Nachdem sich die Menschen einige Jahrzehnte nur mit der Gegenwart beschäftigt hatten, drängten sich in den letzten Jahren die Zukunftsbetrachtungen erfolgreich in den Vordergrund. Das heißt nicht, daß man vorher gar nicht an die Zukunft gedacht hätte; aber die Zukunft war immer als die „bessere Zukunft" angesehen worden, über die man sich nicht viel Gedanken zu machen brauchte — es sei denn Gedanken darüber, wie man sie schneller herbeiführen könne. Seit Anfang der siebziger Jahre ist die Zukunft in einem bis dahin ungeahntem Maße problematisiert worden; nichts erscheint mehr so, wie es vorher war. Man sucht nun mit wissenschaftlichen Mitteln und technischen Apparaten (Computer) die Zukunft zu erforschen. Auch die theoretischen Voraussetzungen und Möglichkeiten einer Wissenschaft von der Zukunft werden damit einer intensiven Betrachtung unterzogen. Bertrand de Jouvenel meint, daß Maupertuis der erste gewesen sei, der dem Begriff „Vorausschau" seine heutige Bedeutung gegeben habe. Maupertuis (1698— 1759) schrieb: „Unser Geist, dieses Wesen, dessen vornehmste Eigenschaft es ist, sich selbst wahrzunehmen, was ihm gegenwärtig ist, besitzt noch zwei weitere Fähigkeiten, die Erinnerung und die Vorschau. Die eine ist Rückkehr in die Vergangenheit, die andere Vorwegnahme der Zukunft. Es scheint, daß es diese beiden Fähigkeiten sind, die den Geist des Menschen am meisten von dem des Tieres unterscheiden."
Es hat im Laufe der Geschichte Propheten gegeben, die intuitiv die Zukunft vorausgesagt haben. Es ist jedoch zu vermuten, daß uns in erster Linie nur die Prophetien überliefert wurden, die dann auch eintrafen, während die größere Zahl der nicht eingetretenen der Vergessenheit anheimfiel.
Die wichtigste Voraussage über unseren heutigen Weltzustand machte 1724 Jonathan Swift in Gullivers Reisen. Der Dichter stellt dort die von Gelehrten bevölkerte Insel Laputa dar, die durch die Lüfte schwebt. Die Bewohner von Balnibarb besuchen diese Rauminsel und kehren dann mit einer oberflächlichen Kenntnis der Mathematik und mit vagen Ideen zurück: „Nach ihrer Rückkehr begannen diese Leute an allem hier unten Mißfallen zu finden und machten Pläne, alle Künste, Wissenschaften, Sprachen und Handwerke auf eine neue Grundlage zu stellen. Zu dem Zweck verschafften sie sich ein königliches Patent zur Errichtung einer Akademie von Projektmachern, und ihre Laune verbreitete sich unter dem Volk mit solcher Schnelle, daß es keine größere Stadt im ganzen Königreich mehr gibt, die nicht eine solche Akademie besitzt. In diesen Kollegien erfinden die Professoren neue Regeln des Ackerbaues und der Baukunst, neue Instrumente und Geräte für alle Gewerbe und Manufakturen. Das Unternehmen läuft darauf hinaus, daß ein Mann die Arbeit von zehn verrichtet." Etwa in der Mitte unseres Jahrhunderts war dieses Stadium der Produktivität erreicht, und in diesen Jahren erleben wir, daß die Weiterentwicklung dieses Prinzips aus sozialpolitischen Gründen nicht mehr funktioniert. Die Zukunft kann wissenschaftlich am besten „durch Beobachtung der Vergangenheit entschleiert werden", sagt Bertrand de Jouvenel. Wenn aber nun Entwicklungen und Tendenzen eintreten, die es in der Vergangenheit überhaupt nicht gab, dann werden Analogieschlüsse unmöglich. Genau das ist heute der Fall:
Das technische Zeitalter ist ein erstmaliges Phänomen der Weltgeschichte. Wer dagegen halten würde, daß z. B. die Römer in ähnlicher Weise lebten wie wir heute, dem muß gesagt werden, daß es etwas völlig anderes ist, ob man einige hundert Tonnen Eisen jährlich herstellt oder 640 Mill. Tonnen (1975). Die Probleme der Beschaffung der heutigen Mengen sind mit denen vor 2000 Jahren völlig unvergleichbar. Ein zweiter Punkt, der Voraussagen immer unmöglicher macht, ist das Tempo der Veränderungen. Je schneller sich die Ereignisse überstürzen, je mehr Erfindungen gemacht werden, um so schwieriger wird es, aus der Summe der sich oft widersprechenden Tendenzen die voraussichtliche Weiterentwicklung zu konstruieren. Dies würde, auf die heutige Weltsituation angewandt, bedeuten, daß Voraussagen von Jahr zu Jahr unmöglicher werden. Wenn sich im Jahre 1224 Dschingis Khan mit seinen Reitern in Bewegung setzte, dann wußten die Europäer mit Sicherheit, daß es viele Wochen dauern würde, bis die Truppen in Mitteleuropa erscheinen könnten. Und wie gering und regional begrenzt war ihre Zerstörungskraft! Heute kann ein globaler Atomkrieg innerhalb von Stunden weite Bereiche unseres Planeten zur Wüste machen. Historisch betrachtet, waren die Möglichkeiten des Menschen vor dem technischen Zeitalter gering. Die Möglichkeiten wurden, besonders in diesem Jahrhundert, immer größer und vielfältiger. Um das mit einer konkreten Vorstellung auszufüllen, möge man sich die vorhandenen Berufsmöglichkeiten eines jungen Menschen vor 100 Jahren und heute vor Augen halten, ebenso die Möglichkeiten, seinen Wohn-und Aufenthaltsort häufig zu wechseln. Früher war der Radius aller Aktionsmöglichkeiten gering und die Bewegung langsam. Das heutige technisch-industrielle Zeitalter kann man sich als ein Gewirr von nach allen Seiten vordringenden und sich vielfach verästelnden Linien vorstellen, wachsender Geschwindigkeit mit „(exponentielles Wachstum”) in den Raum vorstoßen. Um Voraussagen zu machen, muß man nicht nur die weitere Richtung, sondern auch die künftige Geschwindigkeit wissen.
Ein anderer Umstand kommt hinzu: Die Vorstöße treffen auf Hindernisse verschiedenster Art, die überwunden werden oder zu Abweichungen und/oder zur Verminderung des Tempos zwingen, hier und da auch zur Umkehr. Die Hindernisse, die sich einer Veränderung entgegenstellen, wachsen im gleichen Verhältnis wie das Ausmaß der Veränderung. Dies hat Quetelet für die Bevölkerung formuliert:
„Die Bevölkerung hat die Tendenz, in geometrischer Progression zu wachsen. Der Widerstand oder die Summe der ihrem Wachstum entgegenstehenden Hindernisse ist stets das Quadrat der Geschwindigkeit, mit der das Quadrat der Bevölkerung zu wachsen tendiert." Dies ist ein physikalisches Gesetz, das man sowohl auf materielle Tatbestände als auf solche der Gesellschaft anwenden kann.
Da aber im Einzelfall weder der Ort des Widerstandes noch sein Ausmaß genau berechnet werden kann, bringt dieses Phänomen ein weiteres Element der Unsicherheit in alle Voraussagen über die Zukunft.
Alles in allem schienen somit globale Vorausschauen ein hoffnungsloses Unterfangen zu sein. Für die Gegenwart trifft dies nicht mehr zu. So komme ich in meinem Buch
Diesen Wechsel des Standpunktes nenne ich die . Planetarische Wende". Diese schließt die Erkenntnis ein, daß es kein unbegrenztes Wachstum geben kann, wie die ersten Untersuchungen des Club of Rome darlegten.
Aber handelt es sich überhaupt um . Wachstum"? Niemand wird bestreiten, daß „Wachstum” ein Begriff der organischen Welt ist, der Natur entlehnt. Pflanzen wachsen, auch Tiere, ebenso die Menschen. Wachstum ist also ein Prinzip der organischen Welt; alles was irgendwie lebt, wächst auch. Aber wächst es immer? Offensichtlich nicht. Jedes Lebewesen hat eine gewisse, seiner Art gemäße Lebenszeit, die genetisch festgelegt ist; dann tritt der Tod ein. Der Tod ist das Gegenprinzip zum Leben, womit ein natürliches Gleichgewicht hergestellt wird. Der Tod allein würde zur Erstarrung führen — ständiges Wachstum müßte auch zur totalen Erstarrung führen, denn der Raum wäre nämlich völlig ausgefüllt und nichts könnte mehr wachsen, weil alles aneinander-stieße. Nur der Tod schafft Raum für neues Wachstum, für vielfältiges Wachstum verschiedenster Arten. Darum sagte Goethe in seinem berühmten Essay „Uber die Natur”: „Der Tod ist der Kunstgriff der Natur, viel Leben zu haben."
In unserer modernen Wirtschaft stellt die Land-und Forstwirtschaft nur einen geringen Teil der Gesamtwirtschaft; den Hauptteil stellt die Industrie. So ist die Steigerung der industriellen Produktion gemeint, wenn man heute vom „wirtschaftlichen Wachstum" spricht. Bei näherer Prüfung stellt man aber fest, daß dort überhaupt nichts . wächst". Dort werden viel-mehr Waren aller Art vom Menschen konstruiert und hergestellt Ihr Merkmal ist gerade, daß sie kein Leben in sich haben, daß sie anorganisch sind. Und weil sie nicht leben, können sie auch nicht sterben; sie werden zu wertlosem Abfall, der höchstens in langen Fristen zerfällt.
Da hier keine WachstumsVorgänge stattfinden, kann auch kein Tod für die Regulierung des Wachstums sorgen. Und nur das Nichtvorhandensein des Todes in der industriellen Welt erlaubt es dem Menschen, die Güterproduktion immer wieder zu steigern, zu verdoppeln, zu vervierfachen, verachtfachen, versechzehnfachen . . . Die reine Idiotie wäre aber die Annahme, dieser Vorgang könnte immerzu fortgesetzt werden. Im Banne dieser Annahme leben jedoch heute die Industrie-völker, ihre Wirtschaftsfachleute, ihre Parteien und Regierungen. Um sie plausibel zu machen, bedienen sie sich eines Taschenspielertricks: indem sie den Vorgang kurzerhand „wirtschaftliches Wachstum“ nennen und damit so tun, als handle es sich um etwas Naturgemäßes. Weil dies aber ganz und gar nicht so ist und weil andererseits der Tod als Regulativ ausfällt, kann der Mensch diese Steigerung fortsetzen; aber nur solange, bis die toten Materialien, mit denen er produziert, aufgebraucht sind oder bis er die Natur, die die Lebensbasis des Menschen ist, selbst zerstört, haben wird. Dann werden die Naturgesetze die Ordnung auf der Erde wieder herstellen — diesmal durch den Tod der Menschheit, zumindest großer Teile davon.
Die Industrieländer in West und Ost und die ihrem Handeln zugrunde liegenden Ideologien verstoßen fortwährend gegen -die Naturgeset ze. Diese Erkenntnis setzt sich inzwischen weltweit durch (vgl. dazu Wolfgang Harich, Ende des Wachstums im Kommunismus?, Reinbek 1975). Wie verhält man sich nun gegenüber absolut unangenehmen Tatsachen? Man verschweigt sie! Das ist heute ständige, vor allem von Politikern geübte Praxis. Wenn aber die Auseinandersetzung gar nicht zu umgehen ist, was wird dann ins Feld geführt? Emotionen und Irrationalismus, bestenfalls Scheinargumente!
Optimismus gegen Pessimismus?
Nichts beweist so deutlich die Hilflosigkeit der Gegner dieser Einsicht wie die Flucht in irrationale Wertungen: Sie befinden, alle Vertreter der neuen Weitsicht seien Pessimisten und sie selbst seien Optimisten. Was ist damit gewonnen? Nichts!
Wichtig ist nur eines: Welche Erklärung der Welt ist zutreffend bzw. wahrscheinlich und welche ist falsch? Dieser Nachweis läßt sich innerhalb Grenzen objektiv führen, gewisser sonst wäre jede Wissenschaft unmöglich. Dies gilt um so mehr, als es sich hier vorwiegend um Aussagen einer exakten Wissenschaft handelt, der Mathematik.
Hermann Kahn entlarvt sein unwissenschaftliches Vorgehen, wenn er eine Einteilung der Weltanalysen in der folgenden Weise vornimmt: Für ihn gibt es optimistische, gemäßigt optimistische, gemäßigt pessimistische und pessimistische Vorausschauen. Andere tun es ihm nach.
Von Till Eulenspiegel wird berichtet, daß er weinte, als der Weg bergab ging, denn er sah einen neuen Anstieg kommen, und daß er sich aber freute, als es bergauf ging, denn er sah den bequemen Abstieg vor sich. War Till Eulenspiegel nun ein Pessimist oder ein Optimist? Weder noch! Er bezog Freude und Schmerz lediglich aus künftigen Zuständen, in die er sich voll zu versetzen vermochte.
Hermann Kahn und andere vermischen auch wissenschaftliche Voraussagen mit Prophetien, also Voraussagen, die aus der Intuition entstehen. Nur da könnte es vielleicht erlaubt sein, von optimistischen oder pessimistischen Propheten zu sprechen.
Mathematische Wahrheiten
Die von Kahn und anderen so geschmähten „Weltuntergangspropheten''verdienen den darin enthaltenen Vorwurf nicht, denn sie prophezeien den Untergang nicht, sondern berechnen ihn. Das Massachusetts Institute of Technology bedient sich des Computers, während der Autor dieser Arbeit mit Papier und Bleistift auskommt; denn so schwierig sind die nötigen Rechnungen keineswegs.
Ein variabler Faktor bei diesen Rechnungen ist immer die Zeit. So führt eine Steigerungsrate um lO°/o jährlich zu einer Verdoppelung des Jahresverbrauchs in 7 Jahren und eine Steigerungsrate von 5 °/0 zu einer Verdoppelung in 14 Jahren. Wenn in Deutschland kürzlich ein Lager von 450 Mill. Tonnen Kohle entdeckt wurde, so verlängert sich die Frist bis zur Erschöpfung der Kohle um 4 1/2 Jahref!), falls die Förderung die heutige Höhe behält. Die kindliche Freude der Wachstumsfetischisten über jede Verlängerung der Galgenfrist ist ein Beweis für ihre Schwäche, denn der Zeitgewinn ist höchst relativ.
Ein Haupteinwand gegen die Katastrophen-Kurven lautet: „Die Rechner unterstellten die Fortdauer einer Steigerung, die jedoch kein Mensch voraussagen könne.“ In der Regel sagen das die gleichen Personen, die auf weiteres wirtschaftliches Wachstum unter keinen Umständen glauben verzichten zu können. Soweit es sich um Minister und Parteiführer handelt, tragen sie dann ihre Pläne vor (selbst wenn sie sich sonst heftig gegen jede Planwirtschaft verwahren), wie sie weitere exponentielle Steigerung erzielen wollen. Sie arbeiten also verbissen daran, die katastrophalen Kurven des Club of Rome zu realisieren, statt durch entsprechende Entscheidungen alles daranzusetzen, die Berechnungen Lügen zu strafen.
Womit begründen sie ihr seltsames Tun?
Die Scheinargumente zugunsten weiterer Produktionssteigerungen
Erstes Scheinargument . . Die Menschen haben in schwierigen Lagen . noch immer'einen Ausweg gefunden, darum werden sie auch künftig Auswege finden!“
Dies ist das meistgehörte pauschale Argument, das alle anderen überflüssig machen würde, wenn es zuträfe. Man könnte auch darüber streiten, ob z. B.der Zweite Weltkrieg mit über 50 Mill. Toten ein „Ausweg“ aus der Weltlage des Jahres 1939 war.
Wichtiger ist etwas ganz anderes, denn was heißt denn überhaupt . noch immer“? Richtig ist doch: Die Menschen haben noch nie zu vier Milliarden gleichzeitig die Erde bewohnt (es waren bis ins 18. Jahrhundert immer nur einige 100 Millionen). Und die Menschen haben noch nie auch nur in etwa in der heute geübten Weise Bodenschätze vernichtet. Sie verbrauchen jährlich einige Milliarden Tonnen Erdöl und Kohle und mindestens eine Milliarde mineralische Rohstoffe; sie verbrauchen auch fruchtbares Land, Wasser, Sauerstoff in früher ungeahntem Ausmaß. Selbst wenn man diese Milliarden-Mengen durch andere Stoffe ersetzen könnte, würde es viele Jahrzehnte dauern, bis sich die Industrie darauf hätte umstellen können. Bis dahin würde man aber bereits jährlich über einige Milliarden mehr verfügen müssen, falls das „wirtschaftliche Wachstum" weiterginge (was angeblich unumgänglich ist). Bisher wird von Ersatzstoffen immer nur geredet, gesucht werden die altbekannten Rohstoffe — in allen Erdteilen, in den Weltmeeren. Neuerdings soll auch die Antarktis ausgebeutet werden, überall beträgt der Kapitalaufwand bereits ein Vielfaches dessen, was früher aufgewendet werden mußte. Die Schwierigkeiten der Versorgung sind bereits jetzt gigantisch. Wie kann man da hoffen, in 15 Jahren bereits wieder das Doppelte Jahr für Jahr herbeizuschaffen?
Wir leben in einer absoluten Ausnahmesituation und meinen, diese noch weiter verschärfen zu müssen! Der normale Mensch reagiert bei Auftreten einer Knappheit mit Sparsamkeit: Das wäre sogar eine Art von „Ausweg". Nicht so die heute herrschenden Wirtschaftstheoretiker: Ihr Rezept gegen die Knappheit ist die Steigerung des Verbrauchs!
Zweites Scheinargument
Umweltschutz kann nur durch weiteres . wirtschaftliches Wachstum'finanziert werden."
Seit man vom Umweltschutz spricht, versucht man die Schäden der Technik mit noch mehr Technik (mit der neuen Branche „Umwelttechnik") zu beseitigen. Das heißt aber auch: Noch mehr Energie und noch mehr Rohstoffe einsetzen zu müssen, die ihrerseits selbst wieder die Umweltbelastung vermehren.
Da aber die Umweltschäden mit keinem Verfahren vollkommen beseitigt werden können, bleibt immer eine bedeutende Restbelastung, ob diese nun zehn, zwanzig oder mehr Prozent beträgt. Erreicht man eine 75prozentige Beseitigung, dann ist bei vierfacher Produktion der Schaden genauso hoch wie am Anfang. Für die vierfache Produktion wird aber nicht nur die vierfache Menge an Energie und Rohstoffen und meist auch Wasser und Sauerstoff gebraucht, sondern häufig auch die vierfache Menge an Fläche, die der Natur entzogen wird. Außerdem beweist die Erfahrung, daß die führenden Industrienationen keineswegs die Produktivitäts-Steigerungen in den Umweltschutz lenken, sonst müßten die Vereinigten Staaten längst ein sauberes Musterland sein.
Der wirksamste und billigste Umweltschutz ist also, auf unnötige wirtschaftliche Betätigungen zu verzichten.
Drittes Scheinargument , Wir brauchen wirtschaftliches Wachstum', um den Entwicklungsländern zu helfen.'
Die Entwicklungshilfe erreicht nicht einmal 0, 5% des deutschen Bruttosozialprodukts. Es ist bis heute nichts darüber bekanntgeworden, daß dieser Anteil mit den Steigerungen des Bruttosozialprodukts irgendwann einmal erhöht worden wäre. Das heißt, daß wir auch bei einer fünfprozentigen Steigerung unseres Bruttosozialprodukts 199 Teile selbst behalten und 1/200 in die Entwicklungshilfe geben. Sicher ist demnach nur, daß dann, wenn der Reiche die Zahl seiner Mahlzeiten erhöht, auch entsprechend mehr Brosamen von seinem Tische fallen. Im übrigen ist bekannt, daß selbst die Vergabe von Entwicklungshilfe den Industrienationen noch wirtschaftliche Vorteile bringt. Hier handelt es sich demnach nicht nur um ein Scheinargument, sondern um pure Heuchelei. Denn wir kaufen nach wie vor die Bodenschätze dieser Länder unter Preis. Die „Verkäufer” argumentieren inzwischen, daß die Europäer und Nordamerikaner eigentlich schon den ihnen zustehendenAnteil des „Erbes der Menschheit" an Ressourcen verbraucht hätten und folglich das noch Vorhandene den bisher zu kurz gekommenen zustehe. Der Abstand zwischen den reichen und armen Nationen wurde bisher immer größer — nicht kleiner. Die Argumentation der Industrieländer findet bei den Entwicklungsländern längst keinen Glauben mehr. Je länger die reichen Nationen behaupten, daß sie ihren Lebensstandard immer noch'steigern müßten, um so feindseliger wird die Haltung der Armen werden.
Viertes Scheinargument „Stillstand ist Stagnation, ist Rückschritt!'
Dieses Argument ist eine gedankenlose Redensart — nichts weiter. Aus der Physik und aus der Logik stammt es jedenfalls nicht. Wenn etwas die gleiche Höhe behält, dann ist das keineswegs eine Verschlechterung. Die Menschen haben Jahrhunderte, sogar Jahrtausende auf einem gleichbleibenden „WirtschaftsNiveau gelebt — ohne daß dies als ein Rückschritt bewertet werden kann. In der gesamten Natur herrschen Gleichgewichtszustände zwischen Werden und Vergehen, ohne daß bisher jemand behauptet hätte, die Natur entwickele sich nach rückwärts. (Neuerdings betreibt der Mensch ihre Rückentwicklung.)
Sinn kann dieses oft gedankenlos geäußerte Schlagwort nur haben, wenn man das Verhältnis zu anderen Völkern ins Auge faßt: Wenn diese ihre wirtschaftlichen Aktivitäten steigern, dann fallen die anderen zurück, die das nicht tun. Aber um darin einen echten Nachteil zu sehen, müßte zunächst einmal der „*Fortschritt definiert werden.
Wenn man den Sinn eines „Wettkampfs der Systeme'in der höheren Produktion erblickt, dann darf man die zwangsläufige Ausplünderung der Erde als Preis dafür nicht ausklammem. Den Preis des heutigen Fortschritts werden künftige Generationen mit einem Rückschritt bezahlen müssen.
Fünftes Scheinargument
Wir können uns dem internationalen Wettbewerb nicht entziehen.“ /
Der internationale Wettbewerb ist nicht nur ein Wettbewerb um eine hohe Exportquote, sondern er ist auch ein Wettbewerb um die Ressourcen. Auf den Preis der Exportgüter und den der importierten Rohstoffe hat eine Nation nur geringen Einfluß. Bestimmenden Einfluß hat sie auf den Preis der Arbeit und auf die Intelligenz ihrer Leistungen. Wenn sie selbst keine Rohstoffe besitzt wie die Bundesrepublik, dann lebt sie nur von der Differenz zwischen importierten Rohstoffen und exportierten Fertiggütern. Der Wettbewerbsvorteil kann keinesfalls verbessert werden, wenn ein möglichst hoher Konsum im eigenen Land angestrebt wird; er kann nur verbessert werden, wenn der Eigenverbrauch niedriger gehalten wird. (Dafür liefert Japan ein Beispiel.) Keine Nation hindert eine andere beim Sparen! Der gierigste Nachfrager muß vielmehr den höchsten Preis akzeptieren.
Modernste Produktionsanlagen und qualifizierte Arbeitskräfte sind kein Monopol mehr. Die Macht liegt in Zukunft bei anderen Monopolen: den Besitzern von Energiequellen und Rohstoffen. Einen relativen Vorteil könnten sich gerade solche Völker verschaffen, die frühzeitig Technologien einführen, bei denen der Energie-und Rohstoffbedarf auf ein Minimum herabgedrückt ist und bei denen einfache Reparaturen und leichte Wiederverwendung oberste Prinzipien sind.
Im internationalenWettbewerb um den Höchst-verbrauch werden zuerst die Völker unterliegen, die über keine eigenen Ressourcen verfügen. Es sei denn, es kommt zu einem weltweiten Krieg um die Ressourcen, die dann in die Hand des Stärksten fallen.
Sechstes Scheinargument „Wir brauchen das wirtschaftliche Wachstum'zur Lösung unserer sozialen Probleme“.
Hier wird eine Forderung postuliert (die übrigens in ihrer Höhe unbekannt ist), die besagt, daß sich die Weltentwicklung den Forderungen bestimmter Menschengruppen unterzuordnen habe. In Wirklichkeit ist es genau umgekehrt: In dieser Welt ist dieses und jenes verfügbar (regional sehr unterschiedlich), und nur dieses kann nach sozialen Gesichtspunkten verteilt werden.
Die bisherige Mehrverteilung beruhte keineswegs auf stärkerem Wachstum in der Natur, sondern auf Kosten der Plünderung der Lagerstätten dieser Erde. (Es herrscht das Gesetz jeder Räuberbande: Je mehr erbeutet wird, um so mehr kann verteilt werden. Woher die Beute stammt, ist nicht deren Sorge.) Das Betätigungsfeld der Beutemacher war politisch die ganze Welt — was nun aufhört.
Das zweite Problem besteht darin, daß dieser ganze Prozeß keineswegs „sozial" ist. Da es sich in der Regel um prozentuelle Steigerungen handelt, wird der Abstand zwischen den Reichen und Armen immer größer, nicht kleiner — wenn auch die Armen dabei unbestritten wohlhabender werden. (Es wiederholt sich hier der gleiche Vorgang, wie er zwischen Industrie-und Entwicklungsländern stattfindet.) Die verschärften Sozialprobleme mit verschärftem Wachstum lösen zu wollen, ist ein hoffnungsloses Unterfangen.
Siebentes Scheinargument „Der Mensch wird um so glücklicher, je mehr materielle Güter er besitzt.“
Wenn dieser Satz wahr wäre, hätten die ungleichen sozialen Verhältnisse auf der Erde längst zur globalen Explosion geführt.
In Wahrheit hängt das Glück und das erfüllte Leben nicht von der Höhe des zur Verfügung stehenden Besitzes ab. Es hängt nicht davon ab, was man hat, sondern was man ist. Diesen Nachweis führt jetzt in eindrucksvoller Weise Erich Fromm in seinem Buch „Haben oder Sein” (Stuttgart 1976).
Diese Fragen führen in die Psychologie, die Philosophie und in die Religion. Nur in diesen Bereichen werden die Auswege aus der totalen Sackgasse zu finden sein, in die uns die Allmacht der Ökonomie geführt hat. Der Mensch wird sich niemals aus den Fängen der Ökonomie befreien, wenn er sich ihren Gesetzen unterwirft, sondern nur, wenn er andere Gesetze als höherwertig anerkennt.
Achtes Scheinargument „Wir brauchen wirtschaftliches Wachstum wegen der Arbeitsplätze.“
Dieser Planet kann nur eine begrenzte Zahl von Arbeitsplätzen bieten. Und diese Zahl wird kleiner, je produktiver die Arbeitsplätze werden. Bertrand de Jouvenel stellt fest: „Der Begriff der Produktivität im Sinne der Beziehungen zwischen erlangtem Produkt und aufgewandter menschlicher Arbeit ist aus den Vereinigten Staaten zu uns gekommen, deren Wirtschaft in ihren Anfängen und in ihrer Entwicklung durch Mangel an Menschen und Überfluß an natürlichen Hilfsquellen charakterisiert war. Der Pro-Kopf-Verbrauch an natürlichen Ressourcen, wie er . .. als für die gegenwärtige amerikanische Wirtschaft charakteristisch beziffert wird, ist für den Planeten mit einer auf mehr als 6 Milliarden Menschen geschätzten Bevölkerung nicht reproduzierbar. — Die Bodenschätze, welche die Volkswirtschaftler traditionsgemäß nicht in die Wirtschaftsrechnung einbezogen wissen wollen, da sie keine menschliche Arbeit kosten, müssen in Zukunft notwendigerweise einbezogen werden, da sie knapp und von einer wachsenden Anzahl von Individuen bei steigendem Volumen pro Individuum benutzt werden. Man vergleicht die . industrielle Revolution’ häufig mit der . landwirtschaftlichen Revolution', die vor etwa 500 Jahren ynsere Vorfahren veranlaßte, zu neuen Techniken im Ackerbau überzugehen: aber diese Beziehung scheint mir falsch zu sein, denn die landwirtschaftliche Revolution war ein Übergang von der zerstörerischen Ausbeutung zum planmäßigen Anbau. Nun ist die industrielle Revolution auf einer technisch sehr viel höheren Stufe zwar nicht ausschließlich, aber hauptsächlich Ausbeutung ...".
In der industriellen Welt finden zwei gegensätzliche Bemühungen zugleich statt. Die eine Bemühung geht dahin, mit immer größerem Energie-und Maschineneinsatz rationeller zu arbeiten, d. h. Arbeitsplätze einzusparen, auf der anderen Seite behaupten wir, daß wir damit ständig neue Arbeitsplätze schaffen. Ein widersprüchliches Vorhaben, weil mit Kapital ständig Arbeitsplätze beseitigt werden, die mit weiterem Kapital ständig neu geschaffen werden müssen. Aus diesem doppelten Vorgang resultiert das, was wir exponentielles „Wachstum" nennen. Aber was bedeutet nun exponentielles Wachstum? Hier muß man sich klarmachen, was eine 3prozentige Steigerung der Produktion oder des Bruttosozialproduktes oder des Verbrauchs an Erdöl oder Eisen oder was auch immer bedeutet, wenn sie z. B. 100 Jahre durchgehalten wird: daß nämlich nach 100 Jahren die benötigten Mengen pro Jahr 19mal so hoch sind. Und 3 Prozent sind ja eine Zuwachsrate, mit der wir nicht zufrieden waren in den letzten Jahrzehnten; wir erwarten auch heute jährlich 5 Prozent mehr. Dieses Ziel wird von Politik und Wirtschaft alle Tage verkündet. Was bedeutet es aber, wenn 5 Prozent Steigerung 100 Jahre durchgehalten werden? Das bedeutet, daß dann in 100 Jahren das 130fache im Jahr produziert, verbraucht und beseitigt werden müßte.
Wir haben bisher alle 10 bis 15 Jahre eine Verdoppelung erreicht und damit auch gerechnet. Sind wir nun vielleicht schon heute an dem Punkt, wo es nicht mehr gelingt, alle Menschen in Arbeit zu bringen? Die USA schafften das ohnehin nie; einige europäische Länder haben es vorübergehend fertigbekommen, fast alle Menschen in Arbeit zu bringen, aber eben nur unter der Voraussetzung der ständigen Steigerungsraten. Diesen Steigerungsraten sind drei Grenzen gesetzt.
1. Die endgültige Grenze ist die planetarische. Gleichgültig, ob wir heute wissen, wieviel Eisen beispielsweise noch in der Erde liegt, sicher ist, daß die Menge begrenzt ist. Wir erfahren immer genauer, wieviel vielleicht noch vorhanden sein könnte; die Exploration ist ja seit Jahren weltweit immer intensiver geworden. Die Grenzen werden damit immer deutlicher sichtbar. Aber uns in Mitteleuropa sind engere Grenzen gesetzt. Wir haben das meiste, oder man kann aucn sagen, das wenige, was hier an Bodenschätzen vorhanden war, bereits in früheren Jahrzehnten verbraucht. Infolgedessen sind wir von den Ländern der Welt, die noch etwas haben, abhängig. Die Erkenntnis, daß die Vorräte nicht unendlich sind und eben nicht nachwachsen, verbreitet sich heute rund um den Erdball.
2. Das führt eben zu der zweiten Grenze, an die wir bereits gestoßen sind, besonders deutlich 1973. Manche Länder fragen sich: Warum verkaufen wir eigentlich so viel und warum vor allen Dingen so billig? Wir benötigen doch für unsere eigene Zukunft diese Rohstoffe auch. Das erste große Ereignis dieser Art, die Erdölkrise 1973, zog ähnliche Entwicklungen bei anderen Rohstoffen nach sich. Viele Staaten haben diese ihre Macht in den letzten Jahren erkannt, und die ständigen Konferenzen sind ein Beweis dafür, daß sie die Lage erfaßt haben. Es geht darum, daß die Rohstoffbesitzer, ob Entwicklungsländer oder nicht, in Zukunft höhere Preise, Garantien über Abnahmemengen usw. haben wollen, mit bestimmten Verpflichtungen der Industrieländer gekoppelt, aber ohne eigene Verpflichtungen für sie selbst, Es ist leicht nachzuweisen und leicht abzusehen, daß ihre Macht, die Macht der Besitzerländer, ständig steigen wird, während die Macht der Industrieländer abnimmt. Die Kenntnisse, wie man solche Stoffe selbst verarbeitet, wenn vielleicht nicht zu Fertigprodukten, so doch zu Halbfertigprodukten, haben sich inzwischen verbreitet. Und die wachsende Zahl von Menschen in jenen Ländern fordert Arbeitsplätze, immer mehr Arbeitsplätze; diese erhalten sie am ehesten, indem sie möglichst viele Verarbeitungsvorgänge im eigenen Land vornehmen anstatt die Rohstoffe nach Europa, Japan oder nach den USA zu liefern. 3. Die dritte Grenze, die wir bereits überschritten haben, ist die der Sättigung. Die Wiederaufbauphase nach dem Krieg ist beendet. Viele Millionen zerstörter Wohnungen sind wieder aufgebaut. Mit neuen Konsumgütern sind die Haushalte versorgt; das beginnt mit dem Auto und endet bei Haushaltsgeräten aller Art. Was weiter angeschafft wird, ist vorwiegend nur der Ersatz für ausgediente Konsumgüter. Der Ersatzbedarf kann aber selbst in einer Verschleißgesellschaft nie so groß sein wie bei der Neueinführung einer Ware. Da andere Industrieländer sich in einer ähnlichen Lage befinden, ist auch nicht mit einem Ansteigen des Exports zu rechnen. Dies hat bereits dazu geführt, daß in unserem Lande die Produktionskapazitäten nicht mehr ausgelastet sind. Infolgedessen besteht für Erweiterungsinvestitionen auch kein Bedarf. Darum wird die Frage der Erhaltung der Arbeitsplätze bei uns immer schwieriger.
Wir müßten unsere Wirtschaft ganz gewaltig umstellen und möglichst bald damit beginnen. Aber die angesprochenen Konjunkturmaßnahmen gehen leider alle in die alte Richtung. Man glaubt, daß die Prinzipien der Vergangenheit weiterhin die richtigen sind: Es wird nichts geändert. Das heißt unter anderem auch, daß unsere Wirtschaft weiterhin ständig komplizierter und damit auch störungsanfälliger wird. Denn eine so differenzierte Wirtschaft, wie wir sie in unserem Lande haben, ist von soviel Faktoren abhängig, daß bereits der Ausfall we-niger Faktoren gewaltige Schwierigkeiten zur Folge hat. Man kann es auch so formulieren: Wir sind zu Sklaven unserer wachsenden Bedürfnisse geworden und damit abhängig von Ländern, die solche Bedürfnisse durch Rohstofflieferungen befriedigen können. Unser Leben hängt von Bedingungen ab, die wir nicht mehr in der Hand haben. Darum müssen wir uns darauf einstellen, daß unsere Handlungsfreiheit in nächster Zeit nicht zunehmen, sondern abnehmen wird. Unser Volk und die anderen Europäer werden es künftig schwer haben, und die Japaner haben noch schwerwiegendere Probleme. Dies hat natürlich die Folge, daß auch die Handlungsfähigkeit und Freiheit des einzelnen eingeengt werden wird, nicht nur die des Staates. Der sogenannte Fortschritt ist unter anderem auch ein Fortschritt in größere Abhängigkeiten. Das freie Spiel der Kräfte, welches uns bisher diesen gigantischen Fortschritt ermöglicht hat, basiert auf der Annahme, daß wir in einer unendlichen Welt leben und immer irgendwoher Nachschub erhielten. Dem ist offensichtlich nicht sol Wir leben auf einem Planeten mit begrenzten Möglichkeiten.
Dieser Sachverhalt wird heute selbst von Wachstumsfetischisten zugegeben, wenn sie in die Enge gedrängt werden. Ihr Zauberwort lautet dann: „Qualitatives Wachstum".
„Qualitatives Wachstum“ als Ausweg?
Das Wort vom „qualitativen Wachstum“ macht bereits seit einigen Jahren die Runde. Von den verschiedensten Seiten wird es ohne Zögern dann in die Diskussion geworfen, wenn zugegeben werden muß, daß dem quantitativen Wachstum Grenzen gesetzt sind. Selbst Vertreter des Club of Rome verteidigen sich gegen den Vorwurf, daß sie das Wachstum beenden wollten, indem sie flugs erklären: qualitatives Wachstum müsse natürlich sein. Damit wird sogar der Eindruck erweckt, als ob hier eine Übereinstimmung der Gegner bestünde. Dieser falsche Eindruck konnte nur entstehen, weil sich bisher niemand Klarheit darüber verschafft hat, was denn unter „qualitativem Wachstum” zu verstehen sei. Die Vorstellungen darüber blieben ebenso schillernd wie die über die „Lebensqualität". Jeder durfte sich das nach Belieben ausmalen: der eine ein schnelles Auto oder ein Motorboot', der andere ein größeres Haus oder die Urlaubsreise per Flugzeug — alles Dinge, die zusätzlich Energie und zusätzlich Rohstoffe verbrauchen.
Meine Definition ist eindeutig: Von reiner Qualität ist nur das, was keine Quantität, d. h. keine Materie und keine Energie benötigt. Das sind zunächst alle geistigen und seelischen Vorgänge. Dazu gehört das Bildungswesen, die Kunst, die Religion. Zwar braucht der bildende Künstler auch ein wenig Materie, der Musiker ein Instrument, doch diese nicht ins Gewicht fallenden Mengen kann man außer acht lassen. Der Erlebnis-und Bildungswert steht weit im Vordergrund. Gewisse Studien-vorgänge benötigen allerdings heute so komplizierte und teure technische Einrichtungen, daß der Bereich des Quantitativen schon gewaltig ist. Ebenso wäre die Krankenpflege eine vorwiegend qualitative Leistung, wenn die Krankenanstalten nicht inzwischen zu Gesundheitsfabriken geworden wären und die quantitative Zunahme der Apparaturen längst das qualitative Element der Pflege überholt hätte.
Zu den qualitativen Werten zählen alle die, welche uns die Natur gratis zur Verfügung stellt. Jeder darf dort Erlebnisse umsonst beziehen, solange kein Eintrittsgeld erhoben wird oder keine lange Reise (mit Energieaufwand) nötig ist, um die Natur noch zu erreichen. Denn gerade dieser qualitative Bereich wird durch Ausdehnung der industriellen Quantitäten dezimiert. (Der künstliche Produktionskreis mit all seinen Umweltschäden dehnt sich auf Kosten des natürlichen Regelkreises aus.)
Im industriellen Bereich ist quantitatives Wachstum (nur) insofern möglich, wenn ein qualitativ hochwertigeres (was auch heißen kann langlebigeres) Produkt mit dem gleichen Quantum von Energie und Rohstoffen hergestellt werden kann als bisher das schlechtere.
„Qualitatives Wachstum'verdient nur dann diese Bezeichnung, wenn es ohne zusätzliche Energie und ohne zusätzliche Rohstoffe erreicht worden ist.
Wenn dagegen heute Politiker ständig behaupten, daß zukünftige Wachstum werde qualitativer Art sein, und gleichzeitig die absolute Notwendigkeit des gesteigerten Energieeinsatzes verkünden — dann beweisen sie nur, daß sie gar nicht wissen, wovon sie reden. (Oder sie wollen glauben machen, alle Probleme wären damit gelöst, wenn sie ein neues Schlagwort für eine alte Sache verwenden.)
Von Verlagerung des „Wachstums" auf die Qualität zu sprechen, hat nur dann einen Sinn, wenn darunter die immateriellen Werte verstanden werden — solche, die man nicht messen, zählen, wiegen, somit auch schwer in DM umrechnen kann. Es sind gerade die Werte, welche das materielle Zeitalter unter seinen Produktions-und Abfallmassen begraben hat, nämlich alle Erlebnisse des Geistes und der Seele: Liebe, Glück, Freude, Glaube, Muße, Hingabe, Solidarität. Um mit Erich Fromm zu sprechen: alles, was dem Sein des Menschen dient, nicht dem Haben. Das, was wir haben und besitzen, werden wir verlieren, darum müssen wir uns nach innen wenden!
Die Entscheidung über unsere Zukunft hängt von folgender Frage ab: Wird es gelingen, dem Menschen wieder Wertvorstellungen zu vermitteln, die den Zielen des materialistischen Zeitalters entgegengesetzt sind?
Dann muß zum Beispiel die Muße einen höheren Stellenwert bekommen als die Arbeit, die Enthaltsamkeit (der Verzicht) einen höheren als der Konsum, über ein Jahrhundert lang ist dem Menschen versprochen worden, daß ihn der technische Fortschritt von der Sklaverei der Arbeit befreien werde. Jetzt hat er die freie Zeit — und was entdeckt er? Daß er mit sich selbst nichts anzufangen weiß!
Wie wäre es sonst zu erklären, daß alles nach „Arbeitsplätzen" schreit und jede Partei schleunigst verspricht, daß sie diese „schaffen“ werde. Warum verkündet die Regierung nicht: Das Zeitalter der lang erwarteten Herrlichkeit ist angebrochen! Wir werden dafür sorgen, daß nun alle in den Genuß von mehr Freizeit kommen, nicht nur einige (wozu auch die Arbeitslosen zählen). Dies kann darum (noch) nicht gelingen, weil die absolute Mehrheit sich immer noch mehr Güter „erarbeiten“ will. Größtenteils ohne Rücksicht darauf, ob diese Güter überhaupt noch sinnvoll sind.
Immer mehr Menschen entdecken jedoch bereits, daß der Aufwand für viele materielle Dinge in keinem Verhältnis zu ihrem Wert für unser Leben steht. Solche Erscheinungen passen nun ganz und gar nicht in das jetzige Wirtschaftssystem. Darum sind sie den christlichen Parteien ebenso peinlich wie den marxistischen. In den jetzigen Wirtschaftssystemen ist der Konsum eine existentielle Voraussetzung auch für das Fortbestehen der politischen Ordnung.
Ein Wettrennen in den Tod
Die Fortsetzung dieser Narretei der Steigerungsraten wird zur unvorstellbaren Katastrophe führen. Selbst wenn es gelingen sollte, diesen oder jenen Rohstoff zu ersetzen, so würde auch dieser Ersatzstoff bald aufgezehrt sein, wenn der Verbrauch weiterhin alle 15 Jahre — oder in welcher Frist auch immer — verdoppelt wird. (Auch die Wiederverwendung fällt dann kaum ins Gewicht.)
Gewiß, die Probleme sind langfristig unlösbar, da auch ein gleichbleibender Verbrauch die Ressourcen aufzehrt. Aber unter welchen Zeit-und damit Problemdruck diese Politik der Steigerung die Menschheit bringt, das beweist eine ganz einfache Rechnung. Wenn ein Rohstoff bei gleichbleibendem Verbrauch noch für 1000 Jahre reicht, dann reicht er bei 3 Prozent jährlicher Steigerung nur 117 Jahre und bei 6 Prozent jährlicher Steigerung sogar nur 71 Jahre — also ein einziges Menschenleben statt 14 Menschenalter. Sollte nicht wenigstens auf diesen ernormen Zeitgewinn hin-gearbeitet werden? Bei längerer Frist ließen sich vielleicht noch Auswege finden, wobei sich dann auch die Zahl der Menschen vermindern könnte.
Statt dessen veranstaltet die Menschheit gegenwärtig einen Wettlauf mit dem eigenen Schatten: Sie wollte ihn loswerden, indem sie das Tempo ihres Fortschritts, welches längst zu einem Fortlaufen geworden ist, steigerte; sie muß aber jetzt erkennen, daß sie sich zu Tode hetzen läßt, ohne den Schatten jemals loszuwerden.