In dieser Zeitschrift sind einige Aufsätze über den Palästinakonflikt erschienen, die ein entstelltes Bild über die Grundhaltung der unmittelbar am Konflikt beteiligten Parteien enthalten. Außerdem gibt einer der Verfasser eine unhaltbare Darstellung des Verhältnisses zwischen Antizionismus und Antisemitismus. Es handelt sich um drei Aufsätze in der Ausgabe B 24/76: Uriel Dann, „Grundfaktoren und Grundhaltungen im Palästinakonflikt", Christoph von Imhoff, „Des Orients längste Krise", Henryk M. Broder, „Antizionismus — Antisemitismus von links?" und um einen Aufsatz in B 23/74: Gideon Weigert, „Araber und Israelis".
Die Ablehnung des jüdischen Gemeinwesens und des Staates Israel durch die Araber wird von diesen Verfassern als eine Ursache für die Friedlosigkeit im Nahen Osten hervorgehoben. Herausforderungen von Seiten der jüdischen Siedler oder Israels werden gar nicht oder nur unzureichend herangezogen. Es wird die Meinung vertreten, daß die Zionisten ein Nebeneinander mit den Arabern in Palästina erstrebt hätten (Weigert und Dann), und da, wo zumindest angedeutet wird, daß man kein Nebeneinander wollte (vom Imhoff), wird dies mit viel Nachsicht mit dem Hinweis auf das hohe Sicherheitsverlangen Israels erklärt, auch wenn der Verfasser es für übertrieben hält.
Die Gleichstellung von Antizionismus und Antisemitismus, die Broder vornimmt, ist nicht nur eine ernst zu nehmende Beleidigung vieler redlich um die Sache bemühter Menschen, sondern kann uns einer gerechten Lösung des Konflikts ebensowenig näher bringen wie die zerrbildhafte Darstellung der Lage im Nahen Osten. Um den Umfang dieser Kritik auf das Wesentlichste zu beschränken, gehe ich nicht auf das Verhältnis zwischen Juden und Arabern in Israel oder die besondere Problematik Jerusalems ein.
Uber die Zeit bis zur Entstehung Israels
Uriel Dann kennzeichnet das Verhältnis zwischen den neu eingewanderten Juden und den in Palästina ansässigen Arabern folgendermaßen: Das jüdische Volk war „introvertiert, im überwältigenden Wunder seiner Wiedergeburt befangen; das andere erstarrt in Ablehnung jedes anderseitigen nationalen Daseins-rechtes".
Es wird immer wieder übersehen, daß die Palästinenser nie um ihre Zustimmung zu einer großangelegten Einwanderung europäischer Juden gebeten worden sind. Darüber hinaus wurde schon früh in diesem Jahrhundert im Laufe der Kolonisierung deutlich, daß die Zionisten das Ziel hatten, ganz Palästina zu übernehmen und die Palästinenser zu entwurzeln. Gelegentlich beteuerten zionistische Führer, sie erstrebten ein Zusammenleben mit den Eingesessenen. Aber bei vielen Anlässen erklärten sie ihre Absicht, das ganze Land für sich zu übernehmen. Chaim Weizmann schrieb z. B. 1915 an den Herausgeber des Manchester Guardian, daß die Juden nach einem britischen Protektorat von zehn bis fünfzehn Jahren „das Land übernehmen". Er stellte sich einen Staat vor, der „so jüdisch wäre, wie England englisch ist" Dies fand eine Bestätigung in ihren Versuchen, die Engländer dazu zu bewegen, die Palästinenser auszusiedeln, wie auch in der darauf folgenden Entwicklung. Die Zionisten haben Land im Namen des jüdischen Volkes gekauft, woraufhin Nichtjuden es weder kaufen noch pachten konnten. Die arabischen Landarbeiter wurden gezwungen, das Land zu verlassen; sie wurden durch jüdische Siedler ersetzt. In den Städten bauten die Einwanderer eine eigene Wirtschaft auf, deren Absicht es war, die arabischen Betriebe zur Aufgabe zu zwingen. Die arabischen Arbeiter wurden von den überall entstehenden Unternehmen ausgeschlossen. Die Juden boykottierten arabische Waren. Dazu entwickelten sie Organe mit staatsähnlichen Funktionen, die gelegentlich sogar gegen die Zuständigkeit der Mandatsregierung verstießen.
Unmißverständlich war der Einsatz der überwältigenden Machtmittel von Seiten der Zionisten. Die Einwanderer genossen einen großen technischen und organisatorischen Vorsprung, während die Palästinenser in einem Feudalsystem lebten, dessen führende Familien miteinander zerstritten waren. Außerdem wurden die Palästinenser, wie ein anglo-amerikanischer Ausschuß berichtete, „von der Macht des westlichen Kapitals, das die jüdische Bevölkerung repräsentiert, überwältigt". Trotz wiederholter Feststellungen von britischen Untersuchungsausschüssen, daß die Zionisten die Übernahme von Palästina beabsichtigten, tat die britische Regierung bis 1939 nichts, um die Einwanderung und die Landkäufe einzuschränken. Der Mandatar bevorzugte die jüdische Wirtschaft, z. B. bei der Zollpolitik. Innerhalb der britischen Armee wurde eine jüdische Armee ausgebildet; gemeinsam hatten sie schon 1939 den palästinensischen Widerstand auf lange Zeit gebrochen la).
Da Dann nicht auf die Einzelheiten der Geschichte eingeht, fällt es ihm natürlich leicht, ihre zukunftsträchtige Bedeutung herunterzuspielen und eine merkwürdige Selbstzerfleischungstheorie für das Schicksal der Palästinenser auszuarbeiten: „wie weit vor 1948 geäußerte Vorhersagen einer zukünftigen Enteignung und Vertreibung einer nüchternen Lagebeurteilung entsprangen, oder einem in der fundamentalen Auffassung des Phänomens verwurzelten Haß-Angst-Komplex, der wiederum den Kern seiner Selbsterfüllung in sich trug — das ist eine Frage, deren Beantwortung vor allem von der Einstellung des Beobachters abhängt. Wahrscheinlich spielt beides mit." Diese Theorie über Erwartungsangst gleicht der Ausrede eines Verbrechers, der sein Opfer erst bedroht und die Angstreaktion dann dafür verantwortlich macht, daß es zu der Untat kommt.
Die Grundhaltung der Zionisten in dieser Zeitspanne zeigt sich auch darin, daß sie schon vor der Abstimmung in der UNO über die Teilung Palästinas (November 1947) militärische Pläne für die Eroberung ganz Palästinas bereit hatten und sie vor der Unabhängigkeitserklärung Israels und dem Einmarsch der arabischen Truppen in die Tat umzusetzen begannen. Nach Yigal Allons Erklärung war die Lage so einzuschätzen: „Wenn die ägyptische Armee nicht eingegriffen hätte, hätten wir ganz Palästina genommen." Weigert zitiert zwar eine Stelle in der Unabhängigkeitserklärung Israels (Mai 1948), wonach die Zionisten während der Kämpfe die Araber zum Bleiben aufgefordert hätten. Aber die vom BBC mitgeschnittenen israelischen Sendungen in arabischer Sprache zeigen das Gegenteil: Sie haben die arabische Bevölkerung durch Drohungen und andere Einschüchterungsversuche zur Flucht getrieben. Auch Terror wie die Ermordung von 250 alten Männern, Frauen und Kindern in Deir Jassin (April 1948) brachte die Flüchtlings-lawine in Rollen
Bis zum Junikrieg 1967
Zur Haltung der Beteiligten zwischen 1949 und dem Krieg von 1967 schreibt Dann: „Israel, im Besitz von nur einem Teil der historischen Heimat, war in seinem Selbstbild von einem ungesättigten zu einem gesättigten Faktor geworden. Die Palästinenser — wiederum in eigener Sicht, auf die es zu ihrem Verstehen ankommt — sahen sich zu Enteigneten und Entrechteten degradiert." Er behauptet weiter, daß der Frieden erhalten geblieben wäre, wenn el Fatah ab 1965 und Syrien keine Überfälle auf Israel verübt hätten, über das Verhalten Syriens behauptet Weigert, die syrischen Batterien hätten „den Tod unter den Bewohnern des darunter liegenden Huleh-Tales verbreitet". Broder sagt das gleiche. Kurz erwähnt sei auch von Imhoffs Äußerung, daß Nasser vor etwa 15 Jahren in den Dauerkrieg mit Israel geflüchtet wäre, weil er das ägyptische Sozialproblem nicht bewältigen konnte.
Diese bruchstückhafte Darstellung der Ereignisse zu dieser Zeit führt den Leser über den wahren Sachverhalt in die Irre. Einiges muß hier nachgetragen werden: Laut General Burns, dem damaligen Stabschef der UNO-Waffenstillstandskommission, war „das entscheidende Ereignis in der Verschlechterung der Beziehungen" der israelische Angriff vom Februar 1955 auf den Gazastreifen, der hohe Menschenverluste verursachte. Burns führt aus, daß die Ägypter einige Juden wegen Spionageverdachts hingerichtet und einen israelischen Versuch, den Suezkanal zu benutzen, vereitelt hätten. Auch hätte es „gelegentliche Grenzzwischenfälle" gegeben. Er betonte aber, daß diese nicht ausreichten, um von einer Krise zu sprechen Erst nach diesem Überfall sind die „Fedayin" ins Leben gerufen worden.
Burns berichtet auch von der Angewohnheit der israelischen Soldaten, direkt an der Grenze zu patrouillieren; das forderte die Araber, besonders in Spannungszeiten, dazu heraus, Minen zu legen und auf die Patrouillen zu schießen Bums hat die Israelis immer wieder darauf hingewiesen, daß ihre Vergeltungsmaßnahmen, die in keinem Verhältnis zu den arabischen Maßnahmen standen, zu Versuchen führen mußten, den Schaden auszugleichen.
Der Überfall auf Ägypten im Oktober 1956, der von England, Frankreich und Israel gemeinsam geplant und ausgeführt wurde, erfolgte, ohne daß ein ägyptischer Angriff vorlag oder zu erwarten war. Etwa 1 000 ägyptische Soldaten fanden bei der Verteidigung ihres Landes den Tod. Der damalige israelische Außenminister, Frau Golda Meir, rechtfertigte die israelische Teilnahme mit dem Hinweis auf einen Zwischenfall, bei dem eine Anzahl von israelischen Soldaten in Minenfeldern der „Fedayin" ums Leben gekommen oder verletzt worden seien. Nach einem Bericht von General Burns waren die Israelis, die sich entgegen den Vereinbarungen des Waffenstillstandsabkommens mit ihren Militärfahrzeugen in der entmilitarisierten Zone bewegten, in einen Minengürtel geraten Nach Äußerungen von Premier Ben Gurion und General Dayan bestanden die Kriegsziele Israels in der „Befreiung" des Gazastreifens, der Sinai-halbinsel und der Insel von Tiran
Während der damaligen Besetzung des Gaza« streifens haben die Israelis laut Burns „äußerst brutale Druckmittel gegen arabische Zivilisten eingesetzt und dabei eine große Anzahl von ihnen getötet" Hier sei darauf hingewiesen, daß die verschiedenen Leiter der Waffenstillstandskommission in den Jahren zwischen 1949 und 1959 von der Vertreibung von 10 000 Arabern aus von Israel beherrschten Gebieten berichtet haben
000 Arabern aus von Israel beherrschten Gebieten berichtet haben 8).
Die von Weigert, Dann und Broder aufgestellte Beschuldigung, die Syrer wären für die Kämpfe an ihrer Grenze mit Israel verantwortlich, steht im Widerspruch zu dem Bericht der zuständigen Waffenstillstandskommission. Die syrische Artillerie hat nach diesem Bericht erst dann zu schießen begonnen, als israelische Soldaten arabische Bauern von ihren Feldern vertrieben und sie durch israelische ersetzt hatten. Wie der damalige Stabschef, General von Horn, berichtet, ist es „unwahrscheinlich, daß die syrische Artillerie jemals in Aktion getreten wäre, wenn die Israelis nicht so herausfordernd gewesen wären" 9).
Schließlich hatten die Israelis auch noch Wasser aus dem Jordan entnommen, um den Negev zu bewässern, obwohl die Waffenstillstandskommission Einspruch dagegen eingelegt hatte, weil dies zu einer ernsthaften Beeinträchtigung der Anlieger führen würde 10).
Der Krieg von 1967
Der Krieg wird in den hier zur Debatte stehenden Aufsätzen folgendermaßen beurteilt. Von Imhoff: Er sei von den Arabern selbst ausgelöst worden. Weigert: Israel sei in einen Verteidigungskrieg gezwungen worden. Keiner von ihnen geht auf Einzelheiten ein. Broder: „Die Historiker streiten sich heute darüber, ob Nasser wirklich einen Krieg wollte oder nur bluffte. Israel, das an seiner schmälsten Ost-West-Stelle so breit ist wie die Entfernung vom Kölner Dom zum Kölner Flughafen, nämlich 12 km, mochte es nicht auf einen Versuch ankommen lassen und schlug als er-ster los." Er behauptet, daß der Golf von Akaba für Israel doch von erheblicher Bedeutung sei; er wäre Israels einziger Wasserweg nach Asien und Afrika.
Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß Israel die Kampfhandlungen begann, obwohl kein arabischer Angriff zu erwarten war. Dies ist 1972 von vier Mitgliedern des israelischen Generalstabs bestätigt worden Broder sagt nicht, welche Historiker das Gegenteil behaupten oder welche Gründe sie angegeben hätten. Als erstes Glied in den zum Krieg führenden Ereignissen gibt er Nassers Forderung nach Abzug der UNO-Truppen und den Aufmarsch der ägyptischen Truppen an der israelischen Grenze. Die vorangegangene israelische Drohung, das Baath-Regime in Syrien, mit dem Nasser einen Verteidigungspakt abgeschlossen hatte, zu stürzen spielt für Broder keine Rolle. Er hebt auch Nassers Drohung hervor, einen totalen Krieg mit Israel zu führen, versäumt es jedoch, die von Nasser deutlich gemachte Voraussetzung zu erwähnen: „totaler Krieg gegen Israel, wenn es zuerst angreift." Die Auffassung, daß Israel einen Verteidigungskrieg führte, ist auch deswegen falsch, weil Israel die damals von U Thant angebotenen UNO-Schutztruppen ablehnte
Um die wirtschaftlichen Folgen der Sperrung des Golfs von Akaba richtig einzuschätzen, muß zuerst Nassers Blockadeerklärung berücksichtigt werden. Er gab bekannt, daß die Straße von Tiran für israelische Schiffe und für alle jene Schiffe, die strategische Güter zum Hafen von Eilath beförderten, gesperrt worden sei. Nach der israelischen Handels-statistik wurden höchstens 2 Prozent der Ausfuhr und 1 Prozent der Einfuhr auf israelischen Schiffen über Eilath befördert. Ausländische Schiffe, die keine Kriegsgüter an Bord hatten, waren sowieso von der Sperrung nicht betroffen. Bis zum Ausbruch des Krieges war es noch eine offene Frage, ob Ollieferungen, die die einzigen erheblichen Lieferungen ausmachten, gesperrt werden würden. Die USA und England machten einen Kompromißvorschlag, der die Fortsetzung der Ölversorgung Israels durch ausländische Schiffe sichern sollte. Aber die israelische Regierung lehnte den Kompromißplan ab und bestand auf der Durchfahrt für israelische Schiffe. Der israelische Außenminister Abba Eban verlangte, daß die USA für israelische Schiffe „zur Aktion" schreiten, sonst würde Israel allein handeln
Die Zeit nach dem Krieg von 1967
Für diesen Zeitraum ist in den Aufsätzen viel über Israel als Besatzungsmacht und die Friedensbereitschaft der unmittelbar Beteiligten gesagt worden. So von Imhoff: „Es wäre eine Unwahrheit zu behaupten, Israel hätte eine . barbarische. Besatzungspolitik'betrieben, wie man es heute in Propagandaschriften der PLO oder der Arabischen Liga lesen kann. Die Israeli hatten sogar in den ersten Jahren dadurch, daß sie als Besatzungsmacht kaum sichtbar waren und die Araber neue und rentablere Wirtschaftsmetboden lehrten, ausgesprochene Erfolge zu verzeichnen. Die . Politik der offenen Brücken'und die arabische Besucherwelle aus den Nachbarstaaten schienen das Verhältnis tatsächlich zu wandeln. Die Araber auf der Westbank und in Israel verdienten so gut wie noch nie zuvor, das Sozial-system der Histadrut funktionierte ebenso wie, nach anfänglichen Mißgriffen, das Schulsystem." Er bezeichnet die israelische Besatzungsmacht als patriarchalisch. Auch Weigert lobt die Israelis für ihre Bemühungen, das Leben der Araber zu verbessern. Nach der Besetzung „wurden die Industriellen des Westufers dazu aufgefordert, ihre Anlagen zu erweitern, wann immer die notwendigen Kredite und das technische Know-how bereitstanden. Die Anzahl der Beschäftigten verdoppelte sich . . . Dieser Umschwung ist aber auch darauf zurückzuführen, daß beinahe 40 000 Palästinenser in Israel Arbeit fanden. Ihr Lohn ist vergleichbar mit dem, den ein Jude auf einem entsprechenden Arbeitsplatz bekommt, und beträgt ein Vielfaches von dem, was sie vor dem Juni 1967 verdient hatten . . . Die Investitionen auf dem Westufer, die haupt-sächlich von lokalen Kapitalgebern finanziert wurden .. nahmen außerordentlich zu."
Es stimmt, daß die Löhne der in Israel beschäftigten Arbeiter aus den besetzten Gebieten viel höher sind als vor dem Krieg. Auch die Löhne der in Westjordanien Beschäftigten sind trotz der hohen Preissteigerungen etwas gestiegen Dies sollte jedoch nicht als Verdienst der Besatzungsmacht angesehen werden. Wir dürfen nicht übersehen, daß die Zionisten 1948 dieses unterentwickelte Gebiet mit Flüchtlingen überfluteten, wo Hussein sie außerdem zugunsten des Ostufers ausnutzen konnte. Weiterhin bekommen die Arbeiter aus den besetzten Gebieten in Israel die Schmutzarbeit. Während die UNO-Hilfsorganisation sie als Facharbeiter ausbildete, bilden die Israelis sie kurz für die einfachste Arbeit aus Nach dem „Statistical Abstract of Israel 1975" bekommen diese Menschen durchschnittlich die Hälfte des Bruttolohnes der israelischen Arbeiter. Dazu müssen die hohen Kosten und der Zeitaufwand für die Fahrten zu und von der Arbeit — sie dürfen keinen Wohnsitz in Israel haben — gerechnet werden. Einer israelischen Pressemeldung zufolge (Maariv, 1. Juni 1973) bekommen sie immer noch nicht die gleichen Sozialleistungen. Mindestens ein Drittel dieser Arbeiter arbeitet schwarz und erhält gar keine Sozialleistungen. Wegen der Beschwerlichkeit der Anfahrt übernachten viele unter menschenunwürdigen Zuständen in Israel Von Imhoff mag recht haben, wenn er behauptet, das Sozialsystem der Histadrut funktioniere ebenso wie das Schulsystem, aber Tatsache ist, daß die Arbeiter aus den besetzten Gebieten von der Gewerkschaft ausgeschlossen sind Es ist eine große Übertreibung, von einer Gleichbehandlung dieser Menschen zu sprechen.
Hinzu kommt, daß der Abzug der Arbeiter aus den besetzten Gebieten tiefgreifende gesamtwirtschaftliche Folgen für diese Gebiete hat. 1968 waren es 5 000 und im September 1974 bereits 68 100, die in Israel arbeiteten. Das waren ein Viertel der Erwerbspersonen und 35 °/o der Arbeiter, die in Westjordanien und im Gazastreifen leben 1974 stammten etwa 30 °/o des Sozialprodukts dieser Gebiete aus dieser Quelle Dieser Umstand hindert den Aufbau einer eigenen Wirtschaft und fördert die Abhängigkeit von Israel. Sollte Israel diese Arbeiter nicht mehr brauchen, würde deren Einkommen und das Sozialprodukt ihrer Wohngebiete zusammenbrechen. Da die kleinen und mittleren Arbeitgeber der besetzten Gebiete — Geschäftsleute, Handwerker und Bauern — die Löhne nicht zahlen können, die von israelischen Arbeitgebern oder den wenigen größeren arabischen Arbeitgebern gezahlt werden, sind sie in großer Zahl in das Proletariat gesunken und arbeiten vorwiegend in Israel
Von Imhoff hat recht, wenn er sagt, daß Israel „neue und rentablere Wirtschaftsmethoden" in den besetzten Gebieten gefördert hat, was auch zu einer Produktionssteigerung geführt hat. Auch die Israelis halten es sich als Verdienst zugute, daß seit ihrer Besetzung Westjordaniens 6, 5mal so viel Kunstdünger und 9mal so viele Traktoren eingesetzt werden Angenommen, daß eine auf diese Weise gesteigerte Produktion wünschenswert ist, bleiben noch zwei Gesichtspunkte zu erörtern. Erstens ist die Zahl der in der Landwirtschaft Beschäftigten stark gefallen. Die Rückkehr in eine landwirtschaftliche Betätigung ist den nach Israel pendelnden Kleinbauern und Landarbeitern durch diese landwirtschaftliche Entwicklung verbaut. Zweitens hat Israel verschiedene Maßnahmen ergriffen, um zu bestimmen, was dort angebaut wird. Dadurch verhindert es die Selbstversorgung der Gebiete, bekommt selber Güter für den eigenen Verbrauch oder für die Ausfuhr nach Europa, die es sonst hätte teuer bezahlen müssen, und steuert die Art und Menge der Güter, die nach Ostjordanien verkauft werden. Zum Beispiel: Der Anbau von Melonen, die früher in großen Mengen nach Ostjordanien und anderen arabischen Ländern verkauft wurden, wurde zugunsten von Kartoffeln, Gemüse, Tabak, Sesam und Zuckerrüben zurückgeschraubt. 1973/74 hat das Westufer 83% seines Bedarfs an Melonen hauptsächlich aus Is-rael eingeführt. Insoweit die jetzt angebauten Produkte ausgeführt werden, gehen sie vorwiegend nach Israel, und zwar für den Eigen-verbrauch, die industrielle Weiterverarbeitung und den Weiterverkauf nach Europa. Dazu ein weiteres Beispiel: Durch Subventionen an die israelischen Geflügelproduzenten sowie andere Maßnahmen hat die Regierung den Absatz der Rindfleisch-, Hammel-und Geflügelproduktion des Westufers stark beeinträchtigt
Wenden wir uns der industriellen Entwicklung zu: Weigerts Bemerkung, „die Industriellen des Westufers" seien nach der Besetzung zu Investitionen angeregt worden, überspielt die Tatsache, daß der Staat Israel israelische Unternehmer seit 1969 mit Zuschüssen ausstattet, damit sie in den besetzten Gebieten investieren. Seit 1972 bietet er ihnen die sehr großen Vorteile an, die Investoren in bevorzugten Entwicklungsgebieten innerhalb Israels selbst bekommen. Wo Israelis gemeinsam mit Arabern von dem Westufer oder dem Gazastreifen Unternehmen führen wollen, bekommen nur die Israelis diese Zuwendungen, was die Araber unter Druck setzt, ihre Gewinnmöglichkeiten mit israelischen Unternehmern zu teilen. Es gibt auch erhebliche Subventionen für bestimmte arabische Unternehmer. Sie sind jedoch auf die Herstellung bestimmter Waren beschränkt, die auf Wunsch der israelischen Regierung nach Jordanien verkauft werden
Die weitere Behauptung Weigerts, die Investitionen seien durch „lokale Kapitalgeber" finanziert worden, läßt aufhorchen. Seit dem Krieg von 1967 sind die jordanischen Banken auf dem Westufer geschlossen. Bei den „lokalen Kapitalgebern" wird es sich wohl eher um israelische Banken handeln. Auch ihnen hat die israelische Regierung 1969 besondere Investitionsanreize geboten, so daß dem israelischen Finanzkapital die Tür zu den besetzten Gebieten geöffnet wurde
Es fällt auf, daß die Industriebetriebe auf dem Westufer, deren Wachstum besonders groß ist, zu bloßen Zulieferern von israelischen Unternehmern geworden sind. Auch hier wird die Entwicklung einer eigenen Industrie behindert
Die untergeordnete Rolle, die die besetzten Gebiete in der israelischen Wirtschaft spielen, zeigt sich auch darin, daß Israel Zölle gegen die Einfuhr von Waren in diese Gebiete aus allen Ländern außer Israel erhebt. 90 % der Einfuhr nach Westjordanien und dem Gazastreifen stammt aus Israel. Diese Gebiete stellen knapp neben den USA den zweitwichtigsten Abnehmer von israelischen Waren dar
Was die „Politik der offenen Brücke" angeht, kann kein Zweifel bestehen, daß die Möglichkeit, die alte Heimat zu besuchen, auch wenn nur als Gast, für die palästinensischen Flüchtlinge wichtig ist. Außerdem ist Ostjordanien immer noch von seiner alten Kornkammer abhängig Aber diese Politik als besondere Großzügigkeit Israel gutzuschreiben, wie es von Imhoff tut, geht an den Tatsachen vorbei. Sie bedeutet für Israel, das ein sehr hohes Zahlungsdefizit hat, eine willkommene Devisenquelle. Es verkauft weitaus mehr nach Ost-jordanien als es kauft. Die Besucher, die sehr viel Geld ausgeben, sind zahlreich; im Sommer sind es bis zu 3 000 am Tag Ein weiterer Vorteil für Israel liegt darin, daß es israelische Waren über Ostjordanien verkaufen kann und damit den arabischen Boykott durchbricht Wie bei allen diesen wirtschaftlichen Maßnahmen ist der Vorteil für die Einheimischen nur ein Nebenprodukt, dessen zeitliche Begrenzung sie nicht beeinflussen können.
Zum Thema: Menschenrechte in den besetzten Gebieten Die arabische Kritik an Israel wegen der Verletzung der Menschenrechte in den besetzten Gebieten bezeichnet von Imhoff als „Völkerverhetzung". „Man verbreitete Broschüren über angebliche Unmenschlichkeiten der Juden gegenüber der arabischen Bevölkerung in den besetzten Gebieten, ohne dafür Beweise zu liefern." Der Auftritt Arafats in der UNO, die Gleichstellung von Zionismus und Rassismus und die Forderung, Israel aus der UNO auszuschließen, stelle einen „Mißbrauch" der UNO dar.
Die Araber beklagen sich in der Hauptsache über die Vertreibung von Zivilisten, die Verweigerung ihrer Rückkehr, die Zerstörung von Häusern auch als Kollektivstrafe, die Besiedlung der Gebiete mit Juden, Folterungen und fortgesetzte Einverleibungen arabischen Grundbesitzes. Solche Maßnahmen stellen eine Verletzung des Genfer Abkommens zum Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten von 1949 dar, das auch von Israel unterzeichnet wurde
In den hier behandelten Aufsätzen ist von solchen Verstößen kaum die Rede, so daß der Eindruck entsteht, daß die Araber ihr Rede-recht in der UNO mißbraucht haben, von Imhoff streift das Problem nur sehr zaghaft, indem er folgende Hinweise auf den israelischen Anteil an der Unzufriedenheit der arabischen Bevölkerung in den besetzten Gebieten gibt: „... die von der Regierung nur ungern gesehene jüdische Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten, der Protestmarsch der Rechtsopposition durch das Westjordanland, deren provokative Gebetsaktionen auf dem Gebiet der moslemischen Heiligtümer und die Ausweisung arabischer Politiker aus der Westbank ..." An einer Stelle spricht Weigert von den „vielen entscheidenden Fehlern, die die Israelis hier gemacht haben", als sie versuchten, die arabische Einstellung gegenüber den Israelis zu verbessern. Allerdings versteckt er die Aussage über „Fehler" im Kleindruck einer Fußnote: „Etwa die in großem Umfange durchgeführten Landkäufe, die Einrichtung von jüdischen Siedlungen auf Land, von dem arabische Bauern vertrieben worden waren." Er setzt den Text mit der Beteuerung fort, daß die Absichten der Israelis „positiver Art" wären. „Fast alle Bemühungen der Militärverwaltung auf dem Westufer waren darauf gerichtet, den Bewohnern bei der Entwicklung ihrer eigenen Gebiete zu helfen, ihren Lebensstandard zu erhöhen, ihr Bildungs-und Gesundheitswesen und ihre Landwirtschaft zu verbessern."
Die Ernsthaftigkeit der Menschenrechtsverletzungen durch Israel ist u. a. vom Roten Kreuz, Amnesty International, der UNO-Hilfsorganisation und anderen nichtpolitischen Untersuchungsgruppen der UNO bestätigt worden. Die Menschenrechtskommission hat bei ihren Untersuchungen diesen Aussagen großes Gewicht beigemessen. Die Vollversammlung, die von der Menschenrechtskommission über die Vorgänge in den besetzten Gebieten unterrichtet wurde, hat erst nach wiederholten, erfolglosen Aufforderungen an Israel, die Vertreibung der Palästinenser und die Besiedlung der Gebiete mit eigenen Leuten einzustellen und sich aus den Gebieten zurückzuziehen, im November 1975 festgelegt, daß der Zionismus ein Fall von Rassendiskriminierung im Sinne der Erklärung der Menschenrechte sei Unter diesem Begriff versteht man jegliches Verhalten, das andere Menschen wegen ihrer Rasse, Hautfarbe, Abstammung, ihres nationalen Ursprungs oder Volkstums unterscheidet, ausschließt, beschränkt oder bevorzugt, so daß die Menschenrechte und die Grundfreiheiten nicht von allen Bürgern in gleicher Weise ausgeübt werden können.
Wie steht es nun bei näherer Betrachtung um die Menschenrechte? 1. Laut UNO sind 350 000 Zivilisten während des Krieges und in den ersten Wochen danach über dep Jordan, weiter nach Syrien hinein und über den Suezkanal geflohen. Ein Sonderbeauftragter der UNO, der die Gründe für die Flucht untersuchte, stellte fest, daß israelische Soldaten arabische Zivilisten während und nach den Kampfhandlungen vertrieben haben Journalisten haben mehrfach bestätigt, daß israelische Soldaten Flüchtlinge über die Allenby-Brücke getrieben haben Das Rote Kreuz berichtet, daß es „. .. schon 1967 mehrmals versucht hat, die verschiedenen Arten von Druck zu unterbinden, der eingesetzt wurde, um die übriggebliebenen Einwohner der Golanhöhen nach anderen Teilen von Syrien zu vertreiben". In seinem ersten Bericht, der die Zeit ab Juli 1967 betrifft, teilt es mit, daß es 80 Ausweisungen aus Westjordanien wegen „staatsgefährdender politischer Betätigung" gegeben habe Seitdem machte es in seinem jährlichen Tätigkeitsbericht auf zahlreiche neue Ausweisungen aufmerksam, wie auch auf seine vergeblichen Versuche, Israel dazu zu bewegen, seinen Verpflichtungen aus dem Genfer Abkommen nachzukommen. Es beanstandete auch die von Israel unterhaltenen Büros, die die Aufgabe hatten, den Auswanderungsentschluß von Arabern mit klingender Münze zu entgelten Die Expertengruppe der Menschenrechtskommission, die aus Fachleuten bestand, die keine Staatenvertreter waren und in der jedes Lager vertreten war (der Westen, die sozialistischen Länder, Afrika und Südamerika), stellte fest, daß die Besatzungsmacht durch verschiedene Zwangsmaßnahmen gegenüber der Zivilbevölkerung ernste Verletzungen des Genfer Abkommens begangen hätte. U. a. wies sie darauf hin, daß Intellektuelle (Richter, Anwälte, Ärzte, Lehrer und religiöse Führer) ausgewiesen wurden, weil sie nicht kollaborierten oder gewaltlosen Widerstand leisteten
Mit ganz wenigen Ausnahmen verweigert Israel den Flüchtlingen die Rückkehr. Bis Ende August 1967 durften trotz der Bemühungen der UNO und des Roten Kreuzes nur 14 000 zurückkehren. Israel gab daß es zwar bekannt, Familienzusammenführungen erlauben würde, aber die von Israel herausgegebenen Richtlinien dafür wurden vom Roten Kreuz beanstandet, da sie „im Ergebnis besonders die erwachsenen Männer daran hinderten, zu ihren Familien in den besetzten Gebieten zurückzukehren". Die Bearbeitung von Härtefällen, wie z. B. die Zusammenführung von Müttern und ihren Kindern, war nach Ansicht des Roten Kreuzes „manchmal kaum mit menschlichen
Erwägungen in Einklang zu bringen" Es hat in den folgenden Berichten wiederholt darauf hingewiesen, daß Israel nur wenige der ohnehin auf besondere Dringlichkeit hin ausgewählten Härtefälle positiv beschieden hätte. Unter den wenigen Fällen von Familienzusammenführungen gab es mehr aus den besetzen Gebieten heraus als in diese hinein.
Das Rote Kreuz sprach sich schon im Oktober 1967 gegen die israelische „Gewohnheit" aus, arabische Häuser in die Luft zu sprengen. Die vielen Fälle, wo die Zerstörungen eine „Bestrafung von Nachbarn" darstellte, fand das Rote Kreuz besonders besorgniserregend. Als in den letzten Monaten 1967 vier Dörfer vollkommen zerstört wurden, wies das Rote Kreuz mit seinem Einspruch die Auffassung zurück, daß diese Handlungen als notwendige Militärmaßnahmen zu rechtfertigen seien Nach der Tötung eines israelischen Offiziers zählte ein Berichterstatter der „London Times“ zwischen 60 und 70 Häuser, die gleich nach der Festnahme von Verdächtigen gesprengt wurden Der stellvertretende Bevollmächtigte der UNO-Hilfsorganisation, John Reddaway, berichtete von der „brutalen Unterdrückung der Zivilbevölkerung" durch die israelischen Militärs. So z. B. hätten israelische Soldaten eine Menge von Behausungen dem Erdboden gleichgemacht, während die Bewohner noch in ihren Betten lagen. UNWRA-Beamten fanden 23 Leichen in den Trümmern Es muß hervorgehoben werden, daß die Unterdrückungsmaßnahmen gegenüber der Zivilbevölkerung schon in den ersten Monaten der Besatzung, d. h. zu einer Zeit, als man überhaupt nicht von einem ernst zu nehmenden Widerstand sprechen konnte, einsetzten
Durch umfangreiche Untersuchungen bei Flüchtlingen außerhalb des israelischen Herrschaftsbereichs ist Amnesty International zu der Überzeugung gekommen, daß es Beweise dafür gibt, daß eine erhebliche Anzahl von Arabern während der Untersuchungshaft in Polizeirevieren oder Internierungslagern gefoltert wurden. Der Forderung von Amnesty International, seine Arbeit in die besetzten Gebieten hineintragen zu dürfen und dort zu einem Abschluß zu bringen, wurde von Israel nicht entsprochen Ein Mitglied des Exekutivkomitees erklärte zu dem Bericht: „Wir haben selten — wenn überhaupt jemals — solch glaubwürdiges Material gehabt, womit das Vorhandensein oder Nicht-Vorhandensein von Folterungen in einem Land belegt werden kann."
Bald nach dem Ende des Krieges von 1967 fing Israel an, in den besetzten Gebieten Juden anzusiedeln. Inzwischen ist diese Entwicklung überall stark vorangetrieben worden. 1974, als Weigerts Artikel erschien, waren es mindestens 40, als die anderen Artikel im Juni 1976 erschienen, waren es schon 68 Siedlungen Die Araber in Ostjerusalem sind von ihren Brüdern in Westjordanien durch ein von Juden dicht besiedeltes Gebiet getrennt worden. Die Ansiedlung von Juden bei Hebron hat laut dem israelischen Rundfunk das Ziel, „eine Mehrheit an jüdischer Bevölkerung in Hebron zu schaffen" Für diesen Zweck wurde arabisches Land enteignet. Als der Bürgermeister sich gegen diese Maßnahmen auflehnte, wurde er vom Militärkommandanten verwarnt — und Regierungskreise in Jerusalem sprachen von einer „antiisraelischen Hetzkampagne" Wie es im Laufe der israelischen Expansion immer wieder geschah, wurden die Anfänge der Besiedlung bei Hebron verharmlost. Nach Darstellung der israelischen Regierung sei es nur „eine kleine Gruppe frommer Juden und ihre Familien, die sich auf eigenen, spontanen Entschluß hin in Hebron niedergelassen haben, einer Stadt, an die sich ehrwürdige Erinnerungen an die Geschichte und die Religion der Juden knüpfen."
In den hier zur Kritik anstehenden Schriften wird die Besiedlungspolitik teils totgeschwiegen, teils aber auch verharmlost, von Imhoffs weiter oben zitierte Andeutung, nur die Rechtsopposition und die wilden Siedler machten sich für die Besiedlung der Gebiete stark, lenkt von der Tatsache ab, daß die Regierung immerhin ein „Ministerial Committee for the Settlement of the Occupied Territories" eingerichtet hat, das von einem Beamten im Ministerrang geführt wird. Darüber hinaus hatte die Regierung die 68 Siedlungen auch genehmigt. Der Streit zwischen Regierung und wilden Siedlern galt nur dem Standort, nicht aber der Maßnahmen selbst
Ich möchte an dieser Stelle zwei zusätzliche Bemerkungen einfügen. Israel hat sich als Unterzeichner des Haager Abkommens zum Schutz von Kulturdenkmälern dazu verpflichtet, sich einer Veränderung des baulichen Charakters von militärisch besetzten Gebieten zu enthalten. Es hat jedoch trotzdem derartige Maßnahmen durchgeführt und die Aufforderung von der UNESCO, diesen Rechtsbruch zu unterlassen, zurückgewiesen
Es gibt auch zu denken, daß der Staat Israel, die Jüdische Agentur und einzelne Privatpersonen umfangreiche Enteignungen bzw. Land-käufe getätigt haben
Zweifelsohne hegt die israelische Regierung die Absicht, in diesen Gebieten zu bleiben. Das gilt nicht nur für die Altstadt Jerusalem, die völkerrechtswidrig von Israel als Teil seines Staates betrachtet wird, sondern auch für die anderen Gebiete Es würde der zionistischen Ideologie entschieden widersprechen, Juden in außerisraelischen Gebieten seßhaft zu machen. Äußerungen von verantwortlichen Israelis gibt es genügend in diesem Sinne. So sagte z. B.der Außenminister Abba Eban am 5. Juni 1972, Israel wäre am Vorabend von Friedensverhandlungen bereit, über 98 0/0 der besetzten Gebiete zu verhandeln — mit Ausnahme von Ostjerusalem, den Golanhöhen, Sharm el-Sheikh und dem Gazastreifen. Und der Premierminister sagte am 10. Oktober 1971: „Unsere Grenzen sind festgelegt durch die Menschen, die entlang der Grenzen leben" von Imhoff gibt einen vollkommen falschen Eindruck von den israelischen Gebietsansprüchen. Er schreibt: Die jüdische Bevölkerung in Israel „stritt darüber, ob die Besatzungsgebiete ganz einzugliedern seien (so die Rechts-opposition) oder ob sie nicht so rasch wie möglich als eine nicht tragbare Hypothek abgestoßen werden sollten. Die Regierung stand zwischen zwei Fronten." Es gibt nur eine kleine, machtlose Minderheit in Israel, die auf diese Gebiete verzichten würde. Das eigentliche Gegenüber der Verfechter der Einverleibung, d. h.des Likud-Blocks und der National-Religiösen, sind Dayan und Alton und ihre Anhänger, die weit davon entfernt sind, völlig auf diese Gebiete zu verzichten.
Sie unterscheiden sich nur in der Frage, ob den Teilen des Westufers, wo die arabische Besiedlung am dichtesten ist, Zivilverwaltungsrechte, vermutlich zugunsten Husseins, eingeräumt werden sollten. Alton, der diese Auffassung vertritt, würde aber auf keinen Fall auf die führende militärische und wirtschaftliche Stellung Israels in den besetzten Gebieten verzichten. Dayan spricht heute nicht von Einverleibungen, ist aber gegen einen Rückzug. In Gegensatz zu Allon setzt er sich, wie der Likud-Block und die National-Religiösen, für die uneingeschränkte Besiedlung auch des Westufers ein. Allon begründet seinen Standpunkt folgendermaßen: Erstens würde eine Einverleibung dieser Gebiete die Araber zu israelischen Staatsbürgern machen, so daß sie bald die jüdische Herrschaft bedrohen könnten, außer wenn man ihnen die Bürgerrechte verweigern würde. Zweitens könnte ein Teil vom Westufer Hussein bei Friedensverhandlungen angeboten werden. Vermutlich ist Dayan mit dem ersten Argument einverstanden
Die Bereitschaft für einen gerechten Frieden
Weigert schreibt zur Friedensbereitschaft seit dem Kriege von 1967: „Dies war eine Zeit, in der Rache und Haß die immer wiederkehrenden Themen auf der einen Seite der Waffenstillstandslinie waren . . . Die von der anderen Seite geäußerte Sehnsucht nach Frieden, die zur gegenseitigen Anerkennung ausgestreckte Hand aber wurde zurückgewiesen". Auch Dann spricht von dem „haßerfüllten Chor totaler Ablehnung" seitens der PLO. von Imhoff: Die Araber hätten „ein Übersoll an Haß erfüllt". Sie könnten aber sicher sein, daß „Haß den Israeli im großen und ganzen fremd ist". Beide Seiten hätten „aus Mißtrauen heraus ihr Sicherheitsdenken überzogen". Die Israelis fürchteten, daß Sadats Versicherung, er würde Israel anerkennen, keine Änderung der Grundhaltung ausdrückt, sondern nur den Wunsch, die Räumung der besetzten Gebiete zu erreichen. Die „eigentliche Sorge" der Israelis gegenüber einem Palästinastaat am Westufer bestünde darin, daß Moskau diesen Staat als „bewaffnete Faust" benutzen würde.
Wenn man die Geschichte der israelischen Herausforderungen betrachtet und nichts verschweigt oder herunterspielt, so muß man feststellen, daß Haßausbrüche und Unsicherheit seitens der Palästinenser und anderer Araber natürlich sind. Warum soll es den Israelis als Tugend angerechnet werden, daß sie die Araber angeblich nicht hassen? Das große Unrecht der Eroberung, Vertreibung und Unterdrückung haben sie an den Palästinensern begangen — und nicht umgekehrt.
Wider jeglichen Zweifel liegt der Hauptgrund für den Unfrieden im Nahen Osten darin, daß Israel an den eroberten Gebieten festhält. Mit der Einverleibung von Jerusalem, den Anfängen der Besiedlung und der menschenunwürdigen Behandlung der Zivilisten in den besetzten Gebieten wurde immer augenscheinlicher, daß Israel bei der Frage: , Die Gebiete ohne Frieden oder Frieden ohne diese Gebiete'den Kriegszustand vorzog. Die wiederholte Beteuerung, man würde den Rückzug aus den besetzten Gebieten gegen einen Friedensvertrag und die Anerkennung Israels eintauschen, entpuppte sich spätestens zu dem Zeitpunkt als Heuchelei, als Israel im Februar 1972 ein entsprechendes Angebot Sadats ablehnte.
Sicherheit als Ausrede: Im Allgemeinen ist es so, daß ein Staat unglaubwürdig wirkt, wenn er einen weitaus schwächeren Gegner wiederholt zerschlägt, bestiehlt, die Möglichkeit eines Ausgleichs ausschlägt und dann von seinem Sicherheitsbedürfnis redet. Natürlich kann er den Begriff im Sinne einer vollkommenen Sicherheit bestimmen, auch wenn kein Land auf Erden so etwas besitzt. Aber eine derartige Begriffsbestimmungen nehmen wir ihm nicht ab. Wir schließen, daß wir es hier mit einem Fall äußersten Machtstrebens und Selbstverherrlichung zu tun haben, von Imhoffs Behauptung, Israel fühle sich unsicher und zögere deshalb, eine vernünftige Lösung anzustreben, muß in diesem Licht gesehen werden. Zudem gibt es genug Äußerungen israelischer Führer, daß auch andere Dinge im Spiel sind
Die Gleichstellung von Antizionismus und Antisemitismus
Broder vertritt die Meinung, daß Antizionisten auch Antisemiten seien. Anscheinend meint er, daß jeder, der „den Zionismus angreift", den Tatbestand erfüllt. Er legt seiner Abhandlung folgende These zugrunde: „Wer den Zionismus angreift, aber beileibe nichts gegen die Juden sagen möchte, macht sich oder anderen etwas vor. Der Staat Israel ist ein Judenstaat, wer ihn zerstören möchte, erKlärtermaßen oder durch eine Politik, die nichts anderes bedeuten kann als eine solche Vernichtung, betreibt den Judenhaß von einst und von jeher." Unter einem Antisemiten versteht er jemanden, der Vorurteile gegen Juden hat, einen strengeren Maßstab für sie ansetzt oder auf die Auslöschung der jüdischen Identität zielt, „weil ihn nicht irgendwelche jüdischen Eigenschaften stören, sondern die Tatsache, daß es Juden gibt. Gleichzeitig hintertreibt er die Assimilation der Juden. Dieser Widerspruch mußte zur physischen Endlösung der Jugenfrage führen".
Er gibt vor, daß die Antizionisten sich vor der Gleichstellung mit Antisemitismus mit zwei Argumenten verteidigen: 1. nicht alle Juden seien Zionisten und 2. nur eine Minderheit der Juden lebe in Israel. Wo Broder dann näher auf das erste Argument eingeht, ändert er es: es gebe Juden, die gegen den Staat Israel sind. Dazu sagt er: „Es gab und gibt auch jüdische Antisemiten." Anscheinend soll man schließen, daß alle Juden, die „gegen den Staat Israel sind", antisemitisch seien, was seiner Hauptthese entspricht. Belege bringt er allerdings nicht. Zu dem zweiten Argument führt Broder aus: Israel sei nicht nur ein Staat für seine Bürger, der Zionismus habe „den Juden" nicht nur wieder eine geographische Heimat, sondern auch das Gefühl gegeben, „nicht mehr vom Wohlwollen der jeweiligen Gastgeber abhängig zu sein. Der Zionismus ist die nationale und politische Emanzipationsbewegung der Juden, deren konkreter Ausdruck der Staat Israel ist".
Tatsache ist jedoch, daß viele Juden den Anspruch der Zionisten, alle Juden von ihren „Gastgebern" befreien zu wollen, als Zumutung empfinden. Aber auch wenn alle Juden Zionisten wären, gäbe es keinen Beweis, daß der Antizionist auch Antisemit ist, da die wesentlichen Merkmale der Begriffe „Zionist" oder „Semit" bzw. „Jude" unterschiedlich sind. Die Frage ist, auf welchen Merkmalen die Gegnerschaft beruht.
Im Mittelpunkt von Broders Aufsatz steht ein Angriff auf „die Linke", womit er politische Gruppen „links der SPD" meint. Sein Aufsatz fängt mit einem Paukenschlag an: „Am 9. August 1938 erschien der , Völkische Beobachter'mit der Schlagzeile: , In Prag regieren die Juden!'Fast auf den Tag genau 30 Jahre später, am 21. August 1968, erschien das Organ des Zentralkomitees der SED , Neues Deutschland'mit einer ganz ähnlichen Artikelüberschrift: , In Prag regieren die Zionisten!'"
Leider werden wenig Leser und Hörer — diese Schrift wurde auch vom NDR/WDR gesendet — Gelegenheit gehabt haben, diese wirkungsvolle Aussage zu überprüfen. „Neues Deutschland" vom 21. August 1968 enthält nirgends eine Titelüberschrift mit dem Wort „Zionismus". Es war die Ausgabe, in der man eine Rechtfertigung für die Intervention in der Tschechoslowakei unternahm. Weder dort noch in einem anderen Artikel in der Ausgabe ist das Wort „Zionismus" gefallen Am Schluß des Aufsatzes behauptet Broder, daß Sprechchöre der KPD in Berlin gefordert hät-ten: „Nieder mit dem jüdischen Volk". Hierfür gibt es keine überprüfbaren Belege.
Broder versucht, den Antisemitismus der Linken zu beweisen, indem er ihre Standpunkte zu einigen den Zionismus betreffenden Fragen untersucht. 1. Die Linke erkläre die Entstehung des Zionismus mit dem angeblichen Versuch des jüdischen Großkapitals, die verfolgten Ostjuden abzuschieben, da diese voller revolutionärer Gedanken steckten und die assimilierten Juden im Westen nur in Schwierigkeiten bringen könnten. Außerdem hätten sich diese Kräfte mit den Imperialisten verbunden. Dazu Broder: a) „Taktisch-ideologische Äußerungen können nicht widerlegt werden." Nehmen wir einmal an, es handelte sich wirklich nur um taktisch-ideologische Äußerungen, so wären sie, insoweit sie Tatsachenbehauptungen enthalten, ebenso widerlegbar wie andere Tatsachenbehauptungen. Wenn Broder seine These beweisen will, muß er zeigen, daß es sich nur um eine Taktik handelt. b) Man könne nicht alles von sozio-ökonomischen Gründen herleiten. Aber Broder geht gar nicht auf die vorhandenen Belege dafür ein, daß die jüdischen Großkapitalisten in diesem Fall den Zionismus unterstützten. Auch wenn die These der Linken über die Entstehung des Zionismus falsch wäre, wäre dies noch kein Beweis dafür, daß die Linke antijüdisch ist, zumal sie politische Entwicklungen überhaupt auf ihren wirtschaftlichen Unterbau abzutasten pflegt. 2. Die Linke umreiße den Zionismus folgendermaßen: „Der Zionismus ist in seinem Charakter und seinem Anspruch auf das . Auserkorensein'eine Ideologie, die prinzipiell ein Volk über andere stellt und damit dessen Herrschaftspolitik legitimieren soll ..." Broder meint dazu, daß das Auserwähltsein eine Last sei, eine Verpflichtung „zu einem unbedingten Gehorsam gegenüber Gottes Weisungen". All dies steht jedoch gar nicht in Widerspruch zu der Meinung, daß der Gedanke des Auserwähltseins als Rechtfertigung für die Unterdrückung eines anderen Volkes benutzt wurde. 3. Die Linke behaupte: „Die zionistischen Siedler verhinderten die Durchführung des 1947 beschlossenen UN-Teilungsplans für Palästina zu ihren Gunsten ..." Tatsache ist jedoch, daß jüdische Truppen mit Kampfhandlungen auch außerhalb des ihnen zugewiesenen Gebiets angefangen hatten, bevor der Plan überhaupt in Kraft treten sollte, und sie eroberten weitaus mehr Land, als ursprünglich für sie vorgesehen war. 4. Die Linke bezeichne Israel als „den schuldigen Teil" an den Kriegen von 1967 und 1973. Ich habe schon weiter oben im Text gezeigt, daß die Gegenbeweise Broders unhaltbar sind. 5. Die Linke kennzeichne die Zionisten und Israel folgendermaßen: Die Zionisten seien „nur durch Terror und Massenmord in den Besitz des palästinensischen Territoriums gelangt"; in Israel zeige sich „der unterdrückerische und menschenverachtende Charakter des israelischen Kolonialistenstaatses sei ein „bis an die Zähne bewaffneter grausamer Feind, der auch vor Völkermord nicht zurückschreckt"; die „israelischen Faschisten kennen kein Erbarmen"; Israel ist ein „mit geraubtem Land und geschnorrtem Geld errichtetes künstliches Gebilde" usw.
So gehässig dieses Bild ist, läßt es sich doch aus dem Verhalten der Zionisten und des israelischen Staates erklären. Man erinnere sich nur an den Ausbruch der Kriege von 1956 und 1967, die Bombardierung von Flüchtlingslagern, die Vertreibung von Zivilisten aus den besetzten Gebieten, Deir Jassin usw. Mit einer solchen Fülle von Belegen für die Unmenschlichkeit des zionistischen Verhaltens fällt es Broder nicht leicht, Vorurteile zu beweisen. So nimmt es kein Wunder, daß er sich immer wieder in die bloße Behauptung flüchtet, es handle sich bei der Linken um antisemitische Vorurteile. 6. Auf die Frage, warum in linken Kreisen ein demokratischer Staat für Juden und Palästinenser angestrebt wird, behauptet Broder, daß es sich einerseits um „Wildwest-Romantik" und andererseits um „politischen Opportunismus und psychische Disposition" handle, d. h. die verschiedenen linken Gruppen ergriffen in bestimmten Fällen Partei, aber sie übten gegenüber dem Unrecht der Länder, die ihre Leitbilder darstellen, starke Zurückhaltung. Auch wenn dem so ist, kann man hierin keinen Beweis für Antisemitismus sehen, sondern höchstens eine Parteilichkeit für das eigene politische Leitbild und gegen das Lager der Feinde, z. B.des westlichen Imperialismus.
Schlußwort
So zerrbildhaft die von den hier kritisierten Autoren gebotenen Darstellungen des israelischen Verhaltens auch sind, muß anerkannt werden, daß einer von ihnen, von Imhoff, sich um eine Lösung bemüht, die bewußt in Gegensatz zu der Politik der israelischen Regierung steht. Er spricht sich für einen Palästinenserstaat auf dem Territorium der besetzten Gebiete aus und macht sich Gedanken darüber, wie dies verwirklicht werden könnte. Die Tatsache, daß viele Verfechter beider Lager in diesem Punkt etwas gemein haben, gibt einen Funken Hoffnung und könnte als Ausgangspunkt zukünftiger gemeinsamer Bemühungen gelten. Darüber darf jedoch nicht vergessen werden, wie übel den Palästinensern mitgespielt wurde und auch weiterhin mitgespielt wird. lSonst laufen wir Gefahr, mit dem Wunsch, keiner Seite weh zu tun, die Sache beim Alten bewenden zu lassen.