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Malaysia -Vietnam -Birma. Drei mögliche Wege für Südostasien? | APuZ 10/1977 | bpb.de

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APuZ 10/1977 Artikel 1 Malaysia -Vietnam -Birma. Drei mögliche Wege für Südostasien?

Malaysia -Vietnam -Birma. Drei mögliche Wege für Südostasien?

Holger Dohmen/Rüdiger Machetzki/Oskar Weggel

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Zusammenfassung

Von einer „Einheit in der Vielheit", wie sie von Politikern der Region für die neun Staaten Südostasiens immer wieder gefordert wird, kann in der Praxis bisher nicht die Rede sein. In welche Richtung und nach welchen Leitlinien aber könnte sich eine solche Einheit langfristig entwickeln? Drei mögliche Lösungen zeichnen sich ab, nämlich die gemäßigt „kapitalistische" Option, vorgeführt von Malaysia, der national-kommunistische Weg, wie ihn Vietnam beschreitet, und der Mittelweg ä la Birma. Das malaysische politische System geht — angesichts der aus dem britischen Kolonialerbe übernommenen Weltmarktbindung — grundsätzlich vom „freien Spiel der Kräfte" sowohl in der Wirtschaft als auch in der Politik aus, muß aber unter dem Zwang der „Community" -Spannungen, vor allem des Konflikts zwischen Malaien und Inlandschinesen, immer mehr zu Planungen und Reglementierungen seine Zuflucht nehmen. Wirtschaftspolitik ist insofern zugleich auch immer Rassenpolitik. Vietnam andererseits hat von vornherein den Weg eines „harten", den nach leninistischen Führungsmethoden vom Staat gesteuerten Kurs eingeschlagen, wobei die „Demokratie“ meist zugunsten des „Zentralismus" eingeschränkt wurde. Vietnam ist, einem kräftigen Eklektizismus folgend, z. T.den chinesischen Weg gegangen: es führte die Landreform durch, ohne allerdings die Volkskommunen einzuführen; es übernahm die chinesischen Kampagnenmethoden, ohne allerdings gleich die Kulturrevolution nachzuahmen, und es machte ideologische Anleihen, ohne freilich den Maoismus als ganzen zu transplantieren. Da Vietnam allerdings bis 1975 zum „Kriegskommunismus" gezwungen war, hat sich sein eigentlicher Weg bisher noch nicht ausprägen können. Birma schließlich suchte einen Entwicklungspfad, der — ausgesprochen oder unausgesprochen —von den Vorstellungen eines buddhistischen Wohlfahrtsstaates bestimmt ist, eines Gemeinwesens also, dessen vornehmste Aufgabe darin besteht, seinen Bürgern die materiellen Sorgen abzunehmen und ihnen so die Möglichkeit zu verschaffen, durch Kontemplation und Meditation zur Erkenntnis der Leiderfülltheit allen Lebens und damit letztendlich zur Selbstauslöschung zu gelangen. Der Marxismus taugt in diesem Rahmen zwar als Ideenlieferant (Wirtschaftsplanung, Kollektivierung der Produktionsmittel, Bürokratismusverdammung und volksverbundene Solidarität im Rahmen des „Birmanischen Sozialismus"), wird als Klassenkampf-und Egalisierungsideologie aber abgelehnt. Noch weniger Ansatzpunkte findet der Kapitalismus mit seinen Gewinnmaximierungsprinzipien. Wirtschaftlicher Erfolg ist für einen gläubigen Birmanen ja einzig und allein die Folge eines religiös-und nicht etwa eines wirtschaftlich-„verdienstvollen“ Lebens. Letztlich eignet sich das birmanische Modell nur für eine vom Hinayana-Buddhismus geprägte politische Kultur. Keines der drei obengenannten Länder hat bisher einen wirklich erfolgreichen und damit für die anderen Staaten modellhaften Weg zur Lösung seiner Integrations-, Wirtschaftsund Partizipationsprobleme finden können. Empirisch gesehen sind die einzelstaatlichen Fliehkräfte nach wie vor stärker als die einheitsstiftenden Muster. Die Ursachen hierfür liegen nicht nur im Gegensatz zwischen kommunistischen und nichtkommunistischen Gesellschaftsordnungen, sondern sind überwiegend historischer Natur. Wegen dieser Verschiedenheit bleibt auch ein gesamtregionaler Zusammenschluß vorerst Utopie, zumal ja nicht einmal die gegenwärtig existenten subregionalen Gebilde, wie die ASEAN oder aber das kommunistische Indochina, wirkliche Gemeinschaften bilden. Süd-ostasiens Realität ist die Vielfalt. Seine Einheit bleibt einer ungewissen Zukunft überlassen.

Einheit in der Vielheit

Abbildung 1

„Einheit in der Vielheit" — dieser Leitgedanke der indonesischen Politik darf für ganz Südostasien gelten. Er ist freilich mehr frommer Wunsch als Wirklichkeit; denn in den neun Ländern der Region (Birma, Indonesien, Kambodscha, Laos, Malaysia, Philippinen, Singapur, Thailand und dem seit 1. Juli 1976 vereinigten Vietnam) sind die trennenden Elemente immer noch wesentlich stärker als die verbindenden Gemeinsamkeiten.

Die Vielheit:

Schon die politische und kulturelle Vergangenheit der Länder Südostasiens könnte kaum verschiedener sein. Ihrer kulturellen Prägung nach stammen sie zum Teil aus dem indischen (Thailand, Birma, Laos, Kambodscha), zum Teil aus dem chinesischen (Vietnam, Singapur) und aus dem spanischen Kulturkreis (Philippinen). Was die Religion anbelangt, so gehört die Mehrzahl der Einwohner Thailands, Laos', Kambodschas und Birmas dem Hinayana-Buddhismus, Indonesiens und Malaysias dem Islam, über 80% der philippinischen Einwohner sowie ein Teil der Vietnamesen dem Katholizismus an. Auch das koloniale Schicksal hat für Trennwände gesorgt: Die Völker dieses Raumes standen jahrhundertelang entweder unter englischer (Birma, Malaysia, Singapur), französischer (Vietnam, Laos, Kambodscha), spanisch/amerikanischer (Philippinen) oder holländischer (Indonesien) Kolonialherrschaft. Nur Thailand konnte sich frei halten.

Diese ohnehin schon buntscheckige Staaten-welt ist aber auch in ihren einzelnen Teilen keineswegs einheitlich gefügt: In den meisten Staaten finden sich noch sämtliche menschliche Organisationsformen (vom primitiven Stamm in den Wäldern Sarawaks bis hin zum modern aufgezogenen Nationalstaat), sämtliche Wirtschaftsformen (von der Brandrodung in Nordthailand bis zur modernsten Plantagentechnik und zu industriellen Fertigungsbetrieben) sowie sämtliche Glaubensformen (von der hoch entwickelten Klosterkultur, etwa Thailands, bis hin zur Baumanbetung und Totem-Verehrung), gar nicht zu reden von den zahlreichen säkularen Glaubensansätzen. Hinzu kommen innerregionale Konflikte. Kambodscha lebt in Spannung mit seinen Nachbarn Thailand und Vietnam. Dasselbe gilt von Laos. Thailand „reibt sich" in seinem antikommunistischen Kampf seit Jahren an Laos, Kambodscha und Vietnam. Malaysia hatte wegen der Einbeziehung Sarawaks in seinen Staatenverband jahrelang gegen Indonesien und wegen Sabahs gegen die Philippinen zu kämpfen. Zu Thailand sind die Beziehungen überschattet von der Frage der vier südthailändischen Grenzprovinzen, die von einer malaiisch-muslemischen Bevölkerung bewohnt sind. Singapur hat seine ständige „querelle Malaisienne", muß sich aber auch immer wieder gegenüber seinem Nachbarn Indonesien von dem Verdacht reinigen, zu einem „dritten China" und damit zu einem „roten Infektionsherd" am Rande Indonesiens auszuwachsen.

Die Einheit:

Die „einheit" -stiftenden Elemente nehmen diesen Verschiedenheiten gegenüber immer noch den zweiten Rang ein.

Was zunächst die interregionalen Gemeinsamkeiten anbelangt, so hat sich ein südostasiatisches Zusammengehörigkeits-Bewußtsein merkwürdigerweise später entwickelt als das Zusammengehörigkeits-Imago. Bezeichnenderweise ist selbst der Name „Südostasien" der die Grundzüge einer regionalen Gemeinsamkeit verdeutlichen soll, eine westliche Sprachschöpfung. In der Praxis hat sich dieser Ausdruck anläßlich der Schaffung eines sogenannten Southeast Asian Command während des pazifischen Krieges gegen Japan durchgesetzt.

Lange vor den Europäern/Amerikanern hatten allerdings schon die Chinesen und die Japaner Vorstellungen entwickelt, die auf der Einheit der Länder des „Südlichen Meeres" unter chinesischem bzw. japanischem Einfluß basierten. Die Angst vor einem möglichen Wie-deraufleben solcher tributärer Vorstellungen, wie sie im chinesischen Nanyang-bzw. im japanischen Nanpo-Konzept ruhen, scheint unter den Regierungen des heutigen Südostasien allgegenwärtig zu sein. Drohen nach den großen Unabhängigkeitskämpfen gegen die Kolonialmächte und nach der US-Niederlage in Südostasien neue Formen der Abhängigkeit?

Es scheint, daß die „Igel" -Haltung gegenüber solchen präsumtiven Gefahren stärker zur Herausbildung eines südostasiatischen Gemeinschaftsbewußtseins — zumindest bei den nichtkommunistischen Staaten — geführt hat als der Wunsch nach einer „positiven" Kooperation auf sämtlichen Gebieten.

Einheit besteht aber paradoxerweise auch in der Existenz zahlreicher innerstaatlicher Konfliktherde, die einander auf merkwürdige Art gleichen: Mit Ausnahme von Singapur und Vietnam, neuerdings auch von Kambodscha und Laos sind in den Staaten der Region die desintegrierenden Elemente stärker als die Stabilitätsfaktoren. In keinem der übrigen fünf Länder wurde bisher die längst fällige Landreform durchgeführt, die ja — wie etwa das Modell Taiwan gezeigt hat — wohltuende Entspannungswirkungen mit sich bringen kann. Fast alle diese Staaten müssen mit provozierenden Einkommensdisparitäten, mit einem zum Teil unterentwickelten Schulwesen, mit scharfen „Widersprüchen" zwischen Stadt und Land, Industrie und Landwirtschaft, „Kopf und Hand", zwischen verschiedenen Religionen und nicht zuletzt zwischen „kontemplativer Bevölkerung" und den ansässigen Auslandschinesen sowie mit einer mehr oder weniger ausgeprägten Außenwirtschaftsabhängigkeit leben — und kommen nur mühsam zurecht. Gravierend ist auch die ungelöste Minderheitenfrage; denn organisierte Links-bewegungen und Minoritätenprobleme sind vor allem in den Ländern des südostasiatischen Festlands, d. h. also in Thailand und Birma (früher auch Kambodscha und Laos), eine enge Verbindung miteinander eingegangen. In Malaysia, Singapur und Indonesien spielt die Minoritätenfrage im Zusammenhang mit dem Kommunismus nur eine untergeordnete Rolle, während auf den Philippinen das Problem des sogenannten Moslem-Separatismus erst in jüngster Zeit durch die Intervention der philippinischen Neo-KP explosiv geworden ist.

Von einer wirklichen „Einheit in der Vielheit“ ist Südostasien also noch weit entfernt.

Man müßte die Region — entsprechend ihrem geologischen Charakter — eher als politische Erdbebenlandschaft bezeichnen, in der die Gärungsprozesse noch lange nicht zum Stillstand gekommen sind.

Wie könnte nun eine wirkliche „Einheit in der Vielheit" erreicht werden? Drei Lösungen bieten sich hier an:

— der Nationalkommunismus — vielleicht sogar Regionalkommunismus — nach dem Vietnams, Kambodschas, Vorbild Laos’ und — die Neutralisierung durch Regionalisierung, wie sie im antikommunistischen Sinne etwa durch die ASEAN (Association of Southeast Asian Nations) vorgezeichnet ist, oder aber — ein Weg zwischen diesen beiden Richtungen. Die vorliegende Studie versucht, am Beispiel dreier ausgewählter Staaten (Vietnam, Malaysia, Birma) die Brauchbarkeit dieser drei möglichen Wege zu überprüfen. Die genannten Staaten bieten sich für eine paradigmatische Untersuchung aus folgenden Gründen an:

Vietnam verfolgt seit seiner Unabhängigkeit einen harten leninistisch-sozialistischen Weg, der sich nur partiell an die Erfahrungen der chinesischen Revolution anlehnt.

Dagegen hat die Föderation Malaysia einen antikommunistischen Kurs eingeschlagen. Sie ist darum bemüht, ihren Weg im Rahmen einer „westlich" orientierten Wirtschaftsordnung zu finden. Das Vertrauen auf die gestaltenden Eigenkräfte der Wirtschaft und eine dauerhafte Eingliederung in die Weltwirtschaftsordnung sind die Grundmerkmale des malaysischen Entwicklungsweges.

Birma wurde in diese Analyse miteinbezogen, weil es einen dritten Weg zu gehen versucht, den sogenannten „birmanischen Weg zum Sozialismus".

Bei der Untersuchung der drei Staaten ist nach dem jeweils gleichen Grundschema vorzugehen: Zunächst sind die Charakteristika des „Weges" aufzuzeigen; sodann gilt es unter konflikttheoretischen Aspekten das jeweilige Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft zu untersuchen. Die dabei zutage geförderten Schwierigkeiten werden als „Integrationsprobleme" bezeichnet. In einem zweiten Schritt soll die „Wirtschaftsproblematik" und in einem dritten die „politische Partizipationsproblematik" untersucht werden. Dabei gilt es jeweils, potentielle und tatsächliche Konfliktherde aufzuzeigen, die in Zukunft die innere Entwicklung des jeweiligen Staates möglicherweise gefährden könnten. Historische Rückblenden und Zeittafeln sollen überdies einen möglichst kurzen und umfassenden Einblick in die Entwicklungsgeschichte der drei Staaten geben. In einem vierten Teil soll dann die Außenpolitik der drei Länder dargestellt werden, wie sie einerseits durch die innenpolitische Entwicklung vorgezeichnet ist und wie sie sich andererseits aufgrund der besonderen Einwirkungen Pekings, der künftigen Vormacht Asiens, gestalten wird. Peking verfolgt in Südostasien nicht nur revolutionäre Ziele (Ausschaltung des Imperialismus und seiner „Lakaien" mit Hilfe seiner „linken" und „rechten" Strategie), sondern auch nationale Ziele, unter denen die eigene Sicherheit, das Wiedervereinigungsproblem, d. h. die Taiwan-Frage, und die Möglichkeit der Einflußnahme auf asiatische Nachbarstaaten (in dem Sinne etwa, daß diese den Supermächten keine Gelegenheit zur hegemonialen Entfaltung geben) im Vordergrund stehen.

Malaysia

Abbildung 2

Der malaysische Weg Das politische und wirtschaftliche System Malaysias scheint dem westlichen Beobachter auf den ersten Blick wesentlich vertrauter als die polit-ökonomische Landschaft Vietnams oder aber Birmas. Deshalb soll es hier an erster Stelle behandelt werden.

Vor allem in den ersten Jahren nach der Unabhängigkeit der „Federation of Malaya" im Jahre 1957 und ihrer Erweiterung zur „Federation of Malaysia" (1963) erschien die Regierung als ein Abbild der Westminster-Demokratie, das Wirtschaftssystem als Ebenbild einer „Marktwirtschaft" westlichen Stils und das Land als Ganzes als eine Art „asiatischer Schweiz".

Spätestens seit der Rassenexplosion im Anschluß an die Wahlen von 1969, die von studentischen Unruhen, Arbeiterstreiks und Anschlägen kommunistischer Untergrundgruppen begleitet wurden, trat eine zweite Wirklichkeit sichtbar hervor. Malaysias Existenz unterliegt seitdem einem Wettlauf mit der Zeit: einerseits soll die Wirtschaft möglichst rasch nach dem Vorbild westlich-liberaler Ordnungsvorstellungen, privaten Unternehmertums und außenwirtschaftlicher Eingliederung in das Weltmarktgefüge bewerkstelligt und andererseits die Integration der verschiedenen Teilbevölkerungen, insbesondere der Malaien und Chinesen, durch sozialpolitische Maßnahmen beschleunigt werden.

Mit dieser Doppelpolitik ist zwei Grundgegebenheiten der malaysischen Szenerie Rechnung zu tragen:

Die marktwirtschaftliche Option wurde dem malaysischen Staat gleichsam in die Wiege gelegt: Während der fast 150jährigen Kolonialherrschaft Großbritanniens hatte sich die Malaiische Halbinsel unter der Kontrolle Westminsters und der Londoner City zu ei-nein der maßgebenden rohstofferzeugenden Zentren der Welt entwickelt. Der Aufbau eines weltmarktorientierten Zinnbergbaus und einer modernen Naturkautschukindustrie sorgten von vornherein für eine intensive Verflechtung der einheimischen Wirtschaft mit dem Weltmarkt, wie sie kaum ein zweiter Entwicklungsstaat Asiens aufzuweisen hat. Hinzu kam die wirtschaftliche Verflechtung Malaysias mit Singapore, einem der bedeutendsten internationalen Handelszentren der Welt, das auf die malaysische Wirtschaft einen unwiderstehlich erscheinenden Sog auszuüben schien. Die Eingliederung des Stadtstaates in die Föderation war unter diesen Umständen — wirtschaftlich gesehen — die „natürlichste Sache der Welt". Wenn es gleichwohl schon 1965 wieder zu einem abrupten Ende dieser Verbindung kam, so war dies rassisch-politischen Gründen zuzuschreiben: Malaiische Befürchtungen gegenüber einer chinesischen Vorherrschaft hatten sich als stärker erwiesen als die unbestreitbaren Vorteile einer gemeinsamen Wirtschaftsentwicklung. Der seit 1969 fortglimmende Funke des Konflikts zwischen den Rassen, die beschönigend als „Communities" bezeichnet werden, ist die zweite Grundgegebenheit Malaysias. Von der Lösung dieses Konflikts hängt letztlich die Existenz der polyethnisch strukturierten „Föderation Malaysia" ab.

Wegen der Community-Spannungen konnte sich die Führung nicht länger nur auf die Eigenkräfte der Wirtschaft verlassen, die, sich selbst überlassen, zu einer weiteren Vertiefung des ökonomischen Gefälles zwischen der malaiischen und der chinesischen Community geführt hätten. Die Marktwirtschaft mußte mit anderen Worten durch eine „Planung" ergänzt werden, die zur „New Economic Policy (NEP)" führte. Schon der erste Malaysia-Plan (1966— 70) hatte hier Signale gesetzt. Unter dem Diktat der Rassenspannungen von 1969 wurde diese „Korrektur-Politik" im Rahmen des zweiten Malaysia-Plans (1971— 75) systematisch ausgebaut. Das Hauptziel des zweiten Malaysia-Plans war — neben einer Anhebung der Einkommen und der Schaffung weiterer Beschäftigungsmöglichkeiten — die bewußte Förderung der malaiischen Community, durch die der Vorsprung der Chinesen im eigenen Lande nach und nach eingeholt werden sollte.

Der 1976 einsetzende dritte Malaysia-Plan verstärkte diese bereits bestehende'Grundtendenz: die Landwirtschaft und der öffentliche Tertiärsektor, also die Domänen des Malaien-tums, wurden weiterhin mit Vorrang gefördert. Der Sekundärsektor und der private Tertiärsektor (insbesondere der Handel), also die „ureigensten" Bereiche der chinesischen Community, blieben dagegen weitgehend sich selbst überlassen.

Das malaysische politische System geht also — um das nochmals schlagwortartig zusammenzufassen — grundsätzlich vom „freien Spiel der Kräfte" sowohl in der Wirtschaft als auch in der Politik aus, muß aber — unter den Zwängen der Community-Spannungen — seine Zuflucht immer mehr zu Reglementierungen nehmen. Mit allen nur möglichen Mitteln wird die malaiische Community auf den wirtschaftlichen Sattel gesetzt. Die Zukunft Malaysias wird davon abhängen, ob sie nun auch bald das Reiten lernt.

Integrationsprobleinatik Angesichts der geschichtlichen Hypotheken der Föderation Malaysia ist schon der bisherige Zusammenhalt des Landes als Erfolg zu werten. Die Einwanderung chinesischer Bevölkerungsgruppea hatte sich in den frühen Jahrzehnten des 20. Jh. zu einer wahren Massenbewegung ausgeweitet. Die rasche Entwicklung des malaiischen Zinnbergbaus und der großflächigen Gummiplantagenwirtschaft unter der britischen Kolonialherrschaft hatte zu einem ungeheuren Bedarf an Arbeitskräften geführt, von denen Genügsamkeit und Disziplin erwartet wurde — Eigenschaften also, die der malaiischen Community nach britischer Erfahrung fehlten.

Kein Wunder, daß die Chinesen schon nach wenigen Jahrzehnten eine wirtschaftliche Vormachtstellung errangen, die freilich im umgekehrten Verhältnis zu ihrer politischen Ohnmacht stand; denn es gelang den britischen Kolonialherren, mit einer geschickten Teile-und-Herrsche-Politik den Fortbestand der malaiischen Sultanherrschaft und die verwaltungspolitische Vormacht des Malaientums zu sichern, die ein Gegengewicht zum wachsenden Wirtschaftspotential der chinesischen Community bildete. Dieses dualistische Erbe aus der Kolonialherrschaft ist auch für das heutige Malaysia noch kennzeichnend. Es hat dafür gesorgt, daß die „Communities" heute noch scharfes Eigenprofil zeigen — und weit davon entfernt sind, sich miteinander zu vermischen. Die „Communities" treten nach wie vor als geschlossene Gemeinschaften auf, die sich durch rassische Merkmale, Sprache, Religion, Brauchtum und geschichtliches Bewußtsein voneinander unterscheiden. Die Statistiken weisen die vier „Communities" unter den nahezu 12 Mio. Gesamtbewohnern Malaysias mit rd. 44 °/o Malaien, 36 % Chinesen, 9 0/o Inder und 9 °/o „Eingeborene" aus. Die „Communities" lassen sich nach folgenden Merkmalen grob charakterisieren: — Chinesen: Rd. zwei Drittel dieses Bevölkerungsteils leben in städtischen Gebieten, der große Rest im Zinngrubenrevier von Ipoh und in der Plantagenwirtschaft. Sie besetzen die meisten Bereiche der modernen Wirtschaft, die Mehrzahl aller qualifizierten Fachberufe und der ausgebildeten Industriearbeiterschaft. — Malaien: Die Mehrheit dieser Community lebt in ländlichen Regionen, die teilweise für Chinesen gesperrt sind („Reserved Areas"). Hauptsächlich sind sie in der Landwirtschaft beschäftigt („Bumiputras" = „Söhne des Bodens"). Ihr Anteil an der modernen Wirtschaftsführung des Landes und an den qualifizierten Fachberufen ist niedrig. Sie stellen zumeist die industrielle Massenarbeitskraft. Andererseits beherrschen sie weitgehend das Militär und die öffentlichen Bereiche.

Angesichts des malaiisch-chinesischen Gegensatzes spielen die beiden anderen „Communities" (Inder, Eingeborene) eine untergeordnete Rolle.

Die Politik der Regierung ist langfristig darauf angelegt, den bestehenden Zustand der „Identität der Rasse und der wirtschaftlichen Tätigkeit" durch gezielte entwicklungspolitische Programme aufzuheben. Zu diesem Zweck wird, wie bereits erwähnt, der malaiische Bevölkerungsteil wirtschaftlich systematisch gefördert. Die Malaiisierungspolitik wurde darüber hinaus aber auch verfassungsmäßig, nämlich durch den sogenannten Sedi-tions Act von 1970 verankert. Diese Verfassungsänderung sprach das Verbot aus, folgende fünf Punkte in schriftlicher Form oder öffentlich in Zweifel zu ziehen: — Die verfassungsmäßig verankerte Sonderstellung und die Privilegien der malaiischen Bevölkerung.

— Die Stellung des Islam als Staatsreligion und die Souveränität der Herrscher (Könige, Sultane).

— Den Vorrang der malaiischen Sprache (Bahasa Kebangsaan) als Staatssprache (Bahasa Malaysia). — Die gesetzlich festgelegten Rechte der nichtmalaiischen „Communities".

— Die gesetzlich festgelegten Bedingungen für die Erlangung der malaysischen Staatsbürgerschaft

Der Seditions Act stellt nur die negative Seite der verschärften Community-Politik heraus. Positiv entsprechen ihm die ebenfalls 1970 proklamierten „Fünf Gebote der nationalen Einheit", Rukunegara genannt. Der „Glaube an Gott, die Treue zu König und Staat, die Aufrechterhaltung der Verfassung, die Bewahrung der Herrschaft des Rechts und ein rechtschaffenes moralisches Verhalten" sollen diesem Nationalen Manifest jene quasi-religiöse Kraft verleihen, die Malaien mit dem Wort „Rukun" verbinden, wie z. B. „Rukun Islam", die „Fünf Säulen des Islam"

Die Malaiisierungspolitik, wie sie hier in der Verfassung so offensichtlich hervortritt, äußert sich auch in den öffentlichen Investitionsschwerpunkten des — oben bereits erwähnten — Ersten und Zweiten Malaysia-plans, der die von der malaiischen Community beherrschten Sektoren begünstigt, so z. B. die Landwirtschaft (24% bzw. 27%), die Infrastruktur (16, 5% bzw. 22 %) und die öffentlichen Versorgungseinrichtungen (17% bzw. 20, 5%), während die „chinesischen" Domänen der Industrie und des Handels mit nur 2, 5 % bzw. 7 % bedacht wurden.

Hauptleidtragende dieser Malaiisierungspolitik sind die ärmeren Schichten der chinesischen Community, unter denen sich eine zunehmende Unzufriedenheit ausbreitet. Paradoxerweise reißt die Regierung mit ihrer Politik jene Gräben der „Identität von Rasse und Wirtschaftstätigkeit", die sie eigentlich füllen wollte, noch weiter auf.

Ein zweiter kritischer Bereich für die nationale Integrationspolitik tritt zunehmend im Verhältnis zwischen der Bundesregierung und den Außengebieten auf Nordborneo zutage, die — getrennt durch das Südchinesische Meer — zum Teil über 2 000 km von der Hauptstadt Kuala Lumpur entfernt sind.

Kopfzerbrechen verursacht in erster Linie die Community-Politik gegenüber den „Eingeborenen" des Bundesstaates Sarawak. Die „Ein-geborenen" bilden dort die Mehrheit der 1, 2 Mio. zählenden Bevölkerung und betrachten sich selbst — keineswegs die Malaien! — als „Söhne des Bodens" — ein Anspruch, den die Zentralregierung nicht gelten lassen will. Die Unzufriedenheit der „Eingeborenen" erklärt sich nicht zuletzt aus dem Entwicklungsrückstand Sarawaks gegenüber den Halbinselstaaten: Die Landwirtschaft des Bundesstaates stagniert. Rund die Hälfte des Grundnahrungsmittels Reis muß von der Halbinsel „importiert“ werden. An innerstaatlichen Entwicklungsprogrammen ist zwar kein Mangel (dazu gehören auch Teile des Dritten Malaysiaplans 1976— 1980). doch fehlt es an der nötigen Finanzierungsbereitschaft der Bundesregierung, die hier lieber die asiatische Entwicklungsbank und arabische Scheichtümer (Abu Dah-bi) als Kreditgeber gewinnen möchte Wenn es allerdings um die gewinnträchtige Rohölförderung Sarawaks geht, dann zeigt sich Kuala Lumpur außergewöhnlich aktiv. Verständlichen Separatismusneigungen wurde durch die Ausrufung des „Belagerungszustandes" im Jahre 1966 ein Riegel vorgeschoben. Insofern gleicht die Situation zwischen der Halbinsel und den Borneo-Staaten der einstigen Situation zwischen Westund Ostpakistan. Auch der zweite Nordborneo-Staat, Sabah, fühlt sich von einer angemessenen Beteiligung an der Bundespolitik ausgeschlossen. Dem Regierungschef Sabahs, Tun Mustapha, der auf dem heute philippinischen Sulu geboren wurde, werden sogar Ambitionen zur Gründung einer islamischen Sulu-Sabah-Nation nachgesagt. Die Autonomie dieses 700 000 Einwohner zählenden Staates ist inzwischen soweit gediehen, daß nicht nur das Englische — statt des Malaiischen — als Amtssprache verwendet, sondern darüber hinaus eine sog. „Einwanderungskontrolle" gegenüber Bürgern aus anderen Bundesstaaten der Föderation ausgeübt wird. In der Zwischenzeit ist die Regierung Mustapha allerdings durch Staatswahlen abgelöst worden. Ob die gegenwärtigen Regierungskräfte jedoch eine betont bundesfreundliche Politik zu Lasten der besonderen Interessen Sabahs längere Zeit aufrechterhalten können, bleibt fraglich.

Wirtschaftsproblematik Hat sich die obenerwähnte, so verhängnisvolle „Identität der Rasse und der wirtschaftlichen Tätigkeit" in den letzten Jahren aufgelockert? a) Auf dem Gebiet der Landwirtschaft kann davon nicht die Rede sein. Im Gegenteil: Der Anteil der Malaien an der Beschäftigungszahl ist hier während der letzten 20 Jahre sogar von 60 auf 70 °/o gestiegen, während der chinesische Anteil (tätig vor allem in der Plantagenwirtschaft) auf 20 % sank.

Diese Entwicklung ist deshalb so bedeutungsvoll, weil immer noch die Hälfte aller malaysischen Arbeitskräfte in der Landwirtschaft beschäftigt ist Sie teilen sich dort wiederum zu etwa gleicher Anzahl auf die beiden Hauptbereiche der Dorf-und der Plantagen-wirtschaft auf. Die Dorfwirtschaft — hauptsächlich Naß-Reisanbau — vollzieht sich überwiegend in Familienbetrieben. Mehr als ein Drittel der Reisanbaufläche wird auf Pachtbasis bearbeitet; nur zwei Drittel sind bäuerliches Eigentum Der Schwerpunkt der öffentlichen Investitionen richtet sich auf die Modernisierung und den Ausbau großräumiger Bewässerungssysteme. Sie führten nicht nur zu höherer Erntesicherheit, sondern ermöglichten zudem die Einführung eines jährlichen Zwei-Ernten-Rhythmus. Heute müssen nur noch 15 °/o des Reisbedarfs importiert werden — gegenüber 40 0/0 im Jahre 1960. Angesichts der günstigen Entwicklung in der Agrartechnik konnte die Nahrungsmittelversorgung gesichert und eine ungesunde Landflucht mit den Folgen der Massenarbeitslosigkeit und der sozialen Instabilität vermieden werden. Der Anteil der Stadtbevölkerung liegt nach wie vor nur bei knapp 40 °/o — eine Tatsache, die allerdings gleichzeitig auch die geringe Verschiebung zwischen der malaiischen und der chinesischen Community deutlich macht.

In der Plantagenwirtschaft, die sich auf über 80 °/o der nationalen Anbaufläche erstreckt, sind — im Gegensatz zur Dorfwirtschaft — immer noch zahlreiche Chinesen beschäftigt. Die Verhältnisse sind hier wesentlich instabiler als bei den privaten Kleinbetrieben. Die Plantagenwirtschaft ist extrem exportorientiert und von den Konjunkturzyklen des Weltmarktes abhängig. Rationalisierungsdruck und geringes Umstellungsvermögen führen zu ständig wiederkehrenden Unterren-tabilitätsphasen, Arbeitsplatzunsicherheit und sozialer Krisenanfälligkeit.

Kein Wunder, daß Malaysia im Interesse der Stabilisierung seiner Plantagenwirtschaft zu einem entschiedenen Vorkämpfer langfristig gesicherter Preis-und Liefergefüge auf dem Weltmarkt geworden ist, daß es ferner die Abhängigkeit vom Naturkautschuk (40 0/0 des Weltbedarfs werden in Malaysia produziert!) durch Diversifizierung vermindern will und daß es schließlich auf die Gründung flexibler „Small Holdings" hinarbeitet, die dann allerdings — als Familienbetriebe — dazu beitrügen, daß noch mehr Chinesen aus der Landwirtschaft verschwinden und das Ungleichgewicht zwischen Chinesen und Malaien im Landwirtschaftsbereich vermehrt statt verringert würde.

Trotz aller Einschränkungen gehört die Landwirtschaft zur Habenseite der bisherigen malaysischen Entwicklungsbilanz. b) Die Industrie ist zwar nach wie vor eine Domäne der chinesischen Community, doch beginnt die Förderung der Malaien durch die öffentliche Hand bereits Wirkungen zu zeigen.

Die Industrie ist höchst störanfällig, wie der Fall der Wachstumsrate von 20 0/0 im Jahre 1973 auf nur 1 °/o im Jahre 1975 beweist Erste Schätzungen für 1976 deuten jedoch wieder auf einen Anstieg von mehr als 5 °/o hin. Allerdings beschäftigt die Industrie nur rd. ein Zehntel der malaysischen Arbeitskräfte, so daß selbst unter Hinzuziehung der verschiedenen Rohstoffbereiche wie Zinn (40 °/o der Weltproduktion), Bauxit und Rohöl (Vorkommen auf Nordborneo und neue Felder vor der Halbinsel-Ostküste) nur jede achte Kraft in diesem Sektor beschäftigt ist Die Wachstumsschwankungen haben insofern nur einen verhältnismäßig geringen Einfluß auf die globale nationale Beschäftigungslage. Im übrigen werden allzu krasse Ausschläge auf dem Markt dadurch verhindert, daß bestimmte industrielle Sektoren wie die Rohölförderung und die ölverarbeitende Industrie unter Kontrolle der Staatlichen Erdölgesellschaft Petronas stehen. c) Während der letzten 15 Jahre ist der Tertiärsektor, d. h. das Dienstleistungswesen des Landes, schneller gewachsen als alle anderen Bereiche der Volkswirtschaft. War im Jahre 1960 nur etwa jede vierte Arbeitskraft in diesem Bereich tätig, so sind es heute schon fast 35 % Allerdings ist es nicht der private, sondern der öffentliche Sektor, dem mit einem Anteil von rd. 25 0/0 dieser Aufwärtstrend zuzuschreiben ist. Diese Ausdehnung erstreckt sich nicht nur auf die traditionellen Bereiche Erziehung, Gesundheit und Verkehr, sondern in erster Linie auf die sog. Public Sector Agencies, das sind wirtschaftliche Entwicklungsbehörden der Bundesregierung und der einzelnen Bundesstaaten. Das rasche Wachstum des öffentlichen Tertiärsektors spiegelt zugleich den Aufstieg der malaiischen Community auf Kosten der chinesischen wider. So fiel z. B.der Anteil der Chinesen am öffentlichen Dienstleistungsbereich von 25 auf 20 °/o, wahrend sich die Zahl der beschäftigten Malaien von 45 auf 60 % erhöhte.

Im Bereich von Industrie und Bergbau sank die Vorherrschaft der Chinesen von 70 % auf 65 °/o, während der Anteil der Malaien sich auf Kosten der Chinesen und Inder von 20 °/o auf 30% erhöhte Selbst im privaten Tertiärsektor, vor allem im Handel, der ja immer schon eine Domäne der Chinesen war, konnte die malaiische Community ihren Anteil von 20 % auf 30 0/0 erhöhen, während der Anteil der Chinesen von rd. zwei Drittel auf die Hälfte zurückging.

Die „Malaiisierung" der Wirtschaft schreitet also voran. Es bleibt allerdings die Frage offen, ob das Land ein ungebrochenes Wachstum langfristig aufrechterhalten kann. Wenn nicht, besteht die Wahrscheinlichkeit, daß die Entwicklungspolitik ihren Wettlauf gegen die „Community" -Pressionen verliert. Das Entwicklungsmodell Malaysia — die Integration der Rassen durch gerechtere wirtschaftliche Teilhabe — wäre dann gescheitert.

Partizipationsproblematik Seit mehr als zwei Jahrzehnten wird der malaiische Teil von Malaysia von einer Dauer-koalition dreier kommunalistischer Parteien, der „Alliance Party", regiert, die sich aus der United Malay National Organisation (UMNO), der Malayan (Malaysian) Chinese Association (MCA) und dem Malayan (Malaysian) Indian Congress (MIC) zusammensetzt. Seit den letzten Bundes-und Staatswah-len im Jahre 1974, bei denen sie in allen 13 Staatsparlamenten und im Bundesparlament mit Abstand die Mehrheit gewann, hat sich die Allianz zu einer sog. Nationalen Front — Barisan Nasional — erweitert, einer umfassenden Koalition der drei Allianz-Parteien und sechs weiterer politischer Organisationen. Bedeutendste Oppositionspartei ist die chinesisch orientierte Democratic Action Party (DAP).

Trotz des überragenden Wahlsiegs von 1974 zeigen sich erste Verschleißerscheinungen in der Allianz. Vor allem Bevölkerungsteile der chinesischen Community fühlen sich angesichts des Armee-und Administrationsmonopols des Malaientums vom politischen Willensbildungsprozeß ausgeschlossen. Eine geschickte Wahlkreis-Arithmetik und die Anwendung des Mehrheitswahlrechts nach britischem Vorbild mit ihren unproportionalen Gewinner-und Verliererverhältnissen haben dafür gesorgt, daß die oppositionelle DAP, die als eigentliche „Chinesenpartei" auftritt, nirgends Gewinne verzeichnen konnte. Mit Hilfe „gemischter" Wahlkreise, die so ausgesteckt waren, daß nirgends chinesische Mehrheiten entstehen konnten, wurde sichergestellt, daß das Verhältnis zwischen chinesischen und malaiischen Wahlstimmen in der Regel bei 1 : 2, teilweise sogar bei 1 : 3 lag — ein Verhältnis, daß den Bevölkerungsanteilen (44 % Malaien, 36 % Chinesen) keineswegs entspricht! Um zu verhindern, daß „rein chinesische Gemeinden" als Wahleinheiten auftraten, wurden überdies 1973 die sog. Gemeindewahlen abgeschafft und durch Kreiswahlen in insgesamt 100 Kreisen ersetzt.

Angesichts dieser Restriktionen begann sich in der chinesischen Community der Unmut schon bald auf nicht-parlamentarischem Wege Luft zu machen. Spitze des Eisbergs waren die Studenten, die gerade auf dem Erziehungssektor die ganze Schwere der „Malaiisierungspolitik" zu spüren bekamen. Besondere Empörung rief bei ihnen die Besetzung von Studienplätzen unabhängig von der persönlichen Leistung und die obligatorische Verwendung der malaiischen Sprache als Unterrichtssprache hervor.

Protagonisten des chinesischen Unmuts waren es denn auch, die viele Jahre lang zum Schwungrad der kommunistischen Untergrundbewegung, der „Malaiischen Kommunistischen Partei" (MKP), wurden. Die Namensbezeichnung „malaiisch" statt „malaysisch" ist bewußt gewählt, folgt doch die Partei der einstigen indonesisch-chinesischen Argumentation, wonach die Gründung der Föderation Malaysia ein typisches Produkt des britischen Neoimperialismus gewesen sei. Da es keine gesamtmalaysische KP gibt, mußten die Bundesstaaten auf Nordborneo für eigene Links-bewegungen sorgen. Im ostmalaysischen Sarawak operiert daher die von der MKP unabhängige „Clandestine Communist Organisation", die sich selbst seit 1971 als KP/Nord-Kalimantan bezeichnet.

Die MKP war bis vor kurzem eine typische Chinesenpartei Selbst das kommunistische Revolutionsproblem schien also eine Art Rassenproblem zu sein, zumal der direkte Gegner der MKP, die 60 000 Mann starke malaysische Armee, ihrerseits fast ausschließlich aus Malaien besteht.

Die vor allem seit dem Ende des Vietnam-kriegs hochschlagenden Wellen der kommunistischen Revolutionsbewegung sind nicht die erste „Gefahr von links", die dem malaysischen Staat droht. Bereits in den Jahren 1948— 1960 hatte sich das anfangs noch unter britischer Kolonialherrschaft stehende junge Staatswesen mit einer Aufstandsbewegung auseinanderzusetzen, die die Errichtung einer Volksrepublik Malaya anstrebte. Die „Emergency" wurden zum bisher einzigen Beispiel einer erfolgreichen Anti-Guerilla-Strategie. 50 000 britische Soldaten und über 250 000 paramilitärische Hilfsund Polizei-streitkräfte mußten allerdings aufgewandt werden, um nur ca. 000— 15 000 kommunistische Untergrundkämpfer zu bezwingen. Ein Restkontingent von knapp 500 Kräften zog sich schließlich unter dem legendären Führer Chin P'eng in das bergige Dschungelgebiet zwischen Malaysia und Thailand zurück. Entstanden war diese „erste Generation“ der malaiischen Kommunisten aus Guerillaeinheiten, die während des Zweiten Weltkriegs an der Seite Großbritanniens gegen die japanischen Okkupanten gekämpft hatten. So erklärt es sich auch, daß Chin P’eng heute noch berechtigt ist, wegen seiner damaligen Verdienste den Titel OBE (Order of the British Empire) zu tragen 12).

In der Zwischenzeit allerdings zeigen sich auch innerhalb der kommunistischen Bewegung „Malaiisierungs" -Tendenzen. 1975 hat sich die MKP vermutlich gespalten, und zwar unabhängig von den neuen Bezeichnungen (z. B. MKP/ML) nach Community-Kriterien. Die neue MKP/ML hat sich nach eigenen Aussagen deshalb unter malaiischer Führung organisiert, weil sie im Anschluß an die Rassenunruhen vom Mai 1969 antimalaiische Säubertungstendenzen entdeckt zu haben glaubte Die MKP/ML hat ihr Hauptoperationsgebiet in das Sultanat Pahang, östlich der Hauptstadt Kuala Lumpur, d. h. in eine malaiisch besiedelte Region verlegt. Ihre Opfer waren bisher vor allem Angehörige der malaysischen Sicherheitspolizei, wobei bezeichnenderweise wiederum Chinesen selektiert wurden. Sollte die neue Linkspartei nicht nur eine „Eintagsfliege" bleiben, so wäre die bisherige Annahme, daß die malaiische Bevölkerung gegenüber dem „chinesischen" Kommunismus immun sei, überholt. Gleichzeitig aber wäre nun auch die „Gefahr von links” „kommunalisiert", d. h. jede der beiden Com-munities hätte ihre jeweils eigene kommunistische Bewegung und ihre eigene Revolution. Dies wäre in der Tat eine typisch „malaysische Lösung".

Die malaysische Regierung hat den Ernst der Situation erfaßt und für gesetzliche Verschärfungsmaßnahmen und systematischen Miliz-ausbau bei gleichzeitiger Amnestie-Politik gesorgt.

Erste Erfolge stellten sich bereits in Sarawak ein, wo im Oktober 1973 rd. zwei Drittel der dortigen Guerillakämpfer Ubergabeverhandlungen führten und sich in kontrollierbaren Gegenden ansiedeln ließen Wichtigstes Heilmittel gegen die kommunistische Bewegung aber ist aus der Sicht Kuala Lumpurs eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik — der malaysische deus ex machina.

Außenpolitik Die Außenpolitik Malaysias zeigt eine strenge Interdependenz zu den Ereignissen im eigenen Land. Von einem ursprünglich einseitig westlichen Kurs und einer sicherheitspolitischen Anlehnung an Großbritannien/USA hat sich das Land — gewarnt von der zunehmenden kommunistischen Aufstandsbewegung — nach und nach zu einer Politik des aktiven Regionalismus und der Blockfreiheit hinbewegt und sich schließlich zwischen 1970 und 1974 sogar mit der Volksrepublik China ausgesöhnt.

Die Außenpolitik Kuala Lumpurs folgte damit einem konsequenten Kurs, der von der Commonwealth-Mitgliedschaft seit 1957 über die ASEAN-Mitgliedschaft (seit 1967), die fünfte Konferenz islamischer Staaten 1974 und die Konferenz der Blockfreien (seit 1970) zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Peking im Jahre 1974 führte. Blockfreiheit, aktiver Regionalismus und Neutralismus im südostasiatischen ASEAN-Rahmen sind die Grundthemen der heutigen malaysischen Außenpolitik.

Malaysia folgte mit diesem Richtungswandel nicht nur den innenpolitischen Determinanten, sondern trug auch den Ereignissen im asiatischen Raum Rechnung: der Verlauf des Vietnamkriegs, die 1966 verkündete Rückzugs-politik Großbritanniens aus „East of Suez", das asiatische Disengagement der USA im Zuge der Nixon-Doktrin und die 1972 eingeleitete Detente zwischen den USA und China hatten dazu geführt, daß der einstige „westliche Schutzschirm" verschwunden war. Malaysia mußte sein Heil nunmehr in einer engeren Zusammenarbeit mit anderen Ländern Südostasiens suchen. Dieser Tatsache trug der im Januar 1976 verstorbene Ministerpräsident Tun Abdul Razak Rechnung, als er bekannt gab, daß sein Land künftig die China-und die ASEAN-Politik als die beiden außenpolitischen Drehund Angelpunkte betrachten werde Das gesamte restliche Spektrum — die verstärkten Kontakte zur islamischen Welt (neben der Identität Malaysias als islamischer Staat spielen hier vor allem wirtschaftspolitische Gründe eine Rolle), die Aufrechterhaltung der Commonwealth-Mitgliedschaft, die Beziehungen zu den USA und die Intensivierung des Verhältnisses zur Europäischen Gemeinschaft und zu Japan — ist ebenso wie die vorsichtige Annäherung an die Sowjetunion (Aufnahme diplomatischer Beziehungen 1968, Vertrag über wirtschaftliche und technische Zusammenarbeit 1972) nur ein Nebenmotiv zu den beiden Leitthemen.

Die Entwicklung der malaysisch-chinesischen Beziehungen vor 1970 stand deshalb unter einem so ungünstigen Stern, weil Kuala Lumpur von der ständigen Furcht befallen war, China könne sich die Spaltung zwischen den Communities zugunsten einer Peking-orien-fierten Guerillabewegung zunutze machen. China seinerseits betrachtete Malaysia als einen „Dolch, den die Imperialisten der USA und Großbritanniens auf das Herz Südostasiens gerichtet hielten"

Obwohl Malaysia das Mißtrauen gegenüber China keineswegs begraben hat, war es doch gezwungen, im Zuge der immer fühlbarer werdenden Präsenz Chinas in Südostasien die „Flucht nach vorn" anzutreten und — 1971 — der Aufnahme Chinas in die UNO zuzustimmen. Im gleichen Jahr kam es zu Handelsgesprächen und im August sogar zu einem offiziellen Handelsabkommen.

Auch die Volksrepublik hatte ihre Gründe, das Verhältnis zu Malaysia zu „normalisieren". Sie begrüßte erstmals 1971 die aktive ASEAN-Politik Kuala Lumpurs, derzufolge alle Länder Südostasiens — neben den fünf Mitgliedstaaten Malaysia, Indonesien, Singapur, Thailand und den Philippinen — auch die Indochina-Staaten Vietnam, Kambodscha, Laos und Birma sich zu einer „Zone des Friedens, der Freiheit und der Neutralität" zusammenfinden — einem Bündnis also, das dem von Moskau geforderten „kollektiven Sicherheitssystem in Asien" entgegenstehen könnte.

Mit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Peking im Mai 1974 verfolgte Malaysia drei Ziele: Es wollte erstens die Unterstützung der malaysischen Kommunisten durch die VR China beenden, zweitens die Einstellung des von Südwestchina her operierenden Partisanensenders „Stimme der malaiischen Revolution" sowie drittens Chinas Versprechen erreichen, sich nicht in die innermalaysischen Community-Probleme einzumischen. Die dritte Frage wurde weitgehend im malaysischen Sinne gelöst. Zumindest offiziell hat die VR China von einer besonderen „Aus-landschinesen" -Politik in Südostasien Abstand genommen.

In den beiden anderen Fragen dagegen erzielte Malaysia nur begrenzte Erfolge. Zum einen leugnete die chinesische Regierung die Existenz eines Revolutionssenders auf ihrem Hoheitsgebiet, zum anderen sagte sie zwar einen Verzicht auf direkte, aktive Revolutionshilfe zu, leistet aber auch heute noch zumindest propagandistische und moralische Unterstützung. Gleichwohl sind die Perspektiven nicht düster: Die Südostasien-Politik Chinas ist ja in erster Linie an einer Ausschaltung der Sowjetunion in der Region interessiert. Zweitens geht es um die Verhinderung einer potentiellen regionalen Vormachtstellung Nord-vietnams, in deren Schatten sich die Sowjetunion ebenfalls wieder „einschleichen" könnte. Letztlich liegt der Wert Malaysias nach chinesischem Kalkül also in seiner Verwendbarkeit als antisowjetisches Bollwerk.

Demgegenüber muß China die Bedeutung der kommunistischen Bewegung in Malaysia als durchaus sekundär ansehen. Sollte allerdings ein kommunistischer Sieg heranreifen, so müßte China darauf bedacht sein, das Wasser auf seine Mühlen zu lenken. Peking befindet sich in der vertrackten Situation, einerseits mit dem offiziellen Malaysia zusammenarbeiten zu müssen, sich aber andererseits die Sympathien einer potentiell siegreichen Linksbewegung nicht zu verscherzen. Es hat sich daher für den Mittelweg einer „Revolutionshilfe" verbaler Natur entschlossen. Ins Bild gesetzt: China wird das Feuer der Revolution nicht nach Malaysia hineintragen, wohl aber weiteren Brennstoff liefern, wenn einmal die Flammen hochschlagen sollten. Zeittafel

Königsgeschichte

ca. 4000— 3000 v. Chr. Einwanderung neolithischer Völker aus dem nördlichen asiatischen Kontinent auf die malaiische Halbinsel und den malaiischen Archipel (Proto-Malaien).

ca. 2000 v. Chr. Einwanderung der Deutro-Malaien, der direkten Vorfahren der heutigen Halbinsel-Malaien und der Küstenbevölkerungen Indonesiens, allmähliche Entwicklung des Dorfes, der primitiven Nassreiswirtschaft und des Fischereiwesens.

ca. 400— 200 v. Chr. Ausklang der Steinzeit aufgrund früher Einflüsse des indischen und chinesischen Kulturraums.

ca. 200— 400 A. D. Wachsender Einfluß der chinesischen und insbesondere der indischen Kultur auf die malaiischen Welt („Indianisierung");

Ausbreitung des Hinduismus und Buddhismus sowie der Schriftkultur, Zerfall der ursprünglichen, unstrukturierten Stammesund Dorfgesellschaft, allmähliche Herausbildung einer aristokratischen Herrschaftsschicht mit politischer Verwaltungsfunktion um die zentrale Institution des „Gotteskönigstums". ca. 2. — 13. Jahrhundert Erstes großes Königreich Langkasuka-Kedah im Nordteil der Halbinsel bis in den Bereich des heutigen Süd-Thailand (Patani).

7. — 8. Jahrhundert Herrschaft der buddhistischen Malaien-Reiche Srivijaya (Sumatra) und Sailendra (Java) über die südliche Halbinsel.

9. — 12. Jahrhundert Herrschaft des Khmer-Reiches (Kambodscha) über den Norden der Halbinsel. 15. Jahrhundert Aufstieg des Stadtstaates Malakka zur größten Handelsmetropole der gesamten Region (Gewürzhandel), allmähliche Herausbildung der heutigen malaiischen Staaten wie Johore, Pahang, Kedah, Kelantan und Malakka, verbunden mit dem Aufstieg Malakkas und anderer Handelsstädte setzt die rasche Ausbreitung des Islam (arabische, persische und indische Kaufleute)

ein, der Islam wird zur vorherrschenden Religion der malaiischen Welt.

16. — 18. Jahrhundert Beginnende europäische Ära, Entstehung portugiesischer, niederländischer und britischer Handelszentren.

1509— 11 Eroberung Malakkas durch Portugal, Ausbau der Stadt zur Seeroutenfestung und katholische Missionstätigkeit.

1641 Eroberung des portugiesischen Malakka durch die verbündeten Niederlande und Johore, Beginn der niederländischen Einflußphase.

1786 Britische Gründung des Handels-und Seefahrtszentrums Penang als Ausgangspunkt des malayischen Zinnhandels.

1795 Übernahme Malakkas durch Großbritannien. Beginn der britischen Phase und der eigentlichen Kolonialzeit.

Kolonialgeschichte 1819 Gründung Singapurs als britischer Kontrollund Schutzhafen der Malakka-Straße. 1826 Gründung der sogenannten Straits Settlements (Singapur, Penang, Malakka) unter der Verwaltungshoheit durch Britisch-Indien.

1867 Erhebung des Straits Settlements in den Status einer direkten Kronkolonie. 1873 Schiedseinfluß Großbritanniens über die malaiischen Staaten der südlichen nördlichen Halbinsel anerkannt.

1874 Schiedseinfluß Großbritanniens über malaiischen Staaten der südlichen Halbinsel anerkannt.

1870— 80 Anpflanzung brasilianischer Gummibäume, Beginn der Kautschukwirtschaft in Malaya.

1885 Schutzvertrag Johores mit Großbritannien. 1895 Perak, Selangor, Negri Sembilan und Pahang werden zu den „Federated Malay States" zusammengeschlossen unter britischer „Beratung" und dem „British Resident General" in Kuala Lumpur.

1909 Übertragung der Schiedsfunktion Siams über die nördlichen Halbinselstaaten auf Großbritannien, Perlis, Kelantan, Trengganu und Kedah werden unter britischer „Beratung"

zu den sogenannten „Unfederated Malay States".

Die Dreiteilung der britischen Kolonialkontrolle über die malaiische Halbinsel (Straits Settlements, Federated und Unfederated Malay States) ist praktisch abgeschlossen.

1910— 30 Schnelles Wachstum der malaiischen Rohstoffwirtschaft unter britischer Kontrolle, steigende Masseneinwanderung chinesischer und indischer Arbeitskräfte, Verschärfung sozialer Konflikte.

1930 Gründung der Malaiischen Kommunistischen Partei (MKP) auf der Grundlage der zuvor für ganz Südostasien zuständigen kommunistischen Bewegung der KP/Nanyang.

1941— 45 Beginn des Pazifischen Krieges und japanische Besatzungsherrschaft, Verbreiteter Widerstand der chinesischen Bevölkerungsteile und Bildung einer sogenannten Malayan People’s Anti-Japanese Army (1943 National Defence Army), die zur späteren Grundlage der kommunistischen Guerillabewegung unter Leitung der MKP wird.

1946 Errichtung der Malayan Union unter britischer Kontrolle, Loslösung Singapurs als eigene Kronkolonie.

1948 Gründung der Federation of Malaya als Vorbereitung der späteren Unabhängigkeit. '

1948— 60 Emergency-Zeit der kommunistischen Aufstandsbewegung gegen die auslaufende britische Herrschaft und Versuch der Gründung einer Volksrepublik Malaya, massive Sicherheits-und Militärstrategie (50 000 britische Soldaten und 250 000 paramilitärische Hilfskräfte) führt bis 1956 zur weitgehenden Niederschlagung der Aufstandsbewegung, bekannt als „Commonwealth-

Modell" der Anti-Guerilla-Strategie, formal Ende der Emergency-Zeit 1960.

Geschichte der Republik 1957 Unabhängigkeit der Federation of Malaya (31. August), „Allianz" -Regierung der United Malay National Organisation (UMNO), der Malayan Chinese Association (MCA) und des Malayan Indian Congress (MIC) bis heute. Abschluß des Anglo-Malayan Defence Agreement (AMDA) und Commonwealth-

Mitgliedschaft.

1959 Wahlsieg der Allianz 1961 Beitritt zur Association of Southeast Asia (ASA) als vergeblicher Versuch der regionalen Kooperation mit Thailand und den Philippinen.

1961— 63 Gründungsphase der Federation of Malaysia (Malaya, Singapur und die britischen Nord-Borneo-Kolonien Sarawak und Sabah), Widerstand der Philippinen wegen der Sabah-Regelung und Indonesiens. 1963— 66 „Konfrontasi" -Politik Indonesiens gegen Malaysia und Einsatz 50 000 britischer Soldaten im AMDA-Rahmen auf Nord-Borneo, „Konfrontasi" endet mit dem politischen Kurswandel Indonesiens nach der Machtübernahme durch die Armee.

1964 Wahlsieg der Allianz 1965 Abschluß eines „Counter-Insurgency-Abkommens zwischen Malaysia und Thailand gegen die kommunistische Guerillabewegung im malaysisch-

thailändischen Grenzgebiet.

Singapur scheidet aus der Federation of Malaysia aus; rassische Spannungen. 1966— 70 Erster Malaysia-Plan zur Entwicklung der Wirtschaft und zur Ausgleichung des Wirtschaftsgefälles zwischen der malaiischen und chinesischen Bevölkerung („Malaiisierung"). 1967 Beitritt Malaysias zur Association of Southeast Asian Nations (ASEAN), neben Indonesien, Singapur, Thailand und den Philippinen.

1968— 69 Zweiter Sabah-Konflikt zwischen Malaysia und den Philippinen wird durch ASEAN ungelöst beendet.

1969 13. Mai, große Rassenunruhen in Kuala Lumpur im Anschluß an die Bundes-wahlen. 1969— 71 Vorübergehende Aufhebung des parlamentarischen Systems und Ausrufung des Notstandes, Erlaß des Seditions Act 1970 zur Einengung der politischen Freiheiten, Ablösung des Regierungschefs Tunku Abdul Rahman durch Tun Abdul Razak, Notstandsregierung der Allianz im National Operations Council. 1971 Verstärkter Neubeginn kommunistischer Guerilla-Tätigkeit im Grenzgebiet zu Thailand und in Sarawak, Abschluß des ANZUK-Abkommens (Australien, Neuseeland, Großbritannien, Singapur und Malaysia) als Nachfolge des AMDA.

1971— 75 Zweiter Malaysia-Plan mit verstärkter „Malaiisierungspolitik" der Wirtschaft. 1974 Wahlsieg der zur Nationalen Front erweiterten Allianz, Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der Volksrepublik China, erstmalige Studentenunruhen in Malaysia, verstärkte kommunistische Terror-Aktivität im Staat Pahang östlich Kuala Lumpur gegen Polizei-und Militärposten. 1976 Januar, Tod des Regierungschefs der Nationalen Front, Tun Abdul Razak, Nachfolger Datuk Hussein Onn, Beginn des Dritten Malaysia-Plans.

Vietnam

Abbildung 3

Der vietnamesische Weg Während der Weg Malaysias klar vorgezeichnet zu sein scheint, befindet sich Vietnam noch auf der Suche. Ein 30jähriger Krieg hatte das Land zu einem permanenten, an den Ad-hoc-Gegebenheiten orientierten „Kriegskommunismus" gezwungen.

Schon heute deutet sich jedoch an, daß Vietnam einen Marxismus sui generis verwirklichen wird, obwohl die offiziellen Erklärungen in der reinsten orthodoxen Marxismus-Terminologie abgefaßt sind.

Die vietnamesischen Besonderheiten werden sich, soviel scheint festzustehen, keineswegs in einem neuen theoretischen Lehrgebäude entfalten. Anders als in China („Maoismus") oder Korea („Kim-Il-sung-ismus") wird es wohl nie einen „Ho Chi Minh-ismus" oder einen „Le Duan-ismus" geben. Starre ideologische Fixierungen oder dogmatische Positionen waren nie die Stärke der vietnamesischen Kommunisten. Nicht zuletzt aus diesem Grunde ist es bisher nur selten zu innerfraktionellen Auseinandersetzungen, schon gar nicht zu größeren Säuberungsaktionen gekommen. Der Sinn für das Machbare dürfte auch in Zukunft vor dem Postulat der ideologischen Reinheit der Lehre rangieren.

Die Eigenarten des vietnamesischen Kommunismus werden letztlich nicht durch neue Elemente, sondern durch eine neue Zusammensetzung bekannter Elemente gekennzeichnet sein. Die Hanoier Kommunisten, nicht umsonst die „Jugoslawen Asiens" genannt, haben sich schon in den vergangenen Jahren von einem kräftigen Eklektizismus leiten lassen, der hauptsächlich beim sowjetischen und beim chinesischen Modell Anleihen machte. Diese Entscheidung für einen mittleren Weg hat nichts mit dem ehrgeizigen Versuch zu tun, sich durch einen eigenen Weg zu profilieren, sondern entspricht den Anforderungen der historischen Ausgangssituation Vietnams: Während die sinokommunistische Revolution in einem „halbkolonialen" (d. h. von ausländischen Mächten nur in den Küstenbereichen beherrschten) und „halbfeudalen" (d. h. nur noch im „Hinterland" feudalen) Land stattfand, wobei die „antifeudalistische" Komponente stärker ausgeprägt war als die antikolonialistische, richtete sich der Kampf des vietnamesischen Volkes gegen eine fremde Kolonialmacht, die das Land als Ganzes im Griff hatte. Das Ziel der nationalen Unabhängigkeit war hier also wesentlich stärker ausgeprägt als in China oder gar im spätzaristischen Rußland, das ja nicht etwa Unabhängigkeit zu erlangen hatte, sondern seinerseits andere Völker unterdrückte. Angesichts dieser Vorzugsstellung des nationalen Elements war es auch nicht verwunderlich, daß es bei der Machteroberung zunächst keinen Bürgerkrieg zwischen „Rot" und „Weiß" gab, sondern sogar eine Unterstützung der Kommunisten durch die nationalistischen Kräfte.

Der revolutionäre Impuls erfaßte deshalb — anders als in China, wo die Städte von den Dörfern her erobert wurden — simultan die urbane und die ländliche Bevölkerung. In einem Artikel der parteiamtlichen Hoc Tap („Studien") vom April 1963 stellte Politbüro-Mitglied Truong Chinh fest, daß die Chinesen 22 Jahre brauchten, um ihre Revolution zu vollenden, während die Vietnamesen durch die Gleichzeitigkeit der Revolution in Stadt und Land Zeit gewonnen hätten.

Die nationale Frage, die bei den vietnamesischen Kommunisten stets eine so überragende Rolle gespielt hatte wurde genaugenommen erst mit der Eroberung Südvietnams gelöst, so daß man sich erst von jetzt an den Problemen der sozialistischen Revolution mit vollem Herzen zuwenden konnte. Marksteine für die soziale Umwandlung wurden freilich bereits in der Vergangenheit gesetzt. Als Hauptmerkmal hat sich dabei eine „qualifizierte Annäherung" an das chinesische Modell herausgestellt. U. a. wurde z. B. die Land-reform mit beratender Hilfe von Chinesen durchgeführt. Auch in der Genossenschaftsbewegung folgte Vietnam chinesischen Spuren, ohne allerdings den Weg bis zur Volkskommune mitzugehen. Beim Aufbau der Industrie andererseits bevorzugte Hanoi das sowjetische Muster und gab der Industrie Vorrang vor der Landwirtschaft. Typisch chinesisch waren dann aber wieder die Kampagnen, wie die Drei-Anti-Bewegung (gegen Korruption, Verschwendung, Bürokratismus) und die Drei-Pro-Bewegung (Verantwortungsbewußtsein im Kollektiv, besseres Management im Wirtschafts-und Finanzwesen, Verbesserung der technischen Kenntnisse) von 1963. Auch eine ganze Serie weiterer Massenkampagnen (Woche des „Kampfes gegen die US-Imperialisten und ihre Henker" etc.) folgte dem chinesischen Muster. Mit fast „maoistischer" Konsequenz sucht die vietnamesische Führung auch die „Massenlinie" zu verwirklichen, indem sie den „drei Arbeitsstilen" der, Einheit von Theorie und Praxis, der Einheit von Funktionären und Massen sowie der Kritik und Selbstkritik in der täglichen Praxis Geltung zu verschaffen versucht. Anders als in China ist die Massenlinie in Vietnam allerdings noch nicht so weit vorangetrieben worden, daß man etwa die Autorität der KP in Frage gestellt hätte. Auch Wandzeitungen und innerfraktionelle Auseinandersetzungen in den „chinesischen" Dimensionen einer „Großen Proletarischen Kulturrevolution" hat es in Vietnam bisher noch nicht gegeben. Andererseits haben sich die vietnamesischen Kommunisten bei ihrem Kampf um Südvietnam keineswegs von der maoistischen Volkskriegsstrategie leiten lassen, die eine Eroberung der Städte von den Dörfern her und eine Einteilung des Krieges in drei Etappen mit der Folge verschiedener Operationsformen (Bewegungskrieg, Partisanenkrieg, Stellungskrieg etc.) fordert. Die vietnamesischen Stra-tegen haben den Städten von vornherein die gleiche strategische Bedeutung zugemessen wie den „Dörfern"; auch haben sie viel weniger von der Partisanen-Kriegführung Gebrauch gemacht als die Chinesen und sich statt dessen mehr an das sowjetische Konzept großangelegter konventioneller Angriffe (TetOffensive, Ho Chi Minh-Offensive von 1975)

gehalten.

Der vietnamesische „Mittelweg" ist also bereits in einigen Punkten vorgezeichnet. Ob er sich auch in Zukunft konsequent ausbauen läßt, wird nicht zuletzt von der Bewältigung der anstehenden Integrations-, Wirtschaftsund Partizipationsprobleme abhängen.

Integrationsproblematik Der 30. April 1975, jener Tag also, an dem Saigon in die Hände der nordvietnamesischen Truppen fiel, ist zu einem der wichtigsten vietnamesischen Geschichtsdaten geworden, gleichgültig, ob man das Ereignis von der Gesamtgeschichte des Landes oder aber von der Befreiungsgeschichte der letzten Jahrzehnte her beurteilt: Zum ersten Mal in seiner 2 000 Jahre alten Tradition hat Vietnam eine Freiheit erreicht, die weder durch ein tributäres Abhängigkeitsverhältnis vom großen Nachbarn und Rivalen China noch durch koloniale Beherrschung bedroht ist. Mit dem 30. April endete aber auch ein 30jähriger Krieg, der sich nach dem Selbstverständnis der vietnamesischen Revolutionäre in fünf Etappen vollzogen hat: der Augustrevolution von 1945, dem Widerstand gegen die französischen Kolonialisten, der sozialistischen Revolution im Norden, dem patriotischen Kampf gegen die amerikanische Aggression und jener Periode des „Wiederaufbaus im Norden bei gleichzeitiger Unterstützung des revolutionären Kampfes im Süden", die dem Abschluß des amerikanisch-vietnamesischen Waffenstillstandsvertrags vom 28. Januar 1973 gefolgt war.

Die Gesamtentwicklung stellt sich zwar nicht so nahtlos dar, wie es dieses offizielle Schema nahelegen möchte, war aber gleichwohl von eindrucksvoller Zielstrebigkeit bestimmt.

Schon in den dreißiger Jahren zirkulierte das Denken der Männer um Ho Chi Minh vor allem um ein Ziel: die Eroberung der politischen Führung über ganz Vietnam. Zwei Kräfte waren es vor allem, die zum Erfolge führten, nämlich der vietnamesische Nationalismus und der marxistische Revolutionsgedanke, der sich mit dem nationalen Ziel aufs innigste vermischte. Wie wenig ein bloßer Antikommunismus gegen dieses Motivbündel zu wirken vermochte, erkannte der Oberste Kommandeur der französischen Truppen in Indochina, General Leclerc, schon 1946, als er darauf hinwies, daß der „Antikommunismus so lange ein Hebel ohne Ansatzpunkt in unseren Händen bleiben wird, als das Problem des Nationalismus nicht gelöst ist"

Diese Nationalismus-Frage ist inzwischen gelöst, freilich nicht von den Franzosen oder den Amerikanern, sondern von den nordvietnamesischen Kommunisten.

Inzwischen gilt es, den neuen Besitzstand auf revolutionäre Weise zu konsolidieren, wobei vor allem drei Probleme zu lösen sind, nämlich die Anpassung des Südens an den Norden, die Beilegung der Konflikte mit den verschiedenen Religionsgruppen und die Bewältigung des Minoritäten-Problems. a) Was die Revolutionierung des Südens anbelangt, so können die Nordvietnamesen hier nicht mehr auf nationale Motivations-Elemente zurückgreifen, wie sie noch 1945 den Kampf gegen den französischen Kolonialherren beflügelt haben. Gleichwohl könnte das „kommunistische Angebot" vor allem für die breiten Bauernschichten attraktiv sein, da die Partei nicht nur — zum erstenmal seit Jahrzehnten — Frieden und Sicherheit garantiert und auch den Kontakt mit den breiten Volks-massen sucht, sondern weil sie es überdies verstanden hat, marxistisch-leninistisches Gedankengut einigen der traditionellen Grundwerte der vietnamesischen Kultur und Gesellschaft anzupassen. Diese Adaption beginnt bereits im Bereich der Terminologie: So nennt sich die KP Vietnams lediglich „Partei der Arbeiter" (Lao Dong). Das Wort „Sozialismus" wird mit den beiden Begriffen xa hoi umschrieben, die „Dorf" und „gemeinsam" bedeuten.

Aber auch bei den „revolutionären" Änderungen auf den Dörfern mußten keine unüberwindlichen Schranken durchbrochen werden: Zumindest der bäuerliche Vietnamese hat seit unvordenklichen Zeiten in einer Reisanbau-Kultur gelebt, die stets auf eine intensive Zusammenarbeit der einzelnen Menschen und auf Unterordnung des Individuums ausgerichtet war. Während der Kolonialherrschaft war die typisch vietnamesische Sozialstruktur der Einheit des Dorfes mit ihrem engen Nachbarschaftsverhältnis aus dem Gleichgewicht geraten. Die von den Kommunisten Mitte der fünfziger Jahre durchgeführte Landreform zielte — ebenso wie die sich anschließende Genossenschaftsbewegung — bewußt auf die Wiedereinführung gesamtdörflicher Aktivitäten, kooperativer Solidarität und aktiver Teilnahme der Bevölkerung an Entscheidungsprozessen im lokalen Bereich. Ob Zufall oder hartes Kalkül: Selbst der Hauptsitz einer Genossenschaft ist in der Regel identisch mit jenem Areal, das für den früheren Dorfgeist reserviert war.

Neben der Integrationswirkung, die von solchen Assoziationsmomenten ausgeht, dürfte aber die den Vietnamesen eigene Assimilierungsfähigkeit dazu beitragen, den Wiedervereinigungsprozeß zu beschleunigen. Die Vietnamesen haben sich im Laufe ihrer Geschichte an zwei Kulturen, die chinesische und die indische, angepaßt und drei Religionen aus diesen beiden Kulturbereichen übernommen: den Buddhismus, den Konfuzianismus und den Taoismus.

Trotz aller Chancen für eine Wiedervereinigung beider Vietnams sollten freilich auch nicht die Schwierigkeiten übersehen werden, die einem solchen Prozeß entgegenstehen: Seit dem 16. Jh. war es immer wieder zu Spaltungen zwischen dem Norden und dem Süden gekommen. Zwischen 1593 und 1802 waren die Nord-Süd-Grenzen beinahe hermetisch verschlossen und wurden nur gelegentlich von Armeen und Expeditionen durchbrochen. Die nationale Wiedervereinigung im Jahre 1802 wurde von bewaffneten Kräften aus dem Süden erzwungen und von den Nordvietnamesen nur widerwillig akzeptiert, da ja die Nguyen-Dynastie aus dem Süden stammte. Unter den Südvietnamesen machte sich damals ein gewisses Gefühl der Überlegenheit gegenüber der Nordbevölkerung bemerkbar. Im Norden wiederum galt die Bevölkerung des Südens als „faul, langweilig und dumm"

Diese gegenseitige Einschätzung verschärfte sich noch während der französischen Kolonialzeit, in deren Verlauf die neuen Herren sich den , Nord-Süd-Konflikt'zunutze machten. Im Feindbild des Nordens wurde Südvietnam schon bald zu einem Kollaboranten der französischen Kolonialmacht. Vor allem die Bewohner Annams, des Mittelteils von Vietnam, protestierten gegen diesen Verrat und wurden so zu Fackelträgern des vietnamesischen Nationalismus und zu Vorkämpfern gegen die koloniale Unterdrückung. Hier entstanden auch die Anfänge jener Bewegung, die zur Befreiung ganz Vietnams von ausländischem Einfluß führen sollten. b) Obwohl die Einordnung der religiösen Sekten in den neuen Staatsverband bei weitem nicht dieselben Schwierigkeiten bereitet wie die politische „Wiedervereinigung", dürfte sie den kommunistischen Führern in den nächsten Jahren doch einiges Kopfzerbrechen bereiten. Zwar ist die Religion, anders als etwa in Indien, bei den Vietnamesen nie zu einem Hauptbestandteil ihres sozialen Systems geworden, doch haben sich die verschiedenen religiösen Richtungen, vor allem während der nord-süd-vietnamesischen Auseinandersetzungen, so stark eingefärbt, daß sie zu einem Integrationsproblem geworden sind. Besonders deutlich wird dies bei der katholischen Bevölkerung, die den Löwenanteil an der nach dem Genfer Abkommen von 1954 einsetzenden Massenflucht stellte: Nicht weniger als 700 000 Gläubige zogen damals nach Südvietnam, wo der Katholik Diem regierte.

Ebenso wie die Katholiken zeigten auch die Anhänger der Hoa Hao-Sekte jahrelang eine ausgeprägt antikommunistische Haltung. Den militanten Hoa Hao-Anhängern war es bis zum Fall Saigons gelungen, „ihr" Gebiet in der Provinz Angiang von Vietkong-Einfluß freizuhalten. Die 1939 gegründete Sekte hatte während des Zweiten Weltkriegs mit den Japanern kollaboriert und versuchte später, einen nationalistischen dritten Weg zwischen Saigon und Hanoi zu steuern. Die südvietnamesische Regierung hatte gegen das eigenwillige Verhalten der Hoa Hao nichts einzuwenden, da man sie als antikommunistische Verbündete betrachtete.

Eine ebenfalls eigenwillige und fast separatistische Haltung zeigte auch die Cao Dai-Sekte, deren Hauptgebiet zwischen Saigon und der kambodschanischen Grenze liegt und zu der sich etwa 1 Mio. Mitglieder bekennen. Der Sekte, einer Mischung aus asiatischen und westlichen Religionen, war es während der französischen Kolonialherrschaft gelungen, für ihr Gebiet einen autonomen Status zu ertrotzen. c) Eine weitere wichtige Einigungsaufgabe der Regierung in Hanoi wird darin bestehen, die zahlreichen ethnischen Minoritäten unter Kontrolle zu bekommen. Hanoi darf hier optimistisch sein; denn in der Behandlung der Minderheiten hat es bisher stets eine glückliche Hand gehabt. Dies ist kein Zufall: Schon in den Jahren 1947— 1949 hätten Ho Chi Minh und seine Anhänger ohne Unterstützung dieser Bergstämme kaum Uberlebenschancen gegen die französische Kolonialmacht gehabt. 1954 setzten sich allein vier Divisionen der nordvietnamesischen Volksarmee zum größten Teil aus Bergkriegern zusammen, die für die versprochene lokale Selbstverwaltung auf der Seite der damaligen Volksfront, der sog.

„Vietminh", gegen die Franzosen kämpften.

Wirtschaftsproblematik Zwei gewaltige Aufgaben sind es, die das wiedervereinigte Vietnam wirtschaftlich zu bewältigen hat, nämlich die Beseitigung der Kriegsschäden und die Koordinierung der strukturell so verschiedenen Wirtschaftszonen des Nordens und des Südens.

Die amerikanischen B 52-Bomber haben Nordvietnam zwar nicht „zurück in die Steinzeit I gebombt", doch haben sie 60 °/o der gesamten Industrie des Nordens zerstört und etwa 170 000 ha Land „umgepflügt". 13 Mio. t Bomben haben 26 Mio. Krater in die vietnamesische Landschaft gerissen, also eine Fläche vernichtet, die in etwa der Größe der drei Stadtstaaten Hamburg, Berlin und Bremen entspricht. Dazu haben die Entlaubungsaktionen und künstlicher Regen nachhaltige Veränderungen in der Vegetation und im ökologischen Gleichgewicht herbeigeführt. Es wird Jahre, vermutlich Jahrzehnte dauern, ehe diese Schäden beseitigt werden können, und Hanoi wird bei dem eingeleiteten Heilungsprozeß auch versuchen, die USA zur Kasse zu bitten. Mit der Koordinierung der beiden seit zwei Jahrzehnten so unterschiedlich entwickelten Wirtschaftsbereiche hat sich die Regierung in Hanoi eine Sisyphusaufgabe gestellt. Kaum ein größerer Gegensatz läßt sich nämlich denken, als er zwischen dem südlichen und dem nördlichen Wirtschaftsbereich besteht: Während Südvietnam weit mehr an Reis, Zuckerrohr, Mais, Ölsaaten etc. erzeugen kann, als seine 18 Mio. Einwohner verbrauchen, ist der Norden mit seinen 19 Mio. Einwohnern ein landwirtschaftliches Zuschußgebiet. Umgekehrt hat der Norden auf industriellem Gebiet einen „großen Sprung nach vorn’ vollzogen, während der Süden hier nachhinkt. Dieser industrielle Vorsprung wird sich auch in Zukunft kaum verändern, da Nordvietnam reich an Bodenschätzen (Anthrazitkohle, Eisen, Wolfram) ist und über die größten Apatit-und Bauxitvorkommen der Welt verfügt. Das Hauptgewicht der wirtschaftlichen Entwicklung des Nordens wird daher — insoweit dem sowjetischen Muster folgend — auch in Zukunft bei der Schwerindustrie liegen, während in Südvietnam allenfalls die Leichtindustrie und ein verstärkter Anbau von Industriepflanzen zum Zuge kommen wird.

Die nordvietnamesischen Planungsbehörden haben bereits deutlich gemacht, daß sie die beiden so verschiedenen Räder in Zukunft ineinandergreifen lassen wollen. Dem Süden wird die Aufgabe gestellt, „die Leichtindustrie, die Nahrungsmittelherstellung und das Kleinhandwerk zu höchstem Grade zu entwik-keln" Hierbei will man sich der Fähigkeiten auch solcher Fachleute bedienen, die nicht in das marxistische Klassen-Schema passen. Vorerst will man beispielsweise auf eine Kollektivierung des Bodens und die Gründung landwirtschaftlicher Genossenschaften verzichten. Offensichtlich hat die Hanoier Führung aus den negativen Erfahrungen der fünfziger Jahre im Norden gelernt. Die Strategie im Süden erinnert an das „neu-demokratische" Revolutionsschema, wie es bereits in China, so erfolgreich erprobt worden ist. Nur das Großgrundbesitzertum und die „Kompradoren-Bourgeoisie", die mit dem ausländischen Kapital jahrelang zusammengearbeitet hat, soll von der „Diktatur des Proletariats" erfaßt werden, während die anderen Klassen, d. h. also die Arbeiter, die Bauern, die „nationalen Kapitalisten" und die Klein-Bourgeoisie zu einem formellen Vier-Klassen-Bündnis zusammengebündelt werden. Für die „Übergangsphase" will man sich Zeit lassen. Parteisekretär Le Duan gab im Juni 1976 vor der Nationalen Versammlung bekannt, daß im Süden „die materielle und technische Basis für den Sozialismus innerhalb von 15— 20 Jahren geschaffen werden soll". In China hatte das neu-demokratische Stadium nur von 1949— 1956 gedauert.

Während dieser Konsolidierungsphase sind vor allem vier Aufgaben zu lösen: Im Vordergrund stehen Maßnahmen zur Entflechtung der südvietnamesischen Städte-, nach Statistiken der van Thieu-Regierung war der Anteil der städtischen Bevölkerung Südvietnams im Zeitraum 1960— 1972 von 15 auf 43 °/o gestiegen. Allein die Einwohnerschaft Saigons ist zwischen 1972 und 1975 von 1, 8 auf 3, 8 Mio. angestiegen. Welche Ungleichgewichte hierbei geschaffen wurden, verdeutlicht vor allem ein Hinweis der ehemaligen Thieu-Verwal-tung, derzufolge es in Südvietnam noch 3 Mio. ha kultivierbaren Landes und 300 000 ha Kulturland gab, das von seinen Bewohnern verlassen wurde Diese Landflucht hatte während der letzten Jahre des Bürgerkriegs auch zu einer ständigen Abnahme der landwirtschaftlichen Produktion geführt.

Kein Wunder, daß eine der ersten Großaktionen der neuen Militärregierung von Saigon eine Umsiedlungsaktion war, in deren Verlauf 350 000 Menschen wieder in ihre Heimatdörfer zurückkehrten oder sich in neugeschaffenen Wirtschaftszonen niederließen. Bis Ende 1976 soll die Zahl der „Umsiedler" auf eine Million angewachsen sein.

Die zweite Ubergangsaufgabe besteht in der Beseitigung der Arbeitslosigkeit. Beim Zusammenbruch Südvietnams im April 1975 zählte man 3, 5 Mio. unbeschäftigte Südvietnamesen, zu denen vor allem Soldaten, paramilitärische und Polizeikräfte, Prostituierte und Schwarzhändler gehörten. Aufnahmereservoir für dieses Arbeitskräftepotential sind vor allem die ländlichen Gebiete. Nach Schätzungen der Regierung können allein auf den Reisfeldern des Südens, vor allem im Mekong-Delta, mehr als eine Million Menschen einen Arbeitsplatz finden.

Die dritte Aufgabe liegt bei der Ankoppelung des industriellen Potentials Südvietnams — das bisher vorwiegend mit amerikanischer Kapitalhilfe aufgebaut worden war — an die schon bestehende Industrie und an die Rohstoffe Nordvietnams. Während die Politik der USA darauf hinauslief, ihre Kapitalinvestitionen in Südvietnam, die sich immerhin auf 12 Mrd. US-Dollar beliefen, für den Export vietnamesischer Güter nutzbar zu machen, muß sich der vorhandene Apparat nunmehr auf die Bedürfnisstruktur des Inlandmarktes, vor allem des Nordens, umstellen.

Viertens sind die durch 30 Kriegsjahre zerrissenen Auslandsbeziehungen wieder aufzuneh-men. Allzu einseitig war der Süden auf die USA, der Norden aber auf China und vor allem auf die Sowjetunion ausgerichtet. Die beiden kommunistischen Großmächte werden zwar auch in Zukunft eine wichtige Rolle in den Außenwirtschaftsbeziehungen des wiedervereinigten Vietnam einnehmen (u. a. kam es im Oktober 1975 zum Abschluß eines langfristigen Handels-und Zahlungsabkommens mit der Sowjetunion für den neuen Fünfjahresplan 1976— 1980), doch muß die Regierung auch zunehmend daran interessiert sein, den Warenaustausch mit nichtkommunistischen Ländern zu fördern. Hierbei rückt Japan langsam in den Vordergrund. So haben etwa die Exporte des Inselreiches nach Nordvietnam während der ersten 8 Monate des Jahres 1975 ein Volumen von 28, 3 Mio. US-Dollar erreicht und lagen damit um 293 0/0 über dem des Vorjahres.

Partizipationsproblematik Von einer „Partizipationsproblematik" ist in Vietnam weit weniger zu spüren als in den beiden anderen hier behandelten Ländern: Malaysia und Birma.

Die pragmatische Führung in Vietnam hat — durchaus unbeeindruckt von der klassischen marxistischen Forderung nach einer Führung durch das Arbeiter-Proletariat — von vornherein auf die Bauern gesetzt. Dazu Parteisekretär Le Duan: „Unser Land ist ein Agrarland, in dem die Bauern mehr als 90 °/o der Bevölkerung ausmachen. Der Imperialismus, der sich bei der Ausbeutung unseres Volkes auf den Feudalismus stützte, schröpfte vor allem die Bauern. Daher muß die nationale Befreiung in erster Linie und im wesentlichen eine Befreiung der Bauern sein. Demokratie bedeutet also in erster Linie und im wesentlichen Demokratie für die Bauern."

Ansätze für ein „Ausdünnen" der „Massenlinie" gab es lediglich in den Spitzengremien. Bezeichnenderweise hat nirgends in der kommunistischen Bewegung ein Politbüro durch die Jahrzehnte so solide zusammengehalten wie das Spitzengremium in Hanoi. Von einem wirklichen „Blutaustausch", wie er im China Mao Tse-tungs vor allem während der Kulturrevolustion gefordert wurde, kann im vietnamesischen Politbüro bis heute nicht die Rede sein. Je mehr sich die Pyramide allerdings der Basis nähert, desto stärker beginnt die „Massenlinie" zu wirken. Längst hat der Parteiapparat die Notwendigkeit einer Verjüngung anerkannt und daraus die praktischen Konsequenzen gezogen: Nach einer offiziellen nordvietnamesischen Schätzung bestanden 1962 70 °/o der Parteimitglieder aus Personen, die während des Widerstands gegen die französische Kolonialmacht rekrutiert worden waren; nur 10% von ihnen waren jünger als 26 Jahre. Dies hat sich inzwischen geändert. Bei den Wahlen zum 9. Parteitag im April 1974 (die Lao Dong zählte zu diesem Zeitpunkt schon über 1 Mio. Mitglieder) waren 32 der 54 gewählten Mitglieder Neulinge, darunter 12 Frauen.

Die „Teilnahme der Massen" an den täglichen Entscheidungen zeigt sich aber vor allen Dingen in den Industriebetrieben und landwirtschaftlichen Genossenschaften. Nach anfänglichen Mißerfolgen, die als Folge einer zu hastig vorangetriebenen Landreform in den frühen fünfziger Jahren Unruhen unter der Bauernschaft verursacht hatten, fand die von drei Grundsätzen bestimmte Vergenossenschaftungsbewegung (freiwilliger Eintritt, gegenseitiger Nutzen, demokratische Organisation) dann doch noch breite Zustimmung. Untersuchungen haben ergeben, daß die später so maßvoll gewordene Haltung der Partei von der vietnamesischen Bauernschaft belohnt wurde. Nur rd. 7 % der Bauern verweigerten zunächst den Beitritt. 1968 gab es bereits 22 360 Genossenschaften in Nordvietnam, die 92 % des gesamten Agrarlandes bewirtschaft teten. Gerade im Rahmen der Genossenschaften ist es gelungen, die alten Mitsprache-Traditionen, die während der französischen Kolonialherrschaft verlorengegangen waren, wieder zu neuem Leben zu erwecken.

In Zukunft könnte die „Massenlinie", d. h. die maximale Beteiligung der „Massen" an den Entscheidungen in den Grundeinheiten, vor allem von zwei Stellen her bedroht sein, nämlich von dem wachsenden Potential der Technokraten, deren große Stunde mit der Wiedervereinigung Vietnams gekommen ist, und von selten der Armee, die auch nach Beendigung der Kampfhandlungen immer noch eine Art „Allzweckwaffe" im militärischen wie im gesellschaftlichen Bereich ist. Die weitere Entwicklung wird zeigen müssen, ob sie eine wirkliche Volksarmee bleibt oder aber zum Staat im Staate wird.

Bisher hat Vietnam noch keine „große proletarische Kulturrevolution" im Stile der Volksrepublik China erlebt. Sollte allerdings der Einfluß der „Professionalisten" zunehmen, so wird die Führung in Hanoi beweisen müssen, ob sie die Entstehung einer „neuen Klasse’ dulden und damit dem Sowjetmodell folgen will, oder aber ob sie sich mehr für den chinesischen Weg der umfassenden „Massenlini-sierung" entscheidet.

Außenpolitik Vietnam, das jahrelang in den Schlagzeilen der Weltpresse stand, ist seit den dramatischen Ereignissen um die Eroberung Saigons auf seine wirklichen Größenverhältnisse zurückgeschrumpft. Es ist kein Weltereignis mehr im Sinne etwa der „Dominotheorie", sondern hat in der Zwischenzeit seine wahren Proportionen angenommen. Die Entwicklungen seit 1975 zeigen, daß Vietnam eine Regionalmacht ist, deren außenpolitischer Aktionsradius im wesentlichen auf die asiatischen Nachbarländer beschränkt bleibt.

Bis zum April 1975 war die Außenpolitik Hanois durch das Ziel bestimmt, den 1945 gegründeten Kernstaat im Norden um den zunächst unter französischer, später unter amerikanischer Abhängigkeit stehenden Süden zu erweitern. Hierbei mußte es zu Konflikten mit jenen Mächten kommen, die diesem Ziel Hindernisse in den Weg legten, nämlich bis 1954 mit Frankreich und später, vor allem seit 1964, mit den USA. Andererseits trieb der Indochinakrieg die nordvietnamesische Führung stärker in die Arme der Unterstützungsmächte China und Sowjetunion, als es ihr lieb sein konnte. Der sino-sowjetische Konflikt brachte für Hanoi schon während des Krieges nicht nur Vorteile: Die beiden kommunistischen Großmächte konnten sich z. B. nicht auf eine gemeinsame Unterstützung Nordvietnams im Kampf gegen die USA einigen. Weder kam es zu gemeinsamen Lieferungen noch zu einer gemeinsamen Haltung über die zu verfolgende Strategie (Guerilla-oder Bewegungskrieg) noch zu einer Konkordanz in der Frage der Pariser Waffenstillstandsverhandlungen. Der Vorteil andererseits: Vietnam konnte sich vom übermächtigen Einfluß der einen oder anderen Macht „freischwimmen". Vietnam wird auch in Zukunft versuchen müssen, zwischen beiden Mächten zu lavieren. In den Jahren 1975/76 hat sich Hanois Gunst mehr der Sowjetunion zugewandt. Gleichzeitig scheint der Konflikt zwischen China und Vietnam quasi vorprogrammiert. Abgesehen von den historischen Hypotheken (Teile Vietnams standen rd. 1. 000 Jahre unter direkter chinesischer Herrschaft und hatten später jahrhundertelang Tribut zu bringen) sind es auch neuere Entwicklungen (Streit um die Paracelund Spratley-Inseln im Südchinesischen Meer, Abwendung Vietnams vom chinesischen Modell Ende der fünfziger Jahre, betontes Interesse Hanois an sowjetischer Militär-und Wirtschaftshilfe), welche die Parole, daß China und Vietnam sich zueinander verhielten „wie Lippen und Zähne", Lügen strafen.

Den vietnamesischen China-Ambitionen hält Peking außerdem seine Drei-Völker-Formel entgegen: Danach gehört Vietnam „dem vietnamesischen, Kambodscha dem kambodschanischen und Laos dem laotischen Volk". In Laos spielt sich das außenpolitische Tauziehen zwischen der VR China einerseits und Hanoi/Moskau andererseits ab. China hat dort bereits von langer Hand vorgebaut: Es gewährt Entwicklungshilfe und hat außerdem den gesamten Nordwesten und Norden des Landes mit „seinen" Straßen ausgelegt, während die „vienamesischen" Wege (u. a.der sog. „Ho Chi Minh-Pfad") genau am anderen Ende, nämlich in Südostlaos, verlaufen. Diese „Symmetrie" -Politik ist gewiß kein Zufall. Ausgerechnet an der Stelle nämlich, wo sich „chinesische" und „vietnamesische" Straßen am nächsten kommen, nämlich am zentrallaotischen Ou-Fluß, war es zumindest bis 1976 nicht zum Bau einer Brücke gekommen, die beide Verkehrssysteme miteinander verbinden würde.

Während Moskaus Interesse dahin geht, an Chinas Südflanke ein möglichst starkes Vietnam zu sehen, das eines Tages vielleicht ganz ist Indochina umfaßt, Peking an einer Balkanisierung Indochinas interessiert.

Vietnam wird angesichts dieser Interessen-spannungen bemüht sein müssen, weder Moskau noch China über Gebühr zu verstimmen. Es gibt daher einmal dem einen, dann wieder dem andern Partner recht. Moskau erhielt z. B. Beifall für seine Ansichten in der Frage des indischen Staatsnotstandes, bei seinem Plädoyer für die Kommunisten in Portugal sowie bei der Verteidigung der Ergebnisse der Helsinki-Konferenz (KSZE). Auch fordert Hanoi — genauso wie Moskau — nach wie vor den totalen Rückzug der amerikanischen Militärstreitkräfte aus Südostasien, während Peking andererseits an einer amerikanischen Restpräsenz — also an einem Damm gegen den vordringenden „Sozialimperialismus" — durchaus interessiert bleibt.

Hanoi beeilte sich aber gleichzeitig, auch den Chinesen Tribut zu zollen und lehnte deshalb das kollektive Sicherheitssystem für Asien, wie es der sowjetische Parteichef Breshnew seit 1969 fordert, ab. „Äquidistanz" wird auch in Zukunft die Leitlinie sein müssen, nach der Hanoi seine Politik gegenüber den beiden kommunistischen Großmächten ausrichtet.

Seit dem Ende des Indochinakriegs kommt es für Hanoi darauf an, die während des Krieges allzu einseitig justierten außenpolitischen Gewichte nach und nach auf neue Felder zu verteilen. Im Visier dieser Diversifizierungspolitik stehen vor allem drei Adressaten: die USA, Japan/EG und die ASEAN.

Was die Beziehungen zu Washington anbelangt, so braucht Vietnam dringend amerikanische Aufbauhilfe. Das Land kann es sich — anders als die Großmacht China mit ihren beinahe unerschöpflichen, Reserven — nicht leisten, seinen Wiederaufbau ganz aus eigener Kraft zu betreiben. Die wiederholten und eindringlichen Appelle an die Adresse der USA, sich an jene Reparationsversprechen zu halten, wie sie bei den Pariser Friedensvertrags-verhandlungen abgegeben wurden, sind daher nicht nur rhetorisch gemeint.

Verbindungen gilt es auch mit den anderen „kapitalistischen" Staaten, vor allem mit Japan, herzustellen, das seit 1975 zum wichtigsten „westlichen" Wirtschaftspartner der Vietnamesen geworden ist.

Das Hauptaugenmerk der vietnamesischen Außenpolitik aber wird sich in Zukunft auf die südostasiatischen Nachbarländer richten müssen. Vorerst zeichnen sich zwei große Optionen ab: Kooperation (in Form einer Annäherung an die ASEAN) oder regionaler Hegemonismus.

Hegemonie-Bestrebungen könnten auf zweifache Art und Weise wirksam werden, nämlich zum einen durch den Versuch, das Erbe Französisch-Indochinas anzutreten und über Laos und Kambodscha Macht zu gewinnen, zum andern aber durch eine Achse Djakarta/Ha-noi, wie sie in indonesischen Militärkreisen schon heute offen diskutiert wird.

Während des gegenwärtigen Wiederaufbaustadiums freilich scheint Hanoi eher die Kooperationslösung anzupeilen. Im Juli 1976 besuchte Hanois Außenminister Phan Hen nacheinander Malaysia, die Philippinen, Singapur und Indonesien. Mit den Philippinen und Singapur, die während des Vietnamkrieges mit den USA sympathisiert hatten, wurden diplomatische Beziehungen aufgenommen. Außerdem wurden mit Indonesien, Malaysia und Singapur Abkommen über wirtschaftliche Zusammenarbeit geschlossen.

Ob dieser kooperative Kurs nur den Bedürfnissen der Aufbauphase entspricht oder ob sich hier langfristige Entwicklungen abzeichnen, kann jedoch heute noch nicht mit Sicherheit beurteilt werden.

Zeittafel

Königsgeschichte

111 V. Chr. Die Han-Dynastie erobert Tonking und Nord-Annam.

39— 42 v. Chr. Die später als Nationalheldinnen verehrten Schwestern Trung Trac und Trung Nhi erheben sich gegen die Chinesen. Nach der Niederwerfung des Aufstandes töten sich die beiden Schwestern.

967— 979 Dinh bo Linh vertreibt die Chinesen, macht sich zum König.

1010— 1225 Ly-Dynastie 1225— 1400 Tran-Dynastie. Während dieser Zeit herrscht in Vietnam ein Feudalregime, das freiwillig an Peking Tribut zahlt. Die Zeit ist gekennzeichnet von zahllosen Bauernaufständen, Palastrevolten und Königsmorden.

1407 Nordvietnam fällt erneut unter chinesische Herrschaft.

1427 Le Loi erobert Hanoi von den Chinesen zurück und gründet die Dynastie der Le. Zu China werden enge Verbindungen aufrechterhalten. Chinesisch bleibt Amtssprache. Unter dem Regime der Le erleben Kunst und Dichtung eine Blütezeit.

1558 Nguyen Hoang errichtet im Süden Vietnams ein unabhängiges Fürstentum und beendet damit die Einheit des Staates.

1593 Das Haus der Trinh beherrscht Nord-Annam bis in die Höhe des 17. Breitengrades. 1727— 1789 Im Tay Son-Aufstand werden die Trinh im Norden und die Nguyen vertrieben und Vietnam wiedervereinigt. Vietnamesisch wird Amtssprache.

1802 Nguyen Anh gelingt es, die Tay Son zurückzudrängen. Als Gia Long bringt er die Nguyen-Dynastie wieder an die Macht.

1820— 1841 Nachfolger von Gia Long )

wird Ming Mang drei sind die letzten unabhängigen 1841— 1847 Thieu Tri des Alten Vietnam.

1847— 1883 Tu Duc 1

Kolonialgeschichte

1535— 1696 Portugiesen, Holländer, Engländer und Franzosen landen in Vietnam. Der französische Jesuit Alexandre de Rhodes errichtet Missionen in allen Teilen Vietnams und verbreitet den Katholischen Glauben. Nach schlechten Erfahrungen mit den europäischen Kaufleuten werden ihnen die Konzessionen von den Vietnamesen wieder weggenommen.

1822— 1847 Erneut verlangen Engländer und Franzosen von den Vietnamesen die Öffnung der Häfen. Amerikanische und französische Kriegsschiffe erscheinen vor Tourane.

1858 Unter dem Vorwand, für die Missionare zu sorgen, fordert ein französischer Admiral die Vietnamesen zur Übergabe von Tourane auf. Ein Jahr später fällt Saigon in die Hände Frankreichs. Der wahre Grund der französischen Intervention: die Öffnung neuer Märkte.

1862 Hue tritt drei Provinzen an die Franzosen ab: Saigon, Mytho, Bien Hoa. 1882— 1905 Die Franzosen erobern Vietnam und machen es zu einem Protektorat.

1887 Frankreich bildet die indochinesische Union, die aus den drei Teilen Vietnams und Kambodscha besteht.

1905 In Vietnam entsteht eine die Unabhängigkeit fordernde Reformbewegung.

Vorbilder sind Japan und China. Phan boi Chan gründet in Tokio eine „Liga zur Erneuerung Vietnams".

1925 In Canton wird die „Revolutionäre Liga der Vietnamesischen Jugend" gegründet, die Keimzelle der späteren Indochinesischen Kommunistischen Partei (ICP). Eines der Gründungsmitglieder ist Nguyen ai Quoc, der Deckname für den späteren Staatspräsidenten von Nordvietnam, Ho Chi Minh. 1930 Die ICP wird gegründet.

1930— 1945 Kampf gegen die Kolonialmacht Frankreich in Vietnam.

1932/33 Frankreich versucht sein Regime noch durch einige Reformen zu retten.

Der in Frankreich erzogene Bao Dai dient als Aushängeschild für die Gründung einer Konstitutionellen Monarchie.

1940— 1945 Indochina steht unter japanischer Kontrolle. Kommunistische und nationalistische Partisanen kämpfen gegen Franzosen und Japaner in Nordvietnam. 1941 Die Liga für die Unabhängigkeit Vietnams (Viet Nam Doc Lap Dong Minh), kurz: Viet Minh, wird gegründet. Ihr Ziel: eine nationale und demokratische Revolution.

13. August 1945 Ho Chi Minh ruft zum allgemeinen Aufstand auf. Die August-Revolution endet mit der Abdankung Bao Dais und der Gründung der Demokratischen Republik Vietnam am 2. September.

Geschichte der Republik

6. Januar 1946 In Vietnam werden die ersten Wahlen in der Geschichte abgehalten.

6. März 1946 Paris und Hanoi schließen einen Vertrag, in dem Nordvietnam als freier Staat von Frankreich anerkannt wird. Südvietnam gilt weiter als französische Einflußphäre, in der bald eine Volksabstimmung durchgeführt werden soll. 1. Juni 1946 Admiral d'Argenlieu proklamiert mit Billigung von Paris die Republik Chochin China. Anhänger des alten Kolonialregimes drängen auf die Liquidierung der Demokratischen Republik Vietnam. Damit wird der Keim des Ersten Indochinakriegs gelegt.

18. Dezember 1946 Französische Truppen besetzen Verwaltungsgebäude in Hanoi.

20. Dezember 1946 Beginn des Ersten Indochina-Krieges, der nach Truong Chinh in drei Etappen geführt werden soll: 1. Stellungskrieg, 2. Strategie des Gleichgewichts der Kräfte, 3. Gegenoffensive.

1950 Die Demokratische Republik Vietnam wird von den Ostblockländern und der Volksrepublik China diplomatisch anerkannt.

1951 In Hanoi wird die Lao Dong-Partei gegründet, die damit die Nachfolge der Indochinesischen Kommunistischen Partei, der Viet Minh und des Lien Viet, antritt.

1952 Beginn der nordvietnamesischen Offensive.

1953 Die USA versprechen Frankreich militärische Unterstützung, was die Internationalisierung des Konflikts bedeutet.

26. April 1954 Beginn der I. Indochina-Konferenz in Genf.

7. Mai 1954 Franzosen ergeben sich in Dien Bien Phu.

20., 21. Juli 1954 In Genf wird der Waffenstillstand vereinbart. Der 17. Breitengrad wird Demarkationslinie, ferner werden Wahlen in ganz Vietnam beschlossen. Nord-und Südvietnam sollen verhandeln, keinen Militärbündnissen beitreten und keine ausländischen Militärstützpunkte zulassen.

September 1954 Die SEATO beschließt, Laos, Kambodscha und Süd-Vietnam zu Schutzgebieten zu erklären.

Oktober 1955 Präsident Diem ruft Südvietnam als Republik aus.

Juli 1956 Diem lehnt es ab, daß gemäß dem Genfer Abkommen allgemeine Wahlen stattfinden, statt dessen wird im Oktober eine Verfassung verabschiedet, die den Willen des Regimes zur Beibehaltung der Trennung des Landes unterstreicht. Nach dem Rückzug der Franzosen übernehmen die USA die Position Frankreichs, um im Sinne der „Domino-Theorie" eine Expansion des chinesischen und nordvietnamesischen Kommunismus zu verhindern. Bis 1961 erhält Saigon 2 Mrd. $Wirtschaftshilfe von Washington.

1957 Diem startet eine Kampagne gegen die Viet Minh.

Die USA hilft mit Militärberatern.

1960 Die Nationale Befreiungsfront für Südvietnam wird gegründet und vom Vietcong und Hanoi unterstützt. Das Ziel der Front: Die Beseitigung des Saigoner Regimes. Das ist der Beginn des Zweiten Indochinakriegs.

1962 Im Kampf gegen die Befreiungsfront erzielen amerikanische Soldaten, die mittlerweile eine Stärke von 12 000 Mann erreicht haben, gemeinsam mit südvietnamesischen Soldaten Erfolge.

November 1963 Mit Billigung der Vereinigten Staaten wird das Diem-Regime gestürzt. August 1964 Nach dem Zwischenfall im Golf von Tonking, wo der amerikanische Zerstörer Maddocks von nordvietnamesischen Torpedobooten angegriffen wurde, befiehlt Präsident Johnson die Bombardierung nordvietnamesischer Kanonenboote und von Nachschubeinrichtungen.

Im Amerikanischen Kongreß wird die sogenannte Tonking-Golf-Resolution verabschiedet, die den Weg für eine weitere Eskalation der amerikanischen Einmischung im Vietnam-Krieg freimacht.

Dezember 1964 Amerikanische Bomber greifen Nordvietnam an.

Dezember 1966 Die USA haben fast 400 000 Soldaten in Südvietnam stationiert.

Februar 1967 Präsident Ho Chi Minh erklärt, daß Gespräche mit den USA nur stattfinden können bei einer bedingungslosen Beendigung der Bombardierung Nordvietnams. Ho fordert ferner den Rückzug der amerikanischen Truppen aus Süd-vietnam und die Anerkennung der Nationalen Befreiungsfront. Januar 1968 Die Kommunisten starten die Tet-Offensive mit Attacken auf die großen Städte in Südvietnam.

Mai 1968 Zwischen Washington und Nordvietnam finden die ersten Friedensverhandlungen statt.

Oktober 1968 Präsident Johnson verkündet den Bombenstop für Nordvietnam. November 1968 Die Friedensgespräche zwischen den USA und Nordvietnam beginnen in Paris.

September 1969 Ho Chi Minh stirbt. Präsident Nixon verkündet den Abzug weiterer 35 000 amerikanischer Soldaten aus Vietnam. Bis November 1971 ziehen die Amerikaner ihre Truppen bis auf 139 000 Mann aus Südvietnam zurück.

April 1972 Nach der Blockierung der geheimen Pariser Waffenstillstandsverhandlungen zwischen Kissinger und Le Duc Tho befiehlt Washington die erneute Bombardierung Nordvietnams.

November 1972 Hanoi erklärt sich zur Fortsetzung der Friedensgespräche in Paris bereit.

27. Januar 1973 Das Pariser Waffenstillstandsabkommen wird unterzeichnet. Der Zweite Indochina-Krieg ist beendet. Mit dem Abzug der Amerikaner aus Südvietnam tritt die Auseinandersetzung zwischen Norden und Süden in ihr letztes Stadium.

30. April 1975 Nach einer zweimonatigen Großoffensive der nordvietnamesischen Armee fällt Saigon in die Hände Hanois.

Oktober 1975 Hanoi kündigt allgemeine Wahlen für das geteilte Land an, aus denen eine Verfassungsgebende Nationalversammlung hervorgehen wird, die den konstitutionellen Rahmen des künftigen wiedervereinten Gesamtvietnam verabschieden wird. Die Wahlen sind für den 25. April 1976 angesetzt.

Birma

Der birmanische Weg Kein anderes Land Südostasiens hat sich den Einflüssen der Außenwelt so hartnäckig verschlossen wie Birma, der flächenmäßig zweitgrößte Staat der Region, der sich — nach sechs Jahrzehnten britischer Kolonialherrschaft — 1948 als Republik und 1962 — nach dem Militärcoup des Generals Ne Win — als „Sozialistische Republik der Union von Birma" konstituierte. Diese „große Verweigerung" hat dazu geführt, daß Birma seine Eigenarten bewahrt hat und ein Land des Buddhismus geblieben ist.

Die birmanischen Besonderheiten ruhen auf zwei Säulen: erstens auf der Idee vom buddhistischen Wohlfahrtsstaat und zweitens auf dem Programm eines „birmanischen Wegs zum Sozialismus", wie es unmittelbar nach dem militärischen Staatsstreich von 1962 verkündet wurde. a) Obwohl die Regierung Ne Win für eine strenge Trennung von Staat und Kirche (genauer: von Staat und Sangha = Mönchsgemeinschaft) gesorgt hat, spielt der Hinayana-Buddhismus in Birma nach wie vor eine überragende Rolle, da ihm über 80 0/0 der birmanischen Bevölkerung angehören. Immer noch verbringen die meisten männlichen Gläubigen einige Monate in einem Kloster als „Teilzeitmönche". So stark ist die Kraft des Buddhismus, daß er im August 1961 unter der Regierung U Nu sogar zur Staatsreligion erhoben wurde. Der Nationalist U Nu wollte damit ein altes Unrecht wiedergutmachen, das die Briten dem birmanischen Volk im Jahr 1886 zugefügt hatten, indem sie durch die Absetzung des Königs eine 800 Jahre alte monarchische Tradition beendeten, die von einer engen Verklammerung zwischen Staat, Religion und der Mönchsgemeinschaften des Sangha geprägt war. Führende Mönche hatten stets auch Anteil an den Regierungsgeschäften. Die Briten, die demgegenüber für eine strenge Trennung von Staat und Kirche eintraten, mußten erfahren, wie birmanische Nationalisten diese Buddhismus-Feindlichkeit des Kolonialregimes propagandistisch ausbeuten konnten.

Mit dem Staatsstreich von 1962 kamen Militärs an die Macht, die — insoweit von der britischen Tradition beeinflußt — die U Nu-Politik wieder aufhoben und — im Interesse von Minoritäten, die nicht dem Buddhismus angehörten — die Trennung von Staat und Sangha befürworteten. Gleichwohl blieb der Buddhismus auch für die Regierungspolitik der Militärs bestimmend, ob sie dies nun eingestehen wollten oder nicht. Vor allem die Utopie eines buddhistischen Wohlfahrtsstaates sorgte dafür, daß sozialistische, ja marxistische Denkansätze in Birma auf fruchtbaren Boden fielen. Sicherlich in keinem anderen Staat wurde die Vereinbarkeit von Buddhismus und Marxismus mit solcher Gründlichkeit diskutiert wie in Birma. Schon in den dreißiger Jahren war der Buddhismus zum Kristallisationspunkt des erwachenden Nationalismus geworden. Zahlreiche Anhänger des 1936 gegründeten revolutionären Schwur-bundes der „Thakins" empfanden es keineswegs als widersprüchlich, in ihren buddhistischen Glauben auch marxistisches Gedankengut aufzunehmen. U Ba Swe, der Führer der früheren Sozialistischen Partei Birmas, be-zeichnete denn auch im Jahre 1950 den Marxismus als eine „niedere Wahrheit", welche die Verwirklichung der höheren buddhistischen Wahrheit fördern könnte, insofern nämlich mit Hilfe der marxistischen Wirtschaftsmethoden dem Menschen die Sorge um Ernährung, Kleidung und Unterkunft abgenommen würde und er sodann mehr Zeit habe, über Alter, Krankheit und Tod zu meditieren und dadurch letztlich, dem obersten buddhistischen Ziel, der „Selbstauslöschung" (Nirwana), näherzukommen. Auf der anderen Seite gab es die Auffassung, daß der Marxismus — als Philosophie der Unzufriedenheit, die er nun einmal ist — vor allem aus zwei Gründen gegen die Logik des Buddhismus verstoße. Erstens sei es sinnlos, einen Reichen zu beneiden, der seine Wohlhabenheit ja ausschließlich dem „durch gute Taten erworbenen Karma" — dem religiösen Verdienst — verdanke. Zweitens aber mindere jeder, der sich von solchen Neidgefühlen leiten lasse, seine eigenen „Verdienste" und bringe sich damit um die Chance, seine an und für sich „leidvolle Wiedergeburt" im nächsten Leben dadurch erträglich zu machen, daß er möglicherweise selbst einmal dem Kreis der Wohlhabenden angehöre.

Der Marxismus erfuhr also eine durchaus pragmatische Bewertung: Wirtschaft galt er als wünschenswert, philosophisch dagegen weitgehend als unannehmbar — vor allem wegen der ihm anhaftenden Klassenkampfattitüde. Soweit der Marxismus mit seinen „niedrigen" (d. h. wirtschaftlichen) Methoden als brauchbar empfunden wurde, gingen fast alle Theoretiker davon aus, daß seine Werte dem Buddhismus ohnehin innewohnten. Als Weltanschauung dagegen wurde er ebenso bekämpft wie die beiden illegalen KPs: die Moskau zugewandte „Rote Flagge" und die Peking-orientierte „Weiße Flagge".

Nicht nur der Marxismus, sondern auch ein Kapitalismus westlicher Prägung kann angesichts dieses Wohlfahrtsstaats-Denkens in Birma kaum Ansätze finden: Für einen Birmanen ist soziales und berufliches Wohlergehen keineswegs Frucht eines erfolgreichen „Geschäftsgebarens", sondern unmittelbare Folge eines religiös „verdienstvollen" Verhaltens im letzten Leben. Es muß ihm daher auch in der Gegenwart nicht etwa um Maximierung der wirtschaftlichen, sondern vielmehr der religiösen Gewinne gehen. Wenn es in Birma überhaupt Ansätze für eine kapitalistische Wirtschaftsform gegeben hat, so war diese mit den Auslandschinesen und Europäern, vor allem aber mit Zehntausenden von Indern ins Land gekommen. Während der britischen Kolonialherrschaft waren die Inder in Birma ansässig geworden und hatten dort im Handumdrehen die wirtschaftliche Initiative an sich gerissen. Gerade diese Bevölkerungselemente wurden jedoch nach 1962 systematisch aus dem Lande vertrieben.

b) Das Programm für einen „birmanischen Weg zum Sozialismus", das seit 1962 eine Art Magna Charta der Regierungspolitik geworden ist, hat allerdings das „Sozialismus" -Den-ken, das in der birmanischen Buddhismus-Tradition ohnehin schon vorhanden war, noch stärker ins Bewußtsein gerückt — wenn auch in nunmehr säkularisierter Form.

Das „Manifest" vom 30. April 1962, in dem der birmanische Weg zum Sozialismus vorgezeichnet ist, spricht sich für Verstaatlichung bzw. Vergenossenschaftlichung von Boden und Produktionskapital aüs, tritt für eine sozialistische Planwirtschaft ein, fordert den Altruismus als Basis der Sozialethik, formuliert eine Autarkie-und Austerity-Politik, will den Bürokratismus beseitigen und betrachtet alle kooperationswilligen Staatsbürger, vor allem aber Bauern und Arbeiter, als Träger des so definierten autochthonen Sozialismus. Die spezifischen birmanischen Probleme sollten „birmanisiert" — und nicht etwa nach importierten Schemata gelöst werden. In einigen Punkten gleicht dieser „Birmanismus" durchaus den Sozialismus-Vorstellungen etwa Pekings oder Hanois, vor allem was die Forderungen nach universeller Massenpartizipation, Wirtschaftsplanung, Verstaatlichung, Landwirtschaftspriorität, Bürokratismus-Verdammung und volksverbundener Solidarität anbelangt. Viel stärker noch freilich als die Gemeinsamkeiten dürften die programmatischen und tatsächlich gelebten Unterschiede ins Gewicht fallen: An erster Stelle ist hier das Fehlen von Klassenkampfgesichtspunkten zu vermerken. Arbeiter und Bauern werden zwar als Vorhut und Wächter eines „sozialistischen demokratischen Staates" bezeichnet, doch heißt das Manifest im gleichen Atemzug jedermann willkommen, der „integer und loyal am allgemeinen Wohl mitarbeitet". Um hier ja keine Unklarheiten aufkommen zu lassen, präzisiert der Abschnitt . Wirtschaft : „Privatunternehmen, welche zum National-produkt beisteuern, dürfen — im Rahmen fairer und vernünftiger Restriktionen — weiterbestehen. (Sie sollen . . .) einen angemessenen Platz in der neuen Gesellschaft einnehmen und zur weiteren nationalen Entwicklung beitragen." Eine programmatisch bedeutsame Differenz zu anderen marxistisch regierten Staaten Asiens beinhaltet auch die These des Manifestes, daß „in unserer birmanischen sozialistischen Gesellschaft Gleichmacherei unmöglich ist. Die Menschen sind weder körperlich noch geistig gleich und sie müssen entsprechend ihren Unterschieden in den Dienst der Gesellschaft gestellt werden. Gleichzeitig verlangt aber die soziale Gerechtigkeit, daß die Unterschiede in den Einkommen vernünftig bleiben..." Offensichtlich geht dieses Bekenntnis gegen den Egalitarismus, das in dem Manifest durchaus entbehrlich gewesen wäre, auf die — uneingestandene — buddhistische Vorstellung von der Karma-verursachten Ungleichheit aus. Freilich wird diese Ungleichheit auch gelebt; so paßt z. B.der militärische Elitismus, wie er sich seit 1962 herausgebildet hat, schlecht zu einem sozialistischen Programm. Auch der allgegenwärtige Bürokratismus ist mit den massenpartizipatorischen Ansätzen des Manifests kaum zu vereinbaren.

Birma hat also — im wahrsten Sinne des Wortes — einen „mittleren Weg" zwischen dem „kapitalistischen" Malaysia und dem „kommunistischen" Vietnam eingeschlagen. Kann es das Ziel eines Sozialismus eigener Art mit den vorgegebenen Mitteln erreichen?

Integrationsproblematik Kaum war 1948 die Union von Birma gegründet, schwebte das Damoklesschwert einer staatlichen Aufsplitterung über ihr — eine Gefahr, die so alt ist wie die geschichtlich nachweisbare Existenz eines birmanischen Einheitsstaates. Ähnlich wie die Vietnamesen und Thais waren die Birmanen, aus dem Norden kommend, entlang den in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Strömen Irrawaddi und Salween zwischen 800 und 1000 n. Chr. in das heutige Birma eingewandert und begannen die dort bereits ansässigen Völker, vor allem die verschiedenen Mon-Köngreiche zu unterwerfen. Ihren Spuren folgten weitere, nichtbirmanische Stämme, die später allesamt Bestandteile des Völkergemisches der Union von Birma werden sollten. Ethnisch gleicht Birma heute einem buntscheckigen Teppich: Es leben hier rund 40 Völkerschaften, die 136 verschiedene Sprachen und Dialekte sprechen. Nur 67 von 100 „Birmanen" gehören dem Staatsvolk an. Einzelne Völker wie die Shän, die Karen und die Kachin sind überdies nicht nur auf birmanischem Gebiet, sondern auch in den Nachbarländern Birmas anzutreffen. Daraus ergibt sich eine erhebliche Verschiebung über die Grenzen hinweg — ein Umstand, der bei einem ausreichend -nen sozialen Konfliktpotential von einem Nachbarstaat durchaus zum Schaden Birmas ausgenutzt werden könnte. Während das Staatsvolk der Birmanen hauptsächlich im Zentrum, entlang dem „Mutterfluß" Birmas, dem Irrawaddi, lebt, sind die Minoritäten über das Bergland verteilt, das sich hufeisen-förmig vom Nordwesten über den Norden nach Südwesten hinzieht. In den Augen der Ethnologen ist dieses Gebiet ein „Paradies". Aus der Sicht eines Ranguner Politikers dagegen nimmt es sich eher wie ein Alptraum aus.

Das Ringen um einen birmanischen Einheitsstaat gleicht der Arbeit des Sisyphus: Auf die Periode der „ersten Einheit" unter der machtvollen Pagan-Dynastie 1044— 1287, mit der das Land ins Licht der Geschichte trat, folgte der erste Zerfall, der von 1287 bis ins 16. Jahrhundert hinein dauerte und zur Rekonsolidierung mehrerer rivalisierender Minoritätenreiche führte.

Im 16. und 17. Jahrhundert bahnte sich eine „zweite Einheit" unter der Tungoo-Dynastie an, die aber schon bald wieder abgelöst wurde durch einen neuerlichen Zerfall im 18. Jahrhundert.

Unter der Alaungpaya-Dynastie (1752— 1885) kam es zur „dritten Einheit", in deren Verlauf Birma seine bisher machtvollste Ausdehnung erlebte. Das Land expandierte zu dieser Zeit nach Süden bis zum Deltagebiet in der Umgebung der heutigen Hauptstadt Rangun, wehrte vier chinesische Angriffe erfolgreich ab, eroberte die damalige siamesische Hauptstadt Ayutheia, annektierte das Dschungelgebiet bis zum Indischen Ozean hin und überrannte 1821 das indische Brahmaputra-Tal, wo die Truppen auf Kolonialverbände des damaligen Britisch-Indien stießen.

Die hierdurch ausgelösten britischen Gegen-schläge, die sukzessive zur Eroberung Birmas in drei Kriegen führen sollten (vgl. dazu die Zeittafel am Schluß der Arbeit), bewirkten abermals eine vorübergehende Aufspaltung des Landes. Nachdem jedoch die Briten das gesamte Land erobert, es 1886 auch offiziell annektiert und zu einem Teil Britisch-Indiens erklärt hatten, war die Einheit wiederherge-stellt, wenn auch unter fremder Regie. Diese „vierte Einheit" dauerte unter Englands Kolonialherrschaft bis 1941, sodann unter den Japanern von 1942— 1945 und wiederum unter den Briten von 1946 bis 1947.

Trotz Wahrung der äußeren Einheit Birmas hatten es die Briten während ihrer Kolonialzeit freilich nicht versäumt, sich den Spannungszustand zwischen Birmanen und nationalen Minderheiten zunutze zu machen und letztere auf Kosten des Staatsvolkes zu bevorzugen, um nach dem Prinzip des „Teile und Herrsche" ihre Herrschaft über das Land zu konsolidieren.

Dieses Erbe wirkte noch nach, als nach dem Zweiten Weltkrieg die Grundsteine für die moderne Republik Birma gelegt wurden. Am Vorabend der Republikgründung kam es zu dem Abkommen von Panglong (12. 2. 1947), in dem sich die Vertreter der Zentrale mit den Minoritätenführern auf eine föderalistische Struktur des Staates einigten. Die einzelnen Minoritätenstaaten sollten weitgehende Autonomiebefugnisse erhalten und — nach Ablauf einer Zehnjahresfrist seit Erlaß der Verfassung von 1947 — das prinzipielle Recht erhalten, aus der Union auszutreten.

Die wichtigsten Minderheiten wollten diese Frist jedoch gar nicht erst abwarten, sondern formierten sich schon wenige Monate nach dem Vertragsschluß zum Kampf gegen Rangoon: 20 000 bewaffnete Karen-Rebellen, die in der „Karen National Union" (KNU) organisiert waren, hätten im Jahre 1947 beinahe Rangoon erobert. Anfang der sechziger Jahre hatte sich die birmanische Armee dann mit der „Shan State Army", der Kachin Independence Army und dem Naga Eastern Revolution Command auseinanderzusetzen. Zwischen 1970 und 1972 versuchte der 1972 gestürzte Ministerpräsident U Nu, mehrere Minoritäten-bewegungen zu einer „Vereinten Nationalen Befreiungsfront" (UNLF) gegen Rangun zusammenzuschweißen, scheiterte allerdings mit diesem Vorhaben an der Uneinigkeit der Kombattanten.

Auch der prochinesische Flügel der KP Birmas, die „Weiße Flagge", bediente sich des heißen Eisens der Minoritätenfrage. Ziel der KPB ist es — eigenen Erklärungen zufolge —, „gemeinsam mit den Volksmassen bis zur letzten Konsequenz für die Gründung einer Volksdemokratischen Bundesrepublik Birma zu kämpfen, in der die Arbeiterklasse die Führung innehat, deren Grundlage das Bündnis der Arbeiter und Bauern ist und in der Arbeiter, Bauern, Kleinbourgeoisie und Nationale Bourgeoisie zu einer revolutionären Einheitsfront zusammengeschlossen sind" Die Weiße Flagge verfolge eine „Politik der Gleichberechtigung und Solidarität aller Nationalitäten" und sei deshalb schon 1959 für die „Bildung einer nationaldemokratischen Einheitsfront" eingetreten, in der die Minderheiten — Schulter an Schulter mit den fortschrittlichen Birmanen — im Wege des „revolutionären bewaffneten Kampfes ... gegen das reaktionäre Regime Ne Win" antreten sollen

Dieser bewaffnete Kampf zum Zwecke der Machtergreifung, dem sich auch die einzelnen Nationalitäten anschließen sollen, geht auf den 28. März 1948 zurück, als die „revolutionäre Bevölkerung kühn unter der Führung der heldenhaften KP Birmas zum Gewehr griff und dem bewaffneten Kampf der Konterrevolution den bewaffneten Widerstand der Revolution entgegensetzte"

Dieser Funke glüht auch heute noch weiter und entzündet von Zeit zu Zeit die Fackel des revolutionären Protests, obwohl die Regierungsarmee mit 153 000 Mann seit nunmehr 28 Jahren den von der Außenwelt halb vergessenen Krieg gegen aufständische Minoritäten und Kommunisten führt.

Militärische Mittel genügen offensichtlich nicht, um dem Separatismus in den Grenzregionen wirksam zu begegnen. Seit 1970 schienen sich hier zwar gewisse Erfolge der Zentralregierung anzubahnen. Sogar Touristen konnten nun wieder das Land bereisen und selbst abgelegene Gegenden wie den Shan-Staat im Nordosten besuchen. Anfang 1976 wurde dieser Entwicklung jedoch jäh wieder Einhalt geboten, da Rangun erneut die Kontrolle über weite Teile des Landes verloren hat.

Solange der Staat weiterhin mit hohen Rüstungsausgaben für den permanenten Bürgerkrieg belastet ist, stehen der Entwicklung eines Wohlfahrtsstaates entscheidende Hindernisse im Wege. Mit den „Gewehrläufen" allein läßt sich — wie das vergangene Viertel-jahrhundert gezeigt hat — keine Lösung des Einheitsproblems erreichen. Wirtschaftsproblematik Auch die Perspektiven der birmanischen Wirtschaft haben sich in den letzten Jahren zunehmend verdüstert, obwohl das Land eigentlich zu den landwirtschaftlich fruchtbaren und an Bodenschätzen reichen Regionen Südostasiens gehört: Mit einer Gesamtfläche von 678 000 qkm ist Birma fast dreimal so groß wie die Bundesrepublik, hat aber nur 30 Millionen Einwohner (1974).

Der großzügige Vorschuß, den die Natur gewährt hat, ging freilich durch die Wirtschaftspolitik der verschiedenen Regierungen schnell wieder verloren. Dies wurde besonders deutlich nach dem Staatsstreich Ne Wins von 1962. Für einen Augenblick schien damals frischer Wind in die Segel des träge dahintreibenden Staatsschiffes zu kommen: Der „Revolutionsrat'', in dem die siegreichen Polit-Militärs sich formierten, verkündete sein Programm des „birmanischen Wegs zum Sozialismus", hob die alte Verfassung auf und gründete die Burma Socialist Programme Party (BSPP), die 1963 — nach Verkündung des „Manifestes für eine neue Wirtschaftspolitik“ — die erste Verstaatlichungswelle anrollen ließ, die in immer neuen Schüben (1965, 1968, 1969 und 1972) fortgesetzt wurde. 1963/64 wurden Zehntausende jener Auslandsinder des Landes verwiesen, die mit den Kolonialherren ins Land gekommen waren und die mit z. T.fragwürdigen Methoden, etwa „halsabschneiderischen" Geldverleihpraktiken, das Ruder der Wirtschaft an sich gerissen und dadurch den Haß der einheimischen Bevölkerung auf sich gezogen hatten. Dieser große „Exodus" führte, wie sich später herausstellen sollte, auch zu einem erheblichen „brain drain" und zu einem verheerenden Verlust an Privatinitiative, den die Wirtschaft schon bald zu spüren bekommen sollte. Gleichzeitig begannen energische Verstaatlichungsmaßnahmen, die dazu führten, daß Banken, Versicherungen, der gesamte Außenhandel, der Binnengroßhandel, die Schiffahrt und das Eisenbahnwesen heute vollständig, der Einzelhandel, die Industrie und das Verkehrswesen zum großen Teil nationalisiert sind. Ende der sechziger Jahre setzte auch ein verstärkter Trend zur Bildung von Genossenschaften ein, die als „zweites Bein" gedacht waren, auf dem die birmanische Wirtschaft laufen sollte.

An die Stelle des Privathandels, der bisher fast ausschließlich von Indern und Chinesen kontrolliert wurde, trat 1965 die bürokratisch-starre staatliche „Trade Corporation", die das gesamte Güter-Distributionssystem — nach 22 Branchen aufgeteilt — zentral verwalten sollte. Die operative Durchführung der Güterverteilung ging an die sogenannten Volksläden, die sich anstelle der früheren privaten Einzel-handelsgeschäfte etablierten. Der gesamte Großhandel untersteht deshalb heute dem Staat, während Genossenschaften und Privatpersonen nur noch in Nebenbereichen Wirkungsmöglichkeiten haben. „Nationalisiert“ wurde durch diese Maßnahme letzten Endes nur die Armut, während der aktive Mittelstand durch Verwaltungsbeamte ersetzt wurde. Schon bald griffen als Folge dieser Entwicklung Korruption, Schwarzmarktpraktiken (Schmuggelwaren aus Thailand) und Leerlauf der Administration um sich. Auch die Armee, das „Kindermädchen der Nation", vermochte die Entwicklungen nicht in gerade Bahnen zu lenken, verstanden doch die meisten ihrer Vertreter nichts oder nur wenig vom Handel und Geldgeschäften. Wirtschaftlich gesehen wurde Rangun zu einer der rückständigsten Städte Asiens: Jedes zweite Geschäft der 1, 6-Millionen-Metropole schloß die Tore. Um eine Glühbirne kaufen zu können, mußte ein Birmane von nun an die schriftliche Genehmigung eines Dutzends Beamter einholen, um sich sodann in die lange Schlange vor einem der wenigen „Volksläden" einzureihen.

Auch die birmanischen Vierjahrespläne, deren erster 1971/72 anlief, waren auf Sand gebaut. Statt des angestrebten jährlichen Bruttosozialprodukt-Zuwachses von 5, 4 °/o wurden 1971/72 nur 2, 4 °/o, 1972/73 sogar nur 1, 1 °/o und 1973/74 3% erreicht Geringes Wachstum, Unterbeschäftigung, außenwirtschaftliches Un-gleichgewicht, wachsendes Haushaltsdefizit, Mangel an Devisen und Schwierigkeiten bei der Versorgung mit Konsumgütern waren die deprimierende Ausbeute des ursprünglich mit soviel Optimismus begonnenen ersten Vierjahresplans. Wegen dieses Mißerfolges mußte der alte Plan schon am 1. April 1974 vorzeitig durch einen neuen Plan ersetzt werden, der allerdings immer noch — wie sich später herausstellte — zu ehrgeizig angesetzt war.

Angesichts dieser düsteren Erfahrungen richten sich heute alle Hoffnungen auf größere Olfunde vor der Küste. Seit 1974 vergibt der Staat „Service-contracts" an ausländische Bohrfirmen. Das O 1 als Heilsbringer spielt nicht zuletzt deshalb eine so entscheiden-26 de Rolle, weil sogar im Landwirtschaftsbereich inzwischen schwere Rückschläge zu verzeichnen sind. Die Reiserzeugung z. B. ist seit den Jahren 1940/44 bis heute nahezu auf dem gleichen Stand geblieben, obwohl sich die Bevölkerung im gleichen Zeitraum von rd. 15 auf 30 Millionen verdoppelt hat. Dieser Schereneffekt hat die unangenehme Nebenwirkung eines Exportrückgangs. Hatte Birma noch 1940/41 mit etwa 3 Mio. t Reis fast die Hälfte des Weltexportes bestritten, so fiel das Volumen in den Jahren 1974/75 auf 366 000 t zurück. Sollten düstere Prognosen recht behalten, so wäre das Land um 1980 herum sogar noch zu Reisimporten gezwungen! Der noch 1948 bedeutendste Reisexporteur der Welt würde damit zum Importeur!

Die birmanische Regierung hat inzwischen eingesehen, daß ihre bisherige starre Aufkaufpolitik den Bauern kaum materielle Anreize bot. Seit 1973/74 hat sie deshalb eine neue Politik eingeleitet. Die Bauern müssen jetzt nur noch einen „Pflichtteil" zu verhältnismäßig uninteressanten Bedingungen an den Staat verkaufen, während sie für die „freiwilligen Teile Preise erzielen, die um 100% höher liegen als 1972. Gleichsam über Nacht hat sich der Erfolg eingestellt, wie der folgende Erntevergleich zeigt: 1972/73 — 391 Mio. baskets; 1974/75 — 411 Mio. baskets Die Regierung traf mit der neuen Politik zwei Fliegen auf einen Streich: Neben der Erhöhung des individuellen Profitanreizes bewirkte sie, daß der bisher so ergiebige Reis-schmuggel ins benachbarte Bangladesh finanziell uninteressant wurde.

Je stärker freilich das materielle Eigeninteresse gefördert wird, desto mehr Abstriche „vom birmanischen Weg zum Sozialismus“ müssen hingenommen werden. Selbst diese ideologisch kostspielige Politik dürfte aber bald auf Grenzen stoßen: Tonnenideologie ist mit dem leistungsverneinenden Buddhismus schlecht vereinbar. Der Aufruf zu Wettbewerb, Planerfüllung und höheren Arbeitsquoten will nicht so recht zu den tiefverwurzelten Grundüberzeugungen passen, daß die Welt nur Schein und Übergang ist — und alles Streben nach materiellen Werten letztlich nur jenen Lebensdurst anreizt, der nach buddhistischer Lehre doch eigentlich ausgelöscht werden müßte, wenn man dem ersehnten Endziel des Nirwana näherkommen will.

Partizipationsproblematik Der „birmanische Weg zum Sozialismus" ist nicht nur durch den permanenten Kampf gegen den Minoritäten-Sezessionismus und durch die „revisionistischen" Aufweichungserscheinungen im Wirtschaftsgefüge gefährdet, sondern verliert seine Glaubwürdigkeit obendrein durch die immer noch fortbestehende Militärherrschaft, durch die eifersüchtig gehütete Ein-Parteien-Struktur und durch einen krebsartig wuchernden Bürokratismus, der jegliche Massenpartizipation zu erstrik-ken droht.

Im Mittelpunkt der politischen Landschaft Birmas steht auch 14 Jahre nach dem Umsturz von 1962 immer noch die Armee, die sich zur Ausübung ihrer Herrschaft hauptsächlich zweier Instrumente bedient: des Parteiapparats und der Bürokratie. Selbst die neue Verfassung von 1974, die eine verfassungslose Übergangszeit von zwölf Jahren beendete, hat an diesem Zustand nicht viel geändert. Höchstes Organ ist seitdem die „Volksversammlung". Das eigentliche Schwergewicht aber liegt beim formell eigentlich untergeordneten „Staatsrat", in dem die engste Führungsgruppe um General Ne Win vertreten ist, nämlich neun von insgesamt elf Vollmitgliedern des Exekutivkomitees der BSPP. Diese Verflechtung von Parteispitze und Staats-maschinerie wird dafür garantieren, daß auch das neuverfaßte Staatswesen stets auf dem vom Militär gewünschten Kurs weitersteuert. Dies ist um so mehr zu erwarten, als der Staatsrat die Kandidaten für den Ministerrat, für den Rat der Volksrichter sowie den Rat der Volksanwälte vorschlägt, über deren Annahme dann erst die Volksversammlung zu entscheiden hat. Außerdem ergreift der Staatsrat „im Falle einer Aggression gegen den Staat" alle erforderlichen militärischen Maßnahmen und ruft den Notstand aus. Schließlich hat er auch noch die von der Volksversammlung erlassenen Gesetze und Resolutionen auszufertigen und zu verkünden, kann also mit anderen Worten unliebsame Gesetze durch Verweigerung der Ausfertigung blockieren. Außerdem wählt der Staatsrat einen Vorsitzenden, der die Funktionen des Staats-präsidenten wahrnimmt. Mit diesem Amt wurde gleich nach Erlaß der Verfassung wieder Ne Win betraut Nicht nur in den Staats-und Parteiorganen, sondern auch im täglichen Leben wird die privilegierte Rolle der Offiziere und Ex-Militärs auf Schritt und Tritt deutlich. In den Maschinen der birmanischen Fluglinie beispielsweise werden Armeeoffiziere lange vor anderen Passagieren bedient. In buddhistischen Tempeln, die man nur barfuß betreten darf, treten sie manchmal in Stiefeln auf — ein schockierendes Verhalten, das von der Bevölkerung mit stiller Empörung quittiert wird Vielerorts ist die Klage zu hören, daß die Angehörigen von Offizieren bevorzugt behandelt werden, beispielsweise im Zivildienst und in Schulen- überdies unterhält die Armee im ganzen Land Sicherheits-und Verwaltungskomitees, die sich aus Regierungsbeamten sowie den Distrikts-Militärkommandanten als Vorsitzenden zusammensetzen. Nicht selten wird von „Minidiktatoren" gesprochen

Die Vorrangstellung des Militärs ist nicht zuletzt deshalb erhalten geblieben, weil die Armee als einzige Kraft für die Einheit des Landes garantiert. Angesichts der zunehmenden Militarisierung der Minoritäten und ihrer quecksilbrigen Kleinkriegführung ist die Regierung in Rangoon gezwungen, ihre Streitkräfte in ständiger Einsatzbereitschaft zu halten. Etwa ein Fünftel des Bruttosozialprodukts wird für militärische Zwecke ausgegeben Nicht zuletzt verdankt das Militär seine „hohe Präsenz" aber auch der selbstgewählten Mission, Gralshüter des „birmanischen Weges zum Sozialismus" zu bleiben.

Neben dem schlagkräftigen Militärapparat bedient sich das Militär vor allem der BSPP als des wirksamsten Instruments zur Machterhaltung und umfassenden Kontrolle des staatlichen und gesellschaftlichen Lebens. Bezeichnenderweise hat die Verfassung von 1974 das Parteimonopol der BSPP legitimiert. Die Partei ist nach leninistischen Prinzipien (demokratischer Zentralismus, Zellenprinzip, Elite-revolutionäre als Mitglieder) aufgebaut. Seit Beginn der siebziger Jahre liefen zwar zaghafte Versuche, die Kaderpartei zu einer Massenpartei umzuwandeln. Die Massenlinie, wie sie im Manifest von 1962 gefordert wird, d. h. also die enge Verbindung zwischen Führern und Geführten, läßt sich aber schon deshalb schwer verwirklichen, weil das Militär sowohl von seinem Selbstverständnis als auch von seiner administrativ-sozialen Position her eine Elite-Haltung bezieht, die sich nicht von heute auf morgen abbauen läßt. Typisch hierfür ist bereits die Person des Staatspräsidenten. Ne Win gilt als einer der „zurückgezogensten" Staatsmänner Asiens. Der dem birmanischen Volkscharakter eigene Zug zur Distanz, der bei aller äußeren Verbindlichkeit und Freundlichkeit vorwaltet, tritt in seiner Person überdeutlich hervor.

Vergleicht man schließlich die Wirklichkeit in Staat und Gesellschaft mit der im Manifest erhobenen Forderung nach einer bürokratie-freien Gesellschaft, so fällt es schwer, der birmanischen Regierung, zumindest aber der Beamtenschaft des Landes, nicht Zynismus vorzuwerfen.

An die Stelle des Unternehmertums der 1963 unter dem Beifall weiter Bevölkerungskreise vertriebenen Inder ist inzwischen eine machtbewußte und zumeist bequeme Bürokratie getreten, die ihren Vorteil zu wahren weiß und dabei sogar noch Schutzpositionen beziehen kann. Produktion und Mißwirtschaft in den „Volksläden" werden z. B. durch die alten „Departmental Rules" begünstigt und „verwischt" durch Regelungen also, die ursprünglich dazu bestimmt waren, britische Beamten vor Strafverfolgung zu schützen, die aber nun — auf die „Volksläden" übertragen — dazu führen, daß die Kommerzfunktionäre auch dann noch weitgehend unbehelligt bleiben, wenn sie größerer „Schiebungs”delikte überführt werden können. Bezeichnenderweise wuchs in den letzten Jahren auch die Wirtschaftskriminalität, die sich zumeist in der Umlenkung von „legalen" Waren aus den Volksläden in die illegalen Kanäle des Schwarzmarktes zur „Aufbesserung" der knappen Beamtengehälter äußerte. 1975 wurden zwar 1206 Wirtschaftsverbrecher verurteilt, doch ist dies nur ein schwacher Lichtpunkt in einem Meer von Dunkelziffern. Wer das zweifelhafte Vergnügen haben durfte, am Flughafen von Rangun zuerst den Immigration Officer, dann den Customs Officer und schließlich noch den Health Officer mit jeweils einem kleinen „Präsent" abfinden zu müssen, wird das Gefühl, es könne mit der birmanischen Bürokratie und ihrer Einstellung zum Sozialismus etwas nicht in Ordnung sein, wohl nur schwer unterdrücken können. Dies Gefühl mag sich erst recht beim Durchschnittsbirmanen breitmachen, dem einst die große Mitbestimmung versprochen worden war, der sich nun aber von einer wachsenden parasitären Bürokratie umgeben sieht.

Außenpolitik Will Birma seinem Außenseiter-Kurs eines „eigenen Wegs zum Sozialismus" treu bleiben, so ist es gut beraten, sich politisch nie entschieden nach der einen oder anderen Seite zu bewegen. Diese Faustregel ergibt sich nicht nur aus dem warnenden Beispiel Süd-vietnam, sondern auch aus der geopolitischen Lage des Landes: Eingekeilt zwischen den beiden feindlicher Riesen Indien und China fühlt Birma sich — nach einem Ausspruch seines früheren Ministerpräsidenten U Nu — wie ein „zarter Kürbis zwischen stacheligen Kakteen".

Die Rolle des südostasiatischen „Eremiten" einzunehmen, fällt Birma übrigens nicht schwer. Introvertiertheit und eine „nationale Philosophie des Mißtrauens" sind geschichtliches Erbgut des Landes. Bezeichnenderweise war es das meerabgewandte, entlang dem Irrawaddi gelegene Herzland Birmas, auf das sich jahrhundertelang die Politik des birmanischen Königtums beschränkt hatte. Die alten Hauptstädte Pagan, Pegu, Ava, Amarapura und Mandalay hatten alle die „Küstenferne" gemeinsam. Das meerzugewandte Rangun konnte erst unter den britischen Kolonialherren zur Metropole heranwachsen.

Birmas Hang zur nationalen Klausur wurde in neuerer Zeit noch durch drei weitere traumatische Erfahrungen bestärkt: durch die rund 60jährige britische Kolonialherrschaft, den demütigenden Zugriff der indischen und chinesischen Kaufleute auf das Wirtschaftsleben des Landes und schließlich durch die Verwüstungen des Zweiten Weltkrieges, als Birma zwischen Hammer und Amboß geriet und zum Schlachtfeld zwischen den Japanern und den Alliierten wurde.

Kein Wunder, daß die Politik der Selbstisolierung auch dem heutigen Birma zur zweiten Natur geworden ist. Während andere Staaten Asiens möglichst die ganze Welt mit ihren Problemen vertraut machen — man denke etwa an die VR China, Nordkorea oder Japan —, hat die moderne birmanische Republik in den 28 Jahren ihres Bestehens so gut wie keine Selbstdarstellung betrieben. Manchmal erweckt diese verstockt wirkende Abgeschlossenheit den Anschein, als wünsche Birma, daß die Welt von seiner Existenz überhaupt keine Kenntnis nehme. Das Land hat bis 1971 selbst den Tourismus prinzipiell ausgeschaltet und gestattet auch heute ausländischen Journalisten nur in Ausnahmefällen Zutritt. Birma hätte sich durchaus — vergleichbar etwa den Philippinen, Südvietnam oder Thailand — für ein amerikanisches Engagement entscheiden können. Bei der Abwägung „Hilfe von außen und Abhängigkeit oder Unabhängigkeit und potentielle Stagnation" entschied sich Birma grundsätzlich für die zweite Alternative. Die durch diesen Entschluß verursachte nationale Klausur bewirkte, daß Birma das Asien der Asiaten par excellence geblieben ist — sozusagen ein Asien ohne Coca Cola! Andererseits nimmt sich Birma freilich auch aus wie ein Unterdruckgefäß, in das die Außenwelt eines Tages wie eine Flut hineinstürzen könnte. Gleichwohl wäre es falsch, der birmanischen Außenpolitik aktive Züge abzusprechen. Das Land wandte sich z. B. schon in den fünfziger Jahren gegen ost-westliche Blockbildungen in der UNO und lehnte es gleichzeitig ab, einem dritten Block neben dem „sozialistischen" und dem „kapitalistischen" Lager beizutreten. Vor allem hielt sich Rangun aus jeglicher militärischen Bindung heraus und weigerte sich entschieden, mit der SEATO auch nur Fühlung aufzunehmen. Das strikte Non-Alignment nahm manchmal geradezu groteske Formen an: Als die Birmanen 1965 die Bibliothek des British Council schlossen, begründeten sie diese Maßnahme damit, daß sie andernfalls den Chinesen ebenso die Einrichtung eines eigenen Kulturzentrums hätten zugestehen müssen.

Letztlich sind all diese Verhaltensweisen positiver Neutralität von der Absicht getragen, zu verhindern, daß das Land ähnlich wie die Nachbarstaaten Kambodscha, Laos und Vietnam zur Arena für die Auseinandersetzungen stärkerer Mächte wird — oder aber, daß ein ausländischer Staat (und gedacht wird hier im allgemeinen an die VR China) die aufständischen Gegner Ranguns unterstützt. Birmas neutrale Außenpolitik sieht sich heute durch drei Gefahren herausgefordert: — Die vergleichsweise geringste Gefahr — man müßte eher von Versuchung sprechen — besteht darin, daß bei zunehmender Verflech-B tung mit den westlichen Olfirmen die Flagge dem Ol folgen könnte. — Eine weitere Herausforderung könnte von Vietnam ausgehen, falls Hanoi nach vollendeter Wiedervereinigung dazu übergehen sollte, das gesamte ehemalige französische Indochina unter seinen Einfluß zu bringen. In diesem Falle geriete Birma in die fatale Situation, in dem dann gleichsam zwangsweise entstehenden chinesisch-vietnamesischen Konflikt für die eine oder andere Seite Stellung nehmen zu müssen. — Das meiste Kopfzerbrechen aber bereitet die VR China, die gegenüber Birma seit Jahren eine Doppelstrategie betreibt, indem sie einerseits auf Staat-Staat-Ebene Beziehungen nach den „fünf Prinzipien der friedlichen Koexistenz" aufrechterhält, andererseits aber auf Partei-Partei-und auf Volk-Volk-Ebene die „aufständischen Volksmassen" im südostasiatischen Nachbarstaat unterstützt.

Birma, das mit China ein fast 2 000 km langes, zerklüftetes und nur schwer kontrollierbares Grenzterrain gemeinsam hat, glaubte seine Außenpolitik nie ohne einen Seitenblick auf Peking gestalten zu dürfen. Birma war das erste nichtkommunistische Land, das die Volksrepublik bereits zwei Monate nach ihrer Ausrufung diplomatisch anerkannte. Später war es stets darauf bedacht, nicht in den sowjetisch-chinesischen Konflikt hineingezogen zu werden. Rangun kennt die chinesische Allergie gegenüber den sowjetischen Einkreisungsversuchen und hat daher behutsam entschiedene Schritte in Richtung Moskau vermieden. Birma hat es bisher auch stets unterlassen, die Volksrepublik wegen ihrer Unterstützung kommunistischer Aufständischer anzuprangern — in der Erkenntnis, daß Pekings Politik dem Wellenschlag der Revolution in der Volksrepublik folgt und immer wieder zwischen Annäherung und Konfrontation pendelt. So gesehen war die chinesische Politik gegenüber Birma weitaus weniger konsequent als umgekehrt die birmanische Politik gegenüber Peking. „Unfreundlich" waren vor allem die Jahre unmittelbar nach 1949, also nach der kommunistischen Machtergreifung in China, ferner in der Zeit um das Jahr 1958, als die revolutio-näre Hochflut der Politik der Drei Roten Banner losbrach, und schließlich 1967, das Jahr, in dem es zu „kulturrevolutionären Ausbrüchen" in Rangoon kam. Der Zündstoff hierfür war allerdings durch diskriminierende Maßnahmen der 1962 an die Macht gekommenen Militärs gegen das birmanische Auslandschinesentum schon lange vorher aufbereitet worden, so daß die chinesische Botschaft hier nur die Lunte anzulegen brauchte. Im Anschluß an die antichinesischen Ausschreitungen in Rangun ging Peking entschlossen dazu über, die birmanischen Aufständischen, vor allem die „Weiße Flagge", zu unterstützen, die ermuntert wurden, „Befreite Stützpunkte" auf dem Lande zu bilden, ihre „Volksstreitkräfte" weiter auszubauen und gegen die „konterrevolutionären Einkreisungs-und Ausrottungsfeldzüge der reaktionären Regierung" einen Volkskrieg zu führen.

Erst seit den Besuchen General Ne Wins in Peking (1971 und 1975) wurde diese gegen Rangun gerichtete Politik z. T. wieder durch eine Strategie der gemeinsamen Front mit Rangun gegen die Sowjetunion verdrängt. Peking honorierte damit den Schritt Ne Wins zur Unterzeichnung der „Anti-HegemonieKlausel", die in ganz Asien heutzutage als antisowjetische Erklärung interpretiert wird. Die Klausel spricht eine Verurteilung jeglichen Vormachtstrebens im asiatisch-pazifischen Raum aus, die sich nach Lage der Dinge primär gegen den „Sozialimperialismus'' sowjetischer Prägung richtet. Mit der Unterzeichnung dieser Klausel hat sich Birma erstmals von seiner Politik der Äquidistanz zwischen Moskau und Peking wegbewegt. Birma könnte diesen einseitigen Pendelschlag zur VR China hin nur dadurch wieder ausgleichen, daß es nun auch die sowjetische KSA-Klausel (Breschnjew-Plan eines indirekt antichinesischen „Kollektiven Sicherheitssystems in Asien honoriert. Die Regierung in Rangun wird einen solchen Schritt aber kaum wagen, da sie dann befürchten müßte, daß China wieder dazu übergeht, mit verstärktem Engagement die Aufständischen in Nord-und Nordostbirma zu unterstützen. Der eigene „Weg zum Sozialismus" wäre dann noch stärker verbaut, als er es wegen des Separatismus der Minoritäten, der schlechten Wirtschaftslage und der Spaltung zwischen Regierung und Bauernmassen ohnehin schon ist. Zeittafel

Königsgeschichte

1044— 1287 Pagan-Dynastie 1364— 1555 Ava-Dynastie 1486— 1752 Toungoo-Dynastie 1752— 1885 Alaungpaya-Dynastie 1886 Birmas letzter König wird von den Briten abgesetzt und die Monarchie liquidiert

Kolonialgeschichte

1612 Die britische East Asian Company versucht vergeblich in Birma Fuß zu fassen. 17. u. 18. Jahrhundert Ähnliche Versuche der Niederländer und Portugiesen scheitern.

1824— 1826 Erster britisch-birmanischer Krieg: Birma muß Arakan und Tenasserim an Goßbritannien abtreten.

1852 Zweiter britisch-birmanischer Krieg: Abtretung Unterbirmas.

1885 Dritter britisch-birmanischer Krieg: Eroberung Oberbirmas.

1886 Gesamtbirma wird der Kolonie Britisch-Indien eingegliedert. Einwanderung mehrerer Zehntausender von Indern, die schon bald das Wirtschaftsleben Birmas kontrollieren. Dagegen heftige Widerstandsbewegungen, die in den zwanziger, dreißiger und vierziger Jahren immer wieder ausbrechen.

1930 Rebellion des Saya San zur Wiederherstellung des birmanischen Königtums scheitert blutig.

1936 Unter zahlreichen Studentenbünden mit nationalen — und daher antibritischen — Zielsetzungen bildet sich auch die Gemeinschaft der „Thakins", aus deren Mitte die späteren Führer Birmas, Aung San, U Nu und Ne Win hervorgingen.

1937 Nach zahlreichen „Weg von Indien" -Kampagnen wird Birma schließlich aus dem Kolonialverband Britisch-Indien herausgelöst.

1942 Gründung der KP Birmas (CPB)

1942— 1945 Eroberung Birmas durch die Japaner.

1944 Aung San gründet die Antifashist People's Freedom League (AFPFL) als Widerstandsorganisation gegen die japanische Besatzungsmacht.

1945 Rückeroberung Birmas durch Alliierte Truppen.

1946 Einsetzung eines Exekutivrates durch die Briten.

1947 Aung San-Attlee-Agreement (27. Januar): Präliminarien für die Entlassung aus dem britischen Kolonialverband.

Panglong-Agreement (12. Februar): Minoritätenstaaten schließen einen auf zunächst zehn Jahre befristeten Bund mit den Vertretern der Zentrale; die Voraussetzungen für die „Union of Burma" sind damit gegeben.

Wahlen zur Verfassungsgebenden Nationalversammlung (April).

Ermordung des vorläufigen Ministerpräsidenten Aung San (19. 7.).

Verfassung (24. 9.).

Vertrag mit Großbritannien die Unabhängigkeit des Landes betreffend (17. 10.).

Geschichte der Republik

1948 Birma wird selbständige Republik (4. 1.) und tritt aus dem Commonwealth aus.

Die CPB zerfällt in zwei Fraktionen: „Rote Flagge" (später pro-sowjetisch)

und „Weiße Flagge" (später pro-chinesisch)

Kommunistenaufstand (März).

Birma wird Mitglied der UNO (19. 4.). Aufstand der Karen, die bis in die Außenbezirke Rangoons vordringen, dann aber zurückgeschlagen werden.

Birma stimmt in der UNO für Korea-Intervention.

Birma wird Mitglied des Colombo-Plans und der Weltbank.

Wahlen zum Abgeordnetenhaus: Sieg der Regierungspartei (AFPFL) unter U Nu.

Die AFPFL zerfällt in Fraktionen; Rücktritt U Nus; Militäroberbefehlshaber Ne Win bildet ein Caretaker-Government, das sich vor allem mit Minderheitenfragen auseinandersetzt.

Wahlen: U Nu wird wieder Premierminister.

Die Shan, Kachin und die Naga beginnen ihre bewaffnete „Weg von Rangoon" -Bewegung.

„Flitterwochen" mit der VR China: Grenzvertrag, Handels-und Zahlungsabkommen, Abkommen über wirtschaftliche und technische Zusammenarbeit. Staatsstreich der Militärs unter General Ne Win; Verkündung des „birmanischen Wegs zum Sozialismus", Aufhebung der Verfassung, Gründung der Burma Socialist Programme Party (BSPP).

Manifest für eine „neue ökonomische Politik" (14. Febr.).

Erste Verstaatlichungswelle.

Versöhnungsangebot an Rebellen fehlgeschlagen.

Ausweisung mehrerer Zehntausender von Indern, teilweise auch von Europäern und Auslandschinesen.

Verbot aller Parteien, insbesondere der AFPFL: Birma wird Einparteienstaat. Verstaatlichungsgesetz (Oktober).

Ausweisung aller christlichen Missionare; Austritt aus dem Sterling-Block. „Kulturrevolutionäre" Unruhen in Bangkok. Peking beginnt Linke Strategie der Unterstützung birmanischer Aufständischer; blutige Säuberungen in der „Weißen Flagge" (prochinesische Abzweigung der 1942 gegründeten Burma Communist Party (BCP)).

Zweite Nationalisierungswelle.

Der 1967 aus dem Gefängnis entlassene U Nu verbündet sich mit aufständischen Minderheiten gegen Ne Win, scheitert aber.

Ne Win in Peking.

Erster Vierjahresplan und Zwanzigjahres-Perspektivplan. Weiterschwelende Rebellenunruhen, vor allem östlich des Salween.

Neue Verfassung (3. Januar, nach umfangreichem Plebiszit im Dezember 1973).

Unruhen in Rangun: Gefahr eines regierungsfeindlichen Bündnisses zwischen Studenten, buddhistischen Mönchen und Arbeitern.

Ne Win abermals in Peking: Unterzeichnet dort die Anti-Hegemonie-Klausel.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Näheres hierzu: Wolfgang Senftleben, Die Wahlen in Malaysia 1974, in: Mitteilungen des Instituts für Asienkunde, Hamburg, Nr. 60, 1974, S. 41.

  2. Institute of South-East-Asian Studies (Hrsg.), Trends in South-East-Asia, Nr. 2, Trends in Malaysia, Singapore, 1941, S. 88/9 (zit.: Trends 1971).

  3. Neue Zürcher Zeitung, 14. Oktober 1975.

  4. Trends 1971, S. 108.

  5. Robert Ho, Landownership and Economic prospects of Malaysian peasants, in: Modern Asian Studies, 1970, S. 83— 92.

  6. Dietrich Kühne, Bevölkerungs-und Beschäftigungsentwicklung in den ASEAN-Ländern seit 1960, in: Mitteilungen des Instituts für Asienkunde, Hamburg, Nr. 73, 1975, S. 44/5.

  7. Malaysia Industrial Digest, publ. by Federal Industrial Development Authority, Vol. 9, No. 1, 1976, S. 6.

  8. Trends 1971, S. 108.

  9. Kühne, ASEAN, a. a. O., S. 101— 103, und Trends 1971, S. 108.

  10. Kühne, ASEAN, a. a. O., S. 131— 137.

  11. Neue Zürcher Zeitung, 15. Oktober 1975.

  12. Süddeutsche Zeitung, 15. Oktober 1975.

  13. Far Eastem Economic Review, Yearbook 1975, S. 216.

  14. Ebd., S. 216.

  15. Hindustan Times, 26. April 1971.

  16. Peking Rundschau 1965, Nr. 4, S. 15.

  17. Vgl. ausführlich Robert F. Turner, Vietnamese Communism, its origins and development, Stanford/California 1975.

  18. Jean Chesneaux, Geschichte Vietnams, Berlin 1963.

  19. Ausführlich: ebd., S. 46 ff.

  20. Ausführlich: R. L. Mole, The montagnards of’ South Vietnam. A Study of 9 tribes, Tokyo 1970.

  21. Far Eastern Economic Review, 13. 2. 1976.

  22. Far Eastern Economic Review, 7. 1. 1975 und 10. 10. 1975.

  23. Erklärung der KP Birmas, nachgedruckt in: Peking Rundschau, 1961, Nr. 13, S. 6.

  24. Abgedruckt in Peking Rundschau, 1969, Nr. 2, S. 12.

  25. Ebd„ S. 10.

  26. Far Eastern Economic Review, 17. 10. 1975, S. 43.

  27. Far Eastern Economic Review, 19. 9. 1975; weitere Einzelheiten: J. Oskar Weggel, Birma, seine innenpolitischen Probleme, Außenpolitik und seine sein Verhältnis zu Peking, in: Clrina aktuell, Dezember 1975, S. 785— 824 (S. 793 ff.).

  28. Bericht in der London Times, 19. 9. 1973.

  29. Bericht der International Herald Tribune, 23. 6. 1971.

  30. Far Eastern Economic Review, 17. 4. 1971, S. 20.

  31. Military Balance Sheet des Institute of Strategie Studies, 1975/6, London 1975, S. 53.

  32. Näheres dazu: Klaus Fleischmann, Die Wirtschaft Birmas, Internationales Asienforum, 1972, S. 253— 279 (257), -ebenso Neue Zürcher Zeitung, 12. 6. 1970.

  33. Norodom Sihanouk, Indochina von Peking aus gesehen, Stuttgart 1972, S. 118— 119.

Weitere Inhalte

Holger Dohmen, Dipl. -Politologe, geb. 1943 in Hamburg, Studium der Politikwissenschaft, Anglistik und Sinologie; 1972— 1975 Redakteur bei der Zeitung „Die Welt"; seit 1975 Referent am Institut für Asienkunde in Hamburg; Reisen in Ost-und Südostasien. Veröffentlichungen: Zahlreiche Aufsätze zu Problemen der VR China und Südostasiens. Rüdiger Machetzki, Dr. phil., geb. 1941 in Tilsit/Ostpr.; Studium der Sinologie, Politikwissenschaft und Japanologie in Hamburg und Taipei 1964— 1970; Forschungsaufenthalt am Contemporary China Institute London 1971— 1972; seit 1973 Referent am Institut für Asienkunde in Hamburg; Reisen in Südostund Ost-asien. Veröffentlichungen: Chronologie des innerparteilichen Linienkampfes der Kommunistischen Partei Chinas 1949— 1965, Hamburg 1974; Die Entwicklungshilfepolitik der VR China, Hamburg 1975; zahlreiche Aufsätze zu Problemen der VR China und Südostasiens. Oskar Weggel, Dr. jur., geb. 1935 in Passau; Studium der Rechtswissenschaften in München (1954— 1958); 1962 Zweites Juristisches Staatsexamen in München; 1963— 1965 Studium des Chinesischen an der Universität Bonn und anschließend (1965— 1967) zwei Jahre Sprachausbildung in Taiwan; seit 1968 China-Referent am Institut für Asienkunde in Hamburg; Reisen in Ost-und Südostasien. Veröffentlichungen u. a.: Die chinesischen Revolutionskomitees, Hamburg 1968; Massenkommunikation in der VR China, Hamburg 1970; Band V der „Verträge der Volksrepublik China mit anderen Staaten" (Mitübersetzer und Mitherausgeber), Wiesbaden 1971; China und die Staaten Südostasiens, zehnteilige Serie in: CHINA aktuell, Hamburg 1973; Die Alternative China: Politik, Gesellschaft, und Wirtschaft der VR China, Hamburg 1973; Das Außenhandelsrecht der VR China, Baden-Baden 1976; Miliz, Wehrverfassung und Volkskriegsdenken in der VR China, Boppard 1977; in Vorbereitung: Die Außenpolitik der VR China, Stuttgart 1977; regelmäßige Mitarbeit in der vom Institut für Asienkunde Hamburg herausgegebenen Monatszeitschrift „CHINA aktuell".