert werden, weil der Einfluß der Länder nicht steigen, sondern abnehmen würde. Deshalb wurden auch die Mischmodelle, nach denen der Bundesrat sich sowohl aus Mitgliedern der Landesregierungen als auch aus von den Volksvertretungen oder vom Volk unmittelbar gewählten Senatoren zusammensetzen würde, nicht weiter verfolgt. Verfassungshistorisches Vorbild hierfür ist das Staatenhaus der Reichsverfassung von 1849, deren Mitglieder zur Hälfte durch die Regierung und zur Hälfte durch die Volksvertretung der betreffenden Staaten ernannt werden sollten. Nachdem bereits im Parlamentarischen Rat ein entsprechender Vermittlungsvorschlag gescheitert war, sah die Kommission keine Veranlassung, entsprechende Überlegungen anzustellen. Maßgebender sachlicher Gesichtspunkt hierfür war die Kompliziertheit und Differenziertheit einer solchen Lösung, wie sie vor allem in der Mitgliedschaft von Landesministern und Landesparlamentariern, in der Unterscheidung zwischen Verwaltungs-und Gesetzgebungsangelegenheiten mit entsprechenden Auswirkungen auf die Weisungsgebundenheit der Regierungsmitglieder und auch in der Gefahr einer schwindenden Rückbindung der parlamentarischen Mitglieder an ihre Fraktionen in der heimischen Volksvertretung zum Ausdruck gekommen wäre.
Korrekturen innerhalb des Bundesratsmodells Die Überlegungen der Kommission konzentrierten sich deshalb auf die Frage, welche Verbesserungen des derzeitigen Bundesratsmodells angezeigt und auch möglich sind. Dabei standen eine stärkere Berücksichtigung der Bevölkerungsgröße bei der Stimmenverteilung im Bundesrat, eine intensivere Beteiligung der Landesparlamente im Gesetzgebungsverfahren des Bundes und schließlich eine Verlängerung der Beratungsfristen im Bundesrat im Vordergrund ihrer Überlegungen. Entscheidender Beweggrund für die Verlängerung der Beratungsfrist des Bundesrates im ersten Durchgang bei Vorlagen zur Änderung des Grundgesetzes war eine Verbesserung der Befassungsmöglichkeiten in den Länderparlamenten bei Verfassungsnovellierungen. Eine solche Intensivierung erschien der Kommission erforderlich, aber auch ausreichend. Zu einer weiteren verfassungsrechtlichen Aufwertung der Landesparlamente im Hinblick auf ihre gesamtstaatlichen Mitwirkungsmöglichkeiten sah sich die Kommission nicht in der Lage. Eine förmliche Mitwirkung der Landesparlamente an der Bundesgesetzgebung verfiel vor allem deswegen der Ablehnung, weil auf diese Weise ein staatenbündisches Element in das spezifische Bundesstaatskonzept des Grundgesetzes eingesteuert worden wäre. Die Bundesratslösung des Grundgesetzes hat die gesamtstaatlichen Wirkungsmöglichkeiten der Länder beim Bundesrat konzentriert. Parallele Beteiligungsformen der Länderparlamente unmittelbar im Verfahren der Bundesgesetzgebung würden dieses Monopol des Bundesrates aufbrechen, die Verantwortlichkeit der Landesregierung einschränken und insgesamt ein kaum auflösbares Spannungsverhältnis zwischen Bundesrat und Länderparlamenten begründen. Zudem sollte nicht das Gesetzgebungsverfahren des Bundes unnötig durch landesinterne Konflikte zwi-sehen Landtag und Landesregierung erschwert werden, die sich in gegensätzlichen Voten und Stimmabgaben zu einer Gesetzesvorlage niederschlagen würden.
Eine Funktion der Kommission besteht auch darin, auf Grund ihrer wissenschaftlichen Autorität in verfassungsrechtlich kontroversen Streitfragen klärende Stellungnahmen abzugeben. So wird die Frage, ob die Landesparla-mente in Bundesratsangelegenheiten den Landesregierungen verbindliche Weisungen oder nur unverbindliche Empfehlungen erteilen können, unterschiedlich beurteilt. Die Kommission macht sich hierbei im Hinblick auf die ungeteilte parlamentarische Verantwortlichkeit der Landesregierung die letztere Ansicht zu eigen. Maßgebend hierfür ist auch der Umstand, daß sich Landesregierung und Landtagsmehrheit in einer weitgehenden politischen Interessenidentität befinden, die sich auch auf die Bundesratsangelegenheiten erstreckt. Für eine Empfehlung im Hinblick auf eine verfassungsrechtliche Normierung dieses Problems bestand deshalb kein Raum.
Auch die gegenwärtige Stimmenverteilung im Bundesrat war für die Kommission kein Anlaß, Änderungsempfehlungen auszusprechen. Die derzeitige Differenzierung zwischen drei und fünf Stimmen je nach Bevölkerungsgröße ist ein ausgewogener Kompromiß zwischen den beiden Prinzipien , one land one vote'und , one man one vote". Zudem begegnet sie der Gefahr der Majorisierung der kleineren Bundesländer durch die größeren, die sich automatisch einstellen würde, wenn die Bevölkerungszahl stärkerer Orientierungspunkt für die Zuweisung der Bundesratsstimmen wäre. Die Hegemonialstellung Preußens im Bundesstaat des deutschen Kaiserreiches und der Weimarer Republik, die auch in seinem großen Stimmenübergewicht im föderativen Reichsorgan auf Grund der stärkeren Berücksichtigung der Bevölkerungszahl zum Ausdruck kam und — zumindest aus süddeutscher Sicht — zu einer Belastung der bundesstaatlichen Balance führte, soll sich nicht in anderer Form wiederholen. Die Stimmenverteilung im Bundesrat muß einerseits berücksichtigen, daß die Eigenstaatlichkeit der Länder ihnen im Grundsatz staatsrechtlich den gleichen Rang zuweist, andererseits können die hinsichtlich der Größe, Bevölkerungszahl und Leistungskraft bestehenden faktischen Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern nicht unberücksichtigt bleiben. In der Kommission erschien es deshalb nicht möglich, die gegenwärtige Differenzierung durch eine andere Aufteilung zu ersetzen, die diesen Richtgrößen besser entsprechen könnte.
Auch wurde die häufig diskutierte Frage der sogenannten Dritten Ebene zwischen Bund und Ländern von der Kommission abschlägig beschieden. Hier geht es um Überlegungen, die dem Bundesrat in seiner heutigen Gestalt zugleich die Aufgaben eines Länderrates übertragen wollen. Bei diesen Aufgaben handelt es sich nicht um Bundes-oder Landesangelegenheiten, sondern um Angelegenheiten aller Bundesländer, wie sie vor allem in den Konferenzen der Ministerpräsidenten und der Fachminister im Wege der Koordination und Kooperation auf der Grundlage der Einstimmigkeit behandelt werden. Die staatsrechtliche Verfestigung eines derartigen Länderrates, die das auf der Grundlage der Eigenstaatlichkeit und staatsrechtlichen Gleichrangig-keit der Länder beruhende Einstimmigkeitsprinzip ablösen und durch ein Mehrheitsprinzip ersetzen müßte, würde die Stellung von Landesregierung und Landtag nicht stärken, sondern schwächen und sie zu bloßen Bestätigungsorganen abstempeln. Auch wären Reibungsverluste mit dem Bundesrat nicht ausgeschlossen.
Zur Teilung des Gesetzesbeschlusses Die starke Stellung des Bundesrates im Bereich der Zustimmungsgesetze gegenüber dem Bundestag war für eine starke Minderheit von zehn Kommissionsmitgliedern Anlaß, in einem Sondervotum folgenden Vorschlag zu unterbreiten: Bei einer Verweigerung der Zustimmung des Bundesrates zu einem Gesetz, das neben Regelungen, die die Zustimmungspflicht begründen, auch andere Regelungen enthält, kann der Bundestag das Gesetz mit dem nicht zustimmungspflichtigen Inhalt bestätigen. Dabei soll das notwendige Bestätigungsquorum im Bundestag der Mehrheit entsprechen, mit der der Bundesrat die Zustimmung verweigert hat.
Grundlage dieses Vorschlages ist das vor allem auf die unterschiedliche Legitimation von Bundestag und Bundesrat zurückgeführte geringere politische Gewicht des Bundesrates in der Staatsleitung. Zudem ist vor allem der Bundestag das Verfassungsorgan, mit dessen Hilfe die Regierung ihr Programm durchsetzen muß. Außerdem soll dieser Vorschlag die auf Grund der Zunahme der zustimmungsbedürftigen Gesetze weiterhin steigende Bedeutung des Bundesrates im Gesetzgebungsverfahren auf das ihm nach seiner verfassungs21 rechtlichen Stellung als Interessenvertretung der Länder bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes zukommende Maß konzentrieren. Hierauf erstreckt sich in erster Linie die Legitimation dieses Verfassungsorgans. Diese würde überschritten, wenn der Bundesrat auf Grund der Zunahme der zustimmungsbedürftigen Bundesgesetze einen noch stärkeren bundespolitischen Akzent bekäme und sich damit von seiner eigentlichen Aufgabe entfernen würde. Aus diesem Grund beschränkt der Vorschlag der Kommissionsminderheit das Vetorecht des Bundesrates auf seinen eigentlichen Kern, den zustimmungsbedürftigen Teil des Gesetzes, und begründet für den anderen Teil ein Bestätigungsrecht des Bundestages. Bedenken gegen den Grundsatz der Gesetzeseinheit im Falle der Verweigerung der Zustimmung durch den Bundesrat hinsichtlich des zustimmungsbedürftigen Teiles des Gesetzes und der parlamentarischen Bestätigung bestehen nach der Begründung dieses Vorschlages nicht, da hiermit das eigentliche Gesetzgebungsorgan selbst betraut ist, dessen Gestaltungsfreiheit unberührt bleibt. Insgesamt qualifizieren sich die Beratungen der Kommission und ihre Ergebnisse als eine überzeugende Bestätigung der vom Parlamentarischen Rat getroffenen Entscheidung. Nach Auffassung der Kommission hat sich die Bundesratslösung als spezifische Antwort des Grundgesetzes auf die Frage nach dem rechten Verhältnis zwischen Föderalismus und Unitarismus politisch wie rechtlich bewährt, so daß für Änderungsempfehlungen kein Raum bestand.
Die historische und verfassungsrechtliche Ausgangslage Das Verhältnis von Staat und Kommunen hat in den letzten Jahrzehnten einen grundlegenden Bedeutungswandel erfahren: Wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts die kommunale Selbstverwaltung dem gesellschaftlichen Bereich zugeordnet, in dem staatlichen ohne Einfluß und Zuschuß die Angelegenheiten des örtlichen Bereiches von den Honoratioren verwaltet wurden, so ist heute die frühere Separation von Gemeinden und Staat in ein Verhältnis der Integration umgeschlagen. Hierbei sind entscheidende Impulse vor allem ausgegangen von der Zunahme der öffentlichen Aufgaben, der Mobilität und Fluktuation der Bevölkerung, der stärkeren Anbindung der örtlichen Instanzen an überregionale Entscheidungsträger sowie von dem Umstand, daß der kommunale Raum etwa 70 °/o der Bundesgesetze vollzieht. Ein weiterer Beschleunigungsfaktor für den Prozeß der kommunalen Umorientierung von der gesellschaftlichen in die politische Arena ist die Tatsache, daß mit der Einführung der parlamentarischen Demokratie in Deutschland für die Legitimation, Repräsentation und Partizipation des Wählers in staatlichen Parlamenten und kommunalen Vertretungskörperschaften übereinstimmende, auf der Gleichheit jeder Wählerstimme beruhende Strukturprinzipien geschaffen wurden. Der verfassungsrechtliche Ausdruck dieser Entwicklung ist die Tatsache, daß die grundrechtliche Betrachtung zwischen der Beziehungen Staat und Kommunen, wie sie auch noch die Weimarer Reichsverfassung kannte, abgelöst wurde durch eine vornehmlich organisatorisch-institutionell geprägte Sicht. Die seit 1949 unverändert gebliebene institutionelle Garantie des Artikels 28 Abs. 2 GG gewährleistet den Gemeinden und Gemeindeverbänden das Recht, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Die Verankerung dieser Garantie im organisatorischen Teil des Grundgesetzes zeigt, daß kommunale Selbstverwaltung heute im Staat steht und kein Grundrecht gegen den Staat ist.
Im zweigliederigen Bundesstaat des Grundgesetzes gehören die Städte, Gemeinden und Kreise zu den Ländern, deren innere Ordnung sie ausmachen. Die Länder beanspruchen das Patronat über den kommunalen Bereich; sie sind die berufenen Vertreter kommunaler Interessen und Belange gegenüber dem Bund.
Gleichwohl haben sich von Anfang an unmittelbare und eigenständige kommunale Artikulationsmöglichkeiten im Bund herausgebildet und zum Teil zu unmittelbaren Beziehungen zwischen Bund und Gemeinden geführt. In erster Linie ist hier die Einrichtung der drei kommunalen Spitzenverbände zu nennen, die die öffentlichen Belange der ihnen angeB schlossenen kommunalen Gebietskörperschaften wahrnehmen und vor allem gegenüber den Bundesorganen vertreten. Ihre privat-rechtliche Struktur steht dem nicht entgegen. Das in der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien und kürzlich auch in der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages begründete Anhörungsrecht zu Gesetzesvorlagen, die die kommunalen Belange berühren, ist Ausdruck ihrer Bedeutung und auch ihres Einflusses.
Ein weiterer wesentlicher bundesstaatlicher Bezug des kommunalen Bereiches stellt die kommunale Finanzverfassung des Grundgesetzes dar, wie sie durch die Verfassungsnovellierungen von 1956 und 1969 geschaffen wurde. Durch diese Grundgesetzänderungen ist der kommunale Bereich auf den Gebieten der Investitionshilfen und Steuerverteilung, des Finanzausgleichs und der Finanzverwaltung berücksichtigt worden; vor allem sind den Gemeinden und Gemeindeverbänden mit der Realsteuergarantie originäre Steuerquellen erschlossen worden; ferner wurde ihnen ein Anteil am Aufkommen der Einkommensteuer durch die Bundesverfassung zugewiesen. Nach Auffassung der Kommission muß die kommunale Selbstverwaltung als Sockel der allgemeinen Verwaltung angesehen werden.
Damit steht der Dreistufigkeit des Verwaltungsaufbaues in Bund, Ländern und Gemeinden die Zweistufigkeit der staatlichen Gliederung in Bund und Ländern gegenüber.
Ansatz und Ergebnis der Kommission Der zunehmende Prozeß der Integration der kommunalen Selbstverwaltung in die allgemeine staatliche Administration war der Ansatz, von dem die Reformüberlegungen der Kommission ausgingen.
Dabei standen vor allem Fragen der Verzahnung und Verflechtung der Verwaltungsträger im Mittelpunkt ihrer Überlegungen. Angesichts der zunehmenden Verlagerung örtlicher Entscheidungen in überregionale Pla-nungs-und Entscheidungsträger ist die Begründung entsprechender Beteiligungsund Mitwirkungsrechte sowie von Einflußmöglichkeiten für die Kommunen von lebenswichtiger Bedeutung. Das bürgerschaftliche Engagement, das weiterhin Grundlage der kommunalen Eigenständigkeit ist, fragt nach ertragsreichen Betätigungsfeldern, die heute in der überregionalen kommunalen Mitwirkung erschlossen werden müssen. Die Kommunen nehmen mit der sich in der Selbstverwaltung vollziehenden Heranführung des Bürgers an die Erfüllung öffentlicher Aufgaben eine für den demokratischen Staat konstftuierende Aufgabe wahr.
Aktueller Anlaß der Kommission, sich mit der verfassungsrechtlichen Einordnung der gemeindlichen Selbstverwaltung zu befassen, waren die Forderungen der Gemeinden, Städte und Kreise zum Standort des kommunalen Bereichs nach dem Grundgesetz, die der Kommission übermittelt wurden. Diese Forderungen sahen im Kern eine Beteiligung der Kommunen an den staatlichen Verfahren von Planung und Gesetzgebung sowie eine kommunale Repräsentation im Bundesrat vor. Die Kommission hat hierzu folgende Empfehlungen beschlossen:
a) Eine Mitwirkung kommunaler Vertreter im Bundesrat kann — wie auch immer legitimiert und ausgestaltet — nicht empfohlen werden.
b) Eine Ergänzung des Artikels 28 Abs. 2 GG in Richtung auf verfassungsrechtlich festgelegte Anhörungsrechte der kommunalen Spitzenverbände kann nicht empfohlen werden.
c) Nach den bereits gewährten Anhörungsrechten in der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages und in der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien wird auch für die Initiativgesetze des Bundesrates ein Anhörungsrecht in dessen Geschäftsordnung empfohlen, kraft dessen den kommunalen Spitzenverbänden Gelegenheit zur Stellungnahme im Plenum und in den Ausschüssen des Bundesrates zu geben ist bei Vorlagen, die die Belange der kommunalen Selbstverwaltung berühren.
d) Eine Mitwirkung der kommunalen Spitzen-verbände bei einer gemeinsamen Rahmenplanung nach Artikel 28 a (neu) ist im Grundsatz zu empfehlen, sofern kommunale Belange berührt werden. Sie kann jedoch gegenüber der des Bundes und der der Länder nicht gleich-gewichtig sein. Sie ist nicht im Grundgesetz, sondern in den Ausführungsgesetzen zu der gemeinsamen Planung nach Artikel 28 a (neu) und der Investitionsfinanzierung nach Artikel 104 b (neu) zu verankern.
Diese Empfehlungen waren nicht kontrovers; das Kapitel „Zur Stellung der Gemeinden und Gemeindeverbände in der Verfassungsordnung" des Schlußberichts ist eines der wenigen Kapitel, zu dem Sondervoten nicht erarbeitet wurden. Kommunale Anhörungsrechte Die Forderung nach der Begründung kommunaler Anhörungsrechte im Gesetzgebungsverfahren auf Verfassungsvorschriften südwestdeutsche zurück. Ihre Verankerung in der Verfassung Baden-Württembergs hat historische Vorbilder in der badischen Verfassung von 1919 sowie in den Verfassungen der früheren Bundesländer Württemberg-Baden und Baden. Die kommunalen Anhörungsrechte im staatlichen Gesetzgebungsverfahren haben ambivalente Funktionen: Zum einen dienen sie der unmittelbaren Zulieferung kommunaler Verwaltungserfahrung an den Gesetzgeber, zum anderen sind sie auch ein Instrument der parlamentarischen Erfolgs-kontrolle . Der durch Anhörungsrechte begründete unmittelbare Draht des Parlaments zur kommunalen Front setzt die Volksvertretung in die Lage, Fehler in der Gesetzgebung rechtzeitig zu erkennen und durch entsprechende Kurskorrekturen auch auszugleichen. Die durch die kommunalen Spitzenverbände vorab erfolgte Vorklärung der Bedürfnisse und Interessen stellt sich als eine Erleichterung der gesetzgeberischen Arbeit dar.
Die Kommission hat sich deshalb neben den bereits bestehenden Anhörungsrechten im Bereich der Bundesregierung und des Deutschen Bundestages dafür ausgesprochen, daß auch hinsichtlich der Initiativgesetze des Bundesrates ein Anhörungsrecht für die kommunalen Spitzenverbände bei diesem Verfassungsorgan begründet wird. Auch wenn im Bundesrat die Länder die kommunalen Belange vertreten, erschien der Kommission die Einrichtung eines unmittelbaren Anhörungsrechtes im Hinblick auf dessen ambivalente Funktionen sinnvoll.
Kommunale Beteiligungsrechte bei der gemeinsamen Rahmenplanung Die zunehmende Abwanderung von Planungskompetenzen von der örtlichen auf die überörtliche Ebene und die damit verbundene Gefahr der Aushöhlung kommunaler Gestaltungsmöglichkeiten hat die Enquete-Kommission zu der Empfehlung veranlaßt, kommunale Beteiligungsrechte bei der gemeinsamen Rahmenplanung zu begründen. Dabei geht es darum, die bereits bestehenden kommunalen Beteiligungsformen bei staatlichen Fachplanungen auf die gemeinsame Rahmenplanung zu erweitern, sofern kommunale Belange angesprochen werden. Dies muß in allen Bereichen vorgesehen werden, in denen die kommunale Selbstverwaltung berührt ist. Die Einzelheiten einer derartigen Planungsbeteiligung wären in den Planungsausführungsgesetzen zu regeln, in denen vor allem Zeitpunkt und Grad der Beteiligung in Hinblick auf das Ausmaß der kommunalen Betroffenheit zu regeln wären.
Anhörungsrechte im Gesetzgebungsverfahren und Beteiligungsrechte bei der Planung bedürfen im Hinblick auf die Einordnung des kommunalen Bereiches in die Zuständigkeit der Länder keiner verfassungsrechtlichen Verankerung. Die Kommission hat deshalb eine Begründung auf geschäftsordnungsrechtlicher und gesetzlicher Grundlage für ausreichend angesehen, auch um Fehlinterpretationen zu vermeiden, die dem kommunalen Bereich als unterste Stufe des Bundesstaates staatliche Qualität zusprechen wollen.
Keine kommunale Repräsentation im Bundesrat Dieser Gesichtspunkt war zugleich maßgebend dafür, daß sich die Kommission dem Vorschlag des Deutschen Städte-und Gemeindebundes verschloß, den Bundesrat um kommunale Vertreter aufzustocken. Sie verkannte hierbei zwar nicht, daß die Entsendung kommunaler Repräsentanten in staatli-ehe Organe der deutschen Verfassungsgeschichte nicht fremd ist, wobei vor allem an das Staatenhaus der Reichsverfassung von 1849, an die Erste Kammer des konstitutionellen Preußens und an den Staatsrat des frei-staatlichen Preußens sowie an den Reichsrat der Weimarer Republik zu denken ist. Eine kommunale Repräsentation im Bundesrat würde indes die verfassungsrechtliche Zugehörigkeit der Gemeinden in Länderbereiche in Frage stellen und die notwendige Unterscheidung zwischen staatlicher und nichtstaatlicher Sphäre verwischen. Dabei fällt die vorgeschlagene Beschränkung auf eine beratende Funktion der kommunalen Vertreter nicht ins Gewicht. Die Kommission warnt vor allem vor der Gefahr, daß im Hinblick auf diesen Präzedenzfall auch andere Selbstverwaltungsträger wie die der Kirchen, Universitäten und Sozialversicherungsträger ebenfalls beratende Mitgliedschaften im Bundesrat verlangten Damit würde dessen Rechtsqualität von einem staatlichen Organ in ein ständisch-korporatives Organ umschlagen. Dies wäre mit dem Bestreben der Kommission, die Stellung der Länder im Bundesrat zu stärken, kaum vereinbar. Abschließende Würdigung Die Beratungen und Empfehlungen der Kommission zum Standort des kommunalen Bereiches in der Verfassungsordnung dürfen nicht nur unter dem Gesichtspunkt der konkreten Empfehlungen an den Gesetzgeber gesehen werden. Im Hinblick darauf, daß sich die Kommission mit den Vorstellungen der kommunalen Spitzenverbände auseinanderzusetzen hatte, die nicht nur ihr, sondern auch in der Öffentlichkeit in den letzten Jahren wiederholt vorgetragen wurden, erhält gerade dieser Beratungsgegenstand seine Bedeutung und auch sein Gewicht dadurch, daß ein Gremium von dem politischen und wissenschaftlichen Gewicht der Enquete-Kommission Verfassungsreform des Deutschen Bundestages sein zustimmendes oder ablehnendes Votum abgegeben und damit für die nächste Zukunft sicherlich bestimmte Festschreibungen vorgenommen hat. Für die Beziehungen zwischen Staatsverwaltung und kommunaler Verwaltung dürfte diese Beruhigung und Abklärung von Vorteil sein.
Eckart Busch, Dr. jur., Ministerialrat, geb. 1933; seit 1971 Angehöriger der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages; in der 6. und 7. Wahlperiode Sekretär der Enquete-Kommission Verfassungsreform.
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