I. Die Reformdiskussion im Verbandsrecht
Die Forderung nach einem umfassenden Verbändegesetz ist der vorläufige Endpunkt einer rechtspolitischen Diskussion, die seit einiger Zeit um das Recht der Berufs-und Wirtschaftsverbände, der Gewerkschaften, der Arbeitgeberverbände, der Interessenverbände, der halbstaatlichen Verbände und der „public interest groups“ geführt wird. In dieser Diskussion ist deutlich geworden, daß eine Diskrepanz zwischen der politischen Bedeutung von Verbänden und ihrer inneren Verfassung besteht.
. öffentliche Funktionen“ von Verbänden sind weitgehend als legitim anerkannt und häufig über Rechtsnormen institutionalisiert Die rechtlich legitimierten Einflußmöglichkeiten der Verbände, vor allem in Hearings vor parlamentarischen Gremien, in Anhörungsmöglichkeiten vor Verwaltung und Rechtsprechung, in Konsultationen der Spitzenverbände mit den Ministerien, in Beiräten der Ministerien und in der Konzertierten Aktion stellen nur einen Aspekt verbandlicher Aktivitäten dar, der besonders im Rampenlicht der Öffentlichkeit steht. Hinzu kommt der weite Bereich verbandsautonomer Rechtssetzung auf zahlreichen Gebieten sozialer Selbstverwaltung und die Rolle der Verbände als „relevante gesellschaftliche Kräfte* in öffentlichen und halb-öffentlichen Institutionen.
Erweiterte und überarbeitete Fassung eines Aufsatzes: Ziele und Methoden der verbandsrechtliehen Reformdiskussion, erschienen in: Zeitschrift für Unternehmens-und Gesellschaftsrecht, herausgegeben von Carl Hans Barz, Robert Fischer, Marcus Lutter, Herbert Wiedemann, Jg. 4/4, 1975, S. 459— 476.
Die inneren Verbandsstrukturen aber, die im wesentlichen vom Vereinsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches geregelt werden, erscheinen mit diesen öffentlichen Funktionen nicht mehr vereinbar. Sie sind auf den soziologischen Typ des „freien Vereins" zugeschnitten, der mit dem heute vorherrschenden Typ der „freiwilligen Organisation" nicht mehr viel gemein hat In dem enormen Zuwachs an politischen Funktionen der Verbände „wird die Problematik eines Verbandsrechts evident, das die über die Mitgliederbeziehungen hinausweisenden Funktionen und Tätigkeiten der Verbände im Außenverhältnis aus seiner Betrachtung seit langem ausschließt" Diese Diskrepanz von Außen-funktionen und Binnenstrukturen stellt das Verbandsrecht vor die Aufgabe, interne Legitimations-und Kontrollkriterien neu zu definieren. In der verfassungsrechtlichen und arbeitsrechtlichen Literatur wird diese Diskussion schon seit mehreren Jahren geführt Gerade in jüngster Zeit sind einige Veröffentlichungen erschienen, welche die Anforderungen des Grundgesetzes an die innere Ordnung von Verbänden näher zu bestimmen suchen Auch von vereinsrechtlicher Seite kamen neuerdings wichtige Beiträge zum Problem der inneren Ordnung von Großverbänden Die Diskussion beschränkt sich aber nicht auf die Wissenschaft. Das Legitimations-und Kontrolldefizit von Verbänden öffentlicher Bedeutung wird zunehmend auch von den politischen Parteien und der öffentlichen Meinung als Problem erkannt; rechtspolitische Bestrebungen auf eine gesetzgeberische Regelung der inneren Verbandsstrukturen zeichnen sich ab. 1. Zielvorstellungen und rechtspolitische Entwürfe über das globale Ziel ist man sich weithin einig. „Verbandsdemokratie" oder jedenfalls eine „Binnenkonstitutionalisierung" sollen Legitimation und Kontrolle von Verbandsmacht ermöglichen. Unklarheiten bestehen jedoch hinsichtlich konkreter Regelungsvorschläge zur Erreichung dieses Zieles. Es hat den Anschein, als bedürfte die Materie noch vertiefter wissenschaftlicher Vorbereitung, ehe sie politisch entscheidungsreif wird. Immerhin schlagen einige Autoren bereits konkrete gesetzgeberische Maßnahmen vor, die geeignet sein sollen, innerverbandliche Demokratie zu fördern. K Außer auf Zugangsregelungen und Kontrollen der Verbandsgerichtsbarkeit zielen die Vorschläge auf die Sicherung der „Willensbildung Von unten nach oben" ab, und zwar mit folgenden Mitteln Die Stellung der Mitgliederversammlung soll in der Weise aufgewertet werden, daß — ein Tagungsturnus von ein oder zwei Jahren zwingend vorgeschrieben, — das zur Einberufung notwendige Minderheitsquorum stark herabgesetzt, — die Vorstandsunabhängigkeit der legislativen Organe sichergestellt, — ein Mindestkatalog von unentziehbaren Kompetenzen festgelegt, — der Mitgliederversammlung gegenüber dem Vorstand ein unmittelbares Weisungsrecht und verstärkte Kontrollbefugnisse verliehen und — für wichtige Fragen ein Referendum zwingend vorgesehen wird.
Zudem sollen Zentralisierungstendenzen durch Stärkung der Autonomie „basisnaher" Organisationseinheiten abgeschwächt werden, etwa durch ein Verbot der Bestätigung der Ämter durch die überregionale Einheit, durch Ausschluß von Weisungsrechten, durch Antragsrechte für die örtlichen Gliederungen und Inkompatibilitäten von überregionalen und regionalen Ämtern. Schließlich wird vorgeschlagen, Mitgliedschaftsrechte dadurch zu sichern, daß ein Katalog von individuellen Mitwirkungs-und Freiheitsrechten zwingend in die Verbandssatzung aufzunehmen ist.
Diese im einzelnen recht unterschiedlichen Reformvorschläge lassen sich im Prinzip auf folgende drei Regelungskomplexe reduzieren: 1. Wiedereinsetzung der Mitgliederversammlung in die Rolle des Hauptorgans des Verbandes, das die Grundsatzentscheidung fällt.
2. Begrenzung der Vorstandskompetenzen auf ausführende Funktionen; strikte Legitimation und Kontrolle des Vorstandshandelns durch Mitgliederversammlung. die 3. Stärkung der Mitgliedschaitsstellung durch rechtliche Garantien von Mitwirkungs-und Freiheitsrechten. 2. Kritik der Reformvorschläge Selbst unter der Voraussetzung, daß diese Vorschläge sich politisch durchsetzen lassen, ist ihre sachliche Eignung problematisch. Wenn solche verbandsrechtlichen Normen, die allesamt aus dem klassischen Repertoire der Demokratiediskussion stammen, mehr als nur symbolische Funktionen haben sollen, dann ist ernsthaft zu bezweifeln, ob sie überhaupt einen wirksamen Beitrag zur Lösung des Legitimations-und Kontrollproblems leisten können. Man kann solchen rechtspolitischen Vorschlägen den Vorwurf nicht ersparen, daß sie allzu schnell allgemeine Zielvorstellungen in konkrete Regelungsvorschläge innsetzen, ohne die folgenden, heute verfügbaren Erfahrungen wirklich zu verarbeiten, nämlich:
Institutioneile Experimente innerhalb von Verbänden mit den vorgeschlagenen Mitteln direkter und repräsentativer Demokratie, welche die Oligarchisierungstendenzen regelmäßig nicht wirksam eindämmen konnten. Als Bin Lehrstück in Sachen „Demokratisierung durch Recht" kann die Geschichte der englischen co-operatives dienen. Durch immer wieder neue „experiments in democratic Control" wurde vergeblich versucht, den Problemen von Professionalisierung, Bürokratisierung, Mitgliederapathie beizukommen. Angeführt werden könnten hier noch eine Fülle von Verbandsstudien, die regelmäßig hocholigarchische Strukturen trotz formaldemokratischer Verbandsverfassung aufdeckten. Immer noch lesenswert ist Robert Michels Analyse der Wirkungslosigkeit der „Versuche zur präventiven Verhinderung der Macht der Führer“ mit diversen direktdemokratischen Mechanismen wie Versammlungsdemokratie, Referendum, imperatives Mandat, Amtsrotation, finanzielle Kontrollen, Dezentralisierung
Erfahrungen auf anderen Gebieten als auf dem des Verbandsrechts im engeren Sinne, besonders auf dem Gebiet des Aktien-und des Genossenschaftsrechts. Im Aktienrecht wurden frühe Vorstellungen von „Aktionärsdemokratie''dem Tatbestand der Trennung Eigentum Kontrolle von und konfrontiert und mußten realistischeren Modellen für interne Kontrollen weichen. Parallel zur Diskussion des Verhältnisses Aktionäre/Management lief die zum Verhältnis Mehrheits-/Minderheitsgesellschafter; rechtliche Lösungen zum Minderheitenschutz wurden über die Bindung an den Verbandszweck gesucht. In neuerer Zeit weitete sich die Debatte der Verbandsverfassung zur Debatte der übergreifenden Unternehmensverfassung aus. Auch in der Genossenschaftstheorie findet zur Zeit eine interessante Diskussion zur internen Willensbildung unter juristischen und organisationstheoretischen Aspekten statt, die für andere Gebiete des Rechts privater Organisationen fruchtbar gemacht werden kann • Ausländische Versuche einer Verbandsgesetzgebung zur Förderung innerer Demokratie. Hier ist besonders die in den USA bestehende gesetzliche Regelung von Interesse: Es wurden privaten Großverbänden durch gesetzliche Intervention eine innere Verfassung auferlegt, die eine „bill of rights" für die Mitglieder, Wahlregelungen, behördliche Aufsichtsbefugnisse, Normierung der Verbands-gerichtsbarkeit umfaßt
• Ergebnisse empirischer Verbandsforschung, die Fragen der Bürokratisierung, Professionalisierung und Oligarchiebildung betreffend. Man stößt hier auf einen Fundus von empirischen Daten zur inneren Verbands-struktur, der für Zwecke rechtswissenschaftlicher Analyse bei weitem noch nicht erschlossen ist Von besonderem Interesse sind die Forschungen der Aston-Schule, die mit fortgeschrittenen Methoden empirischer Sozialforschung das bürokratische Phänomen in freiwilligen Organisationen angehen
• Politikwissenschaftliche Untersuchungen zur Organisationsdemokratie, die Begriff, Funktionen und Bedingungen von verbandsinterner Demokratie näher analysiert haben. Von der „realistischen" Demokratietheorie amerikanischer Provenienz über die Erneuerung partizipatorischer Ziele bis hin zu normativ komplexen Demokratiekonzepten haben sich hier Entwicklungen vollzogen, die mit den traditionellen Vorstellungen direkter oder repräsentativer Demokratie nur noch wenig gemein haben
Erst nach einer Prüfung dieser Erfahrungen kann sinnvoll gefragt werden, inwieweit rechtliche Regelungen — also gesetzgeberische und richterliche Interventionen in verbandsinterne Prozesse — überhaupt erfolgversprechend erscheinen. Erst vor diesem Hintergrund können begründete Reformvorschläge formuliert und in ihren Wirkungsmöglichkeiten realistisch eingeschätzt werden. Besonders dringlich erscheint dabei eine rechtswissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem zuletzt genannten Aspekt, nämlich dem Begriff der Organisationsdemokratie. Sowohl das geltende Vereinsrecht als auch die oben angeführten Reformvorschläge beruhen auf bestimmten, meist nicht ausgesprochenen Vorstellungen von innerer Demokratie, die aber oft bis in technische Details hinein den Charakter der verbandsrechtlichen Normen bestimmen. Solche in verbandsrechtlichen Normen enthaltenen Regelungsmodelle von Verbandsdemokratie sind freilich nicht immanent juristisch entwickelt worden; sie entstanden vielmehr in Auseinandersetzung mit politischen und philosophischen Traditionen. Auf der anderen Seite ist aber eine Isolierung des Verbandsrechts von der allgemeinen Diskussion um innerorganisatorische Demokratie festzustellen. Eine systematische Überprüfung des geltenden Rechts und rechtspolitischer Vorschläge mit Hilfe theoretischer Einsichten und empirischer Ergebnisse, die in dieser Diskussion zutage getreten sind, ist bisher nicht versucht worden. Ein Vergleich von verbands-rechtlichen Demokratievorstellungen mit politikwissenschaftlichen Konzepten von Organisationsdemokratie könnte Aufschlüsse über Voraussetzungen, Folgen und Funktionen der verbandsrechtlichen Demokratienormen und Hinweise auf alternative Regelungsmodelle geben. In diesem Zusammenhang läßt sich voraussichtlich auch die jüngste Reformdebatte im Verbandsrecht realistischer beurteilen und um einige Aspekte ergänzen. * Als tertia comparationis empfiehlt es sich, solche Gesichtspunkte zu wählen, die in der rechtswissenschaftlichen wie in der politologischen Diskussion gleichermaßen als relevant angesehen werden. SoziaJwissenschaftliche Analysen suchen das soziale Phänomen „Organisationsdemokratie" begrifflich operationabel zu erfassen, seine Funktionen und Folgen auf verschiedenen Ebenen zu bestimmen und die Kausalfaktoren herauszuarbeiten, die zur Organisationsdemokratie beitragen bzw. sie behindern. Parallel dazu zielt die rechtswissenschaftliche Untersuchung von Verbandsdemokratie auf einen juristisch konkretisierbaren Begriff, den sie ihrem Regelungsmodell zugrunde legen kann, läßt sie sich für Rechtssetzung und Rechtsauslegung durch bestimmte Vorstellungen über Funktionen von Verbandsdemokratie leiten und fragt bei den zu entwerfenden Regelungen nach den Bedingungen ihrer Effektivität Abstrakter gesprochen sind es drei Schnittpunkte, in denen kausale und funktionale Analyse sozialer Phänomene und rechtswissenschaftliche Verknüpfung von Norm, Rechtswirklichkeit und Normzweck einander begegnen können: Kategorienbildung,Funktionsanalyse, Kausalanalyse
Unter diesen drei Gesichtspunkten soll daher auch im folgenden die sozialwissenschaftliche Debatte über Organisationsdemokratie zusammenfassend referiert, mit verbandsrechtlichen Vorstellungen in Beziehung gesetzt und darauf befragt werden, welche Alternativen sich für die verbandsrechtliche Betrachtung abzeichnen. Hierbei können freilich nur Perspektiven entwickelt werden und nicht schon konkrete Regelungsentwürfe.
II. Demokratietheoretische Perspektiven
Die ausgedehnte Diskussion über Organisationsdemokratie in den Sozialwissenschaften soll anhand dreier Autoren, die jeweils repräsentativ für eine Richtung stehen, in bezug auf den normativen Begriff (1.), die Funktionen (2.) und die Bedingungen (3.) innerorganisatorischer Demokratie in ihren Grundlinien skizziert werden. In dieser Diskussion kommt der juristisch relevanten Frage, ob über institutionelle Regelungen Verbandsdemokratie wirksam gesteigert werden kann, erhebliche Bedeutung zu. Von Robert Michels (1911), dem Klassiker der Oligarchieforschung, wurde diese Frage kategorisch verneint, da für ihn Organisation unvermeidlich zur Oligarchiebildung führte, wogegen auch rechtliche Vorkehrungen unwirksam bleiben mußten. Empirische Verbandsuntersuchungen wie die von Seymour M. Lipset (1956) jedoch relativierten diese Hypothese erheblich, indem sie Gegentrends zu Oligarchietendenzen aufdeckten. Damit erschien eine begrenzte rechtliche Förderung dieser Gegentrends zumindest möglich. Ausgehend von neueren theoretischen Ansätzen wie dem von Frieder Naschold (1969) schließlich, die unter bestimmten Voraussetzungen eine Effektivitätssteige-
rung durch demokratische Strukturen für möglich halten, kann die Schaffung institutioneller Rahmenbedingungen für Verbandsdemokratie als durchaus chancenreich beurteilt werden. Die neuesten Theorieentwicklungen in Richtung auf „normativ komplexe“ Demokratiekonzepte liefern zusätzliche Argumente für einen geplanten Einsatz formaler Rechts-mechanismen.
I. Normativer Begriff der Verbandsdemokratie Robert Michels'„ehernem Gesetz der Oligarchie“ lag ein bestimmter normativer Begriff von Organisationsdemokratie zugrunde. Seine Oligarchie-Hypothese in ihrer strikten Form — Organisationserfordernisse sind nicht vereinbar mit demokratischen Strukturen — war auf die „klassische Demokratietheorie" bezogen, die mit ihrer Dichotomie von unmittelbarer und repräsentativer Organisationsdemokratie auch heute noch, ausgesprochen oder nicht, der juristischen Problemdiskussion zugrunde liegt. " The model of democracy Michels adopted is an extreme one: the model of equal participation by all individuals in the decisions and binding actions of the group"
Der Demokratiebegriff bei Michels zeigt einen eigentümlich schillernden Charakter. Er oszil-liert zwischen den Bedeutungen einer institutionellen Struktur, Volkssouveränität, Gleichheit der Partizipation, Interessenübereinstimmung zwischen Führer und Massen und einer auf Gleichheit gerichteten Politik. Dieser klassische Begriff von Organisationsdemokratie wies, wie gerade die Michelssche Studie zeigte, eine so geringe theoretische Fassungskraft und eine solche Vielzahl ungeklärter empirischer Prämissen auf, daß eine entscheidende Revision unabdingbar erschien
Oligarchie-Hypothese Die Umformulierung der strikten in bloße Tendenzen der Oligarchisierung, welche die empirische Analyse von demokratischen Gegentendenzen ermöglichte, wurde von Lipset im Rahmen eines anderen, „realistischeren" Demokratiebegriffes vollzogen Das „elitist-pluralist concept" enthält zwei zentrale Elemente: Elitenkonkurrenz und Gruppenpluralismus. Das erste Element ist dadurch gekennzeichnet, daß Organisationsdemokratie nicht länger als größtmögliche Mitgliederbeteiligung an Entscheidungen definiert wird, sondern als „Methode", als Konkurrenz von Führungseliten. Der Mitgliedereinfluß beschränkt sich in diesem Konzept auf Führungsauslese und globale Richtungsbestimmung. Demokratisch bleibt der Elitismus in dem Sinne, daß die Entscheidungen der Organisationseliten über den Konkurrenzmechanismus dem Stimmenmarkt der Verbandsmitglieder verbunden sind. Die konkurrierenden Eliten sind auf politische Unterstützung der Nicht-Eliten angewiesen und müssen deswegen ein Mindestmaß an „responsiveness" gegenüber deren Bedürfnissen zeigen. Das zweite, das pluralistische Element bilden sekundäre Organisationen innerhalb der Organisation, die zwischen Mitgliedschaft und Führung vermitteln.
Auch in freiwilligen Großorganisationen bedarf es nach Lipset, ähnlich wie in modernen Massengesellschaften, einer intermediären Gruppenstruktur, die als Verbindungsstelle zwischen Interessen der Nicht-Eliten und den Entscheidungen der Eliten fungiert. In einer empirischen Studie über die ITU, eine amerikanische Druckergewerkschaft, konnte Lipset eine solche „elitist-pluralist" Struktur in einem Zwei-Parteien-System identifizieren, das von einem weitverzweigten Netz unabhängiger „locals", „clubs“ und „nonpolitical communities" stabilisiert wurde. Im Realismus dieses elitistisch-pluralistischen Konzepts liegen zugleich seine Stärken und Schwächen: Verstärkter empirischer Bezug wird erkauft mit erheblichen normativen Restriktionen
Im Gegensatz dazu sucht die neuere partizipatorische Theorie der Organisationsdemokratie die Intentionen des klassischen Demokratiekonzepts beizubehalten und in neue Partizipationsmodelle zu übersetzen, die mit modernen Organisationsstrukturen vereinbar sind Ihre empirische Basis findet die Theorie in den Ergebnissen von Gruppenexperimenten, in der Praxis des „scientific management" und des „human relations approach" sowie im Auftauchen post-bürokratischer Organisationen Gemeinsamer Nenner dieser wissenschaftlichen und praktischen Bestrebungen ist die Erkenntnis, daß Zentralisierung von Entscheidungsgewalt in bürokratisch-hierarchischen Formen unter Effektivitätsgesichtspunkten dysfunktional sein kann und daß sich demgegenüber verschiedene Formen von Delegation, „funktionaler Demokratie" und individueller Partizipation als überlegen erwiesen haben. Ziel der partizipatorischen Theorie ist es, Bedingungen zu formulieren, unter denen demokratische Beteiligungsformen und Effektivität der Organisation miteinander vereinbar sind oder gar sich wechselseitig steigern können. Bedeutung dieser drei kurz skizzierten okratiebegriffe für das Verbandsrecht ist beträchtlich. Aus der Sicht der „klassischen" Theorie wird man den Schwerpunkt rechtlicher Erörterungen auf die Stärkung der Rechte der Mitgliederversammlungen legen, wie es das Konzept direkter Demokratie nahelegt, oder auf den Ausbau des Wahlrechts als des zentralen Mechanismus für repräsentative Demokratie. Genau dies beabsichtigen auch die oben referierten Reformvorschläge, die auch ausdrücklich als eine Mischung aus Elementen direkter und repräsentativer Demokratie bezeichnet werden Leider aber fehlt dort meist eine Auseinandersetzung mit den gegen diese Demokratievorstellungen vorgebrachten normativen und empirischen Argumenten. Man vermißt in der juristischen Diskussion sowohl eine Problematisierung des „ehernen Gesetzes der Oligarchie“, das von Michels gerade am Beispiel einer Organisation mit explizit demokratischen Zielen und Institutionen entwikkelt wurde, als auch die Berücksichtigung der neueren Erkenntnisse über bloße Tendenzen zur Oligarchisierung. Ebensowenig wird das vieldiskutierte Problem der „Apathie der Mitglieder" verarbeitet
Nach allen Erfahrungen dürfte die vorgeschlagene Schaffung und Förderung rechtlicher Verfahren direkter Demokratie, aber auch der Ausbau von Wahlmechanismen in Organisationen die Mitgliedermotivation nur unwesentlich steigern. Schließlich bleibt auch die Frage offen, wie es über direktdemokratische Mechanismen möglich sein soll, Entscheidungsprobleme komplexer Organisationen auch nur einigermaßen adäquat zu lösen, und wie angesichts zunehmender Professionalisierung im Verbandsmanagement eine Expertenkontrolle durch Laien zu bewerkstelligen ist.
Die beiden modernen Demokratiekonzepte legen daher auch andersartige rechtliche Regelungen nahe. Nach der pluralistischen Version wird man als Rechtsproblem definieren, welche institutioneilen Vorkehrungen plurale Binnenstrukturen fördern, die ihrerseits erst die Basas für formaldemokratische Mechanismen abgehen. Demgegenüber müßte die partizipatorische Variante einen nach Typen von Organisationsentscheidungen gegliederten Aus-bau partizipatorischer Elemente anstreben. Eine Auseinandersetzung mit den genannten Oligarchie-, Apathie-und Kontrollproblemen hat in der Diskussion dieser Konzepte stattgefunden und ermöglicht es somit eher, Chancen und Grenzen entsprechender Regelungen abzuschätzen
Eine verbandsrechtliche Lösung müßte zudem nicht unbedingt entweder der elitistischen oder der partizipatorischen Demokratietheorie folgen. Denn neuere politikwissenschaftliche Bemühungen um den Demokratiebegriff lassen Möglichkeiten erkennen, über die Alternative elitistisch/partizipatorisch hinauszugelangen In einem „normativ komplexen" Demokratiebegriff suchen sie die Verengung des Elitismus auf die Makro-Perspektive, auf die Stabilitäts-und Gleichgewichtsbedingungen der Gesamtorgansation, ebenso zu überwinden wie die Überbetonung der Mikro-Perspektive in der partizipatorischen Theorie, die den individuellen Lerneffekt und den „therapeutschen“ Wert politischer Aktion in den Vordergrund rückt. Hier ist besonders der Ansatz von Fritz Scharpf zu nennen, der auf eine Kombination pluralistischer Strukturen mit partizipatorischen Elementen zielt. Er unternimmt den „Versuch einer empirisch informierten, normativen Demokratietheorie, die darauf verzichtet, einen einzigen Zielwert zu maximieren, und sich statt dessen darum bemüht, eine Mehrzahl jener Zielvorstellungen, die in unserer westlichen Demokratietradition als relevant anerkannt werden, in einem komplexen Modell zu akkomodieren" Fruchtbar zu machen für Fragen innerorganisatorischer Demokratie sind auch Elemente des Diskurs-Konzepts von Jürgen Habermas, der einen theoretischen Zusammenhang zwischen Input-Strukturen der Legitimation und Output-Strukturen rationaler Entscheidung herstellt ist diesem Schließlich in Zusammenhang auf Amitai Etzioni zu verweisen, der gerade in neuerer Zeit den im Rahmen der Theorie einer „active society" entwickelten „guidance approach" auf organisationsinterne Prozesse angewendet hat
Für die verbandsrechtliche Diskussion brächte ein solcher komplexer Demokratiebegriff folgende Vorteile mit sich:
• Er kann für einen kritischen Maßstab die Beurteilung bestehender Verbandsstrukturen und für die rechtspolitische Entwicklung demokratischer Entscheidungsnormen liefern. Diese umfassende normative Orientierung erscheint der Ausrichtung des Elitismus an der Stabilität des Gesamtsystems und den emphatischen Ansprüchen der partizipatorischen Version auf individuelle Entfaltung überlegen. Die Perspektive eines komplexen Demokratiebegriffes ist auf ein Höchstmaß sowohl an Legitimation als auch an Rationalität der Organisationsentscheidungen gerichtet.
• Er ermöglicht institutionelle Variation, welche die enge Alternative zwischen einem Zwei-Parteien-System mit pluraler Binnen-struktur und einer direkten Mitgliederbeteiligung überwindet. Der Gewinn für das Verbandsrecht besteht darin, daß die komplexen Theorien eine sinnvolle Verbindung von Organisationsmodellen nahelegen.
• Die in diesen Theorien angelegte System/Umwelt-Perspektive überwindet die zu enge Sicht des klassischen Vereinsrechts, die sich mehr oder weniger ausschließlich auf die Beziehungen des Verbandes zu seinen Mitgliedern konzentrierte und sonstige Umweltbeziehungen außer acht ließ. Demokratische Rechtsnormen sind in Abhängigkeit von bestimmten Umweltfunktionen der Verbände zu entwickeln. 2. Funktionen demokratischer Binnenstrukturen Eine Analyse der Funktionen innerorganisatorischer Demokratie sollte drei Ebenen unterscheiden: die Ebene der Gesamtgesellschaft, die der jeweiligen Organisation und die der Organisationsmitglieder. Entsprechend stellt sich auch für jede dieser drei Ebenen gleichermaßen die Frage nach den funktionalen (oder dysfunktionalen) Folgen demokratischer/oligarchischer Strukturen. 28)
Michels Untersuchungen waren auf die gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen der inneren Struktur der Organisation fixiert Er sah einen notwendigen Zusammenhang zwischen internen Oligarchietendenzen und einer externen konservativen Politik.
Bei Lipset verlagert sich der Schwerpunkt auf die Beziehungen zwischen Individuum und Organisation. Sekundäre Organisationen innerhalb einer Organisation und andere Formen einer pluralistischen Binnenstruktur, die zwischen Organisation und Individuum vermitteln, erscheinen in funktionaler Analyse „ (1) as arenas within which new ideas are generated, (2) as communication networks through which people may learn and form attitudes about politics, (3) as means of training potential oppositional leaders in the skills of politics and as places in which they can attain the Status necessary to become political leaders, (4) as one of the principal means of getting individuals to participate in the larger political arena, and (5) as bases of Opposition to the central authority
Nascholds Analyse wiederum schreibt bestimmte Formen der Organisationsdemokratie positive Funktionen auf allen drei Ebenen zu. In einer funktional differenzierten Gesellschaft übernehmen spezialisierte Organisationen die zentralen politischen Entscheidungsaufgaben. Entsprechend werden deren interne Willensbildungsprozesse politisch von besonderem Interesse. Hieraus ergibt sich die Funktion von Organisationsdemokratie auf gesamtgesellschaftlicher Ebene. Auf der Ebene der Organisation können unter bestimmten Bedingungen demokratische Binnenstrukturen positive Funktionen für die Effektivität und Rationalität der Entscheidungen haben. Auf individueller Ebene schließlich haben derartige Strukturen instrumentelle für die Interessenartikulation und therapeutische Funktionen für politische Lernprozesse Solche Funktionsanalysen, wie sie hier kurz angedeutet wurden, sind verbandsrechtlich relevant, soweit sie Setzung und Interpretation des inneren Verbandsrechts steuern. Die juristische Diskussion zur Verbandsdemokratie ist demgegenüber bisher über eine recht summarische Funktionszuschreibung nicht hinausgelangt. Demokratische Binnenstruktu29 ren haben danach die Funktion, privaten Verbänden mit quasi-öffentlichem Charakter jene fehlende Legitimation zu liefern, die von vereinsrechtlichen Normen nicht mehr erbracht werden kann. Je öffentlicher der Status eines privaten Verbandes, so heißt es, um so mehr muß er im Inneren demokratischen Ansprüchen genügen Diese Aussage entspringt der wichtigen Einsicht, daß bestimmte private Verbände einen langfristigen Wandel hin zu einem „öffentlichen Status" durchgemacht haben, und daß ihre vereinsrechtliche Legitimation durch Freiwilligkeit des Beitritts, individuelle Mitwirkungsrechte und Freiheit des Austritts nicht mehr ausreicht. Demokratische Strukturen, die durch Rechtsnormen gesichert werden, haben die Funktion, solche Legitimationsdefizite abzubauen.
Mit einer solchen Feststellung ist jedoch noch nicht viel gewonnen, da sie zu pauschal und damit letztlich unverbindlich bleibt. Beide Zentralbegriffe „öffentlicher Status" und „demokratische Legitimation" müssen je für juristische Zwecke differenziert und spezifiziert werden. Globale Definitionen des öffentlichen Status wie die von Hirsch (für solche Verbände, die selbst-oder mitverantwortlich Maßnahmen normsetzender, verwaltender oder rechtsprechender Art treffen, deren Wirkungsbereich so groß ist, daß er die politische, soziale und ökonomische Situation des Volkes oder seiner Teile wesentlich beeinflussen wird führen in diesem Zusammenhang nicht weiter, da sie für die notwendige Umsetzung von Außenfunktionen in Binnenstrukturen zu wenig aussagen. Auch der Differenzierungsversuch von Föhr (1. Inhalt der Tätigkeit des Verbandes, 2. Zwangsmitgliedschaft, 3. Mächtigkeit des Verbandes, 4. Verbände, die öffentliche Funktionen wahrnehmen) enthält diesen Mangel und erscheint zudem in der Auswahl der Bezugspunkte mehr oder weniger zufällig Gesucht ist eine theoretisch ableitbare Typologie von Außenfunktionen von Verbänden, de-nen sich eine Typologie von Binnenstrukturen zuordnen läßt
In der Organisationsforschung ist die „contingency theory of organizations" entwickelt worden, deren normative Fassung den geeigneten Ansatz liefert. Zentrale These ist, daß es nicht " the one best way to organize in all situations" gibt, sondern daß erst eine Differenzierung der Organisationsstrukturen je nach unterschiedlichen Umweltfunktionen adäquate Lösungen erbringt: " that different external conditions might require different organizational characteristics and behavior pattem within the effective Organization" Im Rahmen einer solchen Theorie läßt sich eine Typologie von Umweltleistungen entwickeln, welche die Verbände gegenüber dem politischen System und gegenüber ihren Mitgliedern erbringen. Diese werfen unterschiedliche Strukturprobleme für die Verbandsorganisation auf, zu deren je spezifischen Lösung Rechtsnormen den geeigneten institutioneilen Rahmen abgeben können. Auf Einzelheiten kann hier nicht eingegangen werden. Wichtig ist in diesem Zusammenhang nur die Art der Funktion/Struktur-Verknüpfung, aus der sich Argumente für Verbandsrechtspolitik in vier Konkretisierungsschritten gewinnen lassen: 1. Funktionswandlungen der Verbände, 2. daraus resultierende Systemprobleme, 3. Alternativen der Strukturlösungen, 4. Rechtsnormen als institutionelle Rahmenbedingungen 3. Bedingungen innerorganisatorischer Demokratie Zur Einschätzung der Rolle, die Rechtsnormen als eine der Bedingungen für Verbandsdemokratie spielen können, lassen sich empirische Analysen von internen Verbandsstrukturen heranziehen, die Zusammenhänge zwischen institutionellen, sozialen und psychischen Faktoren und demokratischer/oligarchischer Binnenstruktur aufzeigen. In der Tradition von Michels, dessen Oligarchie-These in zahlreichen Nachfolgestudien bestätigt wurde, war diese Einschätzung denkbar pessimistisch. Institutioneile Änderungen, welcher Spielart auch immer, scheiterten am „ehernen Gesetz der Oligarchie" Drei Faktoren-komplexe waren es, auf welche die These gestützt wurde: 1. Organisationserfordernisse (Größe der Organisation, Komplexität der Umweltanforderungen, Arbeitsteilung, Spezialisierung); 2. individualpsychologische Eigenschaften der führenden Organisationsvertreter (Interesse an Statusdifferenz, „Bürokratismus"); 3. sozialpsychologische Qualitäten der Mitglieder („Inkompetenz der Massen").
Eine Reihe von „deviant case studies", durch Lipsets bahnbrechende ITU-Studie eingeleitet, konnten jedoch demokratische Gegentendenzen ausmachen. Diese Studien ermittelten in verschiedenen Verbänden und Parteien sekundäre Organisationen, die einen demokratisierenden Effekt auf die Gesamtorganisation hatten In einer strukturell-funktionalen Analyse wurden zunächst die „functional requirements" eines organisationsinternen Parteiensystems ausgemacht. Sodann wurden mit aufwendigen empirischen Forschungsverfahren die sozialen Faktoren isoliert, zur Bestandssicherung interner Demokratie beitrugen: 1. nicht-politische, beruflich orientierte Gruppierungen; 2. ein System autonomer Suborganisationen; 3. ein Bestand an routinierten oppositionellen Führungskräften; 4. interne Legitimität der Opposition Die Analyse führte zu einer gedämpft optimistischen Einschätzung des demokratischen Potentials rechtlicher Regelungen, d. h. richter-rechtlicher Entwicklungen des law of associations und der amerikanischen Gewerkschaftsgesetzgebung. über diese Versuche, soziale Gegentendenzen zur Oligarchie in Organisationen zu analysieren, geht nun Naschold hinaus, indem er direkt nach Organisationsbedingungen für interne Demokratie fragt. Die system-und entscheidungstheoretische Umformulierung demokratischer Normen ermöglicht es ihm, aus Ergebnissen von management science und von Gruppenforschung empirische Bedingungen für Organisationsdemokratie, bezogen auf spezifische Entscheidungstypen, anzugeben Für Routine-und Zweckentscheidungen sind dies: „ 1. Hierarchische Einzelanweisungen werden zu Entscheidungsprogrammen mit eingebauten .sekundären Elastizitäten'ausgebaut; 2. Regelungsprozesse in den Organisationen ersetzen die Steuerung der Subsysteme;
3. bürokratisierte Organisationen werden in , highly coordinated, highly motivated, cooperative social Systems'umgeformt".
Für Innovationsentscheidungen baut Naschold auf eine Konvergenz von Funktionsbedingungen eines sich selbst regelnden Systems und demokratischen Zielfunktionen. Er bezieht sich auf empirische Ergebnisse der Gruppenforschung, wonach Innovationsentscheidungen mit breiter Partizipation hierarchischen Entscheidungen wegen höherer Informationsverarbeitungskapazität und höheren Wertberücksichtigungspotentials überlegen sind. Institutionelle Änderungen über Rechtsnormen spielen in seinem Gesamtkonzept eine wesentliche Rolle
III. Verbandsrechtliche Konsequenzen
Welche Folgerungen lassen sich aus diesem notwenig nur kursorischen Überblick über Theorien nur Organisationsdemokratie ziehen. Chancen und Grenzen rechtlicher Regelungen Der Beitrag des Verbandsrechts zur Organisationsdemokratie ist, gemessen an anderen organisatorischen, sozialen und sozialpsychologischen Faktoren, nur begrenzt. Eines der wesentlichen Ergebnisse der Verbandsforschung dürfte die Warnung vor einem »normativen Idealismus'sein. Denn die Geschichte der Verbände ist zugleich eine Geschichte der Mißerfolge von institutionellen Experimenten, die auf mehr Organisationsdemokratie zielten. Auch im günstigsten Fall ist Recht auf „protective functions“, also auf Abbau oligarchischer Extreme, Abbau willkürlicher Entscheidungen, auf Minderheiten-und Individualschutz und auf „facilitative functions“, also auf Erzeugung eines günstigen normativen Klimas, auf „outside support“ für oppositionelle Aktivitäten und auf Rahmenbedingungen für die Interessenartikulation beschränkt.
Zugleich aber bietet die Verbandsforschung die Chance, die Wirksamkeit rechtlicher Regelungen in diesem Rahmen entscheidend zu verbessern. Ein „institutional assessment" von Organisationen kann zeigen, an welchen Stellen rechtliche Regelungen leerlaufen müssen, kann aber zugleich die „opportunity structure" analysieren, die für Rechtsnormen neue Ansätze ergeben Für Zwecke juristischer Regelung kann in diesem Zusammenhang die empirische Organisationssoziologie beitragen, welche die Wirkungsweise von Or-ganisationen auf soziale, psychische, organisatorische und institutionelle Faktoren zurückführt. Eine solche Analyse kann die Relevanz von Rechtsnormen angesichts anderer Faktoren realistischer beurteilen und kann schließlich zu strategischen Empfehlungen führen, an welchen Stellen Chancen für erfolgreiche rechtliche Innovationen bestehen. 2. Ineffektivität klassisch-demokratischer Rechtsnormen In diesem Zusammenhang läßt sich zeigen, daß juristische Regelungen, die auf eine Stärkung der Rechte der Hauptversammlung und eine Ausweitung der individuellen Mitwirkungsrechte abzielen, wie sie in der rechtspolitischen Diskussion zum Verbandsrecht vorgeschlagen wurden, nur wenig effektiv sein können. Solche Regelungen, die auf direktdemokratischen Vorstellungen beruhen, können nur in geringem Maße dazu beitragen, die Probleme zu lösen, die mit dem Stichwort „Verbandsdemokratie" angesprochen sind. Sie vermögen allenfalls begrenzt die Effektivität interner Kontrolle der Führungspositionen zu steigern, eine Dezentralisierung der Entscheidungen herbeizuführen, eine integrative Konfliktregelung zu gewährleisten und die Innovationsfähigkeit des Verbandes zu erhöhen
Damit soll nicht die Wirkung direktdemokratischer Mechanismen insgesamt abgestritten werden. Alle bisher verfügbaren Erfahrungen aber zwingen zur Skepsis gegenüber hochgesteckten Erwartungen an solche Regelungen. Entsprechend sollte die Aufmerksamkeit der rechtspolitischen Diskussion sich eher solchen Mechanismen zuwenden, die eine soziale Effektuierung formaldemokratischer Regeln versprechen. 3. Neue Regelungsansätze aus normativ komplexen Demokratietheorien Hier ist vor allem die „Zwischenebene" zwischen Verband und Individuum zu nennen, die in der verbandsrechtlichen Diskussion bisher weitgehend vernachlässigt wurde. Wenn es richtig ist, daß plurale Binnenstrukturen — kombiniert mit partizipatorischen Elementen, sei es in Form eines inneren Parteienwettbewerbes, sei es in Form eines „oszillierenden Gruppensystems" — eine wesentliche Voraussetzung für Organisationsdemokratie sind, dann gibt es für das Verbands-recht noch durchaus unausgeschöpfte Möglichkeiten, solche Binnenstrukturen zu etablieren
Der wichtigste Gesichtspunkt für verbands-rechtliche Regelungen dürfte sein, daß solche Binnenstrukturen nicht undifferenziert auf alle politisch relevanten Großverbände zu übertragen sind. Vielmehr kommt es darauf an, Organisationsformen zu entwickeln, die auf spezifische Umweltfunktionen unterschiedlicher Großverbände zugeschnitten sind. Verbandsrechtliche Strukturvorgaben sollten sich an der oben angeführten normativen Fassung der " contingency theory of organizations" orientieren. Danach eröffnen die Anforderungen des politischen Systems an Verbände einen Spielraum, für dessen nähere Eingrenzung sich Kriterien aus der Mitgliederumwelt bestimmen lassen und umgekehrt. Dies führt dazu, für sechs politische Funktionen von Verbänden je spezielle und unterschiedliche Verbandsstrukturen vorzuschlagen: Im Verhältnis der, Verbände zum politischen System ist nach der Art ihrer Entscheidungsleistungen zu differenzieren Input-, Output-, Konversionsleistungen: deren 1. Interessenverbände, Funktion es ist, gesellschaftliche Interessen zu artikulieren, zu aggregieren und in politische Forderungen umzusetzen, stehen vor dem Problem, wie sie trotz des Rollenkonflikts zwischen Anforderungen des politischen Systems und denen ihrer gesellschaftlichen Umwelt ein Höchstmaß an politischer Repräsentation gewährleisten können. Solche Steuerungsprobleme von Interessenorganisationen sind nicht schon dadurch gelöst, daß die Freiheit von Eintritt und Austritt und die Freiheit von Verbandswahlen oder gesteigert werden. rechtlich abgesichert Eine Lösung wird eher in rechtlichen Garantien für „reale Interessenkommunikation" und für „funktionale Autonomie" van internen Gruppierungen zu finden sein. Die Durchsetzung solcher Rechtsgarantien sollte statt auf negative Sanktionen in einem Interessenverbandsgesetz auf positive Sanktionen gestützt werden, genauer: auf ein Junktim von Legal-status und rechtlichen Strukturvorgaben, das politische Privilegierungen von der Erfüllung bestimmter innerverbandlicher Voraussetzungen abhängig macht. 2. „Halbstaatliche Verbände", die Entscheidungsfunktionen des politischen Systems übernommen haben, stehen vor anderen Systemproblemen. Nicht Garantien für authentische Artikulation gesellschaftlicher Interessen sind gefragt, sondern Strukturkonsequenzen aus ihrer organisatorischen Verselbständigung. Entscheidendes Problem ist, ob es gelingt, organisationsintern ausreichenden Ersatz für effektive staatliche Kontrollen im Sinne gesamtgesellschaftlicher Verträglichkeit herzustellen. Verbandsrechtlich führt dies auf die Spur von „pluralistischen" Aufsichtsratslösungen, die einen organisierten Konflikt zweier autonomer Machtzentren — des verbandsinternen „Politiksystems" und des „Operationssystems" —, ermöglichen. Dafür bedarf es mehr als bloßer Satzungsvorschriften für die Einrichtung von Kontrollgremien, Beiräten, Kuratorien etc. Vorzusehen sind Normen für eigenständige Legitimationsund Rekrutierungsbasen der Kontrollgremien, für deutliche Abgrenzung der Kompetenzen, für die Einbeziehung von bürokratischen Stäben und professionellen Sachverstand.
3. Verbände der sozialstaatlichen Selbstverwaltung stehen in der Situation eines " monopoly of policy-making functions by private organizations in the face of government non-involvement" Ihr Strukturproblem scheint zunächst nur in einer Kombination der eben angeführten Probleme zu bestehen. Damit ist aber noch nicht das Sonderproblem sozialstaatlicher Autonomie angesprochen: die „Demokratisierung" der gesamten Handlungsabläufe, von der Informationsbeschaffung bis zur bindenden Entscheidung innerhalb eines einheitlichen Entscheidungssystems. Das dieser Verbände Systemproblem läßt sich näher kennzeichnen als Zielkonflikt zwischen Kompromiß-und Verpflichtungsfähigkeit einerseits und Interessendurchsetzungs-und Konsensfähigkeit andererseits. Verbandsrechtliche Lösungen, die sich auf 47) Mark V. Nadel, The Hidden Dimension of Public Policy: Private Governments and the Policy-Making Process, The Journal of Politics 37 (1975), S. 11. diesen Zielkonflikt einstellen, werden auf das Prinzip von „Legitimation durch Entscheidungsbeteiligung" zurückgreifen müssen. Sozialstaatliche Verbände müssen über die allgemeinen Willensbildungsmechanismen hinaus rechtliche Formen einer „Sonderlegitimation" herausbilden. Satzungsrechtlich kann dies durch repräsentative Zusammensetzung bestimmter Entscheidungsgremien und durch Vorschriften zur konkreten Willensbildung abgesichert werden.
Im Verhältnis der Verbände zu den Mitgliedern ist nach Organisationsleistungen zu differenzieren: Mitgliederrekrutierung, Handlungskoordination, Grenzerhaltung: 4. In Quasi-Monopol-Verbänden ist der für den freien Verein typische Zusammenhang von Organisationszweck und Mitgliedermotiven gelöst. Solche Verbände können durch selektive Mitgliederpolitik über Beitrittsmotive verfügen und die Organisationspolitik in relativer Unabhängigkeit von diesen Motiven bestimmen. Diesen Verbänden stellt sich das Problem, ob sich verbandsinterne oder gesamtgesellschaftliche „politische" Kontrollen als Ersatz für klassische „Marktkontrollen" in bezug auf die Definition der Mitgliedschaftsrolle finden lassen. Rechtlich läßt sich dies Zugangsproblem entschärfen durch ein kombiniertes Vorgehen: über die gerichtliche Kontrolle von Zugangsbildungen und die begrenzte Gewährung eines Aufnahmeanspruchs. 5. In komplexen Verbandsorganisationen läßt sich Handlungskoordination im Unterschied zur interaktionsnahen Sozialbeziehung des „freien Vereins" nicht mehr über die unmittelbare Partizipation der Mitglieder bewerkstelligen. Eine Steigerung der Organisationskomplexität wirft das Problem auf, wie die innere Verbandspolitik sich umstellen kann " from the politics of homogeneity to the politics of diversity" Die wesentliche
Aufgabe des Verbandsrechts wird es sein, durch Formalisierung das erhöhte Konfliktpotential großer Organisationen zu aktualisieren. Wirksame Regelungen in dieser Richtung sind die Garantie eines Rechts auf organisierte Opposition und die Einführung von konfliktorischen Wahlsystemen.
6. In Verbänden mit hoher Organisationsmacht wird das Problem der Grenzerhaltung zwischen Individuum und Organisation nicht mehr durch Konsens, sondern durch autoritative Festlegung angegangen. Die Steigerung von Verbandsmacht gegenüber den Mitgliedern wirft Gefahren auf, die als Probleme der „total institutions" thematisiert worden sind. Gesucht sind formale Garantien für die Rollenautonomie des Individuums, die effektiven Schutz der Individualsphäre vor zu weit gehenden Zumutungen der Organisation und eine ausgewogene Lösung von Rollenkonflikten bewirken. Das Verbandsrecht hat in diesem Bereich des Individualschutzes schon eine Fülle von Rechtsfiguren entwickelt, so daß es nur darauf ankommt, diesen Schutz graduell noch zu verstärken. Aufgrund einschlägiger Untersuchungen in der Organisationssoziologie läßt sich eine günstige Effektivitätsprognose stellen. In der Sache geht es vor allem um ein Verstärken von gerichts-ähnlichen Verfahrensgarantien für die verbandsinterne „Gerichtsbarkeit" und um ein konsequentes Aufheben all der Schranken, die auch in der heutigen Praxis einer umfassenden gerichtlichen Überprüfung von Vereins-entscheidungen noch entgegenstehen.
All diese Regelungsvorschläge lassen sich trotz ihrer Verschiedenheit auf ein einheitliches Prinzip zurückführen: auf die Institutionalisierung interner Konflikte durch Recht. Das bedeutet Steigerung von Konflikten und ihre Kanalisierung zugleich. Es gilt, sich von verbreiteten Harmonievorstellungen zu lösen und Rechtsgarantien zu entwerfen für die gezielte Hereinnahme von Umweltkonflikten in das Innere des Verbandes: für pluralistische Konkurrenz, organisierte Opposition und institutionalisierten Dissens.