Ein neuer Begriff für ein altes Problem
Der verstorbene deutsche Nationalökonom Erich Schneider hat die Bereitstellung von Konsumgütern als letztes Ziel jeder wirtschaftlichen Tätigkeit bezeichnet. Angesichts der gegenwärtigen Diskussion über die Ablagerung von Atommüll möchte man diesem Leitsatz hinzufügen, daß es ein weiteres „letztes" Ziel gibt, das jenem ersten nach dessen Erreichen folgt: nämlich die Fähigkeit zu erwerben, sich unerwünschter Güter (Abfälle) gekonnt zu entledigen.
Der Versuch, eine Umformung (Recycling) aller unerwünschten in erwünschte Güter auf ökonomisch sinnvolle Weise zu vollführen, scheitert am gegenwärtigen Stand der Technik. So bleibt in den meisten Fällen die Beseitigung als „ultima ratio". Naturwissenschaftliche Erkenntnisse lehren aber, daß sich Dinge nicht einfach „beseitigen“, nicht im eigentlichen Sinne vernichten lassen. Abfallbeseitigungstechniken erreichen eine Umwandlung von Abfällen in andere Abfallstoffe desselben oder eines anderen Aggregatzustandes. Für diese Reststoffe schließlich muß Platz in der Umwelt gefunden werden
Man ist also gezwungen, den Beseitigungsbegriff zu modifizieren. Sprachlich ist dieser Vorgang teilweise durch den Gebrauch des Begriffes „Entsorgung" vollzogen worden.
Weit gefaßt ist unter Entsorgung das Bemühen zu verstehen, die Industriegesellschaft und ihre Umwelt von derzeit nicht verwertbaren oder unmittelbar nicht verwendbaren Abfällen zu entlasten. Zur Entsorgung zählen alle Maßnahmen, die in politischer, rechtlicher, administrativer, wirtschaftlicher und technischer Hinsicht dieses Bemühen unterstützen.
Der Gesetzgeber definiert Abfälle als „bewegliche Sachen, deren sich der Besitzer entledigen will oder deren geordnete Beseitigung zur Wahrung des Wohls der Allgemeinheit geboten ist“ Diese Definition meint also das Beiseiteschaffen von Hausmüll und Altöl, von Autowracks und Sperrmüll, von Abwässern und radioaktiven Abfällen, von Tierkadavern, industriellen Sonderabfällen oder Arzneimüll.
Entsorgung wäre nicht problematisch, wenn die Abfälle und auch die Abfallumwandlung keine Umweltbelastung bedeuten würden. Entsorgung ist jedoch mehr als Volumen-verminderung und Transport von Abfällen; im wesentlichen soll durch sie eine Verpestung der Luft, die Verunreinigung des Wassers, eine Verschandelung der Landschaft und die Verseuchung des Bodens so gering wie möglich gehalten werden. Durch geeignete Entsorgungstechniken muß die Abfallumwandlung so vollzogen werden, daß die übrig bleibenden Reststoffe weniger belastend für die Umwelt sind als die ursprünglichen Abfallstoffe
Wenn auch der Entsorgungsbegriff jüngeren Datums ist — vr zehn Jahren stand er noch nicht im Duden —, so lassen sich doch aus der Geschichte der Abfallbeseitigung bereits vielfältige Entsorgungspraktiken nachweisen Das „Zuscharren" z. B. wurde Jahrtausende hindurch praktiziert — bis auf den heu-tigen Tag, wie Giftmüll-Skandale noch immer beweisen. Als Zeugnisse für umweltbewußtes Verhalten in der Vergangenheit können gelten: Abfallhaufen aus der Steinzeit; Müllabwurfschächte in zweigeschossigen Steinhäusern des Indus-Kulturkreises vor 6500 Jahren, deren Anordnung zudem auf eine städtische Müllabfuhr schließen läßt. Die Trennkanalisation ist schon vor etwa 5000 Jahren erfunden worden: das saubere Wasser des Springbrunnens und das verschmutzte Wasser der Spülklosetts (!) wurde im Palast von Knossos jeweils in getrennten Rohrleitungen abgeleitet. In den griechischen Stadtstaaten (Theben) war die Sauberhaltung der Stadt einem städtischen Beamten anvertraut; um Christi Geburt wurde in Jerusalem Müllkompostierung und Müllverbrennung betrieben, aus noch früherer Zeit ist überliefert, „daß Jerusalem auch eine vorzügliche Kanalisation besaß“
Die öffentlichen Hygieneeinrichtungen im alten Rom sind bekannt. Im Gegensatz zu diesen Epochen ist aus dem Mittelalter über das Entsorgungswesen nichts Rühmliches zu berichten. Es herrschten „mittelalterliche Zustände": „ 1184 beobachtete Philipp II. vor seinem Stadtschloß in Paris den Vorbeizug eines Trosses von Kauffahrteiwagen. Der König brach bei der Vorbeifahrt der Gespanne am Fenster ohnmächtig zusammen. Vor dem Schloß war die Straße nämlich so abgrundtief mit Kot gefüllt, daß er von den aufsteigenden Methangasen der Fäulnis benebelt wurde.“
Als Abhilfe ließ der König die Straße vor seinem Schloß pflastern.
Knapp zwei Jahrhunderte später, im Paris des Jahres 1371, erließ der dortige Rat der Stadt eine Verordnung, um die Sicherheit der Bürger des Nachts zu gewährleisten: „Es war nämlich dort üblich, daß man den , pot de chambre'ganz einfach nachts aus dem Fenster kippte. Um den Straßenpassanten die Gewähr zu geben, auch in der Nachtzeit unbehelligt über die Straßen gehen zu können, mußte nach dem Erlaß des Rates jeder, der sein Gefäß entleeren wollte, zunächst das Fenster öffnen und auf die Straße rufen , garde I'eau’, dann mußte er eine Minute warten, ehe er schließlich den Gefäßinhalt ausschütten durfte.“
Umweltverschmutzung ist also nicht erst ein Ereignis unserer Tage. Dies beweist auch ein Bericht aus dem Jahre 1870 über den Zustand der Flüsse in Yorkshire (Großbritannien). Darin heißt es: „Mißbräuchlicher Weise wirft man in die Wasserläufe Hunderttausende von Tonnen an Asche und Kohlenresten und an Schlacken aus den Feuerungen der Dampfkessel, Eisenwerke und Hausöfen; große Massen von zerbrochenem Thongeschirr, abgenutzten Metallgegenständen, von Schutt aus den Ziegeleien und aus alten Gebäuden, von Eisen, von Steinen und Thon aus den Steinbrüchen schüttet man hinein; der Schmutz der Wege, Straßenkehricht, erschöpfte Farbhölzer und ähnliche Stoffe werden den Flüssen überantwortet; Hunderte von Thiercadavern, Hunde, Katzen, Schweine usw. schwimmen auf ihrer Oberfläche umher oder verfaulen an ihren Ufern; sie müssen täglich Millionen von Cubikmetern Wasser abführen, welches mit den Abfällen aus Bergwerken, chemischen Fabriken, Gerbereien, Färbereien, Garn-und Woll-Wäschereien und Walkereien, mit Schlachthausabgängen und mit den Auswurf-stoffen der Städte und Häuser beladen und dadurch verdorben und vergiftet ist."
Zu den Folgen der beschriebenen Zustände jener Tage zählen Seuchen und Epidemien; die Cholera wütete in Europa bis an die Schwelle des 20. Jahrhunderts. Erst Forscher wie Ignaz Phil. Semmelweis, Max von Pettenkofer, Rudolf Virchow, Louis Pasteur und Robert Koch machten mit ihren Entdeckungen klar, welche Bedeutung öffentlicher Hygiene — und damit einer funktionierenden Abfall-beseitigung und Abwasserreinigung (Kanalisation) — zukommt.
Auf dem Entsorgungssektor endete das tiefe Mittelalter erst mit dem Ende des 19. Jahrhunderts. Relikte mittelalterlicher „Entsorgungstechniken" haben sich aber bis heute gehalten. Die Anklageschriften zu Giftmüll-Prozessen und die Ergebnisse parlamer tarischer Untersuchungsverfahren zu Umwelt-Skandalen lassen sogar die Befürchtung aufkommen, daß mit den sechziger und siebziger Jahren unseres Jahrhunderts ein neues Mittelalter angebrochen ist.
Die Beseitigung von Sonderabfällen — das schwierigste Problem der Entsorgung
Der „Mann auf der Straße" verbindet mit dem Entsorgungsproblem steigende Müllabfuhr-und Abwasserkosten, außerdem den Gedanken an einen wöchentlichen Kleinkrieg, nämlich den Inhalt des häuslichen Mülleimers noch am Abend vor der Müllabfuhr in einer bereits überquellenden Abfalltonne unterbringen zu müssen. Hin und wieder gibt es ein verstopftes Abflußrohr in der Wohnung, dann wieder gilt es den Sperrmülltag nicht zu vergessen, und sei es nur als Sammler von Trödel. Wohnt man auf dem Lande, dann ist einem irgendwann aufgefallen, daß die kleinen Müllkuhlen, in'die man früher „alles" kippen konnte, zugeschoben und bepflanzt worden sind — ein Beweis dafür, daß sich auf dem Entsorgungssektor ein Wandel vollzogen haben muß. Im allgemeinen kommt der Durchschnittsbürger jedoch kaum in Berührung mit dem Kernproblem der Entsorgung: der Beseitigung problematischer Abfälle und Abwässer.
Diese „besonderen" Abfälle können aufgrund ihrer Zusammensetzung bzw. Art oder ihrer Menge nicht mit dem Hausmüll, also den Abfällen aus Haushaltungen, beseitigt werden. Man nennt sie „Sonderabfälle", wobei diese Bezeichnung umstritten ist und auch keinen Einlaß in das Abfallbeseitigungsgesetz (1972) gefunden hat. Gegen eine Formulierung „gefährliche Abfälle" brachten die Abfallproduzenten Einwände vor bei der Novellierung des Abfallbeseitigungsgesetzes machte die Mehrheit der Länder geltend, daß die Bezeichnung „Sonderabfall" den Widerstand von . Bürgerinitiativen hervorrufen würde, wenn es gelte, Grundstücke für Deponien zu finden, in denen gefährliche Abfälle beseitigt oder abgelagert werden sollen
Zur Abgrenzung vom Hausmüll hat sich aber in der Literatur der Begriff „Sonderabfälle“ durchgesetzt.
Zu den Sonderabfällen zählen: Produktionsspezifische Gewerbe-und Industrieabfälle (Beispiele: Akkusäure, Bleicherde, cyanidhaltige Konzentrate, Dicalciumphosphatschlämme, Emailleschlicker, Fettsäure-gemische, Gifte, Härtesalze, Kaltreiniger, Leimschlämme auf Maisstärkebasis, Metall-seifen, Naphthalinraffinations-Rückstände, Phenolwasser, Rechengut, Säureharze, Tabakrauchkondensat, Wäschereischlämme, Zersetzerrückstände) ;
Altöle (Beispiele: gebrauchte Mineralöle und gebrauchte flüssige Mineralölprodukte); Autowracks und Altreifen;
Abfälle aus Massentierhaltungen (Beispiele: Kot, Urin);
Gewerbliche Schlachtabfälle und Abfälle aus Tieraufzuchten, Tierkörper;
Abfälle aus dem medizinischen Bereich (Beispiele: infektiöse Abfälle aus Krankenanstalten, aus ärztlichen, zahnärztlichen und tier-ärztlichen Praxen);
Klärschlämme aus mechanischen und biologischen (Abwasser-) Kläranlagen; Radioaktive Abfälle
Eine Wiederverwertung bzw. Aufarbeitung wird auch bei Sonderabfällen angestrebt. Während Altpapier und Altglas als Bestandteil des Hausmülls und der Gruppe hausmüllähnlicher Abfälle wiederverwertet werden, gelingt eine Wiederverwertung von Sonderabfällen im wesentlichen auf dem Altölsektor, teilweise auch noch bei Altreifen. Alle anderen Sonderabfälle müssen behandelt und/oder beseitigt werden. Für die Art der Behandlung und Beseitigung sind die stofflichen Eigenschaften der Abfälle von Bedeutung, wie der Aggregatzustand (fest, flüssig, pastös, gasförmig), die chemische Zusammensetzung, die Gefährlichkeit (explosibel) und die Giftigkeit.
Zu den Behandlungsanlagen zählen Entgiftungs-, Neutralisations-und Entwässerungsanlagen, Emulsionstrenn-Dekantieranlagen, Spaltanlagen sowie Destillationsanlagen. Als Beseitigungsanlagen gelten Verbrennungsanlagen und die Deponie. Zukünftig mag ein neues Beseitigungsverfahren, auch für Sonderabfälle, Anwendung finden. Dabei handelt es sich um die Pyrolyse, die „thermische Umformung von Brennstoffen (hier: Abfällen) unter Luftabschluß"; bei einer industriellen Anwendung wird dieser Vorgang „Entgasung“ genannt, weil u. a. „flüchtige Stoffe wie Wasser, Benzol, Teer und Gas" entstehen
Die Beseitigung von Autowracks und Altreifen erfolgt durch Shredder-und Zerkleinerungsanlagen; Tierkörper etc. werden in Tierkörperbeseitigungsanlagen verwertet und vernichtet. Viele Sonderabfälle durchlaufen mehrere Verfahren, bevor deren Rest-stoff-Ablagerung, etwa auf einer Deponie, zulässig ist.
Für die Beseitigung von chemischen Rückständen, vor allem chlorierten Kohlenwasserstoffen, stehen mehrere Verbrennungsschiffe zur Verfügung, die diese Abfälle auf hoher See verbrennen. Die dabei entstehenden salz-säurehaltigen Abgase müssen nicht, wie an Land, durch aufwendige Waschanlagen gereinigt werden, sondern dürfen ungewaschen in die Atmosphäre entweichen, weil sie sich letztlich mit dem salzhaltigen Meereswasser vermischen — ohne Schaden für die Umwelt, wie es heißt, überwacht wird die Tätigkeit der Verbrennungsschiffe durch eine internationale Aufsichtsbehörde in Den Haag
Eine Reihe von Sonderabfällen wird unter Tage gelagert. In der Bundesrepublik nimmt die Untertagedeponie im hessischen Kalibergwerk Herfa-Neurode Sonderabfälle, vor allem Härtesalzrückstände, auf. Die Aufbewahrungsplätze der in Fässern angelieferten Abfälle liegen etwa 700 m tief und gelten geologisch als völlig vom Grundwasser abgeschirmt. Käme Grundwasser etwa mit cyanidhaltigen Härtesalzrückständen zusammen, so hätte das verheerende Folgen, da Zyanide in Verbindung mit Wasser Blausäure entwickeln — eines der am stärksten und schnellsten wirkenden Gifte.
Wo bleibt die letzte Gruppe der Sonderabfälle, die radioaktiven Abfälle? Wie im gerade geschilderten Fall soll das Salz der Erde eine Endlagerung ermöglichen. Radioaktive Abfälle müssen über lange Zeiträume vollständig von der Biosphäre getrennt gehalten werden. Eine Ablagerung in Salzstöcken, in denen zirkulierendes Wasser ausgeschlossen ist, böte hierfür die beste Gewähr — sagen die Befürworter. Auf der Gegenseite wird nicht ausgeschlossen, daß der in Glas, Keramik oder Kunststoff vergossene, zunächst flüssige hochaktive Atommüll ein Eindringer von Feuchtigkeit in den Salzstock selbst begünstigen könnte. Die Heizwirkung der nun festen Abfallblöcke, bedingt durch die starke radioaktive Strahlung, mag das Verhalten des Salzstocks und des umgebenden Gesteins, z. B. Carnallit, so verändern, daß „(Wasser-) Einbrüche" möglich sind und damit auch die unter allen Umständen zu vermeidende Verbindung zur Biosphäre
Neben dieser z. Z. am meisten diskutierten Form der Endlagerung gibt es noch weitere praktizierte Methoden. Ihre Durchführung hängt ab von der Menge und Aktivität der Abfälle, der Bevölkerungsdichte, dem Klima, der Geologie und Hydrologie. So sind radioaktive Abfälle beseitigt worden durch — Einleitung in Flüsse und Meere, — Versickern im Boden, — Einführen in tiefe geologische Schichten mittels „Schluckbohrungen“, — Vergraben im Boden, — Versenkung im Meer (im Gegensatz zur reinen Einleitung sind hier die Abfälle „verpackt“), — Lagerung in kristallinem Grundgebirge ,
Die Giftmüll-Skandale in der Bundesrepublik und die Reaktionen des Gesetzgebers
Wie der einzelne Bundesbürger jahrelang Schutt und Abfälle fast nach Belieben in Waldstücken, Kiesgruben, an Wegrändern und in wilden Müllkippen ungestraft ablagern konnte so sind auch gefährliche Abfälle in großem Ausmaß fast bis in die heutige Zeit unsachgemäß „beseitigt“ worden: „Sondermüll nicht verbrannt, sondern auf Deponien gelagert" „Giftmüll nicht beseitigt, sondern verteilt“ „Von einem Tag zum andern kein Platz mehr für Giftmüll" — so lauteten die Schlagzeilen in der Presse.
Die Geschichte der Giftmüll-Skandale in der Bundesrepublik ist noch nicht geschrieben worden, und die Frage wird vielleicht für immer ungelöst bleiben, ob die bekannten Skandale von Hessen, Bochum, Hamburg und Niedersachsen nur die berühmte „Spitze des Eisbergs“ bildeten oder Ausnahmen in einer sonst funktionierenden Sonderabfallbeseitigung waren. Immerhin, der Skandal-Katalog ist belastend.
Hessen: „Von einem Hanauer Unternehmen wurden bis 1973 mehrere 10 000 t produktionsspezifische Abfälle wie cyanidische Härtesalzrückstände, chlorierte Kohlenwasserstoffe und Salzsäure mit Arsen auf ungeordnete und unzureichend überwachte Ablagerungsplätze verbracht, wild abgelagert oder sonst-wie ordnungswidrig beiseite geschafft."
Bochum: Ein Unternehmer, der eine Entgiftungsanlage für Cyanid-Rückstände betrieb, wurde bestraft, weil er Cyanid-Fässer einfach auf den Müll geworfen hatte
Hamburg: In den Jahren 1965 und 1969 war es in Hamburg zur Ablagerung von stark giftigen Produktionsabfällen aus Dänemark gekommen
Niedersachsen: Eine Verbrennungsgesellschaft hatte zur Vernichtung bestimmte, teils hochgiftige und explosive Abfälle nicht vorschriftsmäßig beseitigt, sondern auf mehrere Müllkippen im Osnabrücker Bezirk verteilt Im wesentlichen waren es drei Gründe, die in den sechziger und Anfang der siebziger Jahre das Auftreten von Skandalen begünstigten:
1. Es fehlte eine gesetzliche Regelung übet die Beseitigung von Sonderabfällen: Die Situation vor der Verabschiedung des Abfallbeseitigungsgesetzes, der entsprechenden Landesgesetze und Ausführungsbestimmungen ist nirgends treffender beschrieben worden als durch eine Aussage des Ersten Baudirektors der Freien und Hansestadt Hamburg, Ulrich Wienbeck. Im Juni 1971 verneinte er als Zeuge eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses die Frage, ob in Hamburg ausreichende gesetzliche Bestimmungen, Verwaltungsvorschriften und Dienstanweisungen bestünden, um eine wirksame Kontrolle der schadlosen Beseitigung von Müll (hier: Sonderabfällen) zu gewährleisten Die Aussage Wienbecks kanrf als gültig für alle Bundesländer angesehen werden.
2. Es mangelte an speziellen Entsorgungsanlagen für Sonderabfälle: Für die Verarbeitung von 2 Mill, t Sonderabfällen, der Menge des Jahres 1970, wurde die Errichtung von 12 zentralen Sonderabfallbeseitigungsanlagen für notwendig gehalten. Nach dem Preisstand und Schätzungen von 1970 hätte dies Investitionskosten von 120 Mill. DM erfordert 22 3. Selbst dort, wo Spezialanlagen existierten, benutzten Abfallerzeuger aus Kostengründen diese Anlagen oft nicht, sondern wählten eine umweltbelastende Art der Beseitigung: Hamburger Sonderabfälle z. B. wurden „in erheblichem Umfang — häufig ohne die erforderlichen wasserrechtlichen Genehmigungen — weit gestreut in Hamburg und im Umland in ausgebeuteten Sand-oder Tongruben, in Niederungen, Gräben und Teichen, hinter Knicks und im Walde abgeladen“
Zur Situation der Beseitigung produktionsspezifischer, insbesondere schädlicher, gefährlicher und stark belästigender Abfälle hat der „Rat von Sachverständigen für Umweltfragen“ noch 1974 — also zwei Jahre nach Wirksamwerden des Abfallbeseitigungsgesetzes — kritisch angemerkt, „daß es im politischen Bereich noch allzuoft an dem Willen mangelt, sich der produktionsspezifischen Abfälle in ihrer gesamten Problematik konsequent anzunehmen". Des weiteren führte der Sachverständigenrat aus, daß „eine wirksame staatliche Überwachung der privaten Abfall-beseitigung nur sehr begrenzt erfolgt und auch solange kaum erfolgen wird, wie Möglichkeiten zur geordneten Beseitigung nicht nachgewiesen werden können“
Mittlerweile hat es eine Flut von Verordnungen gegeben, die 1974 und danach erlassen wurden Ob damit eine „zügige Neuordnung dieses Sektors der Abfallwirtschaft", wie es der Sachverständigenrat für Umwelt-fragen formulierte, bereits für die gesamte Bundesrepublik erreicht worden ist, bleibt zu prüfen. Auf jeden Fall sind in den vergangenen Jahren die administrativen und organisatorischen Voraussetzungen für eine reibungslose Abwicklung und ordnungsgemäße Beseitigung von Sonderabfällen geschaffen worden. Aber auch hier hat es Schwierigkeiten in einigen Bundesländern gegeben. In Niedersachsen ist es zur Gründung einer Sonderabfallgesellschaft erst 1975 gekommen. Auch Baden-Württemberg hat, von ersten konkreten Ansätzen ausgehend, zwei Jahre gebraucht, bis eine „Gesellschaft zur Beseitigung von Sonderabfällen in Baden-Württemberg mbH“ 1973 gegründet wurde
Alle Organisationsformen zur Beseitigung von Sonderabfällen müssen mit folgenden Problemen fertig werden:
1. Unkenntnis über die zu beseitigenden Sonderabfallarten und -mengen: Während sich die Vorausschätzung von Hausmüllmengen auf Erfahrungswerte vergangener Jahre und Jahrzehnte stützen kann, liegen diese Werte für Sonderabfälle nicht vor
2. Unsicherheit über die zu erwartenden Widerstände der Bevölkerung und der Tätigkeit von Bürgerinitiativen bei der Planung und dem Bau von Beseitigungsanlagen: Die Widerstände können vielfältig sein und spiegeln unterschiedliche Interessenlagen der Bevölkerung wider. So berichtete die Neue Zürcher Zeitung über Bemühungen des Schweizer Kantons Freiburg gegen „wilde" Abfalldeponien. Dabei hätten sich 18 kleinere Gemeinden im Saanebezirk gegen die Aufhebung ihrer „Deponien" gewehrt (in einem Ort warf man den Müll ganz einfach in einen Waldweiher), weil ihnen die Kosten für eine sachgemäße Vernichtung des Abfalls zu hoch schienen. Die Handlungen stünden zwar in Widerspruch zu eidgenössischen und kantonalen Gesetzen, wären aber mit offensichtlicher Duldung des Oberamtes des Saanebezirks geschehen Mit ebenso offensichtlicher Billigung der Behörden, aber gegen den Willen von Teilen der Bevölkerung und Kreisen der Wissenschaft, würde die „Olschiefergrube Messel" bei Darmstadt als „größte Mülldeponie Europas“ genutzt werden
Organisationsformen der Entsorgung
Sämtliche Gemeindeordnungen in den Ländern der Bundesrepublik kennen den soge-nannten Anschluß-und Benutzungszwang. Hiernach darf eine Gemeinde bei dringendem öffentlichen Bedürfnis durch Satzung „für die Grundstücke ihres Gebiets den Anschluß an Wasserleitung, Kanalisation, Abfallbeseitigung, Straßenreinigung, Fernwärmeversorgung und ähnliche der Volksgesundheit dienende Einrichtungen (Anschlußzwang) und die Benutzung dieser Einrichtungen und Schlachthöfe (Benutzungszwang) vorschreiben“
Einwohner von Gemeinden, in denen eine entsprechende Satzung erlassen wurde, hatten also ihren Hausmüll dem jeweiligen Beseitigungsunternehmen zu überlassen. Dabei konnte die Müllabfuhr sowohl durch kommunale als auch durch private Stadtreinigungsbetriebe erfolgen, hingegen war die (Haus-) Müllbeseitigung durch private Müllverbrennungsanlagen aufgrund höchstrichterlicher Rechtsprechung untersagt Uber die heutige Verpflichtung zur Beseitigung bestimmt das Gesetz über die Beseitigung von Abfällen im § 3:
„(1) Der Besitzer hat Abfälle dem Beseitigungspflichtigen zu überlassen.
(2) Die nach Landesrecht zuständigen Körperschaften des öffentlichen Rechts haben die in ihrem Gebiet angefallenen Abfälle zu beseitigen. Sie können sich zur Erfüllung dieser Pflicht Dritter bedienen.
(3) Die in 2 Körperschaften Absatz genannten können mit Zustimmung der zuständigen Behörde Abfälle von der Beseitigung nur ausschließen, soweit sie diese nach ihrer Art oder Menge nicht mit den in Haushaltungen anfallenden Abfällen beseitigen können."
Uber diese Ausschlußmöglichkeit bestimmter Abfälle hat es umfangreiche Diskussionen gegeben. Es ist unschwer zu erkennen, daß es sich hier im wesentlichen um die von uns beschriebenen Sonderabfälle handelt. Wir wollen im folgenden darlegen, in welchen Organisationsformen diese „ausgeschlossenen"
Abfälle beseitigt werden. Zunächst ist festzustellen, daß die Beseitigung bestimmter Sonderabfälle durch besondere Gesetze geregelt wird. Hierzu zählen das Tierkörperbeseitigungsgesetz, das Atomgesetz (Kernbrennstoffe und sonstige radioaktive Stoffe) und auch das Altölgesetz.
Wie löst z. B. das Altölgesetz organisatorisch die Beseitigung von Altölen Altölbesitzer können nach diesem Gesetz verlangen, daß ihre Altöle von festgelegten Beseitigungsunternehmen abgeholt werden. Diese Unternehmen sind in sogenannten Pflichtgebieten tätig, wobei Pflichtgebiete ein oder mehrere Bundesländer umfassen oder genau begrenzte Teile innerhalb des Bundesgebietes. Die Preise für Abholung und Beseitigung richten sich nach dem Fremdstoffanteil im Altöl; bei sehr geringem Anteil entstehen dem Altölbesitzer keine Kosten. Die wirtschaftliche Sicherung der Beseitigung (Aufarbeitung oder Verbrennung des Altöls) wird durch einen „Rückstellungsfonds“ gewährleistet, dessen Mittel u. a. durch eine Ausgleichsabgabe auf Schmieröle und Gasöle aufgebracht werden. Die Verwaltung des Rückstellungsfonds sowie die „Abwicklung" des Altölgesetzes obliegt dem Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft in Frankfurt. Kleinere Altölmengen werden im allgemeinen bei den Altölsammelstellen der jeweiligen Stadtreinigungsbetriebe unentgeltlich angenommen.
Wie wichtig eie umfassend funktionierende) Altölbeseitigung im Altölgesetzes Sinne des wäre, zeigt die Untersuchung eines Frankfurter Instituts über „Umfang, Herkunft und Verbleib mineralölhaltiger Abfälle in der Bundesrepublik". Danach versickern rund 16 Prozent des jährlich anfallenden Altöls im Boden und in Gewässern. Schätzungen, die sich auf 197-1 beziehen, belaufen sich auf rd. 44 Millionen Liter! Ebenso unheimlich mutet das Ergebnis einer Studie der Deutschen Automobiltreuhand (DAT) an, nach dem beim Ölwechsel in privaten Garagen jährlich etwa 16, 5 Millionen Liter Altöl anfallen, über deren Verbleib so gut wie nichts bekannt sei An dieser Stelle sollte auch angemerkt werden, daß bei der Altölbeseitigung nach dem Altölgesetz Betrügereien in Millionenhöhe in der Bundesrepu-blik vorgekommen sind. Der Trick unseriöser Firmen bestand darin, durch Manipulationen am Zählwerk der Verbrennungsanlagen eine höhere als die tatsächlich beseitigte Altöl-menge vorzutäuschen, um entsprechend höhere Zuschüsse durch das Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft zu erhalten
Die Sonderabfallentsorgung, damit auch die „Betreuung" ausgeschlossener Abfälle, wird in den Bundesländern unterschiedlich vorgenommen. So stehen privatrechtliche Einrichtungen, Zweckverbände, aber auch private Entsorgungsanlagen und öffentliche sowie halböffentliche Unternehmen zur Lösung dieser Aufgaben bereit. Als Vorreiter einer Entwicklung, Entsorgungsaufgaben im Verbund zu lösen, kann Bayern angesehen werden, wo der „Zweckverband Sondermüllplätze Mittelfranken" (SMM) und die „Gesellschaft Sondermüll zur Beseitigung von in Bayern mbH“ (GSB) für die Entsorgung von Sonder-abfällen tätig sind.
Der Zweckverband wurde 1966 auf Initiative mittelfränkischer kreisfreier Städte gegründet 1968 wurde die erste Beseitigungsanlage in Betrieb genommen. Man hat sich in Mittelfranken für eine öffentlich-rechtliche Regelung der Beseitigung von Sonderabfällen entschieden, entgegen dem Rat von Fachleuten, die Beseitigung privaten Firmen zu überlassen Der Zweckverband als eine Körperschaft des öffentlichen Rechts arbeitet als gemeinnützige Einrichtung ohne Erwerbs-zweck und Gewinnabsicht, über das Verbandsgebiet hinaus werden im wesentlichen Abfälle aus Nordbayern angenommen. Nach privatwirtschaftlichen Grundsätzen arbeitet die „GSB" in Bayern, an der der Freistaat Bayern mit 40 °/o, die drei kommunalen Spit-zenverbände mit 30 % sowie 25 Unternehmen der chemischen, metallverarbeitenden, Papier-und der Mineralöl-Industrie Bayerns mit 30 °/o beteiligt sind Die beiden Firmen „SMM" und „GSB“ unterhalten drei zentrale Behandlungs-bzw. Beseitigungsanlagen sowie ein Netz von Sonderabfall-Sammelstellen.
Auf die Gründung einer baden-württembergischen „Gesellschaft" ist bereits hingewiesen worden. Die Gesellschaft ist auf Landes-ebene unter Beteiligung des Landes Baden-Württemberg, der beseitigungspflichtigen Körperschaften und der gewerblichen Wirtschaft errichtet worden. Wie der bayerische Zweckverband „SMM" verfolgt die baden-württembergische Gesellschaft ihre Ziele im Sinne der Gemeinnützigkeitsverordnung.
Einen ganz anderen Weg hat West-Berlin beschritten. Drei Möglichkeiten Lösung zur des Müllproblems (einschl.der Sonderabfälle) standen der Stadt offen:
1. Bau von zusätzlichen Müllverbrennungsanlagen und Fortsetzung des Betriebes von Mülldeponien im West-Berliner Stadtgebiet;
2. Verbringung des West-Berliner Abfalls in die Bundesrepublik;
3. Ablagerung von Müll in der DDR.
Die erste Möglichkeit wurde verworfen, weil sich die Umweltbelastung West-Berlins durch die Maßnahmen beträchtlich erhöht hätte. Gegen zusätzliche Entsorgungsanlagen wehrten sich auch Anlieger und Bürgerinitiativen. Die zweite Möglichkeit wurde wegen zu hoher Transportkosten letztlich nicht weiter verfolgt. Als langfristige Lösung wurde daraufhin eine Abmachung mit der DDR angesehen, nach der für eine Vertragslaufzeit von 20 Jahren etwa vier Fünftel des anfallenden West-Berliner Abfalls in die DDR transportiert und dort abgelagert werden können
Die Sonderabfallbeseitigung in Hamburg — ein kommunalpolitisches Fallbeispiel
Seit 1886 liegt die Müllabfuhr (Straßen-und Stadtreinigung) Hamburgs in staatlichen Händen. Bis die Abfallbeseitigungsgesetze Hamburgs und des Bundes 1971 bzw. 1972 in Kraft traten, beschränkte sich die staatliche Tätigkeit hauptsächlich darauf, die privaten Haus-haltungen zu entsorgen. Die Hamburger Stadtreinigung hätte die Abfuhr und Beseitigung von „Sonderabfällen", also Abfällen, die nicht als Hausmüll anzusehen waren, nach der Satzung über Müllbeseitigung aus dem Jahre 1940 widerruflich übernehmen können. Sie tat es nicht, weil ihr zum einen die technischen Möglichkeiten — Fahrzeuge, Beseitigungsanlagen, speziell ausgebildetes Personal — fehlten, zum anderen gaben Art und Menge der erzeugten Abfälle keinen Anlaß, der Beseitigung von Sonderabfällen besonderes Gewicht beizumessen. Entscheidend für diesen Umstand war das wirtschaftliche Gefüge der Hansestadt. Hamburg lebte bis Kriegsende vornehmlich vom Hafen und vom Großhandel; es gab relativ wenig Gewerbe und Industrie. Folglich gab es im Vergleich zu Industriezentren weniger gewerbliche und industrielle, produktionsspezifische Abfälle. Die Abfälle wurden abgelagert, wobei man es dem Gewerbe und der Industrie überließ, sich zu diesem Zweck Abiagerungsplätze in und um Hamburg herum zu suchen.
Nach dem Kriege verloren der Hamburger Hafen und damit auch der Handel durch das abgeschnittene Hinterland an Bedeutung. Vermehrt siedelten sich nun Industrien in Hamburg an. Eine Folge dieser Industrialisierungswelle war, daß die „besonderen" Abfälle nach Art und Umfang erheblich zunahmen und daß ihre Beseitigung — etwa ab Mitte der fünfziger Jahre — zusehends zum Problem wurde. Es haben sich zu jener Zeit bereits private Unternehmen mit der Auftrags-beseitigung von Sonderabfällen befaßt, Unternehmen, die z. T. auch heute noch zu den Entsorgungsanlagen Hamburgs zählen. Dabei handelte es sich um betriebliche Nebenaktivitäten, die im Laufe der Zeit den traditionellen Produktionsverfahren der betreffenden Betriebe zugeordnet wurden (z. B. Lösungsmitteldestillation, Säureharzspaltung). Außerdem entstand Mitte der fünfziger Jahre in Erfüllung internationaler Abmachungen eine Aufbereitungsanlage für Tankwaschwässer.
Diese war notwendig geworden, weil in Hamburg große Mengen von Tankwaschwässern aus der Reinigung von Tankschiffen anfielen. Zwar besaß Hamburg schon vor dem Krieg einen „Petroleum-Hafen“ mit Tankanlagen, in denen Rohöl gelagert werden konnte. Der eigentliche Aufbau einer Mineralölindustrie (Raffinerien) fand aber erst später statt. Die Beseitigung der bei der Olraffination anfallenden Abfallsäuren (Säureharze und Säure-teere) führte zu hygienischen Problemen. Die Hamburger Mineralölindustrie mußte nach einiger Zeit ihre Beseitigungsverfahren für Abfallsäuren und Säureteere, nämlich Verbrennen, Verkippen in Müllgruben, Vergraben nach Vorbehandlung und Einleitung in hydrolysiertem Zustand in die Elbe, aufgeben. So entstand in Zusammenarbeit mit der Hamburger Mineralölindustrie die Säureharz-Spaltanlage der Norddeutschen Affinerie im Jahre 1958.
Im Jahre 1957 war das Wasserhaushaltsgesetz erlassen worden Gleichwohl vermochten die darin enthaltenen Bestimmungen das Abfallbeseitigungsproblem eher zu verschärfen als zu lösen. Abfallerzeuger und -beseitiger liefen dauernd Gefahr, wissentlich oder unwissentlich gegen die Gesetze insbesondere das Wasserhaushaltsgesetz (WHG), zu verstoßen. Diese Tatsache war auch den Hamburger Behörden bekannt. Das Ablagern wassergefährdender Abfälle war zwar indirekt verboten, dennoch zeigte man dem Abfallerzeuger (-beseitiget) nicht, wo er mit seinen Abfällen zu bleiben hatte. In extremen Fällen führte dieser Tatbestand dazu, daß Ab-fuhrunternehmen nicht bereit waren, weiterhin Abfälle ihrer Kunden anzunehmen.
Die Abfallbeseitigung ist lange Jahre in gesetzlosem Zustand betrieben worden Ver-suche, diesen unhaltbaren Zustand zu beheben, blieben erfolglos. Es hat zwar in Hamburg bereits im Jahre 1957 erste Bemühungen um Vorschriften gegeben; ein Erlaß entsprechender Vorschriften soll aber an Abstimmungsschwierigkeiten unter den einzelnen beteiligten Hamburger Behörden gescheitert sein Zu dem grundsätzlichen Problem fehlender bzw. nicht ausreichender Verwaltungsvorschriften und Dienstanweisungen bis 1968 erklärte der Untersuchungsausschuß lapidar, daß in Hamburg wie auch anderswo »die mit der Müllablagerung verbundenen Gefahren erst nach und nach in ihrer vollen Tragweite erkannt wurden“ Auch die Möglichkeiten eines direkten staatlichen Einsatzes auf dem Gebiet der Sonderabfallbeseitigung waren beschränkt. Nach Überwindung der Kriegsschäden hatte die Stadtreinigung bis in die sechziger Jahre hinein zu tun, um die Abfuhr und die Beseitigung des Hausmülls zu bewältigen Im Grunde galt noch bis 1960, was schon 1950 geschrieben war, nämlich daß das »Schwergewicht der städtehygienischen Aufgabe der Stadtreinigung ... in der volksgesundheitlich einwandfreien Einsammlung und Beseitigung des Hausmülls liegt"
Im Jahre 1960 begann die Hamburger Stadt-reinigung, sich mit dem Problem einer anspruchsvolleren Beseitigung industrieller Rückstände gezielt auseinanderzusetzen. Man gab die Absicht bekannt, innerhalb der folgenden Jahre eine Spezialverbrennungsanlage zu errichten Bis zur Fertigstellung der Anlage sollten Vorkehrungen getroffen werden, um interessierten Abfallerzeugern eine sachgemäße Ablagerung ihrer Abfälle zu ermöglichen. Die ersten Umfragen in der Hamburger Industrie nach Art und Menge anfallender Abfälle begannen, um die planerischen Arbeiten für den Ablagerungsplatz vergeben zu können. Durch die Bereitstellung eines Platzes zur Ablagerung von Industrieabfällen hoffte man die Grundwassergefährdung zu lokalisieren und sie, wenn auch nicht auszuschließen, so doch zumindest gering halten zu können. Außerdem wäre eine bessere Uberwachungsmöglichkeit gegeben.
Um die Herrichtung und die Bewirtschaftung des Platzes organisatorisch bewerkstelligen zu können, strebte man die Gründung eines »Vereins zur Beseitigung von Industrieabfällen“ an. Dieser geplante Verein kam aber nicht zustande. Auch ein „Arbeitskreis für Industrieabfallbeseitigung“ löste sich 1962 wieder auf. Zu diesem Zeitpunkt waren nur noch vier Firmen bereit, eine Gesellschaft zu gründen, um einen Ablagerungsplatz übernehmen und bewirtschaften zu können. Die „Gesellschaft zur Ablagerung von Industrieabfällen m. b. H.“ wurde dann 1962 gegründet. Mit der Initiierung dieser Gesellschaft hatte der öffentliche Sektor erstmals einen Teil der Verantwortung für die Ablagerung von Industrieabfällen übernommen. So war der Zusammenschluß der Firmen auf ihn zurüdezuführen, man kann sogar von einer Art „Zwangszusammenschluß'sprechen. Außerdem legten die Behörden den Ablagerungsplatz und Art und Umfang der einzuhaltenden Vorsichtsmaßnahmen fest. Die öffentliche Hand trat dabei nicht als Gesellschafter auf; ihr Engagement äußerte sich in dem Bemühen, das kleinere Übel von zweien zu wählen. Das größere Übel wäre eine fortgesetzte „wilde" Ablagerung gewesen. Das kleinere Übel war, daß man auch jetzt nicht absolut sicher sein konnte, keine Umweltschädigungen hervorzurufen Der Versuch des öffentlichen Sektors in Hamburg, etwa im Zeitraum von Anfang bis Mitte der sechziger Jahre in eigener Regie das aufkommende Sonderabfallproblem in den Griff zu bekommen, muß in planerischer wie praktischer Hinsicht als gescheitert angesehen werden: Weder gelang es durch Umfragen, ein einigermaßen zutreffendes Bild von der Sonderabfallsituation zu bekommen noch brachte die Spezialverbrennungsanlage der Stadt-reinigung, deren Planung und Bau sich bis zur Inbetriebnahme 1967/68 über Jahre erstreckte, die erhoffte Abhilfe Es mangelte auch an Erfahrungen zum Bau spezieller Beseitigungsund Entsorgungsanlagen; zuverlässige Angaben über die tatsächlich zu beseitigenden Sonderabfälle waren nach neuen Umfragen und Verfahren erst in den siebziger Jahren bekannt. Im übrigen stand es ja jedem Abfallerzeuger frei, sich der Beseitigungsmöglichkeiten außerhalb Hamburgs zu bedienen. Angesichts dieser Umstände war es nicht verwunderlich, daß „sich trotz eifrigen Bemühens der beteiligten Behörden private Investoren (zum Bau von* Beseitigungsanlagen, R. M.) zum rechten Zeitpunkt nicht finden ließen"
Die Situation begann sich gegen Ende der sechziger Jahre zu bessern. Durch Verabschiedung des Altölgesetzes (1968) wurde zum erstenmal das Problem der Entsorgung eines mengenmäßig bedeutenden Abfalls bundesweit bewußt gemacht. Im Jahre 1969 wurde eine städtische Versuchsanlage zum Entgiften und Neutralisieren von flüssigen Konzentraten eingerichtet. Kurze Zeit später, im Jahre 1971, konnte die größte Hamburger Beseitigungsanlage für Sonderabfälle ihren Betrieb aufnehmen. Es handelt sich hier um eine private Gesellschaft mit bestimmten Kopplungen an den Hamburger Staat. Diese Verbrennungsanlage, die sich selbst als „Zentralanlage Norddeutschlands für Sonderabfälle" versteht, ist maßgeblich daran beteiligt, daß es heute in Hamburg kaum noch Probleme bei der Beseitigung von Sonderabfällen gibt.
Der Hamburger Senat hat einige Zeit nach Verabschiedung des Hamburgischen Abfallbeseitigungsgesetzes im Jahre 1971 die Gründung einer Gesellschaft zur Beseitigung von Sonder-abfällen empfohlen. Trotz zahlreicher Bemühungen der Handelskammer Hamburg ist es weder zu einer Gesellschaft noch zur Bildung eines Zweckverbandes gekommen.
Die Schwierigkeit einer Neuordnung der Sonderabfallbeseitigung in Hamburg bestand darin, nachträglich die vorgefundenen Interessenlagen aller an der Sonderabfallbeseitigung Beteiligten zu koordinieren. Anfang der sechziger Jahre scheiterte der Aufbau einer umfassenden Organisation, weil praktisch keine Beseitigungsanlagen vorhanden waren; in den siebziger Jahren kam keine übergeordnete Organisationsform zustande, weil bereits alle privaten und öffentlichen Anlagen vor Wirksamwerden der Abfallbeseitigungsgesetze zur Verfügung standen. Im Laufe eines Jahrzehnts hat sich in Hamburg dennoch eine funktionierende Entsorgungswirtschaft entwickelt, an der Beseitigungsanlagen verschiedener Größe und unterschiedlicher Zielsetzung und Rechtsform beteiligt sind.
Hamburgs gewählte Lösung des Sonderabfallentsorgungsproblems resultiert aus dem Zusammenspiel von privatem und öffentlichem Sektor. Der öffentliche Sektor hat im zeitlichen Ablauf verschiedentlich Einfluß auf die Struktur der Sonderabfallbeseitigung genommen. Er ist dabei in mehreren Rollen tätig geworden: Als Haupthafen hat Hamburg Olauffanganlagen bereitzustellen; die verantwortliche Hamburger Behörde befürwortete, daß diese Anlage auf vertraglicher Basis von einem Privatunternehmen betrieben wird. Als „Geburtshelfer" der Gesellschaft zur Ablagerung von Industrie-abfällen ist der öffentliche Sektor eingesprungen und hat den Versuch unternommen, durch den Bau einer öffentlichen Spezialanlage die Sonderabfallbeseitigung in weitem Rahmen zu einer öffentlichen Aufgabe werden zu lassen. Später kam die Bereitschaft hinzu, Sonder-abfälle auf eine öffentliche Deponie zu übernehmen. Der Bau der zentralen Entgiftungsanlage und die Unterstützung der größten Verbrennungsanlage waren weitere Aktivitäten des öffentlichen Sektors.
Die politischen Organe sind als „Seher“ der Probleme nicht besonders hervorgetreten. Das Herauswachsen des Sonderabfallproblems aus dem allgemeinen Müllproblem ist auch in Hamburg nicht rechtzeitig erkannt worden. Es gibt immer Phasen in einer Volkswirtschaft, in der die Öffentlichkeit den Umfang eines sich anbahnenden Problems und die damit verbundene Aufgabe zur Lösung dieses Problems nicht erfaßt. Die Aufgabe ist da, sie wird aber nicht „begriffen“; eine große Lösung ist dann später, wenn die Aufgabe in vollem Umfang erkannt wird, kaum noch möglich. Auch Hamburgs Entsorgungsstruktur wirkt nicht „wie aus einem Guß" geschaffen. Aber die Teillösungen der Sonderabfall-Entsorgung haben sich hier zu einem sinnvollen Ganzen gefügt. Zudem „stand“ die Hamburger Lösung bereits zu einem Zeitpunkt, als anderen Bundesländern das Problem erst auf den Nägeln zu brennen begann, bzw. diese sich zu Lösungsversuchen anschickten.