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Die religiösen und geistigen Wurzeln des Zionismus | APuZ 49/1976 | bpb.de

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APuZ 49/1976 Artikel 1 Die religiösen und geistigen Wurzeln des Zionismus Der Zionismus -die nationale Befreiungsbewegung des jüdischen Volkes Ein Gespräch in Kairo. Fragen und Antworten zum arabisch-israelischen Verhältnis

Die religiösen und geistigen Wurzeln des Zionismus

Rolf Rendtorff

/ 42 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Das Wort „Zionismus" ist wieder einmal zu einem Reizwort geworden, an dem sich die Geister scheiden. Die Mehrheit der Mitglieder der Vollversammlung der Vereinten Nationen hat im Oktober 1975 einer Resolution zugestimmt, in der festgestellt wird, „daß Zionismus eine Form von Rassismus und rassischer Diskriminierung" sei. Wie konnte es dazu kommen, daß eine Bewegung, die ihre Entstehung gerade dem Kampf gegen rassische Diskriminierung verdankt, sich plötzlich selbst einem solchen Vorwurf ausgesetzt sieht? Wer die Geschichte des Zionismus, insbesondere seine Anfänge, auch nur ein wenig kennt, muß bestürzt feststellen, daß hier die Dinge völlig auf den Kopf gestellt worden sind. Man wird deshalb gewiß nicht fehlgehen in der Annahme, daß der größte Teil der Delegierten der Vereinten Nationen und auch die sie entsendenden Regierungen bei ihrem Votum die Geschichte des Zionismus nicht vor Augen gehabt haben, sondern daß ihr Votum in Wirklichkeit etwas ganz anderes meint, nämlich die gegenwärtige Politik des Staates Israel, insbesondere seit 1967. Zunächst wird man deshalb deutlich feststellen müssen, daß das Votum der UN-Vollversammlung im Hinblick auf die Definition dessen, was Zionismus sei, als unsinnig zu bezeichnen ist. Für den Verfasser ist dies ein Grund mehr, in seinem Beitrag auch der Frage nachzugehen, welche Entwicklungen ein solches Urteil provozierten.

„Zion" ist ein Name, der unmittelbar mit der Stadt Jerusalem verbunden ist. In seiner ursprünglichen Bedeutung bezeichnete der Name Zion den kleinen südöstlichen Hügel des heutigen Stadtgebietes, auf dem die alte Kanaanäer-Stadt lag, die etwa um das Jahr 1 000 v. Chr. von David erobert wurde. Im Alten Testament wird im 2. Samuelbuch, Kapitel 5, Vers 6— 9 berichtet, daß David die „Bergfeste Zion" eingenommen habe.

David machte Jerusalem zur Hauptstadt der vereinigten Königreiche Juda und Israel. Durch die Überführung der Bundeslade, eines alten Heiligtums der israelitischen Stämme, nach Jerusalem machte er es auch zum religiösen Mittelpunkt. Unter Davids Sohn und Nachfolger Salomo wurde die religiöse Bedeutung Jerusalems durch den Bau des Tempels noch wesentlich gesteigert. Von jetzt an war Jerusalem das unbestrittene religiöse Zentrum des jüdischen Volkes.

Zion wurde bald zum Begriff für Jerusalem in seiner religiösen Bedeutung. In den Psalmen ist davon die Rede, daß die Wallfahrer, die jährlich nach Jerusalem kamen, dorthin wandern, „bis sie Gott schauen auf Zion" (Psalm 84, 8).

Zion wurde auch zum Inbegriff der Erwartungen und Hoffnungen für eine Zukunft der Menschheit, die unter dem vom Zion ausgehenden Wort Gottes steht, das Frieden unter allen Völkern stiftet. In der großartigen Zukunftsschau des Propheten Jesaja heißt es, daß die Völker in einer großen Wallfahrt zum Zion strömen und sagen werden: „Kommt, laßt uns hinaufziehen zum Berg des Herrn, zum Hause des Gottes Jakobs, daß er uns seine Wege lehre und wir wandeln auf seinen Pfaden;

denn von Zion wird die Weisung (Tora) ausgehen und das Wort des Herrn von Jerusalem." Inhalt dieser Weisung, die vom Zion ausgeht, wird die endgültige Beendigung des Krieges zwischen den Völkern sein: „Und er wird Recht sprechen unter den Völkern und viele Nationen unterweisen.

Dann werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen machen und ihre Spieße zu Rebmessern.

Kein Volk wird mehr gegen das andere das Schwert erheben und sie werden den Krieg nicht mehr lernen." (Jesaja 2, 2— 4)

Das ist eine der ersten Äußerungen des „Zionismus": die Vision, daß vom Zion die Botschaft des Friedens für alle Völker ausgeht und daß alle Völker diese Botschaft hören und ihr Folge leisten.

In den Jahren 597 und 586 v. Chr. eroberten die Babylonier Jerusalem und führten einen Teil der Bewohner von Juda und Jerusalem nach Babylonien ins Exil. Dort warteten und hofften diese auf eine Rückkehr in ihr Land und nach Jerusalem. Diese Hoffnung fand ihren entscheidenden Kristallisationspunkt in der „Zionssehnsucht". In dieser Zeit der Babylonischen Gefangenschaft schrieb der Psalmdichter: „An den Wassern zu Babel saßen wir und weinten, wenn wir an Zion gedachten" (Psalm 137, 1). Diese Hoffnung einer Rückkehr nach Zion steht seither im Zentrum des jüdischen religiösen Denkens und der jüdischen Gebete.

Einige Jahrhunderte später begann für den größten Teil der Juden eine lange Zeit des Lebens im Exil. Die Römer zerstörten im Jahre 70 n. Chr.den II. Tempel in Jerusalem und verboten den Juden, die Stadt zu betreten. Eine Anzahl von ihnen blieb in anderen Teilen des Landes wohnen, vor allem im Norden, in Galiläa; der größte Teil der Juden lebte jedoch von jetzt an über große Teile der Welt verstreut. Das Selbstverständnis der Juden überall in der Welt war aber durch die Jahrhunderte hindurch immer entscheidend von dem grundlegenden Gedanken geprägt, daß sie in der Diaspora, im Exil (hebräisch: Galut) lebten und daß ihre eigentliche Heimat das Land ihrer Väter, Israel, sei mit seinem Mittelpunkt Jerusalem, also Zion. Zionssehnsucht und Rückkehrhoffnung wurden tragfähige Elemente des jüdischen Lebens.

Das jüdische Volk und sein Land

Es erhebt sich nun für das Verständnis der weiteren jüdischen Geschichte eine grundlegende Frage: Sind die Juden auch nach ihrer Zerstreuung in die ganze Welt ein Volk geblieben? Häufig wird von Kritikern des Zionismus, besonders von arabischer Seite, behauptet, daß das Judentum in Wirklichkeit nur eine Religion sei und daß der grundlegende Fehler der Zionisten darin liege, daß sie aus dieser Religion eine Nationalität gemacht hätten. Mit dieser Frage hängt die andere nach den Beziehungen der Juden zum Land Israel eng zusammen.

Gibt es ein jüdisches Volk? Hier muß man zunächst feststellen, daß diese Frage für die Zeit vor der Zerstörung des II. Tempels in Jerusalem im Jahr 70 n. Chr. ohne jede Einschränkung positiv zu beantworten ist. In einer neueren Untersuchung zum Begriff des Volkes heißt es sogar: „Der Gedanke, daß Volk im Sinne von Bevölkerung eine natur-hafte, organische Einheit sei, wurde insbesondere durch den biblischen Sprachgebrauch gefördert. Das Volk Israel, das Volk Gottes war eine allseits bekannte Vorstellung... Die gemeinsame Sprache und Abstammung wurden u. a. durch das Vorbild des jüdischen Volkes zu entscheidenden Kriterien des Volksbegriffs." Hiernach hätte also das jüdische Volk geradezu das Modell für den neuzeitlichen Begriff des Volkes abgegeben.

Die Frage kann deshalb nur sein, ob das jüdische Volk diesen seinen Charakter im Laufe der Jahrhunderte verloren hat. Wir haben schon darauf aufmerksam gemacht, daß das jüdische Volk seit der Zeit des Babylonischen Exils in einer doppelten Existenzform lebte: Ein Teil des Volkes war in der ursprünglichen Heimat geblieben und hielt dort die Kontinuität jüdischer Lebensweise aufrecht. Ein anderer Teil lebte im Exil, wußte sich aber von dorther eng mit dem Lande verbunden und betrachtete sich als Bestandteil dieses einen Volkes.

Diese doppelte Existenzform ist, bei allen Wandlungen im einzelnen, durch die Jahrhunderte hindurch festgehalten worden. Immer haben Juden im Lande Israel gelebt. (Üb-rigens hatten die Römer nach der Zerschlagung eines jüdischen AufStandes im Jahre 135 n. Chr. das Land umbenannt. Es hieß bis dahin Judäa — „Land der Juden" und wurde jetzt in Palästina = „Land der Philister" umbenannt; damit wollten die Römer die Erinnerung an die jüdische Geschichte des Landes tilgen.) Die Größe der jüdischen Bewohnerschaft des Landes war im Laufe der Jahrhunderte sehr unterschiedlich. Sie war abhängig von der jeweiligen politischen und wirtschaftlichen Lage, und zwar nicht nur im Lande selbst, sondern auch in den anderen Ländern, in denen Juden lebten. Zu den verschiedensten Zeiten führten geistige, religiöse und politische Bewegungen dazu, daß Juden in größerer Zahl ins Land zurückkehrten. Doch auch die Juden außerhalb des Landes fühlten sich, wie schon gesagt, zu dem einen Volk zugehörig, dessen eigentliche Heimat das Land Israel war.

Wir müssen die Existenzform der Juden außerhalb Palästinas noch etwas genauer betrachten, um die Frage, ob die Juden nach wie vor ein Volk geblieben sind, beantworten zu können. Zweifellos fehlte den Juden in der Diaspora vieles von dem, was im allgemeinen als grundlegend für die Existenz eines Volkes betrachtet wird. Zunächst der gemeinsame Lebensraum: sie lebten über viele Länder, ja über verschiedene Kontinente verstreut.

Ein weiteres Defizit gegenüber einem „normalen" Volk bestand in dem Fehlen einer gemeinsamen Umgangssprache. Die Juden hatten im allgemeinen die Sprache des Landes, in dem sie lebten, als ihre eigene Umgangssprache angenommen. In manchen Fällen hatten sie auch eigene jüdische Dialekte entwik-kelt, wie z. B. das Jiddische in Mittel-und Osteuropa oder das Ladino (auch Spaniolisch genannt) in Spanien. Allerdings hatten sie daneben immer auch eine gemeinsame Sprache: das Hebräische. Alle religiöse Literatur war in dieser Sprache geschrieben; sie wurde von früher Kindheit an gelernt und täglich im Gebet, im Studium der Heiligen Schriften und im Gottesdienst verwendet. Es wurde auch ständig weiter in dieser Sprache geschrieben und gedichtet, so daß sie stets eine lebendige Entwicklung hatte. Deshalb war es möglich, daß sich Juden aus verschiedenen Teilen der Welt, die keine gemeinsame Umgangssprache hatten, durch das Medium der hebräischen Sprache miteinander verständigen konnten. Hier zeigt sich schon, daß die Religion eine wesentliche Funktion als einigendes Band hatte. Dies wird noch deutlicher, wenn wir uns das Leben jüdischer Gemeinden in der Diaspora vor Augen führen. Das Zentrum des jüdischen Lebens war die Synagoge. Sie war zunächst religiöser Mittelpunkt, an dem im Gottesdienst regelmäßig die jüdische Bibel, die Tora, verlesen wurde. Man hat gesagt, daß die Tora die tragbare Heimat des jüdischen Volkes sei. In der Tat haben die Juden durch die Bibel ihre Heimat gleichsam überallhin mitgenommen. Denn die religiösen Überlieferungen der Bibel enthalten ja zugleich auch die Geschichte des Volkes, angefangen von Abraham über Mose und David bis zu den Propheten, zur Babylonischen Gefangenschaft und zur Wiederherstellung des Tempels und der Stadt Jerusalem nach der Rückkehr. Dies bedeutet also, daß im jüdischen Gottesdienst immer auch die Geschichte des jüdischen Volkes lebendig ist.

Ein weiteres wichtiges Stück der schriftlich überlieferten jüdischen Tradition ist der Talmud. Er ist entstanden aus den in Jahrhunderten gesammelten Interpretationen der Tora. Juden in aller Welt widmeten sich täglich in ihren Synagogen und Lehrhäusern dem Studium des Talmuds. Man hat gesagt, daß der Talmud der tragbare Staat des jüdischen Volkes sei. Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, daß im Talmud vielfältige Regeln enthalten sind, die das Leben der jüdischen Gemeinschaft bestimmen und prägen. Da diese Regeln aber von allen jüdischen Gemeinden überall in der Welt eingehalten werden, bilden sie zugleich ein einigendes Band zwischen ihnen allen.

Hier zeigt sich etwas, was man die soziale und gemeinschaftsprägende Funktion der Synagoge nennen könnte. Sie ist zwar in erster Linie der Ort des gemeinsamen Gottesdienstes. Zugleich prägt sie jedoch das Leben der jüdischen Gemeinschaft insgesamt. Und die jüdische Gemeinschaft versteht sich überall als Bestandteil und gleichsam als Repräsentant des Volkes Israel. Dies kommt auch darin zum Ausdruck, daß in den jüdischen Gebeten durchweg der Name „Israel" als Selbstbezeichnung der im Gottesdienst versammelten Gemeinde beibehalten worden ist. Dieses Israel gab es nun überall in der Welt, und seine Angehörigen waren sich des Zusammenhanges untereinander voll bewußt. So kann man sagen, daß die gemeinsame Religion zugleich dazu geführt hat, das Bewußtsein, ein Volk zu sein, lebendig zu erhalten.

Sind die Juden ein Volk? Nach ihrem eigenen Selbstverständnis sind sie es immer geblieben. Dabei bilden Religion und Volk eine unlösbare Einheit.

I Das dritte, was zu dieser Einheit hinzugehört, ist das Land. Schon im Alten Testament spielt das Land eine zentrale Rolle. Man kann geradezu die Theologie des Alten Testaments am Leitbegriff des Landes darstellen: Am Anfang wurde das Land nach biblischem Glauben den Vätern Abraham, Isaak und Jakob von Gott verheißen und ihren Nachkommen als dauernder Besitz gegeben. Dies bedeutet aber nicht nur Gabe, sondern zugleich auch Verpflichtung, dieses Land nach dem Willen Gottes zu verwalten. Deshalb sind das Leben im Lande und die Gottesbeziehung des Volkes eng miteinander verknüpft. So bedeutet der Verlust des Landes durch die Wegführung in das Exil auch eine große Belastung für das Gottesverhältnis, und die Heimkehr aus dem Exil in das Land wird zugleich als eine neue Bestätigung und Festigung der Beziehungen zwischen Gott und Israel verstanden. Schließlich findet in der Bibel auch die Hoffnung auf die Rückkehr aller in der Welt verstreuten Juden in das Land vielfältigen Ausdruck.

Die Erwartung und Hoffnung der Rückkehr in das Land bestimmt auch das Denken und die Gebete der Juden in der Zeit nach der Zerstörung des Tempels und der Zerstreuung in die ganze Welt. So heißt es in einem der Haupt-gebete, dem Achtzehn-Bitten-Gebet, das der Jude täglich betet: „Sammle uns wieder von den vier Enden der Erde!" Und: „Kehre in deiner Barmherzigkeit in deine Stadt Jerusalem zurück und wohne in ihr, wie du gesagt hast, und baue sie bald in unseren Tagen wieder auf!" In der Liturgie des Abends der Passahfeier, der vielfach als wichtigster jüdischer Festtag verstanden wird, heißt es: „Dieses Jahr hier, nächstes Jahr im Lande Israel; dieses Jahr Knechte, nächstes Jahr Freie!" Und die Liturgie des Passahabends endet ebenso wie die Liturgie des anderen großen Feiertages, des „Großen Versöhnungstages" (Jom Kippur), mit den Worten: „Nächstes Jahr in Jerusalem!"

Im Talmud und in vielen anderen Texten der jüdischen Traditionsliteratur finden sich häufig Erörterungen darüber, wie wichtig es auch für den einzelnen Juden ist, im Lande Israel zu leben. So heißt es zum Beispiel: „Das Leben im Lande wiegt alle Gebote der Tora auf." Um das Gewicht dieser Aussage ganz zu verstehen, muß man bedenken, daß der Tal-5 mud der Erfüllung der Gebote der Tora sehr große Bedeutung beimißt. An anderer Stelle heißt es: „Man soll im Land Israel wohnen, selbst in einer Stadt, die vorwiegend von Heiden bewohnt ist, und man soll nicht außerhalb des Landes wohnen, selbst in einer Stadt, die ganz von Juden bewohnt ist." Die Begründung dafür lautet: „Wer im Land Israel wohnt, gleicht einem, der einen Gott hat; wer aber außerhalb des Landes wohnt, gleicht einem, der keinen Gott hat." Hier wird also gesagt, daß das Leben im Lande eine grundlegende Voraussetzung dafür ist, Gott angemessen dienen zu können.

Vor allem im Blick auf die messianische Endzeit kommt dem Land große Bedeutung zu: „Drei gute Gaben hat der Heilige, gepriesen sei er, Israel geschenkt; aber alle drei wurden nur durch Schmerzen erworben: die Tora, das Land Israel und die zukünftige Welt." Das Land Israel und insbesondere Jerusalem hat deshalb eine ganz besondere Bedeutung, wenn die Endzeit anbricht: „Wer vier Ellen im Land Israel wandert, ist dessen sicher, daß er der zukünftigen Welt teilhaftig werden wird." Darum ist vor allem das Begrabenwerden im Lande sehr wichtig: „Wer im Land Israel begraben ist, der ist wie unter dem Altar begraben." Er wird deshalb auch gewiß an der Auferstehung teilhaben, denn sie findet nach der Überlieferung zuerst in Jerusalem statt.

Diese messianische Bedeutung des Landes und Jerusalems ist einer der wesentlichen Gründe dafür, daß zu allen Zeiten Juden nach Palästina zogen oder versuchten, es zu tun. So befindet sich in dem Ort Beth Sche'arim in Galiläa eine große Begräbnisanlage aus dem 3. und 4. Jahrhundert n. Chr., die durch Ausgrabungen freigelegt worden ist. Hier wurden Juden aus allen Gegenden des damaligen Römischen Reiches bestattet, was durch In-schriftenauf den Sarkophagen belegt ist. In späteren Jahrhunderten, als es den Juden wieder erlaubt war, in Jerusalem zu leben, wurden vor allem dort die Toten beigesetzt. Aber viele Juden haben auch zu allen Zeiten versucht, schon bei Lebzeiten nach Jerusalem zu gelangen. Nachdem sich das Judentum in Europa ausgebreitet hatte, erfahren wir immer wieder davon, daß auch von dort solche Reisen geplant und unternommen wurden, über manche sind Berichte überliefert; einige Reisende aus verschiedenen Jahrhunderten haben sogar selbst Reiseberichte verfaßt. Aber die meisten Juden, die die ungeheuren und gar nicht vorhersehbaren Strapazen und Gefahren einer Reise von Europa nach Palästina auf sich nahmen, blieben anonym.

Der Wille oder jedenfalls die Hoffnung, das Land zu sehen, blieb durch die Jahrhunderte hindurch erhalten. Er erhielt oft neue Nahrung durch besondere Umstände, vor allem durch Verfolgung der Juden in den Ländern, in denen sie lebten. Gerade in solchen Zeiten der Not und der Bedrohung trat die starke innere Bindung an das Land deutlich in Erscheinung. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel dafür ist die Geschichte der Stadt Safed (Ze-phat) im Norden Galiläas. Hierher strömten im 15. Jahrhundert sehr viele Juden aus Europa, unter ihnen vor allem viele Opfer der Judenverfolgungen in Spanien, die im Jahre 1492 mit der völligen Vertreibung des spanischen Judentums geendet hatten. Ein Teil dieser vertriebenen Juden brachte nicht nur die Stadt Safed in kurzer Zeit zu wirtschaftlicher Blüte, sondern entwickelte dort vor allem ein neues geistiges Leben. Safed wurde zu einem Zentrum der sich neu entfaltenden jüdischen Mystik. Dies war also die Reaktion auf die Verfolgungen in der Diaspora: Rückkehr in das Land und dort zu den geistigen Ursprüngen jüdischen Denkens und Lebens.

Emanzipation und Assimilation

Das bisher dargestellte Selbstverständnis der Juden bildet die eine Seite: Die Juden verstanden sich überall in der Welt als eine in sich eng zusammengehörige Gemeinschaft, in der Volk und Religion unlösbar miteinander verbunden waren. Diese Gemeinschaft lebte in der Zerstreuung unter anderen Völkern und Nationen; ihre eigentliche Heimat war das Land ihrer Väter, Israel.

Die andere Seite war: Die überwiegend christliche Umwelt (der größte Teil der Juden lebte in christlichen Ländern, vor allem in Europa) betrachtete und behandelte die Juden nicht als gleichberechtigte Bürger. Viele Berufe waren ihnen versperrt; vielfach mußten sie in besonders abgegrenzten Gebieten, den Gettos, abgesondert von der übrigen Bevölkerung beieinander wohnen, häufig in sehr engen Verhält-B nissen und unter vielfach entwürdigenden Umständen; zu bestimmten Zeiten und in bestimmten Gebieten mußten sie sich auch durch die Kleidung, Barttracht usw. von der übrigen Bevölkerung unterscheiden. Immer wieder waren die Juden auch Anfeindungen und Verfolgungen ausgesetzt. Lange bevor im 19. Jahrhundert der rassistische Begriff „Antisemitismus" erfunden wurde, gab es Judenfeindschaft, Judenhaß und Judenverfolgungen in vielfältigen Formen. Vordergründig spielten dabei oft religiöse Motive eine Rolle. Die Juden wurden als „Christusmörder" beschimpft und verfolgt, und es wurden ihnen vielfältige religiöse Verirrungen und Schandtaten nachgesagt. Vielfach wurden sie auch in der Freiheit ihrer Religionsausübung behindert oder es wurde versucht, sie durch Zwang zum Übertritt zum Christentum zu bringen Insbesondere brachten Zeiten starker religiöser Emotionen unter den Christen, wie z. B. die Kreuzzüge, immer zugleich eine besondere Welle der Verfolgung der Juden mit sich.

Genauere Untersuchungen der Geschichte und der Motive der Judenfeindschaft und der Judenverfolgungen haben jedoch ergeben, daß die religiösen Motive in vielen Fällen nur Vorwand und bewußte oder unbewußte Kaschierung ganz andersgearteter Gründe für die Judenfeindschaft waren

Die allgemeine Abneigung gegen Minderheiten verband sich in vielfältiger Weise mit wirtschaftlichen, politisch-ideologischen und schließlich mit biologisch-rassistischen Motiven und Argumenten. Die Judenfeindschaft ist das geradezu klassische Beispiel der Diskriminierung von Minderheiten; es erhält seine besondere Bedeutung dadurch, daß diese Minderheit über große Teile der Welt verbreitet und auch weltweit Diskriminierungen und Verfolgungen ausgesetzt war.

So wurde denn die Lage der Juden auch nicht etwa durch ein Umdenken im religiösen Bereich verändert, sondern durch die tiefgreifenden politischen und gesellschaftlichen Veränderungen, die sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts in Europa vollzogen. Walter Laqueur, einer der besten Kenner des Zionismus, schreibt dazu: „In der Geschichte des modernen Europas stellt die französische Revolution den großen Wendepunkt dar; mit all den anderen Veränderungen und Strömungen, die sie einleitete, bedeutet sie auch den Beginn eines neuen Zeitalters im Leben der Juden. Nach Jahrhunderten der Massaker, der Verfolgung und der gesellschaftlichen Ächtung begann sich mit der Ausbreitung der Aufklärung auch eine neue, menschliche Einstellung gegenüber den Juden durchzusetzen. Es bedurfte jedoch des Schocks der Revolution, um dem Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz offizielle Anerkennung zu verschaffen."

Die ersten Schritte zur Gleichheit der Juden vor dem Gesetz wurden nun getan. In der französischen Nationalversammlung von 1789 wurde zum ersten Mal gefordert, daß den Juden als Individuen keine Rechte verweigert werden dürften. Auch in anderen Ländern wurden die den Juden auferlegten Beschränkungen nach und nach aufgehoben und die gesetzlichen Voraussetzungen für ihre Gleichstellung geschaffen.

Was nun begann, war ein äußerst vielschichtiger Prozeß mit teilweise entgegengesetzten Tendenzen und Kräften. Für viele Juden bedeutete ihre rechtliche Gleichstellung eine grundlegende Veränderung ihres Selbstverständnisses. Nachdem in Preußen in den Jahren 1808— 1812 die Grundlagen für die volle rechtliche Emanzipation der Juden geschaffen worden waren, strömten viele Juden mit Begeisterung in die preußische Armee zum Kampf gegen Napoleon. „Oh, welch himmlisches Gefühl, ein Vaterland zu besitzen!" hieß es in einem ihrer Manifeste. Hieran wird deutlich, daß für viele Juden die Emanzipation bedeutete, daß sie sich jetzt nicht mehr dem jüdischen Volk zugehörig fühlten. Sie hatten es allzu lange als Benachteiligung empfunden, nicht vollwertige Bürger des Landes zu sein, in dem sie lebten, so daß nun bei vielen das Pendel nach der anderen Seite in eine überschwengliche patriotische Begeisterung für das neue Vaterland ausschlug.

Für diesen Teil der Juden brachte also die Emanzipation einen tiefgreifenden Wandel ihres Selbstverständnisses mit sich. Die Einheit von Religion und Volk löste sich auf. Man konnte sich ganz dem Volk zugehörig fühlen, in dem man lebte, und man blieb Jude nur im Sinne der Religion. Judentum wurde nun zu einer Art Religion, ja zu einer „Konfession" neben anderen. Erst in dieser Zeit entstanden Begriffe wie „Mosaische Religion" oder „Israelitische Kultusgemeinde". Sie bringen deutlich die Reduzierung der jüdischen Tradition auf den Bereich der Religion zum Ausdruck.

Von der bisherigen jahrtausendealten Geschichte des jüdischen Volkes her gesehen, muß diese Entwicklung als eine Auflösungserscheinung bezeichnet werden. Zum ersten-mal in der Geschichte des jüdischen Volkes bildete sich ein Verständnis von Judentum heraus, bei dem die jüdische Religion von der Zugehörigkeit zum jüdischen Volk getrennt wurde. Viele Juden waren jetzt nicht nur im rechtlichen Sinne Deutsche, Franzosen usw., sondern sie verstanden sich auch selbst als solche und wollten nichts anderes sein. Ihre jüdische Vergangenheit im Sinne der Zugehörigkeit zum jüdischen Volk versuchten sie abzustreifen.

Allerdings geschah diese Abwendung von einem nationalen jüdischen Selbstverständnis bei vielen Juden keineswegs ganz freiwillig. Es galt nämlich als einer der Grundsätze der Emanzipation, daß die rechtliche Gleichstellung nur den einzelnen Juden zugute kommen könne. Die Losung hieß: „Den Juden als Individuen alles, den Juden als Volk nichts!" Deshalb sahen sich viele Juden vor der Alternative, entweder die ihnen angebotenen Möglichkeiten der rechtlichen Gleichstellung voll zu ergreifen und damit zugleich einen wesentlichen Bestandteil ihres Judentums aufzugeben oder sich weiterhin ganz als Juden zu verstehen und damit Fremdlinge in ihrer Umwelt zu bleiben.

Viele Juden machten jedoch aus dieser Not eine Tugend. Laqueur schreibt dazu: „Unter den Intellektuellen wuchs die Überzeugung, daß der neue, von mittelalterlichem Aberglauben gereinigte Judaismus ein Übergangs-Stadium zu einem aufgeklärten Christentum sei. Sie vertraten die Ansicht, die Juden seien kein Volk, die jüdische Nation habe seit 2 000 Jahren zu bestehen aufgehört und lebe bloß in der Erinnerung." Gabriel Rießer, einer der entschiedensten Befürworter der Emanzipation, erklärte, ein Jude, der einen nichtexistierenden Staat und eine nichtexistierende Nation Deutschland vorzöge, sollte unter Polizeischutz gestellt werden, nicht, etwa, weil seine Ansichten gefährlich wären, sondern weil er offensichtlich geisteskrank sei

Für viele Juden brachte diese neue Entwicklung aber auch neue, schwerwiegende Probleme und Gewissenskonflikte mit sich. Einerseits bemühten sie sich, auch in geistiger und kultureller Hinsicht soweit wie irgend möglich an dem Leben ihrer Umwelt teilzunehmen. Schon in der Mitte des 18. Jahrhunderts hatte Moses Mendelssohn ein Beispiel dafür geliefert, wie es einem Juden durch Aneignung der abendländischen Bildung gelingen konnte, Zugang zu den intellektuellen Kreisen der christlichen Gesellschaft zu finden. Viele Juden versuchten jetzt den gleichen Weg zu gehen und sich soweit wie möglich ihrer Umwelt anzupassen. Andererseits mußten sie aber immer wieder feststellen, daß ihre jüdische Religion ein entscheidendes Hindernis für eine völlige Anerkennung als gesellschaftlich Gleichberechtigte bildete. So stellte sich für viele die Frage, ob sie auch diesen letzten Schritt vollziehen und ihre jüdische Religion aufgeben sollten. Diese Frage wurde noch dadurch verschärft, daß die mit Moses Mendelssohn beginnende jüdische „Aufklärung“ (Haskala) auch weithin zu einer Entfremdung vom traditionellen orthodoxen Judentum geführt hatte. Vielfach wurde die jüdische Religion in erster Linie nur noch als eine Religion universaler Ethik verstanden. Dies entsprach aber starken Strömungen in gleichzeitigem Christentum, so daß die Unterschiede immer geringer wurden. So stellte sich für viele „aufgeklärte" Juden die Frage, warum sie eigentlich noch Juden bleiben sollten. „Ein Deutscher, der nicht mehr an das christliche Dogma glaubte, blieb dennoch ein Deutscher, während der nichtgläubige Jude keinen derartigen Rückhalt hatte."

So war die Versuchung in diesen Kreisen groß, auch den letzten Rest von Judentum abzustreifen und sich damit von einer Vergangenheit zu befreien, die eigentlich nur noch Nachteile mit sich brachte. Das bekannte Wort von Heinrich Heine, daß der Übertritt zum Christentum durch die Taufe das Entreebillett zur europäischen Kultur sei, kennzeichnet die Situation, in der sich viele Juden sahen. Zugleich läßt allerdings auch die Biographie Heines erkennen, in welche Gewissenskonflikte dieser Schritt auch einen aufge-klärten Juden führen konnte und wie schwer es war, sich von der eigenen jüdischen Vergangenheit wirklich zu befreien.

Manche Kritiker des Zionismus meinen, daß die Juden in dieser Zeit doch soweit in die europäische Gesellschaft integriert gewesen seien, daß der Zionismus mit seiner Neubesinnung auf das jüdische Volk einen Rückfall in eine eigentlich schon überwundene Vergangenheit darstellte. Insbesondere wird oft von der schon weitgehend verwirklichten „deutsch-jüdischen Symbiose" gesprochen. Der bedeutende jüdische Gelehrte Gershom Scholem, der Begründer der wissenschaftlichen Erforschung der jüdischen Mystik und Mitbegründer der Hebräischen Universität Jerusalem, hat zu dieser Frage folgendes geschrieben: „Ich bestreite, daß es ein solches deutsch-jüdisches Gespräch in irgendeinem echten Sinne als historisches Phänomen je gegeben hat. Zu einem Gespräch gehören zwei, die aufeinander hören, die bereit sind, den anderen in dem, was er ist und darstellt, wahrzunehmen und ihm zu erwidern. Nichts kann irreführender sein, als solchen Begriff auf die Auseinandersetzungen zwischen Deutschen und Juden in den letzten 200 Jahren anzuwenden. Dieses Gespräch erstarb in seinen ersten Anfängen und ist nie zustande gekommen. .. . Wo Deutsche sich auf eine Auseinandersetzung mit den Juden in humanem Geiste eingelassen haben, beruhte solche Auseinandersetzung stets, von Wilhelm von Humboldt bis George, auf der ausgesprochenen und unausgesprochenen Voraussetzung der Selbstaufgabe der Juden, auf der fortschreitenden Atomisierung der Juden als einer in Auflösung befindlichen Gemeinschaft, von der bestenfalls die einzelnen, sei es als Träger reinen Menschentums, sei es selbst als Träger eines inzwischen geschichtlich gewordenen Erbes, rezipiert werden konnten. Jene berühmte Losung aus den Emanzipationskämpfen: Den Juden als Individuen alles, den Juden als Volk (das heißt: als Juden) nichts'ist es, die verhindert hat, daß je ein deutsch-jüdisches Gespräch in Gang gekommen ist. Die einzige Gesprächs-partnerschaft, welche die Juden als solche ernst genommen hat, war die der Antisemiten, die zwar den Juden etwas erwiderten, aber nichts Förderliches. Dem unendlichen Rausch der jüdischen Begeisterung hat nie ein Ton entsprochen, der in irgendeiner Beziehung zu einer produktiven Antwort an die Juden als Juden gestanden hätte, das heißt, der sie auf das angesprochen hätte, was sie als Juden zu geben, und nicht auf das, was sie als Juden aufzugeben hätten."

Manchem mag diese Auffassung Scholems überspitzt erscheinen. Auch viele Juden, die wie Scholem selbst diese sogenannte deutsch-jüdische Symbiose miterlebt und sich um ihr Zustandekommen und ihre Weiterentwicklung bemüht haben, sehen die Dinge anders. Eines ist aber an den Ausführungen Scholems ohne jeden Zweifel entscheidend richtig: Von nichtjüdischer, „christlicher" Seite lief die Bereitschaft zur Integration der Juden letzten Endes immer darauf hinaus, daß die Juden ihr Judentum aufgeben sollten. Es konnten, wie Scholem zutreffend schreibt, „bestenfalls die einzelnen, sei es als Träger reinen Menschentums, sei es selbst als Träger eines inzwischen geschichtlich gewordenen Erbes, rezipiert werden". Dies bedeutet aber nichts anderes, als daß die Assimilation der Juden letzten Endes nicht zu einem echten Miteinander von Juden und Nichtjuden geführt hätte, sondern zum Ende des Judentums.

Will man die Bedeutung dieser Vorgänge im ganzen der jüdischen Geschichte richtig würdigen, so muß man bedenken, daß dies alles nur für eine verhältnismäßig kleine Schicht gebildeter mitteleuropäischer Juden zutraf. Für die große Mehrheit der Juden, sowohl in Deutschland als auch in den übrigen europäischen und außereuropäischen Ländern, stellten sich diese Probleme kaum. Sie wurden durch die religiöse Tradition und durch ihre Lebensumstände viel stärker zusammengehalten und hatten andererseits viel weniger Kontakte mit den geistigen Bewegungen der nichtjüdischen Umwelt. Deshalb stellte sich für sie kaum die Frage, ob sie sich der nicht-jüdischen Umwelt anpassen oder gar ihr Judentum aufgeben wollten. Wenn man auch nicht verkennen darf, daß sehr oft die Entwicklungen in einer kleinen, führenden Schicht allmählich für das Ganze Bedeutung erlangen, so wäre es doch ein Irrtum anzunehmen, daß die Bewegungen der Emanzipation und Assimilation in dieser Zeit das Judentum als Ganzes ergriffen hätten.

Antisemitismus

Die Geschichte des europäischen Judentums wäre vielleicht anders verlaufen, wenn die seit der Französischen Revolution erwachten Erwartungen und Hoffnungen sich erfüllt hätten, daß nunmehr in einer aufgeklärten Umwelt die Judenfeindschaft allmählich verschwinden würde. Das Gegenteil war jedoch der Fall. Die Judenfeindschaft nahm im 19. Jahrhundert neue Formen an und erreichte bald ein bisher nicht gekanntes Ausmaß.

Es zeigte sich jetzt, daß all die alten Vorurteile gegen die Juden nach wie vor weiter bestanden. So wurden z. B. im 19. Jahrhundert immer noch und mit erneuter Intensität die Behauptungen aufrechterhalten, daß die Juden aus religiösen Gründen Ritualmorde begingen, insbesondere an Kindern. Es entstand eine ganze Literatur, in der diese Beschuldigungen in ganzen Listen von angeblich bekanntgewordenen Ritualmorden gesammelt wurden In manchen Gegenden, insbesondere in Osteuropa, kam es geradezu zu einer Massenhysterie als Folge derartiger Behauptungen über Ritualmorde.

Neue Motive der Judenfeindschaft traten hinzu. Die Romantik hatte eine neue Betonung der nationalen Traditionen und der nationalen Eigenart der Völker mit sich gebracht. Insbesondere in Deutschland erwuchs daraus ein neues, oft überschwengliches Nationalgefühl, dessen Kehrseite eine betonte Fremden-feindschaft war. Der Kampf gegen Napoleon gab dieser Bewegung neue Impulse. Sie richtete sich vor allem auch deshalb zugleich gegen die Juden, weil sie mit der Idee eines christlichen Staates verbunden war. So er-wuchs hier eine neue Form einer spezifisch deutschen militanten Judenfeindschatt.

Wie häufig in früheren Zeiten waren es dann auch wieder wirtschaftliche Motive, die der Judenfeindschaft neuen Auftrieb gaben. Die Wirtschaftskrise der siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts führte zu einer allgemeinen Abkehr von den Ideen des wirtschaftlichen Liberalismus. Die Juden wurden in diesem Zusammenhang als Vertreter des Kapitals und des freien Unternehmertums zum besonderen Gegenstand der Kritik und der Feindschaft. Im deutschen Bürgertum wurde der Antisemitismus dadurch hoffähig, daß einige bedeutende und allgemein anerkannte Persönlichkeiten sich offen zu ihm bekannten. Hier ist vor allem der Historiker Heinrich von Treitschke zu nennen, der im Jahre 1879 in den angesehenen Preußischen Jahrbüchern drei Artikel veröffentlichte, die mit dem Satz endeten: „Die Juden sind unser Unglück." Er argumentierte vor allem mit der angeblich zu weit gehenden wirtschaftlichen Macht der Juden, mit ihrem Einfluß auf die Presse und tadelte schließlich ihre „gemütsrohe Kritik an deutsch-christlichen Einrichtungen". Er rief auch den Satz des Tacitus in Erinnerung, nach dem die Juden ein „odium generis humani" seien.

Im gleichen Jahr 1879 begann der kaiserliche Hofprediger Adolf Stöcker mit seinen antijüdischen Predigten. Bei ihm vermischten sich religiöse, nationalistische und antiliberale wirtschaftliche Argumente in der damals für das Bürgertum typischen Weise, (übrigens tauchte in dieser Zeit auch der Begriff „Antisemitismus" auf, den zuerst Wilhelm Marr verwendete.)

Schließlich trat als neues Element noch die pseudowissenschaftliche Rassentheorie hinzu, die dem Antisemitismus weiteren Auftrieb gab. Hier ist vor allem das Buch von Eugen Dühring „Die Judenfrage als Frage des Rassencharakters und seiner Schädlichkeiten für Existenz und Kultur" aus dem Jahre 1880 zu nennen. Es heißt dort: „Die Juden sind die übelste Ausprägung der ganzen semitischen Rasse zu einer besonders völkergefährlichen Nationalität." Und weiter: „Es ist der größere und ungeniertere Aneignungstrieb, der die Juden hat dazu gelangen lassen, aus allen Kanälen der Menschheit Geld herauszusaugen. Die wirtschaftliche Freiheit ist ihnen daher nur ein Mittel, um sich eine Art tatsächlichen Monopols zu schaffen und überhaupt ihre skrupellose Ausbeutungsfreiheit auszuüben.

. . . Sie bleiben eben in ihrer Gesamtheit ein einziger ewiger Jude, der im Hohnsprechen gegen alles Edlere vermöge seiner angestammten Natur beharrt. Darum gibt es gegen sie auch nur eine einzige Politik, nämlich die der äußerlichen Einschränkung, Einpferchung und Abschließung." Hier hat dann später Houston Stewart Chamberlain, der Schwiegerson Richard Wagners, mit seinen „Grund-lagen des 19. Jahrhunderts" angeknüpft, die die wesentlichen Argumente für die nationalsozialistische antijüdische Politik geliefert haben.

So wurden die Ansätze zu einer rechtlichen und bürgerlichen Gleichstellung der Juden durch den Antisemitismus wieder zunichte gemacht. Die Juden wurden von ihrer nicht-jüdischen Umgebung nicht nur nicht als gleichberechtigt anerkannt, sondern sie wurden wieder in zunehmendem Maße angefeindet und verfolgt. Selbst wenn es hie und da in aufgeklärten, humanistisch und kosmopolitisch gesonnenen Kreisen anders war, so zeichnete sich gegen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts überall eine rapide Verschlechterung der Stellung der Juden in der bürgerlichen Gesellschaft Europas ab.

Die Anfänge des modernen Zionismus

„Ein modernes Lexikon definiert den Zionismus als eine weltumspannende politische Bewegung, die 1897 von Theodor Herzl ins Leben gerufen wurde. Ebensogut könnte man sagen, der Sozialismus sei 1848 durch Karl Marx gegründet worden. Es ist gewiß schwierig, die Ursprünge einer großen Bewegung in einem einzigen Satz hinlänglich zu definieren. Der jüdischen nationalen Wiedergeburt, die im neunzehnten Jahrhundert stattfand und im politischen Zionismus gipfelte, gingen zahllose Aktivitäten und Veröffentlichungen, Pläne, Erklärungen und Versammlungen voraus. Tausende von Juden hatten sich bereits in Palästina niedergelassen, ehe noch Herzl an einen Judenstaat dachte. Diese Aktivitäten spielten sich in verschiedenen Ländern und auf verschiedenen Ebenen ab; es ist schwierig, sie zu klassifizieren, und fast unmöglich, sie auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen."

Mit diesem Zitat ist die komplexe Entstehungsgeschichte des modernen Zionismus treffend charakterisiert. Er ist nicht an einer einzelnen, bestimmten Stelle und aus einem einzelnen, bestimmten Anlaß heraus entstanden. Vielmehr hat die komplexe und widersprüchliche Situation der Juden in Europa im 19. Jahrhundert auch vielfältige und widersprüchliche Reaktionen hervorgerufen. Auf der einen Seite war es die Tendenz zur Assimilation, in der Juden danach strebten, sich möglichst vollständig von ihrer jüdischen Vergangenheit zu befreien. Auf der anderen Seite war es eine Rückbesinnung auf die Besonderheiten und Eigenarten des jüdischen Volkes, die als Gegenbewegung zu den natio-* nalistischen Ideen des 19. Jahrhunderts entstand und auch selbst vom Geist der Romantik beeinflußt war. Schließlich war es aber vor allem immer wieder die harte Wirklichkeit der Judenfeindschaft, der Diskriminierung, Unterdrückung und Verfolgung, die in vielen Juden das Bewußtsein neu erwachen ließ, wie es Moses Hess später über ein Erlebnis aus dem Jahre 1840 beschrieb, das ihn schmerzlich daran erinnert habe, „daß ich einem unglücklichen, verleumdeten, von aller Welt verlassenen, in allen Ländern zerstreuten, aber nicht getöteten Volke angehöre".

Moses Hess ist der wichtigste Vorläufer des modernen Zionismus. Er war zunächst bekannt geworden als einer derjenigen, die die theoretischen Grundlagen des modernen Sozialismus legten. Er hatte auch mit Marx und Engels zusammengearbeitet. In dieser Zeit hatte er sich weitgehend von der jüdischen Religion abgewandt und auch die These vertreten, daß das jüdische Volk sich auflösen müsse, damit aus seinem Untergang etwas Neues und für die Menschheit Wichtigeres hervorgehen könne. Schließlich kam Hess jedoch zu der Überzeugung, daß die volle Gleichberechtigung der Juden nicht zu erreichen sein würde. 1862 veröffentlichte er sein Buch „Rom und Jerusalem. Die letzte Nationalitätenfrage". Hier schrieb er: „Wir werden stets Fremde unter Nationen bleiben, die uns wohl aus Humanität und Rechtsgefühl emanzipieren, aber nie und nimmer achten werden, so lange wir das ubi bene ibi patria mit Hintansetzung unserer eigenen großen nationalen Erinnerung als Grund-und Glaubenssatz voranstellen. — Mag immerhin in den zivilisierten Ländern der religiöse Fanatismus unsere aufgeklärten Stammesgenossen nicht mehr mit seinem Haß verfolgen. Trotz aller Aufklärung und Emanzipation wird doch der Jude im Exil, der seine Nationalität verleugnet, nicht die Achtung der Nation gewinnen, in deren Mitte er lebt."

Hess vertrat zum ersten Mal in der Neuzeit den Gedanken, daß die Juden keine religiöse Gruppe, sondern eine eigene Nation seien. Er sah das Kernproblem der Juden in ihrer Heimatlosigkeit und hielt deshalb die Rückkehr nach Palästina und die Bildung eines eigenen Staates für die einzig mögliche Lösung. Der Staat sollte auf der Basis „mosaischer, das heißt sozialistischer Grundsätze (!)" arbeiten. Er war für Hess nicht Selbstzweck, sondern ein Weg zu der gerechten Gesellschaftsordnung, die alle Völker anstrebten.

Die unmittelbare Wirkung von Hess war gering. Er wurde von seinen Zeitgenossen vielfach heftig angegriffen, von der Mehrzahl aber gar nicht zur Kenntnis genommen. So kannte auch Theodor Herzl, als er 1896 sein Buch „Der Judenstaat" veröffentlichte, die Schriften von Moses Hess nicht. Gleichwohl ist Hess ein überaus wichtiger Zeuge für die geistigen und politischen Bewegungen, die sich im Judentum des 19. Jahrhunderts vollzogen. Während die äußere Lage der Juden in Mitteleuropa im 19. Jahrhundert aufs ganze gesehen erträglich, teilweise sogar gut war, lebten die Juden in Osteuropa unter denkbar schlechten und teilweise menschenunwürdigen Bedingungen. Die Juden mußten im zaristischen Rußland in bestimmten vorgeschriebenen Gebieten im westlichen Rußland, den so-genannten Ansiedlungsrayons, wohnen. Es war ihnen untersagt, in Dörfern zu leben, so daß sie sich in den Städten zusammendrängten. Ihre wirtschaftliche Lage war, von einigen wenigen wohlhabenden Juden abgesehen, mäßig oder schlecht. Die kleinen Handwerker wurden vielfach durch die Industrialisierung verdrängt. Viele Berufe waren ihnen überhaupt verschlossen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts lebte eine nicht geringe Zahl der Juden im zaristischen Rußland praktisch von der Hand in den Mund.

Vor allem aber hatten die Juden unter ständiger Feindschaft und häufig unter Verfolgungen zu leiden. Oft kam es spontan, nicht selten aber auch mit Billigung oder gar Förderung der Behörden, zu Pogromen (vom russischen Verbum pogromit „zerstören"). Besonders nach der Ermordung des Zars Alexander II. 1881 gab es überall im Zarenreich Pogrome großen Ausmaßes, denen zahlreiche Ju-den zum Opfer fielen. Viele Juden versuchten, Rußland zu verlassen, so daß eine große Auswanderungswelle entstand, deren Hauptziel Amerika war.

Das geistige und religiöse Leben der Juden in Osteuropa wurde im wesentlichen durch das Festhalten an der traditionellen jüdischen Überlieferung bestimmt. Jedoch hatte seit Beginn des 19. Jahrhunderts auch die jüdische Aufklärung, die Haskala, ihre Wirkung auf die Juden in Osteuropa nicht verfehlt. Hier führte sie allerdings nicht, wie in Deutschland und Westeuropa, zur Assimilation. Vielmehr erweckte sie das Bewußtsein der eigenen jüdischen Überlieferungen, vor allem der hebräischen Sprache und Literatur. Einer der Vorkämpfer dieser Bewegung war der hebräische Schriftsteller Perez Smolenskin, der immer wieder betonte, daß die Juden ein Volk seien, und zwar eine „geistige Nation", für die die Tora die Grundlage ihres Staatswesens sein müsse. Während er zunächst eine nationale jüdische Erneuerung in der Diaspora befürwortet hatte, trat er nach den Pogromen der frühen achtziger Jahre dafür ein, daß die Juden Rußland verlassen sollten, um nach Israel auszuwandern und dort landwirtschaftliche Kolonien zu gründen und damit „die wahre Einheit des jüdischen Volkes wiederherzustellen". Auch andere Schriftsteller und Intellektuelle vertraten ähnliche Gedanken. Vor allem nach den Pogromen von 1881 und den folgenden Jahren nahm der Gedanke der Auswanderung nach Palästina und der Gründung landwirtschaftlicher Siedlungen für viele immer greifbarere Formen an. So kam es in den Jahren ab 1882 zu einer ersten Einwanderungswelle (Alija) von einigen Tausend Juden nach Palästina, die nicht wie die Masse der Auswandernden in die Vereinigten Staaten von Amerika gingen. Hier wurde zum erstenmal in der Neuzeit die Zionssehnsucht in größerem Ausmaß in konkrete politische Wirklichkeit umgesetzt.

Als weiterer wichtiger Vorläufer des modernen Zionismus ist schließlich Leo Pinsker zu nennen. Von ihm stammt das Wort „Autoemanzipation", wie eine von ihm 1882 anonym veröffentlichte Schrift hieß; sie trug den Untertitel „Ein Mahnruf an seine Stammesgenos-sen, von einem russischen Juden". Pinsker ging, ähnlich wie vor ihm schon Moses Hess, von der Einsicht aus, daß es unmöglich sein würde, die Vorurteile und die Feindschaft der anderen Völker gegenüber den Juden abzubauen. Trotz der gesetzlichen Gleichstellung würden sie niemals als gleichwertig und gleichberechtigt anerkannt werden. Seine Analyse des Antisemitismus schloß mit den Worten: „So ist der Jude für die Lebenden ein Toter, für die Eingeborenen ein Fremder, für die Einheimischen ein Landstreicher, für die Besitzenden ein Bettler, für die Armen ein Ausbeuter und Millionär, für die Patrioten ein Vaterlandsloser, für alle Klassen ein verhaßter Konkurrent."

Pinsker forderte die Juden auf, sich selbst zu helfen. „Selbstbefreiung" sei das Gebot der Stunde. Dazu brauchten die Juden eine eigene Heimstätte, ein eigenes Land. Für Pinsker war es zunächst gleichgültig, wo dieses Land liegen würde. Erst später trat er dann entschieden für die Rückkehr nach Palästina ein und spielte schließlich eine führende Rolle bei den „Zionsfreunden" (Chowewe Zion), den Vorläufern des politischen Zionismus.

Die Zionsfreunde forderten auch weitere Einwanderungen nach Palästina und die Errichtung landwirtschaftlicher Siedlungen. Trotz vieler Schwierigkeiten, insbesondere auch Widerständen seitens der türkischen Regierung, gelang es in den folgenden Jahrzehnten einer ganzen Anzahl von vorwiegend russischen Juden, in Palästina landwirtschaftliche Siedlungen zu gründen. Gegen Ende des Jahrhunderts gab es insgesamt 21 solcher Siedlungen mit etwa 4 500 Einwohnern.

Dies alles zeigt, wie sich im 19. Jahrhundert, lange vor dem Auftreten Theodor Herzls, aus dem osteuropäischen Judentum heraus der moderne Zionismus als Ausdruck des jüdischen Selbstverständnisses entwickelte. Der Begriff „Zionismus" wurde übrigens zuerst von Nathan Birnbaum geprägt, der im Gefolge von Perez Smolenskin 1882 eine jüdische Studentenorganisation gründete.

Theodor Herzl

Theodor Herzl wurde 1860 in Budapest geboren. Nach einem Studium der Rechtswissenschaft in Wien widmete er sich mit geringem Erfolg der Schriftstellerei, wurde jedoch bald ein erfolgreicher Journalist. Er gehörte zu den assimilierten jüdischen Kreisen Wiens, für die ihre jüdische Herkunft keine besondere Rolle mehr spielte. Allerdings war er durch die Lektüre von Eugen Dührings Buch über die Judenfrage mit den Problemen des Antisemitismus in Berührung gekommen und hatte zudem auch eigene einschlägige Erfahrungen gemacht, als er im Jahre 1883 unter Protest aus einer Studentenverbindung austrat, in der sich judenfeindliche Tendenzen gezeigt hatten. Er vertrat die Auffassung, daß Emanzipation und Assimilation der Juden durch Taufe und Eheschließung mit nichtjüdischen Partnern konsequent zu Ende geführt werden müßten, um die Judenfrage endgültig aus der Welt zu schaffen.

Als Korrespondent der Wiener Neuen Freien Presse in Paris erlebte Herzl dann 1894 den Prozeß gegen den jüdischen Hauptmann Dreyfus mit. Dreyfus wurde wegen Landesverrat verurteilt, degradiert und auf die Teufelsinsel verbannt, obwohl seine Schuld keineswegs eindeutig erwiesen war. Der Prozeß brachte in einer bis dahin nicht gekannten Weise antisemitische Emotionen an den Tag. Herzl schrieb darüber in seinem Tagebuch: „Zum Zionisten hat mich nämlich — der Prozeß Dreyfus gemacht.. . Ich sehe den Angeklagten noch in seiner dunklen, verschnürten Artilieristenuniform in den Saal kommen, ich höre ihn noch seine Generalien abgeben: . Alfred Dreyfus, captaine d’artillerie', mit näselnder, gezierter Stimme. Und auch der Wut-schrei der Menge auf der Straße vor der Ecole Militaire, wo er degradiert wurde, gellt mir noch unvergeßlich in den Ohren: , ä mort! ä mort les juifs!'Tod allen Juden, weil dieser eine ein Verräter war! Aber war er wirklich ein Verräter? ...

Aber der Fall Dreyfus enthält mehr als einen Justizirrtum; er enthält den Wunsch der ungeheuren Mehrheit in Frankreich, einen Juden und in diesem Juden alle Juden zu verdammen. Tod den Juden! heulte die Menge, als man dem Hauptmann seine Tressen vom Waffenrock riß. Und seither ist das . Nieder mit den Juden!'ein Feldgeschrei geworden. Wo? In Frankreich! Im republikanischen, modernen, zivilisierten Frankreich, hundert Jahre nach der Erklärung der Menschenrechte .. .

Und da sind wir bei unserer Sache, da sind wir bei der geschichtlichen Lehre, die ein unbefangener Betrachter aus dem Falle Dreyfus ziehen mußte. Bis dahin hatten die meisten von uns geglaubt, die Lösung der Judenfrage sei von der allmählichen Entwicklung der Menschheit zur Duldung zu erwarten. Wenn aber ein im übrigen fortschreitendes, gewiß hochzivilisiertes Volk auf solche Wege gelangen konnte, was war von'anderen Völkern zu erhoffen, die noch heute nicht auf der Höhe sind, auf der die Franzosen bereits vor hundert Jahren hielten?"

Was hier in aller Klarheit ausgesprochen wurde, war die Einsicht, daß die Assimilation der Juden gescheitert sei, gescheitert an der unüberwindlichen Ablehnung, der sich die Juden in ihrer Umwelt gegenübersahen. Zwei Jahre später, 1896, veröffentlichte Theodor Herzl ein kleines Buch mit dem Titel „Der Judenstaat. Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage". Hier wurde diese Analyse von der gescheiterten Assimilation klar ausgesprochen:

„Wir haben überall ehrlich vesucht, in der uns umgebenden Volksgemeinschaft unterzugehen und nur den Glauben unserer Väter zu bewahren. Man läßt es nicht zu. Vergebens sind wir treue und an manchen Orten sogar überschwengliche Patrioten, vergebens bemühen wir uns, den Ruhm unserer Vaterländer in Künsten und Wissenschaften, ihren Reichtum durch Handel und Verkehr zu erhöhen. In unseren Vaterländern, in denen wir ja auch schon seit Jahrhunderten wohnen, werden wir als Fremdlinge ausgeschrien; oft von solchen, deren Geschlechter noch nicht im Lande waren, als unsere Väter da schon seufzten. Wer der Fremde im Lande ist, das kann die Mehrheit entscheiden; es ist eine Machtfrage."

Was Herzl in diesem Buch ausführte, war keineswegs neu. Er selbst war sich des Zusammenhangs mit der langen jüdischen Tradition bewußt, wenn er die Schrift mit dem Satz begann: „Der Gedanke, den ich in dieser Schrift ausführe, ist ein uralter, es ist die Herstellung des Judenstaates." Andererseits ist es kennzeichnend für die damalige Situation des Zionismus, daß Herzl von seinen Vorläufern wie Moses Hess, Leo Pinsker und Nathan Birnbaum keine Kenntnis hatte. Dennoch verband sich nun der von ihm ausgehende neue Impuls mit den Erwartungen und Hoffnungen, die in vielen Orten lebendig waren. Obwohl Herzl bis dahin in Zionistenkreisen ein Unbekannter war, gelang es ihm in kurzer Zeit, die Führungsrolle zu übernehmen. Das wichtigste Ergebnis seiner Bemühungen war der erste Zionistenkongreß, der am 29. August 1897 in Basel eröffnet wurde. Trotz der vielfältigen und einander häufig widerstrebenden Kräfte, die in der zionistischen Bewegung vorhanden waren, verabschiedete der Kongreß ein offizielles Programm: „Der Zionismus erstrebt für das jüdische Volk die Schaffung einer öffentlich-rechtlich gesicherten Heimstätte in Palästina. Zur Erreichung dieses Zieles nimmt der Kongreß folgende Mittel in Aussicht:

1. Die zweckdienliche Förderung der Besiedlung Palästinas mit jüdischen Ackerbauern, Handwerkern, Gewerbetreibenden.

2. Die Gliederung und Zusammenfassung der gesamten Judenschaft durch geeignete örtliche und allgemeine Veranstaltungen nach den Landesgesetzen.

3. Die Stärkung des jüdischen Volksgefühls und Volksbewußtseins.

4. Vorbereitende Schritte zur Erlangung der Regierungszustimmungen, die nötig sind, um das Ziel des Zionismus zu erreichen."

Herzl notierte nach dem Kongreß in sein Tagebuch: „Fasse ich den Basler Kongreß in einem Wort zusammen — das ich mich hüten werde, öffentlich auszusprechen —, so ist es dieses: In Basel habe ich den Judenstaat gegründet. Wenn ich das heute laut sagte, würde mir ein universelles Gelächter antworten. Vielleicht in fünf Jahren, jedenfalls in fünfzig wird es jeder einsehen."

In der Tat war mit dem Basler Kongreß der Weg beschritten, der gut fünfzig Jahre später, am 14. Mai 1948, mit der Proklamation des Staates Israel zu seinem Ziel kam.

Was ist Zionismus?

Es geht in diesem Aufsatz in erster Linie um die Frage „Was ist Zionismus?", d. h. um den Versuch, angesichts der neu entstandenen in-ternationalen Diskussion die Ursprünge und das Wesen des Zionismus zu erhellen. Wir haben deshalb versucht, die Geschichte des jüdischen Volkes nachzuzeichnen unter der Fragestellung, welche geistigen, religiösen und politischen Kräfte in ihr wirksam waren und wie sich diese zum modernen Zionismus verhalten. Wir haben versucht zu zeigen, wie die Einheit von Religion, Volk und Land für den größten Teil der Geschichte des jüdischen Volkes bestimmend war. Erst in der Neuzeit wurde diese Einheit in Frage gestellt. Aber es erwies sich als unmöglich, die „Judenfrage" durch Assimilation des jüdischen Volkes in seine Umwelt zu lösen. Deshalb setzten sich die ursprünglichen Grundelemente des jüdischen Selbstverständnisses wieder durch, wenn auch teilweise in veränderter, neuzeitlicher Gestalt.

Hier bleibt also als erstes festzuhalten, daß der Zionismus aus der Geschichte des jüdischen Volkes heraus erwachsen ist. Es wird oft behauptet, daß das Judentum eigentlich nur eine Religion sei und daß die zionistische Ideologie es künstlich zu einer politischen Größe gemacht habe. Wir haben versucht zu zeigen, daß dies nicht zutrifft, sondern daß im Gegenteil ein Verständnis des Judentums als bloßer Religion nur sehr partiell im mitteleuropäischen Judentum des 19. und 20. Jahrhunderts bestanden hat. Auf die Geschichte des Judentums insgesamt gesehen muß dies eher als eine Episode erscheinen.

Weiterhin bleibt festzuhalten, daß sich der Zionismus von seinem Ursprung und Wesen her nicht gegen irgend jemand anders wendet. Der moderne Zionismus ist vielmehr eine Wiederbesinnung des jüdischen Volkes auf sich selbst, eine nationale Emanzipations-und Befreiungsbewegung, die allerdings unter ganz besonderen Voraussetzungen stand. Sie enthielt jedoch keinerlei Wendung nach außen, ja nicht einmal irgendeine Abgrenzung gegen die Angehörigen anderer Völker, Nationen oder Gruppen. Vielmehr ist der Zionismus selbst als Abwehr gegen solche Abgrenzungen, genauer gesagt: als Abwehr gegen rassistische Diskriminierung entstanden. Denn der moderne pseudowissenschaftliche Rassen-begriff ist ja zuerst in militanter und höchst folgenreicher Weise gegen die Juden angewendet worden. Der Zionismus ist u. a. auch als Antwort darauf zu verstehen.

Fragen an die zionistische Praxis Allerdings stellt sich nun noch einmal die Frage, wie es denn zu dem Vorwurf kommen konnte, daß der Zionismus Rassismus und eine Form rassischer Diskriminierung sei. Damit ist konkret die Frage nach dem Verhältnis des Zionismus bzw.der zionistischen Juden zu den arabischen Bewohnern Palästinas gestellt. Diese Frage kann hier nicht mehr ausführlich behandelt werden, jedoch sollen noch einige der wichtigsten Fragen formuliert werden. Dabei bleibt noch einmal festzuhalten, daß es dabei nicht um das Wesen und das Selbstverständnis des Zionismus geht.

Die Theoretiker des Zionismus haben sich in der ersten Zeit über die Frage des Verhältnisses zu den arabischen Bewohnern Palästinas wenig Gedanken gemacht. Das Problem tauchte nur gelegentlich auf, wurde aber nie ausführlich diskutiert. Im Rückblick muß dies als ein grundlegendes Versäumnis erscheinen, das sehr weitreichende Konsequenzen gehabt hat. In der damaligen politischen Situation ging es jedoch in erster Linie darum, von der jeweils herrschenden Macht die Erlaubnis zur Ansiedlung zu erhalten. Dies war zunächst die türkische Regierung, später dann die britische Mandatsmacht.

Die Juden haben dabei vor allem auf die Zusage vertraut, die ihnen von der britischen Regierung gegeben worden war. Grundlegend dafür ist die sogenannte Balfour-Deklaration. Es handelt sich dabei um ein offizielles Schreiben, das der britische Außenminister Arthur James Balfour am 2. November 1917 an Lord Rothschild richtete. Das Schreiben hat folgenden Wortlaut:

„Mein lieber Lord Rothschild!

Es ist mir ein großes Vergnügen, Ihnen namens der Regierung Seiner Majestät die folgende Sympathie-Erklärung für die jüdisch-zionistischen Bestrebungen zu übermitteln, die dem Kabinett unterbreitet und von ihm gebilligt worden ist:

, Die Regierung Seiner Majestät betrachtet die Schaffung einer nationalen Heimstätte in Palästina für das jüdische Volk mit Wohlwollen und wird die größten Anstrengungen machen, um die Erreichung dieses Zieles zu erleichtern, wobei es sich versteht, daß nichts getan werden soll, was die bürgerlichen und religiösen Rechte bestehender nichtjüdischer Gemeinschaften in Palästina oder die Rechte und die politische Stellung der Juden in irgendeinem anderen Lande beeinträchtigen könnte.'"

Die Juden sahen hierin die Zusage, daß die britische Regierung ihnen bei der Verwirklichung ihres Zieles der Schaffung einer öffentlich-rechtlich gesicherten Heimstätte in Palästina, die schon der Basler Kongreß von 1897 als Ziel ins Auge gefaßt hatte, helfen wollten. Zugleich konnten sie der Erklärung entnehmen, daß die britische Regierung ihrerseits dafür sorgen würde, daß nicht die Rechte anderer Gemeinschaften, d. h. natürlich insbesondere der palästinensischen Araber, beeinträchtigt würden. Gleichwohl wird man fragen müssen, ob die Juden alles in ihren Kräften Stehende getan haben, um dieses Problem zu lösen. Allerdings wird man sofort hinzufügen müssen, daß die Bereitschaft von arabischer Seite, zu einem Ausgleich mit den Juden zu kommen, kaum vorhanden war. Zunächst gab es praktisch keine autorisierten Gesprächspartner, da die palästinensischen Araber in der Zeit der türkischen Herrschaft nicht über eine eigene Vertretung verfügten. Später bildete sich ein arabischer Nationalismus heraus, der vielfach mit einem Standpunkt des „Alles oder Nichts" jegliche Verhandlungen mit den Juden über eine friedliche Koexistenz ablehnte.

Man wird auch nicht verkennen dürfen, daß dies weithin heute noch gilt. Die Formel von einem säkularen Staat, in dem Juden, Christen und Moslems gleichberechtigt nebeneinander leben, setzt ja zunächst die Auflösung des jüdischen Staates voraus. Damit verstößt sie aber auch gegen den Beschluß der Vereinten Nationen vom November 1947, mit dem die Teilung Palästinas in einen jüdischen und einen arabischen Staat beschlossen worden war. Diese Teilung erschien damals als die einzige Lösung und läßt sich historisch nicht rückgängig machen.

Ein weiterer Vorwurf, der häufig gegen die Zionisten erhoben wird, ist die Behandlung der arabischen Minderheit in Israel. Hierzu wird man sagen müssen, daß in der ersten Zeit des Bestehens des Staates Israel in der Tat in dem Vorhandensein des arabischen Bevölkerungsteils in bestimmten Gebieten des Landes ein großes Sicherheitsrisiko gesehen wurde. Deshalb unterlagen die arabischen Bewohner zunächst sehr erheblichen Einschränkungen und Kontrollen. Allerdings wurden diese Einschränkungen in den sechziger Jahren mehr und mehr zurückgenommen und schließlich kurz vor dem Krieg von 1967 ganz aufgehoben. Im übrigen ist zu sagen, daß die Lage der arabischen Bevölkerung in Israel in wirtschaftlicher Hinsicht sowie im Blick auf Bildungs-und Gesundheitswesen und Aufstiegschancen wesentlich besser war und ist als in den arabischen Nachbarländern.

Gleichwohl ist es bisher nicht zu einer vollen Integration der arabischen Bevölkerung gekommen. Neue Probleme haben sich durch die Situation nach dem Krieg von 1967 ergeben. Durch die Eroberung großer arabischer Gebiete kamen die Israeli jetzt in die Situation der Besatzungsmacht. Obwohl die Besatzungspolitik zweifellos vergleichsweise liberal ist, entstand hieraus doch das Bild vom „häßlichen Israeli", dem Eroberer und Besetzer, der die Angehörigen eines anderen Volkes unterdrückt. Wie auch immer hier im einzelnen die Probleme liegen mögen, man wird dazu mit aller Deutlichkeit feststellen müssen, daß sie mit dem Problem des Zionismus schlechterdings nichts zu tun haben. Es handelt sich hier sozusagen um „normale" Probleme, die bei einer vergleichbaren politisch-militärischen Situation überall in der Welt entstehen. Ein anderes Problem hat allerdings durchaus etwas mit dem Wesen des Zionismus zu tun: Seit dem Krieg von 1973 ist die Diskussion über die Rückgabe der seit 1967 besetzten Gebiete voll entflammt. Hier zeigt sich nun, daß ein kleiner Teil der israelischen Bevölkerung bis in die Regierung hinein aus nationalen oder religiösen Gründen (oder aus einer Verbindung von beiden) die ehemals jordanischen Gebiete der sogenannten West Bank nicht zurückgeben will. Das Hauptargument hierfür ist die Tatsache, daß es sich bei diesen Gebieten um Teile des Landes handelt, das in biblischer Zeit vom jüdischen Volk bewohnt wurde und in dem es auch ein jüdisches Staatswesen gab. Hier entsteht eine sehr ernste Frage an den Zionismus: Ob er aufgrund historisch-ideologischer Postulate politische Fakten schaffen will, die nicht für eine Friedensregelung zur Diskussion gestellt werden können. Die Auffassung des Verfassers zu dieser Frage ist eindeutig: Aus dem Wesen des Zionismus heraus läßt sich kein Anspruch auf den staatsrechtlichen Besitz bestimmter Teile des Landes erheben. Die Teilung des Landes aufgrund des UNO-Beschlus-ses von 1947 und die Errichtung des Staates Israel in dem einen Teil ist eine Einlösung des zionistischen Anspruches auf eine öffentlich-rechtlich gesicherte nationale Heimstätte der Juden in Palästina, die den politischen Gegebenheiten Rechnung trägt. So ist es auch von der zionistischen Staatsführung bis 1967 stets betrachtet worden. Es gibt keinerlei einsichtige Gründe dafür, diesen Standpunkt nachträglich zu revidieren. Es bleibt zu hoffen, daß die israelische Regierung sich gegenüber derartigen Bestrebungen durchsetzen kann.

Einige Bemerkungen zur UN-Resolution über den Zionismus

Abschließend seien noch einige Bemerkungen zur UN-Resolution gemacht, nach der Zionismus Rassismus und eine Form von rassischer Diskrimination sei. Es wurde schon einleitend festgestellt, daß diese Resolution offenkundig in Wirklichkeit nicht den Zionismus meint und schon gar nicht als eine ernst zu nehmende Definition des Wesens des Zionismus verstanden werden kann, sondern daß sie die politische Praxis des Staates Israel betrifft. Insofern ist sie nur aus der besonderen politischen Lage im Nahen Osten heraus zu verstehen.

Voraussetzung für das Zustandekommen dieser Resolution ist das Zusammentreffen einer ganzen Reihe von Faktoren. Zunächst handelt es sich scheinbar um einen sehr begrenzten territorialen Konfliktpunkt. Dieser erhält jedoch durch den besonderen Charakter der Beteiligten ganz andere Dimensionen. Auf der einen Seite stehen als Konfliktpartner „die Araber". Das bedeutet, daß nicht nur die unmittelbar betroffenen Palästinenser und die angrenzenden arabischen Staaten Ägypten, Jordanien, Syrien und Libanon als Konflikt-partner in Erscheinung treten, sondern darüber hinaus die gesamte arabische Welt. Hier zeigt sich das interessante und schwierige Problem des Verhältnisses der Idee einer arabischen Nation zu den einzelnen Nationalitäten der arabischen Staaten. In diesem Konflikt verstehen sich jedoch alle Araber trotz höchst unterschiedlicher Interessen im einzelnen als Einheit gegenüber dem gemeinsamen Feind Israel.

Der Kreis wird noch weiter, weil die arabische Welt in die islamische Welt übergeht. Vielfach wird hier fast eine Identität gesehen; jedoch gehört eine Anzahl nichtarabischer Staaten zur islamischen Welt, so daß auf diese Weise der Kreis der mittelbaren Konfliktgegner Israels weit nach Afrika und Ostasien hinreinreicht.

Weiterhin überschneiden sich die Kreise wiederum mit jenen der Dritten Welt und der Entwicklungsländer. Viele Jahre hindurch haben afrikanische Staaten von Israel technische Entwicklungshilfe in Anspruch genommen. Seit 1967 haben die meisten aber die Solidarität mit den arabischen Staaten über ihre Beziehungen zu Israel gestellt und sich in die anti-israelische Front eingereiht.

Schließlich kommt die traditionelle Blockbildung in der heutigen Welt hinzu, die dazu führt, daß der gesamte Ostblock sich auf die Seite der politischen Gegner Israels stellt.

Diese Konstellation ergibt eine Situation, in der eine anti-israelische Resolution in der UN-Vollversammlung eine Mehrheit findet ohne Rücksicht auf ihren Inhalt. Deshalb kann man die Zionismus-Resolution nicht als eine Aussage über das Wesen des Zionismus verstehen — woher sollte auch die UN-Vollversammlung die Kompetenz zu derartigen Definitionen nehmen?

Die Resolution erhält aber noch ihre besondere Bedeutung dadurch, daß auch der andere Konfliktpartner nicht nur der Staat Israel ist. Die Resolution spricht nicht von der israelischen Politik — obwohl sie diese in Wirklichkeit meint—, sondern vom Zionismus. Es ist kaum vorstellbar, daß die für die Formulierung und das Einbringen der Resolution Verantwortlichen sich nicht dessen bewußt gewesen wären, daß der Zionismus eine Bewegung ist, die weit über den Staat Israel hinausgreift und praktisch im gesamten Judentum in der Welt verwurzelt ist. Insofern trifft die Verurteilung nicht nur den Staat Israel, sondern den größten Teil des jüdischen Volkes, der in seinem Selbstverständnis „zionistisch" ist.

Die häufig geäußerte Auffassung, daß der Antizionismus eine neue Form von Antisemitismus sei, ist deshalb zumindest teilweise berechtigt. Es mag zwar zutreffen, daß vielen einzelnen, die antizionistisch reden und handeln, dieser Zusammenhang nicht immer voll bewußt ist. Es besteht aber kein Zweifel daran, daß Antizionismus sich immer faktisch gegen einen großen Teil des gesamten jüdischen Volkes richtet. Für viele Juden in der Welt ist der Staat Israel, auch wenn sie selbst nicht dort leben, inzwischen zu einer geistigen Heimat geworden, der sie sich zugehörig fühlen.

Darin zeigt sich noch einmal der besondere Charakter des Zionismus: Er ist eine Bewegung, die aus der Geschichte des jüdischen Volkes herausgewachsen ist und die sich deshalb nicht vom jüdischen Volk in seiner Gesamtheit trennen läßt. Der Gang der Geschichte hat es mit sich gebracht, daß ein Eintreten gegen die Existenz des Staates Israel sich zugleich gegen das jüdische Volk im ganzen richtet.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Volk — Nation — Vaterland. Der deutsche Protestantismus und der Nationalismus, hrsg. von H. Zilleßen, 1970, S. 17.

  2. Vgl. dazu K. H. Rengstorf und S. von Kortzfleisch (Hrsg.), Kirche und Synagoge. Handbuch zur Geschichte von Christen und Juden, Darstellung mit Quellen, 2 Bände, 1968 und 1970.

  3. Aus der Fülle der Literatur seien hier genannt: K. Thieme (Hrsg.), Judenfeindschaft. Darstellung und Analysen, 1963; FI. Huss und A. Schröder (Hrsg.), Antisemitismus. Zur Pathologie der bürgerlichen Gesellschaft, 1965; S. Lehr, Antisemitismus — religiöse Motive im sozialen Vorurteil. Aus der Früh-geschichte des Antisemitismus in Deutschland 1870 bis 1914, 1974.

  4. W. Laqueur, Der Weg zum Staat Israel. Geschichte des Zionismus, deutsch 1975; Zitat S. 19. Dieses Buch kann als eines der grundlegenden Werke über den Zionismus gelten.

  5. Vgl. Laqueur, a. a. O., S. 24.

  6. Laqueur, a. a. O., S. 34.

  7. G. Scholem, Wider den Mythos vom deutsch-jüdischen Gespräch, in: Auf gespaltenem Pfad. Zum 90. Geburtstag von Margarete Susman, hrsg. von Manfred Schlösser, 1964, S. 229— 232; wieder abgedruckt, in: Bulletin des Leo-Baeck-Instituts, Heft 27 (7. Jahrgang, 1964), S. 278— 281.

  8. Vgl. dazu S. Lehr (s. o. Anm. 3), S. 52 ff.

  9. Vgi. K. Salier, Die biologisch motivierte Juden-feindschaft, in: K. Thieme, Judenfeindschaft (s. o., Anm. 3), S. 180— 208.

  10. Laqueur, a. a. O., S. 57; vgl. zum folgenden auch Hermann Meier-Cronemeyer, Geschichte der jüdischen Nationalbewegung, in: H. Meier-Cronemeyer, U. Kusche, R. Rendtorff, Israel in Nahost, 19753, S. 9— 64.

  11. Zitat nach Laqueur, a. a. O., S. 66 ff.

  12. Zit. nach Abba Eban, Dies ist mein Volk. Die Geschichte der Juden, deutsch 1970, S. 238 f.

Weitere Inhalte

Rolf Rendtorff, Dr. theol., geb. 1925 in Preetz/Holstein; nach dem Krieg Studium der Theologie in Kiel, Bethel, Göttingen und Heidelberg; seit 1963 Professor für Alttestamentliche Theologie an der Universität Heidelberg; 1970— 1972 Rektor der Universität. — Mitbegründer und Vizepräsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (seit 1966); Vorsitzender der Studienkommission Kirche und Judentum der Evangelischen Kirche in Deutschland; Mitglied des Council of the World Union of Jewish Studies. Zahlreiche Veröffentlichungen auf dem Gebiet der alttestamentlichen Wissenschaft; ferner gemeinsam mit H. Meier-Cronemeyer und U. Kusche: Israel in Nahost, 3. Aufl. 1975 (darin: Religion und Gesellschaft in Israel); Israel und sein Land, 1975.