Die Arbeit von Heidrun Abromeit „Interessendurchsetzung in der Krise" provoziert Einwände auf drei verschiedenen Ebenen: Einwände gegen den theoretischen Ansatz der „Kapitalmacht", Einwände gegen eine einseitige Beweisführung, die nur wegen der Vernachlässigung entgegenstehender Argumente plausibel erscheint, Einwände schließlich gegen einzelne sachlich unrichtige Darstellungen historischer Tatbestände. Diese sind für den Gesamtzusammenhang zwar von untergeordneter Bedeutung, sie stützen je
I. Einwände gegen den theoretischen Ansatz
In mehrfacher Hinsicht erscheint das Konzept der Kapitalmacht, dessen sich Abromeit zur Erklärung der politischen Wirklichkeit bedient, als nicht ausreichend. Während man ihren Einwänden gegen eine naive Pluralismustheorie weitgehend folgen kann 1), zieht sie den Rahmen ihres Ansatzes auf der Basis einer überholten Klassenanalyse bei weitem zu eng.
1. Eine unzutreffende These von der Antinomie gesellschaftlicher Gruppen
Mit Recht verweist Abromeit auf Olson und Offe wonach die Durchsetzung von Interessen von ihrer Organisationsiähigkeit und ihrer Koniliktlähigkeit abhängig ist. Die Argumentation Olsons erklärt einleuchtend die geringe Neigung deutscher Arbeitnehmer zu gewerkschaftlicher Organisation. Nur 31, 7 Prozent der bundesdeutschen Arbeitnehmer sind in einer der 16 Einzelgewerkschaften des Deutschen Gewerkschaftsbundes organisiert Hiermit wird indessen nicht die Ledoch nachweisbar die einseitig angelegte Interpretation. Die vorliegenden Anmerkungen wollen daher nicht die historisch orientierte Quellensammlung in ihren Einzelheiten wiederlegen; sie nehmen vielmehr Bezug auf den politikwissenschaftlichen Aspekt, der zu Beginn und am Ende der Arbeit zum Ausdruck kommt und mit dessen Hilfe eine unzutreffende Erklärung der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung unternommen wird. gitimation des DGB als Arbeitnehmerorganisation in Frage gestellt. Das Beispiel zeigt nur, daß ein relativ geringer Organisationsgrad der Arbeitnehmer nicht notwendigerweise eine Positionsschwäche der Gewerkschaften zur Folge haben, daß eine Schwäche des einzelnen Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber im organisationstheoretischen Sinn nicht eine Schwäche der organisierten Arbeitnehmerschaft bedeuten muß. Legitimität ist weitgehend eine Frage gesellschaftlicher Einschätzung. Der Deutsche Gewerkschaftsbund gilt ungeachtet seiner relativ geringen Organisationsquote als legitime Sozialpartnerorganisation der Arbeitnehmer. Unverhältnismäßige Macht, die „den Gewerkschaften" in der öffentlichen Meinung zugeschrieben wird, entspringt nicht der prozentualen Organisationsschwäche, sondern dem demonstrierten Selbstverständnis einer allzuständigen Organisation. So äußerten beispielsweise 1974 54 Prozent der Befragten, ihrer Meinung nach übten die Gewerkschaften einen zu großen Einfluß auf das politische Leben in der Bundesrepublik aus In der Einschätzung politischer Macht durch die Öffentlichkeit standen damit die Gewerkschaften an der Spitze aller gesellschaftlicher Organisationen in der Bundesrepublik. Diese Zuschreibung politischen Einflusses bedeutet nicht notwendigerweise, daß die deutschen Gewerkschaften tatsächlich reale Einflußmöglichkeiten in dem ver-muteten Ausmaß besitzen. Sie bildet aber ein Indiz dafür, daß die Gewerkschaften in der Bundesrepublik nicht derart ohnmächtig sind, wie sie Abromeit darzustellen versucht und worauf sie ihr ungerechtfertigtes, weil überholtes Konstrukt des Fundamentalgegensatzes von Kapital und Arbeit als Grundprinzip der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung aufhaut. Es ist hierbei begrüßenswert, daß sie unterhalb dieser präformierenden These sich immerhin um eine differenzierte Analyse bemüht, wenn sie beispielsweise unterschiedliche Interessenlagen und daraus folgend auch unterschiedliches politisches Verhalten der chemischen, elektro-technischen, Maschinenbau-und Schwerindustrie konstatiert.
Auch die Annahme Claus Offes, wonach Voraussetzung für die politische Durchsetzung gesellschaftlicher Interessen ihre Konfliktfähigkeit sei erscheint plausibel; die glaubhafte Androhung von Leistungsverweigerung von Seiten gesellschaftlicher Gruppen ist sicherlich eine der wesentlichen Voraussetzungen für die Definition ihrer Position im politischen Kräftefeld. Die Aktionen der Fluglotsen und der Streik im öffentlichen Dienst im Jahre 1974 sind hierfür eindrucksvolle Beispiele. Andererseits zeigt aber die Studentenbewegung Ende der sechziger Jahre, daß auch im oben beschriebenen Sinne ohnmächtige Gruppen Veränderungen in gesellschaftlichen Teilbereichen bewirken können.
Die These Olsons von der unterschiedlichen Organisierbarkeit gesellschaftlicher Interessen trifft auf Konsumenten eher zu als auf Produzenten, sie trifft auf Arbeitnehmer eher zu als auf Arbeitgeber. Wie oben angedeutet wurde, sagt sie jedoch kaum etwas über die relativen Einflußmöglichkeiten bereits bestehender Verbände aus. Diese können ein relatives Eigenleben führen, solange sie glaubhaft vorzugeben in der Lage sind, die Interessen ihrer Mitglieder zu vertreten. Götz Briefs nannte dies das „autonome Verbandsinteresse". Die Annahme Offes von der Konfliktfähigkeit von Interessen als Voraussetzung für ihre Durchsetzung trifft demnach auf Arbeitnehmer wie auf Arbeitgeber gleichermaßen zu — eine Tatsache, auf die noch zurückzukommen sein wird.
Die einseitige Betonung einer Kapital-Arbeit-Dichotomie greift aber zu kurz, wenn mit ihr, wie es Abromeit versucht, die Durchsetzung gesellschaftlicher Interessen in einer westlichen Industriegesellschaft dargestellt werden soll. Sie tritt in Gesellschaften wie der der Bundesrepublik Deutschland vor den gegensätzlichen Interessen aktiver gegenüber inaktiven Bevölkerungsgruppen eindeutig in den Hintergrund.
Ob man dieses Problem als die Neue Soziale Frage bezeichnen kann, bleibe dahingestellt. Immerhin waren im Februar 1976 — will man noch einmal die Meinungsforschung bemühen — 40 Prozent einer repräsentativen Stichprobe der Meinung, daß es trotz der zahlreichen Interessenverbände in der Bundesrepublik viele Menschen gebe, deren Interessen eigentlich niemand so richtig vertrete Mit 34 Prozent standen Rentner und alte Leute bei weitem an der Spitze der Nennungen Der Ansatz von Abromeit zur Analyse der Interessendurchsetzung in der Krise erscheint wenig beispielhaft für die gegenwärtige Gesellschaft, weil er sich auf die Aktivbevölkerung beschränkt.
2. Interessenausgleich im Konjunkturverlauf
Es ist legitim, die Möglichkeiten der Interessendurchsetzung von Arbeitnehmerorganisationen in der wirtschaftlichen Krisensituation zu untersuchen. Für diese spezielle Situation wird man viele der Feststellungen Abromeits bestätigen müssen. Es bedeutet jedoch eine grobe Verallgemeinerung, wenn man aus dieser prämissenreichen Konstellation der ökonomischen und sozialen Daten ein permanentes (strukturelles) Ungleichgewicht zu Lasten der Gewerkschaften ableitet.
Zwar ist in der Tat die gewerkschaftliche Waffe des Streiks in der Wirtschaftskrise relativ stumpf; um so schärfer ist sie aber in Zeiten wirtschaftlicher Prosperität. Die geringe Streikneigung der deutschen Gewerkschaften entspringt dem „verbandspolitischen Imperativ, die Waffe dieser Sanktionsmittel nicht durch zu häufigen Gebrauch stumpf werden zu lassen"
Dieser Interessenausgleich im Gesamt des Konjunkturverlaufs bleibt in der Untersuchung Abromeits unberücksichtigt, da sie das Thema von vornherein auf die ökonomische Krise einengt. In ihren einleitenden Ausführungen wird die temporäre Schwäche ebenfalls als strukturelles Ungleichgewicht in der Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehung ohne die Relativierung durch die Phasenablösung dargestellt. Mit der knappen Behauptung, wenn bestimmte Gruppen in ihrer Interessen-durchsetzung grundsätzlich benachteiligt seien, müsse sich dies in der Krise zeigen, läßt sich die These eines strukturellen Ungleichgewichts und die Eingrenzung der Betrachtung auf die ökonomische Krisensituation nicht legitimieren. Die Verfasserin definiert ihren Untersuchungsgegenstand derart restriktiv, daß das gewünschte Ergebnis im wesentlichen vorbestimmt ist. Dieses Ergebnis, beschränkt auf die Krise, rechtfertigt jedoch nicht mehr eine zeitunabhängige Aussage über die Chancen der Interessendurchsetzung gesellschaftlicher Gruppen unter den Bedingungen einer marktwirtschaftlichen Ordnung. Die Lektüre des Aufsatzes suggeriert geradezu ein Interesse der Arbeitgeber an einer ökonomischen Krise, in der diese Gruppe ihre politische Macht ausweitet. Da in erster Linie um des Ertrages willen gewirtschaftet wird, erscheint diese Vermutung unrealistisch.
3. Die Unvergleichbarkeit der historischen Situation
Der historische Ansatz Abromeits erscheint auf den ersten Blick plausibel; bei näherer Betrachtung fällt die Unvergleichbarkeit der Einzelelemente auf, die den jeweils beobachteten Zeitraum umreißen. Hierzu gehören die unterschiedliche Kapitalstruktur der Unternehmen, die unterschiedlichen politischen und sozialen Rahmenbedingungen wie auch die unterschiedliche Dimension der Krisen. Es ist unrealistisch, zu behaupten, daß, wenn die Schwierigkeiten der Krise seit 1974 nur ein wenig größer gewesen wären, sie ein ähnlich katastrophales Ergebnis hervorgebracht hätten wie jene nach 1929. Es ist andererseits begrüßenswert, daß Abromeit sich bemüht, die häufig verbreitete grobe Identifikation von Industrie und Nationalsozialismus zu vermeiden. Ob es aber „den empfindlichen Leerstellen" in der historischen Forschung, von denen sie spricht, oder der Konsequenz ihres konfliktorientierten Ansatzes zu verdanken ist, daß sie dennoch schließlich relativ undifferenziert „das Kapital" bemüht, bleibt unklar. Tatsächlich unterschied sich die Kapitalsituation und vor allem die wirtschaftliche Verfügungsgewalt in der Weimarer Republik erheblich von der der Bundesrepublik. In der Weimarer Republik spielten Eigentümer-Unternehmer noch eine erhebliche Rolle, die, über die wirtschaftlichen Interessen ihres Unternehmens hinausgehend, eigene parteipolitische Interessen verfolgten, wie beispielsweise Thyssen, Krupp und Hugenberg. Demgegenüber geriet nach dem Zweiten Weltkrieg der Typus des Managers in den Vordergrund, für den die parteipolitische Orientierung einer Regierung von sekundärer Bedeutung ist. Der vergleichende Ansatz Abromeits vernachlässigt vollständig den Wandel des deutschen Parteien-systems von den Weltanschauungs-und Interessenparteien der Weimarer zu den Volksparteien der Bundesrepublik. Stand in der Weimarer Zeit ein relativ unstrukturiertes Verbandssystem einem sehr stark differenzierten Parteiensystem gegenüber, so ist in der Gegenwart das Gegenteil zu beobachten.
Die Verbände der Wirtschaft . versuchen — wie auch die übrigen Verbände inklusive der Gewerkschaften — ihrer Natur entsprechend auf dieses System Einfluß zu nehmen; Einzelpersönlichkeiten der Wirtschaft haben jedoch in der Bundesrepublik niemals in einem den Weimarer Verhältnissen vergleichbarem Maße Programm und Politik der Parteien beeinflußt. Kann man gegenwärtig von einer tendenziellen Affinität gesellschaftlicher Großorganisationen zu politischen Parteien sprechen, so ist doch angesichts der Tatsache, daß sich alle im Bundestag vertretenen Parteien um die Bildung eines möglichst geschlossenen Systems von Vorfeldorganisationen bemühen, eine eindeutige Zuordnung von Interessenorganisationen zu politischen Parteien nicht mehr möglich. Während die CDU wie auch die CSU über ein solches organisatorisches Geflecht verfügen, beschränkt sich die SPD zur Zeit noch auf Jugendliche, Frauen, Arbeitnehmer und die mittelständisch orientierte Selbständigen-Arbeitsgemeinschaft. Dem Vernehmen nach aber stellt auch sie Überlegungen hinsichtlich einer wirtschaftsorientierten Organisation an. Die FDP bemüht sich seit Jahren mit unterschiedlicher Intensität um die Bildung eines Wirtschafts-bzw. Gewerkschaftsrates
Diese Bemühungen aller Parteien um alle Gruppen der Bevölkerung halten keinem Vergleich mit den Verhältnissen von Weimar stand, als es für die Parteien aufgrund ihrer begrenzten Zielgruppen für den internen Kompromiß überhaupt keine Veranlassung gab.
II. Einwände gegen die Beweisführung
Da es in erster Linie um die Analyse der gegenwärtigen Verhältnisse geht, sollen im folgenden einige Behauptungen Abromeits relativiert werden, die für ihre Beweisführung von grundsätzlicher Bedeutung erscheinen. Unrichtige Details, wie beispielsweise die Behauptung, daß die „Zentralarbeitgemeinschaft der gewerblichen Arbeitnehmer-und Arbeitgeberverbände" (ZAG) durch die Unternehmerseite aufgekündigt worden sei, oder die angebliche Forderung des Deutschen Industrie-und Handelstags (DIHT), nur die Steuern aus unselbständiger Arbeit zu erhöhen mögen hierbei vernachlässigt werden
1. Die unterschiedliche Nähe zum politischen Machtzentrum
Es wird durchgängig der Eindruck vermittelt, als bestehe ein asymmetrisches Verhältnis der Ministerialbürokratie zu den gesellschaftlichen Großorganisationen zugunsten der Wirtschafts-und Arbeitgeberverbände. Tatsächlich bestehen zwischen einzelnen Ministerien und einzelnen Verbänden durch das Arbeitsgebiet begründete Verbindungen, wie auch zwischen einzelnen Verbänden und einzelnen Bundestagsausschüssen besondere Beziehungen existieren. Gewerkschafter beispielsweise halten den Bundestagsausschuß für Arbeit und Soziales weitgehend für ihre Domäne, wie auch die Verbindungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes zum Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung immer besonderer Natur waren. Umgekehrt lag der Vorsitz des Bundestagsausschusses für Wirtschaft seit jeher bei einem Unternehmens-bzw. Verbandsmanager, und zwischen dem Bundesverband der Deutschen Industrie und dem Bundesministerium für Wirtschaft bestanden aufgrund ähnlicher Problemlagen gute Beziehungen Eine Ausnahme bildet im VIII. Deutschen Bundestag die Wahl Dr.
Rainer Barzels zum Vorsitzenden, der innerhalb der CDU als ein Vertreter der Sozialausschüsse der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft verstanden wird.
Hieraus bereits auf eine Asymmetrie der Verbände zum Zentrum der politischen Macht schließen zu wollen, scheint jedoch verfrüht. Untersucht man zum Beispiel den Deutschen Bundestag auf die gewerkschaftliche Organisation seiner Mitglieder, so stellt man seit 1949 stetig Anteil fest, einen gewachsenen der seinen Höhepunkt im VIII. Deutschen Bundestag mit 62, 2 Prozent erreichte Dieser Anstieg ist einerseits erklärbar durch die stetig gewachsene SPD-Fraktion, die zu 98, 2 Prozent gewerkschaftlich organisiert ist, andererseits aber auch — und insbesondere seit der Wahl vom 3. Oktober 1976 -— durch die z. T. erheblich gestiegenen Anteile des Christlichen Gewerkschaftsbundes (CGB) und des Deutschen Beamtenbundes (DBB) auf Grund der Stimmengewinne der CDU/CSU. Die Zahl der hauptamtlichen Gewerschaftsfunktionäre, die für den Bundestag kandidierten, ist sogar von auf 20 gestiegen.
Diese Zahlen geben keine Handhabe dafür, von einer Gewerkschaftsfräktion im Parlament zu sprechen. Sie zeigen jedoch, daß Arbeitnehmerinteressen keine benachteiligte Minderheit darstellen, daß sie vielmehr in beachtlichem Ausmaß in den Meinungs-und Willensbildungsprozeß des Parlaments integriert sind. 15)
Demgegenüber sind hauptamtliche Mitarbeiter von Wirtschaftsverbänden oder Industrie-und Handelskammern in der CDU/CSU-Fraktion des VII. Deutschen Bundestags mit 8 (3, 4 Prozent) und in der FDP-Fraktion mit 2 (4, 8 Prozent) Abgeordneten vertreten gewesen
Die These von der unterschiedlichen Nähe zum Zentrum politischer Macht läßt sich auch nicht vertreten, wenn man die gewerkschaftliche Organisation der Regierungsmitglieder und der parlamentarischen Staatssekretäre betrachtet. Neben dem Bundesminister der Verteidigung, Georg Leber, der Vorsitzender der IG Bau, Steine, Erden war, sind der Bundesminister für Verkehr und für das Post-und Fernmeldewesen, Kurt Gscheidle, sowie der Bundesminister für Forschung und Technologie, Hans Matthöfer, und der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Herbert Ehrenberg, ehemalige hauptamtliche Gewerkschaftsfunktionäre. Sämtliche Minister und parlamentarische Staatssekretäre der SPD gehören einer der DGB-Gewerkschaften an. Bei allem Beharrungsvermögen, das man der Ministerialbürokratie als einer Großorganisation unterstellen mag, muß man dennoch annehmen, daß die Gewerkschaftsorientierung der politischen Spitzen der Bundesministerien Konseguenzen für das Personalwesen gehabt hat und daß die „unternehmerisch-bürokratische Elitendominanz", die Abromeit zitiert, vergangenen Zeiten angehört. Damit bedarf aber das Verhalten der Ministerialbeamten in der wirtschaftlichen Krise seit 1974 einer anderen Begründung als sie Abromeit aus dem verengten Blickwinkel ihres historischen Vergleichs gibt.
2. Die sogenannte strukturelle Asymmetrie
Folgt man den Ausführungen Abromeits, so leiden die Gewerkschaften unter einem Informationsdefizit, das strukturell durch die Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik bedingt wird. Tatsächlich — um nur ein Beispiel zu nennen — suchte Bundeskanzler Schmidt zunächst einmal die DGB-Führung unter ihrem Vorsitzenden Heinz-Oskar Vetter in Düsseldorf auf, um ihr die einschneidenden Haushaltsbeschlüsse des Herbstes 1975 zu erläutern Offensichtlich maß er der Information des Deutschen Gewerkschaftsbundes zu diesen, die Interessen der Arbeitnehmerschaft einschneidend tangierenden Maßnahmen genügend Bedeutung bei, daß er dies tat, bevor er der SPD-Bundestagsfraktion zu seinem Sparprogramm Rede und Antwort stand.
Leider geht Abromeit in ihrer Analyse der jüngsten wirtschaftlichen Krise nicht hinreichend auf ihre Ursachen ein, zu denen der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in seinem Jahresgutachten 1975 feststellt: „Der Rückgang der Investitionsneigung, der aus der Einengung der Gewinnmargen resultierte, schuf damit doppelte Beschäftigungsrisiken: Kurzfristige, weil Nachfrage ausfiel, und mittelfristige, weil weniger neue Arbeitsplätze geschaffen wurden."
Was die Autorin mit dem gegenwärtig beliebten Begriff des „Investitionsstreiks" bezeichnet, ist die sicherlich nicht nur im Sinne einer marktwirtschaftlichen Ordnung rationale Überlegung, daß Kapitaleinsatz nur unter Erwartung von Rendite im weitesten Sinne sinnvoll ist. Verlustträchtige Investitionen führen in jeder Wirtschaftsordnung tendenziell zur Schrumpfung des Unternehmens bzw. zur Schrumpfung der Volkswirtschaft. Ohne in eine Auseinandersetzung über Vor-und Nachteile staatlicher Investitionslenkung eintreten zu wollen, die Abromeit als Abhilfe aus dem von ihr konstatierten Dilemma vorschlägt, kann man feststellen, daß in die zentrale Erarbeitung von Wirtschaftsplänen als Grundlage für Investitionen zentrale Fehlerquellen eingehen und daß die Korrektur von Fehlern der Investitionsplanung notwendigerweise größere Anpassungsfristen benötigt als die dezentrale Anpassungskorrektur durch die einzelne Unternehmung. Der etwaige Hinweis auf die demokratische Kontrolle der Investitionslenkungsgremien berührt einseitig die Frage der Legitimation und nicht die der Effizienz der Entscheidungsträger. „Demokratisierte" Fehlplanung kann jedoch für das politische wie auch das soziale System unangenehmere Folgen haben als die dezentrale und in der Praxis flexiblere Orientierung der Produktion am Marktgeschehen. Auch eine derartige Orientierung verhindert nicht, wie die gegenwärtige Investitions-, Export-und Konsumkrise zeigt, schmerzhafte Friktionserscheinungen. Nach den Ausführungen Abromeits ist nicht einsichtig, daß unter den ökonomischen, sozialen und politischen, Bedingungen der Bundesrepublik Deutschland derartige Friktionen durch eine öffentliche Lenkung der Investitionen vermieden werden könnten.
III. Asymmetrischer Pluralismus
Abschließend soll auf einen neueren Forschungsansatz wenigstens hingewiesen werden, der die Durchsetzung gesellschaftlicher Interessen eher zu erklären vermag als der konfliktorientierte Ansatz von „Kapitalmacht", auf den sich Abromeit stützt.
Der Tübinger Politikwissenschaftler Gerhard Lehmbruch bezeichnet das gegenwärtige Ordnungssystem als „liberalen Korporatismus". Hierunter versteht er ein System, „das nicht mehr als Gegenmodell zur parlamentarischen Parteienregierung verstanden wird, vielmehr mit ihr eine Art funktionale Symbiose eingegangen ist" Lehmbruch sieht diesen „liberalen Korporatismus" gekennzeichnet durch Restriktionen im System des Parteienwettbewerbs. Diese äußern sich in der zunehmenden Bedeutung eines konkurrierenden Subsystems, das er als Verbund von Staatsverwaltung und großen Interessenorganisationen beschreibt. Voraussetzung für das Funktionieren eines solchen Verbundes sei die Integration der Gewerkschaften in den Regelmechanismus des Subsystems. Ihre verteilungspolitischen Zielsetzungen wie auch die Anforderungen an ihre Basisautonomie unterliegen hierbei notwendigerweise gewissen Einschränkungen, weil die Ziele und Handlungsanweisungen nicht mehr von den Mitgliedern, sondern von außerhalb, der Organisation vorgegeben werden. Der Verzicht der Gewerkschaften auf verteilungspolitische Ziele kann aber durch eine Expansion des korporativ kontrollierten Sektors der Volkswirtschaft kompensiert werden.
Hierunter ist die Absicherung der Einkommenspolitik durch eine gewerkschaftlich beeinflußte Vermögenspolitik wie auch eine mögliche „Korporativierung" wichtiger Bereiche der wirtschaftlichen Ordnungspolitik zu verstehen. Lehmbruch verweist in diesem Zusammenhang auf die österreichische Kartell-gesetzgebung nach dem Zweiten Weltkrieg, die im wesentlichen von den Interessenorganisationen vereinbart worden sei und bei der das Parlament lediglich Ratifikationsfunktion übernommen habe. Als bundesdeutsche Parallele mag die sogenannte Hattenheimer Entschließung zwischen dem Deutschen Gewerkschaftsbund und der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände vom 9. Januar 1950 gelten. Da sich die parlamentarischen Auseinandersetzungen um eine Kündigungsschutzgesetzgebung festgefahren hatten, regelten die Spitzen der Arbeitgeber-und Arbeitnehmerorganisationen das Problem unter sich. Die Fraktionen des Deutschen Bundestages griffen die Entschließung als Gesetzesvorlage auf und ratifizierten sie. „Angesichts der symbiotischen Beziehung zwischen Parteien und Interessenorganisationen, wie sie sich in starken personellen Verflechtungen manifestieren, ergibt sich (aber) kein ausgeprägtes explizites Konkurrenzverhältnis. Vielmehr stützen sich das Subsystem der parlamentarischen Parteienregierung und das Subsystem des liberalen Korporatismus — in wechselnden Formen — gegenseitig ab."
Zum Teil ähnliche Überlegungen äußerte Ernst Wolfgang Böckenförde auf einer Seminartagung der Deutschen Vereinigung für Parlamentsfragen vom 27. bis 29. Oktober 1976 in Tutzing. Durch die Tarifträgerorganisationen einerseits und die Großinvestoren andererseits sieht Böckenförde das staatliche Entscheidungspotential (in Parlament und Exekutive) eingeschränkt
Was Lehmbruch als ein wichtiges Problem einer Theorie des Wohlfahrtsstaates in entwickelten kapitalistischen Gesellschaften verfassungsstaatlicher Prägung versteht, bedeutet für Böckenförde die Steuerung des wirtschaftlich-sozialen Prozesses, deren Notwendigkeit sich aus der sozial-und leistungsstaatlichen Zielsetzung moderner Demokratien ergebe: „Soziale Sicherheit, sozialer Ausgleich, wachsender Wohlstand, Vollbeschäftigung, gesellschaftlicher Fortschritt sind Aufgaben, deren Erfüllung durch das politische System nicht nur hingenommen, sondern von ihm explizit erwartet wird, ja sogar zu einem wesentlichen Teil, seine Legitimität begründet." Das politische System ist, im Unterschied zur liberalen Theorie des 19. Jahr-hunderts, in Erfüllung seiner leistungs-und sozialstaatlichen Zielsetzung an der ökonomischen Prosperität interessiert. Im Gegensatz zur Ansicht von Heidrun Abromeit läßt sich aus dieser Tatsache jedoch keine einseitige Interessenabhängigkeit des politischen Systems von einer fiktiven Gruppe von Kapitaleignem ableiten. Die Veränderung des Verhältnisses des politischen zum ökonomischen System bewirkt vielmehr eine Veränderung der Funktion und Bedeutung wirtschaftlich-sozialer Verbände und Interessen-träger.
Böckenförde unterscheidet zwischen den „normalen" Verbänden, „die ihre Ziele im Rahmen und mit Hilfe der allgemein zugänglichen, d. h. jedem Verband, -grundsätzlich je dem Interessenträger zur Verfügung stehenden Mittel verfolgen, und denjenigen, die darüber hinaus Inhaber der Tarifautonomie oder auch der Investitionsfreiheit sind" Im Hinblick auf die letzte Gruppe von Organisationen sei zu konstatieren, daß die verfassungsrechtlich organisierte politische Entscheidungsgewalt, das Parlament, nicht mehr das gesamte in unserem politischen System ausgeübte politische Entscheidungsspektrum umfaßt, weil eben andere Träger politischer Entscheidungsgewalt entstanden sind. Der Staat bzw. das Parlament habe längst nicht mehr eine alleinige Herrschaftskompetenz, sondern müsse diese heute mit gesellschaftlichen Organisationen teilen. Eine Teilnahme solcher Subsysteme an der politischen Entscheidungsgewalt liege immer dann vor, „wenn Verbände oder Interessenträger oder sonstige Rechtssubjekte Entscheidungsfunktionen als Recht innehaben, die für die Erfüllung der dem politischen System (Staat) als notwendig zukommenden Aufgaben einen unerläßlichen Bestandteil bilden"
Unter der Bedingung der leistungs-und sozialstaatlichen Zielsetzung des politischen Systems bedeuten z. B. die geld-und kreditwirtschaftlichen Kompetenzen des Subsystems Bundesbank und die einkommenspolitischen Spielräume des Subsystems Tarifpartner wie auch die Möglichkeit, privatrechtlich über Großinvestitionen entscheiden zu können, eine Teilhabe an der politischen Entscheidungsgewalt. Die Entscheidungen dieser Subsysteme müßten vom politischen System unter den gegenwärtigen rechtlichen Bedingungen als Daten in sein Kalkül eingesetzt werden. Diesen Vorentscheidungen über die Verwendungsseite des Sozialprodukts könne sich weder der Bundestag noch die Bundesregierung entziehen.
Die Tarifautonomie und die Investitionen im nichtstaatlichen Bereich zu belassen, so Bökkenförde in Tutzing, bewahre indessen die staatlichen Entscheidungsträger vor schweren Legitimationsproblemen. Eine Veränderung führe zu erheblichem Legitimationsdefizit und zur Überforderung des politischen Systems. Das Verfassungsproblem, das durch die Einschränkung der sozialstaatlichen Staatsaufgaben durch die neuen politischen Entscheidungsträger entstanden ist, kann weder durch die Verstaatlichung dieser Entscheidungsfunktionen noch durch den Rückzug des Staates aus diesem Bereich gelöst werden.
Der hier — vielleicht allzu gedrängt — umrissene Ansatz des „liberalen Korporatismus" — um in der Terminologie Lehmbruchs zu bleiben — erklärt einleuchtender gewisse Funktionalzusammenhänge zwischen dem politischen System und einzelnen gesellschaftlichen Subsystemen, als dies in Abromeits Darstellungen zum Ausdruck kommt; er läßt schließlich Spielräume für Veränderungen innerhalb des bestehenden Ordnungsrahmens sichtbar werden, da er nicht die gesellschaftliche Entwicklung als ein Naturgesetz begreift.