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Hochschulreform als „Unruheherd". Eine Erwiderung auf den Beitrag von Rainer Eisfeld (B 1/2/76) | APuZ 1/1977 | bpb.de

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APuZ 1/1977 Artikel 1 Hochschulreform als „Unruheherd". Eine Erwiderung auf den Beitrag von Rainer Eisfeld (B 1/2/76) Konservative Illusionsbildung bei Hochschullehrern. Stellungnahme zur Kritik von Konrad Löw

Hochschulreform als „Unruheherd". Eine Erwiderung auf den Beitrag von Rainer Eisfeld (B 1/2/76)

Konrad Löw

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Zusammenfassung

I. Von großer „Unruhe" der „breiten Öffentlichkeit" wegen der Universitätsentwicklung seit 1968 kann nicht die Rede sein. Manches war und ist reformbedürftig, aber ob Verschulung und „Demokratisierung" wirklich einen Fortschritt bringen, kann, insbesondere aufgrund der inzwischen gemachten Erfahrungen, bezweifelt werden. Schon bisher war die Ausbildung effektiv, wie jeder internationale Vergleich beweist. Die Reformuniversitäten sind offenbar nicht überlegen, jedoch wesentlich teurer. II. Wie früher, so werden auch in Zukunft nicht Diskussionen der Mehrzahl der akademischen Veranstaltungen das Gepräge geben, weil Wissensvermittlung im Vordergrund steht. Profundes Wissen ist Voraussetzung jeder profunden Diskussion. In vielen Fächern sind Diskussionen von der Natur der Sache her weitgehend ausgeschlossen. III. Die Ordinarienuniversität widerspricht nicht dem Demokratieprinzip, wie es im Grundgesetz festgelegt ist, was nicht heißt, daß nicht auch andere Organisationsformen zulässig sind. Lehrer und Studenten sind nicht gleichberechtigt, sondern haben im akademischen Leben ganz verschiedene Rechte und Pflichten. Die Forderung nach Politisierung aller Veranstaltungen ist schlechterdings indiskutabel. IV. Nicht nur sozialistisch-kommunistische Vorstellungen werden oft unkritisch abgetan. Eine gewissenhafte Auseinandersetzung mit dem Sozialismus-Kommunismus führt zu dem Ergebnis, daß er so, wie ihn die sozialistischen Staaten verkörpern, weder Rechtsstaatlichkeit noch Demokratie, weder Menschenwürde noch Freiheit noch Gleichheit gewährleistet. Die Doppelzüngigkeit der Kommunisten, die hier beanstanden, was dort in weit krasserer Form anzutreffen ist, z. B. Leistungsdruck, schafft eine Atmosphäre, die Diskussionen sinnlos erscheinen läßt. Wer sich dennoch stellt, merkt, daß den Kommunisten Diskussionen mit Sachkundigen gänzlich unerwünscht sind. V. Für die von Eisfeld behaupteten Unterdrückungsverhältnisse gibt es keine stichhaltigen Beweise. VI. Die Gegner des „Berufsverbots“ argumentieren gerne historisch, vergessen dabei aber geflissentlich jene Epoche der deutschen Geschichte, die verfassungsrechtlich die größte Ähnlichkeit mit der Gegenwart aufweist, die Weimarer Zeit. Damals wurden die „Berufsverbote" ebenso bekämpft wie heute — zur Freude der NSDAP, heute der DKP. Bei genauer Betrachtung haben die Extremisten gar nichts gegen Parteien-und „Berufs" verbote, doch sollen sie selbstverständlich nur auf die konkurrierenden Kräfte angewendet werden. VII. Die einschlägigen verfassungs-und beamtenrechtlichen Bestimmungen wirken nur auf jene Demokraten verunsichernd, die sich von Ignoranten oder Demagogen haben verunsichern lassen. Das Recht zur Kritik auch am Grundgesetz geht selbst für die Angehörigen des öffentlichen Dienstes viel weiter, als die meisten annehmen.

In der Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament erschien ein Aufsatz, der sich kritisch mit den „reaktionären Umtrieben" an den deutschen Universitäten und Hochschulen befaßt. Wer ihn ohne eigene Sachkenntnis und Erfahrung liest, dürfte geneigt sein, sich zumindest einen Teil der zahlreichen Vorwürfe zu eigen zu machen. Doch vorher: audiatur et altera pars!

Da ich keine eigene grundlegende Abhandlung des Themas (genauer: der vielen schlagwortartig angesprochenen Themen) versuchen, sondern nur falschen, einseitigen oder unbewiesenen Behauptungen und Anschuldigungen entgegentreten will, wähle ich die Gliederung des gegenständlichen Beitrages.

I. Vorbemerkung

„In einem für die Angehörigen der westdeutschen Hochschulen beängstigendem Maße reagiert die breite Öffentlichkeit vornehmlich mit Unverständnis und Unruhe auf die Universitätsentwicklung seit 1968", lautet Rainer Eisfelds (E.) erster Satz. Schon hinter ihn muß ein Fragezeichen gesetzt werden. Bei weitem die meisten meiner Kollegen, deren diesbezügliche Auffassung ich kenne, sind genau der gegenteiligen Ansicht. Gehören sie nicht zu „den Angehörigen der westdeutschen Hochschulen"? Die breite Öffentlichkeit nimmt nicht angemessen Notiz von den Vorgängen an den Hochschulen. Soweit sie es tut — das gebe ich gerne zu —, hat sie wenig Verständnis dafür. Eine adäquate Unruhe konnte ich bisher nirgendwo feststellen.

Bemängelt wird, es habe keine geregelten Ausbildungsordnungen gegeben. Wenn damit für die Studenten verbindliche Stundenpläne gemeint sind, so trifft das weitgehend zu. Sie hätten sich auch schlecht mit dem üblichen Verständnis von akademischer Freiheit vertragen. Aber nicht nur für den Jurastudenten war und ist genau festgelegt, welche Vorlesungen er belegt und welche Übungen er erfolgreich besucht haben muß, um zur ersten Staatsprüfung zugelassen zu werden.

Das Lehrangebot in München wies eine klare Systematik auf, ausgerichtet auf die Prüfungsanforderungen. Überschneidungen gab es so gut wie nie. Die juristische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität war mit diesem harmonisierten, zielorientierten Lehrangebot sicher nicht allein. Andere mögen versagt haben. Sie soll man nennen, anstatt eine pauschale Verurteilung auszusprechen.

Wie die Summe einer langen Beweisführung klingt der Satz: „Die Ausbildung war ineffektiv." Und um durch Wiederholung die Glaubwürdigkeit des Unbewiesenen zu erhöhen, fährt E fort: „Rein unter Effektivitätsgesichtspunkten war also das Ausbildungsprinzip ebenso obsolet wie das Rektoratsprinzip."

Warum nicht einmal der Versuch eines Beweises? Weil die Richtigkeit der Behauptung evident ist? Das Gegenteil trifft zu. „Ineffektiv" heißt laut Duden — Fremdwörterbuch (1966): „Veralt, für: unwirksam". Unsere Universitäten und Hochschulen können sich international durchaus sehen lassen. Der „Output": jährlich Zehntausende gut qualifizierter Akademiker. Die immer berechtigte Frage lautet: Hätte der „Effekt" nicht noch größer sein können? Darüber läßt sich reden. Doch gibt es — soweit mir bekannt — bisher keine Untersuchungen, die beweisen, daß die „demokratisierten" Reformuniversitäten den anderen überlegen seien.

Oder doch? An der Berliner Fachhochschule für Wirtschaft erreichten im WS 1973/74 81 ° o die Note „gut" (oder besser), 19 0/0 die Note „befriedigend", 0% „ausreichend" oder schlechter. Bis zum Sommer 1975 stieg der Prozentsatz der Noten „gut" und „sehr gut" auf 95 °/o (nach: Notgemeinschaft für eine freie Universität; FHW unter Hammer und Sichel II 1976). Solche Ergebnisse erinnern fatal an „Wahl" ergebnisse in totalitären Staaten. Um bei solchen „Prüfungs" maßstäben erfolgreich zu sein, bedarf es keiner großen Anstrengung, und so sprechen solche Noten eher für ein niedriges als für ein hohes Niveau. „Der Düsseldorfer Rechtsanwalt Dr. Peter Werner hat es abgelehnt, als Assistenzprofessor an die FU zu kommen. Werner wollte im Rahmen der juristischen Ausbildung der Volks-und Betriebswirte an der FU eine Lehrveranstaltung über , Ausgewählte Probleme des EG-Rechts'abhalten. Er stellt nun in einem Schreiben an FU-Präsident Kreibich fest, daß eine sinnvolle Beschäftigung mit diesen Problemen nur möglich sei, wenn die Studenten über Kenntnisse des eigenen nationalen Verfassungsrechts sowie gewisser Grundlagen des gesamten öffentlichen Rechts verfügten. Dies sei jedoch nicht der Fall. Werner schreibt: , Die Studenten haben ganz überwiegend bisher überhaupt keine juristische Lehrveranstaltung besucht.'

Die Vorlesungen, die sie hätten besuchen müssen, werden von Professor Michael Kloepfer abgehalten. Seine Lehrveranstaltungen werden jedoch seit drei Semestern von Kommunisten gestört und finden seit Beginn des Wintersemesters 1975 76 unter Polizeischutz statt." (Freiheit der Wissenschaft 1. 1976, S. 11). „Die Gruppen-und Gremienuniversität ist teuer. Das ergibt ein Kostenvergleich zwischen der Freien Universität Berlin und der Universität Köln. Die Berechnungen, bei beiden Universitäten ohne den Bereich Medizin durchgeführt, stützen sich auf die Haushaltspläne 1975 . . . Die Personalausgaben betragen in Köln 106 Mio DM, je Student 5 100 DM. Sie betragen in Berlin 217, 07 Mio DM, je Student 8 200 DM. Jeder Berliner Student verursachte also 1975 3 100 DM oder 61 0/0 mehr Personal-ausgaben als sein Kölner Kommilitone. Die FU ist in großen Teilen zum Selbstbedienungsladen für Stellen-und Sachmittel degeneriert. Das wurde möglich durch das Universitätsgesetz von 1969, das durch die Demokratisierung aller Entscheidungen jede klare Verantwortlichkeit. und wirksame Kontrolle beseitigt hat." (Freiheit der Wissenschaft 1. 1976, S. 7).

In einem „Abschiedsbrief" an den Hessischen Kultusminister erläuterte der ehemalige Ordinarius für öffentliches Recht an der Philipps-Universität, Walter Schmitt-Glaeser, weshalb er Marburg verlassen hat. „... Mich persönlich hat Marburg einen Teil der besten Jahre gekostet, jene Jahre nämlich, in denen der Wissenschaftler seine schöpferische Kraft am stärksten entfalten kann. In manchem Semester verbrachte ich den größten Teil der Zeit in ebenso endlosen wie sinnlosen Sitzungen. Meine Energie, meine Nerven und nicht zuletzt mein Idealismus wurden in einem vom Gesetz vorprogrammierten hochschulpolitischen Grabenkampf verschlissen, einem Kampf, der keine Humanität und keine Fairneß kannte, sondern nur Besiegte: die Wissenschaft und ihre Träger, und nicht zuletzt die Studenten." (Rheinischer Merkur 1975, Nr. 36).

Ein Verwandter, P. N., der in Berlin studiert, hat mir erzählt, er und seine Kommilitonen hätten in Germanistik ein Semester lang nur darüber diskutiert, ob es Sinn habe, sich mit Literaturgeschichte zu befassen.

Ähnliche Beispiele füllen ganze Archive.

II. Partizipation als Strukturprinzip

E.: „Der Hochschul-, Lehrer'traditionellen Zu-schnitts (pflegt) nach wie vor auf das Recht zu pochen, .seine'Veranstaltung unbefragt durch . Störer'abzuhalten — als Vorlesung und damit als Monolog, mindestens nach dem Prinzip der ungeteilten Entscheidung über Gegenstand und Reichweite der Debatte." Schon unter „Vorbemerkung" klagt E.: „Die Vorlesung verlief diskussionslos".

Sie verläuft auch heute noch oder wieder weitgehend diskussionslos. Das hat einen ganz einfachen Grund, der m. E. jedem unschwer einleuchten sollte. Nicht nur in den Naturwissenschaften ist es bis in die höheren Semester hinein witzlos, den nicht kontroversen Stoff zu diskutieren. Das gilt auch weitestgehend für die Geisteswissenschaften. Für mich als Juristen und Politologen ist es nahe-B liegend, Beispiele aus diesen Bereichen zu wählen. Was vermögen Diskussionen, wenn es darum geht, die Grundlagen des bürgerlichen Rechts oder des Strafrechts zu vermitteln? Eine Diskussion, mit einem höheren Niveau als an Stammtischen üblich, setzt profunde Sachkenntnis voraus. Soll etwa im Wege des Meinungsaustausches geklärt werden, wie Rechtsfähigkeit definiert wird? Lohnt es sich darüber zu diskutieren, ob Rechtsfähigkeit mit Vollendung der Geburt oder eher oder später beginnen soll, ob für die Gründung eines rechtsfähigen Vereins fünf, sieben oder neun Mitglieder vorhanden sein müssen?

Wer überall dort, wo es von der Sache her möglich ist, eine Diskussion beginnt, der kommt über die Präliminarien kaum hinaus. Selbstverständlich werden Fragen zum Verständnis beantwortet, und die meisten Kollegen gehen gern auch auf kritische Bemerkungen ein. Ich persönlich bitte sogar immer wieder und ausdrücklich darum, mich anzusprechen, wenn meine Ausführungen nicht verstanden werden oder sonst fragwürdig erscheinen. Als ich selbst Student war — das ist jetzt gut 20 Jahre her —, konnte ich mich ebenfalls — trotz Massenveranstaltungen — an alle Professoren wenden, ohne auch nur ein einziges Mal eine mißmutige Reaktion zu erleben.

Vor gut drei Jahren hat die Studentenvertretung der Zweiten Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Erlangen-Nürnberg gefordert, die Vorlesungen zugunsten von Diskussionsveranstaltungen aufzugeben. Ich ging sofort darauf ein, machte jedoch eine Bedingung: Die Studenten müßten sich den für eine fruchtbare Diskussion notwendigen Wissensstoff vorher aneignen, und ich bot dazu gratis mein sehr ausführliches Manuskript zur ursprünglich vorgesehenen Vorlesung (Die Grundrechte) an. Ich bat sogar den gewählten Fachbereichssprecher, Herrn F, er möge in meine Veranstaltung kommen und an die Studenten appellieren, durch entsprechende Mitarbeit zum Gelingen des Experiments beizutragen, was er auch tat.

Als am vereinbarten Termin die Diskussion beginnen sollte, stellte sich ganz rasch heraus, daß unter den ca. 90 Hörern nur einer war, der der Aufforderung entsprochen hatte. Aber auch seine Kenntnisse waren dürftig, was er damit entschuldigte, er habe mein Manuskript nicht ganz verstanden; es hänge vielleicht damit zusammen, daß er es in der Bahn gelesen habe.

Das Experiment wurde wiederholt, das Ergebnis war aber keinen Deut besser. Niemand protestierte, alle waren im Gegenteil heilfroh, als die gelästerte Vorlesung in alter Manier fortgesetzt wurde. Ein solches Anliegen der Studentenvertretung wurde nie wieder laut. Das heißt nicht, daß es nie zu Diskussionen kommt. Wie erwähnt, ermuntere ich meine Hörer, ihre „dissenting opinion" zu äußern, und reize sogar durch gezielte Fragen. Das verfehlt nicht seinen Zweck. Doch von der stets angebotenen Möglichkeit, die abweichende Meinung durch entsprechende Fakten und Argumente zu untermauern, und sie dann in der nächsten Stunde vorzutragen, wurde noch nicht ein einziges Mal während meiner fast 10jährigen akademischen Lehrtätigkeit — auch in München — Gebrauch gemacht.

Bemerkenswert erscheint mir auch die Kritik E's an der Praxis, daß der Lehrende „über Gegenstand und Reichweite der Debatte“ entscheidet. Voraus geht die Feststellung, „der Ordinarius überkommener Prägung" trachte „am hartnäckigsten zu beweisen ..., daß ihn gerade nicht betrifft, was für seinen lehrenden Kollegen an der Schule längst eine Selbstverständlichkeit ist: nämlich die Organisierung eines auf Dialog hin angelegten Lernprozesses."

Mein Einwand: Es ist schlechterdings unglaubwürdig und widerspricht den eigenen Erfahrungen mit vier Kindern an höheren Schulen, daß die Kollegen dort die „Entscheidung über Gegenstand und Reichweite der Debatte" den Schülern überlassen. Den Lehrer möchte ich kennenlernen, der sich den Lehrplänen zuwider den Inhalt der Diskussion vorschreiben läßt.

Auch hier wieder die schon vorhin kritisierte Pauschalierung, als ob Diskussionen für die Erarbeitung aller Lehrstoffe in Frage kämen, obwohl diese Methode in mindestens 9 von 10 Fällen gänzlich ausscheidet: Fremdsprachen, Mathematik, Physik, Chemie, Geschichte, Biologie, Sport. Aber vielleicht verfahren in einigen anderen Bundesländern manche Lehrer nach E's Vorstellungen. Auf dieser Ebene gibt es bekanntlich international durchgeführte Leistungsvergleiche, und sie haben Effektivität des Schulsystems gerade dort nachgewiesen, wo für manche Progressisten bekanntlich der Balkan beginnt oder die Uhren anders gehen.

III. Gleichmachereivorwürfe

Schon in der „Vorbemerkung" steht das Statement: Das Ordinarienprinzip, „das so massiv den Personal-, Entscheidungs-und Lebensbereich prägte, war aber auch unzweifelhaft undemokratisch ..."

Hier soll das Wort „unzweifelhaft" den Nachweis der Richtigkeit überflüssig machen. Schüchterne Studenten kann man so am kritischen Nachdenken hindern, die andernfalls überlegen würden, was „Demokratie" eigentlich heißt. Direkte Herrschaft des Volkes ist in einem großen Gemeinwesen unmöglich. Also definiert das Grundgesetz (Art. 20 Abs. 2): „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt." Zu diesen Organen zählen die Parlamente und Regierungen, und wenn sie der Überzeugung sein sollten, die Ordinarienuniversität sei das Optimale, dann ist eine solche Regelung demokratisch, ebenso wie auch die Gruppenuniversität demokratisch legitimiert werden kann. Undemokratisch aber ist es, wenn Teile des Staatsvolkes für sich politische Macht beanspruchen und behaupten, das Staatsvolk und seine Repräsentanten müßten zwar die Mittel bewilligen, hätten aber kein Bestimmungsrecht. Vom Standpunkt der „Demokratie" aus ist es nicht zu beanstanden, wenn an der Spitze einer Organisationseinheit ein von der Exekutive ernannter einzelner, steht — das ist sogar der Regelfall. Wie sollte es dann undemokratisch sein, wenn diese Funktion mehreren durch Berufung übertragen wird?

Was soll der Satz (bei E. unter II.): „Die akademische Qualifikation als Hochschullehrer bedeutet demgegenüber, daß jeder Lehrende in der Lage und bereit sein muß, studentische Hörer als gleichberechtigte Partner zu akzeptieren"? Zur ethischen Gleichwertigkeit von Lehrenden und Lernenden bekenne ich mich uneingeschränkt; die wissenschaftliche Qualifikation beider ist aber verschieden, und ebenso verschieden sind auch die Rechte und Pflichten im Hochschulbereich. Das beginnt schon damit, daß es nicht den Professoren, wohl aber den Studenten freisteht, ob sie an Veranstaltungen teilnehmen oder nicht.

Will E. die Gruppenuniversität abgeschafft sehen und an ihrer Stelle für ein allgemeines, gleiches Wahlrecht plädieren? Bei der geforderten Gleichberechtigung wäre das doch die logische Konsequenz!

Die „Gleichberechtigung" schließe ein, meint E., „daß er (der Hochschullehrer) seinen Studenten seine Reflexionen über die Gesellschaft vermittelt, . . . (und) bereit ist, die Relevanz aktueller politischer Probleme, die von studentischer Seite aufgeworfen werden, grundsätzlich auch für die Diskussion in Lehrveranstaltungen zu akzeptieren."

Auch hier, man hält es nicht für möglich, keinerlei Einschränkung auf bestimmte Disziplinen und Veranstaltungen, so daß also der „fortschrittliche" Professor seine geplante Demonstration in der Anatomie in seichtes politisches Geplätscher ohne profunde Sachkenntnis, ohne Vorbereitung, Analyse und Beweisführung umfunktionieren lassen müßte. Aber damit nicht genug: „Die Wahl eines Diskussionsleiters für die Lehrveranstaltung ist unter diesen Voraussetzungen eine selbstverständliche didaktische Methode zur freien Entfaltung des Dialogs, der erst dadurch nicht ständig an die Person des Hochschullehrers gebunden bleibt."

Bei Licht betrachtet heißt das: Ein Student übernimmt die Diskussionsleitung. Der Professor ist gleichberechtigt. Auch er kommt wenn er Glück hat — zu Wort, aber als Gleichberechtigter pro rata temporis, also, wenn sich viele melden, vielleicht für einige Minuten. Und in dieser kurzen Spanne Zeit soll er dann alles, was man eigentlich wissen sollte, bevor man halbwegs sachkundig diskutieren kann, möglichst klar und fundiert ausführen.

IV. Indoktrinationsvorwürfe

E. hat mit seiner einleitenden Bemerkung recht: „In der deutschen Entwicklung sind die Undifferenziertheit und emotional aufgeladene Feindseligkeit, mit denen man , sozialistisehen’ Vorstellungen begegnet, bis in die Gegenwart hinein durchgehende Züge geblieben." Doch muß er sich die Gegenfrage gefallen lassen, ob Sozialisten ihrerseits bezüglich anderer Vorstellungen nicht genau dasselbe Unrecht begangen haben und begehen, so wenn beispielsweise CDU und CSU in die Nähe der NPD gerückt werden, und die NPD mit der NSDAP identifiziert wird?

E. fährt fort: „Von der Brandmarkung der Sozialdemokraten als , vaterlandslose Gesellen'im kaiserlichen Deutschland führt eine nur scheinbar gebrochene Linie zu der Auffassung, Kommunismus sei der Inbegriff von Verderbtheit schlechthin, wie sie nach 1945 aus dem Dritten Reich nahtlos übernommen werden konnte."

Daß die Sozialdemokraten keine . vaterlandslosen Gesellen sind, haben sie nicht erst und nicht nur 1914 bewiesen; aber es waren doch Marx und Engels, die im Kommunistischen Manifest die Auffassung vertraten, die moderne industrielle Arbeit habe dem Proletarier „allen nationalen Charakter abgestreift". Durch ihr — mehr theoretisches — Bekenntnis zu Marx haben die Sozialdemokraten zum Entstehen dieses — wie ich betonte — ungerechtfertigten Vorwurfs beigetragen.

Der Kommunismus ist nicht „der Inbegriff von Verderbtheit schlechthin". Hier: gut — dort: schlecht; eine solche, gnostische Zweiteilung der Welt, der Menschen, der Klassen, der Rassen überlassen wir totalitären Ideologien. Den Kommunismus gibt es gar nicht. Unter den Vertretern der verschiedenen Arten von Kommunismus sind solche, die mir recht sympathisch sind, z. B. die Mitglieder religiöser Orden und der Kibbuzim, kurz, alle jene, die selbst kommunistisch (vom lat.: communio bonorum, d. h. in Gütergemeinschaft) leben, aber diese Lebensform nicht anderen aufnötigen wollen. Leider fallen sie zahlenmäßig nicht ins Gewicht, und so denkt man, wenn man das Wort „Kommunist" hört, zunächst an jene, die die Wirklichkeit in den sozialistischen Ländern gestalten und vorgeben, auf dem Weg zum Kommunismus zu sein. Wer mit beiden Beinen auf dem Boden des Grundgesetzes steht und als obersten Staatszweck Achtung und Schutz der Menschenwürde, Garantie der Freiheit und Chancengleichheit in politischer, kultureller und beruflicher Hinsicht begreift und deshalb wünscht, daß der Staat als Demokratie, Rechtsstaat und Sozialstaat ausgestaltet ist, muß, begnügt er sich nicht mit Schlagworten, zu seinem tiefen Bedauern feststellen, — daß es dort weniger Sozialstaatlichkeit, keine Rechtsstaatlichkeit, keine Demokratie gibt, — daß man dort mit Menschenwürde nichts anzufangen weiß, — daß Freiheit dort Fremdbestimmung bedeutet und Gleichheit bestenfalls jenen zugute kommt, die sich der Staatspartei unterworfen haben. (Ich habe das in einer Reihe von Büchern und Aufsätzen möglichst genau untersucht und dargestellt, zuletzt in „Ausbeutung des Menschen durch den Menschen", 542 S., Frankfurt a. M., 1976, und zwar in ständigem Gedankenaustausch mit meinen Studenten, von denen in München 1974 noch 66% für marxistische Listen und Listenverbindungen votiert haben.)

Nicht Hitler hat behauptet, die marxistischleninistischen Kommunisten pervertierten die traditionelle Bedeutung der Worte: Freiheit, Rechtsstaat, Demokratie. Diese Sprachdiabolik war längst vorher bekannt und hat längst vorher zur entschiedenen Gegnerschaft der demokratischen Parteien einschließlich der Sozialdemokraten geführt. Wer so tut, als sei der Antikommunismus ein Erbgut des Hitlerreiches, ist entweder ein krasser Ignorant oder ein leicht zu enttarnender Demagoge.

Gerade diese Art und Weise des Argumentierens aus „berufenem Munde" (E. ist immerhin o. Prof, für Politikwissenschaft) läßt es verständlich erscheinen, warum viele Kollegen Abscheu davor haben, mit jenen zu debattieren, die sich als Kommunisten ausgeben, die mit ihnen sympathisieren oder paktieren. Sie beklagen Leistungsdruck, Reglementierung, unzulängliche finanzielle Mittel, obwohl gerade in ihrer geistigen Heimat bzw. dort, wofür sie als „nützliche Idioten" (Lenin) arbeiten, die von ihnen angeprangerten „Mißstände" weit stärker ausgeprägt sind.

Es ist allgemein bekannt und wird — soweit ersichtlich — von niemandem bestritten, daß der Leistungsdruck auf Schüler und Studen-ten in den sozialistischen Staaten weit stärker ist als bei uns, Zu diesem Thema und zum Thema „Reglementierung“ einige Passagen aus den „Mustervorschriften für die innere Ordnung der Hochschulen in der UdSSR“: 31. „Die Lehrveranstaltungen werden in der Hochschule nach einem Unterrichtsplan gemäß den ordnungsmäßig genehmigten Studienplänen und -Programmen abgehalten. 33. Die akademische Stunde dauert 45 bis 50 Minuten. Der Beginn der Unterrichtsstunde wird den Lehrkräften und Studenten durch zwei Klingelzeichen angezeigt: um die rechtzeitige Zusammenkunft der Studenten zu veranlassen, ertönt das erste Klingelzeichen zwei Minuten vor Beginn der akademischen Stunde; das zweite zeigt den Beginn des Unterrichts an. Zum Abschluß der Stunde wird ein Klingelzeichen gegeben. 34. Nach dem zweiten Klingelzeichen ist den Studenten bis zur Pause das Betreten des Hörsaales verboten. 37. In jeder Gruppe wird durch Anordnung des Rektors (auf Vorschlag des Dekans) ein Gruppenältester aus den disziplinierten und am weitesten fortgeschrittenen Studenten ernannt.

Der Gruppenälteste wird dem Dekan der Fakultät unmittelbar unterstellt; er führt in seiner Gruppe die Verfügungen und Anweisungen des Rektors aus.

Es ist Aufgabe des Gruppenältesten: a) die Anwesenheit der Studenten in allen Lehrveranstaltungen individuell zu registrieren; b) dem Dekan täglich über Fehlen oder Verspätung der Studenten in den Lehrveranstaltungen unter Angabe des Grundes jeder Verspätung Bericht zu erstatten; c) den Stand der Unterrichtsdisziplin der Gruppe in den Vorlesungen und praktischen Übungen zu beaufsichtigen sowie die Unversehrtheit der Unterrichtsgeräte und des Inventars zu kontrollieren; d) den rechtzeitigen Empfang und die Verteilung der Lehrbücher und Lehrmittel unter den Studenten zu bewirken; e) die Studenten über vom Dekan veranlaßte Stundenplanänderungen in Kenntnis zu setzen; f) in wechselnder Reihenfolge für jeden Tag den Ordnungsdienstobmann der Gruppe zu bestimmen.

Die im Rahmen der genannten Aufgaben getroffenen Anordnungen des Gruppenältesten sind für alle Studenten der Gruppe verbindlich. 38. In jeder Gruppe wird ein Präsenzverzeichnis in vorgeschriebener Form geführt; das Präsenzverzeichnis wird bei der Fakultät verwahrt und wird täglich vor Unterrichtsbeginn dem Gruppenältesten ausgehändigt; dieser trägt die im Unterricht Anwesenden und die Nichterschienenen in das Präsenzverzeichnis ein. 39. Die Studenten der Hochschulen sind verpflichtet: — systematisch und gründlich die theoretischen Kenntnisse und praktischen Übungen in ihrem Fachgebiet und in der Theorie des Marxismus-Leninismus zu erwerben, sowie ihr ideologisch-politisches, wissenschaftliches, technisches und kulturelles Wissen zu vertiefen; — die Pflichtveranstaltungen zu besuchen sowie in der vorgeschriebenen Zeit alle Arten von Unterrichts-und Produktionsaufgaben, die in den Studienplänen und -Programmen vorgesehen sind, zu erledigen, sich einer beispielhaften kommunistischen Arbeitsauffassung zu befleißigen und die Vorschriften über das sozialistische Gemeinschaftsleben einzuhalten; — an der Popularisierung wissenschaftlicher und politischer Kenntnisse unter den Werktätigen mitzuwirken; — den Vorschriften für die innere Ordnung Folge zu leisten; — aktiv an Selbsthilfeaktionen und am Gemeinschaftsleben der Hochschulbelegschaft teilzunehmen . 41. Beim Eintreten des Dozenten in den Hör saal haben die Studenten aufzustehen. 43. Die Studenten haben sich sowohl in den Unterrichtsgebäuden als auch auf der Straße und in der Öffentlichkeit diszipliniert zu verhalten und eine korrekte Erscheinung zu wahren. 45. Für gute Lernerfolge, hohe Leistungsziffern in der Produktionsarbeit und aktive Beteiligung am öffentlichen Leben des Instituts werden den Studenten folgende Auszeichnungen zuerkannt: — Danksagung;

— Eintragung in die Ehrentafel;

— Belohnung mit einem Wertgeschenk.

— Bei Verstößen gegen die Unterrichtsdisziplin, gegen die Vorschriften für die innere Ordnung sowie gegen das sozialistische Gemeinschaftsleben kann gegen die Studenten eine der folgenden Disziplinarstrafen verhängt werden:

— Rüge;

— Verweis;

— strenger Verweis mit Verwarnung — und als außerordentliche Maßnahme: Verweisung von der Hochschule. 47. In den Räumlichkeiten der Lehranstalt ist verboten:

a) sich mit Mantel, Überschuhen sowie Kopfbedeckung bekleidet aufzuhalten;

b) laut zu sprechen, zu lärmen sowie während der Unterrichtszeit sich auf den Gängen zu bewegen; c) in hierfür nicht vorgesehenen Räumen zu rauchen."

Entsprechendes gilt auch in der DDR.

Wer einer solchen Ordnung mittelbar das Wort redet, indem er dazu beiträgt, daß das dortige System auf die Bundesrepublik übertragen wird, soll sich nicht wundern, wenn man seine Klagen über Leistungsdruck, Reglementierung, mangelnde Diskussionsbereitschaft als Versuch abtut, unsere Ordnung nicht zu bessern, sondern durch Anarchie und Ineffektivität zu zerstören.

Wenn von staatlicher Seite her der Klage über unzulängliche finanzielle Mittel mit dem Hinweis entgegengetreten wird, der Etat sei sehr angespannt und erlaube keine stärkere Berücksichtigung der Kultushaushalte, so hört man meist aus der linken Ecke: Geld gäbe es genug, man brauche bloß das Wehr-budget entsprechend zu kürzen. Das sagen Leute, die wissen oder wissen müßten, daß beispielsweise die DDR pro Kopf ziemlich genau doppelt so viel für das Wehrwesen aufwendet wie die Bundesrepublik, daß die Amerikaner 5, 4 °/o ihres Bruttosozialprodukts in die Rüstung stecken, die Sowjets über 15 °/o.

V. Einbeziehung marxistischer Ansätze

In allen einschlägigen Disziplinen: Philosophie, Soziologie, Politikwissenschaft und Nationalökonomie ist seit rund zehn Jahren eine ganz intensive Auseinandersetzung mit dem marxistischen Gedankengut im Gange, und es gibt niemanden, dessen Name öfter in Vorlesungsverzeichnissen erscheint als der von Marx. Das hat eine Reihe von Gründen, u. a. daß Marx — zumindest noch — der Modephilosoph sehr vieler Studenten ist und auch daß er von einem Drittel der Staaten der Welt als Ahnherr ihrer Staatsideologie gefeiert wird. Zu diesen Staaten zählt der andere Teil Deutschlands.

Wenn E.den Vorwurf erhebt, „die überkommenen Theorien" versuchten eine „ideologische Verschleierung von Unterdrückungsverhältnissen im In-und Ausland" und meint, „dieser Vorwurf mußte verunsichernd wirken: entweder produktiv im Sinne einer Annahme der wissenschaftlichen Herausforderung oder verhärtend im Sinn des Rückzugs auf eine letztlich gefühlsmäßige Verweigerungshaltung", so wäre es vorab wertvoll zu erfahren, von welchen Theorien die Rede ist.

Wenn ich von Macht höre, so denke ich in erster Linie an die obersten Staatsorgane, an Bundestag, Bundesregierung usw. 61, 4% der Mitglieder des 7. Deutschen Bundestages sind gewerkschaftlich organisiert. Auch die sonstigen Mitglieder des Bundestages sind alles andere als geborene Lakaien des Kapitalismus oder gar seine Exponenten. Sind sie insgesamt oder in ihrer Mehrheit vom Kapital gekaufte geheime Kollaborateure, allein darauf bedacht, die Wünsche ihrer Auftraggeber gefliessentlich zu erfüllen? Sind sie schon in dieser dolosen Absicht den Gewerkschaften beigetreten, oder haben sie die Metamorphose vom eifrigen Verfechter der Arbeitnehmerinteressen zum eigennützigen Büttel des Kapitals erst beim Einzug in das Parlament durchgemacht? Oder handelt es sich durch die Bank um Trottel, die gar nicht wahrhaben, wie sie gegen die wohlverstandenen eigenen Interessen und die Interessen der von ihnen Vertretenen ankämpfen? Sind wir alle diese Trottel, die kein Ohr haben für die Künder des Heils, sondern eigensinnig immer wieder jenen die Macht übertragen, die sie zu unserer Unterdrückung mißbrauchen?

Im Parteiprogramm der KPdSU heißt es: „Die Volksmassen überzeugen sich jedoch aus eigener Erfahrung davon, daß der bürgerliche Staat ein gefügiges Werkzeug der Monopole ist, und die gepriesene . Wohlfahrt'nur Wohlfahrt für die Hochfinanz, dagegen für Hundertemillionen schaffender Menschen nur Leiden und Qualen bedeutet." In dem oben erwähnten Buch (S. 193 f.) fügte ich an dieses Zitat die Frage: „Warum geben sie dann gerade den Parteien ihre Stimme, die die . Ausbeutungspolitik'der Monopole ermöglichen und fördern? Bestehen die Volksmassen zu über 95 °/o aus Masochisten? (die DKP erhielt bei den Bundestagswahlen 1976 ganze 0, 3 %!)"

Wer sich eingehend mit Marxismus und Leninismus befaßt (Marxismus-Leninismus als Einheit gibt es nicht!), erlebt folgende Überraschung: Die sogenannten „Marxisten-Leninisten" entpuppen sich als zornige junge Männer und Frauen, die, aus Mißmut über tatsächliche oder vermeintliche Mißstände und verführt von ungeprüften Schlagworten, in einer revolutionären Lehre ihr Heil suchen, wie es Rolf Pohle, der Sohn meines sehr geschätzten akademischen Lehrers, zum Ausdruck brachte, als er bei einer richterlichen 'Vernehmung sein Gesicht hinter einer Plastiktüte verbarg, die das Bild von Marx und die Aufschrift trug: „Ohne Theorie keine Revolution."

Eine Revolution will man, und dazu braucht man eine Theorie. Zu einer intensiven Beschäftigung mit ihr hat man weder Lust noch Kraft noch Zeit, und eine profundere Diskussion über Marxismus meidet man, weil man durch sie instinktiv Erschütterungen der ideologischen Basis der Revolution befürchtet. Ein Jahr ist es her, da meinte ein Seminarteilnehmer in München, mit meinen Begriffsanalysen könne ich Marx nicht widerlegen, Marx sei schließlich ein Dialektiker gewesen. Auf die Bitte, er möge doch Aufschluß darüber geben, was Marxsche Dialektik eigentlich sei, legte er sofort los. Doch niemand konnte mit seinen Ausführungen etwas anfangen. Schließlich willigte er ein, darüber ein klärendes Referat zu halten. Aber er hat sich, wie fast vorauszusehen war, letztlich dann doch dieser anscheinend unlösbaren Aufgabe entzogen.

VI. Berufsverbot als Bedrohung

Die Überleitung zu diesem brisanten Thema gelingt E. mitfolgendem Satz: „Wer wiederum die Einbeziehung (der Marxschen Theorien) ernst nimmt, der wird in anderer Weise in Frage gestellt — für den wird sie unter der Geltung des Radikalenerlasses’ zunehmend zum beruflichen Risiko. Denn von der politischen Auseinandersetzung mit , dem'Marxismus ist zwar viel die Rede; geführt aber wird sie nicht — an ihre Stelle tritt der administrative Zwang."

Auch hier eine leicht beweisbare, massive Irreführung. Es war schon vorher davon die Rede, daß den „Marxisten-Leninisten" ernsthafte, geduldige Überprüfungen ihrer Thesen in Vorträgen und Diskussionen ebensowenig gelegen kommen wie den SED-Machthabern der ursprünglich willkommen geheißene Redneraustausch (1968).

Das große Angebot von Marxismus-Veranstaltungen wurde gleichfalls bereits erwähnt.

Allein in der Bundesrepublik gibt es Hunderte von wissenschaftlichen Publikationen, die sich mit dem Marxismus auseinandersetzen. (Ich verweise auf das Literaturverzeichnis in dem oben erwähnten Buch; eine ziemlich erschöpfende Zusammenstellung bringt die Enzyklopädie „Sowjetsystem und demokratische Gesellschaft".)

Geschieht dies nicht auf die richtige Weise? Der wissenschaftliche Pluralismus gestattet es jedem Wissenschaftler, jene Methode zu wählen, die nach seiner Überzeugung die beste ist, um der Wahrheit näherzukommen. Keines dieser Bücher macht es sich leichter mit Behauptungen und Beweisen als der gegenständliche Aufsatz, und ein weiterer Beleg dafür ist die Anklage, die ernste Auseinandersetzung mit dem Marxismus werde „unter der Geltung des . Radikalenerlasses'zunehmend zum beruflichen Risiko".

Das glauben tatsächlich sehr viele Menschen in der Bundesrepublik, weil ihnen „Fachleute" derartiges weismachen. Die Parallele zur öffentlichen Debatte der Notstandsgesetzgebung drängt sich auf. Das Ende der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie schien geB kommen. Die Hysterie stand im umgekehrten Verhältnis zur Kenntnis der Sach-und Rechtslage. So auch im Falle des Ausschlusses von Verfassungsfeinden aus dem öffentlichen Dienst.

E. argumentiert historisch, und zwar mit der Sozialistengesetzgebung Bismarcks. Der springende Punkt wird aber nicht erwähnt: Das Bismarckreich war weder ein Rechtsstaat im heutigen Sinn noch eine Demokratie. Es gab weder Grundrechte noch ein unabhängiges Verfassungsgericht, das den Mißbrauch von Verfassungsschutzbestimmungen hätte verhindern können.

Da liegt es schon viel näher, die Vorgänge in der Weimarer Demokratie ins Gedächtnis zu rufen. Im Jahre 1930 erklärte das preußische Staatsministerium (SPD-geleitet) die Mitgliedschaft in NSDAP und KPD, die Betätigung für sie oder ihre sonstige Unterstützung für unvereinbar mit der Treueverpflichtung des Beamten. Einen inhaltsgleichen Beschluß erließ der Hamburger Senat unter Führung seines SPD-Bürgermeisters. Was der SPD-Abgeordnete Podeyn damals schrieb, hat heute noch volle Gültigkeit: „Wie kann man sich für die demokratischen Rechte der Beamten einsetzen, wenn man selbst mit all seinen politischen Forderungen danach hinstrebt, Verhältnisse und verfassungsmäßige Zustände zu schaffen, in denen der Beamtenschaft keinerlei Raum für eine freie Meinungsäußerung gestattet wird." (Vgl: H. Borgs-Maciejewski B 27/1973 S. 6.) Der Hamburger Senat wurde von Reichskanzler Papen gezwungen, seinen „Radikalenerlaß" zu entschärfen, d. h. die Parteinamen KPD und NSDAP zu streichen.

Wie eindimensional E.denkt, offenbart er mit dem Satz: Zum Kampf gegen „, rechts'(Hervorhebung K. L.) . . . hätte entweder der Art. 139 des GG ausgereicht — also eine Norm von Verfassungsrang, die sich auf die Freihaltung des öffentlichen Dienstes vom Nationalsozialismus und Militarismus bezieht—, oder etwaige Ergänzungsgesetze und -bestimmungen wären 1966/67 erlassen worden, als der Stimmenzuwachs der NPD innerund außerhalb der Bundesrepublik Anlaß zur Betroffenheit gab".

Zunächst: Art. 139 ist eine retrospektive Übergangsbestimmung, die keine künftige Sondergesetzgebung zu Lasten der „Rechten" gestattet, wie schon der Wortlaut unmißverständlich klarmacht („Die zur . Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus'erlassenen Rechtsvorschriften werden von den Bestimmungen dieses Grundgesetzes nicht berührt".).

Doch viel wichtiger ist folgender Gesichtspunkt: Es geht weder um „rechts" noch um „links". Jeder kann denken und äußern, was er will, mit einer einzigen Ausnahme: Er darf nicht darauf hinarbeiten, daß dieses allgemeine Recht allen, die anders denken als er, genommen wird. Der Versuch, die Toleranz als Grundprinzip unserer pluralistischen Ordnung zu beseitigen, verdient nicht, toleriert zu werden. Toleranz aus Schwäche ist keine Tugend. Wer die grundrechtlichen Freiheiten dazu mißbraucht, um den anderen diese Freiheiten zu nehmen, verwirkt sie. Er kann zumindest nicht erwarten, daß ihm in diesem Staate hoheitliche Aufgaben übertragen werden.

Der führende Kommentator der Grundrechte, Dürig, meint in diesem Zusammenhang (M/D/H Art. 3 Abs. 3 Rdn. 130): Daß der „Extremistenbeschluß" angewendet wird, „ist dem materiellen Inhalt nach, auch wenn er nicht existierte, verfassungsrechtlich einwandfrei. Wer sich darüber aufregt, gehört im Zweifel — auch wir lernen ja langsam, was unter Dialektik zu verstehen sei — selbst zu dem Potential, das von Verfassung wegen im öffentlichen Dienst nichts zu suchen hat."

E. bedauert abschließend: „Verdächtigung und Gesinnungsausforschung bringen ein Klima hervor, das die Diskussionsmöglichkeit über einen freiheitlichen und demokratischen Sozialismus und am Ende über gesellschaftliche Veränderungen überhaupt einengt, weil niemand mehr weiß, was ihm als . sozialistisch'oder . marxistisch'angekreidet werden könnte."

Wie vertragen sich diese Klagen mit der Tatsache, daß sich die z. Z. größte Partei in der Bundesrepublik als sozialistische Partei versteht und ihr Vorsitzender die von ihm geführte Partei als die Heimstatt der Marxisten bezeichnet? Ist diese Partei im Begriffe, sich selbst zu liquidieren? Die Unruhe, von der hier die Rede war, wird bewußt geschürt, weil man immer irgendein „Vietnam" braucht.

VII. Rückkehr zum Status quo ante

„Die Aussprechung von Berufsverboten wirkt sich auf die Inhalte der Ausbildung aus. Bereits die Möglichkeit einer Ausbildung wird immer mehr Studierwilligen durch die verschärfte Handhabung der Studienzugangsbeschränkung zu einer steigenden Anzahl von Fächern genommen."

Ich habe immer schon betont, daß Engels Definition von Freiheit (im Anschluß an Hegel) als Einsicht in die Notwendigkeit einen wichtigen und richtigen Aspekt herausstellt. Wer die Rechtslage hinsichtlich der Einstellungsvoraussetzungen in den öffentlichen Dienst kennt, gewinnt ungemein an Freiheit, weil er sich dann nicht von Hirngespinsten einschüchtern läßt.

Die Argumentation, es bestehe ein Zusammenhang zwischen dem Vollzug der einschlägigen Bestimmungen des Grundgesetzes und der Beamtengesetze einerseits und den Zulassungsbeschränkungen für eine Reihe von Fächern andererseits, ist doch recht fragwürdig. Aber schließlich ist ja alles irgendwie interdependent.

Die fragwürdigen Aussagen reihen sich aneinander wie die Glieder einer Kette. „... es trifft nicht nur in erster Linie jene Arbeiter-kinder, deren Leistungen im bestehenden Bildungssystem ohnehin unterbewertet werden; es mutet auch den Lehrern im wachsenden Maße zu, durch ihre Leistungsbewertung über die Lebenschancen jedes einzelnen Schülers zu entscheiden."

Warum ist es heute mehr als früher Aufgabe der Lehrer, darüber zu entscheiden, welche Kinder höhere Schulen besuchen und zum Studium gelangen? Doch deshalb, weil in diesem Zusammenhang Beruf und Verdienst der Eltern erheblich an Bedeutung verloren haben. Die Leistungen der Kinder, die Von den Lehrern zu messen sind — von wem sonst? — sind das bei weitem wichtigste Kriterium. Bis heute hat noch niemand bessere Kriterien aufgezeigt, wenngleich anderswo — in der DDR u. a. — auch die Herkunft und das gesellschaftspolitische Engagement im Sinne der Partei ausschlaggebend sind.

Freilich, noch eine Alternative könnte diskutiert werden. Man lasse alle alles studieren, was ihnen Spaß macht, ohne ihre Eignung zu testen, und dementsprechend baue man großzügig neue Mammutuniversitäten, ausgerichB tet allein an der Prognose, wie viele im Höchstfall dieses Fach voraussichtlich studieren wollen, ganz und gar ohne Rücksicht auf den gesellschaftlichen Bedarf. Dieses Modell ist so lange attraktiv, solange man nicht fragt, wer das bezahlen soll. Wer darauf eine gewissenhafte Antwort sucht, wird bald gewahr, daß diese „Lösung" die denkbar unsozialste wäre, da sie den unmittelbar produktiv Tätigen, insbesondere auch den Arbeitern, die Kosten für das private Vergnügen anderer, nicht selten Bessergestellter, aufbürden würde. In den sozialistischen Staaten denkt niemand daran, einen solchen Einfall auch nur zu äußern, hier aber ist er das stürmische Postulat gewisser sozialistischer Kreise, die mit den Sozialisten jenseits der Grenze kollaborieren, wieder ein Gesichtspunkt, der nicht gerade für ihre Seriosität spricht.

Schon im Vorwort erhebt E.den Vorwurf, die Zeit der Reaktion und der Restauration sei angebrochen: „. Reformierte'Universitäten, an denen eine Ordinarienpolitik betrieben wird, müsseh zwangsläufig hinter die Erwartungen der Öffentlichkeit zurückfallen: Ausbrechende Konflikte eskalieren, statt eindämmbar zu werden."

Die Öffentlichkeit erwartet tatsächlich, daß an den Universitäten gearbeitet und nicht gestreikt wird. Aber die andere Behauptung, die in dem Zitat steckt, ist ebensowenig bewiesen wie die vorhin angeführten. Wiederum sprechen die Indizien mehr für das Gegenteil. „Freiheit der Wissenschaft" (3. 1976, S. 7) schreibt unter „Trügerische Ruhe": „Im vergangenen Semester kam es u. a. in Marburg, Freiburg, Berlin, Münster und Frankfurt zu gewalttätigen Ausschreitungen." Erwähnt ist ferner Heidelberg. Wenn ich recht sehe, wird zumindest an vier von den sechs keine „Ordinarienpolitik betrieben".

E.: „Hochschulreform gilt als permanenter . Unruheherd'— ein Unruheherd, der (so der Tenor der Auseinandersetzung) endlich beseitigt werden müsse ... indem man das Rad wieder zurückdrehe in die Jahre vor 1968."

Auch hier das alte Lied: Eine Behauptung, die man gar nicht zu beweisen versucht. Sie widerspricht schlechterdings allen Tatsachen. Weder die Länderhochschulgesetze noch das Hochschulrahmengesetz restaurieren die Zustände, wie sie vor 1968 bestanden haben. Jene, die am Zustandekommen dieser Gesetze mitgewirkt haben, zählen sich durch die Bank zu den Reformern. Da aber Reform nicht ohne weiteres gleichgesetzt werden kann mit Verbesserung, es eben auch reformationes in peius gibt, ist nicht jener notwendigerweise der Tüchtigste, dessen Reformvorstellungen am radikalsten sind.

Der Schluß von E’s Ausführungen verdient besondere Beachtung: „. Keine Toleranz gegenüber Radikalen!'lautet immer wieder der Ruf derer, die diese Rückzugsgefechte erzwingen."

E. nimmt erneut Anleihe bei der Geschichte, erwähnt die „radicals" in England, insbesondere John Bright und dessen Verdienste um die Ausdehnung demokratischer Rechte. In einer Biographie werde berichtet, „er, der . Änderungen weitreichender Art gefordert hat', habe sich den Ansichten anderer nie gebeugt."

Ein gutes Beispiel für einen Radikalen, fürwahr! Ein schlechtes Beispiel für einen Demokraten! Denn letzterer beugt sich der Mehrheitsmeinung anderer, auch wenn er sie sich nicht zu eigen macht.

Damit verbinde ich kein Pauschalurteil über Radikale, auch wenn ich den Verdacht nicht loswerde, daß sie meist wenig Sinn für Toleranz, für die Freiheit anderer haben.

Eine kritische Durchleuchtung der Geschichte auf Wert und Unwert der Radikalen insgesamt für die Menschheit würde wahrscheinlich ein recht betrübliches Ergebnis zeitigen. Selbst (oder gerade) radikale Moralisten wie Robespierre haben mit Blut und Tränen Geschichte gemacht. Auch die „Endlösung der Judenfrage" war ein radikales Programm, das von Radikalen radikal in die Tat umgesetzt wurde.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Konrad Löw, Dr. jur., o. Professor für Politikwissenschaft an der Universität Bayreuth, geb. 1931. Veröffentlichungen u. a.: Grundwerte der Demokratie — Menschenwürde, Freiheit, Gleichheit, München 19744; (Hrsg.) Freiheit und Gleichheit oder die Quadratur des Kreises, München — Köln 1974; Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, Frankfurt/M. 1976; zahlreiche Aufsätze zu rechtswissenschaftlichen Fragestellungen.