Eine Beschäftigung mit Jugendbüchern, die nach Inhalt und Sprache obsolet erscheinen, mag denen, die ihren Informationserwerb allein auf praktische und unmittelbare Anwendbarkeit abstellen, überflüssig vorkommen. Wir müssen uns aber mit der Frage befassen, ob die sieben Jahrzehnte, die uns vom Erscheinen der wilhelminischen Jugendbücher trennen, eine entscheidende Veränderung der ihnen zugrunde liegenden Bewußtseinsstrukturen mit sich gebracht haben. Bezogen auf unser Thema heißt das: Sind die rassistischimperialistisch-autoritären Denkmuster, die die koloniale Jugendliteratur des Kaiserreichs kennzeichnen, einer vorurteilsfreien, auf Verständnis und Kooperation zielenden Einstellung gegenüber der Dritten Welt gewichen, die zugleich das in der Vergangenheit angerichtete Unheil nicht verharmlost oder eskamotiert? Oder läßt sich nicht vielmehr eine Kontinuität von Denk-und Sprachgewohnheiten feststellen, die ungeachtet geschichtlicher Erfahrung unter dem Deckmantel einer modischen Scheinprogressivität weiterleben? In diesem Fall könnte die Beschäftigung mit historischen, mittlerweile nostalgischen Texten vielleicht eine heilsame Aufklärung ermöglichen.
I. Jugendliteratur im Dienste der Kolonialwerbung
„Dem entschlossenen Mute unserer Afrika-Forscher und der weisen Fürsorge der kaiserlichen Regierung ist es gelungen, in Afrika und in der Südsee weite Gebiete dem deutschen Einfluß zu sichern. Deutschem Fleiße und deutscher Tatkraft ist ein wichtiges Arbeitsfeld gewonnen. Es gilt nunmehr, jene Länder zu erschließen, sie, die in Barbarei versunken sind, zu lichteren Höhen der Gesittung emporzuführen."
Mit diesen Worten stellt der Gartenlauben-Redakteur Stanislaus Jezewski (1853— 1913, Pseudonym: C. Falkenhorst) seinen jungen Lesern 1894 die deutsche Kolonialpolitik vor, für die er in seiner Reihe: Jungdeutschland in Afrika wirbt Er hält sich dabei strikt an das ideologische Konzept seiner Zeitschrift, die in ihren programmatischen Artikeln einem . menschheitsorientierten Fortschrittsglauben’ huldigt und die zivilisatorische Mission der Deutschen preist während die von ihr veröffentlichten Romane — jedenfalls seit den neunziger Jahren — sich durch rassistische Überheblichkeit und einen nationalistischen Interessenabsolutismus auszeichnen überzeugt von der ökonomischen Tüchtigkeit und der sittlichen Überlegenheit der Deutschen betont Jezewski, daß sie das Recht und die Pflicht zum Kolonisieren hätten, denn ihre „Kulturarbeit" bringe nicht nur ihnen, sondern auch den Unterworfenen Segen. Dieses euphorische Selbstverständnis wurde beileibe nicht von allen Deutschen geteilt. 1891 sagte Karl Liebknecht vor dem Reichstag: „Die Früchte unserer Kolonialpolitik und die Kultur, die sie nach Afrika gebracht hat, sie heißen: Mord, Raub, Totschlag, Syphilis, Schnaps ..
Der Rahmen, in den sich die Kolonialliteratur einordnen konnte, ist mit diesen Zitaten gesteckt. Die Frage ist, wo die Jugendbuchautoren sich ansiedelten — auf Seiten der imperialistischen Menschheitsbeglücker, um wie Falkenhorst Kolonialpropaganda zu treiben, auf seifen der Eroberten, um deren Ausgeliefertsein, ihre Rechtlosigkeit, ihr Leiden, ihren Untergang zu schildern, oder in einer Zwischenposition, die die Grausamkeit des Kolonialkrieges kennt und dennoch auf seiner Notwendigkeit besteht?
An diese erste Frage schließt sich die zweite an: Wie verhält sich die Jugendliteratur zu den politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fakten der Kolonisation? Eine Gegenüberstellung von Sach-und literarischen Texten mag dazu anregen, die komplexe politische Wirklichkeit — von den Forderungen der Siedler nach Enteignung und Entrechtung der „Eingeborenen" bis zur antikolonialistischen Resolution eines Sozialistenkongresses — mit dem Aussagespektrum der Jugend-bücher zu vergleichen und die nötigen Folgerungen daraus zu ziehen. Die historische Dokumentation soll auch der Gefahr ex post entwickelter Beurteilungskriterien entgegenwirken; sie soll herausfinden, wo eine als „Zeitgeist" bestimmbare Gemeinsamkeit der Anschauungen und wo bewußte, ideologisch gesteuerte Fehlinformation oder Verschleierung zu Indoktrinationszwecken vorliegt.
Dem in den achtziger Jahren infolge der wirtschaftlichen Depression entfachten „Kolonialtaumel" (Noske), der die in den Jahren 1884/86 erfolgte Besitzergreifung der überseeischen Gebiete begleitete, folgten Jahre der enttäuschten Hoffnungen und kolonialer Stagnation — was sich u. a. an der Mitgliederbewegung des 1882 gegründeten Deutschen Kolonialvereins ablesen läßt Die Regierung versuchte, dem Kolonialverdruß einerseits durch verstärkte Werbung um Aussiedler, andererseits durch eine auf Weltmachtansprüche pochende Flotten-und Prestigepolitik entgegenzusteuern, da sie dem Imperialismus eine nationalideologisch integrierende, d. h. von den innenpolitischen Problemen und Konflikten ablenkende Wirkung zuschrieb
Die Jugendbuchverfasser, die dem offiziellen Trend folgten, haben gerade dieses Integrationspotential der Kolonialpolitik popularisiert, indem sie die Ordnungs-und Schutzfunktion deutscher Offiziere überall in der Welt, die zivilisatorische Leistung deutscher Entdekker, Ingenieure und Farmer, die Kultur und Sittlichkeit fördernde Arbeit deutscher Missionare und Lehrer idealisierten und der Jugend zu dem Leitbildarsenal der Nationalhelden von 1813 und 1870/71 einen aktualisierten Katalog vorbildlicher Tugenden anboten.
Während zunächst die traditionellen Abenteuererzählungen und allgemeine Einführungen nach dem Muster Die deutschen Kolonien vorherrschten entwickelte sich bald eine speziell imperialistische Literatur, die Marine-und Kadettengeschichten, die im Guten Kameraden den Ton angaben und die Kolonialerzählungen. Als Variante gab es die Darstellungen des Boxer-Aufstandes und der Burenkriege Die große Woge der für die Jugend produzierten Kolonialliteratur kam indessen erst mit dem Krieg in Südwestafrika. Während die Aufstände in Kamerun und Ostafrika verhältnismäßig wenig thematisiert wurden bot der „Feldzug in Südwest" den epischen Stoff, an dem sich alle möglichen Autoren versuchten. Wir beschränken uns deshalb auf dieses Beispiel.
II. Deutscher Kolonialismus in Südwestafrika
1884 unter den „Schutz" des Deutschen Reiches gestellt, wurde Südwestafrika am Ende der achtziger Jahre Kronkolonie und sollte als Siedlungsgebiet in den Formen moderner Staatlichkeit organisiert werden. 1894 trat Gouverneur Leutwein sein Amt an. Während eingewanderten die Deutschen auf eine Eroberung der Stammesgebiete und Arbeitszwang die (vgl. im Afrikaner drängten für Anhang Text 1 [Tl]) — was erste Unruhen der Bevölkerung zur Folge hatte —, versuchte Leutwein durch Verwaltungsanordnungen einen Landfrieden herzustellen Bevor er seine Konzeption durchsetzen konnte, schlugen die Hereros 1904 los, nicht aus einem besonderen Anlaß, sondern aus dem Gefühl wachsender Bedrohung und aus Sorge um die Zukunft ihres Stammes. Im Gegensatz zur Darstellung der Regierung Bülow hätte man den Aufstand voraussehen und mit Hilfe durchgreifender staatlicher Maßnahmen gegen die Ausbeutungs-
Praktiken weißer Händler und Farmer verhindern können. Die Rheinischen Missionare hatten mehrfach auf die Existenznot der Hereros und die wachsenden Spannungen zwischen Eingeborenen und Siedlern hingewiesen (T 2).
Auf Nachricht vom Aufstand wurden die sofort zusätzliche Truppen in die Kolonie geschickt. Da Leutwein raschen Sieg keinen melden konnte, stellte man seine militärischen Fähigkeiten in Frage und beauftragte den vom Generalstab vorgeschlagenen General von Throta mit der Kommandogewalt. Dieser war entschlossen, die Aufständischen zu „vernichten" und verhängte den Kriegszustand über Südwestafrika. Nun hatten die Militärs ihren langersehnten „Ernstfall" Der Krieg in Südwest war der erste Krieg, den Deutschland seit 1871 führte. Er wurde nicht nur als Prüfstein für die kolonisatorischen Fähigkeiten der Deutschen angesehen, sondern galt auch als Generalprobe ihrer militärischen Potenz, sowohl im Hinblick auf Kampfgeist und Dis-ziplin der Truppen als auf das strategische Vermögen ihrer Führer
Die Kämpfe in Südwestafrika und die Militärdiktatur Throtas rückten die Kolonie in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses und hatten bedeutende innenpolitische Auswirkungen. So nahmen Sozialdemokraten und der Abgeordnete Erzberger vom Zentrum den Aufstand zum Anlaß, um grundsätzliche Kritik an der Kolonialpolitik der Regierung zu üben. Während Erzberger dem Reichstag einen Bericht über das skandalöse Verhalten einzelner Verwaltungsbeamter in den Kolonien vorlegte, prangerte Bebel allgemeiner die Enteignungsund Disziplinierungsmethoden der Siedler an und gestand den Afrikanern ein Widerstands-recht zu. Er verlangte von der Regierung eine Beendigung des Krieges und eine Politik der Versöhnung und der Menschlichkeit in den „Schutzgebieten"
Die Regierung forderte nichtsdestoweniger ständig neue Mittel zur Finanzierung des Krieges, erhöhte laufend die Truppenstärke und benutzte die von den Nationalisten geschürte Kriegsstimmung, um 1906 die Auflösung des Reichstags zu provozieren. Die sog. Hottentottenwahlen von 1907 brachten Bülow die erhoffte „nationale" Mehrheit von Konservativen und Liberalen. Die sozialdemokratische Reichstagsfraktion, die als entschiedener Gegner der Kolonialpolitik galt, verlor fast die Hälfte ihrer Mandate. Der Krieg dauerte von 1904 bis 1906. „Fast die Hälfte der Eingeborenen wurden getötet..., ein Viertel der überlebenden deportiert und in den Gefangenenlagern einer planmäßigen Vernichtungspolitik unterworfen, fast das ganze Vieh dieses Hirtenvolkes kam um; die Stammesorganisation wurde aufgelöst" 1B). Die Eingeborenenverordnungen von 1906/07 liefen auf die völlige Enteignung und juristische Diskriminierung der Hereros hinaus. Sie wurden zur Zwangsarbeit verpflichtet und waren der persönlichen Polizeigewalt der Weißen ausgeliefert
III. Der Fall Deutsch-Südwestafrika im Jugendbuch
Der Fall Südwestafrika ist für das Verhältnis von Jugendliteratur und Politik bzw. für die politisch-gesellschaftliche Erziehungsfunktion des Jugendbuches in verschiedener Hinsicht paradigmatisch: 1. Die politischen Wirkungsabsichten, die die wilhelminischen Jugendbuchautoren mit ihren Büchern verbanden, lassen sich an der Süd-westafrika-Literatur in auffallender Weise ablesen. Typisches Beispiel ist Gustav Frenssen, der Peter Moors Fahrt nach Südwest schrieb, um die Aufmerksamkeit der deutschen Öffentlichkeit von den Kämpfen in der Mongolei weg auf ihre eigenen Truppen zu lenken 2. Die die bestehenden Herrschaftsverhältnisse stabilisierende, sozialintegrative, konflikt-harmonisierende Funktion der Jugendliteratur zeigt sich in der Tatsache, daß sämtliche Darstellungen der südwestafrikanischen Kolonialgeschichte die offizielle, proimperialistische Argumentation unbesehen übernahmen — was soweit ging, daß A. v. Liliencron beispielsweise ganze Passagen des Generalstabsberichts wörtlich zitierte —, während sie oppositionelle Äußerungen entweder verschwiegen oder durch Ton und Kontext desavouierten. 3. Der Beitrag der „vaterländischen Jugend-bücher" zur Mobilmachung der Jugendlichen wird in den Erzählungen vom Krieg in Südwest in besonderer Weise deutlich. Alle Texte verherrlichen kriegerische Tugenden und die deutsche militärische Tüchtigkeit. Sie fördern damit den Militarismus — was um so schwerer wiegt, als der Kampf gegen die Herero Früh-formen totaler Kriegführung zeigte und die idealisierte Darstellung ihn den Lesern als Vorbild soldatischer Pflichterfüllung suggerierte. 4. Rassenhaß und Feindbild werden exemplarisch sichtbar in den Kriegsberichten, in denen die Hereros als Inkarnation von Heimtücke und Grausamkeit dargestellt werden. Die in der nationalistischen Jugendliteratur häufige Kombination von Vorurteilen mit dem Bemühen, durch Aufbau von Feindbildern die nationale Solidarität zu stärken, ist in den Kolonialkriegsbüchern besonders evident, da die Autoren dem andersrassigen Gegner gegenüber sich nicht zu traditionell-humanistischen Rücksichten verpflichtet fühlen. Das von ihnen vermittelte Bild des Afrikaners pendelt zwischen Verächtlichmachung und Dämonisierung. 5. Die sozialdarwinistische Menschen-und Geschichtsauffassung gehörte zu den Argumentationsstrategien der einschlägigen Jugendbücher. In den Berichten über den Kolonialkrieg mußte die Lebenskampffloskel zur Rechtfertigung exzessiver Kampf-und Unterdrückungsmethoden und des deutsch-weißen Herrenstandpunktes herhalten, aber auch zur Legitimation soldatisch-männlicher Erziehung, wie sie nur unter den erschwerten Bedingungen des Krieges so recht wirksam werden kann. 6. Die Art, in der die geltende oder angestrebte Sozialverfassung der Kolonie dargestellt wird, läßt Rückschlüsse darauf zu, welche gesellschaftlichen und staatspolitischen Idealvorstellungen hinsichtlich der Herrschaftsordnung im Reich bei den Autoren vorherrschten. Wenn Hannah Arendts These stimmt, daß Kolonialherrschaft der Entwicklung autoritärer Regierungs-und Lebensformen förderlich sei, so kann aus dem politischen Normenkatalog, den die Jugendbücher für die Kolonien aufstellen, gefolgert werden, daß die Übertragung autoritärer Denk-und Verhaltensmuster in der Absicht und im Interesse der Autoren lag. Wenn es richtig ist, daß mit der Unterhaltungslektüre die in ihr dominanten Vorstellungen und Stereotypen vom Leser übernommen werden so läßt sich der in mehrere Richtungen unheilvolle Einfluß der kolonialistischen Jugendbücher auf die Jugend des Kaiserreichs ermessen.
Freilich, genau nachweisen läßt er sich nicht Das Jugendbuch ist nur ein Sozialisationsinstrument unter anderen, sein Einfluß hängt von verschiedenen persönlichen und gesellschaftlichen Faktoren ab, wie individuelles Temperament, frühe affektive Lernerfahungen, Familiensituation, Bildungsstand und den vielfältigen Einwirkungen der sekundären Erziehungsträger (Schule, Jugendvereine, politische Gruppen und Öffentlichkeit). Fruchtbarer ist deshalb — vor allem für den historischen Bereich der Jugendbuchforschung — die Frage nach den politischen Wirkabsichten und den Vermittlungstechniken der Jugendbuchautoren. Daß auch die Jugendliteratur den Bewußtseinsstand der Gesellschaft, in der sie entsteht, spiegelt, ist unbestritten. Daß die Gesellschaft mit dem Normen-und Pflichten-katalog, den sie dem Jugendlichen durch das Buch vermittelt, politischen Einfluß ausübt, kann ebenfalls als gesichert gelten. Der Schluß drängt sich deshalb auf, daß die kolonialistische Jugendliteratur, die die oben genannten ideologischen Fixierungen und Stereotypen enthält, geeignet war, zusammen mit ähnlichen Tendenzen außerhalb des privaten Bereichs der Freizeitlektüre die Voreinstellungen der Jugendlichen zu Vorurteilen, Denkschablonen und Handlungsdirektiven zu verfestigen
IV. Jugendbuch und Politik — der Tendenzstreit
An dem sogenannten Tendenzstreit läßt sich belegen, in welchem Ausmaße Erzieher und Politiker im Kaiserreich dem Jugendbuch eine politisch-erzieherische Funktion zudachten: allen voran die „Nationalerzieher", aber das Problem beschäftigte auch die Sozialdemokraten
Als Heinrich Wolgast 1896 in seiner Schrift Das Elend unserer Jugendliteratur mit den „vaterländischen Jugendschriften" ins Gericht ging und sie als Propagandawerke zur Erhaltung eines revisionsbedürftigen -gesell schaftlichen und politischen status quo entlarvte erhob sich gegen ihn die Phalanx der . guten Deutschen'und verdächtigte ihn der Vaterlands-und Religionsfeindlichkeit Während Wolgast für ein „tendenzfreies", nicht allein zur Belehrung, Unterhaltung und ideologischer Indoktrination fabriziertes, sondern künstlerisch befriedigendes, literarisch wertvolles Jugendbuch plädierte forderten seine Gegner nationale Gesinnungsliteratur, um die Jugend für den . vaterländischen Opfergang'zu präparieren Je näher der Krieg rückte, d. h. je mehr nationalistisch-imperialistische Kreise ihn als angeblich einzigen Ausweg aus der internationalen Krise propagierten, um so schärfer wurde die Auseinandersetzung über die „richtige" Tendenz in der Jugendliteratur Kommerzielle Interessen persönliche Ressentiments und politische Überzeugungen spielten eine Rolle in dem Kampf um die Jugendschrift der 1913, in dem weitgehend zur Mobilmachung der Jugend mißbrauchten Jubiläumsjahr, zu einer regelrechten Hetzkampagne gegen die „Hamburger" ausartete, denen ihre Gegner vorwarfen, sie entfremdeten die Jugend „den Idealen der Väter", sie wollten den „Kindern die Vaterlandsliebe aus den Herzen reißen", sie zerstörten durch „Weltbürgertum, Friedenssimpelei und blasses Ästhetentum" nationale Gesinnung, Opferfreudigkeit und Wehr-bereitschaft der Jugend; vor allem aber seien sie „verkappte Schrittmacher der Sozialdemokraten" und unterminierten die Wurzeln von Staat und Gesellschaft.
Die „Hamburger" — das war der Hamburger Jugendschriftenausschuß, in dem neben Wolgast, der zwischen 1896 und 1912 die Jugendschriftenwarte (JSW) herausgab, H. L. Köster, Verfasser einer Geschichte der deutschen Jugendliteratur, und Wilhelm Lamszus, Pädagoge, Jugendschriftsteller und Autor eines 1912 veröffentlichten Antikriegsbuches Das Menschen-schlachthaus, tätig waren An der Spitze der Vaterlandsschützer standen der ehemalige Lehrer und Anhänger der Kunsterziehungsbewegung Wilhelm Kottenrodt, bekannt als Verfasser und Herausgeber von Jugendbüchern unter dem Pseudonym Kotzde sein Verle-ger Josef Scholz, der Schundbekämpfer und Herausgeber der Hochwacht, Professor Dr. K. Brunner Ihnen schlossen sich Lehrer aller Schularten, einige Buchhändler Militärs 35a) und Verbandsmanager wie der Extremimperialist Heinrich Claß, Vorsitzender des Alldeutschen Verbandes, an.
Mit dem Kampf für das vaterländische Ertüchtigungsbuch verbanden die Monopolpatrioten den Kampf gegen die Befürworter einer national-neutralen Jugendliteratur. Die von ihnen angefachte Bedrohungspsychose (ein Titel von Kotzde: Der Feind im Land!) brauchte außer dem äußeren einen inneren Feind. Sie bauten die Hamburger als solchen auf, weil sie ihnen als Konkurrenz im Jugendbuchgeschäft unangenehm und, da sozialdemokratischen Vorstellungen nahestehend (die Mitgliedschaft in der SPD war Lehrern verboten), geeignet waren, als . Nestbeschmutzer', . Wehrkraftzersetzer'und potentielle Verräter abgestempelt zu werden.
V. Die bürgerliche Jugendschriftenkritik und die kolonialistische Jugendliteratur
Am Beispiel der Rezensionspraxis derJSW zur Kolonial-bzw. Südwestafrika-Literatur läßt sich nachweisen, daß die »Hamburger“ keine Kriegstreiber, Chauvinisten oder enthusiastische Befürworter der Kolonialpolitik waren. Aber sie vertraten auch keine dezidiert entgegengesetzten Positionen, wobei einerseits die Tatsache mitgespielt haben mag, daß sie von den ideologischen Grundströmungen ihrer Zeit doch weitgehend beeinflußt waren, andererseits pragmatische Überlegungen, die es Lehrern verbot, sich zu Sprechern oppositioneller politischer Auffassungen zu machen, wenn sie ihre Existenz nicht aufs Spiel setzen wollten, wie der Fall Lamszus zeigt So ist der Verhältnis der JSW zur Kolonialfrage durch grundsätzliche Ablehnung imperialistischer Politik, vorsichtiges Taktieren und geflissentliches übergehen im Einzelfall gekennzeichnet. Im gesamten Jahrgang 1905 findet sich nur eine Besprechung zum Thema . Imperialismus', und zwar zu dem Buch des ehemaligen Marinepfarrers P. G. Heims Auf blauem Was ser von 1903. Der Ton der Rezension ist charakteristisch für das distanzierte Verhältnis zu einer Literatur, die deutsche Welt-und Seegeltung propagiert: „Wenn es richtig ist, daß Deutschlands Zukunft auf dem Wasser liegt, so müssen auch Tendenzschriften dieser Art mit in den Kauf genommen werden; denn das Buch ist vortrefflich geeignet, dem (berechtigten oder unberechtigten? jedenfalls aber vom Verfasser beabsichtigten) Zwecke, die deutsche Jugend für das Leben auf dem Wasser zu begeistern, zu dienen.“ 1906, nachdem durch die großen Reichstags-debatten Umfang und Form des südwestafrikanischen Vernichtungskrieges kritischen Lesern klar sein mußten, empfahlen die Jugendschriftenausschüsse immerhin vier Kolonial-bücher. Darunter Lohmeyer-Wislicenus, Auf weiter Fahrt, eine von Gramberg bearbeitete Reihe Selbsterlebnisse zu See und zu Lande, in deren 3. Band Helene von Falkenhausen ihre Erfahrungen mit den „Eingeborenen" beschrieb und der Gouverneur von Deutsch-Ostafrika, v. Wißmann, laut Rezensent mit seiner „Gefechtsschilderung" einen „realistischen Einblick in das afrikanische Kriegs-leben" gab, sodann (ohne Würdigung!) das 1903 erschienene Buch Mit Büchse, Spaten und Ochsenstrick in Deutsch-Südwestafrika des Schriftstellers A. O. Klaußmann (1851— 1916), der sich durch prompte jugendliterarische Umsetzung kriegerischer Konflikte auszeichnete und mit seinem Werk über Südwest-afrika die ausdrückliche Anerkennung der Ko-lonialabteilung des Auswärtigen Amtes fand — verständlicherweise, denn das Fazit des Helden (im Zivilleben Waschaufseher) — lautet: „Wir brachten zwar keine Reichtümer mit nach Hause, sondern nur kleine Ersparnisse von unserer Löhnung. Aber wir waren gesund, wir waren bereit, den Kampf mit dem Leben um so frischer aufzunehmen, als wir unsere Körper-und Geisteskräfte in Südwest-afrika gestählt hatten.“
Wehrdienst in Ubersee statt gründlicher Berufsausbildung, Kolonialkrieg als Fitnesstraining für den Lebenskampf — das ist die behördlich sanktionierte Botschaft Klaußmanns. Nachdem er in 19 Kapiteln den Kampf der „Schutztruppe" gegen Hottentotten und Hereros dargestellt hat, preist er in einem Anhang die Errungenschaften der Kolonialverwaltung und die „Anstelligkeit der Eingeborenen". Er stellt fest, daß ein Aufstand der Bevölkerung nicht zu befürchten sei, weil er sich selbst (vielleicht?) und dem Leser unterschlägt, daß die Segnungen der Zivilisation 5 000 Weißen, nicht aber den 100 000 Hereros im Lande zugute kommen weil er sich ferner offenbar nur aus bestimmten Quellen über die „realen Tatsachen" in der Kolonie informiert hat Die positive Beurteilung eines Buches, das den Kolonialismus rechtfertigt und pädagogisch funktionalisiert, zeigt einmal, daß die „Hamburger" weniger Einfluß auf die Jugendschriftenausschüsse im Reich und ihre Empfehlungen hatten, als ihre Gegner behaupteten, zum anderen, daß die Aversion der „Wolgastianer" gegen die Tendenzliteratur sie zu dem Trugschluß verleitete, literarisch anspruchsvolle Bücher hätten eo ipso eine sittliche Wirkung.
Das wird besonders deutlich am Beispiel von Frenssens Peter Moors Fahrt nach Südwest, aber auch in der Empfehlung von Henkels Der Kampf um Südwestafrika und Bayers Im Kampf gegen die Hereros. Wenn der Autor „wirklichkeitsgetreu" schilderte, Leiden und Entbehrungen nicht ausließ, sich keine dramaturgischen Unmöglichkeiten und stilistischen Schnitzer zuschulden kommen ließ, womöglich Augenzeuge oder Miterlebender der geschilderten Ereignisse war und nicht gerade ein chauvinistischer Schreihals, dann konnte er damit rechnen, in die Empfehlungsliste aufgenommen zu werden.
Falkenhorst (T 6), als „Hauptvertreter der Kolonialgeschichten" (Wolgast), wurde z. B. nicht seiner prokolonialistischen Konzeption wegen aus ihr verbannt, sondern weil sein „Stil kein persönliches Gepräge" trug, weil er „nicht aus innerem Bedürfnis" schrieb Den ästhetischen Zensoren entging bei ihrer Bewertung, daß Falkenhorst, der seine Bücher im Zustand kolonialer Quasi-Unschuld noch vor den schweren Kämpfen zwischen Afrikanern und Deutschen verfaßt hatte, immerhin Schwarze und Weiße überhaupt miteinander reden ließ, während beim Theologen Frenssen jegliche Kommunikation zwischen ihnen unmöglich war und Throta den Kontakt auf Kommandos der einen und analphabetisches Gestammel auf der anderen Seite reduzierte. Solche politisch-inhaltliche Differenzierung findet sich in der JSW nicht. Wo ein Buch wie die gesammelten Briefe Erffas (T 7) eine kritisch begründete Ablehnung nötig gemacht hätte, übergeht man es mit Stillschweigen. Für das Urteil der JSW spricht allerdings, daß der rassistische Kolonialthriller Throtas abgelehnt wurde (T 10).
VI. Zum Inhalt und zur Struktur der ausgewählten literarischen Texte
Die Textauswahl versucht, den vielfältigen Unterschieden von Inhalt und Darstellung gerecht zu werden. Soweit nachweisbar, gingen wir von der Verbreitung der Bücher aus, wie sie sich aus den Empfehlungen der verschiedenen „Jugendschriftenführer", den Bibliothekskatalogen und der autobiographischen Literatur ergibt Ihr Lesepublikum dürften 12— 16-jährige, mittelständische Jugendliche gewesen sein. Um die Kriterien offenzulegen, die der Zusammenstellung der Auszüge und ihrer Beurteilung zugrunde liegen, geben wir zunächst einen Katalog von Fragen, die auch dem Vergleich von historischen und modernen Texten dienen können.
Fragen zum Inhalt der Jugendbücher:
1. Mit welchen Argumenten rechtfertigt der Autor, wenn überhaupt, die Inbesitznahme von Kolonien? 2. Geht er auf die Gründe ein, die die Hereros zum Aufstand trieben? Lassen sich diese Gründe (u. U. gegen die Intention des Autors!) aus dem Text ablesen? Welches Interesse kann der Autor daran gehabt haben, die Ursachen des Aufstandes zu verschweigen? 3. Werden die Bedürfnisse, die Eigenart der farbigen Bevölkerung dargestellt? An welchen Maßstäben orientiert sich die Darstellung? 4. Sagt der Autor, auf welche Weise der Aufstand niedergeschlagen wurde und welche Folgen das für die Besiegten hatte? Rechtfertigt er implizit oder explizit den Vernichtungskrieg? 5. Geht er auf die Art und Weise der Herrschaftsausübung seitens der Deutschen ein? Wie beurteilt er die Rolle a) des Militärs b) der Siedler?
Fragen zum Aufbau und zur Sprache der Texte: 1. Welchem Volk gehört der Protagonist der Erzählung an? Welche Eigenschaften verkörpert er? Reflektiert er über die Problemfragen der Geschichte? Wie denkt er über die Afrikaner und wie verhält er sich ihnen gegenüber? 2. In welchen Rollen kommen Farbige vor? Welche Eigenschaften werden ihnen zugeschrieben? Welches Verhalten, welche Sprechweise verleiht ihnen der Autor? 3. In welchen Formen vollzieht sich die Kommunikation zwischen Weißen und Farbigen?
Fragen zum Verhältnis von Autor und Leser:
1. Aus welcher Perspektive schildert der Autor die Erlebnisse? Was bedeutet die Wahl der Perspektive hinsichtlich der Beeinflussung des Lesers? 2. Welches Leseverhalten will er bewirken? Wird der Leser zum Nachdenken, zum Fragen, zum Urteilen, zur emotionalen Anteilnahme, zur Identifikation mit dem Helden, zum nachahmenden Handeln angeregt? 3. Wird ihm die Leseerfahrung von menschlichem Leiden, Versagen, Ohnmacht, Reue, Schuld zugemutet? 4. Welche Wertvorstellungen, welches Menschenbild liegen der Darstellung zugrunde? Welche Tugenden, Denk-und Verhaltensmuster werden dem Leser vermittelt? 5. Was erfährt/lernt er aus den Texten und was nicht? (etwa über den Zusammenhang von Herrschaft und Auflehnung, über die Ursachen von Konflikten und die Möglichkeiten gewaltloser Konfliktregelung, über die Komplexität politischer und moralischer Entscheidungen?).
VII. Kolonialliteratur zwischen Gartenlaube und Genozid
Verglichen mit der unverhüllten Brutalität des Generalstabsberichtes (T 5), der 1910 für wert befunden wurde, in ein Gymnasial-Lesebuch aufgenommen zu werden und dessen in-humane Sprache einigen Jugendschriftstellern zum Vorbild diente, erscheint uns der naiv-patriarchalische, romantisch-verkitschte Gar-tenlauben-Kolonialismus Falkenhorsts, trotz der durch ihn vermittelten rassistischen Vorstellungsmuster, als eine verhältnismäßig harmlose, friedliche Abart kolonialistischer Jugendliteratur. So sehr die trivialisierte Sprache auch Ausdruck des heruntergekommenen eman -zipatorischen Anspruchs eines sich als liberal verstehenden bürgerlichen Bewußtseins ist, kann man doch den aufklärerischen Optimismus Falkenhorsts einfach als propagandistisches Manöver abtun. Abgesehen davon, daß er mit seiner Abenteuer-Exotik-Belehrungsmixtur für die Jugend Geld verdienen wollte, identifizierte sich der Aristokrat Jezewski mit dem bürgerlichen Zivilisations-Imperialismus.
Es liegt nahe, die Liebesgeschichte zwischen dem Deutschen und der Afrikanerin — die der Autor so zeitig abbrechen läßt, daß sie ihn nicht in rassenpolitische Kalamität bringt — als den Versuch zu die Realität sehen, kolonialer Herrschaft bzw. Ausbeutung durch Verschiebung auf die Privatebene individueller Zuneigung zu entschärfen. Aber der Vergleich mit Erffas sadistischen „Hereroweibern", die „halbwüchsige Jungen mit Messern verstümmeln," zeigt den ganzen Abstand, der die frühe Kolonialliteratur von der späteren trennt. Solange die Autorität der Deutschen in den Kolonien halbwegs unangetastet war, konnten sich die Autoren den fiktionalen Luxus sentimentaler Beziehungen zwischen Schwarz und Weiß leisten; nachdem „deutsches Blut in Südwest geflossen" war, ließ sich interrassische Intimkommunikation weder pädagogisch noch kommerziell länger vertreten. Die Abstinenz (besser: Verdrängung) ging so weit, daß in keinem der nach 1904 erschienenen Jugendbücher von der Schönheit einer farbigen Frau die Rede ist. Frenssen versteigt sich einmal zu der Feststellung, daß in Swakopmund „einige Weiber von den Feinden" „jung und nicht unschön" gewesen seien Ansonsten sind die Afrikanerinnen bei den männlichen Verfassern alt und welk und häßlich und stumpf, bei ihren Kolleginnen die afrikanischen Männer wulstlippig, halbnackt (Kennzeichen fehlender Moral), heimtückisch und brutal. Entsprechend zeigen die Illustrationen entweder die den bestialischen Angriffen der „Wilden" ausgesetzte schöne weiße Frau oder das deutsche Heldenmädchen — „In dieser Wildnis waren Zierpüppchen und Salon-damen nicht am Platze" —, das Leben und Unschuld in heroischer Verzweiflung verteidigt.
Wo die Autoren glauben, im Interesse der -auf identifikationsför Leserbedürfnisse die dernde Liebesgeschichte nicht verzichten zu können, bleiben sie im strikt nationalen Rahmen. Zugelassen ist bestenfalls die zu jedem Opfer bereite Verehrung eines Bastards für ein deutsches Mädchen, das seine Liebe huldvoll-mitleidig zur Kenntnis (und einen blond-blauen, stämmigen Kolonialaktivisten zum Mann) nimmt Selbst weniger emotional gefärbte Formen der Interaktion zwischen weißen Siegern und farbigen Besiegten entfallen weitgehend; der Kontakt ist auf ein Herrschafts-und Befehlsverhältnis reduziert, in dem auf Seiten der Weißen Drohgestus und herablassende Barmherzigkeit alternieren.
Erst Bayer (1872— 1917), der die Pfadfinder-tugenden der Schutztruppler hervorhebt und im Sinne Leutweins für ein auskömmliches Verhältnis zwischen Einheimischen und Kolonialmacht eintritt, läßt Farbige ohne das obligate diskriminierende Kauderwelsch mit Weißen reden. Aber auch er beschränkt sich, wie Frenssen, weitgehend auf die soldatische Männergemeinschaft, die sich auf ihren Kampfauftrag konzentriert und lediglich, um deutsche Ritterlichkeit und deutsche Gefühlswärme -un ter zu stellen, in -Beweis einer Verfolgungs zwischen zwei Gefechten, Samariter-dienste leistet. (In solcher spartanischen Pflichterfüllungsatmosphäre haben Sexualbedürfnisse keinen Platz. Peter Moor ist durch die Erlebnisse des Krieges soweit entsinnlicht, daß er die erste weiße Frau, der er begegnet, zur Maria erklärt Bayers Helden sind völlig jenseits der Geschlechtlichen.)
Während Frenssen und Bayer darauf verzichten, im Leser Haßgefühle gegen die Aufständischen zu wecken, artikuliert Erffa (T 7) seine Rachegelüste und Destruktionsbedürfnisse ohne Scheu. Seine Briefe an die Eltern waren ursprünglich nicht zur Veröffentlichung bestimmt und nehmen deshalb keine didaktischen Rücksichten. Der 25jährige Jurist, der sich als Tourist in Südwestafrika aufhielt, als der Aufstand ausbrach, und sich sofort freiwillig meldete, beschreibt den Krieg im Stile Liliencrons als ein sinnenerregendes Jagdabenteuer, risikoreich, aber von einer faszinierenden Lebensintensität, Mittel der Selbstbestätigung und der Steigerung vitaler Kraft. Nur eines bedauert der adlige Reserveleutnant — daß die Herero keine ebenbürtigen, duellwürdigen Gegner sind. Aber nach seinem schneidigen Report zu urteilen, hat das „Abknallen" der „schwarzen Bestien" (das Wörterbuch des Unmenschen hat Tradition!) doch auch seine — wenigstens lautmalerischen — Reize, außerdem enthebt die Jagd auf Untermenschen Erffa der Notwendigkeit, sein barbarisches Verhalten zu rechtfertigen. Indem er die Greueltaten der Hereros mit perverser und repetitiver Ausführlichkeit schildert (bis der Leser den Eindruck hat, daß das Mißhandeln deutscher Leichen schändlicher ist als das Hin-morden lebender Hereros), setzt der Autor einen Projektionsmechanismus in Gang, der das Ausleben eigener Aggressionsüberschüsse als Vergeltung sanktioniert und unbestrafte Triebabfuhr sichert.
Bei Frenssen (T 9) hingegen hat die Grausamkeit wenigstens manchmal ein schlechtes Gewissen, sie kostet Überwindung und ist ein Disziplinbeweis. Peter Moor lernt von seinem Oberleutnant, der „wie ein Gelehrter aussieht"
und seine SS-Moral in einer eisigen Mondnacht verkündet, daß Tötenmüssen ein notwendiger Durchgang zur „zukünftigen brüderlichen Menschheit" ist. Der ehemalige Pfarrer Frenssen (1863— 1945) sieht im Krieg, dessen Leiden und Entbehrungen er überzeugend darstellt, eine Schule der Selbstüberwindung, der ungewöhnlichen Erfahrungen, eine Initiation in das Erwachsensein. Peter Moors Fahrt nach Südwest ist ein Entwicklungsroman. Nachdem er beim Vater seine Lehre als Schmied abgeschlossen hat, meldet sich Moor zum See-bataillon und wird bei Ausbruch des Krieges nach Südwestafrika eingeschifft. Dem verheißungsvollen Aufbruch der Soldaten, der „wundervollen", bilderreichen und staunenerregenden Überfahrt steht die bedrückende Ankunft in der vegetationsarmen, kargen, glühendheißen Kolonie gegenüber. Es folgt der mühselige Zug ins Innere. Hitze, eisige Nächte, Durst, Lebensmittelmangel, Krankheiten, Angst und der unsichtbare Feind zermürben die Männer. Endlich kommt es zu dem langersehnten Zusammenstoß mit den Hereros. Peter Moor wird verwundet und erkrankt an Typhus. Die Truppe ist am Ende ihrer Kraft. Erst mit der Genesung des Helden beginnt „der zweite und bessere Teil des Feldzugs", der mit dem Sieg der Deutschen endet. Peter Moor hat gelernt, warum deutsche Soldaten in den Kolonien kämpfen müssen; in dem harten Kriegsleben ist er zum Mann geworden. Herzkrank wird er nach Hause entlassen, aber er trifft einen, der aus seiner und seiner Kameraden Geschichte ein Epos macht.
Mit seinem Helden erlebt der Leser die fremdartige, betont unexotische Schönheit Südwest-afrikas und seiner „merkwürdigen", unverständlichen Bewohner. Er erlebt den Krieg als Leidensodyssee, die Heimat als trostspendende Vision und normative Richtkraft der dem Vaterland fernen Soldaten, über die Lebensverhältnisse, die Bedürfnisse der Afrikaner erfährt er so gut wie nichts. Wenn sie in der Darstellung auftauchen, dann entweder als unbegreifliche Geschöpfe mehr animalischer als menschlicher Natur oder als stumpfe Opfer eines Krieges, dessen konkrete Ursachen verschwiegen, dessen totaler Charakter durch den episierenden Sprachgestus ins Unabwendbare und Schicksalhafte überhöht und dadurch der politischen Beurteilung und alternativen Denkmöglichkeiten entzogen wird.
Zwar bietet Frenssen Reflexionsansätze zum Problem Kolonialismus, formuliert auch hin und wieder einen kritischen Einwand gegen das Morden aus christlicher Sicht, aber die Identifikation mit dem schwerblütigen, autoritär strukturierten, tumben Helden ermutigt den Leser nicht zum kognitiven, analytischen Erfassen des Textes, zur kritischen Distanz gegenüber seiner Botschaft. Die der Vernichtung preisgegebene, leidende Bevölkerung wird nicht individualisiert, sie hat keinen ernst zu nehmenden Fürsprecher, wie auch die Imperialismuskritik bei Frenssen unterrepräsentiert ist. Was er zu diesem Thema zu sagen hat, legt er verschiedenen Figuren in den Mund. Ein Schutztruppler artikuliert den Kolonialisten-standpunkt mit besonderer Deutlichkeit: „Es sei entweder recht und richtig, zu kolonisieren, das heiße entrechten, rauben und zu Knechten machen, oder sei es recht und richtig, zu christianisieren, das heiße Bruderliebe verkünden und vorleben. Man müsse das eine klar wollen und das andere verachten, man müsse herrschen wollen oder lieben wollen.“ Maximilian Bayer, der den südwestafrikanischen Krieg als Generalstabsoffizier mitgemacht hatte und in zahlreichen Vorträgen in Deutschland für die Inbesitznahme der Kolonie eingetreten war, versuchte in seinen Jugendbüchern das dichotomische Denken zu überwinden und für einen Mittelweg zu werben. Zwar sah auch er im Kolonialkrieg den Manövernutzen und beugte sich der Ausrottungsstrategie Throtas, aber er hielt doch eine Kooperation der Deutschen mit den übriggebliebenen Hereros für wünschenswert. Seine Darstellung der Farbigen ist im allgemeinen von dem üblichen Rassenhochmut geprägt aber der Titelheld einer seiner Erzählungen ist ein Herero, dessen Würde und aufrechter, stolzer Charakter Hochachtung einflößen und seine Idealsoldaten, wie z. B.der Streifen-führer Kölling, lassen sich weder sprachlich noch in ihren Handlungen eine Inhumanität gegenüber dem Feind zuschulden kommen.
Es ging dem Berufsoffizier Bayer vor allem um eine eindrucksvolle Selbstdarstellung des Militärs, für das er die Jugend gewinnen wollte Als Stoff für Die Helden der Naukluft wählte er eine Episode aus dem Hottentotten-Aufstand von 1874. Unter ihrem Führer Kölling verfolgt eine Gruppe Schutztruppler die Hottentotten ins Naukluft-Gebirge, wo sie eingeschlossen und gefangengenommen werden. In der Gefangenschaft lernt Kölling die führenden Männer des Feindes kennen und schätzen. Zwar kämpft er nach seiner Flucht weiter gegen sie und hilft mit, sie in die wasserlose Wüste zu treiben, wo sie sich schließlich ergeben müssen, aber er tut das so, als bekämpfe er einen „ebenbürtigen Gegner" und nicht schwarzhäutige Untermenschen Obwohl er mit Kölling die Tüchtigkeit des deutschen Heeres personifizieren will, hütet sich Bayer, aus seinem Helden einen tollkühnen Draufgänger und Immersieger zu machen oder einen schneidigen Vorgesetzten mit Kommandoton und patriotischer Rhetorik. Kölling ist ein Vorbild an Kameradschaftlichkeit, Umsicht, fachlichem Können und bescheidener Pflichterfüllung Er ist so etwas wie ein Pfadfinder-Feldmeister der Kolonialtruppe; bezeichnenderweise tritt er nicht in Erscheinung, wenn die Deutschen mit Kanonen in den Flüchtlingstreck der Hereros schießen, sondern erst, wenn es gilt, Verwundete zu verbinden.
Natürlich haben solche Hilfeleistungsaktionen, die ritterlich-anerkennende Geste gegenüber dem Feind, eine ideologische Funktion. Sie verschleiern das faktische Herrschafts-und Ausbeutungsverhältnis zwischen Siegern und Besiegten, verharmlosen die deutsche Krieg-führung und unterstellen den Hereros ein Subordinationsbedürfnis unter den Schutz deutscher Waffen und die Wohltaten deutscher Kultur Es ist schwer zu sagen, in welcher literarischen Gestalt die Ideologievermittlung wirkungsvoller war: in der Form des zwischenzeiligen Rassismus, gekoppelt mit einer geschickten Werbung für die deutsche Armee und einen zivilisationsverbrämten Imperialismus, oder in der unverblümten Artikulation des Kolonisten-und Herrenstandpunktes, wie sie sich bei Erffa und Throta findet. Beide literarischen Strategien kommen in der Kolonialliteratur vor.
VIII.. Zusammenfassung
Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß die Argumentationsmuster für die kolonialistische Politik von Falkenhorst über Throta bis Bayer die gleichen sind: gesellschaftspolitische und wirtschaftliche Interessen fordern angeblich die kolonisatorische Tätigkeit der Deutschen. Während aber die frühen Autoren den Imperialismus als „Kulturarbeit", als segensreichen Transfer europäischer Wert-und Verhaltensvorstellungen sowie technischen Fortschritts nach Afrika rechtfertigen, kennt die nach 1904 erschienene kolonialistische Jugendliteratur solche Legitimationsbedürfnisse nicht mehr. Für sie ist durch den Aufruhr der „Eingeborenen", das „Blutopfer der gefallenen Soldaten" und die Präsenz der deutschen Siedler die Kolonie selbstverständlicher Besitz des Reiches.
Mit der Kriegserfahrung ändern sich auch die Inhalte der Jugendbücher. Die meisten haben die Bekämpfung des Aufstandes zum Gegenstand. Die Folge ist eine deutliche Brutalisierung in Auffassung und Darstellung der Kolonialgeschichte. Keiner der Verfasser macht den Versuch, die Intention der deutschen militärischen Führung, die Aufständischen zu „vernichten", zu leugnen, keiner verschweigt ihre Vertreibung in die Wüste. Unterschiede gibt es lediglich in der Darbietung dieser „Aktion". Während Throta sie im Sinne des Generalstabes als heroische Tat der deutschen Truppen mit markigen Worten feiert, verharmlosen andere Autoren den Genozid als strategische Maßnahme, bedingt und sanktioniert durch das Verhalten der Aufrührer und die Notwendigkeit, die deutschen Staatsbürger zu schützen
Unterschiedlich ist auch die Art und Weise, in der die Schriftsteller auf die Leiden der besiegten Bevölkerung eingehen. Allgemein ist festzuhalten, daß dieses Leiden nicht in der Absicht thematisiert wird, seine Urheber anzuklagen oder den kolonialen Krieg zu diskreditieren; vielmehr wird es eingebettet in einen diffusen Kontext von Menschlichkeit, als unabänderliches Schicksal, das nicht auf Grund ökonomischer Interessen durch militärische Überlegungen und Überlegenheit planvoll herbeigeführt wurde — und ebensogut hätte vermieden werden können —, sondern sich „vollzog". (Das krasseste Beispiel für diese moralische Schizophrenie der Argumentation und die ideologische Indienstnahme der Sprache ist der Generalstabsbericht, der zunächst feststellt, daß die deutschen Truppen den Feind systematisch in die Omaheke, d. h. in den sicheren Tod trieben, und dann behauptet, die Natur ihres eigenen Landes habe die Hereros umgebracht.)
Hinsichtlich der Typisierung der Farbigen läßt sich einerseits eine Kontinuität gewisser Stereotypen, andererseits eine durch den Krieg bewirkte Veränderung nachweisen. Durchgängig gelten die „Schwarzen" als „Naturkinder", die die einfachen Zivilisationsgewohnheiten, wie z. B. ordentliche Tischmanieren, Körper-hygiene, Pünktlichkeit etc. nicht gelernt haben; sie sind abergläubig, undankbar, unzuverlässig, faul, schmutzig und verlogen. Aufgabe der Deutschen ist es, sie nach europäisch-bürgerlichem Modell mit Liebe und Strenge zu arbeitsamen, ordentlichen, gefügigen und treuen Untertanen des Kaisers zu erziehen. Mit dem Krieg wandelt sich das Bild vom exotischen, urwüchsigen, freiheitsliebenden, aber insgesamt harmlosen Wilden zum heimtückischen, grausamen Feind. Ihm ist mit erzieherischen Mitteln nicht beizukommen, er muß mit brutaler Gewalt unterworfen werden, denn er versteht nur die Sprache der Gewalt. Aus dem Schulmeister-Imperialismus der kolonialen Frühzeit wurde ein Militär-Imperialismus, aus der „Kulturarbeit" der Kolonisten die Zwangsarbeit der Kolonisierten.
Anhang
Text 1 Die Forderungen der Siedler: Enteignung der Afrikaner und Arbeitszwang Koloniale Zeitschrift, Nr. 15, 24. Juli 1902 (zitiert nach: Rheinische Missionsberichte, Nr. 9, 1902)
„Es ist wohl kaum eine Regierung in Afrika, ja in der ganzen Welt, die die Eingeborenen mehr verzieht als die hiesige. Selbst die Engländer, ... die mit ihrem ewigen , never shall be slaves'schon Unheil genug angerichtet haben, fassen die Eingeborenen energischer an ... Die Regierung, d. h. Leutwein, steht den Eingeborenen gegenüber etwa auf dem Standpunkt eines Rheinischen Missionars. Es gehört zu den freiwilligen Berufs-pflichten der Missionare — oder wenigstens bilden sie es sich ein —, die Eingeborenen gegen die . Übervorteilungen'der weißen Rasse in Schutz zu nehmen und für die Wahrung der Rechte ihrer schwarzen und braunen Schützlinge einzutreten. Eine Kolonial-regierung dagegen, die nur einigermaßen weiß, wozu sie da ist, ... muß das Ziel haben, die Eingeborenen eines Teils ihres Grund und Bodens zu enteignen, um Land für die Farmer zu schaffen und ihnen einen Teil (und zwar einen beträchtlichen) ihrer Freiheit zu nehmen, um dem weißen Farmer und Ansiedler eingeborene Arbeitskräfte zu sichern, ohne die er verloren ist ... Warum nimmt man sich nicht bei der Lösung der Eingeborenenfrage die wirklich mustergültigen Eingeborenengesetze der Buren zum Vorbild, die keinem Eingeborenen erlauben, selbständig Grund und Boden zu besitzen!"
Text 2 Missionare schildern die Not der Afrikaner in Südwest Rheinische Missionsberichte Nr. 2, 3, 5, 1903 „Die Berichte über den Notstand unseres Landes sind Ihnen ja zugegangen, aber beschreiben kann man solchen Jammer, solches Elend nicht ... Die Sorge um Selbsterhaltung erfüllt alles Sinnen und Denken der Leute, daß sie kaum noch eines anderen Gedanken fähig sind. Für die Arbeitsfähigen hat die Regierung bei ihren Bauten z. T. Arbeit geschaffen, sonst würden noch mehr dem Hunger erlegen sein. Aber, wie mit den Arbeitsunfähigen? ... Einen Bericht nach Windhuk hatte den Erfolg, daß der stellvertretende Gouverneur von Estorff etwas über 2000 Mark für den hiesigen Bezirk bewilligte ... Trotzdem sind bereits 8 Personen dem Hunger erlegen, ohne die Kinder, die an der versiegenden Mutterbrust verhungert sind. Was ich hier mitteile, betrifft nur die Station; allein, draußen im Felde ist es nicht besser. Das sieht man an den eingelieferten Viehdieben, wahre Jammergestalten, von denen mancher schon stirbt, ehe er das Maß seiner Strafe zudiktiert bekommt.
Das ist jetzt eine böse, schwere Zeit für die Herero in diesem Teil des Landes. Es heißt jetzt, die gemachten Schulden bezahlen. Die Händler üben keine Nachsicht mehr ... Zum Teil machen sie sich selbst bezahlt, indem sie in den Kraal des Schuldners gehen und soviel Tiere hinaustreiben, wie ihnen beliebt, und das lassen sich die Herero ruhig gefallen. So etwas hätte früher einer wagen sollen ... Natürlich würde es dahin nicht gekommen sein, wenn die Händler nicht beinahe unbegrenzten Kredit gewährt hätten; diese haben es ja häufig geradezu darauf angelegt, die Leute in Schulden zu bringen; war das doch der einzige Weg, etwas zu verkaufen."
Text 3 Emanzipation der Kolonien als Endziel (zitiert nach G. Noske: Kolonialpolitik und Sozialdemokratie, 1914, S. 224)
Auf dem Kongreß der sozialistischen Parteien in Amsterdam 1904 wurde ein Kolonial-programm entworfen und vorgeschlagen:
„ 1. sich rücksichtslos jedem imperialistischen ... Antrag, jedem kolonialen Eroberungszug und jeder militärischen Ausgabe für die Kolonien zu widersetzen. 2. jedes Monopol, jede große Landkonzession zu bekämpfen und scharf darauf zu achten, daß die Reichtümer der Kolonien nicht von der Klasse der großen Kapitalisten beschlagnahmt werden. 3. rücksichtslos all die greulichen Gewalttaten an die Öffentlichkeit zu bringen, deren Opfer die Eingeborenen sind; für sie die kräftigsten Schutzmaßregeln wider militärische Barbarei und kapitalistische Ausbeutung zu fordern und besonders darauf zu achten, daß sie nicht mit List oder Gewalt ihres Eigentums beraubt werden ... 5. für die Eingeborenen das Maß von Freiheit und Selbständigkeit zu fordern, das ihre Entwicklung vertragen kann, unter dem Gesichtspunkt, daß die vollständige Emanzipation der Kolonien das erstrebte Ziel ist." Text 4 Aus der Rede August Bebels zum Herero-Aufstand vor dem Reithstag am 30. Januar 1905 -(zitiert nach: August Bebel, Sein Leben in Dokumenten, Reden und Schriften, hrsg. von Helmut Hirsch, Köln 1968, S. 220 f.) „Meine Herren, heute befinden wir uns in der Lage, über die Vorkommnisse, die den südwestafrikanischen Aufstand hervorgerufen haben, etwas gründlicher urteilen zu können ... Die Politik, die in Südwestafrika von Seiten der Kolonialverwaltung wie von Seiten der dortigen Beamtenschaft und namentlich auch von Seiten eines Teils der Farmer gegenüber den Eingeborenen seit einer Reihe von Jahren eingeschlagen worden ist, würde unter gleichen Verhältnissen in jedem anderen Lande die gleiche Wirkung gehabt haben ... Man hat vielfach gefragt, woher denn die betreffenden Eingeborenen ihre Waffen bekommen haben ... Es sind den Leuten die Waffen aus ähnlichen Gründen geliefert worden, wie ihnen andere Dinge auch gegeben wurden, nämlich um große Profite auf ihre Kosten zu machen, um vor allen Dingen ihr Land in möglichst großem Umfange in Besitz zu nehmen .. . Weil . . . die Machenschaften eines Teils der Ansiedler und die der Gesellschaften ... wie die eines Teils der Regierungsbeamten darauf hinausgegangen ist, den Eingeborenen möglichst viel Land abzunehmen ,.. haben sich die Eingeborenen in ihren Lebensinteressen auf das schwerste geschädigt gefühlt. Sie mußten sich sagen, daß auf diese Weise der Zeitpunkt bald herannahe, wo ihnen das letzte bißchen Land ... genommen werden würde, und sie ... zu Leibeigenen und Sklaven der ins Land gekommenen Weißen gemacht würden. Ein weiteres, sehr düsteres Kapitel ist das Kapitel der Mißhandlungen ...
Meine Herren, das Recht zum Aufstand, das Recht zur Revolution hat jedes Volk und jede Völkerschaft, die sich in ihren Menschenrechten aufs alleräußerste bedrückt fühlt. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Wenn schließlich nach all diesen Taten, die ich hier vorgetragen habe, schließlich der Aufstand der Hereros ausbrach und dann eine Reihe der schlimmsten Greueltaten von seifen der Aufständischen begangen wurden, so ist das nur die natürliche Folge unserer Kolonialpolitik, des Verhaltens der Ansiedler, kurz, der ganzen Tätigkeit, die von uns aus in Südwestafrika ausgeübt worden ist. (Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.)"
Text 5 Auf den Spuren der Hereros. Dargestellt von der kriegsgeschichtlichen Abteilung I des Großen Generalstabes (zitiert nach: Deutsches Lesebuch für höhere Lehranstalten, hrsg. von J. Hopf und K. Paulsiek, 34. Aufl. 1910, Verlag Mittler, Berlin, S. 437 f.) „Der kühne Verfolgungszug des Hauptmanns Klein bis zur äußersten Grenze menschlicher Leistungsfähigkeit setzte allem, was deutsche Soldaten bisher im Kampfe gegen die Hereros gelitten und geleistet hatten, die Krone auf; wohl niemals ist im Kriege unter gleich schwierigen Verhältnissen ein Feind mit solch rücksichtsloser Zähigkeit bis zum letzten Hauch von Roß und Reiter, im buchstäblichsten Sinne des Wortes, verfolgt worden, und wohl selten hat eine Truppe eine größere Hingabe an den Tag gelegt ... Die Verfolgung der Hereros ... war ein Wagnis gewesen, das von der Kühnheit der deutschen Führung, ihrer Tatkraft und verantwortungsfreudigen Selbsttätigkeit ein beredtes Zeugnis ablegte . . . Diese kühne Unternehmung zeigt die rücksichtslose Energie der deutschen Führung bei der Verfolgung des geschlagenen Feindes in glänzendem Lichte. Keine Mühen, keine Entbehrungen wurden gescheut, um dem Feinde den letzten Rest seiner Widerstandskraft zu rauben; wie ein halb zu Tode gehetztes Wild ward er von Wasserstelle zu Wasserstelle gescheucht, bis er schließlich willenlos ein Opfer der Natur seines eigenen Landes wurde. Die wasserlose Omaheke sollte vollenden, was die deutschen Waffen begonnen hatten: die Vernichtung des Hererovolkes ... Daß den Hereros ihr Rückzug durch die Omaheke in der Tat zum Verhängnis geworden ist, hatten die Erkundungen der ... Aufklärungsabteilungen ... festgestellt. , Die mit eiserner Strenge monatelang durchgeführte Absperrung des Sandfeldes', heißt es in dem Bericht eines Mitkämpfers, . vollendete das Werk der Vernichtung ... Das Drama spielte sich auf der dunklen Bühne des Sandfeldes ab. Aber als die Regenzeit kam, als sich die Bühne allmählich erhellte, ... da enthüllte sich ... das grauenhafte Bild verdursteter Heereszüge. Das Röcheln der Sterbenden und das Wutgeschrei des Wahnsinns, sie verhallten in der erhabenen Stille der Unendlichkeit.'Das Strafgericht hatte sein Ende gefunden. Die Hereros hatten aufgehört, ein selbständiger Volksstamm zu sein." Text 6 C. Falkenhorst: Jungdeutschland in Afrika. Der Baumtöter Leipzig 1894, S. 73 f„ 109 f.
(Bevor der Held, Hans Ruhl, nach Afrika aufbricht, besucht er seinen alten Professor, der ihm folgendes sagt:)
„Da steht das Reich, fest gefügt, gekittet mit Blut und Eisen; keine Kaiserkrone ist mehr auf den Schlachtfeldern zu erstreiten, aber wieviel bleibt noch zu tun, um den stolzen Bau zu vollenden. ... In dem geeinten Reich erwacht immer mächtiger der Wunsch, deutsche Kolonien zu besitzen. Wir wissen ja, welchen Nutzen andere Völker aus ihren überseeischen Besitzungen ziehen, während wir Kolonialwaren ... ihnen für schweres Geld abkaufen müssen. Die Entdecker haben uns gezeigt, daß Afrika ... ein fruchtbares Feld (ist), das noch wüst und brach daliegt, weil es vernachlässigt wird, weil dort drüben noch Millionen Hände der Erziehung zur beglückenden Arbeit harren ... Es gilt, Afrika als nützliches Glied an die Kulturwelt anzuschließen ... Afrika ist groß, es harrt der Zauberer, der Helden der Arbeit, die aus ihm ein neues Indien machen würden. ... Gehen Sie hinaus und arbeiten Sie unverdrossen mit der festen Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Sie werden an Ihrem Wirken tausend Freuden finden ... Eine andere Welt wird Sie umgeben. Mitten unter rohen oder verdorbenen Völkern werden Sie leben, aber der Himmel Afrikas wird auch für Sie Leitsterne haben.“ (S. 9 f.) (Nach seiner Ankunft in Kamerun arbeitet Ruhl auf einer Kakaoplantage, wo er ein Geschwisterpaar vom Stamm der Bakwili, Ekoe und Mudinde, kennenlernt, die er eines Tages in ihrer Hütte besucht): „Aus dem grünen Dickicht des Waldes drang eine melodische menschliche Stimme an sein Ohr. Wer sang da in hellem Sopran? ... Ruhl konnte das Liedchen verstehen ... War es Mudinde, die in der Waldeseinsamkeit ihr Herzeleid klagte? War sie nicht berühmt durch ihren schönen Gesang? ... Als sie den Weißen erblickte, sprang sie auf und rief erstaunt: , Blauauge! ’ Dann war es, als ob sie von Angst erfaßt würde und fliehen wollte, aber Hans Ruhl stand schon neben ihr, erfaßte ihre Hand und fragte: . Fürchtest Du Dich, Mudinde?'Da schaute sie ihm treuherzig in die blauen Augen und sprach lachend: , Nein, die blauen Augen sind gut. Das weiß ich ...'" (Ruhl bleibt eine Weile bei den Geschwistern und nimmt an ihrem Leben teil, eines Tages sagt er zu Mudinde): „ , Höre, ich werde in Mapanja wohnen, mir dort ein Haus bauen, Waren, Tücher, Perlen, Pulver vom Meer heraufbringen lassen und jedem, der mir den weißen Saft (der Kautschukpflanze) bringt, diesen abkaufen. Da werde ich aber auch ein Mädchen brauchen, das in meinem Garten arbeitet und mir das Essen kocht. Das könntest Du tun, Mudinde!'... , Geh Blauauge', sprach sie, ich habe gesehen, daß Du genug Diener und Dienerinnen hast, die für Dich arbeiten. Du bist mit ihnen zufrieden. Und kannst Du das essen, was ich für Dich koche?'Da mußte Blauauge-Kautschukmann herzlich auflachen, und Mudinde lachte mit..." (S. 73 f., 109 f.)
Text 7 Burkhart Freiherr von Erffa: Reise-und Kriegsbilder von Deutsch-Südwestafrika Halle 1904, S. 44 ff.
„Hier in Windhuk erfuhren wir viele traurige Details: was für ein furchtbarer Aufstand, meine lieben Eltern! Ein Aufstand, ... wie er planmäßiger und heimtückischer nicht hätte ins Werk gesetzt werden können! ... überall verstümmelte Leichenrestei Dort hatten die Bestien nach Ermordung der Männer die Frauen vergewaltigt und wie Hammel ausgeschlachtet, die eine immer das Schicksal der anderen beobachten lassend! Patrouillen fanden die Leichenteile als Dörrfleisch an die Bäume gehängt: herausgeschnittene Brüste, Arme, Beine. Dort wieder hatten die Hereroweiber halbwüchsige Jungen mit Messern verstümmelt und sie so liegen und sich verbluten lassen! Und soll man da noch an Schonung, an Mitleid denken? ...
Da sehe ich wieder die schwarze Fratze über dem Felsen, einen in Khaki steckenden Arm und einen blitzenden Lauf. Im kleinsten Bruchteil einer Sekunde ist die Büchse am Kopf und abgezogen — und klatschend hat meine Kugel die schwarze Stirn durchbohrt. Doch weiter, hinauf auf die Felsen; die Kerls fliehen ... Dort, halb rechts, flieht einer in riesigen Hechtsätzen zum Ufer hinab — Distanz 150 m — ich ziele ruhig; rums, da bricht er zusammen, mein dritter ... ich stehe ruhig, die Büchse an der Backe; jetzt erscheint ein Hut — ein schwarzer Kopf — Vollkorn und unten angefaßt — eben richtet er sich halb auf, da — er ist erledigt! ...
Gott schenke mir, wenn er mir eine Kugel bestimmt hat, eine gnädige, und lasse mich nicht als Krüppel herumlaufen. Was ist der Tod für W. für eine Erlösung gewesenl Die ganze Kompagnie ist tieftraurig, sie liebten ihn, den netten, flotten Kerl, alle zärtlich! Um 5 Uhr senkten wir die Flagge auf Halbmast, und gleichzeitig brach der seit einer Woche schwül drohende Regen nieder: das Land weinte über den neuen Mord, den seine Kinder auf sich geladen. Was nützt es nun, wenn wir für jeden Fallenden hundert dieser Bestien totschießen? Jeder edle Tropfen eines Weißen ist zu schade für diese schwarzen Teufel. Und wenn man schließlich auch hier zur Ehre des Vaterlandes kämpft und fällt, so ist es doch etwas anderes als ein Krieg — wie der von 1870 — ein Krieg mit ebenbürtigem Gegner ...
Vielleicht findet Ihr meine Denkweise über unseren Feind roh; aber Ihr habt nicht gesehen, was ich gesehen, und wenn man tagelang die zerstückelten Leichen von Männern und Frauen auf den Wegen und in den verkohlten Häusern zusammengelesen hat, dann frißt sich einem ein böser Haß in das Herz! ... Es wird wohl nicht gelingen, zu ergründen, ob hinter dem Aufstand Weiße stecken, aber er ist zu gut, zu planmäßig ausgeführt, ... als daß die Hereros ohne weißen Rat sein könnten ... Unsere Hoffnung ist, daß sich die Hereros, an ihrer Heimat hängend, überall zurückgeworfen, nach einem größeren Gebirgsstock, ... etwa Waterberg zusammenziehen; dann brauchen wir sie nur ... einzukesseln und mit Geschützen hineinzuschießen, bis alles erledigt ist."
Text 8 Helene von Falkenhausen: Ein Farmerheim im Hereroland In: Auf weiter Fahrt. Selbsterlebnisse zu See und zu Lande, bearb. von Gramberg, 1906, S. 28 f.
„Von größter Bedeutung für das wirtschaftliche Leben der Kolonie sind die Eingeborenen. Das Anlernen von ihnen nimmt stets viel Zeit und Geduld in Anspruch. Die Leute kamen direkt von den Werften (Eingeborenensiedlungen) und hatten nicht den leisesten Begriff von Arbeit. Dabei müssen sie ständig beaufsichtigt werden, denn sie sind sehr gleichgültig und oberflächlich in ihren Leistungen. Zur Erleichterung der Aufsicht hatten wir unser Dienstpersonal aus den verschiedenen Stämmen gewählt: ein solch gemischtes Personal hält nämlich niemals zusammen, sondern verrät einander bei jeder Gelegenheit. Im großen und ganzen ist es schwer, mit den eingeborenen Dienstboten fertig zu werden. Ab und zu ein freundliches Wort, ein kleines Präsent ... machen sie arbeitswilliger. Sehr empfindlich sind sie gegen Ungerechtigkeiten, und viel Schelten vertragen sie gar nicht ... Die besten und anspruchslosesten Arbeiter sind die sog. Klippkaffern oder Bergdamaras. Bei ihnen findet man auch noch Spuren von Dankbarkeit und Treue ... Die Eingeborenen, die mein Mann in festen Dienst nahm, erhielten täglich 50 Pfennige Lohn und die übliche Tagesration; die in 2 Bechern Reis oder 1 Becher Reis und 1 Pfund Fleisch bestand. Täglich mußten wir, um Streit unter ihnen zu vermeiden, jedem einzeln seine Kost verabreichen ... Wir hielten stets darauf, daß für ihren Lohn die Leute zunächst sich Kleidung anschafften. Hemd, Hose, Rock und Hut, von jedem ein Stück, ein paar Schuh und vielleicht noch eine Decke zum Schlafen — das mußte jeder haben. Im Grunde machten sie sich recht wenig aus Garderobe. Auch die Behandlung der Sachen ließ manches zu wünschen übrig; gewaschen wurden sie ... überhaupt nicht. Ebenso unsauber waren sie an ihrem Körper; daher hatten wir auch eingeführt, daß jeden Sonntag und Mittwoch die Leute sich und ihre Sachen gewaschen vorstellen mußten. ... Wenn die Eingeborenen irgend können, entziehen sie sich der Arbeit. Bei dem geringsten Kranksein ... melden sie sich , sik‘. Mit der Zeit erst lernten wir die Hereros kennen als maßlos hochmütig, faul und habsüchtig. Daß wir aber ihren Charakter nicht ganz durchschaut hatten, das bewies uns der Aufstand."
Text 9 Gustav Frenssen: Peter Moors Fahrt nach Südwest. Ein Feldzugsbericht Berlin 1906, S. 28 f., 162 ff.
Erste Begegnung mit Afrikanern „Als ich so saß und schrieb, ganz in Gedanken, kam von draußen ein Wundern und Schreien und dummes Gekreische, und ein Schleifen, und Rutschen, und Gleiten, daß ich aufsprang und hinausging. Da erschrak ich und staunte mit offenem Munde. Denn über beide Borde kam es, mit Katzenschleichen und Schlangengleiten, schwarz und lang und halbnackt, mit großen entblößten Gebissen, mit lachenden wilden Menschenaugen, ältere und jüngere, und kleine Jungen, um Brust und Leib ein wenig buntes Zeug, mit Säcken und Töpfen und Kisten. Sie liefen schwatzend und lachend über Deck ganz unbekümmert um unser Staunen und verkrochen sich unter Deck und richteten sich ein. ... In meiner freien Zeit stand ich oft bei den Schwarzen und beobachtete sie, wie sie friedlich beieinander saßen und in gurgelnden Tönen miteinander schwatzten und wie sie um die großen Eßtöpfe hockten, mit den Fingern eine Unmenge Reis zum Munde führten, und mit ihren großen knarrenden Tiergebissen Beine, Gekröse und Eingeweide ungereinigt fraßen; es schien ihnen gar nicht drauf anzukommen, etwas Schmackhaftes zu essen, sondern nur, ihren Bauch zu füllen. Und es schien mir, daß es so stand, nämlic, daß die Leute von Madeira zwar Fremde für uns sind, aber wie Vettern, die man selten sieht, daß diese Schwarzen aber ganz, ganz anders sind als wir. Mir schien, als wenn zwischen uns und ihnen gar kein Verständnis und Verhältnis des Herzens möglich wäre. Es müßte lauter Mißverständnisse geben ...
Verfolgung der Hereros ins Sandieid Je weiter wir in der brennenden Sonne zogen, desto jammervoller wurde der Weg. Wie tief hatte sich das stolze, wilde, höhnende Volk in seiner Todesangst erniedrigt. Wohin ich von meinem müden Pferd herab die Augen wandte, da lag haufenweise all ihr Gut: Ochsen und Pferde, Ziegen und Hunde, Decken und Felle. Und da lagen Verwundete und Greise, Weiber und Kinder. Ein Haufe kleiner Kinder lag hilflos verschmachtend neben Weibern, deren Brüste lang und schlaff herabhingen; andre lagen allein, die Augen und Nasen voll von Fliegen, noch lebend. Irgend jemand schickte unsere schwarzen Treiber; ich denke, die haben ihnen zum Tode verholfen. So wie alles da lag, all dies Leben, so wunderlich verstreut, Tier und Mensch, wie ihm die Knie gebrochen waren, hilflos, schwer, sich noch quälend, oder schon unbeweglich, sah es aus, als wenn es aus der Luft herabgestürzt wäre.
Gegen Abend, da ich mit vier Mann befohlen wurde, zur Seitendeckung im Busch zu reiten, ... sahen wir von ungefähr hinter hohen Büschen einen verlassenen Kapwagen stehen und hörten Menschenstimmen. Wir stiegen aus dem Sattel und schlichen heran und sahen sechs Feinde im lebhaften Gespräch um ein kleines Feuer sitzen. Ich machte mit Zeichen deutlich, auf wen jeder von uns schießen sollte. Vier blieben gleich liegen, der fünfte entfloh. Der sechste stand halb aufgerichtet, schwer verwundet. Ich sprang mit geschwungenem Kolben hinzu. Er sah mich gleichmütig an. Ich wischte den Kolben im Sande rein und warf das Gewehr am Riemen über die Schulter. Aber ich mochte den Kolben den ganzen Tag nicht anfassen ...
Der Schutztruppler lehnte sich in schweren Brustschmerzen an sein Pferd und erzählte mit seiner gequälten Stimme: , Als wir einmal da im Süden mit unserm Hauptmann am Feuer saßen, da sagte er, zwei Millionen Deutsche würden hier wohnen; ihre Kinder, sagte er, würden sicher durchs Land reiten und ihre Gespielen besuchen; und würden unterwegs ihre Pferde an den alten Wasserstellen tränken und an vielen neuen, welche überall gegraben würden. Aber ich werde nichts davon sehn, krank bin ich, schrecklich krank. Habt ihr nicht einen einzigen Tropfen Wasser?'Er hielt sich am Sattel seines Pferdes und sah mit stieren Augen über die Steppe, über welcher die Sterne erschienen.
Der Oberleutnant redete ihm zu und setzte es durch, daß er sich hinlegte; und deckte den Mantel über ihn. Er selbst stand mit der Uhr in der Hand neben seinem Pferd und hob die Uhr im Takt, um sich wach zu halten. So standen wir beide eine gute Weile. Darauf sagte er: . Diese Schwarzen haben vor Gott und Menschen den Tod verdient, nicht weil sie die zweihundert Farmer ermordet haben und gegen uns aufgestanden sind, sondern weil sie keine Häuser gebaut und keine Brunnen gegraben haben.'Dann kam er auf die Heimat zu sprechen und sagte dies und das und meinte: , Was wir vorgestern vorm Gottesdienst gesungen haben: , Wir treten zum Beten vor Gott den Gerechten,'das verstehe ich so: Gott hat uns hier siegen lassen, weil wir die Edleren und Vorwärtsstrebenden sind. Das will aber nicht viel sagen gegenüber diesem schwarzen Volk; sondern wir müssen sorgen, daß wir vor allen Völkern der Erde die Besseren und Wacheren werden. Den Edleren, den Frischeren gehört die Welt. Das ist Gottes Gerechtigkeit.'
Der Schutztruppler war eingeschlafen; der Oberleutnant stand aufrecht, zuweilen ein wenig schwankend, die Uhr in der Hand. Ich stand neben meinem Pferd, halb wachend, halb schlafend. Der Mond ging auf; die Nacht wurde kalt und windig. Nach einer Weile sagte der Oberleutnant: . Aber der Missionar hat doch recht, daß er sagt, daß alle Menschen Brüder sind.'
Ich sagte: . Dann haben wir also unsern Bruder getötet'; und sah nach dem dunklen Körper, der lang im Grase lag.
Er sah auf und sagte mit seiner heisern, schmerzenden Stimme: , Wir müssen noch lange hart sein und töten; aber wir müssen uns dabei, als einzelne Menschen und als Volk, um hohe Gedanken und edle Taten bemühen, damit wir zu der zukünftigen, brüderlichen Menschheit unser Teil beitragen.'Er stand und sah in Gedanken über die weite, mondbeschienene Steppe und wieder auf den stillen, toten Körper.
Ich hatte während des Feldzugs oft gedacht: , Was für ein Jammer! All die armen Kranken und all die Gefallenen! Die Sache ist das gute Blut nicht wert!" Aber nun hörte ich ein großes Lied, das klang über ganz Südafrika und über die ganze Welt, und gab mir einen Verstand von der Sache." Text 10 Wilhelm von Throta: Gegen Kirri und Büchse in Deutsch-Südwestafrika Breslau 1910, S. 62 ff. „Bei dem Anblick des stolzen Kriegsschiffes fuhr den Hereroleuten eine gewaltige Angst in die Glieder ... , Was wollen denn eigentlich die Deutschen mit ihren langen Donner-rohren hier?'fragten sie schüchtern. . Euch und eurem Oberkapitän die großen Mäuler stopfen'... Eine Weile schaute der junge Kommissar dem Boote nach, das seinen Landsmann davontrug. Als er den Blick wandte, standen ihm breitspurig und frech einige Schwarze gegenüber, die sich nun wieder sicher fühlend soeben hinter einem Sandhaufen hervorgekrochen waren. Vogelsang war aber nicht der Mann, sich durch ein solches Gebaren einschüchtern zu lassen. Kurz entschlossen fragte er sie, was sie von ihm wollten. Und als er dann aus ihrem wirren Geschrei heraushören konnte, daß sie zu wissen begehrten, ob er etwa ein Deutscher wäre, antwortete er lachend: . Gewiß, ich bin ein Deutscher, ihr werdet nun auch bald Deutsche sein!', Nix Deutsch!'brüllten sie da in ihrem Kauderwelsch. „Alle Deutsche raus aus dem Land! hat Kamahero befohlen. Mach, daß du auch mit Schiff wegkommst, sonst schlagen wir dich tot!'. Meint ihr wirklich? ’ erwiderte Vogelsang, gelassen nach seiner Büchse greifend. Diese unerschrockene Art machte allem Anschein nach Eindrude auf die schwarzen Kerle. , Aber Kamahero befohlen!', wagte einer schüchtern zu bemerken. . Kamahero kann viel befehlen', sagte der Deutsche. . Doch nun hört auf mit eurem Geschwätz! ... Nun macht euch aber schleunigst fort und führt meine Befehle pünktlich aus!'Ohne sich recht darüber klar zu werden, weshalb sie sich dem Willen des fremden Mannes so widerstandslos fügten, trollten sich die Schwarzen davon."
Text 11 Maximilian Bayer: Die Helden der Naukluft Leipzig, 1912, S. 7 ff., 162 f. „Den Schutztrupplern voran kletterte ein halbnackter Eingeborener über das Geröll. Es war ein sehniges, braunes Kerlchen, ein Zwerg von jener seltsamen Buschmannsrasse, die man für die aussterbende Urbevölkerung Südafrikas hält. Der nur mit Bogen und Giftpfeilen bewaffnete Wilde hielt den Kopf meistens zum Boden geneigt, wo sein scharfer Blick auf dem harten Gestein eine breite Spur verfolgte ... Die Schutztruppler sprangen aus dem Sattel und begannen den Aufstieg ... Der Buschmann jedoch schien keine Lust zu haben, ihnen zu folgen. Er hockte sich mißmutig auf die Erde, schlang seine hageren Arme um die Schienbeine und suchte mit mißtrauischen Blicken die Steilwände der Schlucht ab. Unwillig drehte sich der Gefreite Tann um und rief: , Los, Uruib! Weißt du nicht mehr, was der Gouverneur gesagt hat? Er läßt eure gefangene Werft erst wieder frei, wenn du uns geholfen hast, Hendriks Schlupfwinkel zu finden. Also los, du gelbes Biest, wir müssen oben sein, bevor es dunkelt. Dann erst rasten wir und du kriegst Platten und Suppi (Tabak und Schnaps). ’ ...
Bertram Kölling konnte mit seinen wenigen Reitern allein die Verfolgung zunächst nicht aufnehmen. Deshalb wendete er sich nun dem Platze zu, wo die Schrapnells in die Masse des Hottentottenvolkes geschlagen hatten. Ein Bild der Verwüstung und des Jammers bot sich ihm dort. Tote und Verwundete lagen ausgestreckt unter und neben den umgestürzten Wagen, ... große Massen von Vieh irrten vor Durst brüllend umher. Frauen und Kinder, die erschöpft zurückgeblieben waren, hockten an der Erde und blickten stumpf und in ihr Schicksal ergeben vor sich hin. Bertram Kölling stieg mit seinen Kameraden ab und mühte sich, den Verletzten zu helfen ... Ein Kind wurde verbunden und auf eines der Pferde gesetzt, damit es nicht dem Durst und dem Hunger zum Opfer fiel. Bereitwillig eilten die deutschen Reiter von einem zum anderen, um die Not zu lindern, soweit es in ihren Kräften staad.“