Die parlamentarische Kontrolle der geheimen Nachrichtendienste ist ein umstrittenes Thema notwendiger Demokratie — Staatsschatz hat viele rechtliche und praktische Aspekte. Der Autor stellt seine Vorschläge für eine rechtsstaatliche Lösung der Frage zur Diskussion. Die Redaktion wird weitere Beiträge verölfentlichen.
I. Einführung
Die Ämter für Verfassungsschutz (ÄfV), der Bundesnachrichtendienst (BND) und der Militärische Abschirmdienst (MAD) sind staatliche Behörden oder Dienststellen, die — wie andere Einrichtungen des Staates auch — öffentliche Aufgaben erfüllen und öffentliche Gewalt ausüben. Sie unterliegen in vollem Umfang den Bindungen der Verfassung und der Gesetze, und zwar nicht nur in dem Sinne, daß sie den Bestimmungen der Rechtsordnung nicht zuwiderhandeln dürfen, sondern auch in der Weise, daß es für sie keinen ungeregelten und unkontrollierten Freiraum geben darf. Keine Legitimationsbasis bildet die Staatsnotwendigkeit (oder Staatsraison), denn „mit der letzten Gewißheit, daß es keinen Primat der Politik vor dem Recht geben kann, steht und fällt der Rechtsstaat" Die volle Einbindung in die Rechtsordnung berührt zwangsläufig die Effektivität der nachrichtendienstlichen Arbeit, zumal den Diensten der Bundesrepublik Geheimdienste gegenüberstehen, deren Wirken keinerlei rechtlichen oder moralischen Schranken unterworfen ist. Auch aus der Abwehr heraus darf sich der Verfassungsschutz die Mittel und Methoden totalitärer Herrschaft nicht aufdrängen lassen Das bedeutet, einen lückenhaften Staatsschutz in Kauf zu nehmen, um das Schutzgut — den freiheitlichen Rechtsstaat — nicht zu beeinträchtigen. Die Gefährlichkeit und Skrupellosigkeit des Gegners soll damit nicht als rechtlich belanglos abgetan werden. Die Rechtsordnung weist genügend
Spielraum auf, um auf Herausforderungen elastisch zu reagieren: Je stärker und gefährlicher der Gegner, desto entschiedener die Abwehr und desto reichhaltiger die Möglichkeiten zur Bekämpfung
Nachrichtendienste können eine enorme Machtfülle besitzen, wofür die Abkürzungen „Gestapo" und „KGB" stellvertretend genannt sein mögen. Die Dienste der Bundesrepublik sind nicht nur im Vergleich hierzu, sondern auch zu den Diensten anderer westlicher Länder in ihrer Macht erheblich beschnitten: Die föderalistische Struktur des Verfassungsschutzes verhindert ein Informationsmonopol beim Bundesamt und gewährt allen großen Parteien über die von ihnen gestellten Regierungen Einblick und Einflußnahme. Die Zuweisung der nachrichtendienstlichen Funktionen des Bundes an drei voneinander unabhängige Institutionen verringert deren Macht zusätzlich Die von einem zentralen Nachrich-tendienst ausgehende Gefahr, zum Staat im Staate zu werden, kann dadurch als gebannt gelten. Schließlich ist durch die Versagung polizeilicher Befugnisse sichergestellt, daß kein Bürger von Mitarbeitern eines Nachrichtendienstes in dienstlicher Eigenschaft festgenommen oder zu irgend etwas gezwungen werden kann. Durch diese organisatorischen und gesetzgeberischen Maßnahmen wird zwar die Machtzusammenballung bei einer Behörde verhindert, nicht aber der Machtmißbrauch in den jeweiligen Zuständigkeitsparzellen ausgeschlossen. Für den Bürger verlieren die Orwell'schen Visionen nicht dadurch ihren Schrecken, daß der Große Bruder durch mehrere kleine Brüder abgelöst wird, die zudem miteinander in enger Verbindung stehen. Das „Problem des belauschten Bürgers" wird dadurch nicht gelöst, die „Herrschaft der Dossiers" nicht vereitelt.
Die Forderung nach zusätzlicher parlamentarischer oder sonstiger Kontrolle über die Nachrichtendienste ist schon oft erhoben worden. Dahinter stand oft ein gewisses Unbehagen gegenüber diesen im Verborgenen wirkenden Einrichtungen oder die Erwartung, daß diese dadurch der Aura des Zwielichtigen entrückt würden und Vertrauen in der Bevölkerung gewännen. Gewiß hat zuweilen auch das Rechtsstaatsprinzip bei solchen Überlegungen Pate gestanden, doch meist nur mit jenem Grad von Nachdrücklichkeit, mit dem man etwas als wünschenswert oder prüfungswürdig bezeichnet. Im folgenden soll dargelegt werden, daß es bei der Forderung nach effektiver Parlamentskontrolle nicht um rechtsstaatliches decorum, um Zweckmäßigkeit oder Imagepflege der Dienste geht, sondern darum, daß ohne eine solche Kontrolle die Verfassungsmäßigkeit nachrichtendienstlichen Handelns — soweit es über das Sammeln und Auswerten offen zugänglicher Materialien hinausgeht — in Zweifel zu ziehen ist.
II. Bestehende Kontrollmöglichkeiten
Möglichkeiten zur Kontrolle der Nachrichtendienste sind auch jetzt schon vorhanden. Sie sind teils von überwiegend theoretischer Bedeutung, wie z. B. die parlamentarische Verantwortlichkeit des betreffenden Ressortchefs oder die gerichtliche Kontrolle, teils aber auch von praktischem Wert, wie die Fach-und Dienstaufsicht innerhalb der Exekutive oder die Überprüfung durch Untersuchungsausschüsse. Es handelt sich teils um die allgemeinen, gegenüber allen Regierungsund Verwaltungseinrichtungen bestehenden Kontrollrechte, teils um speziell für die Nachrichtendienste getroffene Vorkehrungen.
Die Kontrollfunktion des Gesamtparlaments versagt bei den Diensten meist schon aus Gründen der Geheimhaltungsbedürftigkeit. Fragen von Abgeordneten, die in diese Richtung zielen, werden von der Bundesregierung stereotyp damit beantwortet, daß die Vertraulichkeit der Angelegenheit eine öffentliche Erörterung im Parlament verbiete Das* kann im Grunde auch nicht anders sein, beweist aber die Schwäche des allgemeinen parlamentarischen Kontrollrechts im Hinblick auf die Nachrichtendienste. Zu ausführlichen Plenardebatten kann es allerdings bei der Beratung der Berichte einschlägiger Untersuchungsausschüsse kommen. Hier ist der Geheimschutz durch die vorausgegangenen Ausschußberatungen oft bereits so durchlöchert, daß nichts mehr im Wege steht, auch die politische Verantwortlichkeit der Regierung für Mängel im Bereich der Nachrichtendienste öffentlich herauszustellen. In einem solchen Fall erweist sich das Kontrollrecht des Parlaments — das ja in der Verfassungswirklichkeit vornehmlich eines der Opposition ist — als nicht minder wirksam, als wenn die Regierung wegen einer anderen Angelegenheit zur Rechenschaft gezogen würde. Zu bedenken ist aber, daß die Kontrolle der Regierung durch Fragen und Auskunftsbegehren seitens der Abgeordneten die Regel, die Einsetzung von Untersuchungsausschüssen die Ausnahme ist.
Untersuchungsausschüsse haben sich bisher relativ häufig mit nachrichtendienstlichen Themen beschäftigt (z. B. in den Fällen „John", „Guillaume" und in der sog. Telefonabhöraffäre). Sie ermöglichen eine gründliche und weitgehende Aufklärung eines Sachverhaltes, ähnlich wie in einem Gerichtsverfahren. Untersuchungsausschüsse werden meist aufgrund öffentlicher Skandale eingesetzt. Ausschlaggebend ist in der politischen Praxis weniger das Kontrollbedürfnis des Parlaments als die vermutete Eignung der Materie zum Kampf gegen den innenpolitischen Gegner. Die Untersuchungen finden in einem emotional aufgeheizten Klima und unter großer Anteilnahme der Massenmedien statt, die stets neue Sensationen und Enthüllungen erwarten. Das bestimmt zu einem gewissen Grade auch die Auswahl der Ausschußmitglieder: Für die Fraktionen kommt es darauf an, daß ihre Mitglieder vor allem gute Ankläger oder Verteidiger sind; Erfahrung und Sachkenntnis rangieren erst dahinter. Die für Untersuchungsausschüsse typische Atmosphäre disqualifiziert sie im Grunde für die Untersuchung geheimdienstlicher Themen. Es besteht die Gefahr, daß der eventuell von ihnen erzielte Aufklärungserfolg außer Verhältnis zu dem durch die Untersuchung angerichteten Schaden steht Das trifft mit Sicherheit auch auf die Untersuchungen der Handlungsweise des CIA durch Ausschüsse des nordamerikanischen Parlaments zu, die zwar Erschreckendes zu Tage gefördert haben, den amerikanischen Gegenspieler des KGB aber auch entscheidend geschwächt haben. Aus verfassungsrechtlicher Sicht sind die Untersuchungsausschüsse ein taugliches Mittel zur Aufklärung von Vorkommnissen im nachrichtendienstlichen Bereich und können daher innerhalb dieses Rahmens als wirksame parlamentarische Kontrollorgane angesehen werden. Zu berücksichtigen ist aber, daß es sich bei ihnen nicht um ständige, systematisch arbeitende Einrichtungen handelt, sondern um relativ selten und aus meist zufälligem Anlaß konstituierte Kontrollinstanzen mit eingeschränktem Untersuchungsauftrag. Da Untersuchungsausschüsse ihr Entstehen meist irgendwelchen Skandalen verdanken, sei noch folgendes zu erwägen gegeben: Bei einer Behörde, über die keine negativen Meldungen im Umlauf sind, kann im allgemeinen davon ausgegangen werden, daß sie die Gesetze beachtet, weil sonst ihr Publikum vernehmlich Wi-derstand geleistet hätte. Bei einem Geheimdienst besagt dies dagegen nur, daß die Geheimhaltung funktioniert, nicht aber, daß sonst alles in Ordnung ist.
Eine gewisse Kontrolle findet auch in den regulären Ausschüssen statt, die mit den aufsichtsführenden Ressorts korrespondieren, also im Innenausschuß über das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und im Verteidigungsausschuß über den MAD. Für den beim Bundeskanzleramt ressortierenden BND fehlt es an einem speziellen Pendant. Die Kontrolle vollzieht sich entweder in der Entgegennahme allgemeiner Berichte über die Tätigkeit des Dienstes in einem bestimmten Zeitraum oder in der Erörterung bestimmter Vorkommnisse. Bei der Behandlung der Tätigkeitsberichte steht nicht die Kontrolle der Dienste, sondern das Ergebnis ihrer Arbeit im Vordergrund. Es geht um die Erkenntnisse — und deren Bewertung — die in dem zugewiesenen Sicherheitsbereich gewonnen worden sind, nicht um die Mittel und Methoden, die zur ihrer Erlangung angewendet worden sind. Die Erörterung einzelner Vorkommnisse (meist publik gewordener Pannen) ist zu sporadisch und punktuell, als daß von einer systematischen Kontrolle gesprochen werden könnte. Eine wesentliche Verbesserung der Kontrolle durch diese Ausschüsse scheidet schon wegen ihrer Überlastung mit anderen Aufgaben aus, aber auch deshalb, weil Staatsgeheimnisse aus Sicherheitsgründen nicht in einem solch großen Kreis behandelt werden können. Es kommt auch vor, daß der Minister die Auskunft über besonders sicherheitsempfindliche Details unter Hinweis darauf verweigert, daß darüber das Parlamentarische Vertrauensmännergremium informiert werde oder informiert worden sei. Da die Ausschußsitzungen nicht öffentlich sind und zusätzlich für geheim erklärt werden können, ist die Ausschußkontrolle alles in allem effektiver als die des Plenums und diskreter als die der Untersuchungsausschüsse.
Das Parlamentarische Vertrauensmännergremium (PVMG) geht zurück auf ein Angebot des Bundeskanzlers Adenauer an die Fraktionen des Bundestages im Jahre 1956, einen kleinen Kreis von Abgeordneten über Angelegenheiten des im Jahre zuvor als Dienststelle des Bundeskanzleramtes gebildeten BND (zuvor „Organisation Gehlen") zu unterrichten. Nachdem der Bundestag am 29. April 1964 auf Antrag des Untersuchungsausschusses in Sachen „Telefonabhöraffäre" die Bundesregie-B rung ersucht hatte, Vorschläge über die parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste vorzulegen empfahl die Bundesregierung, die Tätigkeit des BfV und des MAD in den Aufgabenbereich des PVMG einzubeziehen Innenausschuß und Plenum billigten diesen Vorschlag und brachten damit zum Ausdruck, daß sie das PVMG als parlamentarisches Kontrollorgan anerkannten.
Das PVMG ist insoweit „parlamentarisch", als es aus Abgeordneten (je drei aus jeder Fraktion) zusammengesetzt ist. Seine Mitglieder werden jedoch nicht vom Parlament gewählt, sondern von den Fraktionen bestellt. Das langjährige Mitglied des PVMG Friedrich Schäfer hat eingeräumt, daß er sich in dieser Funktion immer als Vertrauensperson seiner Fraktion, nicht des Gesamtparlaments, verstanden habe Bis vor kurzem wurde das PVMG vom Bundeskanzler einberufen und von ihm geleitet. Neuerdings wechselt der Vorsitz zwischen den Abgeordneten, die auch das Recht erhalten haben, die Einberufung des Gremiums zu verlangen. Die Geschäftsführung des PVMG liegt weiterhin beim Bundeskanzleramt. Der Rang und die politische Bedeutung des PVMG geht u. a; daraus hervor, daß ihm stets auch die Fraktionsvorsitzenden angehören. Das hat dazu geführt, daß die Gespräche im PVMG seitens der Regierung auch dazu genutzt wurden, die Fraktionsspitzen über hochvertrauliche Angelegenheiten außerhalb des Geheimdienstbereichs zu informieren, z. B. über den Freikauf von Häftlingen aus der DDR oder über die seiner-zeitige Waffenhilfe an Israel
Das PVMG agiert ohne spezielle Rechtsgrundlage; es ist weder im Grundgesetz, noch in der Geschäftsordnung des Bundestages oder in einer sonstigen Rechtsvorschrift vorgesehen; seiner Tätigkeit kann daher keinerlei Rechts-wert beigemessen werden. Ein Kontrollorgan des Parlaments ist es schon deshalb nicht, weil es nicht vom Bundestag gewählt ist und ihn daher nicht repräsentiert. Es ist bezeichnend, daß der aus fünf Mitgliedern des PVMG (Barzel, Helmut Schmidt, Mischnick, Stücklen,
Hirsch) zusammengesetzte 2. Untersuchungsausschuß der 5. Wahlperiode vorschlug, das PVMG durch einen im Grundgesetz zu verankernden Ausschuß des Bundestages für Angelegenheiten der Nachrichtendienste zu ersetzen Die große Bedeutung des PVMG in seiner jetzigen Struktur als informeller Gesprächskreis zwischen den Vertrauensleuten der Fraktionen und der Regierung über vertraulich zu behandelnde Themen steht außer Frage: Nur liegt sie im Politischen, nicht im Rechtlichen.
Die Erörterung der Haushaltspläne der Nachrichtendienste und die Rechnungsprüfung ist einem Unterausschuß des Haushaltsausschusses vorbehalten, der aus je einem Abgeordneten der drei Fraktionen besteht. Die übrigen Abgeordneten erfahren nur die Endsummen der den Diensten zur Verfügung gestellten „Zuschüsse", nicht aber die Zweckbestimmung im einzelnen Der Unterausschuß bildet also keine zusätzliche parlamentarische Kontrolle, sondern einen Ersatz für Funktionen, die dem Haushaltsausschuß und dem Gesamtparlament entzogen sind.
Ihre wirksamste Schranke findet die Verwaltung im allgemeinen in dem Bestreben des Bürgers, sich nichts gefallen zu lassen und sich sein Recht notfalls vor Gericht zu suchen. Auch gegen Maßnahmen der Nachrichtendienste steht jedem, der sich in seinen Rechten verletzt glaubt, der Rechtsweg offen (Art. 19 IV GG). Die Besonderheit der nachrichtendienstlichen Arbeitsweise besteht darin, daß sie von der Zielperson möglichst nicht bemerkt werden soll. Wer aber nichts davon erfährt, daß er observiert, belauscht, fotografiert oder „verkartet" wird, kann auch nicht dagegen klagen. Auch nach Abschluß der Maßnahmen wird der von ihnen Betroffene im allgemeinen nicht informiert, — eine Praxis, die nicht frei von juristischen Bedenken ist. Bei der Brief-und Telefonkontrolle ist es immerhin für erforderlich gehalten worden, die Möglichkeit, von einer Mitteilung abzusehen, in der Verfassung selbst niederzulegen (Art. 10 11); das Bundesverfassungsgericht hat eine einschränkende Interpretation hinzugefügt Wegen seiner Uninformiertheit ist der Einzelne gegenüber den Nachrichtendiensten faktisch rechtlos. Auch die in § 9 Abs. 2 des Gesetzes zu Art. 10 GG vorgesehene Beschwerdemöglichkeit ist nur von theoretischem Wert, da der Betroffene — jedenfalls zunächst — von der Beschränkungsmaßnahme nichts erfährt und das Knacken in der Leitung gerade kein Zeichen für die Telefonüberwachung ist. Wird ihm eine Post-oder Telefonüberwachung später mitgeteilt, so steht fest, daß diese von der zuständigen Kommission — die auch über die Beschwerde entscheidet — genehmigt worden war. Eine begründete Beschwerde ist daher bei normalem Geschehens-ablauf kaum denkbar. Da die individuell veranlaßte Rechtskontrolle über Maßnahmen der Geheimdienste praktisch ausfällt, fehlt es auch an der entscheidenden Schranke, die die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns normalerweise erzwingt
Der Vollständigkeit halber sei noch die Fach-und Dienstauisicht erwähnt, der die Nachrichtendienste und ihre Mitarbeiter seitens der obersten Dienstbehörden, zu denen sie gehören, unterliegen. Da es sich hierbei um eine Eigenkontrolle innerhalb der Exekutive handelt, ist wegen der verfassungsrechtlichen Blickrichtung dieses Beitrags eine Auseinandersetzung hiermit entbehrlich
Bei der Kontrolle der Dienste durch den Bundesrechnungshof (BRH) besteht insofern eine Besonderheit, als die Jahresrechnung der Nachrichtendienste von einem Kollegium unter Beteiligung des Präsidenten oder Vizepräsidenten geprüft wird und das Ergebnis dem bereits erwähnten Unterausschuß des Haushaltsausschusses mitgeteilt wird. Die Prüfung erstreckt sich auf die Ordnungsmäßigkeit (einschließlich Recht-und Gesetzmäßigkeit) und die Wirtschaftlichkeit (einschließlich Sparsamkeit und Wirksamkeit) der getätigten Ausgaben, jedoch treten diese Gesichtspunkte gegenüber Fragen politischer Zweckmäßigkeit zurück
Die Frage, ob die vorhandenen Kontrollmöglichkeiten als ausreichend gelten können, ist in Zusammenhang zu sehen mit der Rechtserheblichkeit nachrichtendienstlicher Arbeitsweise sowie der Stringenz der für sie geltenden gesetzlichen Bestimmungen. Es ist einleuchtend, daß ein Geheimdienst der Kontrolle in höherem Maße bedarf als etwa das Deutsche Archäologische Institut in Berlin. Auch muß die Kontrolle um so strenger sein, je lückenhafter und unbestimmter das Gesetz Auftrag und Befugnisse der Behörde geregelt hat.
III. Rechtliche Relevanz nachrichtendienstlicher Tätigkeit
Das Wirken der Nachrichtendienste kann Probleme in allen Rechtsgebieten aufwerfen, z. B. im Völkerrecht (Einbau von Abhörgeräten in Botschaftsgebäuden; Verwendung von Nachrichtendienstlern in diplomatischen Funktionen), im Strafrecht (vor allem im Hinblick auf die Bestimmungen über die Verletzung des persönlichen Lebens-und Intimbereichs, §§ 201 ff. StGB) und im Prozeßrecht (Problematik des „Zeugen vom Hörensagen"). Im folgenden soll nur dargestellt werden, inwieweit die Tätigkeit der Nachrichtendienste die Rechte des Mitbürgers verletzen kann.
Nachrichtendienstliche Tätigkeit besteht im wesentlichen aus dem Sammeln und Bewerten von Nachrichten. Soweit es sich um die Gewinnung und Verwertung von Erkenntnissen aus offen zugänglichen Quellen handelt — und das trifft immerhin auf 80 °/o aller Informationen zu — ist die Gefahr von Rechtsverletzungen gering, wenngleich das Bundesdatenschutzgesetz auch die Speicherung solcher Daten nicht unbeschränkt zuläßt. Problematisch ist vor allem die heimliche Beschaffung und Verwertung vertraulicher Informationen über Personen. Wenn diese Tätigkeit einen Sinn haben soll, muß sie mit Intensität und Systematik betrieben werden, so daß schließlich beurteilt werden kann, ob jemand verfassungsfeindliche Bestrebungen fördert, Kontakte zu gegnerischen Nachrichtendiensten unterhält oder als Beamter ein Sicherheitsrisiko darstellt. Diese „Personenabklärung" reicht zuweilen in die intimsten Persönlichkeitsbereiche hinein und ermöglicht die Anfertigung exakter Persönlichkeitsprofile. Dies ist eine zwangsläufige Folge des nachrichtendienstlichen Teilauftrags: zu verhindern, daß labile und anfällige Personen in sicherheitsempfindlichen Bereichen tätig sind. Zu den erfolgversprechenden Ansatzpunkten für die Gegenseite gehören nun einmal Faktoren wie Homosexualität, Al-koholismus, Glücksspiel, Drogen, Verschuldung u. ä. Im Bereich des Staatsschutzes erfordert die Beschaffung von Nachrichten meist ein sehr viel stärkeres Eindringen in die Persönlichkeitssphäre des Bürgers als in anderen behördlichen und polizeilichen Bereichen Für die Beurteilung der Frage, ob die Rechtssphäre der Zielpersonen nachrichtendienstlicher Aufklärung berührt ist, kommt es nicht so sehr darauf an, mit welchen Mitteln und Methoden Erkenntnisse über sie gewonnen wurden. Entscheidend ist, ob es ein Bürgerrecht darauf gibt, nicht — oder nur unter bestimmten Voraussetzungen — zum Objekt staatlicher Ausforschung gemacht zu werden.
Aus der verfassungsrechtlichen Verbürgung der Würde des Menschen und der freien Entfaltung der Persönlichkeit (Art. II, 2 1GG) haben Rechtsprechung und Literatur hergeleitet, daß jedermann ein subjektives Recht auf Achtung seiner Persönlichkeit und seiner Privatsphäre hat. Zu diesem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ist auch das Recht des Bürgers zu zählen, den Umfang, in dem die Umwelt, insbesondere der Staat, von seinem Denken und Handeln Kenntnis nehmen soll, selbst zu bestimmen Jeder systematisch betriebene Versuch, dieses Selbstbestimmungsrecht zu unterlaufen und sich entsprechende Informationen zu verschaffen, ist als rechtserheblicher Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht zu werten Das gilt für jegliches Beobachten, Fotografieren, Belauschen, Ob-servieren, Befragen sowie das Zusammentragen, Speichern, Abrufen und Weitergeben von Nachrichten Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist als sog. „unbenanntes Grundrecht" nur in den Schranken der verfassungsmäßigen Ordnung (Art. 2 I GG) gewährleistet. Eingriffe in dieses Recht können daher durch Gesetz zugelassen werden. Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung steht der Annahme entgegen, daß das Persönlichkeitsrecht schon dann der Einwirkung durch die Nachrichtendienste offenstehe, wenn überwiegende Interessen der Allgemeinheit dies erfordern. Es bedarf vielmehr einer Entscheidung des Gesetzgebers Der engste Bereich privater Lebensgestaltung ist der Einwirkung der öffentlichen Gewalt gänzlich entzogen. Vor diesem absolut geschützten Kernbereich muß selbst der Gesetzgeber Halt machen
Mit der Forderung, eine hinreichende gesetzliche Ermächtigung für das Sammeln und Verwerten individueller Daten nachzuweisen, werden die Nachrichtendienste nicht strenger behandelt als andere Behörden. Die Ausweitung der elektronischen Datenverarbeitung und das Erkennen ihrer Gefahren für die Freiheit des Einzelnen haben eine besondere Sensibilität für jeglichen Umgang mit personenbezogenen Informationen bewirkt. Unter Berufung auf die Verfassung ist gefordert worden, sämtliche Phasen der Datenbeschaffung und -Verarbeitung zu verrechtlichen. Nach vorherrschender Meinung greift die Beschaffung und Verarbeitung personenbezogener Daten in die grundgesetzlich geschützten Freiheitsrechte ein, so daß hierfür jeweils eine gesetzliche Ermächtigung vonnöten ist Das neue Bundesdatenschutzgesetz trägt dieser Forderung Rechnung.
Systematische Personenabklärungen werden von allen deutschen Nachrichtendiensten vorgenommen. Beim Verfassungsschutz und beim MAD machen sie einen erheblichen Anteil an der Gesamttätigkeit aus. Von den achforschungen des MAD werden nicht nur Solda-ten und Zivilbedienstete der Bundeswehr betroffen, sondern auch Personen außerhalb dieses Bereichs, die im Verdacht stehen, Zersetzung, Sabotage oder Spionage gegen die Bundeswehr zu betreiben. Der BND ist als Auslandsnachrichtendienst von der Inlandsaufklärung grundsätzlich ausgeschlossen- In zwei Tätigkeitsfeldern reichen aber seine Aufgaben ins Inland hinein, nämlich bei der Aufklärung der gegnerischen Nachrichten-dienste (Gegenspionage) und bei der Spionageabwehr innerhalb des BND. Darüber hinaus wird der BND immer dann im Inland tätig, wenn Informationen, die seinen Auslandsauftrag betreffen, im Inland gewonnen werden können. Insoweit ist auch die Anwendung „operativer Maßnahmen" im Inland — wenngleich z. T. im Einvernehmen mit dem BfV — nach den für ihn geltenden Dienstanweisungen zulässig
IV. Rechtsgrundlagen für das Handeln der Nachrichtendienste
BND und MAD sind nicht durch Gesetz errichtet worden. Auch ihr Auftrag und ihre Befugnisse sind bis heute gesetzlich nicht umschrieben. Nur im Gesetz zu Art. 10 GG findet sich eine Bestimmung darüber, daß sie — ebenso wie die Ämter für Verfassungsschutz — Brief-und Fernmeldekontrollen beantragen können. Der BND wurde durch Kabinettsbe-Schluß vom 11. Juli 1955 als eine dem Bundeskanzleramt angegliederte Dienststelle gegründet. Die ihm von der Bundesregierung zugewiesenen Aufgaben und Befugnisse blieben überwiegend geheim. Dies führte zu kritischen Spekulationen darüber, ob dem BND auch operative Funktionen wie Subversion, Diversion, Desinformation und Sabotage übertragen sind oder ob er sie wahrnimmt Der MAD ist auf der Grundlage der Organisationsgewalt des Bundesministers der Verteidigung entstanden und ist Teil der Bundeswehr über eine Rechtsgrundlage für Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht verfügt er ebensowenig wie der BND. Wenngleich der Großteil der vom MAD vorzunehmenden personellen Sicherheitsüberprüfungen seine Rechtfertigung im Soldatenverhältnis finden dürfte, bleibt ein juristisch nicht abgedeckter Rest bestehen. Das Fehlen einer gesetzlichen Grundlage für den BND ist von der SPD-Fraktion des Deutschen Bundestages bereits im Jahre 1956 kritisiert worden Aber auch die von der SPD geführte Bundesregierung des Jahres 1974 verneinte die Frage, ob sie bereit sei, die Tätigkeit des BND „endlich auf eine gesetzliche Grundlage" zu stellen Sie kann sich dabei auf die Empfehlung der „Eschenburg-Kommission" stützen, die „nach eingehender Prüfung zu dem Ergebnis gelangte, daß gewichtige Gründe entgegenstehen." Von Seiten der Rechtswissenschaft hat Evers eine gesetzliche Regelung für BND und MAD als „dringend erwünscht" bezeichnet
Die Existenz des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes ist durch die Verfassung selbst ausdrücklich sanktioniert (Art. 73 Nr. 10, 87 I GG). Die Aufgaben der Ämter für Verfassungsschutz werden durch das Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes (VerfSchG) umschrieben. Diese Aufgabenzuweisung in § 3 des Gesetzes schließt nach herrschender Auffassung die Ermächtigung ein, „Nachrichten unter Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Bürger zu beschaffen" und sich dabei nachrichtendienstlicher Mittel zu bedienen Die Ableitung der anzuwendenden Mittel und Methoden allein aus dem übertragenen Aufgabengebiet ergibt im Hinblick auf das Rechtsstaatsprinzip eine fragwürdige Legitimation. Danach wäre auch eine Aufgabenerfüllung im Stile des KGB gerechtfertigt. Um dieses Ergebnis zu verhindern, müssen die Verfechter dieser Ansicht eine Fülle allgemeiner Grundsätze heranziehen, um die Totalität der für die Aufgabenwahrnehmung denkbaren Mittel nachträglich wieder einzuschränken. Richtigerweise ist davon auszugehen, daß im Rechtsstaat die Zuweisung einer Aufgabe noch nichts über die Art und Weise ihrer Durchführung und die Zulässigkeit von Rechtsbeeinträchtigungen besagt.
In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, daß der Verfassungsschutz ganz überwiegend als „Spezialpolizei" angesehen wird Daraus wird hergeleitet, daß der Verfassungsschutz einerseits über die aus der polizeilichen Generalklausel fließenden Befugnisse — mit Ausnahme der ihm ausdrücklich entzogenen — verfügt und andererseits den allgemeinen polizeilichen Grundsätzen (Verhältnismäßigkeit, Erforderlichkeit, übermaßverbot) unterliegt. Im alten Polizeirecht ergab sich in der Tat die Eingriffsermächtigung aus der Aufgabenübertragung, wenngleich bereits § 14 PVG die Unterscheidung zwischen beiden ansatzweise zum Ausdruck brachte Die neueren Polizeigesetze sind noch deutlicher gekennzeichnet durch ihre strikte Trennung zwischen den Aufgaben und den Befugnissen der Polizei sowie durch die Einschränkung der Generalklausel durch Spezialermächtigungen für bestimmte typische Eingriffe. Dieser vom Rechtsstaatsprinzip geforderten Entwicklung trägt auch der Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes Rechnung Es kann daher heute nicht mehr davon ausgegangen werden, daß die gesetzliche Zuweisung einer polizeilichen Aufgabe ohne weiteres auch die zu ihrer Erfüllung erforderliche Eingriffsermächtigung enthält.
Im übrigen ist es sehr zweifelhaft, ob der Verfassungsschutz polizeilichen Charakter trägt. Nach § 3 III VerfSchG stehen dem BfV keine „polizeilichen Befugnisse oder Kontroll-befugnisse" zu, noch darf es einer polizeilichen Dienststelle angegliedert werden. Die für die Polizei typische Aufgabe der Gefahrenabwehr wird nicht vom Verfassungsschutz wahrgenommen, sondern von den obersten Bundes-oder Landesbehörden, für die er seine Erkenntnisse sammelt und die er zu informieren hat. Auch die Voraussetzungen, an die polizeiliches Handeln geknüpft ist, passen nicht für den Verfassungsschutz: Eine polizeiliche Gefahr setzt voraus, daß bei ungehindertem Geschehensablauf mit Wahrscheinlichkeit ein polizeilich geschütztes Rechtsgut geschädigt würde Die Tätigkeit des Verfassungsschutzes beginnt dagegen zu einem früheren Zeitpunkt, so daß zu Recht gesagt werden kann, den Verfassungsschutzbehörden seien Aufgaben „im Vorfeld der polizeilichen Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung" übertragen. Schließlich kann auch keine Rede davon sein, daß die vom Verfassungsschutz zu überprüfenden Beamten oder die Mitglieder nicht-verbotener radikaler Organisationen „Störer" im polizeirechtlichen Sinne seien. Der Verfassungsschutz ist im Verhältnis zur Polizei eine völlig eigenständige Institution. Die oben erwähnten „polizeilichen Grundsätze" bleiben für den Verfassungsschutz dennnoch beachtlich, denn es handelt sich dabei in Wirklichkeit um Grundsätze des Verfassungsrechts, die für alle Behörden gelten Die Zuerkennung der Polizeieigenschaft würde dem Verfassungsschutz rechtlich auch keinen Nutzen bringen. Er könnte sich nicht etwa darauf berufen, durch seine Tätigkeit „Störer" lediglich in die Schranken ihrer Grundrechte zu verweisen. Mit Maunz-Dürig-Herzog (Art. 2 RN 86) ist davon auszugehen, daß der spezifisch politische Verfassungsschutz keine bloße Geltendmachung immanenter Grundrechtsschranken ist und daher klarer ausdrücklicher Einschränkungsvorbehalte beim jeweiligen Grundrecht bedarf. Als abwegig muß die Ansicht von Schwagerl qualifiziert werden, der Verfassungsschutz klammere sich deshalb an die Polizeieigenschaft, um in bestimmten Situationen u. a. Briefe öffnen, elektronische Abhörgeräte anbringen und Infrarotkameras einbauen zu dürfen. Diese Mittel anzuwenden, ist der Polizei verwehrt
J Als Ermächtigung zum Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist für das Bundesamt die 1972 in § 3 III VerfSchG geschaffene Befugnis anzusehen, zur Wahrnehmung seiner Aufgaben nachrichtendienstliche Mittel anzuwenden. Diese Mittel — was auch immer im einzelnen darunter zu verstehen sein mag — schließen die Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ein. An einer Eingriffsermächtigung fehlt es in jenen Ländern, die entweder über kein eigenes Verfassungschutzgesetz verfügen (z. B. NRW) oder keine Regelung über die anzuwendenden Mittel getroffen haben. Das VerfSchG des Bundes gibt den Ländern keine Eingriffsbefugnis Eine Besonderheit gilt in Niedersachsen. Das dortige LfV ist bei der Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel ausdrücklich „an die allgemeinen Rechtsvorschriften"
gebunden Bei der Beschlußfassung des Landtags wurde betont, dieser Zusatz solle klarstellen, daß das LfV trotz der Anwendbarkeit nachrichtendienstlicher Mittel keine Rechte habe, „die über die Rechte eines normalen Bürgers hinausgehen" (Abg. von Oertzen); diese Bindung bestehe eigentlich auch ohne Bezugnahme auf die allgemeinen Normen; der Verfassungsschutz dürfe daher z. B. keine Richtmikrophone oder „Wanzen" benutzen (Abg. Groß). Hierzu ist folgendes zu bemerken: Schon aus der Bindung der Behörden an Gesetz und Recht folgt, daß auch der Verfassungsschutz nichts tun darf, was die Rechtsordnung verbietet. Vielfach sind aber Verbote so angelegt, daß nur das „unbefugte" Tun untersagt ist, so daß das Verbot durch den Nachweis einer Befugnis ausgeräumt werden kann. Handelt es sich bei der Handlung, die nur Unbefugten untersagt ist, um ein nachrichtendienstliches Mittel, so ist das BfV befugt, hiervon Gebrauch zu machen (z. B. bei § 201 II, 203 I StGB) sofern sich nicht aus anderen Bestimmungen Abweichendes ergibt. Dies ist nach der niedersächsischen Regelung ausgeschlossen. Ganz anders als seine niedersächsischen Kollegen versteht z. B.der SPD-Sprecher im rheinland-pfälzischen Landtag, Munzinger, die Befugnis zur Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel Nach seiner Ansicht wird es dem Verfassungsschutz da-mit ermöglicht, sich über gesetzliche Schranken, die den Bürger in seinem Freiheitsbereich abschirmen, hinwegzusetzen. Beide Interpretationen sind bezeichnend für die Unklarheiten, die auf diesem Gebiet selbst im parlamentarischen Raum bestehen.
Gesetzliche Ermächtigungen zu Eingriffen in die Rechte des Bürgers genügen nur dann dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, wenn sie hinreichend bestimmt sind. Dieser Grundsatz fordert nicht irgendeine, sondern eine begrenzte und näher bestimmte Ermächtigung der Exekutive, so daß die Eingriffe meßbar und in gewissem Ausmaß für den Staatsbürger voraussehbar und berechenbar werden. Eine vage Generalklausel, die es dem Ermessen der Behörde überläßt, die Grenzen der Freiheit im einzelnen zu bestimmen, ist mit dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung nicht vereinbar. Unter rechtsstaatlicher Betrachtungsweise kommt es darauf an, ob das, wozu die Verwaltung ermächtigt wird, hinreichend klar umschrieben ist
Es ist offenkundig, daß die dem BfV erteilte Ermächtigung, seine Aufgaben mit nachrichtendienstlichen Mitteln wahrzunehmen und dabei in Persönlichkeitsrechte einzugreifen, dem Bestimmtheitserfordernis nicht gerecht wird. Einen schillernderen Begriff als „nachrichtendienstliche Mittel” wird man in der Rechtsordnung lange suchen müssen. In manchen Ländern ist dabei jede Art von Verbrechen bis hin zum politischen Mord eingeschlossen Eine amtliche Definition wird in der Begründung zu § 4 NVerfSchG versucht: Danach handelt es sich um solche „Mittel und Methoden, die der geheimen, d. h. vom Betroffenen oder Außenstehenden nicht wahrnehmbaren Nachrichtenbeschaffung dienen." Mit dieser Definition wird die Heimlichkeit des Vorgehens in den Vordergrund gestellt, ohne daß über Inhalt und Schranken, des zu präzisierenden Begriffs Konkretes ausgesagt würde. Von einer Vorhersehbarkeit oder Berechenbarkeit durch den Bürger kann nicht die Rede sein. Der Normadressat wird im unklaren darüber gelassen, welche der zum Teil umstrittenen nachrichtendienstlichen Mittel unter Umständen gegen ihn eingesetzt werden dürfen und welche nicht. Gewiß sind einige gebräuchliche nachrichtendienstliche Mittel bekannt, z. B. die Observation, der Einsatz von V-Leuten und das geheime Fotografieren. Ob aber die gesetzliche Ermächtigung auch verdeckte Tonaufnahmen zuläßt, ist schon streitig, wenngleich meist angenommen wird, daß sie in praxi vorkommen
Zur Unbestimmtheit der Eingriffsermächtigung kommt noch hinzu, daß die Aufgaben des Verfassungsschutzes — und damit die Eingriffsvoraussetzungen — durch eine Fülle höchst unbestimmter Rechtsbegriffe (wie: „verfassungsfeindliche Bestrebungen", „Sicherheit des Bundes oder eines Landes", „Gefährdung auswärtiger Belange") charakterisiert sind. Die Ungewißheit des Bürgers erstreckt sich also sowohl auf die Tatbestands-seite als auf die Rechtsfolgeseite der Norm. Der Vergleich mit der polizeilichen General-klausel zieht nicht: Die polizeiliche General-klausel ist deshalb für rechtsstaatlich vertretbar erachtet worden, weil sie in Jahrzehnten von Judikatur und Literatur ausgeformt worden ist und dadurch die erforderliche Bestimmtheit gewonnen hat. Dies trifft auf die Generalklauseln und die unbestimmten Rechtsbegriffe des Verfassungsschutzgesetzes sicher nicht zu. Nach Salzweclel, der die Verfassungsmäßigkeit der BfV-Eingriffsermäch-tigung nicht generell in Frage stellt, bedarf es jedenfalls für Eingriffe, die sich dem Wesensgehalt des Persönlichkeitsrechts nähern — wie z. B. bestimmte heimliche Ton-und Bildaufnahmen — spezialgesetzlicher Ermächtigungen Darüber hinaus werden gesetzliche Regelungen über die Speicherung, Löschung und Weitergabe von Daten im Hinblick auf das nachrichtendienstliche Informationssystem (NADIS) gefordert
Als Zwischenergebnis ist festzuhalten: Zur Arbeitsweise der Nachrichtendienste gehören Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Hierzu bedarf es einer gesetzlichen Ermächtigung. Der BND, der MAD und einige Landesämter für Verfassungsschutz arbeiten ohne gesetzliche Grundlage. Die für das BfV geltende Eingriffsermächtigung entspricht nicht dem rechtsstaatlichen Gebot hinreichender Bestimmtheit.
V. Zusammentreffen von unzureichender Gesetzgebung mit ineffizienter Kontrolle
Die wichtigsten Aufgaben des Parlaments liegen in der Gesetzgebung und in der Kontrolle der Regierung. Beiden Funktionen wird der Bundestag im Hinblick auf die Nachrichtendienste nicht gerecht. Die parlamentarische Kontrolle ist — wie dargelegt — aus Geheimhaltungsgründen schwächer als in allen anderen Bereichen der Exekutive. Dieses Kontroll-defizit wird auch nicht etwa durch bis ins einzelne gehende gesetzliche Bestimmungen kompensiert; vielmehr macht erst die Lückenhaftigkeit der Gesetzgebung die Lücken in der Überwachung unerträglich. Das Parlament sagt weder, was die Nachrichtendienste tun dürfen, noch kontrolliert es, was sie getan haben. Diese institutioneile Schwäche erleichtert es den Kritikern und Gegnern der Nachrichtendienste, diese in das demokratisehe Abseits zu stellen. Für Walde sind die „fehlende gesetzliche Grundlage und die fehlende rechtliche Kontrolle" (beim BND) „eigentlich kennzeichnend für die Situation Geheimer Nachrichtendienste in totalitären Staaten." Wenngleich von einem gänzlichen Fehlen der Kontrolle nicht gesprochen werden kann, darf das Parlament die Nachrichtendienste solchen Vorwürfen nicht länger aussetzen. Daß die parlamentarische Kontrolle den zu stellenden Anforderungen nicht genügt, ist vielen Abgeordneten bewußt. Als typischer Ausdruck dieses Unbehagens darf das Bekenntnis des niedersächsischen Landtags-abgeordneten Pennigsdorf gelten, der sich namens der SPD-Fraktion für die Schaffung eines Verfassungsschutzausschusses einsetzte: weil wir alle miteinander doch Outsider sind. Wir sind doch nicht eingeweiht. Wir wissen doch nicht die Details. Das ist wohl auch gut so . ..; aber weil wir nun nichts wissen über das, was da vorgeht, wie ermittelt wird, wie recherchiert wird und wie archiviert wird, wie nachrichtendienstliche Methoden und Mittel eingesetzt werden, müssen wir uns, wenn wir unsere Verantwortung als Parlamentarier ernst nehmen, um eine Kontrolle bemühen, um Möglichkeiten bemühen, Einblick zu bekommen, ohne daß . .. die Sicherheitsbedürfnisse beeinträchtigt werden." Ähnlich urteilt der Fachmann der SPD-Fraktion im 7. Deutschen Bundestag, CI. Arndt der zu dem Ergebnis gelangt, daß die klassischen Instrumente der parlamentarischen Kontrolle „in der Praxis weitgehend versagen”, obwohl doch eine wirksame Überwachung der geheim arbeitenden Dienste wichtiger sei als bei allen anderen Behörden. Zur Ahnungslosigkeit des Parlaments und zur Lückenhaftigkeit der gesetzlichen Bindung kommt hinzu, daß die Kontrolle durch Gerichte praktisch ausfällt. Schließlich ist die Tätigkeit der Nachrichtendienste auch der Kontrolle durch die öffentlichen Medien weitgehend entzogen. Der Forderung nach verstärkter parlamentarischer Kontrolle kann daher nicht entgegengehalten werden, die Nachrichtendienste seien Behörden wie alle anderen, so daß Kontrollen, die für andere Behörden nicht bestünden, als Zeichen des Mißtrauens gegenüber den Diensten oder als Beweis ihrer Gefährlichkeit gewertet werden könnten Die Geheimdienste sind im Hinblick auf den bei ihnen bestehenden Mangel an Kontrolle, Transparenz und rechtlicher Bindung mit keiner sonstigen Behörde zu vergleichen.
VI. Erforderlichkeit wirksamerer parlamentarischer Kontrolle
Eine effizientere parlamentarische Kontrolle könnte die Lückenhaftigkeit der Rechtsgrundlagen in einem milderen Licht erscheinen lassen. Die Feststellung, daß die Nachrichtendienste über keine hinlänglichen Eingriffsermächtigungen verfügen, war das Ergebnis einer Prüfung, bei der die allgemeinen rechtsstaatlichen Maßstäbe angelegt wurden und die Besonderheiten nachrichtendienstlicher Tätigkeit außer Betracht blieben. Solche essentiellen Besonderheiten liegen bei den Diensten zweifellos vor. Im Grunde passen viele Normen und Gebote des Rechtsstaates nicht für geheimdienstliche Operationen, weil gerade die „klassischen" Methoden dem Rechtsstaat schon im Prinzip zuwider sein müssen Zum Instrumentarium aller Nachrichtendienste in Ost und West gehört beispielsweise der Einsatz geheimer Mitarbeiter (V-Leute, VM, CM). Sie arbeiten typischerweise mit den Mitteln der Täuschung, des Vertrauensbruchs und des Verrats. Rottmann bezeichnet deshalb die ganze Institution und Methode als „anstößig" und „letztlich eines Rechtsstaats unwürdig". Ähnliches ließe sich auch für andere nachrichtendienstliche Arbeitsweisen sagen. Wo das Prinzip des demokratischen Rechtsstaats Offenheit, Transparenz und rechtliches Gehör verlangt, erfordert das Seinsprinzip der Nachrichtendienste Heimlichkeit, Tarnung und Täuschung. Ein vollständig transparenter Geheimdienst wäre ein Widerspruch in sich. Die daraus zu ziehende Folgerung kann bei Anerkennung der Existenzberechtigung der Dienste nicht darin bestehen, daß an die Geheimdienste undifferenziert die gleichen — rechtsstaatlichen Normen entsprechenden — Anforderungen gestellt werden wie an die übrigen Behörden. Vielmehr müssen die aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten allgemeinen Verhaltensmaßstäbe für die Nachrichtendienste so modifiziert werden, daß geheimdienstliche Tätigkeit noch effektiv betrieben werden kann. Jedenfalls für den im Grundgesetz verankerten Verfassungsschutz muß gelten, daß es „nicht der Sinn der Verfassung sein kann, zwar den verfassungsmäßigen obersten Organen im Staat eine Aufgabe zu stellen und für diesen Zweck ein besonderes Amt vorzusehen, aber den verfassungsmäßigen Organen und dem Amt die Mittel vorzuenthalten, die zur Erfüllung ihres Verfassungsauftrags nötig sind" In der hier zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wird der „Effektivität des Verfassungsschutzes" und einer „sinnvollen" bzw. „wirksamen" Arbeitsweise dieses Dienstes ein eigener Rechtswert beigemessen. Dies bedeutet keine generelle Reduzierung der ansonsten geltenden Ausprägungen des Rechtsstaats zugunsten nachrichtendienstlicher Effizienz. Selbst solche Abstriche vom Rechtsstaatsprinzip, die für die Tätigkeit der Dienste unerläßlich sind, können nur hingenommen werden, wenn sie durch entsprechende Verstärkungen in anderen Bereichen kompensiert werden. Wenn aus den Sachzwängen, denen die Dienste unterliegen, folgt, daß eine exakte Eingriffsermächtigung in hohem Maße schädlich wäre, so müßte die mangelnde Bestimmtheit durch ein Mehr an parlamentarischer Kontrolle ausgeglichen werden. Dies gilt erst recht deshalb, weil die Kontrolle durch Gerichte und Öffentlichkeit weitgehend ausfällt.
Ein Beispiel für die Substituierbarkeit eines bestimmten rechtsstaatlichen Erfordernisses durch ein adäquates anderes Mittel bietet das Grundgesetz in Art. 10 II selbst — und zwar gerade für den nachrichtendienstlichen Bereich: Danach kann bei Post-und Telefonkontrollen an die Stelle des Rechtswegs eine Nachprüfung durch andere Organe treten. Dieses Beispiel macht zugleich deutlich, daß ein rechtsstaatliches Erfordernis aus zwingenden nachrichtendienstlichen Gründen durch ein vergleichbares anderes Mittel nicht nur ersetzt werden kann, sondern ersetzt werden muß. Dabei wird nicht verkannt, daß mit der These, die mangelhafte Normierung könne durch eine verbesserte Kontrolle geheilt werden, zwei Verfassungsprinzipien in ein Wechselspiel zueinander gebracht werden, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben. Zugleich stellt sich die Frage, anhand welcher Maßstäbe eine effizientere Kontrolle ausgeübt werden soll, wenn der Gesetzgeber für die Dienste keine konkreten Verhaltens-maßstäbe aufgestellt hat. Demgegenüber ist zunächst darauf hinzuweisen, daß es sich sowohl bei der Normsetzung wie bei der Kontrolle um Funktionen des Parlaments handelt. Beiden Funktionen ist gemeinsam, daß durch sie das Verhalten der Exekutive gesteuert oder wenigstens beeinflußt werden kann. Eine durch das Parlament ausgesprochene Mißbilligung eines bestimmten Verhaltens der Regierung bedeutet — jedenfalls in der Staats-* praxis — eine indirekte Steuerung des zukünftigen Regierungsverhaltens. Bliebe die Kritik des Parlaments an einem nachrichtendienstlichen Vorgehen unbeachtet, müßte die Regierung befürchten, daß durch Erlaß eines entsprechenden Gesetzes oder durch Etatkürzungen der Wirkungskreis der Dienste beschnitten würde. Die Wirkung „schlichter" Parlamentsbekundungen auf das Verhalten der Exekutive ist derjenigen eines Gesetzes nicht ganz unähnlich. Als Prüfungsmaßstab kommt vor allem das Grundgesetz in Betracht, wobei das Kontrollorgan den daraus abzuleitenden Verhaltenskodex für die Nachrichtendienste nicht als feststehend vorfindet, sondern selbst entwickeln muß. Die beschränkten Möglichkeiten des Parlaments zur Normsetzung im Bereich der Geheimdienste lassen die Forderung einleuchtend und konsequent erscheinen, das Parlament hier wenigstens so weit wie möglich Einfluß nehmen zu lassen. Wenn das Parlament seine staatsleitende Funktion nicht in vollem Umfang mit den Mitteln der Gesetzgebung verwirklichen kann, wird seine Prärogative Kon am ehesten durch -trolle gewahrt.
Inwieweit die Zurückhaltung des Parlaments bei der Gesetzgebung für die Nachrichtendienste auf anerkennenswerten Sachzwängen beruht, ist für Außenstehende schwer zu beurteilen. Sicherlich wäre es für den nachrichtendienstlichen Gegner von Vorteil, wenn er die Möglichkeiten und Grenzen unserer Geheimdienste bereits aus dem Gesetzblatt ersehen und sich entsprechend einrichten könnte. Nachrichtendienstliche Effektivität steht meist in umgekehrtem Verhältnis zu jeglicher Publizität. Eine detaillierte Aufzählung der nachrichtendienstlichen Mittel und Befugnisse verbietet sich auch deshalb, weil gerade auf dem Gebiet der Nachrichtentechnik in schneller Folge neue Geräte und Methoden entwickelt werden, so daß das Gesetz nie auf der Höhe der Zeit wäre. Auch würde die Anpassung der Arbeitsweise der Nachrichtendienste an die technische Entwicklung und an neue gegnerische Methoden erschwert. Es spricht daher vieles dafür, daß die Unbestimmtheit der Verfassungsschutzermächtigung bei einer Verbesserung der parlamentarischen Kontrolle hingenommen werden kann. Ob eine solche Kontrolle auch das völlige Fehlen von Rechtsgrundlagen bei BND und MAD zu heilen vermöchte, muß allerdings bezweifelt werden, denn die Verfassungsschutz-gesetze beweisen, daß gesetzliche Regelungen mit den Erfordernissen der Nachrichtendien-ste nicht generell unvereinbar sind. Nicht zuletzt dürften hier politische Gründe einer Kodifizierung im Wege stehen: Gesetzentwürfe über Nachrichtendienste eignen sich geradezu ideal für Agitation, Polemik und Stimmungsmache. Wer an die vielfach irrationalen Reaktionen auf den kürzlichen Erlaß des niedersächsischen Verfassungsschutzgesetzes denkt — bei dem es wohlgemerkt um erstmalige gesetzliche Festlegungen und Grenzziehungen für diese Behörde, nicht etwa um erweiterte Befugnisse ging — muß für den Fall eines etwaigen Bundesgesetzes über BND und MAD mit Kampagnen vom Ausmaß jener gegen die Notstandsgesetze rechnen. Solche Befürchtungen sind zwar verfassungsrechtlich ohne Gewicht, erklären aber zum Teil die Unlust, auf diesem Gebiet initiativ zu werden. Immerhin würde auch schon mit einer Verbesserung der Kontrolle über BND und MAD ein wichtiger Schritt in die grundgesetzlich gebotene Richtung getan.
Eine intensivere parlamentarische Kontrolle wäre nicht nur geeignet, Bedenken hinsichtlich der Rechtsgrundlagen der Dienste auszuräumen oder abzuschwächen. Auch in die rechtsstaatlichen und demokratischen Vor -stellungen zuwiderlaufende Heimlichkeit nachrichtendienstlicher Arbeit würde eine Bresche geschlagen, ohne daß die Wirksamkeit der Nachrichtendienste oder der Geheim-schutz ernsthaft beeinträchtigt würde. Wenn man akzeptiert, daß die Idee des demokratischen Rechtsstaats auf weitestgehende Öffentlichkeit der Betätigung staatlicher Gewalt drängt andererseits die Geheimdienste der Verborgenheit wesensnotwendig bedürfen, bietet es sich an, diesen Zielkonflikt durch eine kraft Verfassung berufene kleine Gruppe von Volksvertretern als „Offentlich-keitssurrogat" zu lösen.
In einem nachrichtendienstlichen Teilbereich ist die Forderung nach einer speziellen Kontrolle bereits verwirklicht. Nach dem Gesetz zu Art. 10 GG entscheidet über die Rechtmäßigkeit von Post-und Telefonkontrollen eine mit richterlicher Unabhängigkeit ausgestattete Dreierkommission, die von einem aus fünf Abgeordneten bestehenden Gremium bestellt wird. Die Beschränkung dieser Kontrolle auf den Bereich des Art. 10 GG ist sachlich kaum zu rechtfertigen. Gewiß sind Post-und Telefon-kontrollen besonders schwerwiegende Eingriffe; das gilt aber z. B. für das heimliche Belauschen und Registrieren von drahtlos geführten Gesprächen nicht minder. Die Verwendung von „Wanzen" und „Richtmikrophonen" — unterstellt, sie sei zulässig — ist vielleicht sogar noch gravierender als die Telefonüberwachung, da die Betroffenen mit dieser eher rechnen als mit jener. Es ist theoretisch nicht auszuschließen, daß ein Dienst, dessen Antrag auf Telefonüberwachung verworfen worden ist, die ihn interessierenden Gespräche mit anderen technischen Mitteln als denen der Telefonüberwachung mithört Für die Schaffung der besonderen Kontrollinstanzen im Bereich des Art. 10 war vor allem der formale Aspekt maßgeblich, daß das Post-und Fernmeldegeheimnis im Grundgesetz ausdrücklich gewährleistet wird. Aus der Zusammenschau aller nachrichtendienstlichen Mittel und Methoden ergibt sich, daß eine Sonderregelung nur für den Bereich des Art. 10 nicht sachgerecht ist. Dies gilt auch deshalb, weil die Voraussetzungen für eine Post-und Telefonüberwachung im Gesetz auf das genaueste aufgeführt sind, so daß eine spezielle Kontrollinstanz weniger eigentlich dringlich gewesen wäre übrigen als in den Bereichen, die nicht oder nur unzulänglich normiert sind.
Die Erkenntnis, daß die Kontrolle der Nachrichtendienste dringend einer Verbesserung bedarf, ist sowohl im parlamentarischen wie im rechtswissenschaftlichen und publizistischen Bereich weit verbreitet. Der bedeutsamste Versuch, aus dieser Einsicht gesetzgeberische Konsequenzen zu ziehen, wurde in der 5. Wahlperiode unternommen. Der 2. Untersuchungsausschuß, der aus fünf prominenten Abgeordneten bestand (3 Fraktionsvorsitzende und 2 Stellvertreter), die alle zugleich Mitglieder des Vertrauensmännergremiums waren, war nach gründlichen Beratungen über die aus verschiedenen nachrichtendienstlichen Pannen zu ziehenden Schlußfolgerungen u. a. zu dem Ergebnis gelangt, daß das parlamentarische Vertrauensmännergremium durch* einen Ausschuß des Deutschen Bundestages für Angelegenheiten der Nachrichtendienste ersetzt werden sollte Der von dem Untersuchungsausschuß unterbreitete Formulierungsvorschlag für ein Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes wurde als interfraktioneller Antrag beim Bundestag einge-bracht Art. 45 a GG sollte hiernach folgende Fassung erhalten: „(1) Der Bundestag bestellt einen Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten, einen Ausschuß für Verteidigung und einen aus fünf Abgeordneten bestehenden Ausschuß für Angelegenheiten der Nachrichtendienste. Diese Ausschüsse werden auch zwischen zwei Wahlperioden tätig. (2) ...
(3) Der Ausschuß für Angelegenheiten der Nachrichtendienste übt die parlamentarische Kontrolle über die Nachrichtendienste aus und nimmt auf diesem Gebiet die Rechte eines Untersuchungsausschusses ausschließlich wahr. Auf Antrag von zweien seiner Mitglieder oder eines Viertels der Mitglieder des Bundestages hat er eine Angelegenheit zum Gegenstand seiner-Untersuchung zu machen."
Bei der 2. und 3. Beratung im Deutschen Bundestag am 2. Juli 1969 versagte die CDU/CSU-Fraktion dem Gesetzentwurf überraschend ihre Zustimmung, wobei sie durch ihren Sprecher darauf hinweisen ließ, daß diese Ablehnung nicht als negatives Votum in der Sache bewertet werden dürfe. Ausschlaggebend für die Entscheidung der CDU/CSU war vermutlich die Befürchtung, der NPD könne die Überwindung der 5 °/o-Klausel gelingen, so daß sie u. U. Anspruch auf Beteiligung an dem Ausschuß für die Nachrichtendienste erheben würde. Im Jahre 1973 unternahm die SPD-Fraktion des schleswig-holsteinischen Landtages einen ähnlichen Vorstoß und beantragte die verfassungsrechtliche Verankerung eines Landtagsausschusses für den Verfassungsschutz, der mit den Rechten eines Untersuchungsausschusses ausgestattet werden sollte Der Antrag wurde mit den Stimmen der CDU abgelehnt; ebenso erging es im Jahre 1976 einem gleichartigen Antrag der SPD-Fraktion im niedersächsischen Landtag dem sich auch die FDP widersetzte. In beiden Ländern entschied sich die Mehrheit für die Einsetzung eines Vertrauensmännergremiums nach dem Beispiel des Bundes. Die Neigung innerhalb der SPD zur Institutionalisierung einer speziellen parlamentarischen Kontrolle über die Nachrichtendienste ist allgemein größer als bei den „bürgerlichen" Parteien, aber auch wiederum nicht so groß, daß sie sich in den von ihr geführten Ländern zu einer Verwirklichung dieses Gedankens entschließen könnte. Bei den diesbezüglichen Beratungen der Enquete-Kommission für Fragen der Verfassungsreform setzten sich vor allem die SPD-Abgeordneten Arndt und Geßner, aber auch der der CSU angehörende Vizepräsident Jaeger nachdrücklich für eine Ersetzung des Vertrauensmännergremiums durch einen Parlamentsausschuß ein. Im Bundesrat sprach sich der frühere hessische Ministerpräsident Osswald mit Entschiedenheit für eine Verstärkung der parlamentarischen Kontrolle über die Dienste aus Er befürwortete die Anregung, eine ständige parlamentarische Kontrollkommission für Angelegenheiten der Nachrichtendienste einzusetzen und im Grundgesetz abzusichern. Diese Kommission solle „die verschiedenen — aber nicht sehr wirksamen — Überwachungseinrichtungen zu einer dauernden zentralen Geheimdienstkontrolle zusammenfassen und mit ausreichenden Befugnissen, auch für eine vorbeugende Kontrolle, betraut werden".
Die Staatsrechtswissenschaft hat sich bisher nur spärlich mit Fragen der Nachrichtendienste befaßt. Soweit ersichtlich, kommen alle eingehenderen Untersuchungen zu der Erkenntnis, daß spezielle Kontrollgremien vonnöten seien über die Ausgestaltung dieser Kontrolle im einzelnen gehen die Ansichten allerdings weit auseinander. Der gründlichste Kenner dieser Materie, der zur Zeit in Salzburg lehrende Professor Evers, bezeichnet die vorhandenen Kontrollen als „sehr unvollkommen" und fordert die Schaffung „adäquater Kontrollsysteme" Im Bereich der Publizistik ist der Geschäftsführer des SPIEGEL-Verlags, H. D. Becker, mehrfach als vehementer Anhänger der Idee, das Vertrauensmännergremium durch einen fünfköpfigen Parlamentsausschuß zu ersetzen, hervorgetreten
Die Enquete-Kommission für Fragen der Verfassungsreform hat sich mehrheitlich gegen eine grundgesetzliche Verankerung eines besonderen Parlamentsausschusses für Angelegenheiten der Nachrichtendienste entschie-den Mit ihrer Entscheidung für das in verfassungsrechtlicher Hinsicht belanglose Vertrauensmännergremium hat die Enquete-Kommission zum Ausdruck gebracht, daß sie eine förmliche parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste für entbehrlich hält. Einige der gegen den Vorschlag „Parlamentsausschuß" vorgebrachten Gründe ließen sich ebensogut gegen das PVMG ins Feld führen, jedoch wird diese Antinomie von der Enquete-Kommission dadurch ausgeräumt, daß sie beim PVMG a priori die vertrauenswürdigeren und kompetenteren Politiker vermutet: Da die Regierung in das PVMG mehr Vertrauen habe, werde sie es vollständiger unterrichten als einen Parlamentsausschuß. Der Geheimnisschutz sei bei dem „überschaubaren" PVMG besser gewährleistet als bei einem Ausschuß, bei dem außerdem zu befürchten sei, daß er aus seiner Kontrolltätigkeit politisches Kapital schlage. Im übrigen fehle es den Ausschußmitgliedern an der nötigen Rückbindung an das Parlament, da sie ihre Fraktion nur teilweise über die geheimen Informationen unterrichten dürften. Der niedersächsische Landtagsabgeordnete und SPD-Vorsitzende v. Oertzen hat diese Argumentation als „absurd" und „innerlich widersprüchlich" bezeichnet Wenn schon mit der personellen Zusammensetzung solcher Kontrollgremien argumentiert wird, so stellt sich die Frage: Wer hindert die Fraktionen daran, den Ausschuß mit denselben Abgeordneten zu beschicken, die bisher im PVMG vertreten waren? Wieso stellt ein aus 5 Abgeordneten (so der interfraktionelle Antrag der 5. Wahlperiode) zusammengesetzter Ausschuß ein größeres Sicherheitsrisiko dar als die Gruppe aus 9 Abgeordneten, die sich Vertrauensmännergremium nennt? Auch der Hinweis auf das zusätzlich zu schaffende Ausschußsekretariat greift nicht durch, da auch das PVMG über eine beamtete Geschäftsführung verfügt. Ernster zu nehmen ist dagegen die von dem Kommissionsvorsitzenden Schäfer aufgezeigte Gefahr, daß ein solcher Ausschuß die Neigung entwickeln könne, in Permanenz nach Mißständen auf diesem Gebiet zu suchen Zusammengefaßt läßt sich sagen, daß das Vo71) tum der Enquete-Kommission zu viele Widersprüche und gedankliche Sprünge aufweist, als daß es als das letzte Wort in dieser Angelegenheit anerkannt werden könnte.
Es liegt nicht in der mit diesem Beitrag verfolgten Absicht, unter den verschiedenen Alternativen zur Verbesserung der parlamentarischen Kontrolle über die Nachrichtendienste das geeignetste Modell herauszuarbeiten. Gewissermaßen als Prototypen bieten sich der Vorschlag des 2. Untersuchungsausschusses der 5. Wahlperiode sowie die zweistufige Regelung im Art. 10-Bereich an. Dazwischen sind mehrere Abstufungen und Varianten denkbar. Unabdingbar erscheint jedoch eine Absicherung dieser Kontrollinstanz in der Verfassung, da nur auf dieser Ebene der Konflikt zwischen den Erfordernissen des Rechtsstaates und denen nachrichtendienstlicher Arbeit gelöst werden kann. Entscheidend ist ferner, daß die zu schaffende Kontrolleinrichtung keine bloße Alibifunktion übernimmt, sondern so ausgestaltet wird, daß sie ihre Aufgabe effektiv wahrnehmen kann. Dazu gehört u. a. das Recht, von der Regierung unbeschränkt Auskunft über nachrichtendienstliche Angelegenheiten verlangen zu können
Zurückhaltung erscheint angebracht gegenüber jeder Form präventiver Kontrolle. Hier besteht die Gefahr einer Vermengung der Verantwortlichkeiten. Es ist nicht die Sache des Parlaments oder seiner Organe, an Verwaltungsentscheidungen mitzuwirken, sondern getroffene Entscheidungen auf ihre Recht-und Zweckmäßigkeit zu überprüfen. Wenn es für erforderlich gehalten würde, bestimmte nachrichtendienstliche Operationen an die vorherige Zustimmung des Kontrollorgans zu binden, spräche dies eher für eine Kontrollregelung nach dem „G-10-Modell", dessen parlamentarischer Charakter schwächer ausgeprägt ist Jede Idee läßt sich durch Übertreibungen ad absurdum führen. Das gilt auch für den Vorschlag, die parlamentarische Kontrolle über die Nachrichtendienste zu intensivieren. Nachrichtendienste sind zerbrechliche Instrumente; wird die Kontrolle überzogen, besteht Lähmungsgefahr. Handlungsunfähige Nachrichtendienste sind nicht nur das Geld nicht wert, das der Steuerzahler für sie aufbringt: Ihr Ausfall würde vor altem die Sicherheit des Staates und seiner Bürger schwer beeinträchtigen. Von daher sind ernste Vorbehalte anzumelden gegenüber dem von der SPD-und FDP-Fraktion der Hamburgischen Bürgerschaft unternommenen Versuch, den von ihnen vorgesehenen Kontrollausschuß wie einen permanenten Untersuchungsausschuß auszugestalten. Auch die in § 6 des Hamburgischen Gesetzentwurfs vorgesehene Pflicht, den Ausschuß über bestimmte Informationsübermittungen des Verfassungsschutzamtes unverzüglich und lückenlos zu unterrichten, überschreitet das vernünftige Maß Hier wird parlamentarische Kontrolle ausschließlich zum Ausdruck des Mißtrauens gegenüber den Diensten. Ohne eine gewisse Vertrauensbasis und ohne ein Minimum an Bewegungsspielraum werden Nachrichtendienste funktionsuntüchtig.