I. Einführung
Als im Oktober 1968 die Militärs in Peru die Macht übernahmen, wurde dieser Vorgang überall (auch zunächst in Peru selbst!) als ein weiterer Fall in der endlosen Serie lateinamerikanischer Militärputsche angesehen. Die dem Text nach aufsehenerregenden ersten Verlautbarungen der neuen Regierung wurden als rhetorische Deklamationen abgetan, die doch nur verschleiern sollten, daß erneut eine fortschrittliche Regierung von den (konservativen) Militärs im höheren Auftrag der konservativen herrschenden Klassen beseitigt worden war. War diese Einschätzung lateinamerikanischer Militärputsche schon in früheren Fällen gelegentlich zumindest oberflächlich gewesen so erwies sie sich im Falle Perus 1968 als grundsätzlich falsch. Die erklärte Absicht der Militärs, „die politischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Strukturen des Landes zu verändern, eine betont nationalistische Politik zu betreiben, sowie das Prinzip der Auterität, den Respekt vor dem Gesetz, die Beachtung des Rechtes wiederherzustellen und die Moral auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens zu gewährleisten" zunächst von der peruanischen Oligarchie als wohlklingend, aber unrealistisch und deshalb ungefährlich belächelt, erwies sich schon sehr bald als ernst zu nehmende Regierungserklärung — zumal, nachdem deutlich geworden war, was die neue Regierung unter „Veränderung der politischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Strukturen“ verstand: Agrarreform, Veränderung des gesamten Wirtschaftssystems na-tionalistische Rohstoffpolitik, neutrale (nicht notwendigerweise neutralistische!) Außenpolitik. Das neue Regime hob sich damit von der gestürzten Regierung Belaünde deutlich ab, die keineswegs so fortschrittlich war, wie sie vor allem die europäische Presse nach Belaündes Wahlsieg 1963 dargestellt hatte. Zudem hatten ein halbes Dutzend Regierungskrisen innerhalb der beiden letzten Jahre eine Welle von Finanzskandalen und schließlich die von den meisten politisch Interessierten in Peru als Unterwerfung unter das Diktat der International Petroleum Company (Tochtergesellschaft der Standard Oil of New Jersey)
gewertete Übereinkunft über die Olkonzessio-nen vor der peruanischen Nordküste (La Brea y Parinas) die Regierung Belaünde in einer Weise diskreditiert, daß der Übernahme der Macht durch die Streitkräfte faktisch keinerlei Widerstand entgegengesetzt wurde. Die Mehrheit der Bevölkerung — ohnehin desillusioniert von der Diskrepanz zwischen Versprechungen und tatsächlichen Leistungen der Regierung Belaünde — stand der Machtübernahme durch die Militärs gleichgültig gegenüber. Von Teilen der Mittelschicht wurde die Entscheidung der Militärs sogar begrüßt, erwartete man doch zumindest, daß es der neuen Regierung gelingen würde, Ordnung in die chaotische innenpolitische Situation zu bringen und die zu einem öffentlichen Skandal ausgewucherte Korruption einzudämmen. Bei der Machtübernahme wies Peru alle Merkmale eines typischen Entwicklungslandes auf:
— Der landwirtschaftliche Besitz war in der Hand weniger Familien konzentriert. Nur 0, 4 °/o der Eigentümer verfügten über 74 °/o, 89% der Eigentümer über weniger als 10% der landwirtschaftlichen Nutzfläche Die Landarbeiterschaft in den Latifundien wurde in rücksichtsloser Weise ausgebeutet. Verpachtung und Unterverpachtung von Land gegen Abtretung eines Teils der Ernte und Arbeitsverpflichtung auf dem „Hauptgut" waren an der Tagesordnung. Die Bauernaufstände und die anschließende Guerilla (bis 1965) hatten nur geringfügige Verbesserungen gebracht Der Versuch einer Agrarreform unter der Regierung Belaünde war — nicht zuletzt aufgrund des Widerstandes der sich als sozialdemokratisch verstehenden, aber weit nach rechts abgerutschten APRA Haya de la Torres — in den Ansätzen stecken geblieben
— Die industrielle Produktion des Landes wurde weitgehend von ausländischen Unternehmen kontrolliert. Bergbau (drei US-Unternehmen kontrollierten 85 °/o der Mineralförderung), Petroleumförderung (ein US-Unternehmen kontrollierte 75 °/o der Petroleumförderung) und seit Beginn der sechziger Jahre auch die Fischereiindustrie befanden sich nahezu ausschließlich in ausländischer Hand — Die Massenmedien wurden von weniger als zehn Familienclans kontrolliert, die allesamt auch über Interessen im Agrar-und Industriebereich verfügten und darüber hinaus mit ausländischen Interessengruppen liiert waren
— Die „repräsentative Demokratie", die Peru seiner Verfassung nach darstellt, hatte nie mit den Realitäten übereingestimmt. Der Ausschluß der Analphabeten vom Wahlrecht und die Einschreibungspflicht ins Wahlregister (die von den Behörden bei unliebsamen Bewerbern oft verweigert oder verzögert wurde) hatten noch 1963 (bei den letzten Wahlen) dazu geführt, daß nur ca. 2 Millionen Personen das Wahlrecht besaßen (bei knapp 6 Millionen Menschen im Alter von über 21 Jahren). Die starken Abhängigkeiten im Agrarbereich (bei Gegenstimmen gegen den „offiziellen Kandidaten" mußte mit Sanktionen der Großgrundbesitzer gerechnet werden), aber auch im industriellen Sektor, machten die „Freiheit der Wahlentscheidung" zur Farce.
II. Die Politik der „Revolutionsregierung der Streitkräfte" — Strukturreformen in allen Bereichen
Um die Erklärungen des Manifestes der Streitkräfte zu erfüllen und einen „peruanischen Sozialismus" — unabhängig und verschieden von Kapitalismus und Kommunismus — zu schaffen, mußten zunächst die bestehenden oligarchischen Strukturen aufgebrochen und die starke Abhängigkeit von ausländischen Interessen abgebaut werden, um dann eine Politik zugunsten der benachteiligten Massen und mit deren aktiver Beteiligung betreiben zu können. Dieses Endziel ist sicher auch heute — mehr als sieben Jahre nach dem Beginn der Revolution — erst in bescheidenen Ansätzen erreicht.
Zunächst schaffte das Revolutionsstatut alle Wahlen ab und verurteilte damit die Methoden der klassischen politischen Manipulation zur Wirkungslosigkeit. Die Streitkräfte machten deutlich, daß sie an der Macht zu bleiben gedächten, bis die Transformation des Staates abgeschlossen sei; entgegen ott geäußerter Meinungen schlossen sie jedoch die Beteiligung zivilen Personals an der Regierung nur für das Amt des Präsidenten und die als oberstes Regierungsorgan fungierende Junta Re-volucionaria aus Im folgenden sollen die Ansätze zur Veränderung der ökonomischen und sozialen Strukturen kurz zusammenhängend dargestellt und im Anschluß daran das Problem der politischen Verankerung des neuen Systems diskutiert werden. Die Beschreibung dieser Reformmaßnahmen machen den Unterschied zwischen der peruanischen Militärregierung (die nicht zu Unrecht als linke Militärregierung beschrieben worden ist) und den Regierungen z. B. Brasiliens, Chiles oder Paraguays deutlich, die allesamt zum „klassischen Typ lateinamerikanischer Militärdiktaturen" gerechnet werden müssen, bei denen „Reformen" vor allem auf Erhaltung oder Wiederherstellung des Status quo hinauslaufen. 1. Agrarreform Die peruanische Agrarreform von 1969 muß als eine der radikalsten Reformen angesehen werden, die bis heute in Lateinamerika durchgeführt worden sind Grundmotto der Reform war das Ziel, demjenigen das Eigentum an Land zu übertragen, der es bearbeitet Gleichzeitig wurde das Konzept des Staatseigentums als kommunistisches Modell ebenso abgelehnt wie das Konzept des individuellen Eigentums als kapitalistisches Modell. Diese letzte Alternative war durch die starken Produktionseinbußen, die die entsprechenden Reformen in Bolivien nach 1953 und Chile seit 1964 verursacht hatten, diskreditiert. Deswegen sollten — soweit wie möglich — bestehende Produktionseinheiten erhalten und in Form assoziativer Unternehmen im Eigentum aller Mitglieder weitergeführt werden. Anders als bei den schüchternen Reformversuchen nach 1956 — Regierung Prado, Militärregierung unter General Godoy 1962/63 nach den annullierten Wahlen von 1962 und schließ-lieh Regierung Belaünde, die zwar ein Agrarreformgesetz erließ, aber wenig Anstalten gemacht hatte, es auch durchzuführen — sollten keine Ausnahmeregelungen Gültigkeit haben, d. h. auch die sogenannten „agro-industriellen Komplexe" (Zuckerrohranbau) der Nordküste sollten betroffen sein. Für kleinere und mittlere Landbetriebe sollten lediglich Höchst-grenzen festgesetzt werden, die je nach Lage und Produktionsbedingungen (regelmäßige, unregelmäßige, fehlende Bewässerung, Weideland etc.) unterschiedlich waren Die ungeheuere Bedeutung dieser Reform wird durch die Tatsache verdeutlicht, daß mehr als die Hälfte der peruanischen Bevölkerung auf dem Lande lebt und von der Landwirtschaft abhängig ist
Aller Agrarbesitz oberhalb der festgelegten Höchstgrenzen wurde enteignet, die Entschädigung neben einer geringfügigen Barausschüttung in Staatspapieren geleistet, die mit 6 °/o, 5 °/o oder 4 0/0 (je nach Gesamtsumme) verzinst und in 30, 25 oder 20 Jahren amortisiert werden. Lediglich der Viehbestand wurde in bar abgegolten. Bei der Bewertung des enteigneten Landes wurde auch die Selbsteinschätzung der ehemaligen Eigentümer für Steuerzwecke herangezogen, so daß Steuerhinterziehung durch Unterbewertung durch niedrigere Entschädigungen bestraft wurde Die Agrarreform wurde phasenweise in den 13 Agrarzonen des Landes durchgeführt, da für eine kurzfristige Verwirklichung weder ausreichend Mittel im Staatshaushalt bereitstanden noch genügend Personal der Agrarreformbehörde vorhanden war. Dabei wurden zunächst die agrarindustriellen Komplexe im nördlichen Küstenstreifen betroffen Die Gesamtplanung ging von 10 Millionen ha zu enteignenden Landes aus, die — in ver-schiedenen Eigentumsformen — an rund 340 000 bäuerliche Familien verteilt werden sollten. Der Verteilungsprozeß sollte bis Dezember 1975 abgeschlossen sein; dieses Datum mußte aber um ein weiteres Jahr verschoben werden. Bislang deutet alles darauf hin, daß auch bis zu diesem Termin die Planung nicht voll eingehalten werden kann, da die ursprüngliche Schätzung des zur Verfügung stehenden Landes mangels zuverlässiger Unterlagen wohl zu hoch ausgefallen war. Bis März 1975 waren 6, 7 Millionen ha enteignet, von denen 5, 3 Millionen ha bereits an die neuen Eigentümer zugeteilt worden waren Davon wurden 86 °/o assoziativen Unternehmen, der Rest Einzelfamilien (2, 5 °/o) und Klein-gruppen ländlicher Produzenten (ll, 5°/o) übergeben. Eine individuelle Zuteilung erfolgte nur dort, wo aus geographischen Gründen die Schaffung größerer und damit leistungsfähigerer Produktionseinheiten nicht möglich war. Die wichtigsten assoziativen Produktionsformen sind agrarische Produktionsgenossenschaften (Cooperativas Agrarias de Producciön — CAP's), gemeinwirtschaftliche Agrargesellschaften (Sociedades Agricolas de Interes Social — SAIS) und Landgemeinden (Comunidades Campesinas). Zu Beginn der Agrarreform war der Schaffung von Produktionsgenossenschaften höchste Priorität eingeräumt worden. Die Umwandlung der zehn großen Zuckerhazienden an der Nordküste in Produktionsgenossenschaften hatte die ökonomische Lage der früheren Arbeitskräfte und jetzigen Eigentümer in geradezu dramatischer Weise verbessert. Die Durchführung war problemlos gewesen, da lediglich die Unternehmensform bereits bestehender leistungsfähiger Großbetriebe verändert werden mußte. Trotz der Rückzahlungsverpflichtung der Agrarschuld konnten einige dieser Unternehmen jährliche Gewinnüberschüsse auszahlen, die dem vollen Jahresgehalt eines Landarbeiters entsprachen. Politisch erwies sich diese Maßnahme jedoch als folgenschwerer Fehlschlag. Die Genossenschaftsmitglieder verwandelten sich in eine neue privilegierte Schicht, deren Einkommen einem Mehrfachen des durchschnittlichen
Einkommens auf dem Land entsprach. Außerdem lehnten sie die Zulassung neuer Mitglieder ab, um ihren Gewinnanteil nicht zu schmälern. Deswegen mußte immer stärker auf Gelegenheitsarbeiter zurückgegriffen werden, die nunmehr von den neuen Eigentümern ebenso ausgebeutet wurden wie früher von den Großgrundbesitzern. Wenn auch die Regierung inzwischen durch vorsichtigen Druck in vielen Fällen die Aufnahme zusätzlicher Mitglieder erreichen konnte, so bleibt das Grundproblem ungelöst: eine sehr kleine Minderheit von Bauern ist auf Kosten der großen Mehrheit privilegiert Diese Fehlentwicklung hat wohl dazu beigetragen, daß in der späteren Entwicklung den gemeinwirtschaftlichen Agrargesellschaften Präferenz eingeräumt worden ist, da so ein Teil des angedeuteten Problems vermieden wird. Eine gewisse Kontrolle der Produktionsgenossenschaften hat sich die Regierung vorbehalten. Bis zur endgültigen Bezahlung der Agrarschuld (ca. 25 Jahre) muß der Geschäftsführer von der Regierung bestätigt werden — Aufsichtsrat und Verwaltungsrat werden hingegen von allen Mitgliedern in geheimer Wahl gewählt.
Neben den Genossenschaften sind die Landgemeinden (Comunidades Campesinas), anknüpfend an eine vor-inkaische peruanische Tradition besonders gefördert worden. Das Gemeindeland war in der Vergangenheit gemeinsam bewirtschaftet worden; aber im Laufe der Zeit war es in vielen Fällen von einigen dominierenden Familien in Beschlag genommen und sogar — widerrechtlich — verkauft oder verpachtet worden. Die Agrarreform hatte sich die Wiederherstellung des Gemeindeeigentums und die Vergrößerung der Anbauflächen (durch Zuteilung enteigneten oder Rückgabe widerrechtlich veräußerten Landes) zum Ziel gesetzt, um auch aus den Landgemeinden leistungsfähige Einheiten zu machen. Rund 9 Prozent des zugeteilten Landes gingen an die Landgemeinden. Da diese Größenordnungen noch immer nicht ausreichten, um die Lebensbedingungen der Gemeindemitglieder entscheidend zu verbessern, wurde gleichzeitig ein Programm zur Umwandlung der Gemeinden in Gemeinde-Unter-nehmen (Empresas Comunales) in die Wege geleitet. Auf diese Weise sollten durch Errichtung kleiner Verarbeitungsindustrien (Käsereien, Fischverarbeitung, Konservenherstellung und wenn möglich auch kleine Bergbau-betriebe) neue Arbeitsplätze in den Gemeinden selbst geschaffen werden. Mangels ausreichender Geldmittel und wegen der schlechten Ausbildungsverhältnisse auf dem Land sind diese Programme bisher nur in geringem Umfang erfolgreich gewesen. Eines der Ziele dieser Maßnahmen, die Vermeidung der Landflucht, ist deswegen noch immer unerreicht.
Ein eigenständiges peruanisches Modell des landwirtschaftlichen Unternehmensverbundes stellen die gemeinwirtschaftlichen Agrargesellschaften (SAIS) dar. SAIS wurden vor allem im Hochland gegründet Im Regelfall stellt eine im Rahmen der Agrarreform enteignete Viehzuchthazienda die Zentrale der SAIS dar, der die umliegenden Landgemeinden zugeordnet werden Die Überschüsse der — nun als Genossenschaft geführten — Zentrale werden dann nach einem festgelegten Schlüssel, der eigene Ressourcen und den gegenwärtigen Entwicklungsstand der Gemeinden berücksichtigt, für die Entwicklung der gesamten SAIS eingesetzt. Die zentrale Genossenschaft stellt die notwendige technische Hilfe zur Verfügung und wickelt auch die Finanzierung ab. Entscheidungen werden von einer Versammlung getroffen, in die jede Gemeinde und die zentrale Genossenschaft jeweils zwei Vertreter entsenden. Auch im Falle der SAIS hat sich die Regierung bis zur Tilgung der Agrarschuld die Bestätigung des Geschäftsführers vorbehalten. Der Erfolg der SAIS beruht offenbar vor allem auf der Leistungsfähigkeit der zentralen Kooperativen.
So ist auch die Entwicklung in den einzelnen SAIS bisher sehr unterschiedlich verlaufen.
Einigen blühenden Unternehmen stehen andere gegenüber, die am Rande des Existenzminimums vegetieren — und z. Z. nur durch Stundung der Agrarschuld am Leben erhalten werden können.
Als übergreifende Maßnahme wurden integrale ländliche Entwicklungsprogramme (Proyectos Integrales de Asentamiento Rural — PIAR) entwickelt, die die Gesamtentwicklung mehrerer agrarischer Unternehmen unter Einbeziehung des Kleinbesitzes in einer Region steuern und vor allem die notwendigen Infrastrukturverbesserungen (Straßen, Wasserversorgung, Gesundheitswesen, Elektrizität) koordinieren sollen.
Zusammenfassend kann die peruanische Agrarreform folgendermaßen gekennzeichnet werden: Der agrarische Großgrundbesitz in Peru ist verschwunden (und damit die politische Macht der Oligarchie auf dem Land gebrochen), die Zersplitterung des Landes wurde vermieden, leistungsfähige Produktionseinheiten erhalten. Die Agrarproduktion hat — nach Angaben des Wirtschaftsministers — unter der Reform nicht gelitten, allerdings auch nicht die zunächst erwarteten Forschrit-te gebracht Die Produktionssteigerungen betrugen 1972 0, 8%, 1973 2, 4 %, 1974 2, 3% und 1975 1, 0%. An diesen relativ geringen Steigerungen waren die schlechte Witterung (1972) und eine verfehlte Subventionspolitik mitschuldig, da den einheimischen Produzenten seit 1973 durch zu niedrig festgesetzte Höchstpreise der Produktionsanreiz genommen worden war. Diese Politik wurde erst Mitte 1975 korrigiert, so daß für 1976 mit einer nennenswerten höheren Steigerung gerechnet wird
Trotz dieser relativen Erfolgsbilanz bleiben im Agrarsektor eine Reihe von ungelösten Problemen bestehen, die in Zukunft sehr explosiv werden könnten. Die Agrarreform betrifft nur 10 Millionen ha (von insgesamt 23 Millionen) und kommt höchstens 340 000 Familien zugute Insgesamt gibt es aber 1, 2 Millionen (andere Schätzungen sprechen von 1, 4 Millionen) ländliche Familien. Davon bewirtschaften 170 000 Ländereien, die zum Lebensunterhalt ausreichen. Die übrigen mindestens 690 000 Familien (200 000 Arbeitskräfte auf Privatbesitz, 240 000 Minifundisten, 250 000 ländliche Bauern) leben nach wie vor in kaum vorstellbarem Elend. Ihre Situation könnte nur durch Industrialisierungsmaßnahmen auf dem Land oder Kolonisierungsprojekte im noch wenig erschlossenen Amazonasgebiet erfolgen — beides nur langfristig er-reichbare und hohe Investitionen erfordernde Alternativen. Trotz einer im ganzen sicher außerordentlich erfolgreichen Agrarreform entsteht hier eine explosive Situation, die in Zukunft der Regierung noch viel Kopfzerbrechen bereiten wird. Von Skeptikern wird zudem darauf hingewiesen, daß eine akute Gefahr der Dekapitalisierung der agrarischen Betriebe besteht, da die neuen Besitzer mehr an direkter Ausschüttung als an neuen Investitionen interessiert sind und deshalb nur das gesetzlich vorgeschriebene Minimum an Reinvestitionen erfolgt 2. Industriereform Auch der peruanische Industriesektor hat seit 1968 eine tiefgreifende Umstrukturierung erfahren. Neben der Aufteilung in vier unterschiedlich strukturierte Produktionssektoren ist auf allen Ebenen versucht worden, auf gesetzlichem Wege Mitbestimmungsund Miteigentumsmodelle einzuführen. Endziel soll die Schaffung eines pluralistischen Wirtschaftssystems mit voller Partizipation aller sein Vorgesehen sind vier Wirtschaftssektoren: 1. Der staatliche Sektor, dem alle Grundindustrien, die strategisch wichtigen Unternehmen und diejenigen, die wegen ihrer überragenden Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung nicht privaten Gewinninteressen überlassen werden können, zugeordnet sind. Dazu gehören Rüstungsindustrie, Post-und Fernmeldewesen, Wasser-und Elektrizitätsversorgung, alle Grundstoffindustrien — insbesondere die Großunternehmen des extraktiven Sektors (Bergbau, Erdölförderung) —, die Fischereiindustrie (wegen ihrer großen Bedeutung für den Export) sowie die Vermarktung von Mineralien, Grundnahrungsmitteln und sonstigen landwirtschaftlichen Produkten, soweit sie für den Export bestimmt sind. 2. Der Sektor der reformierten Privatindustrie, zu dem vor allem die verarbeitende Industrie und die Bauwirtschaft gehören. 3. Der Sektor des Sozialeigentums, ein peruanisches Experiment der Arbeiterselbstverwaltung, bei dem jugoslawische Erfahrungen, aber auch Erfahrungen der skandinavischen Länder (Norwegen und Schweden) und ein in Spanien durchgeführtes Projekt Pate gestanden haben. Nach den Erklärungen der peruanischen Regierung soll dieser Sektor in (allerdings nicht genau definierter) Zukunft der bevorzugte Wirtschaftssektor werden.
4. Der Sektor der Kleinindustrie und des Handwerks (unter Einschluß der kunstgewerblichen Betriebe), der lange Zeit Stiefkind der staatlichen Aufmerksamkeit war, aber seit Februar 1976 durch den Erlaß eines speziellen Gesetzes besondere Förderung erfahren soll Dabei spielt vor allem die Tatsache eine große Rolle, daß ein Abbau der noch immer enorm hohen Arbeitslosigkeit im Bereich der Kleinindustrie noch am leichtesten zu verwirklichen scheint
Die reformierte Privatindustrie und der Sektor des Sozialeigentums stellen neben der z. Z. dominierenden Stellung der staatlich betriebenen Unternehmen im industriellen Bereich die wesentlichen Kernpunkte des peruanischen Entwicklungsmodells als drittem Weg zwischen Kapitalismus und Kommunismus dar und sollen im folgenden kurz skizziert werden
Durch die Schaffung der Comunidad Industrial soll im Bereich der verarbeitenden Industrie die Mitbestimmung der Arbeitnehmer und ihre Beteiligung am Eigentum des Unternehmens sukzessiv verwirklicht werden. Betroffen sind alle Industrieunternehmen mit mehr als sechs Beschäftigten oder mehr als einer Million Soles (entspricht z. Z. rund 60 000 DM) Bruttoeinnahmen pro Jahr. Ähnliche Regelungen gelten — mit geringfügigen Abweichungen — auch für die nichtstaatlichen Unternehmen im Bereich des Bergbaus, des Fischereiwesens und der Telekommunikation. Die Comunidad Industrial eines jeden Unternehmens ist — nach Anerkennung durch das Industrieministerium — eine juristische Person des privaten Rechts, die kontinuierlich Eigentum am Unternehmen durch jährliche Zuteilung von 15 °/o des steuerpflichtigen Nettogewinns zur umgehenden steuerfreien Reinvestition im Unternehmen erwirbt. Ist eine Reinvestition nicht möglich, erwirbt die Comunidad Industrial mit diesem Anteil Beteiligungen am bestehenden Grundkapital des Unternehmens. Dieses Verfahren wird solange fortgesetzt, bis die Comunidad Industrial — und damit die Gesamtheit der Arbeitnehmer — einen 5O°/oigen Anteil am Unternehmen erreicht hat. Von diesem Zeitpunkt ah werden von der Comunidad Industrial Aktien ausgegeben, so daß die Arbeitnehmer nun auch individuell am Gewinn des Unternehmens — über die auf die Aktie entfallende Dividende — beteiligt sind. Um das Interesse der Arbeitnehmer am Erfolg des Unternehmens auch vor Erreichen der 5O°/oigen Beteiligung zu erhöhen, werden zusätzlich zu den 15°/o des Nettogewinnes, die auf die Comunidad Industrial übertragen werden, 10 °/o direkt an die Arbeitnehmer ausgeschüttet — davon 50 % zu gleichen Teilen und 5O°/o proportional zum Grundlohn oder Gehalt. Mit zunehmender Beteiligung am Eigentum erweitert sich auch die Beteiligung der Arbeitnehmer an der Unternehmensführung. In allen Unternehmen mit anerkannter Comunidad Industrial entsenden diese mindestens einen Vertreter in das geschäftsführende Gremium. Proportional zum Eigentumserwerb steigt die Beteiligung an der Geschäftsführung, bis sie 50 °/o erreicht.
Das vorstehend geschilderte Modell, das in der Vorstellung seiner Autoren vor allem zwei unmittelbare Resultate haben sollte, nämlich den Interessenausgleich zwischen Kapital und Arbeit und eine Steigerung der Investitionen in den betroffenen Bereichen konnte den hochgespannten Erwartungen bislang keineswegs genügen. Einerseits hat die Unsicherheit bei den Unternehmern über die zukünftige ökonomische und politische Gesamtentwicklung die Investitionsbereitschaft eher gemindert, andererseits hat das Nebeneinander der Comunidad Industrial mit den bereits bestehenden gewerkschaftlichen Organisationen der Arbeiterschaft zu einer Konkurrenzsituation geführt, die die Comunidad Industrial in vielen Fällen gezwungen hat, sich nicht als integrierenden Bestandteil des Unternehmens, sondern mehr als Interessenvertretung der Arbeitnehmer gegen die Unternehmensführung (der sie eigentlich selbst angehört) zu verstehen. Der abstrakte Eigentumserwerb am Unternehmen hat zu keiner stärkeren Identifikation mit diesem geführt. Im Gegenteil: Gerade Unternehmen mit bereits stark beteiligten Comunidades sahen sich in den beiden letzten Jahren heftigen Streiks ausgesetzt (die über Produktions-und Gewinneinbußen den Eigentumserwerb der Comunidad Industrial verlangsamten). Außerdem haben sich eine Reihe von schwerwiegenden Problemen ergeben, die z. T. durch Zusatzgesetze geregelt und in einer Novelle zum Gesetz über die Comunidad Industrial bereinigt werden sollen (nur in einigen Fällen mit Aussicht auf Erfolg). So sind Manipulationen der Gewinne — zum Schaden der Comunidad Industrial — nur schwer zu verhindern; insbesondere ist die Verlagerung von Gewinnen auf mit dem Unternehmen verbundene, aber rechtlich selbständige Handelsunternehmen (die nicht der Industriegesetzgebung unterworfen sind) kaum kalkulierbar. Durch überhöhte Gehälter für das Führungspersonal kann ebenfalls der Nettogewinn verringert werden Wegen der unterschiedlichen Rentabilität der Unternehmen wird zudem die angestrebte 50 °/oige Beteiligung der Arbeitnehmer mit sehr unterschiedlicher Geschwindigkeit erreicht. Mangels eines Ausgleichsmechanismus werden so die Unterschiede innerhalb der Industriearbeiterschaft weiter vertieft. So war nach Angaben des Industrie-ministeriums Ende 1973 erst eine durchschnittliche Beteiligung von 5, 8 0/0 am Aktienkapital der Unternehmen mit Comunidad Industrial erreicht Bei gleichbleibender Entwicklung wären rund 40 Jahre erforderlich, um überall die 5O°/oige Beteiligung zu erreichen. Auch die direkte Ausschüttung von 10 °/o des Gewinns zeigt für 1973 eine extrem unterschiedliehe Verteilung: In der kautschukverarbei-
tenden Industrie, die nur 0, 5 °/o der Unternehmen und weniger als 1 °/o der Arbeitskräfte ausmacht, wurden pro Arbeitnehmer 18 776 S/.
ausgeschüttet, in de Jahre erforderlich, um überall die 5O°/oige Beteiligung zu erreichen. Auch die direkte Ausschüttung von 10 °/o des Gewinns zeigt für 1973 eine extrem unterschiedliehe Verteilung: In der kautschukverarbei-
tenden Industrie, die nur 0, 5 °/o der Unternehmen und weniger als 1 °/o der Arbeitskräfte ausmacht, wurden pro Arbeitnehmer 18 776 S/.
ausgeschüttet, in der wesentlich größeren grafischen Industrie (8 °/o der Unternehmen und 11 % der Arbeitskräfte) dagegen nur 915 S/. — eine Differenz von 20: 1 38)!
Als originären Beitrag zum Versuch der Strukturveränderung über die Reform des Produktionssektors muß der Sektor des Sozialeigentums (Sector de Propiedad Social)
angesehen werden 39). Grundlage ist das Gesetzesdekret 20598 40). Ziel des Sektors der Propiedad Social ist es, einen Wirtschaftssektor zu schaffen, der die Gruppenegoismen ausschaltet und unter demokratischer Beteiligung aller Mitglieder des Sektors der integralen ökonomischen Entwicklung des gesamten Gesellschaftssystems dient. Da diese Unternehmensform als die Verwirklichung des Ziels der Revolution, eine „soziale Demokratie der vollständigen Partizipation" zu schaffen — zumindest für den Produktionsbereich —, angesehen wird, soll sie in Zukunft zum prioritären Sektor der peruanischen Wirtschaft ausgebaut werden Bei der Erarbeitung des Gesetzes wurden ausländische Erfahrungen zugrunde gelegt, jedoch keineswegs — z. B. das jugoslawische Modell der Arbeiterselbstverwaltung — kopiert. Außerdem wurden Anregungen peruanischer politischer Gruppierungen (Partido Demöcrata Cristiano und Movimiento Social Progresista) einbezogen Wichtigstes Unterscheidungsmerkmal zu den anderen Wirtschaftssektoren ist die Eigentumsregelung: Das Eigentum bezieht sich auf den gesamten Sektor, steht der Gesamtheit der Arbeitskräfte (einschließlich des Managements) dieses Sektors zu und ist nicht individuell verfügbar. Der deutsche Begriff Sozialeigentum ist deswegen schon aufgrund der Beschränkung auf die Mitglieder des Sektors irreführend. Unternehmen der Propiedad Social (im folgenden Empresas de Propiedad Social — EPS — genannt) können in allen Sektoren, die nicht ausschließlich dem Staat vorbehalten, aber im Rahmen der staatlichen Planung als prioritär ausgewiesen sind, gegründet werden. Die Erstfinanzierung einschließlich der Vorstudien erfolgt zunächst aus Haushaltsmitteln die später zurückgezahlt werden müssen, über einen zentralen Fond (Fondo Nacional de Propiedad Social), der aus Gewinnanteilen bestehender EPS, Haushaltsmitteln und Anleihen aufgefüllt wird, sollen a) schwächere Unternehmen des Sektors unterstützt werden bzw. Zusatzinvestitionen in solchen Unternehmen, die aus eigener Kraft nicht geleistet werden können, ermöglicht und b) neue EPS gegründet werden. Durch diese „eingebaute Dynamik" soll die Schaffung von Arbeitsplätzen angeregt und eine gleichmäßigere Verteilung des Ergebnisses des Gesamtsektors (nicht der Einzelunternehmen) sichergestellt werden. Bestehende Unternehmen anderer Rechtsformen können ebenfalls in EPS umgewandelt werden, auch agrarische Unternehmen, wie z. B. Produktionsgenossenschaften und SAIS. In diesen Fällen müssen jedoch die Grundprinzipien der Propiedad Social — inbesondere bezüglich Eigentumsregelung und Überschuß-Verwertung — akzeptiert werden.
Mitglieder der EPS sind alle Beschäftigten (Voll-und Teilzeitbeschäftigte mit grundsätzlich gleichen Rechten und Pflichten. Das oberste Organ der EPS ist die Generalversammlung (Asamblea General) aller Mitglieder — das Entscheidungsgremium das Direktionskomitee (Comite Directivo). Der Geschäftsführer, der das Unternehmen nach außen vertritt, wird auf Vorschlag des Direktionskomitees von der Generalversammlung (auf unbegrenzte Zeit) gewählt und gegebenenfalls abberufen. Jede EPS muß über ein Schiedskomitee und ein Erziehungskomitee verfügen. Mitarbeit an allen Unternehmensentscheidungen soll über eine nicht genau definierte Zahl von Spezialkomitees erfolgen, die die Geschäftsführung in wirtschaftlichen und technischen Fragen beraten (und indirekt kontrollieren) sollen. Der Sektor der Propiedad Social ist von der regionalen Ebene — Unternehmen, regionale Zusammenschlüsse — bis zur zentralen Lenkung, dem Sistema Nacional de Propiedad Social, dessen Präsident (im Ministerrang) direkt dem Staatspräsidenten untersteht, hierarchisch gegliedert.
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann über den „Erfolg" des neuen Wirtschaftssektors noch keine Bewertung erfolgen. Bislang sind etwa 35 EPS gegründet und etwa 60 Projekte genehmigt worden; rund zehn haben die Produktion bzw. die Dienstleistungen aufgenommen. Nach Angaben der Comisin Nacional de Propiedad Social liegen einige hundert Anträge vor, deren Studium noch nicht abgeschlossen ist oder noch nicht begonnen hat Aussagen darüber, inwieweit der Sektor der Propiedad Social die ökonomischen Probleme Perus lösen kann — das heißt in erster Linie zur Überwindung der Arbeitslosigkeit und in zweiter Linie zur Verwirklichung des Anspruches einer authentischen Beteiligung der Basis der Bevölkerung an den (in diesem Fall betrieblichen) Entscheidungen beizutragen —, sind auf der Basis dieses Datenmaterials naturgemäß nicht möglich.
Kritik ist bereits von vielen Seiten vorgebracht worden. Zwei Ansätze scheinen inhaltlich besonders relevant. Der neue Sektor ist in eine im wesentlichen kapitalistisch organisierte — wenn auch in vorsichtiger Umstrukturierung befindliche — Produktionsstruktur eingebettet und wird deswegen von der Übermacht des staatlichen Sektors auf der einen und des privaten Sektors auf der anderen Seite langfristig erdrückt — oder bis zur Bedeutungslosigkeit isoliert. Dafür spricht die Tatsache, daß die Unternehmen des Sektors juristische Personen des sozialen Rechts (derecho social) sind, das aber in Peru überhaupt nicht (oder jedenfalls noch nicht) existiert Zum anderen ist die Gesamtstruktur des Sektors sehr stark auf staatlichen Einfluß abgestellt (Übermacht staatlicher Stellen in allen letztlich entscheidenden Gremien). Beide Kritikpunkte beziehen sich jedoch auf den Ist-Zustand und verweisen keinesfalls auf unlösbare Probleme. Alle Gesetzesvorhaben der peruanischen Regierung, die auf gesellschaftliche Umstrukturierung zielen, haben faktisch bislang Neuland betreten müssen. Ständige Anpassungen an die (neuen) Realitäten sind dabei eher die Regel als die Ausnahme gewesen Aus diesem Grunde sollen die genannten Kritikpunkte als konstruktive Verbesserungsvorschläge gesehen und nicht als Argument gegen die Einführung des Systems benutzt werden. Zweifel sind allerdings an der Möglichkeit erlaubt, den Sektor der Propiedad Social in absehbarer Zeit zum prio-
ritären Sektor der peruanischen Wirtschaft zu entwickeln. Die Tendenz scheint zur Zeit eher dahin zu gehen, die Funktionsund Leistungsfähigkeit zunächst in den Bereichen zu testen, in denen direkte staatliche Interventionen nicht vorgesehen und private Investitionen nicht zu erreichen sind. An einigen ausgewählten (größeren) Unternehmen könnte dann gleichzeitig versucht werden, die Funktionsfähigkeit der Unternehmensform der Propiedad Social nachzuweisen. Vor diesem Nachweis dürften private Mittel nur in geringem Umfange zur Verfügung stehen. Die Flaushaltslage dürfte ein stärkeres Engagement auch kaum zulassen. 3. Kontrolle des Finanzsektors Eine der Grundlagen der Strukturreformen im produktiven Bereich war die Ausweitung des staatlichen Einflusses im Finanzierungssektor. Dabei ging es nicht nur darum, private Einflüsse im Finanzsystem, die die angestrebten Strukturreformen hindern oder zumindest verlangsamen könnten, abzubauen, sondern auch darum, das weitgehend mit ausländischen Interessen verflochtene Bankensystem wieder nationaler Kontrolle zu unterstellen. Im Plan Inca sind deswegen als Zielsetzung die progressive Übernahme des Kreditsektors in Staatsregie und die Schaffung eines legislativen Systems, das die effektive Kontrolle des Staates über die Geld-und Kreditpolitik gewährleistet, vorgesehen. Außerdem sollen die Entwicklungsbanken gefördert und der ebenfalls weitgehend aus dem Ausland gesteuerte Versicherungssektor verstaatlicht werden. Zur Konzentrierung der früher zersplitterten Zuständigkeit im ökonomischen Bereich wurde das Wirtschaftsund Finanzministerium durch Zusammenlegung der bislang getrennten Ressorts geschaffen. Zur Gesamtplanung der Entwicklung war bereits 1962 von der Interims-Militärregierung ein nationales Planungsinstitut gegründet worden Bezeichnenderweise war es nun wieder eine Militärregierung, die dieses Instrument auch zu nutzen gewillt war. Die Aufwertung des INP-Chefs durch Verleihung des Kabinettsrangs macht das sehr deutlich
III. Ökonomische Perspektiven unter Berücksichtigung der eingeleiteten Reformen
Als Folge der Rezessionserscheinungen in der gesamten Weltwirtschaft befindet sich das stark, von'Rohstoffexporten abhängige Peru zur Zeit in einer ernsten wirtschaftlichen Krise. Durch die starke Diversifizierung des Rohstoffangebots sind die Auswirkungen in Peru zwar später als in von nur einem einzigen oder wenigen Exportprodukten abhängigen Ländern eingetreten, schlagen aber jetzt voll durch Verschärft wird diese Lage durch die Tatsache, daß die privaten Unternehmer — verunsichert durch die Reformansätze und von der Regierung zu lange darüber im unklaren gelassen, wie weit die Reformen schließlich getrieben werden sollen — I ihre Investitionen während der ersten Jahre der „Revolution“ stark eingeschränkt haben und jetzt nur langsam wieder zu stärkerem Engagement angeregt werden können. Die Auswirkungen dieses Investitionsrückgangs werden aber noch über Jahre bemerkbar sein. Durch die strikte Anwendung der Entscheidung 24 des Andenpaktes die private Investitionen ausländischer Kapitalgeber stark reglementiert, wurde auch die Auffüllung dieser Investitionslücke auf diesem Wege erschwert. Dieser Effekt ist aber durchaus gewollt, da das Entwicklungskonzept der peruanischen Regierung der nationalen Kontrolle Priorität vor wirtschaftlichem Wachstum um jeden Preis — hier den der Abhängigkeit von ausländischen Interessen — einräumt. Als Resultat der Summe der vorgenannten Entwicklungen ist die wirtschaftliche Lage Perus Anfang 1976 durch folgende Faktoren zu kennzeichnen: a) geringe landwirtschaftliche Produktionssteigerungen, die weit hinter dem Bevölkerungswachstum von zur Zeit 2, 9 °/o Zurückbleiben; b) Rückgang der Privatinvestitionen und damit Rückgang der Produktion der privaten Unternehmen, u. a. verstärkt durch umfangreiche Streikbewegungen während des Jahres 1975
c) starke Zunahme der Importe, insbesondere bei Grundnahrungsmitteln, und damit hoher Devisenabfluß;
d) starker Rückgang der Exporterlöse (bei nur geringem Rückgang des Exportvolumens) und damit sinkender Devisenzufluß; e) zunehmendes Handelsbilanzdefizit als Konsequenz von c) und d), bei sich verschlechternden terms of trade;
f) zunehmende Auslandsverschuldung zur Aufrechterhaltung der Investitionen im extraktiven Sektor g) eine Inflationsrate von rund 25 °/o.
Zur Überwindung dieser Situation wurde von der Regierung ein Programm zur ökonomischen Reaktivierung erlassen, dessen Kern-maßnahmen wie folgt zusammengefaßt werden können a) Genehmigungspflicht für Importe;
b) Beschränkung nicht entwicklungsrelevanter Importe und Einschränkung der Devisen-verluste durch Auslandsreisen mittels Zusatz-steuern; c) Steuererhöhungen; d) Abbau der Subventionen — und damit Preissteigerungen bei Kraftstoffen, Fahrpreisen und einer Reihe von Grundnahrungsmitteln;
e) eine einheitliche Lohn-und Gehaltserhöhung für alle abhängig Beschäftigten und gleichzeitig Festsetzung einer Höchstgrenze für Lohn-und Gehaltserhöhungen durch Tarifverträge für das Jahr 1976; f) Förderung der kleinen und mittleren Industrieunternehmen durch ein spezielles Gesetz g) Einschränkung der Staatsausgaben im administrativen Bereich.
Im September 1975 war bereits versucht wor den, die landwirtschaftliche Produktion durc eine Verlagerung von Subventionen von Nahrungsmitteln (die der städtischen Bevölkerung zu Lasten des Produzenten zugute kamen) aul Düngemittel (die zusätzlich zu der Steigerung der Erlöse durch die dadurch entstehenden Preiserhöhungen direkt dem agrarischen Produzenten zugute kommen) anzuregen. Gleichzeitig war zur Verbesserung der Exportchancen der peruanische Sol um 16, 3% abgewertet worden.
Dieses gesamte Maßnahmenbündel wird ergänzt durch den Versuch zum Abschluß eines Sozialpakts, mit dessen Hilfe die Produktionseinbußen aufgrund von Arbeitsauseinandersetzungen soweit wie möglich ausgeschaltet werden sollen. Die „neue Wirtschaftspolitik" macht die Widersprüche zwischen Anspruch und Wirklichkeit eines revolutionären Ansatzes unter gegebenen ökonomischen Verhältnissen deutlich. Die Pläne zur Umverteilung mußten weitgehend eingeschränkt werden, um das notwendige Minimum an wirtschaftlichem Wachstum sicherzustellen, ohne das (bei ebenfalls gegebenem Bevölkerungswachstum) die Existenzbasis des ökonomischen und politischen Systems in Frage gestellt würde. Der derzeitige Trend kann deswegen nur auf die Konsolidierung der erreichten Reformen, nicht auf eine Vertiefung um jeden Preis hinauslaufen. Erst eine entscheidende Verbesserung der internationalen Wirtschaftslage — und damit eine nennenswerte Verbesserung der Rohstoffpreise — würde eine Vertiefung des reformerischen Ansatzes erlauben.
IV. Reformansätze im gesellschaftspolitischen Bereich: Medien-, Erziehungsund Gesundheitspolitik
Der Reformansatz der Revolutionsregierung Ist nicht auf die Strukturveränderungen im Agrar-und Unternehmensbereich beschränkt geblieben, sondern hat auch den gesellschaftspolitischen Bereich in seinem ganzen Umfang erfaßt. Die tatsächlich erfolgten Ver-änderungen sind jedoch in den einzelnen Bereichen sehr unterschiedlich. Ohne an dieser Stelle alle Bereiche darstellen zu können, soll doch auf einige Komplexe beispielhaft eingegangenen werden. Dabei wird auch deutlich, welche ökonomischen, gesellschaftlichen oder auch nur administrativen Hemmnisse einem konsequenten Reformkonzept im Wege stehen. 1. Medienpolitik Die Massenmedien befanden sich vor der Machtübernahme der Militärs 1968 in enger Verquickung mit politischen und ökonomischen Interessen und Einflüssen in der Hand weniger Familien, die Presse, Rundfunk und Fernsehen konsequent zur Verteidigung, Wahrung und Vermehrung dieser Interessen einsetzten Zur „Politik der Revolutionsregierung" gehörte deswegen der Versuch, die Massenmedien zu „peruanisieren" und in den Dienst der repräsentativen Organisationen der Bevölkerung zu stellen (Plan Inca). Bis 1968 kontrollierte die Regierung eine Rundlfunkstation (Radio Nacional) und einen Fernsehkanal (Canal 7 TV); beide verbreiteten in Abhängigkeit vom Erziehungsministerium kulturelle und erzieherische Programme. Daneben existierte mit „El Peruano" ein offizielles Mitteilungsblatt der Regierung. Mit dem Gesetz über die Telekommunikation (Ley de Teleco-
municaciones) übernahm die Regierung 1971 51 °/o der Aktien der Fernsehkanäle und 25 °/o der Rundfunksender. Gleichzeitig wurde die Zahl der Sender, über die ein Eigentümer oder ein Unternehmen maximal verfügen darf, drastisch beschränkt. Mit diesem kontrollierenden Einfluß (im Falle des Fernsehens sogar der Dominanz) war die Ausgangslage geschaffen für eine Funktionsveränderung dieser Medien mit dem Ziel, sie in den Dienst des Prozesses der politischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Veränderungen zu stellen. Sieht man von den Nachrichtensendungen, die von einer staatlichen Produktionsgesellschaft erstellt werden (Telecentro), und der Sendezeit für offizielle Verlautbarungen, Reden etc. ab, sind diese Möglichkeiten bislang wenig genutzt worden, da nationale Produktionen nur i in ungenügendem Umfang zur Verfügung stehen — und auch ausgebildetes Personal fehlt, um kurzfristig Abhilfe zu schaffen.
Die Reform der Tagespresse ist hingegen schon weiter gediehen. Bei der Tageszeitung „La Crönica" erwarb die Regierung über die Staatsbank die Aktienmehrheit und fusionierte das Unternehmen mit dem „Peruano" Damit verfügt die Regierung über direkten Zugang zum Zeitungspublikum. Die übrigen großen Tageszeitungen (gran prensa mit entweder mehr als 20 000 Exemplaren oder nationaler Verbreitung) wurden den organisierten Sektoren der Bevölkerung zugeteilt, nachdem sie zunächst vom Staat (gegen Entschädigung) enteignet und zur Vorbereitung dieser Zuteilung ein Jahr lang direkt verwaltet worden waren. Die Verwaltung erfolgt nunmehr durch privatrechtliche Assoziationen, deren Spitzengremium sich aus Delegierten der verschiedenen Einzelorganisationen des Sektors zusammensetzt. So wurde die größte und einflußreichste Zeitung Limas, El Comercio, dem Agrarsektor zugeteilt. In seine „asociaciön civil" werden Delegierte der Produktionsgenossenschaften, der SAIS, der kleinen und mittleren ländlichen Produzenten entsandt. Der Umwandlungsprozeß ist noch nicht voll abgeschlossen, da sich die Regierung bei der Übergabe an die neuen Eigentümer die Ernennung des Direktors noch auf ein weiteres Jahr vorbehalten hat.
Es ist in und außerhalb Perus intensiv darüber diskutiert worden, ob dieses System mit dem Prinzip der Pressefreiheit zu vereinbaren sei. Festzustellen ist in diesem Zusammenhang, daß die Situation vor 1974 keineswegs ein Beispiel für Pressefreiheit gewesen ist, allenfalls von Freiheit des potenten Wirtschaftsunternehmens „Zeitung". Daß diese Unternehmen dem Veränderungsanspruch der Militärregierung ablehnend gegenüberstanden, versteht sich beinahe von selbst. Aus dieser Sicht erschien den Vorbesitzern die Sozialisierung (nicht: Verstaatlichung) der Presse auch als ein Versuch zur Zerschlagung der Opposition. Zuzustimmen ist der Kritik an dieser Maßnahme insoweit, als sich die Qualität der meisten der betroffenen Blätter in der Folge verschlechtert hat. An die Stelle der Opposition trat in vielen Fällen eine unkritische Verbreitung der Regierungsmeinung (bzw.dessen, was die von der Regierung ernannten Direktoren dafür hielten). Dieser Zustand, hat sich jedoch inzwischen gebessert. Es bleibt abzuwarten, ob mit der endgültigen Übernahme der Zeitungen durch die organisierten Sektoren der Bevölkerung, d. h. mit der Übertragung auch der Zuständigkeit für die Wahl des Direktors, sowie der Übernahme des vollen ökonomischen und administrativen Risikos an die „asociaciones civiles" Änderungen eintreten. Erst dann wird ein Urteil darüber möglich sein, ob der Versuch, ein unbefriedigendes und auf die Dauer nicht systemkonformes Pressesystem durch eine sicherlich originelle — und vor allem originär peruanische — Lösung zu verändern, als gelungen angesehen werden kann oder nicht. Bei allen Bedenken bezüglich der Funktionsfähigkeit des neuen Systems in der Praxis kann jedenfalls kaum bezweifelt werden, daß es in der Theorie als weitaus „demokratischer" angesehen werden muß als das bloße Prinzip der Unternehmensfreiheit im Pressesektor. Ein zusätzliches Korrektiv der unkritischen Berichterstattung der Tageszeitungen stellen in jedem Falle die — nicht kontrollierten — politischen Wochenzeitschriften dar, die — nach einer Periode der Repression von Ende 1974 bis zum Regierungswechsel im August 1975 — wieder völlig frei agieren können. 2. Erziehungspolitik Im Bereich der Erziehungspolitik konnte die Militärregierung an unbestreitbare Erfolge der Regierung Belaünde anknüpfen. Schulpflicht und Kostenfreiheit in allen staatlichen Erziehungseinrichtungen waren längst etabliert. Belaünde hatte ein Dringlichkeitsprogramm zum Bau von Schulen besonders in den unterversorgten ländlichen Gebieten durchgesetzt. An den traditionellen Inhalten und der Organisation des Erziehungssystems hatte sich aber wenig geändert. Die Lehrinhalte waren gekennzeichnet durch nicht an die Gegebenheiten des Landes angepaßte — unverändert aus dem Ausland übernommene — Programme, scharfe Trennung in einen im Umfang kleinen, aber qualitativ hochwertigen privaten Bereich und einen großen staatlichen Bereich minderer Qualität. Die hohen Kosten der privaten Institutionen garantierten eine frühzeitige Selektion und schlossen sozialen Aufstieg über das etablierte Erziehungssystem weitgehend aus. Da ein Teil der privaten Schulen — darunter die qualitativ besten — Auslandsschulen mit einem großen Anteil ausländischen Lehrpersonals waren (und sind!), wurde dadurch die Verflechtung der einheimischen Elite mit fremden Interessen frühzeitig gefördert. Der propagierten und theoretisch auch gegebenen Chancengleichheit im Erziehungssystem standen somit unüberwindliche Realitäten entgegen. Das System diente per Saldo der Erhaltung des Status quo. Hinzu kam als Entwicklungshemmnis die für alle lateinamerikanischen Länder charakteristische Schwerpunktbildung in der geisteswissenschaftlichen Ausbildung unter Vernachlässigung der technischen Disziplinen, die zudem meist in sehr theoretischer Form (z. B. Institute für Physik oder Chemie ohne
Laboreinrichtung etc.) dargeboten wurden. Zur Veränderung des Erziehungssystems in Übereinstimmung mit den Postulaten der „peruanischen Revolution" waren deswegen einige Grundzielsetzungen geboten:
a) Verwirklichung der Chancengleichheit in der Praxis;
b) Anpassung der Erziehungsinhalte an die Notwendigkeiten der nationalen Entwicklung — und dabei auch die Kontrolle fremder Einflüsse im Erziehungssektor
c) Ausrichtung des gesamten Systems auf praktische Erfordernisse durch Aufhebung der Trennung zwischen Grund-und Fachausbildung; d) Einschluß der nichtinstitutionalisierten Ausbildung in das — staatlich zu fördernde — Erziehungssystem;
e) Beteiligung der gesellschaftlich relevanten Institutionen am Entscheidungsprozeß, z. B.
Unternehmenssektor, Elternschaft etc.
Das peruanische Erziehungsgesetz (Ley General de Educaciön) ist ein integraler Ansatz zur Umstrukturierung des Systems im Sinne der o. g. Aufgabenstellungen. Von Kritikern wird das Gesetz, dessen Details hier nicht diskutiert werden können, als einer der umfassendsten und konsequentesten Ansätze zur Umformung des Erziehungssystems im Dienste eines eigenständigen Entwicklungskonzeptes gesehen Allerdings sollte auch das Hauptproblem nicht verschwiegen werden: Mangels finanzieller Mittel stehen viele der angestrebten Reformen noch auf dem Papier. Der Widerstand der überwiegend oppositionell eingestellten (und schlecht bezahlten) Lehrerschaft erschwert die Durchsetzung. Das — durch totale Politisierung — chaotische Universitätssystem hat bisher allen Reformversuchen widerstanden. Eine immer stärkere Politisierung und immer geringere Ausbildungsleistungen (die oft am Bedarf vorbeiproduzieren) drohen das Defizit an ausgebildetem Spitzenpersonal eher zu verschärfen. Von einer Realisierung der Erziehungsreform kann noch keineswegs gesprochen werden, noch nicht einmal von einem entscheidenden Durchbruch. Die Konsequenz des Konzeptes ist aber nach Ansicht des Verfassers durch diese Realitäten nicht in Frage zu stellen. Trotz der bestehenden schwerwiegenden Probleme: von einem Scheitern der Reform zu sprechen, ist ganz sicher schon wegen der kurzen Zeitspanne unstatthaft. 3. Gesundheitspolitik Ähnlich der Lage im Erziehungssektor sind Verbesserungen im Gesundheits-und Versorgungsbereich (Kranken-und Sozialversicherung) nur langfristig und mit Hilfe erheblicher Investitionen erreichbar. So konnten bislang die Zielsetzungen des Plan Inca nur z. T. erreicht werden. Bislang ist auch eine gesetzliche Grundlage für den gesamten Bereich des Gesundheitswesens am Widerstand der Einzelinteressen gescheitert. Auf einigen Teilgebieten konnten jedoch wichtige Fortschritte erzielt werden. Die bisherige Konzentration eines leistungsfähigen Gesundheitswesens auf die großen Städte (und insbesondere den Einzugsbereich der Hauptstadt Lima) und die daraus folgende Unterversorgung des ländlichen Bereiches konnten durch drei Maßnahmen abgebaut (aber keineswegs beseitigt!) werden: 1. Unterstützung der assoziativen agrarischen Unternehmen bei der Errichtung medizinischer Versorgungseinrichtungen (mit Erfolg vor allem in einigen großen SAIS).
2. Programm zur Grundversorgung mit Medikamenten, bei dem die Regierung über das Gesundheitsministerium die Produktion wichtiger Medikamente ausschreibt, um sie dann zum Kostenpreis über die staatlichen Institutionen zu verteilen. Da bei diesem Verfahren auch die Gewinnspanne der Unternehmen kontrolliert wird, können Grundmedikamente auf diesem Wege zu Preisen, die nur 10 bis 30 °/o des Apothekenverkaufspreises ausmachen, ausgegeben werden. Die Ausgabestellen sind in den Elendsvierteln der Großstädte und im ländlichen Bereich konzentriert 3. Die Dienstverpflichtung der Abgänger medizinischer Ausbildungsgänge (Ärzte, Krankenpfleger etc.) nach Abschluß des Studiums Per Gesetz wurden alle Abgänger verpflichtet, nach Abschluß des Studiums vor Übergabe der Approbationsurkunde sechs bis zwölf Monate (je nach Ausbildungsgang und Einsatzgebiet) in medizinisch unterversorgten Gebieten zu praktizieren. Das System wird ergänzt durch Vergünstigungen für Mediziner, die bereit sind, sich in solchen Gebieten niederzulassen.
Im Bereich des Kranken-und Sozialversicherungswesens sind ebenfalls Fortschritte zu erkennen, wenn auch das Ziel „progressive Ausweitung der sozialen Sicherung der gesamten Bevölkerung" (Plan Inca) noch in weiter Ferne liegt. Eine administrative Reorganisation des Sozialversicherungssystems hat dessen Funktionen verbessert (wenn auch nicht die — sehr bescheidenen — Leistungen), die Ausdehnung auf Familienangehörige der versicherten Arbeitnehmer ist geplant, z. Z. aber nicht finanzierbar. Die Versicherungspflicht für häusliches Dienstpersonal ist eingeführt, wird aber nur in geringem Umfang tatsächlich eingehalten. Eine — bereits versuchte — schärfere Kontrolle würde einen großen Teil dieses Personals arbeitslos machen. Diese Gefahr erzwingt trotz der Dringlichkeit der Verbesserung der Lebensumstände dieser besonders benachteiligten Bevölkerungsgruppe behutsames Vorgehen.
V. Zum politischen System der „peruanischen Revolution": autoritäres Regierungssystem und Partizipation
In diesem Abschnitt soll die politische Seite des Revolutionsprozesses dargestellt werden. Nach einigen notwendigen Überlegungen zum Funktionieren des politischen Systems ist dabei die Entwicklung im politischen Bereich zu analysieren, unter Einschluß einiger Bemerkungen zu den politischen Akteuren (Parteien, Gewerkschaften, etc.) und zu deren Beziehungen zueinander. 1. Funktionsweise des politischen Systems und politische Entwicklung seit 1968 Bei der Machtübernahme 1968 hatten die Militärs die gültige politische Verfassung des Landes von 1933 bestehen lassen. Das Statut der Revolutionsregierung der Streitkräfte veränderte jedoch alle Dispositionen, die auf Schaffung und Aufgabenbereich von Exekutive und Legislative bezogen waren (Titel IV bis VII).
Oberstes Organ ist die Junta Revolucionaria, der die drei Oberkommandierenden der drei Waffengattungen angehören. Diese verwalten gleichzeitig in Personalunion als Kabinetts-mitglieder das Heeres-, Marine-und Luftwaffenministerium. Der Heeresminister übt gleichzeitig das Amt des Premierministers aus. Die Junta Revolucionaria wählt einstimmig den Präsidenten der Republik, der ein aktives Mitglied der Streitkräfte sein muß. Nur der Präsident der Republik und die Mitglieder der Junta Revolucionaria müssen Angehörige der Streitkräfte sein. Der Präsident ernennt — in Übereinstimmung mit den Mitgliedern der Junta Revolucionaria — die übrigen Kabinettsmitglieder, die Militärs oder Zivilisten sein können. Gesetze werden durch Kabinettsbeschluß erlassen und durch den Präsidenten zusammen mit den Mitgliedern der Junta Revolucionaria ausgefertigt. Die Ernennung zum Oberkommandierenden einer der Teilstreitkräfte (und damit automatisch zum Heeres-, Marine-oder Luftwaffenminister und zum Mitglied der Junta Revolucionaria) erfolgt unter Beachtung der militärischen Rangfolge. Soweit die Verfassungstheorie unter Zugrundelegung des Revolutionsstatuts
In der Praxis stimmen die Entscheidungsvorgänge nicht mit dieser Theorie überein. Die Festlegung der militärischen Rangfolge für die Ernennung der Junta Revolucionaria und de facto auch für andere wichtige Regierungsämter hat eine vorprogrammierte Mischung von Kontinuität und Wechsel garantiert. Das jeweilige Aufrücken nach dem Rang hat den Prozeß übersichtlich gemacht das niedrige Höchst-Dienstalter peruanischer Militärs dabei regelmäßigen Wechsel in den wichtigen Ressorts garantiert. Das Prinzip ist jedoch keineswegs starr durchgehalten worden, sondern konnte durch vorzeitige Versetzung in den Ruhestand nicht erwünschter, aber in der Rangfolge „vorberechtigter" Generäle und Admiräle beeinflußt werden. Mehrere Regierungskrisen wurden durch vorzeitige „Pensionierung" ranghoher Militärs „gelöst", die so den Weg für politisch einflußreiche jüngere Generäle freimachten. Die Spitzen aller Waffengattungen erlebten in den sieben Jahren der „peruanischen Revolution'solche „Pensionsschübe". Die mathematischen Vorausberechnungen für die politischen Führungspositionen kommender Jahre haben sich deswegen stets als falsch erwiesen. Tatsächlich beruhte die Funktionsfähigkeit des Systems auch nicht auf den verfassungsmäßigen Regelungen des Revolutionsstatuts, sondern auf dem Zusammenhalt der Streitkräfte und der Gruppierungen innerhalb der Teilstreitkräfte. Dieser Zusammenhalt war durch eine Machtaufteilung zwischen den Teilstreitkräften im Verhältnis ihrer jeweiligen Bedeutung erreicht worden. Jede Waffengattung war für bestimmte Ressorts politisch verantwortlich. Dieses Gleichgewicht mußte bei jeder Regierungsumbildung gewahrt werden. Jede Waffengattung mußte für den Verlust eines Ressorts oder eines Amtes durch ein anderes „entschädigt" werden Da die Marine — und in geringem Umfang — auch die Luftwaffe konservativer eingestellt war (und ist) als das Heer (oder jedenfalls die Mehrheit der Heeresgeneräle), blieb das Gleichgewicht stets labil. Eine Reihe von Regierungskrisen machte das deutlich. Das gemeinsame Wissen um die Notwendigkeit, nach außen die Geschlossenheit um jeden Preis zu erhalten, hat aber immer einen Kompromiß erzwungen, um (u. a. mit Hilfe der o. a. Pensionsschübe) die Einheit des Handelns wiederherzustellen. Die Funktionsfähigkeit des Regierungssystems wurde deshalb (auch wohl wegen der Erfahrungen mit der chaotischen Parteienherrschaft vor der Machtübernahme) nie ernsthaft in Zweifel gezogen. Die Qualifikation der Militärs für die Übernahme politischer Ämter war seit der Errichtung des Centro de Altos Estudios Militares — CAEM — 1950 erheblich verbessert worden. Alle jüngeren Generäle haben diese Schulung mit einem Schwerpunkt im sozialwissenschaftlichen Bereich (Ökonomie, Politik, Administration) durchlaufen viele außerdem Hochschulstudien absolviert. Der Vorwurf der sachlichen Inkompetenz ist deswegen auch selten erhoben worden — von den politischen Parteien wird deswegen die Kritik auch vor allem auf „fehlende demokratische Legitimation" abgestellt —, zumal Sachkompetenz auch keineswegs ein herausragendes Kennzeichen der Regierungsmitglieder in den Vorläuferregierungen gewesen war.
Große Verdienste um die Erhaltung des Gleichgewichtes zwischen den an der Regierung beteiligten Gruppen hat sich der erste Präsident der „peruanischen Revolution", Juan Velasco Alvarado, erworben, der als Integrationsfigur immer wieder den Ausgleich fand und sich auch in der Bevölkerung beachtliche Popularität zu verschaffen wußte. Velasco entwickelte auch die Institution, die während seiner Regierungszeit zum Machtzentrum der Regierung aufstieg: das Comite de Asesoramiento de la Presidencia de la Repblica — COAP — unter Führung des weit links stehenden Heeresgenerals Jose Graham Hur-tado. Alle Gesetzesvorlagen wurden im COAP abschließend behandelt (und vielfach auch dort erarbeitet) 72a). Graham war damit einer der mächtigsten Politiker im Lande und wurde von vielen Beobachtern als „Kronprinz" Velascos angesehen. Die P -likalität der strukturverändernden Gesetze ist in großem Umfang seinem Einfluß zuzuschreiben; ohne ihn wären sicher viele Maßnahmen weniger „revolutionär" und eher „modernisierend" ausgefallen. Erst als Velascos Integrationsfähigkeit (auch krankheitsbedingt) verlorenging, dadurch die Gegensätze unter den regierenden Militärs offener zutage traten, und „einsame Entschlüsse" des Präsidenten bestimmte Gruppen in der Regierung zunehmend verärgerten, erzwang die Heeresgeneralität im August 1975 seinen Rücktritt — nicht etwa ausgelöst durch die Junta Revolu-cionaria, wie es das Revolutionsstatut vorsieht, sondern durch eine Erklärung der, Kommandanten der fünf Militärregionen Perus, der sich später die übrigen Waffengattungen anschlossen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wurde deutlich, daß die wirkliche Macht keineswegs bei der Junta Revolucionaria liegt — auch das ist ein Zeichen für das Auseinander-klaffen von Verfassungstheorie und Verfassungswirklichkeit.
Neuer Präsident wurde der — auch im Ausland — insbesondere als herausragender Wirtschaftspolitiker und als persönlich absolut in-tegre Persönlichkeit anerkannte amtierende Heeres-(und Premier-) Minister Francisco Morales Bermüdez Cerrutti. Die Ernennung von Morales Bermüdez — des Führers der technokratischen Richtung unter den Militärs — ist ein deutliches Zeichen für das Bestreben, das Erreichte zunächst zu konsolidieren und nicht um jeden Preis — auch um den des ökonomischen Zusammenbruchs — den Strukturveränderungsprozeß voranzutreiben. Mit der Machtübernahme von Morales Bermüdez hatte Graham — und die ihm verbundene Gruppe besonders links eingestellter Heeresgeneräle — seinen Einfluß verloren und trat wenig später zurück. Unter Morales Bermüdez wurden die politischen Entscheidungen wieder ins Kabinett verlagert (das nunmehr stärker aus Fachleuten und weniger aus politisch progressiv engagierten Kräften besteht); der COAP entwickelte sich zum Beratungsgremium des Präsidenten zurück. Erstmals wurden (zwei) zivile Kabinettsmitglieder beru-fen und auch die kasernierte Polizei (Guardia Civil) an der Regierung beteiligt Die neue Regierung stellte auch die — im letzten Jahr der Regierung Velasco faktisch aufgehobene — Pressefreiheit wieder her und suchte — an einer schnellen ökonomischen Erholung interessiert — das Vertrauen der privaten Unternehmer wieder zu gewinnen, das durch das Tempo der Reformen und allzu forscher Äußerungen der progressivsten Mitglieder der Vorregierung verlorengegangen war. 2. Partizipationspolitik und Verankerung des politischen Systems in der Bevölkerung Da sich die peruanische Militärregierung nicht als Übergangsregierung versteht war sie von Anfang an daran interessiert, eine politische Basis in der Bevölkerung zu finden. Die bestehenden politischen Parteien kamen für eine Zusammenarbeit nicht in Betracht, da sie sich durch die Korruptionswirtschaft während der Regierung Belaünde in den Augen der Militärs und weiter Teile der Bevölkerung disqualifiziert hatten. Die Partei des früheren Präsidenten Belaünde — Acciön Populär — hatte sich mehrfach gespalten und bestand faktisch nicht mehr; sie war ohnehin nie eine Mitgliederpartei gewesen. Die APRA Haya de la Torres hatte am Prestigeverlust des Systems teilgehabt. Die Verhinderung der Agrarreform, die Beteiligung an den — als Kapitulation vor einem mächtigen amerikanischen Olkonzern (Standard Oil of New Jersey) aufgefaßten — Olverträgen und zuletzt ihr Versuch, um jeden Preis (d. h. in jedweder Koalition) an die Macht zu kommen, hatten ihr Image als fortschrittliche Partei grundsätzlich zerstört. Die letzte Koalition mit der UNO (Union NacionalOdriista) des Exdiktators Odria, unter dessen Herrschaft Haya de la Torre ein mehrere Jahre währendes Exil in der kolumbianischen Botschaft in Lima erdulden mußte, hatte auch die persönliche Glaubwürdigkeit der Parteiführer erschüttert. Obwohl die APRA nach wie vor die einzige Mitgliederpartei Perus ist, sind die Bindungen zur
Basis stark gelockert. Die UNO Odrias fiel mit dem Charisma-Verlust ihres alternden Führers zunehmend auseinander und besteht heute — nach Odrias Tod — nicht mehr. Die Bedeutung der kleineren Parteien erschöpfte sich im eher persönlichen Einfluß einzelner ihrer Führer; einen nennenswerten politischen Faktor hatten sie als Parteien nie dargestellt.
Die neue Regierung konnte nur auf einzelne Politiker verschiedenster Herkunft rechnen, die sich mit dem Programm des Manifestes der Revolutionsregierung identifizierten Die etwas nebulöse Zielsetzung des Plan Inca, „die notwendigen Organe zu schaffen, um die Partizipation der Bevölkerung zu ermöglichen", wurde zunächst mit der Schaffung eines „Ministeriums zur sozialen Mobilisierung" (Sistema Nacional de Apoyo a la Mobilizaciön Social — SINAMOS) angegangen. Die Organisation war mit erheblichen Machtbefugnissen und finanziellen Mitteln ausgestattet und hatte die Aufgabe, die Beteiligung der marginalisierten Massen der Bevölkerung (insbesondere: Agrarbereich und Elendsviertel der Großstädte, die jetzt Pueblos Jovenes — etwa: junge Siedlungen — genannt werden) am politischen Prozeß zu ermöglichen. Dies sollte in theoretischer Form (Bildung und Ausbildung) und in Form direkter Kooperation mit der Bevölkerung (Infrastrukturprojekte, Selbsthilfeorganisationen, politische Zusammenschlüsse) geschehen. SINAMOS verstand sich als ein — auf begrenzte Zeit angelegter und damit von einer politischen Partei grundsätzlich verschiedener — politischer Arm der Revolutionsregierung, der die politische Partizipation der Bevölkerungsmehrheit herstellen und sich damit selbst überflüssig machen solle Chef des SINAMOS wurde zu Beginn einer der führenden Vertreter der linken Heeresgeneräle: Leonidas Rodriguez Figueroa, der durch seine politische Potenz SINAMOS zu einem der wichtigsten Organe der peruanischen Politik machte. Das Konzept des SINAMOS erwies sich jedoch als praxisfern, wozu auch einige angeborene Ungereimtheiten beitrugen. Zu-war ein solches „Transformationsmini-i" für alle nach links tendierenden attraktiv, so daß bald Vertreter aller politischen Gruppierungen irgendwo tem saßen und versuchten, ihren politi-Ideen zum Durchbruch zu verhelfen.
eterogenität konnte nie beseitigt wer-urch die Beschlüsse der kommunistiund der (linken) christdemokratischen die „peruanische Revolution" aktiv zu ützen, wurde das Spektrum weiter itert. Es zeigte sich auch bald, daß be-le Organisationen (agrarische Organi-n, die z. B. aus den Bauernkämpfen vor rvorgegangen waren, Gewerkschaften) r Einflußnahme des SINAMOS wider-Erfolge der Bildungsmaßnahmen trach nur dort ein, wo gleichzeitig Maß-i zur Verbesserung der sozialen und rischen Lebensbedingungen der Bevölerreicht werden konnten, z. B. durch ibau, Strom-und Wasserversorgung, lische Versorgung auf dem Land, Beungsanlagen. Solche Maßnahmen war nur in begrenztem Umfang finanzier-d lösten zudem bei den Gruppen, die oder noch nicht) in den Genuß solcher ützung kommen konnten, erhebliche edenheit aus. Die Methoden des mäch-ind finanzkräftigen SINAMOS lösten iche Resistenz aus: widerstrebende sationen sollten durch Nicht-Anerken‘wangsinterventionen — wohl auch ge-
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OS trug wesentlich zur Entstehung ei-ierarchisch gegliederten politischen Organisation, der Confederacin Nacioraria (CNA), bei, die sich auf Agrarfönen in den Departamentos und Agrar-n den Provinzen stützt. Die CNA ist atsächlich die repräsentativste Bauern-rng in Peru, obwohl sie höchstens 4 % Lern vertritt . Im Gewerkschaftssektor len drei Zentralen, die eng an die poliParteien angelehnt waren: CTP (apri-CGTP (kommunistisch) und CNT (christ-demokratisch), die sich aller staatlichen Einflußnahme widersetzten. So wurde unter Mitwirkung des Fischereiministers und zunächst auf der Basis der Fischergewerkschaften die Central de Trabajadores de la Revoluciön Peruana (CTRP) gegründet, die zunächst einen enormen Aufschwung nahm, dann aber an internen Auseinandersetzungen zerbrach . Später wurde auch im Erziehungssektor eine Parallelgewerkschaft zur oppositionellen (keiner Zentrale angehörenden) Einheitsgewerkschaft SUTEP (Sindicato Unico de Trabajadores de la Education del Peru) gegründet. Der offizialistische Sindicato de Edu-cadores de la Revoluciön Peruana (SERP) erwies sich aber als Fehlschlag; bei Wahlen kam er trotz massiver finanzieller Unterstützung nicht über rund 10 der Stimmen hinaus. Ähnlich sah es im Bereich der Comunidades Industriales aus: Die Einwirkung des SINA-MOS führte zur Spaltung der Confederacion Nacional de Comunidades Industriales, die bis heute nicht überwunden ist. Angesichts des sinkenden Ansehens von SI-NAMOS forderten die Ressortministerien Zuständigkeiten zurück, die sie an SINAMOS abgetreten hatten: vor allem Agrar-, Erzie-hungs-, Transport-und Wohnungsbauministerium. Nach dem Ausscheiden Rodriguez Figueroas setzten sie sich damit auch gegen dessen politisch farblose Nachfolger durch. SINAMOS wurde auf den Rang einer Behörde für assoziative Unternehmen und politische Organisationen zurückgestuft und hat damit noch immer große politische Bedeutung; aber der Versuch der politischen Mobilisierung über einen staatlichen Apparat muß als gescheitert angesehen werden. Eine als Konsequenz dieses Scheiterns in den letzten Monaten der Regierung Velasco ins Leben gerufene Organizaciön Politica de la Revoluciön Peruana (OPRP) , die eine wohl sehr viel mehr parteiähnliche politische Organisation auf der Basis der organisierten Massenbewegungen nächst war ein solches „Transformationsmini-sterium" für alle nach links tendierenden Kräfte attraktiv, so daß bald Vertreter aller linken politischen Gruppierungen irgendwo im System saßen und versuchten, ihren politischen Ideen zum Durchbruch zu verhelfen. Diese Heterogenität konnte nie beseitigt werden. Durch die Beschlüsse der kommunistischen und der (linken) christdemokratischen Partei, die „peruanische Revolution" aktiv zu unterstützen wurde das Spektrum weiter verbreitert. Es zeigte sich auch bald, daß bestehende Organisationen (agrarische Organisationen, die z. B. aus den Bauernkämpfen vor 1965 hervorgegangen waren, Gewerkschaften) sich der Einflußnahme des SINAMOS widersetzen. Erfolge der Bildungsmaßnahmen traen auch nur dort ein, wo gleichzeitig Maßnahmen zur Verbesserung der sozialen und ökonomischen Lebensbedingungen der Bevölkerung erreicht werden konnten, z. B. durch Straßenbau, Strom-und Wasserversorgung, medizinische Versorgung auf dem Land, Bewässerungsanlagen. Solche Maßnahmen waren aber nur in begrenztem Umfang finanzier-□ar und lösten zudem bei den Gruppen, die □icht (oder noch nicht) in den Genuß solcher Unterstützung kommen konnten, erhebliche Unzufriedenheit aus. Die Methoden des mäch-igen und finanzkräftigen SINAMOS lösten zusätzliche Resistenz aus: widerstrebende Organisationen sollten durch Nicht-Anerkennung, Zwangsinterventionen — wohl auch gelegentlich Wahl-Manipulationen — gefügig gemacht werden. Wo auch das nicht half, wurden Parallel-Organisationen gegründet und massiv finanziell unterstützt.
SINAMOS trug wesentlich zur Entstehung einer hierarchisch gegliederten politischen Agrar-Organisation, der Confederacion Nacional Agraria (CNA), bei, die sich auf Agrarfö-
lerationen in den Departamentos und Agrar-
igen in den Provinzen stützt. Die CNA ist ieute tatsächlich die repräsentativste Bauern-Vertretung in Peru, obwohl sie höchstens 4 °/o ier Bauern vertritt Im Gewerkschaftssektor estanden drei Zentralen, die eng an die poli-
ischen Parteien angelehnt waren: CTP (apri-itisch), CGTP (kommunistisch) und CNT (christ-demokratisch) die sich aller staatlichen Einflußnahme widersetzten. So wurde unter Mitwirkung des Fischereiministers und zunächst auf der Basis der Fischergewerkschaften die Central de Trabajadores de la Revoluciön Peruana (CTRP) gegründet, die zunächst einen enormen Aufschwung nahm, dann aber an internen Auseinandersetzungen zerbrach Später wurde auch im Erziehungssektor eine Parallelgewerkschaft zur oppositionellen (keiner Zentrale angehörenden) Einheitsgewerkschaft SUTEP (Sindicato Unico de Trabajadores de la Education del Peru) gegründet. Der offizialistische Sindicato de Educadores de la Revoluciön Peruana (SERP) erwies sich aber als Fehlschlag; bei Wahlen kam er trotz massiver finanzieller Unterstützung nicht über rund 10 der Stimmen hinaus. Ähnlich sah es im Bereich der Comunidades Industriales aus: Die Einwirkung des SINA-MOS führte zur Spaltung der Confederacion Nacional de Comunidades Industriales, die bis heute nicht überwunden ist
Angesichts des sinkenden Ansehens von SI-NAMOS forderten die Ressortministerien Zuständigkeiten zurück, die sie an SINAMOS abgetreten hatten: vor allem Agrar-, Erzie-hungs-, Transport-und Wohnungsbauministerium. Nach dem Ausscheiden Rodriguez Figueroas setzten sie sich damit auch gegen dessen politisch farblose Nachfolger durch. SINAMOS wurde auf den Rang einer Behörde für assoziative Unternehmen und politische Organisationen zurückgestuft und hat damit noch immer große politische Bedeutung; aber der Versuch der politischen Mobilisierung über einen staatlichen Apparat muß als gescheitert angesehen werden. Eine als Konsequenz dieses Scheiterns in den letzten Monaten der Regierung Velasco ins Leben gerufene Organizaciön Politica de la Revoluciön Peruana (OPRP) die eine wohl sehr viel mehr parteiähnliche politische Organisation auf der Basis der organisierten Massenbewegungen